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syndicom magazin Nr. 4 - Holen wir unsere Zeit zurück!

Das syndicom-Magazin bietet Informationen aus Gewerkschaft und Politik: Die Zeitschrift beleuchtet Hintergründe, ordnet ein und hat auch Platz für Kultur und Unterhaltendes. Das Magazin pflegt den Dialog über Social Media und informiert über die wichtigsten Dienstleistungen, Veranstaltungen und Bildungsangebote der Gewerkschaft und nahestehender Organisationen.

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Graziano Pestoni liefert ein beherztes und argumentiertes Plädoyer für eine starke öffentliche<br />

Hand. Sie soll die Basis wieder herstellen, auf die unser Gesellschaftsmodell baut: Einen Service<br />

public, der sich als Gemeineigentum versteht. Denn das reichste eine Prozent braucht keinen<br />

öffentlichen Dienst – die 99 Prozent hingegen schon. Gerade in <strong>Zeit</strong>en der Digitalisierung.<br />

23<br />

und Bürger konnten über ihre<br />

Vertreterinnen und Vertreter oder<br />

mittels Amtsenthebungsreferenden<br />

die Entscheidungen beeinflussen,<br />

die sie betrafen. Die Aktiengesellschaften,<br />

die danach in Mode<br />

kamen, entziehen sich dagegen<br />

dieser Kontrollen. Durch die<br />

Privatisierung und die Liberalisierung<br />

wurden die Dienstleistungen<br />

und die Arbeitsbedingungen zu<br />

Waren.<br />

Heute brauchen <strong>wir</strong> einen<br />

allgemeinen Richtungswechsel, den<br />

Wiederaufbau des Service public.<br />

Das bedeutet die Wiederherstellung<br />

der «alten», aber effizienten Regiebetriebe<br />

des Bundes.<br />

Ziel der Post sollte nicht mehr<br />

die Er<strong>wir</strong>tschaftung bestmöglicher<br />

finanzieller Ergebnisse, sondern die<br />

Wahrung der Interessen der Nutzenden<br />

sein. Dazu müssten die in den<br />

letzten Jahren gestrichenen Dienstleistungen<br />

sowohl in den städtischen<br />

Zentren als auch in den<br />

Randregionen wiedereingeführt<br />

werden. Die Post soll wieder zu<br />

einem bürgernahen Dienst werden.<br />

Dabei sollen die neuen Technologien<br />

das Dienstleistungsangebot<br />

ergänzen, aber nicht ersetzen.<br />

Zugang und Zugangsmacht<br />

Ausgerechnet die Digitalisierung<br />

– wie Daniel Münger im Vorwort<br />

schreibt – zeigt heute, wie aktuell<br />

und wie notwendig ein stark<br />

ausgebautes Gemeineigentum ist.<br />

Ohne Service public gibt es keine<br />

Zukunft für eine soziale, fortschrittliche<br />

Digitalisierung. Mit den<br />

Netzen fängt das an. Nur eine<br />

<strong>wir</strong>klich flächendeckende, diskriminierungsfreie<br />

Versorgung des<br />

ganzen Landes mit den neuesten<br />

Technologien garantiert den<br />

Zugang aller zu den neuen Kommunikations-<br />

und Arbeitsformen.<br />

Ohne Service<br />

public gibt es keine<br />

Zukunft für eine<br />

soziale und<br />

fortschrittliche<br />

Digitalisierung.<br />

Zugang ist das<br />

entscheidende<br />

Wort. Nur der freie<br />

und günstige<br />

Zugang löst die<br />

Versprechen der<br />

Digitalisierung ein.<br />

Private Anbieter, das ist hundertfach<br />

belegt, sind aus einsichtigen<br />

Gründen nicht in der Lage, dieses<br />

Angebot zu gewährleisten.<br />

Zugang ist das entscheidende<br />

Wort im digitalen Umbruch. Nur ein<br />

freier, kostengünstiger Zugang zu<br />

Netzen, Diensten und Möglichkeiten<br />

löst die Versprechen der<br />

Digitalisierung ein. Das zeigt das<br />

Beispiel der Big Data. Big-Data-Anwendungen<br />

sind ein Grundwerkzeug<br />

der digitalen <strong>Zeit</strong>. Stehen sie<br />

nur jenen Konzernen zur Verfügung,<br />

die sich die teure Entwicklung<br />

von Big Data leisten können, <strong>wir</strong>d<br />

dies die Konzentration <strong>wir</strong>tschaftlicher<br />

Macht extrem beschleunigen.<br />

Ohne Zugang zu solchen<br />

Werkzeugen würden Zehntausende<br />

von KMU schliessen müssen. Hier<br />

(und nicht nur hier) erkennen <strong>wir</strong>:<br />

Der Service public muss zu einem<br />

digitalen Service public ausgebaut<br />

werden. Die öffentliche Hand muss<br />

diese Werkzeuge anbieten.<br />

Immer geht es um Zugang, um<br />

Verfügungsmacht – Zugang zu den<br />

eigenen Daten und zu deren<br />

Kontrolle, Zugang zu allen Diensten,<br />

ohne dass private Anbieter<br />

diese teuer versilbern, Zugang zu<br />

Bildungs- und Informationsangeboten.<br />

Soll die Digitalisierung nicht zu<br />

einem mächtigen Instrument der<br />

Diskriminierung und der modernen<br />

Heimarbeits-Sklaverei werden,<br />

muss der Service public massiv<br />

ausgebaut werden, unterstützt von<br />

GAV und Arbeitsschutzgesetzen, die<br />

verhindern, dass die neuen Arbeitsformen<br />

zu katastrophalen sozialen<br />

Rückschritten führen.<br />

Drei Szenarien<br />

Pestoni unterscheidet drei Szenarien.<br />

Das erste ist das dunkle<br />

Szenario oder der neoliberale Weg.<br />

Das Postgesetz und die Politik der<br />

Führungskräfte der Post bleiben<br />

hierbei unverändert. Das hiesse<br />

weitere Poststellenschliessungen,<br />

mehr Abbau des Zustelldienstes,<br />

Preiserhöhungen, den Verkauf von<br />

PostFinance-Aktien an Private und<br />

noch schlechtere Arbeitsbedingungen.<br />

Dieses Szenario würde das<br />

Ende der Schweizerischen Post<br />

bedeuten.<br />

Das zweite Szenario ist heute<br />

Realität. Während der Vernichtungsprozess<br />

weiterläuft, machen<br />

andere Akteure den Unterschied:<br />

Bevölkerung, Gemeinden, Kantone,<br />

Gewerkschaften, progressive Kräfte<br />

setzen sich zur Wehr. Ihnen ist es<br />

gelungen, einige Beschlüsse zu<br />

ändern, einige Verschlechterungen<br />

zu verhindern und weitere hinauszuzögern.<br />

Sie konnten den Schaden<br />

begrenzen. Diese Bewegungen<br />

reichen jedoch nicht aus, um einen<br />

richtigen öffentlichen Postdienst zu<br />

erhalten oder wiederherzustellen.<br />

Beim letzten Szenario stellt<br />

sich die Frage nach der Rückkehr<br />

der Post zum Service public, damit<br />

Universalität, Zugänglichkeit, Kontinuität,<br />

Effizienz, sozialer Nutzen,<br />

gute Arbeitsbedingungen und<br />

Vertraulichkeit gewährleistet sind.<br />

Was tun?<br />

Die Lösung, die Pestoni vorschlägt,<br />

mag im <strong>Zeit</strong>alter der Liberalisierung<br />

utopisch scheinen. Aber Utopien<br />

dienen dazu, uns den Weg zu<br />

weisen. Das Buch schliesst mit<br />

einem Zitat des vor Kurzem verstorbenen<br />

Philosophen Zygmunt<br />

Bauman: «Zukunft ist, was <strong>wir</strong><br />

daraus machen.» Alles hange von<br />

uns ab, sagt Pestoni.<br />

Der Wiederaufbau des Service<br />

public, nicht nur im Postbereich,<br />

bedeutet, die Interessen der<br />

Allgemeinheit, die Bürgerrechte<br />

und die Lebensqualität der Bevölkerung<br />

über die marktbestimmten<br />

Denkmuster zu stellen. Schwierig,<br />

aber nicht unmöglich. In anderen<br />

Ländern haben die Proteste der<br />

Bevölkerung die Regierungen und<br />

Parlamente gezwungen, vorher<br />

private Dienste wieder in die<br />

öffentliche Hand <strong>zurück</strong>zunehmen.<br />

So gestalten <strong>wir</strong> die Gesellschaft<br />

und die Welt von morgen.<br />

Buchbesprechung siehe Seite 26

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