Stadt-Anzeiger 636
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<strong>Stadt</strong>-<strong>Anzeiger</strong> Nr. <strong>636</strong> 9. Mai 2018 Seite 9<br />
Christen, Juden und Muslime reden miteinander – und genießen die<br />
Gastfreundlichkeit beim gemeinsamen Essen<br />
Dass alle eines Sinnes sind, ist (noch)<br />
ein frommer Wunsch<br />
Von Arnold Pöhlker<br />
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STANDORT,<br />
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Im Islamischen Kommunikationszentrum im Gespräch (v.l.) Nihat Köse, Prof. Matitjahu Kellig, Monika<br />
Korbach, Sabine Hartmann, Anne Weber und Dieter Bökemeier.<br />
Foto: Arnold Pöhlker<br />
Islamistischer Terror, Islamophobien,<br />
Antisemitismus, diffuse Überfremdungsängste<br />
– und ein abendländisches<br />
Kulturbild, das die aus<br />
dem Christentum hervorgegangenen,<br />
heute Allgemeingut bildenden Werte<br />
betont, dominieren die Schlagzeilen.<br />
Wie kann auf diesem Hintergrund<br />
ein Miteinander zwischen Christen<br />
und hier lebenden Juden und Muslimen<br />
gelingen? Monika Korbach,<br />
Bildungsreferentin der Lippischen<br />
Landeskirche, sieht dafür einen Weg:<br />
„Wir wollen nicht übereinander,<br />
sondern miteinander reden.“<br />
Ein Vorbereitungskreis setzte das<br />
Vorhaben sogleich in die Tat um.<br />
Vertreter der drei monotheistischen<br />
Weltreligionen, die an den einen Gott<br />
Abrahams glauben, verabredeten einen<br />
Runden Tisch zum Talk. Der soll<br />
reihum in einer Moschee, Synagoge<br />
und Kirche stattfinden. Zum Auftakt<br />
trafen sich die Vertreter im Islamischen<br />
Kommunikationszentrum in<br />
Detmold (Industriestraße). „Eigentlich<br />
müssten wir ja mit denen einen<br />
Dialog suchen, die das Gespräch mit<br />
uns nicht wollen“, erklärt Prof. Matitjahu<br />
Kellig, Vorsitzender der jüdischen<br />
Gemeinde Herford/Detmold.<br />
Vielleicht schien dieser Gedanke aber<br />
zu weit vorauszueilen. „Wichtig ist<br />
zunächst, Ängste untereinander, die<br />
jeder hat, auszusprechen“, betont<br />
Dieter Bökemeier, Landespfarrer für<br />
Ökumene und Mission sowie Flucht<br />
und Migration der Landeskirche.<br />
Dennoch müsse jedem bewusst<br />
sein, dass die Welt dadurch nicht<br />
friedlicher werde als sie derzeit ist, so<br />
Nihat Köse, Öffentlichkeitsreferent<br />
des Islamischen Kommunikationszentrums<br />
in Detmold, der über 100<br />
Gäste begrüßen konnte.<br />
Offen miteinander reden, ohne<br />
Regie führende Moderation, war<br />
aber nicht das einzig gemeinsame<br />
Vorhaben an diesem Abend. Eine<br />
stärkende Wirkung von Gastfreundlichkeit<br />
ging auch vom gemeinsamen<br />
Essen und wechselseitigen Humor<br />
aus. „Ohne Bedenken essen Juden<br />
das gleiche wie Muslime. Beide<br />
ernähren sich koscher“, erklärt<br />
Kellig. Für ein gelingendes Miteinander<br />
wird von den Kirchen- und<br />
Religionsvertretern gegenseitiger<br />
Respekt als wichtige Voraussetzung<br />
gesehen, was weitergehender ist als<br />
Toleranz. „Zum gegenseitigen Respekt<br />
gehört aber auch Widerspruch“,<br />
sagt Sabine Hartmann, Bildungsreferentin<br />
für Ökumenisches Lernen<br />
der Landeskirche. Außerdem sei es<br />
notwendig, nicht nur nebeneinander,<br />
sondern miteinander zu leben, so<br />
Anne Weber, katholische Theologin<br />
an der Universität Paderborn und<br />
Klinikseelsorgerin, zum Problem<br />
von Parallelgesellschaften.<br />
„Angst voreinander ist<br />
der schlechteste Lehrer“<br />
Beim Themenbereich Angst vor<br />
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Fremden und Überfremdung schauen<br />
die Teilnehmer auf die Situation<br />
Deutschlands in den 1950er Jahren<br />
zurück. Damals habe es ähnliche<br />
Ängste vor Flüchtlingen und Vertriebenen<br />
aus dem Osten gegeben.<br />
Ab den 1960er Jahren hätten dann<br />
Gastarbeiter und ihre Familien für<br />
gewisse Ängste gesorgt. Inzwischen<br />
sei das fremd anmutende Erscheinungsbild<br />
wenigstens durch Pizza,<br />
Döner und Gyros als gängige Spezialitäten<br />
längst nicht mehr so fremd.<br />
Gleichwohl bestünden nach wie vor<br />
jedoch kulturelle Differenzen.<br />
„Dabei ist Angst allerdings der<br />
schlechteste Lehrer überhaupt“, so<br />
Prof. Kellig. Diffuse Ängste auf<br />
die Religion zu schieben, sei zwar<br />
praktisch. Der richtige Weg sei<br />
jedoch, Furchtsamkeiten auf den<br />
Grund zu gehen.<br />
Dass das politische Weltgeschehen,<br />
beispielsweise der Konflikt zwischen<br />
Israel und Palästina, den Umgang der<br />
Religionen untereinander bestimmt,<br />
wird an diesem Abend deutlich. Einig<br />
sind sich alle darin:<br />
„Wenn sich für Jerusalem mit seinen<br />
bedeutenden religiösen Stätten der<br />
drei Weltreligionen und als Begegnungsort<br />
der Kulturen eine Lösung<br />
findet, dann haben wir Frieden für<br />
die Region und darüber hinaus“,<br />
erklärt Prof. Kellig. Im Dialog der<br />
Kirchen- und Religionsvertreter mit<br />
Gästen wurde nach der Kompromissbereitschaft<br />
des Islam gefragt.<br />
Leider kamen an diesem Abend<br />
Themen wie „Islam als politische<br />
Religion“, „Trennung von Staat und<br />
Kirche (Religion)“, „Fundamentalismus<br />
und Intoleranz“, „Freiheitliche<br />
Aufklärung des Islam“ und „Auslegung<br />
des Koran“ zu kurz beziehungsweise<br />
wurden nicht angesprochen.<br />
Solche und weitere kritische Fragen<br />
bleiben einem späteren Gespräch<br />
vorbehalten.<br />
Dass man im Gespräch bleiben<br />
möchte, scheint beschlossene Sache<br />
zu sein. Denn „sobald morgens Gottes<br />
Sonne aufgeht, suchen die Menschen<br />
ihr Auskommen miteinander“,<br />
erklärt Nihat Köse, Gastgeber dieses<br />
informativen Abends. Am 27. Juni<br />
um 19.30 Uhr wird die Reihe in der<br />
Synagoge der jüdischen Kultusgemeinde<br />
Herford-Detmold in Herford,<br />
Komturstraße 23, fortgesetzt.<br />
In der Reihe „Arnold trifft…“ des<br />
<strong>Stadt</strong>-<strong>Anzeiger</strong>s begegnet unser Redakteur<br />
Arnold Pöhlker Menschen,<br />
die eine besondere Geschichte zu<br />
erzählen haben. Diesmal trifft er<br />
Isa Röther. Wenn in diesen Wochen<br />
zwischen Ostern und Pfingsten junge<br />
Menschen ihre Konfirmation feiern,<br />
dann werden sie an das Naheliegende<br />
im Zusammenhang mit ihrem Festtag<br />
denken. Aber bestimmt nicht daran,<br />
was wohl in 25, 50 oder noch mehr<br />
Jahren sein wird. Es könnte dann<br />
sein, dass sie von ihrer evangelischen<br />
Kirchengemeinde zur Goldenen<br />
(nach 50 Jahren), Diamantenen (60<br />
Jahre), Eisernen (65 Jahre) oder sogar<br />
Gnaden-Konfirmation (70 Jahre)<br />
eingeladen werden.<br />
Auch Isa Röther aus Bad Meinberg<br />
zählt am 13. Juni zu den Jubelkonfirmanden.<br />
Sie kann auf ein extrem<br />
seltenes Jubiläum schauen: die<br />
sogenannte Engelkonfirmation. Vor<br />
85 Jahren (!) wurde die Jubilarin in<br />
der Bad Meinberger Dorfkirche von<br />
Pastor Friedrich Kottmeyer konfirmiert.<br />
Die heute 99-Jährige erinnert<br />
sich: „Es gab zwei Kleider für diesen<br />
Anlass: Zur Prüfung traten wir im<br />
weißen Kleid an. Die Konfirmation<br />
feierten wir im festliches Schwarz.“<br />
Viel gelernt und viel<br />
erlebt<br />
Den Heidelberger Katechismus<br />
kann sie zur Hälfte noch immer<br />
auswendig aufsagen. Auch die<br />
Klassiker unter den Chorälen singt<br />
sie ohne Textvorlage mit. Besonders<br />
Vor 85 Jahren wurde Isa Röther<br />
in der Meinberger Dorfkirche konfirmiert<br />
mag sie den Choral „Ich bete an die<br />
Macht der Liebe“. „Katechismus,<br />
Choräle, biblische Texte, Kirchengeschichte<br />
– all das haben wir bis<br />
Arnold<br />
DIE SERIE IM STADT-ANZEIGER<br />
zur Konfirmandenprüfung gelernt.<br />
Und das war noch eine echte Prüfung<br />
vor der Gemeinde im Gottesdienst,<br />
die man auch nicht bestehen konnte,<br />
wenn man zu wenig getan hatte.“ Der<br />
Pastor war Respektsperson, Luther<br />
und die anderen Reformatoren kamen<br />
gleich nach Jesus und alles musste<br />
feste auswendig gelernt werden. Zum<br />
Abschluss der Konfirmandenzeit gab<br />
es noch keine erlebnispädagogischen<br />
Aktionen, längere Fahrten und Sozialpraktika<br />
wie heutzutage. „Zu Fuß<br />
wanderten wir einen Tag lang mit<br />
unserem Pastor durchs Bärental bei<br />
Kohlstädt.“<br />
Die familiäre Konfirmationsfeier<br />
fand im großen Rahmen mit ihren<br />
zehn Geschwistern im Elternhaus in<br />
Fissenknick statt, dem ehemaligen<br />
„Kaufhaus Otto Schmidt“, woran<br />
sich alte Meinberger bestimmt erinnern.<br />
Bis auf den letzten Platz<br />
war die gute Stube besetzt, etwas<br />
schummerig ausgeleuchtet durch<br />
flackernde Petroleumlampen.<br />
Nachhaltiger<br />
Konfirmandenunterricht<br />
Tief hat sich bei Isa Röther der<br />
Lernstoff im Konfirmandenunterricht<br />
eingeprägt und sitzt nahezu bis<br />
heute. Das Gelernte erwies sich im<br />
Laufe ihres Lebens als wertvoller<br />
Schatz, um in den Höhen und Tiefen<br />
zu bestehen. Sie erinnert sich, dass<br />
der Konfirmandenunterricht nach<br />
dem regulären Unterricht zunächst<br />
in der Schule stattfand. Später dann<br />
auf oder unter dem „Hühnerwiemen“<br />
triftt... Diesmal:<br />
(Empore) in der Dorfkirche. „Wenn<br />
der Unterricht gut gelaufen war,<br />
bekam jeder von uns zehn Pfennige<br />
von Pastor Kottmeyer geschenkt.<br />
Dafür konnten wir uns beim Bäcker<br />
Schäfermeier (später Vesting)<br />
eine Zuckerschnitte kaufen“. Mit<br />
dem Bibelwort „Was hülfe es dem<br />
Menschen, wenn er die ganze Welt<br />
gewönne und nähme doch Schaden<br />
an seiner Seele? Oder was kann<br />
der Mensch geben, womit er seine<br />
Seele auslöse?“ wurde Isa Röther<br />
konfirmiert. Dieser Satz hat sich ein<br />
Leben lang gehalten.<br />
Ihr Leben war nicht einfach. Mit<br />
dem unsäglichen Krieg hat sie<br />
schmerzliche Weltgeschichte miterleben<br />
müssen. Es folgten harte<br />
Jahre des Aufbaues, für lange Zeit<br />
nur ein bescheidenes Auskommen,<br />
Selbstversorgung aus dem eigenen<br />
Garten, Hausarbeit für ihre Familie,<br />
ihren Mann Wilhelm und den zwei<br />
Kindern. Langsam, aber stetig ging<br />
es irgendwann bergauf.<br />
Eine kleine Pension mit Kurgästen<br />
sorgte für bescheidenen Wohlstand.<br />
Isa Röther wusste ihr Tun und ihre<br />
Situation richtig einzuordnen. Sie<br />
begriff alles Erreichte als Geschenk<br />
in ihrem Leben und empfand Dankbarkeit<br />
dafür.<br />
Dabei ahnte sie, was Jesus mit dem<br />
wunderbaren Bild vom Nichtverlieren<br />
der Seele gemeint hatte. Es<br />
war ihr deshalb immer ein inneres<br />
Bedürfnis, ihrer Beziehung zu Gott<br />
einen festen Raum in der schönen<br />
Meinberger Dorfkirche zu geben und<br />
Isa Röther,<br />
Jubelkonfirmandin<br />
dem Gottesdienst treu zu bleiben.<br />
„Irgendwie habe ich seine Liebe<br />
und Begleitung in meinem Leben<br />
gespürt“. Fünf Jahrzehnte bis zum<br />
vollendeten 90. Lebensjahr gehörte<br />
sie dem evangelischen Singkreis der<br />
Gemeinde an.<br />
Prägende Pastoren einer<br />
lebendigen Gemeinde<br />
Wenn sie auf viele Lebensjahre zurückschaut,<br />
erinnert sich Isa Röther<br />
gerne an Pastoren, die den Menschen<br />
nahestanden und für ein lebendiges<br />
Gemeindeleben sorgten: Friedrich<br />
Kottmeyer, Dr. Erich Muthmann,<br />
Otto Mengedoht, Hans-Jürgen Meier,<br />
Rainer Schling und Heike Stijohann.<br />
Nach einem Klinikaufenthalt im<br />
Frühjahr ist es mit ihrer Gesundheit<br />
nicht zum Besten bestellt.<br />
Doch die 99-Jährige möchte den<br />
besonderen Anlass ihres Jubiläums<br />
im Gottesdienst feiern und dem Dank<br />
sagen, der sie auf ihrem Lebensweg<br />
gnädig behütet hat.<br />
„Das soll geschehen, wenn Pastor<br />
Wolfgang Loest aus Horn wieder in<br />
der Meinberger Kirche zu Gast ist.<br />
Zu ihm spüre ich eine größere Nähe<br />
als zum jetzigen Pastorenehepaar“.<br />
Das sagt sie offen heraus. Dabei<br />
ist ihre Enttäuschung spürbar über<br />
Einschnitte in vielen Bereichen des<br />
Meinberger Gemeindelebens seit<br />
knapp drei Jahren.<br />
Isa Röther freut sich schon auf den Tag ihrer Jubelkonfirmation zum Gedenken an ihre Konfirmation vor<br />
85 Jahren in der Meinberger Kirche. Foto: Arnold Pöhlker