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syndicom magazin Nr. 4 - Holen wir unsere Zeit zurück!

Das syndicom-Magazin bietet Informationen aus Gewerkschaft und Politik: Die Zeitschrift beleuchtet Hintergründe, ordnet ein und hat auch Platz für Kultur und Unterhaltendes. Das Magazin pflegt den Dialog über Social Media und informiert über die wichtigsten Dienstleistungen, Veranstaltungen und Bildungsangebote der Gewerkschaft und nahestehender Organisationen.

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Dossier<br />

Arbeitszeit ist das eine. Doch es<br />

geht auch um Arbeitsbelastung<br />

13<br />

Mit der Digitalisierung verschwimmen die<br />

üblichen arbeitsrechtlichen Standards.<br />

Wer kürzere Arbeitszeiten will, muss den<br />

digitalen Akkord bekämpfen.<br />

Text: Marc Rezzonico<br />

Immer mehr Beschäftigte haben keinen genau definierten<br />

«Arbeitsort» mehr, sondern arbeiten auch von zu Hause<br />

aus oder unterwegs. Die «Arbeitsverträge» enthalten<br />

nicht mehr die üblichen Bedingungen und Zusicherungen.<br />

Vor allem aber scheint die für die Definition der<br />

«Work-Life-Balance» so grundlegende «Arbeitszeit» plötzlich<br />

ihr Alter Ego – die «Freizeit» – vereinnahmt zu haben.<br />

Sie nimmt heute nicht nur die Arbeitstage, sondern auch<br />

die Wochenenden und Ferien der Beschäftigten voll und<br />

ganz in Anspruch.<br />

Statt Work-Life-Balance heisst es nun Work-Life: Alles<br />

verschwimmt! Wenn Privat- und Berufsleben nicht mehr<br />

getrennt, sondern vermischt werden (Blending) – wie<br />

sollen der Staat oder die Gewerkschaften Arbeitsmodelle<br />

vorschlagen, bei denen die «Arbeitszeit» eine Rolle spielt?<br />

Die Grenzlinien verwischen sich.<br />

Was tun?<br />

Auf der Suche nach den Grundlagen für die neuen Arbeitsgesetze<br />

haben verschiedene europäische Länder Thinktanks<br />

(beispielsweise den WRR in den Niederlanden),<br />

Arbeitsgruppen zur Industrie 4.0 (Deutschland), Aktionspläne<br />

(wie Digital Belgium) oder Strategiepläne für die<br />

Digitalisierung (Grossbritannien) aktiviert und Berichte<br />

über den digitalen Wandel erstellt (etwa den Mettling-<br />

Bericht in Frankreich). In Dänemark wurde vor Kurzem<br />

gar der weltweit erste Tech-Botschafter ernannt und die<br />

#techplomacy erfunden.<br />

Konkrete Ergebnisse lassen aber noch auf sich warten.<br />

Nur eines ist klar: Aus der Schweiz werden sie nicht<br />

stammen, denn der Bundesrat hat zwar 2017 einen Bericht<br />

über den Stand der vierten industriellen Revolution<br />

verabschiedet, darin aber beschlossen, an seiner Position<br />

von 2016 festzuhalten. Das bedeutet: Der Bund <strong>wir</strong>d weder<br />

direkt noch finanziell noch über die Schaffung einer entsprechenden<br />

Verwaltungsstelle in den Prozess der Digitalisierung<br />

der Wirtschaft eingreifen.<br />

Ist wenigstens klar, in welche Richtung es geht?<br />

Die Vermischung von Privatem und Geschäftlichem – das<br />

Blending oder Blurring – ist genau das Arbeitsmodell, auf<br />

das Google und die übrigen Firmen des Silicon Valley so<br />

stolz sind. Das Prinzip von Leistung und Gegenleistung:<br />

Der Arbeitgeber kann von den Angestellten mehr Flexibilität<br />

fordern, weil er ihnen gewisse Freiheiten gewährt.<br />

Diese Freiheit ist eine Illusion, wie unser Dossier zeigt.<br />

In der Realität verlagert sich das Kräfteverhältnis in<br />

Richtung der Arbeitgeber, wenn die Unterscheidung<br />

zwischen Arbeits- und Freizeit aufgehoben <strong>wir</strong>d.<br />

Weil die <strong>Zeit</strong> kein entscheidender Faktor mehr ist,<br />

<strong>wir</strong>d automatisch die «Arbeitsbelastung» zentral. Aber wie<br />

misst man diese? Gemäss der ANACT (Agence nationale<br />

française pour l’amélioration des conditions de travail –<br />

Französische nationale Agentur zur Verbesserung der<br />

Arbeitsbedingungen) lässt sich die Arbeitsbelastung<br />

mithilfe eines Modells messen, das folgende drei Dimensionen<br />

umfasst: (quantitative und qualitative) Vorgaben,<br />

tatsächliche Belastung (was Einzelpersonen und Gruppen<br />

effektiv realisieren) und subjektive Wahrnehmung (wie<br />

die Beschäftigten ihre eigene Arbeitsbelastung bewerten).<br />

Das ist nur ein Vorschlag, aber das Problem der<br />

«Arbeitszeit» in der digitalen Wirtschaft könnte ein Problem<br />

sein, das überdacht werden muss. Wenn die Gewerkschaften<br />

die Arbeit in der digitalen Revolution mitgestalten<br />

möchten, müssen sie die Arbeitsbelastung in ihre<br />

Überlegungen und Strategien einbeziehen, auch wenn sie<br />

weiterhin für eine angemessenere «Arbeitszeit» kämpfen.<br />

Ein Beispiel: In der Jobstudie von Ernst & Young von<br />

2016 gab knapp jeder zweite Befragte an, dass die Anforderungen<br />

am Arbeitsplatz in den letzten Jahren gestiegen<br />

sind. Für jeden siebten Beschäftigten haben sie gar «stark<br />

zugenommen». Wie man sieht, ist die Arbeitszeitreduktion<br />

nur die halbe Frage. Man müsste von der Arbeitsbelastung<br />

während einer definierten Arbeitszeit sprechen.<br />

goo.gl/ByquzW<br />

verdi-Studie: goo.gl/PwPQo5

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