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Positiv_4_2018_web

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Die Knechte assen<br />

gemeinsam mit der<br />

Bauernfamilie.<br />

Bis ums Jahr 1500 sind aus den Leibeigenen und<br />

Hörigen im Oberaargau so nach und nach Erblehnbauern<br />

geworden. Sie werden also Besitzer des Bodens,<br />

können ihn verkaufen und kaufen. So entstehen<br />

grössere Bauerngüter und die ersten richtigen<br />

Bauernhäuser. Nun können die Bauern im Oberaargau<br />

einen lebensfähigen, selbständigen landwirtschaftlichen<br />

Betrieb organisieren und persönliche<br />

Initiative entwickeln. Sie kommen zu Geld und vermehrter<br />

sozialer Geltung. In dieser Epoche zwischen<br />

1400 und 1500 werden die Grundlagen für<br />

die spätere Entwicklung der Landwirtschaft im<br />

Oberaargau gelegt.<br />

DER KRIEG BRINGT WOHLSTAND<br />

Ganz frei sind die Bauern allerdings auch jetzt nicht.<br />

Sie haben dem Staat den Bodenzins zu bezahlen und<br />

den Zehnten abzuliefern – es ist das, was wir heute<br />

unter Steuern verstehen. Und der Staat strebt nach<br />

Kontrolle der Geschäftstätigkeit der Bauern, so wie<br />

er das heute immer noch tut. Beispielsweise ist es den<br />

Bauern nicht erlaubt, nach freiem Ermessen Vieh zu<br />

kaufen und zu verkaufen. Die Obrigkeit versucht, die<br />

landwirtschaftliche Geschäftstätigkeit zu kontrollieren,<br />

indem beispielsweise nur erlaubt wird, Vieh an<br />

bestimmten Orten und Tagen zu handeln. Es gibt<br />

eine Preiskontrolle für Vieh und Getreide. Aber die<br />

persönliche Freiheit der Bauern ist so gross wie noch<br />

nie und freies Verfügungsrecht über den Boden<br />

(noch mit Ausnahme des Flurzwanges) führen zu<br />

einem regelrechten Boom.<br />

Der Dreissigjährige Krieg (1618 bis 1648) – primär<br />

ein Religionskrieg – beschert der Landwirtschaft im<br />

Oberaargau goldene Jahre. Wer jetzt tüchtig und<br />

klug ist, wird reich, ja mächtig und zum ersten Mal<br />

gewinnen die Bauern politischen Einfluss.<br />

AUFSTAND DER UNZUFRIEDENEN<br />

Die Heere der protestantischen und katholischen<br />

Kriegführenden können sich während des Dreissigjährigen<br />

Krieges aus dem verwüsteten Deutschland<br />

nicht mehr ernähren. Ihre Händler kaufen in der vom<br />

Krieg verschonten Schweiz alles Brauchbare zu hohen<br />

Preisen zusammen. Der Oberaargau ist eines<br />

ihrer bevorzugten Gebiete: verkehrstechnisch günstig<br />

gelegen und fruchtbar. Die Preise für landwirtschaftliche<br />

Produkte verdoppelten sich. Weil die<br />

Berner Regierung das «Reislaufen» (also Kriegsdienste<br />

in fremden Heeren) stark einschränkt, haben<br />

die Bauern genügend und billige Arbeitskräfte. Sie<br />

können deshalb die Produktion hochfahren. Das Getreide<br />

wird nicht mehr zu festgesetzten Preisen in die<br />

obrigkeitlichen Kornhäuser, sondern zu Marktpreisen<br />

nach Deutschland verkauft. Mit ziemlicher Sicherheit<br />

ist es den Bauern wirtschaftlich im Oberaargau<br />

nie so gut gegangen wie in den Jahren des Dreissigjährigen<br />

Krieges.<br />

Nach dem Frieden von 1648 kommt ein schwerer<br />

Rückschlag. Die Preise zerfallen, die Einnahmen gehen<br />

zurück und gleichzeitig braucht der Staat mehr<br />

Geld, erhöht die Abgaben und «halbiert» mit einer<br />

Währungsreform praktisch den Wert des Geldes. Die<br />

Unzufriedenheit wächst. Aber anders als in den alten<br />

Zeiten lassen sich die Bauern die Massnahmen der<br />

Obrigkeit nicht mehr gefallen. Sie sind zu selbstbewusst<br />

geworden.<br />

Darin liegen die Wurzeln des Bauernkrieges von<br />

1653, den die bernische und luzernische Obrigkeit<br />

gewinnt. Es ist kein Zufall, dass die Bauern aus dem<br />

Oberaargau im Bauernkrieg eine aktive und wichtige<br />

Rolle spielen. Die gnädigen Herren von Bern sind<br />

aber klug genug, nach ihrem blutig errungenen Sieg<br />

die Schraube nicht zu sehr anzuziehen. Die Landwirtschaft<br />

im Oberaargau stabilisiert sich, ohne allerdings<br />

das Niveau der «goldenen Jahre» je wieder<br />

zu erreichen.<br />

ZUSATZINFOS<br />

Bauern in der Weltliteratur<br />

Albert Bitzius (1797 bis 1854)<br />

hat unter dem Künstlernamen<br />

Jeremias Gotthelf das Emmental<br />

weltberühmt gemacht. Der<br />

wortgewaltige Pfarrer, der die<br />

meiste Zeit in Lützelflüh wirkte,<br />

ist einer der Titanen der Weltliteratur.<br />

Heute ist weitgehend<br />

unbestritten, dass ihn die Bauern<br />

im Oberaargau und nicht jene<br />

im Emmental zu seinen Werken<br />

inspiriert haben.<br />

Er amtete von 1824 bis 1829 als<br />

Vikar in Herzogenbuchsee. Dort<br />

lernte er intensiv die bäuerliche<br />

Welt des Oberaargaus kennen<br />

und die Bauern aus dem<br />

Oberaargau haben sein Denken<br />

am stärksten geprägt. Die Vorbilder<br />

für die grossen Figuren<br />

seiner berühmtesten Werke –<br />

unter anderem Ueli der Knecht<br />

und Ueli der Pächter – hat er im<br />

Oberaargau kennengelernt.<br />

s’<strong>Positiv</strong>e 4 / <strong>2018</strong> 19

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