Explodierende Immobilienpreise in der Stadt und ein immenser Ressourcenverbrauch im Bausektor: Längst ist das Wohnen zu einer sozialen und ökologischen Frage geworden. Hier sind nachhaltige Lösungen aus Politik und Wirtschaft gefragt. Aber auch der Einzelne kann seine Art zu Wohnen verantwortungsvoll gestalten. Wie, das zeigt das neue UmweltDialog-Magazin „Trautes Heim, Glück allein? So können wir nachhaltig bauen und wohnen“.
Ausgabe 9
Mai 2018
9,00 EUR
Trautes Heim,
Glück allein?
So können wir nachhaltig bauen und wohnen
umweltdialog.de
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Bauen und Wohnen
Liebe Leserinnen
und Leser,
Städte sind sozial hochkomplexe Orte.
Hier treffen wir bei jedem Schritt auf
Bauten aus der Vergangenheit und auf
hypermoderne Gebäude, die uns zeigen,
was die Zukunft bringt. Hier in
der Stadt findet sich alles und das zumeist
auf engstem Raum: Unfassbarer
Luxus neben unhaltbarer Armut, Anonymität
neben Gemeinschaft. Hier
vermischen oder auch scheiden sich
öffentlich und privat, Inklusion und
Ausgrenzung.
Nirgendwo treten diese Gegensätze
deutlicher hervor, als eben in der
Stadt. Da die meisten von uns heute in
urbanem Umfeld wohnen und dieser
Trend global unumkehrbar ist, fällt
unser Blick in dieser Ausgabe vor allem
auf das Leben in Metropolen und
damit verbunden auf die Frage, was
nachhaltiges Wohnen ausmacht.
Erste Beobachtung: In der Stadt ist
jeder Raum zugleich immer auch politisch.
Und die Frage, wie wir diesen
Raum gestalten, sagt sehr viel darüber
aus, wie wir in Zukunft leben werden.
Wie kann z.B. Nachhaltigkeit funktionieren,
wenn nicht auch unser Wohnund
Arbeitsumfeld aus ökologischen
Baustoffen besteht? Was nützt uns die
schönste Metropole, wenn der Wohnraum
unbezahlbar oder nicht resilient
für die Folgen des Klimawandels ist?
Zweite Beobachtung: Nachhaltigkeit
wird zum neuen Standard beim Bauen.
Das gilt übrigens nicht nur für das private
Umfeld, sondern noch viel mehr
für die modernen Büros von heute. Da
gibt es immer pfiffigere neue Lösungen
wie beispielsweise Flüssigkristallfenster
oder auch die Einbindung
von Natur am Arbeitsplatz.
Dritte Beobachtung: Nachhaltigkeit
ist die neue Heimat, schreibt Alexandra
Hildebrandt, und beleuchtet, wie
wir über unsere Art des Wohnens
unsere Art des Privaten definieren.
Dabei gibt es ganz starke Tendenzen
zur Individualität, klar, aber auch zu
neuen Formen von Gemeinschaft:
Schloss Tempelhof oder das Seniorendorf
Uhlenbusch zeigen, wie wir das
Miteinander im 21. Jahrhundert neu
denken können.
Damit beantworten wir übrigens zu
guter Letzt auch eine sehr grundsätzliche,
politische Frage: Wem gehört
die Stadt? Ist alles nur eine Frage des
Geldes? Oder macht den modernen
Stadtbürger, den Citoyen, nicht auch
der Wunsch nach möglichst großem
individuellem Freiraum und zugleich
geteilter Verantwortung aus?
Viel Spaß beim Lesen wünscht im
Namen der gesamten Redaktion Ihr
Dr. Elmer Lenzen
Chefredakteur
Die nächste Ausgabe
UmweltDialog erscheint am
16.11.2018
6
Die Wohnungsfrage ist
zurück. Sie zu lösen, ist
nicht einfach.
Inhalt
STADT, LAND, FRUST
Deutschland wohnt sich arm.............................................. 6
Die Wohnungsfrage ist zurück. Sie zu lösen, ist
nicht einfach.
Wo ist denn hier noch Platz? ........................................... 12
Wie plant man eine lebenswerte, nachhaltige Stadt,
in der die Menschen sich wohlfühlen? Fragen an den
Architekten Jan Gehl.
Wie der Klimawandel unsere Städte verändert............. 16
Extremregen, Überflutung oder Hitzesommer:
Um für die Zukunft gewappnet zu sein, müssen
sich Städte an den Klimawandel anpassen.
Klimametropole Kopenhagen ...........................................20
Klimaneutral bis 2025? In der dänischen
Hauptstadt weiß man, wie das geht.
Eine Sonnenbrille für Fenster............................................32
Intelligente Fenster sorgen für ein angenehmes Raumklima
und Energieeinsparungen. Merck stellt die dafür
notwendige Technologie zur Verfügung.
Die leisen Emissionen........................................................34
Die meiste Zeit des Tages sind wir drinnen. Das Problem:
Dort ist die Luft nicht sauber.
Wenn der Sand ausgeht.....................................................36
Bauvorhaben verbrauchen weltweit so viel Sand und
Kies, dass der Rohstoff in einigen Gegenden bereits
knapp wird. Alternative Baustoffe sind gefragt.
Urban Mining .......................................................................40
Ziegel, Gips, Beton, Stahl oder Metalle: Städte sind das
reinste Materiallager. Urban Mining will diese Rohstoffe
im Kreislauf halten.
NACHHALTIGE BÜROWELTEN
MATERIAL UND WIRTSCHAFT
Baubranche: Nachhaltigkeit wird zum Standard..........22
Kaum eine andere Branche verbraucht so viele
Ressourcen und produziert so viel Müll wie der
Bausektor. Zeit zum Umdenken.
Energieeffizient bauen und wohnen................................26
Keine Energiekosten, Nullemissionen und ein gesundes
Raumklima – sieht so das Gebäude der Zukunft aus?
Zertifizierte Gebäude..........................................................30
Nachhaltige Bürogebäude mit Vorbildcharakter
Kleine Biotope zwischen Wolkenkratzern
und Maschinenpark............................................................42
Immer mehr Unternehmen engagieren sich für den Artenschutz.
Die Firmengelände bieten hierfür zahlreiche
Möglichkeiten.
Klimaschutz vom Keller bis zum Dach ...........................46
Wie Markus Pfeil aus Gebäuden ganzheitliche Energiesparer
macht
Natur am Arbeitsplatz........................................................ 47
In der Natur fühlen wir uns wohl. Biophilic Design
macht dieses Gefühl für das Büro nutzbar.
Bauen und Wohnen
ALTERNATIVE WOHNKONZEPTE
Zum Wandel des Wohnens................................................50
Wir müssen immer weniger in der Wohnung erledigen.
Warum halten wir dennoch weiter an unseren vier
Wänden fest?
Architektur eines neuen Lebenskonzepts......................54
Die Sharing Economy brachte in den letzten Jahren die
herrschende Ordnung in vielen Lebens- und Wirtschaftsbereichen
vollständig durcheinander. Lässt sich dieses
Prinzip auch auf unsere Wohnkultur übertragen?
Einfach mal Platz sparen...................................................58
Wohnraum ist rar und teuer. Aber es gibt Möglichkeiten,
auf „kleinem Fuße“ zu leben.
22
Baubranche:
Nachhaltigkeit wird zum
Standard
Nachhaltigkeit ist die neue Heimat ................................62
Die Welt um uns herum ist laut und hektisch. Zu Hause
muss es deswegen gemütlich sein. Moderne Wohnkultur
greift diesen Wunsch auf.
Besser wohnen dank „fließendem Qi“............................66
Nachhaltige Wohnkonzepte im Überblick
Schloss Tempelhof .............................................................69
Gegen den Trend: Das Dorf hat eine Zukunft, wenn die
Vision stimmt.
Wer will schon ins Altersheim?......................................... 74
Der demografische Wandel erfasst schrittweise alle
Bereiche unserer Gesellschaft, auch unser Zuhause.
Quartiere und Wohndesign müssen sich daran anpassen.
(Gem)einsam alt werden?.................................................. 76
Wer denkt, dass WGs nur was für Studenten sind, der
irrt sich. Immer mehr Menschen suchen im Alter die
Gemeinschaft.
58
Einfach mal Platz sparen
– Konzepte für kleine
Wohnflächen
FORSCHUNG UND ENTWICKLUNG
Es kommt Leben in die Hütte............................................ 78
Pilze und Bakterien haben beim Wohnungsbau oder gar
im Haushalt nichts zu suchen. Oder doch? Unser Bild der
winzigen Lebewesen könnte sich in den nächsten Jahren
radikal verändern.
Holland in Not......................................................................80
Wenn der Meeresspiegel steigt, wissen die Niederländer,
was zu tun ist. Künftig wollen sie sogar Lebensmittel auf
dem Wasser anbauen.
74
Wer will schon ins
Altersheim?
Bauen und Wohnen
Von Sonja Scheferling
Die Menschen zieht es in die Großstadt. Doch dort ist
der Wohnraum knapp und teuer. Neubauten gehen oft
am Bedarf vorbei und bedienen nur die Nachfrage der
Reichen. Folglich sind die steigenden Immobilien- und
Mietpreise für viele zu hoch und die Kosten überfordern
sie. Den ländlichen Regionen hingegen drohen durch
Abwanderung und demografischen Wandel massenweise
Leerstände und der Preis der Eigenheime verfällt.
Die Wohnungsfrage ist mit aller Macht zurück auf der
politischen Agenda: Sie hat verschiedene Aspekte und
Gründe, weitreichende Folgen für die Gesellschaft und
ist nicht auf die Schnelle zu lösen. Ein Überblick.
6
Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
Bauen und Wohnen
Grafik: shutterstock.com
Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
7
Bauen und Wohnen
Anschreiben und Lebenslauf
zusammengefasst in einer
Bewerbungsmappe, dazu ein
ansprechendes Äußeres und feste Benimmregeln:
Die Wohnungssuche in
Großstädten gleicht heutzutage einem
Vorstellungsgespräch. Natürlich ist
niemand dazu verpflichtet, persönliche
Angaben gegenüber Makler und
Vermieter zu machen. Doch in der Regel
kommen Bewerber kaum an einer
Selbstauskunft vorbei, konkurrieren
sie doch mit Hunderten weiterer Interessenten
um die wenigen Wohnungen,
die bezahlbar sind. Und einer von
denen hat bestimmt Einkommensnachweis
und Schufa-Auskunft parat.
Zum Dank darf man dann auch noch
50 Euro bezahlen, um die Wohnung
zu besichtigen.
Wie prekär die Wohnungsknappheit
ist, zeigt eine aktuelle Studie der gewerkschaftsnahen
Hans-Böckler-Stiftung.
Demnach fehlten in deutschen
Großstädten fast zwei Millionen bezahlbare
Wohnungen, die sich die
lokale Bevölkerung gemessen an ihren
finanziellen Möglichkeiten leisten
könne. Das heißt, dass die Miete
nicht mehr als 30 Prozent des Haushaltseinkommens
verschlingen sollte.
Der größte Mangel herrsche dabei vor
allem bei kleinen Wohnungen.
Angeführt wird die Liste von Berlin,
wo über 300.000 Wohnungen fehlen,
gefolgt von Hamburg (150.000), Köln
(86.000) und München (78.000). Und
selbst in Großstädten mit relativ kleinen
Versorgungslücken wie beispielsweise
Moers, Wolfsburg oder Koblenz
überschreite der Bedarf an günstigen
Wohnungen das Angebot jeweils um
mehrere Tausend.
Zu wenig Wohnraum, zu hohe
Kosten und Zielkonflikte
Das mangelnde Wohnraumangebot in
begehrten Regionen – ob als Eigenheim
oder zur Mietnutzung – wird
allgemein als ein wesentlicher Kostentreiber
für die urbanen Immobilien-
und Mietpreise angesehen. Seine
Ursachen: Es ziehen immer mehr
Menschen in die Stadt. Dort warten
Jobs und Studienplätze; die Daseinsvorsorge
und das kulturelle Angebot
sind besser ausgebaut. Darüber hinaus
benötigen immer mehr Menschen
Zweit- und Singlewohnungen, und
die durchschnittliche Wohnfläche pro
Person hat sich seit Ende des zweiten
Weltkriegs mit 45 Quadratmetern verdreifacht:
„Dabei wird seit Jahren zu
wenig gebaut: Von 140.000 Mietwohnungen,
die jährlich entstehen müssten,
wurde 2015 lediglich ein Drittel
fertiggestellt“, informiert die Caritas.
Aber wer bauen möchte, benötigt
Fläche. Und die ist hierzulande eine
Neubau alleine reicht nicht
Mangelware: „Selbst Städte mit starker
Wohnungsnachfrage und geeigneten
Flächen tun sich mitunter
schwer, neue Grundstücke für den
Wohnungsbau auszuweisen“, erklärt
Michael Voigtländer vom Institut der
deutschen Wirtschaft (IW). In diesem
Bereich kommt es also zu einem
klassischen Zielkonflikt zwischen der
sozialen Notwendigkeit nach mehr
Wohnraum und dem ökologischen
Anspruch nach einem nachhaltigen
Ressourcenumgang, der den Schutz
unbebauter Flächen mit einschließt.
Deswegen plädieren viele Experten
für eine konsequente Nachverdichtung
freier Flächen in bereits bebauten
Gebieten, um dieses Dilemma aufzulösen.
Darüber hinaus klagen Immobilienund
Branchenverbände auch über die
hohen Kosten, die beim Bauen etwa
durch Standards oder Umweltauflagen
entstünden. Aus diesem Grund
würde sich teilweise nur die Errichtung
von Luxusgebäuden mit hohen
Wer allerdings meint, die hohen Preise ließen sich alleine durch reinen
Neubau lösen, den belehrt die Studie der Böckler-Stiftung eines Besseren.
Denn die Mieten für neue Wohnungen übersteigen in fast allen Großstädten
die Bestandsmieten. Um die Lücke bei bezahlbaren Wohnungen zu
verkleinern, müsse das Angebot an Kleinwohnungen von vier bis fünf Euro
pro Quadratmeter steigen: „Das ist nur durch eine deutliche Stärkung des
sozialen Wohnungsbaus möglich. Dazu müssen einerseits mehr Sozialwohnungen
als in den vergangenen Jahren entstehen. Andererseits muss
auch die Sozial- und Mietpreisbindung im Wohnungsbestand wieder
ausgeweitet werden“, sagen die Stadtsoziologen der HU Berlin und der GU
Frankfurt, die die Studie durchgeführt haben.
8 Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
Bauen und Wohnen
Mieteinnahmen rentieren. Für Hanno Rauterberg von der
ZEIT ist dieses Argument zu kurz gegriffen: „In München
hat sich der Preis für Grundstücke verdreifacht – in nur
zehn Jahren. Und so sind es nicht bloß teure Handwerksrechnungen
oder aufwendige Dämmstoffe, nicht allein Arbeit
und Material und der deutsche Vorschriftswahn, die
eine Wohnung zum Luxusgut machen“, so Rauterberg. „Es
ist vor allem der Boden. Er lässt die Baupreise so weit steigen,
dass bei einem neuen Haus bis zu 70 Prozent des Budgets
allein für das Grundstück draufgehen.“ Daher erweise
sich die Wohnkrise als großer Treiber der aktuellen sozialen
Ungerechtigkeit: „Wäre die Gesellschaft nicht gespalten
– in Grundbesitzer und Grundlose – würde die Kluft
zwischen Arm und Reich nicht so weit aufspringen.“
Wohnen ist kein
Wirtschafts-, sondern
ein Sozialgut.„
Politik ist in der Pflicht
Die aktuelle Sorge über zunehmende Verdrängungseffekte
und mangelnde Teilhabe breiter gesellschaftlicher Schichten
am städtischen Wohnungsmarkt ist keineswegs neu. So
sprach beispielsweise Björn Egner von der TU Darmstadt
bereits vor einigen Jahren in diesem Zusammenhang von
Marktversagen, da die Wohnungsraumnachfrage zwar zu
höheren Preisen, aber nicht der Logik entsprechend zu
mehr Angebot geführt habe: „Dies wird dadurch deutlich,
dass Wohnungsmärkte ohne politische Steuerung Ergebnisse
produzieren, die sozial nicht erwünscht sind. Die
Einsicht macht sich wieder verstärkt geltend, dass Wohnen
kein Wirtschafts-, sondern ein Sozialgut ist und deshalb politische
Eingriffe notwendig sind.“
Und die Politik hat nun versprochen zu liefern. Im aktuellen
Koalitionsvertrag hat die Regierung ein Milliardenpaket
vereinbart, das den Wohnungsbau ankurbeln und
sozialverträglicher machen soll. Insgesamt sollen so durch
verschiedene Maßnahmen über 1,5 Millionen Wohnungen
und Eigenheime privat finanziert und durch öffentliche
Förderung entstehen. Zu diesen Maßnahmen gehört die
Einführung eines Baukindergeldes, die Bereitstellung von
zwei Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsbau oder
die Einführung einer Grundsteuer C für Brachflächen, die
Eigentümer dazu drängen soll, die Grundstücke zu bebauen
oder zu verkaufen, anstelle auf höhere Preise zu spekulieren.
Die bis dato gescheiterte Mietpreisbremse plant die
Regierung zu verschärfen.
Wohnungsfrage: Masse, Polarisierung und Qualität
Die Wohnungsfrage in der Stadt hat weitreichende Folgen
für unsere Gesellschaft. Alleinerziehende, Studenten, alte
und einkommensschwache Menschen überfordern sich
finanziell oder ziehen in billige Randlagen mit schlechter
Infrastruktur; bleiben können nur diejenigen mit reichen
Eltern oder einem sehr hohen Gehalt. Verstärkt wird dieser
Effekt noch durch den Trend der Gentrifizierung attraktiver
Stadtteile, der zum Austausch ganzer Bevölkerungsgruppen
durch zahlungskräftige Eigentümer und Mieter führt.
Auf diese Weise kommt es zu einer sozialräumlichen Polarisierung
innerhalb der Städte: „Immer mehr Menschen
erfahren, dass sie nahezu chancenlos auf dem Wohnungsmarkt
sind“, sagt etwa Caritas-Präsident Peter Neher. Der
Sozialverband hat Anfang des Jahres eine Kampagne >>
Grafik: shutterstock.com
Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
9
Bauen und Wohnen
gegen Wohnungsnot gestartet: „Wenn
zunehmend der Geldbeutel bestimmt,
wie sich Stadtteile und Quartiere zusammensetzen,
führt dies zu einem
Auseinanderdriften von Milieus und
schwächt so den gesellschaftlichen
Zusammenhalt.“
Neben der Masse und der sozialräumlichen
Entwicklung der Stadt spielt
auch die Qualität der Wohnungen eine
entscheidende Rolle, um die Situation
der Bewohner zu beurteilen. So können
sich Benachteiligte in der Regel
vor allem schlecht ausgestattete Altbauwohnungen
und Siedlungsbauten
leisten: „Eine zweite Problemgruppe
stellen die etwa eine Million Wohnungen
dar, die im Zuge der massiven
Privatisierung von institutionellen
Anlegern erworben worden sind“,
sagt der Sozialwissenschaftler Andrej
Holm. „In Beständen, die nicht gewinnbringend
weiterverkauft werden
konnten, sind die Finanzinvestoren zu
Bestandshaltern wider Willen geworden
und versuchen vielerorts, durch
Deinvestitionsstrategien das Verhältnis
von Einnahmen und Ausgaben
profitabel zu gestalten.“ Dadurch würden
Häuser nicht instandgehalten und
das Wohnumfeld verwahrlose.
Verfassungsauftrag: Gleichwertige
Lebensverhältnisse
Menschenwürdige Qualität, eine hinreichende
Anzahl von Wohnungen,
die bezahlbar sind und von jedem unabhängig
von Geschlecht, Alter oder
Demografischer Wandel und Klimawandel bestimmen
künftig Qualität
Die Wohnungsqualität zeigt sich künftig auch daran, ob sie die Bedürfnisse
nach Barrierefreiheit einer alternden Gesellschaft befriedigen kann.
Ziel ist es, dass Menschen so lange wie möglich selbstbestimmt in ihren
eigenen vier Wänden leben können. Darüber hinaus stellt der Klimawandel
völlig neue Herausforderungen an die Wohnungsqualität. So müssen
Standortauswahl und Baumaterialien an extreme Wetterereignisse wie
Hitzeperioden angepasst werden, damit Wohnräume weiterhin ihre Bewohner
vor der Umwelt schützen können.
Hautfarbe gemietet werden können:
Das müsste in Deutschland eigentlich
selbstverständlich sein. Denn Wohnen
ist ein Menschenrecht, und es ist im
Internationalen Pakt über wirtschaftliche,
soziale und kulturelle Rechte
verankert. Deutschland muss es umsetzen,
unabhängig davon, ob das
Recht auf Wohnen im Grundgesetz
steht oder nicht. Außerdem verfolgt
die Bundesrepublik den Verfassungsauftrag,
gleichwertige Lebensverhältnisse
hierzulande zu gewährleisten.
Das bezieht sich auf menschenwürdige
Wohnverhältnisse genauso wie
auf eine Grundinfrastruktur, die eine
flächendeckende Daseinsvorsorge sicherstellt.
Auf diese Weise soll jeder,
unabhängig von seinem Wohnort, gleiche
gesellschaftliche Teilhabechancen
haben.
Dieses Ziel ist aber gerade auf dem
Land immer schwieriger umzusetzen.
In Regionen, die besonders stark von
der Landflucht betroffen sind, wie
Teile Ostdeutschlands etwa, müssen
die Menschen oft weite Wege bis zum
nächsten Supermarkt oder zur nächsten
Apotheke zurücklegen. Ohne Auto
ist man aufgeschmissen. Das ist vor allem
für ältere Menschen ein Problem,
die nicht mehr fahren können. Sie sind
dann auf Verwandte oder Hilfsdienste
angewiesen. Ein weiteres Problem
ist der chronische Ärztemangel auf
dem Land. Wird ein Facharzttermin
benötigt, müssen Patienten teilweise
Monate warten. „Bund, Länder und
Kommunen müssen insbesondere das
Thema Mobilität und Daseinsfürsorge
genauer in den Fokus nehmen, um
bei Abwanderungstendenzen frühzeitig
gegenzusteuern und Mindestversorgungen
zu sichern“, sagt etwa
Petra Wesseler, Präsidentin des Bundesamts
für Bauwesen und Raumordnung
(BBR).
Best Practice: Oberzent in Hessen
Dabei sei es auch wichtig, Klein- und
Mittelstädte als Versorgungszentren
für die umliegenden Orte zu stärken.
10 Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
Bauen und Wohnen
mehr Mittel aus dem kommunalen Finanzausgleich des
Landes. Das hat Oberzent außerdem Teile der Schulden erlassen,
wie der Deutschlandfunk berichtet.
Ein Gesundheitszentrum und schnelles Internet sollen die
Region für junge Leute attraktiv machen. Günstige Kredite
sollen ihnen den Umzug aus den überfüllten Großstädten
der Metropolregion Rhein-Neckar schmackhaft machen,
denn leerstehende Gebäude gibt es in Oberzent zur Genüge.
Leerstand: gesellschaftliches Problem
Grafik: shutterstock.com
„Eine leistungsfähige digitale Infrastruktur auch im ländlichen
Raum bietet Chancen, neue Versorgungs- und Mobilitätskonzepte
zu entwickeln und auch langfristig neue Arbeitsplätze
in der Region zu ermöglichen und zu erhalten.
Die Grundvoraussetzungen hierfür zu schaffen, muss auch
als Pflicht der Daseinsvorsorge verstanden werden, um die
Wettbewerbsfähigkeit von Regionen zu gewährleisten“, ergänzt
Wesseler.
Wie das funktionieren kann, zeigt beispielsweise die Stadt
Oberzent im Odenwald, die am 1. Januar 2018 aus einem
Zusammenschluss von vier Kommunen hervorgegangen
ist. Es ist die erste hessische Stadtgründung seit 40 Jahren;
die große Mehrheit der Bewohner hatte dem Prozess per
Volksentscheid zugestimmt. Ein Schritt, der für die hochverschuldeten
Gemeinden unumstößlich war, stiegen die
laufenden Kosten für die Infrastruktur bei sinkender Bevölkerungszahl
doch ins Unermessliche. Für andere wichtige
Projekte blieb kein Geld mehr übrig. Das ist nun anders.
Denn durch die Stadtgründung ist Oberzent zur drittgrößten
Kommune in Hessen geworden. Dadurch bekommt sie
Den Leerstand in schrumpfenden Gebieten zu bekämpfen,
ist eine der dringlichsten Aufgaben der ländlichen Wohnungspolitik.
Auch wenn leerstehende Gebäude zunächst
das Problem der Eigentümer sind, haben sie eine negative
Auswirkung auf ihre Umgebung. Schlechte Vermietungschancen
anderer Gebäude oder Vandalismus können die
Folge sein. Was Gemeinden dagegen tun können? Zum
einen müssen sie dafür sorgen, dass verfallene Gebäude
abgerissen werden, um die Wohnqualität der Stadt zu
erhalten. Zum anderen ist es wichtig, die Dorfzentren als
Wohnort attraktiver zu gestalten und etwa den Bau neuer
Einfamilienhäuser zu vermeiden, wie beispielsweise
Michael Voigtländer vom IW sagt. Denn das würde die
Zersiedelung der Regionen weiter befördern; die Leerstände
blieben erhalten. Außerdem käme es künftig zu einem
Preisverfall der Eigenheime, da die Nachfrage durch den
Bevölerungsschwund sinke.
Für den Immobilienexperten stellen die Folgen des Demografischen
Wandels und des Leerstandes auf dem Land sogar
eine größere Herausforderung für die Wohnungspolitik
als die Preissteigerung in den Großstädten dar: „Schließlich
zeigen die Schrumpfungsprozesse aufgrund des Strukturwandels,
wie etwa im Ruhrgebiet und in Ostdeutschland,
wie schwierig es ist, Abwärtsspiralen zu durchbrechen.
Das ansteigende Durchschnittsalter wird es dabei nicht
einfacher machen, die notwendigen Schritte zu gehen“, so
Voigtländer. f
Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
11
Wo
ist
denn
hier
Weniger Raum für Autos, mehr
Mitbestimmung: Städte müssen
vom Menschen her gedacht werden
und nicht am Reißbrett geplant,
sagt der Architekt Jan Gehl.
noch
Von Stefan Kesselhut
Foto: BJOERN HENNRICHS / stock.adobe.com
Bauen und Wohnen
Herr Gehl, in vielen Städten quälen
sich Massen von Autos durch
die Zentren, an den Rändern gibt es
Hochhaussiedlungen, die zu sozialen
Brennpunkten geworden sind. Was
ist eigentlich schiefgelaufen?
Seit den 1960er Jahren war die Stadtplanung
auf der ganzen Welt für viele
Jahre bestimmt von zwei großen
Paradigmen. Zum einen wollten Planer
alle Lebensbereiche voneinander
trennen: Wohnen, Arbeiten, Kommunizieren.
So sind in den Vorstädten
Bettenburgen entstanden, von denen
aus die Menschen in die Innenstadt
pendeln. Und mit dem Paradigma des
Motorismus haben sie versucht, die
Autofahrer in den Städten glücklich
zu machen.
Sollte es Stadtplanern nicht eher darum
gehen, alle Bewohner einer Stadt
glücklich zu machen?
Natürlich sollte es das. Aber im Modernismus
haben sie alles vom Flugzeug
aus geplant und sich die schönen
Muster angeschaut, die sie erschufen.
Um die Menschen auf dem Boden hat
sich niemand geschert. Die konnte
man von so weit oben ja auch gar nicht
sehen. Mit dieser Methode waren die
Planer sehr effizient darin, die Städte
wenig einladend zu machen.
Was sagen Sie heute der Verwaltung
einer Stadt, wie sie etwas verbessern
kann?
Man muss sich viel mehr damit beschäftigen,
welche Architektur wirklich
funktioniert und welche nicht.
Viel zu lange ging es in der Architektur
nur darum, modische, beeindruckende
Gebäude in die Städte zu
setzen. Was diese mit den Städten
machten, war nicht so wichtig und
wurde kaum untersucht.
Woran liegt das?
An vielen Universitäten wird Architektur
mit großem Fokus auf Form
und Ästhetik einzelner Bauten gelehrt
– vor allem in Europa. Die Studenten
lernen nicht viel über die Konsequenzen
ihrer Arbeit in einer Stadt.
Wenn man Architektur nur als Kunst
begreift, hat man ein Problem. Denn
wie soll man mit einem Künstler diskutieren,
seine städtebauliche Arbeit
kritisieren? Nach dem Motto: „Seien
Sie doch froh, dass Frank Gehry hier
in Ihrer Stadt ein Gebäude errichtet.
Und jetzt halten Sie die Klappe!“
War das überall so?
Nein, in Kopenhagen zum Beispiel
gab es früh eine systematische Erhebung
über die Bewohner und ihr
öffentliches Leben: für jeden Teil des
Jahres, der Woche und des Tages. Wir
haben einen kompletten Überblick
bekommen, wie Menschen eine moderne
Stadt nutzen. Wir haben verstanden,
was passiert, wenn wir Dinge
verändern. Wenn wir mehr Bäume
pflanzen, mehr Bänke aufstellen,
mehr Fußgängerzonen etablieren. So
konnten wir genau verstehen, wie wir
das Leben in einer Stadt zum Besseren
ändern können.
Helfen diese Erhebungen dabei, mehr
politische Unterstützung für Ihre Vorschläge
zu bekommen?
Genau an diesem Punkt wird es für Politiker
interessant: Wenn es nachweisbare
Erfolge gibt, wollen sie schnell
mehr davon. Als ich mich von der Kopenhagener
Universität verabschiedet
habe, schickte mir der Bürgermeister
einen Brief mit den Worten: „Wenn
Sie uns nicht mit Ihren Daten gezeigt
hätten, wie die Stadt funktioniert,
hätten wir Politiker niemals ge- >>
Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
13
Bauen und Wohnen
Der Amagertorv (Amager Platz), einer der zentralen
Plätze der dänischen Hauptstadt Kopenhagen
Sind sie noch zu retten?
Für die Lebensqualität spielt Sicherheit
eine große Rolle. In einigen
Städten versucht man, diese durch
lückenlose Kameraüberwachung herzustellen.
Kann die Stadtplanung da andere Lösungen
finden?
wagt, Kopenhagen zu einer der lebenswertesten
Städte der Welt zu machen.“
Dabei scheint es doch naheliegend,
Daten über die eigene Stadt zu erheben
…
Wir wussten lange Zeit absolut nichts
darüber, wie Menschen Architektur
und Städte nutzen. Niemand war an
solch einem Wissen interessiert. Doch
das hat sich – zum Glück – seit einiger
Zeit geändert. Wir erleben gerade eine
riesige Umwälzung in der Stadtplanung
– mit Fokus auf Lebensqualität,
Klimaschutz und Gesundheit. Wir beschäftigen
uns jetzt viel intensiver mit
dem Wohlbefinden der Menschen, die
in der Stadt leben.
Was passierte eigentlich vor Modernismus
und Motorismus?
Die traditionelle Stadtplanung war
viel langsamer und kontinuierlicher.
Von Generation zu Generation wurde
Foto: Frank Bach - frank@frankix.dk / stock.adobe.com
weitergegeben, was die besten Dimensionen
für Straßen und Gebäude sind.
Bis in die 1960er Jahre hinein beruhte
Stadtplanung in den meisten Fällen
auf Tradition und Erfahrung. Und dann
haben wir all das weggeworfen und
gesagt: Der moderne Mensch braucht
das nicht mehr. Man dachte, es sei rational,
Städte großflächig am Reißbrett
zu planen und gigantische Siedlungen
mit Hochhäusern wie Plattenbauten
zu errichten. Aber die Menschen sind
nicht rational. Sie stimmen mit den
Füßen ab und gehen dorthin, wo es
lebenswert ist. Deshalb gelten solche
Hochhausviertel heute auch als ziemlich
unattraktiv. Sie können natürlich
alles abreißen und etwas Besseres bauen.
Oder – vielleicht der bessere Weg
– sie reißen nur Teile ab, machen die
Häuser niedriger und bauen kleinere
Gebäude dazwischen. Und versuchen,
die Erdgeschosse mit Leben zu füllen,
mit Ateliers, Bars, Geschäften. Das ist
ein guter Weg, um die Architektur wieder
auf humane Maße zurückzuholen.
Ja, indem sie lebendigere Städte
schafft. Wenn die Menschen mehr
Zeit im öffentlichen Raum verbringen,
wenn sie mehr Rad fahren und zu Fuß
gehen, weil wir sie stärker dazu animieren,
dann sind die Viertel belebter,
und die Menschen werden stärker
darauf achten, was um sie herum
passiert. Und wenn die anderen Menschen
sich sicherer fühlen, werden
auch Sie selbst ein besseres Sicherheitsgefühl
haben. Sobald Plätze aber
verlassen und leer sind, steigt auch
das Gefühl der Unsicherheit. Statt Gated
Communities – also abgeschottete
Wohnkomplexe – zu erschaffen, sollten
wir deshalb lieber „Lively Communities“
bauen.
Wie demokratisch sollte Stadtplanung
sein, wie viel Mitbestimmung
kann es da geben?
Es ist sehr gut, so etwas demokratisch
zu entscheiden. Es ist dabei unheimlich
wichtig, die Menschen so gut
und so vollständig zu informieren wie
möglich. Worum geht es genau? Was
haben andere Städte gemacht? Was
sind die konkreten Optionen, zwischen
denen die Bürger wählen können?
Wie könnten sie von der Maßnahme
genau profitieren? Wenn man
ein Referendum abhält, das auf zu
wenigen Informationen und zu simplen
Fragen basiert, wird es kein besonders
progressives Ergebnis geben. Das
habe ich zum Beispiel in der Schweiz
gesehen, wo es aus diesem Grund leider
oft halbgare Kompromisslösungen
14 Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
Bauen und Wohnen
gibt. Menschen treffen aber meist
sehr vernünftige Entscheidungen,
wenn sie gut informiert worden sind.
Junge Menschen verzichten zunehmend
auf Autos. Zudem nimmt die
Zahl der Alten in jedem Jahr zu, die
sich in der Stadt bewegen müssen.
Was folgt daraus für die Städte?
Sie sollten es den Bewohnern leicht
machen, zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs
zu sein. Man sollte ohne Probleme
ohne Auto zurechtkommen.
Gibt es spezielle Maßnahmen für Ältere,
um das Leben in der Stadt für
sie angenehmer zu machen?
Wenn eine Stadt sich grundsätzlich
stärker am Menschen orientiert,
wird sie auch besser für ältere Menschen
sein, weil diese sich dort besser
und sicherer bewegen können. Man
braucht Plätze, die gut vor Wind geschützt
sind, wo es viele Möglichkeiten
zum Sitzen und Ausruhen gibt,
mit kleinteiliger Bebauung. Das bringt
allen etwas.
Die schönen, attraktiven, lebendigen
Stadtteile sind auch jene, die am
meisten von Gentrifizierung betroffen
sind. Ärmere Bewohner ziehen also
fort, wohlhabendere kommen. Wie
kriegen wir es hin, dass nicht nur die
Besserverdienenden etwas von intelligenter
Stadtplanung haben?
Was man auf jeden Fall nicht machen
sollte: aufhören, bessere und menschenwürdigere
Stadtplanung umzusetzen.
Wenn man nichts verbessert,
weil man Angst vor Gentrifizierung
oder vor den Besserverdienenden
hat, begibt man sich in eine Abwärtsspirale,
und das ist für alle schlecht.
Wir sollten Stadtteile verbessern und
aufwerten. Aber wir sollten auch den
Effekten der Gentrifizierung entgegenwirken.
Jan Gehl
ist Architekt, Stadtplaner und
emeritierter Professor der
Königlichen Dänischen
Kunstakademie. Mit seiner
Firma Gehl Architects berät
er Städte weltweit, um diese
sicherer, gesünder und
nachhaltiger zu machen.
Was kann man dagegen unternehmen?
Da gibt es eine ganze Reihe von Möglichkeiten.
In neu gebauten Vierteln
könnte man zum Beispiel vorschreiben,
dass 20 oder 30 Prozent der
Wohnungen günstige Mieten haben
müssen. Man kann auch gezielt Bauprojekte
in Aufwertungsgebieten an
öffentliche Genossenschaften vergeben.
Gibt es denn gelungene Beispiele für
so eine soziale Durchmischung?
Ich halte viel von den Anstrengungen
mancher Städte, in allen Teilen der
Stadt das Wohnen zu erschwinglichen
Preisen zu ermöglichen. Sinnvoll finde
ich auch, was einige australische Städte
machen: Diese bauen in Gegenden
mit Sozialwohnungen gezielt kleine
Häuser für Familien. Solch eine Diversität
scheint sich sehr positiv auf die
Viertel auszuwirken. Städte in Australien
sind ohnehin sehr fortschrittlich,
was moderne Stadtplanung betrifft.
Die sind allerdings auch finanziell gut
ausgestattet.
Das ist ja längst nicht überall so. Oft
schwimmen Städte nicht gerade in
Geld.
In den USA zum Beispiel sind die
Städte selbst oft mehr oder weniger
mittellos. An die Stelle der öffentlichen
Hand treten dann meist gemeinnützige
Stiftungen, die etwas verbessern
wollen. Und die oft eine sehr gute
Arbeit leisten.
Es gibt aber auch Städte, die privaten
Investoren das Feld überlassen …
Es ist extrem wichtig, dass es eine
starke Stadtverwaltung gibt, die genau
weiß, wo sie hinwill und privaten
Investoren klare Vorgaben macht, was
geht und was nicht geht, wo Unterstützung
erwünscht ist und in welchem
Rahmen. Wenn wir Städte komplett
dem freien Markt überlassen, würden
sie sich ziemlich schnell in riesige
Shoppingmalls verwandeln.
Wie viel sollte man in einer Stadt
grundsätzlich dem Markt überlassen,
wo muss die öffentliche Hand eingreifen?
Ich habe ein tiefes Misstrauen dem
Markt gegenüber. Wenn wir alles
dem freien Markt überlassen, werden
meist rückwärtsgewandte Dinge herauskommen.
Wer ein kommerzielles
Projekt baut, schaut meist, was in der
Vergangenheit gemacht wurde, um
dann das Gleiche zu machen. Es gibt
nur sehr wenige Bauträger, die Experimente
wagen oder etwas Neues ausprobieren.
Diese Unternehmen wollen
immer auf Nummer sicher gehen. Wir
brauchen aber neue Ideen, die unsere
Städte lebenswerter machen. Und
nicht die alten, mit denen wir sie lebensfeindlich
gemacht haben. f
Im Original erschienen bei fluter,
Magazin der Bundeszentrale für
politische Bildung.
Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
15
Bauen und Wohnen
Wie der Klimawandel
unsere Städte verändert
Foto: Stadtblick Stuttgart / stock.adobe.com
Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt in Städten. Dort konzentrieren sich zugleich die
meisten Gebäude und wirtschaftlichen Aktivitäten. Logisch, dass sich gerade hier die Folgen
des Klimawandels am Brutalsten aufzeigen lassen. Das Portal www.klimafakten.de hat die
wichtigsten Ergebnisse des jüngsten Berichts des Weltklimarates zusammengefasst. Ihr
Fazit: Um die Folgen des Klimawandels für die Menschen abzuschwächen, muss die städtische
Infrastruktur drastisch an die klimatischen Veränderungen angepasst werden.
16 Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
Bauen und Wohnen
Bis zum Jahr 2050 wird ein Wachstum der globalen
Stadtbevölkerung um 2,5 bis 3 Milliarden (gegenüber
2009) erwartet; weltweit werden dann 64 bis
69 Prozent der Menschen in Städten leben. Urbane Gebiete
sind eine Hauptquelle von Treibhausgasen und derzeit für
rund 70 Prozent des weltweiten Energieverbrauchs verantwortlich.
Steigende Meeresspiegel und Überschwemmungen an
Flüssen, Hitzeperioden und die mögliche Ausbreitung von
Krankheiten, zunehmende Dürren und damit einhergehende
Wasserknappheit und Luftverschmutzung – all dies
wird Gesundheit, Lebensgrundlagen und Vermögenswerte
von Menschen stark beeinträchtigen. Der Klimawandel
könnte den Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen
und die Lebensqualität in Städten verschlechtern.
Am stärksten betreffen wird dies wahrscheinlich die arme
Bevölkerung in den schnell wachsenden Städten der Entwicklungsländer.
Der Klimawandel wird zudem lokale und
nationale Wirtschafts- und Ökosysteme in Mitleidenschaft
ziehen. Beispielsweise sind Hafeninfrastrukturen im Wert
von mehr als drei Billionen US-Dollar in 136 der weltweit
größten Hafenstädte anfällig für Extremwetterereignisse.
Auch wenn sie eine komplexe Aufgabe darstellt, so ist Anpassung
doch möglich – und langfristig betrachtet kostengünstiger
als nichts zu tun. Beispielsweise hat eine Untersuchung
heutiger und künftiger Flutschäden in einigen der
weltweit größten Küstenstädte gezeigt, dass die geschätzten
Anpassungskosten weit unter den voraussichtlichen
Schäden liegen, die ohne Anpassung eintreten würden.
Foto: Georgy Dzyura / stock.adobe.com
Die meisten der Risiken, die aus den Hauptgefahren des
Klimawandels resultieren, werden für städtische Gebiete in
nächster Zeit zunehmen. Ein hohes Niveau der Anpassung
kann diese Risiken deutlich senken. Jedoch macht jedes
weitere Grad Erderwärmung die Anpassung schwieriger.
Die Möglichkeiten, den Ausstoß von Treibhausgasen zu
verringern, unterscheiden sich von Stadt zu Stadt, und
wahrscheinlich sind sie am wirksamsten, wenn verschiedene
Politikinstrumente kombiniert werden. In bestehenden
oder bereits weit entwickelten Städten sind die Optionen
durch die vorhandenen Strukturen begrenzt, doch sind
Sanierungen und Nachrüstungen möglich. Hingegen ist in
sich rasch entwickelnden Städten noch eine Urbanisierung
und Infrastrukturentwicklung möglich, die einen nachhaltigeren
und CO 2
-armen Weg einschlägt.
>>
Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
17
Bauen und Wohnen
Folgen und Risiken des Klimawandels in Kürze
Als Reaktion auf den Temperaturanstieg
können Kommunen stadtplanef
Steigende Temperaturen könnten den Effekt
städtischer Wärmeinseln verstärken – und damit
hitzebedingte Gesundheitsprobleme und die Luftverschmutzung
in Städten verschärfen.
f Die Erderwärmung wird voraussichtlich die erneuerbaren
Wasserressourcen verringern – was möglicherweise
die Trinkwasserversorgung in vielen städtischen
Gebieten beeinträchtigt, wasserbedingte Krankheiten
begünstigt, die Lebensmittelpreise in die Höhe treibt
und die Ernährungssicherheit gefährdet.
f Die Versauerung der Ozeane ist ein Risiko für die
Meeresressourcen.
f Der Meeresspiegelanstieg, Extremwetterereignisse
und Binnenhochwasser werden das Leben und die
Existenzgrundlagen von Menschen gefährden, Infrastrukturen
zerstören sowie Versorgungsengpässe
und politische Konflikte auslösen.
f Die Vermögenswerte in Küstenstädten, die Überflutungsrisiken
ausgesetzt sind, entsprachen im Jahr
2005 fünf Prozent des weltweiten BIP – bis 2070
werden es voraussichtlich neun Prozent sein.
Laut aktuellen Erkenntnissen muss
das Tempo der Emissionsminderungen
sowohl in Städten der entwickelten
wie auch der weniger entwickelten
Länder zunehmen. Der Schwerpunkt
sollte dabei auf Emissionen aus Energieversorgung,
Verkehr, Gebäuden
und Industrie liegen. Daneben gibt es
eine breite Palette von Möglichkeiten,
den Treibhausgasausstoß durch kluge
Stadtplanung und -entwicklung zu
senken.
Möglichkeiten der Anpassung
Die Kommunalverwaltungen sind der
Dreh- und Angelpunkt einer erfolgreichen
Klimaanpassung von Städten.
Denn es kommt maßgeblich auf die
örtlichen Gegebenheiten an und darauf,
dass die Anpassungsstrategie in
lokale Investitionen, Vorschriften und
politische Entscheidungen integriert
wird.
Wohlverwaltete Städte mit guten und
für alle verfügbaren Infrastrukturen
und Dienstleistungen sind eine stabile
Basis, um die Widerstandsfähigkeit
gegenüber den Folgen des Klimawandels
zu erhöhen. Doch müssen
Planung, Gestaltung und Verteilung
personeller, finanzieller und materieller
Ressourcen an den aufziehenden
Klimarisiken ausgerichtet werden.
Obwohl sich in den vielen rasch wachsenden
Städten gute Möglichkeiten
für Klimaanpassung und nachhaltige
Entwicklung bieten, gibt es nur wenige
Hinweise, dass diese bisher genutzt
worden wären.
Planung
Es gibt keinen allgemeingültigen Ansatz
für die Planung urbaner Anpassungsmaßnahmen,
denn die Anpassung
an den Klimawandel präsentiert
sich, genau wie die Städte selbst, komplex,
vielfältig und kontextabhängig.
Top-down- und Bottom-up-Ansätze
sollten kombiniert werden, Stadtverwaltungen
mit der Zivilgesellschaft,
dem Privatsektor und einkommensschwachen
Teilen der Bevölkerung
zusammenarbeiten.
Eine stärkere Verknüpfung von Katastrophenvorsorge
und Klimaanpassung
sowie beider Einbeziehung in lokale,
regionale, nationale und internationale
Entwicklungsstrategien kann in
jeder Hinsicht Vorteile bringen.
Finanzierung
Großen Städten mit starken Wirtschafts-
und Verwaltungsstrukturen
fällt es am leichtesten, externe Gelder
für Anpassungsmaßnahmen anzuziehen
und selbst Mittel aufzubringen.
Dagegen haben kleinere und weniger
wohlhabende Kommunen mit zersplitterten
politischen Strukturen oder
einer leistungsschwächeren Verwaltung
geringere Erfolgschancen.
Die Palette möglicher Finanzierungsinstrumente
ist breit: lokale Einnahmen
(Steuern, Abgaben, Gebühren),
lokale und nationale Finanz- und Anleihenmärkte,
Verträge und Konzessionen
im Rahmen öffentlich-privater
Partnerschaften (ÖPP), Finanztransfers/Anreize
von nationaler oder föderaler
Ebene, private und marktorientierte
Investitionen, Zuschüsse oder
verbilligte Darlehen (etwa aus einem
Anpassungsfonds).
Wohnungsmarkt
Hochwertiger und erschwinglicher
Wohnraum an geeigneten Standorten
minimiert gegenwärtige Gefährdungen
und Schäden und ist eine
tragfähige Basis für eine stadtweite
Anpassung an den Klimawandel. Für
Eigentümer sowie öffentliche, private
und zivilgesellschaftliche Organisationen
gibt es viele Möglichkeiten, die
vorhandene Bausubstanz an den Klimawandel
anzupassen.
Steigende Temperaturen
18 Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
Bauen und Wohnen
Meeresspiegel und Sturmfluten
rische Strategien für das Wärmemanagement entwickeln,
etwa den Einsatz von Grünzonen, Frischluftkorridoren,
begrünten Dächern und Wasserflächen. Dazu gehört
auch, Bauvorschriften zu verbessern und solche Infrastrukturen
beständiger gegen die zunehmende Hitze zu
machen, die insbesondere von den schwächsten Bevölkerungsgruppen
genutzt werden (Schulen, Altenheime und
Krankenhäuser).
Grundversorgung
Der Abbau von Mängeln bei der Grundversorgung und der
Aufbau resilienter Infrastrukturen (z.B. Wasserver- und
entsorgung, Sanitäreinrichtungen, Stromversorgung, Verkehrs-
und Telekommunikationsnetze, Gesundheitsversorgung,
Bildung, Rettungsdienste) können die Anfälligkeit
für Folgen des Klimawandels beträchtlich mildern. Dies gilt
besonders für die Bevölkerungsgruppen mit dem höchsten
Risiko und der größten Verwundbarkeit.
Wasserversorgung
Weil steigende Temperaturen den Wasserbedarf erhöhen,
müssen sich Städte mit der Planung und Infrastruktur der
Wasserversorgung befassen. Zu den Maßnahmen, um die
erforderliche Menge und Qualität des Wassers zu sichern,
gehören: Schaffung verstärkter, dezentraler und autonom
betriebener Ver- und Entsorgungseinrichtungen; Förderung
der Wiederverwertung von Wasser, der Nutzung von Grauwasser
und eines besseren Managements des Regenwasserabflusses;
Erschließung neuer bzw. alternativer Wasserbezugsquellen
und Ausbau der Speicherkapazitäten.
Wassermangel kann auch Kraftwerke betreffen, weshalb
Städte wasserunabhängige Kapazitäten zur Energieerzeugung
ausbauen sollten.
Foto: satori / stock.adobe.com
Wegen der Risiken infolge von Meeresspiegelanstieg und
Sturmfluten müssen Städte möglicherweise ihre Küsteninfrastruktur
verstärken, insbesondere Häfen und Anlagen
zur Stromerzeugung. Dies erfordert den Bau von Schutzvorrichtungen
gegen Sturmfluten (Sperren, Schleusen, Deiche
etc.), eine deutlich veränderte Raumplanung und auch
die Erweiterung in höher gelegene Gebiete sowie die Verlegung
essenzieller Versorgungseinrichtungen.
Die Risiken für Leib und Leben der Einwohner lassen sich
durch verbesserte Frühwarnsysteme, Evakuierungs- und
Krisenpläne verringern. Weitere Optionen sind die Entwicklung
alternativer Verkehrsrouten und -mittel entlang
der Küsten sowie dezentraler und küstenferner Energieerzeugungskapazitäten.
Extremwetter und Binnenhochwasser
Die Zunahme von Extremwetterereignissen wird die Städte
zwingen, dezentrale und resiliente Systeme für die Energieund
Gesundheitsversorgung sowie für die Einsatzleitung
bei Rettungs- oder Katastropheneinsätzen zu entwickeln.
Dazu gehören auch die Verstärkung der Infrastrukturen
öffentlicher Verkehrsmittel und möglicherweise die Bevorratung
von Treibstoff, Wasser und Lebensmitteln. Mittels
überarbeiteter Bauvorschriften kann die Widerstandsfähigkeit
von Gebäuden und Infrastrukturen erhöht werden,
wobei ärmeren Bevölkerungsgruppen ein besonderes Augenmerk
gelten muss. Die Kanalisation für Abwässer und
Regenwasser kann verbessert werden.
Ernährungssicherheit
Anpassungsmaßnahmen in diesem Bereich können insbesondere
die Klimaanfälligkeit ärmerer Stadtbewohner mindern.
Möglichkeiten auf lokaler Ebene sind beispielsweise
die Förderung von Landwirtschaft in der Stadt und im direkten
Umland oder auf Gründächern.
Eine veränderte Verfügbarkeit wichtiger Ressourcen aus
den Meeren könnte Städte zwingen, alternative Lebensmittelquellen
zu erschließen und die Logistik für deren Einkauf
und Verteilung zu stärken. Dazu kann auch der Aufbau
von Binnenaquakulturen gehören. f
Gekürzte Fassung des Branchenberichts
„Klimawandel – Was er für die Städte
bedeutet“ von www.klimafakten.de
Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
19
Bauen und Wohnen
Klimametropole
Kopenhagen
Von Julia Arendt
Foto: Scirocco340 / stock.adobe.com
„Green Lighthouse“ in Kopenhagen
Foto: Adam Mørk
Kopenhagen plant, im Jahr 2025 die
erste klimaneutrale Metropole der
Welt zu sein. Bürgermeister, Städteplaner
und Politiker aus aller Welt
besuchten die dänische Hauptstadt in
den vergangenen Jahren und waren
von der Fahrradkultur, der Abfallverwertung
und dem Fernwärmesystem
beeindruckt. Mittlerweile ist Kopenhagen
zum Vorbild für Großstädte
weltweit geworden. Zurzeit glänzt sie
allerdings besonders mit ihrer nachhaltigen
Stadt- und Gebäudeplanung.
Gebäude-Emission? Zero.
Im Jahr 2009 setzte Kopenhagen mit
der Eröffnung des „Green Lighthouse“
ein architektonisches Statement in Sachen
Klimaneutralität. Das nachhaltige
Energiekonzept des CO 2
-neutralen
Universitätsgebäudes stützt sich dabei
vor allem auf die Nutzung von Tageslicht.
Das Dach, als fünfte Fassade,
verfügt über einen flachen Neigungswinkel.
Es leitet bei hochstehender
Sonne besonders viel Licht ins Innere
und nimmt Wärme auf. Darüber hinaus
beinhaltet das Konzept eine Kombination
aus Fernwärme, Solarzellen,
Solarkühlung und saisonaler Energiespeicherung.
So verbraucht das
Gebäude bis zu 75 Prozent weniger
Energie als konventionelle Gebäude.
Das Green Lighthouse ist außerdem
das erste öffentliche CO 2
-neutrale Gebäude
in ganz Dänemark.
Ein Parkhaus wird zur „Tankstelle“
Wie können innenstadtnahe Parkräume
effektiv und nachhaltig genutzt
werden? Eine Antwort darauf gibt das
„Lüders Parkhaus“ im Kopenhagener
Stadtteil Nordhavn. Auf dem Dach des
sechsstöckigen Gebäudes befindet
sich ein Spielplatz. Dieser bietet Kindern
nicht nur einen Platz zum Spielen,
sondern den vielen Touristen einen
tollen Ausblick über die Stadt. Für
Freizeitsportler bringt das Parkhaus
ebenfalls einen Vorteil: eine Digitalanzeige
zeigt ihnen an, wie schnell
sie die Treppe auf das Dach hochlaufen.
Ganz nebenbei ist das Gebäude
auch noch gut für die Umwelt. Lüders
Parkhaus ist ein Energiespeicher. In
Zukunft sollen geparkte Elektroautos
Energie nach Bedarf zwischenspeichern
oder an das Stromnetz abgeben
20 Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
Bauen und Wohnen
können. Bis es so weit ist, übernimmt eine große Batterie
im Erdgeschoss diese Funktion. Sie kann überschüssige
Energie von Windrädern oder Solaranlagen speichern und
60 Haushalte einen Tag lang mit Strom versorgen.
Öffentliche Plätze schützen vor Überschwemmung
Die Auswirkungen des Klimawandels sind auch in Kopenhagen
spürbar. In der Vergangenheit hatte die Stadt häufig
mit heftigem Starkregen zu kämpfen. In kürzester Zeit war
die Kanalisation überlastet, Straßen wurden überflutet. In
Zukunft rechnen Experten sogar mit immer häufigeren extremen
Regenfällen. Aus diesem Grund beschloss die Stadt,
Lösungsansätze zur Reduzierung des Überflutungsrisikos
zu entwickeln – und mit der Aufwertung öffentlicher Plätze
zu kombinieren.
Eines von 300 Einzelprojekten war der Umbau des historischen
Sankt Anna Plads in der Altstadt Kopenhagens. Der
lang gezogene Platz ist zur grünen Oase geworden. Mehr als
200 Parkplätze wurden hier entfernt, die Straße verschmälert.
In der Mitte wurde ein tiefer liegender Grünstreifen mit
Rasen und Bäumen angelegt. Dieser dient bei Regen als Auffangbecken
für die Wassermassen. Darunterliegende Rohre
leiten das Wasser in den Hafen und verhindern so die Überschwemmung
des Platzes. So auch im Park „Tasigne Plads“.
Er verfügt ebenfalls über ein tiefergelegtes und bepflanztes
Versickerungsbecken, das den Regenabfluss sammelt. In
Trockenperioden dient dieser wiederum zur Bewässerung
der Parkanlage.
Müllnutzung mal anders
In Europa fällt viel Plastikmüll an – so viel, dass die EU bislang
jährlich 1,6 Millionen Tonnen nach China exportieren
musste. Wie kann dem Müllproblem entgegengewirkt werden?
Ein besonderes Vorzeigeprojekt zur effektiven Müllnutzung
ist die Müllverbrennungsanlage „Amager Bakke“ in
Kopenhagen. Hier sollen Berichten zufolge jährlich 400.000
Tonnen Müll verbrannt werden. Die Energie, die dadurch
freigesetzt wird, soll 160.000 Haushalte mit Fernwärme und
62.500 Häuser mit elektrischer Energie versorgen.
Unglaublich aber wahr: das Dach des innovativen Gebäudes
soll gleichzeitig als Skipiste und Regenerationspark genutzt
werden. Die Eröffnung des Outdoor-Parks wird voraussichtlich
Mitte 2018 erfolgen. Doch bereits jetzt ist das Kraftwerk
in Betrieb – schon im Herbst letzten Jahres belieferte es einen
großen Teil der dänischen Insel Amager und der Hauptstadt
Kopenhagen mit Strom. f
Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
21
Bauen und Wohnen
Baubranche:
Kaum eine andere Branche verbraucht so viele Ressourcen
und produziert so viel Müll wie der Bausektor. Zudem sind
Gebäude für einen großen Teil unseres Energieverbrauchs und
unserer CO 2
-Emissionen verantwortlich. Strengere Vorschriften
und eine steigende Nachfrage nach „grünen“ Immobilien
führen langsam zu einem Umlenken der Branche in Richtung
Nachhaltigkeit. Die zentralen Schlagworte lauten Ressourceneffizienz
und Kreislaufwirtschaft.
Foto: pitb_1 / stock.adobe.com
Von Milena Knoop
Laut Umweltbundesamt werden in Deutschland rund 35
Prozent der Endenergie in Gebäuden verbraucht, vorwiegend
für Heizung und Warmwasser. Das entspricht ca. 30
Prozent der emittierten Treibhausgasemissionen. Ähnliches
gilt für das Abfallaufkommen. Der Gebäudesektor
birgt damit großes Einsparpotenzial und spielt eine wichtige
Rolle bei der Erreichung nationaler und internationaler
Klimaschutz- und CO 2
-Reduktionsziele, etwa im Rahmen
der Energiewende, des Pariser Klimaabkommens oder der
Nachhaltigen Entwicklungsziele der UN.
Viel ungenutztes Potenzial
Das zeigt das Beispiel Müll: Ein Großteil des Abfalls, der
beim Neubau, Ausbau und beim Abbruch eines Gebäudes
anfällt, wird wiederverwertet. So wurden nach Angaben
der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe
(BGR) zum Zeitpunkt der letzten Erhebung im Jahr 2012
rund 78 Prozent des Bauschutts recycelt. Das Recyclingmaterial
wird vor allem im Tief- und Straßenbau, aber erst
selten höherwertig verwendet.
Viele wertvolle Materialien und Rohstoffe landen jedoch
nach wie vor auf der Müllkippe. Zum Beispiel Bausand: Dieser
wird unter anderem zur Produktion von Beton, Ziegeln
und Klinkern oder als Füllsand benötigt. Das Recycling von
Bausand ist technisch sehr aufwendig, und da der Rohstoff
in Deutschland reichlich vorhanden und entsprechend
günstig ist, lohnt es sich nicht, ihn wiederzugewinnen. Faktoren
wie der derzeitige Bauboom könnten laut BGR jedoch
dazu führen, dass Bausand auch hierzulande knapper und
teurer wird.
Neben steigenden Rohstoffpreisen setzen schärfere Umweltschutzauflagen
Bauherren zusätzlich unter Druck. So
rechnet die Branche etwa mit steigenden Kosten für die
Entsorgung von Bauabfällen. Grund dafür ist eine neue
Mantelverordnung des Umweltbundesamtes, die dieses
Jahr in Kraft treten könnte.
Das Cradle-to-Cradle-Designkonzept
Das von dem deutschen Chemiker Michael Braungart
entwickelte Cradle-to-Cradle-Konzept geht noch einen
Schritt weiter, wenn es um Lösungswege für nachhalti-
22 Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
Bauen und Wohnen
neue Behördengebäude gilt dies bereits
ab 2019. Doch auch hier gibt es
Unterschiede. Nicht nur der Neubau,
sondern auch die energetische Gebäudemodernisierung
soll nach Plänen
der neuen Bundesregierung noch stärker
finanziell gefördert werden, wie
der Bauherren-Schutzbund e.V. (BSB)
im Januar mitteilte. Dies sei auch dringend
notwendig, sagt BSB-Geschäftsführer
Florian Becker: „Bei der privaten
Gebäudemodernisierung besteht
seit Jahren Handlungsbedarf. Die
Entscheidung der neuen Bundesregierung,
Verbraucher hierbei besser zu
unterstützen, ist ein wichtiger Schritt,
um aufzuholen und den gesteckten
Klimazielen näher zu kommen.“
Welche Fördermöglichkeiten gibt
es?
ges, ressourcenschonendes Bauen
geht. Cradle-to-Cradle heißt übersetzt
„von der Wiege zur Wiege“ und beschreibt
einen potenziell unendlichen
Zirkulationsprozess von Materialien
und Nährstoffen in biologischen oder
technischen Kreisläufen. Dabei dient
die Natur als Vorbild. Für Gebäude
bedeutet das: Alle verbauten Produkte
sind biologisch abbaubar oder wiederverwertbar
und haben somit keine
negativen Auswirkungen mehr auf die
Menschen und die Umwelt. Abfall gibt
es im Cradle-to-Cradle-Szenario nicht.
Michael Braungart beschreibt das
Konzept so: „Mit dem Cradle-to-Cradle-Konzept
können wir nach dem
Vorbild der Natur Materialkreisläufe
schließen. Ein Produkt, das zu Abfall
wird, ist ein schlechtes Produkt. Ein
Gebäude, welches Bauschutt verursacht,
hat einfach schlechte Qualität.“
So entstehen „Gebäude wie Bäume
und Städte wie Wälder“ mit einem positiven
ökologischen Fußabdruck.
Was treibt die Branche noch an?
Strengere Anforderungen, höhere
Standards, aber auch staatliche Förderprogramme
tragen dazu bei, dass
sich Nachhaltigkeit im Gebäudesektor
immer mehr durchsetzt. Vor allem die
Themen Energieeffizienz und erneuerbare
Energien rücken dabei immer
mehr in den Vordergrund, führt ein
niedrigerer Energieverbrauch doch
nicht nur zu enormen Kosteneinsparungen,
sondern auch zu einem niedrigeren
CO 2
-Ausstoß. Im Prinzip sind
bereits alle neu entstehenden Gebäude
im Vergleich zu älteren Immobilien
sehr energieeffizient. So müssen
nach EU-Recht alle Neubauten ab dem
Jahr 2021 als sogenannte Niedrigstenergiegebäude
errichtet werden; für
Je nachdem, wie hoch der Primärenergiebedarf
und der Wärmeverlust
eines Gebäudes sind, unterstützt die
Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW)
Bauherren, Käufer und Modernisierer
mit unterschiedlich hohen Krediten
bzw. Zuschüssen. Dabei gilt: Je energieeffizienter
das Haus, desto höher
die Förderung. Unterschieden wird
zwischen Effizienzhäusern der Klasse
40, 55, 70 oder 100. Zu den Fördermaßnahmen
zählen zum Beispiel
eine effiziente Heizungsanlage, eine
solarthermische Anlage auf dem Dach
oder eine gute Dämmung der Wände
und Fassaden.
>>
Rückbau, Verwertung
und Entsorgung
Planung,
Rohstoffgewinnung
Gebäudelebenszyklus
Nutzung einschließlich
Instandhaltung und
Modernisierung
Herstellung,
Errichtung
Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
23
Bauen und Wohnen
Neben KfW-Effizienzhäusern haben
sich weitere Standards durchgesetzt:
Als Passivhaus wird ein Haus bezeichnet,
das ohne klassische Heizung auskommt.
Es nutzt die Sonneneinstrahlungen
und die Wärme von Personen
und technischen Geräten, um Räume
aufzuheizen. Auch hier spielt eine
entsprechende Dämmung der Wände
und Fassaden eine zentrale Rolle.
Laut Passivhaus Institut (PHI) lassen
sich mit Passivhäusern Energieeinsparung
von über 80 Prozent gegenüber
den gesetzlich vorgeschriebenen
Neubaustandards erzielen. Ein sogenanntes
Nullenergiehaus zeichnet
sich dadurch aus, dass es genauso
viel Strom bzw. Energie verbraucht,
wie es selbst produziert. Ein Nullenergiehaus
kann, muss aber nicht
energieautark sein. Sogenannte Plusenergiehäuser
hingegen benötigen
keine externe Energiezuführung. Sie
erzeugen mehr Energie als sie selbst
verbrauchen und können diesen Energieüberschuss
speichern.
Maßnahmen zur Energieeffizienz und
CO 2
-Reduktion im Betrieb sind wichtige
Stellschrauben. Sie alleine reichen
aber nicht aus. Da ein Gebäude
in der Regel für eine jahrzehntelange
Nutzung errichtet wird, müssen alle
Phasen des Lebenszyklus des jeweiligen
Bauwerks berücksichtigt werden.
Erst diese ganzheitliche Betrachtung
„von der Wiege bis zur Bahre“ (Englisch:
„from cradle to grave“) gibt Aufschluss
darüber, wie nachhaltig ein
Gebäude ist und wo Einsparungspotenzial
besteht.
EPD als Datengrundlage für nachhaltiges
Bauen
Bereits in der Planungsphase und bei
der Herstellung jedes einzelnen Bauteils
wird also der Grundstein für die
spätere Nachhaltigkeitsqualität eines
Gebäudes gelegt. Das bedeutet, dass
jeder Planer, Baustoffhersteller oder
Häuser ganz ohne CO 2
-Fußabdruck?
Weshalb ein Bauprozess mehr Auswirkungen auf die Umwelt hat als die Energieeffizienz, erklärt Prof. Dr.-Ing. Werner
Lang vom Lehrstuhl für energieeffizientes und nachhaltiges Planen und Bauen der Technischen Universität München
am Beispiel des Passivhauses.
Foto: Astrid Eckert / TU München
Der Energieverbrauch für den Betrieb eines Passivhauses
beträgt 15 Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr. Das
ist relativ wenig. Gebäude aus den 70er Jahren verbrauchen
um die 250 bis 300 Kilowattstunden pro Quadratmeter und
Jahr. Aber beim Passivhaus ist der Energiebedarf bei der
Errichtung höher als bei herkömmlichen Gebäuden. Es ist
mehr Wärmedämmung nötig, die Gebäudetechnik ist aufwändiger.
Wir verbauen mehr Materialien, und es drängt
sich schnell die Frage auf: Wo ist der Punkt, an dem ich
mehr Energie in die Erstellung investieren muss als ich
während des Betriebs wieder einspare? Es macht daher
Sinn, zu überlegen, wie das Gebäude über seine Lebensdauer
möglichst viel Energie selber produzieren könnte, über
Fotovoltaik zum Beispiel. Wenn das gelingt, hinterlassen
Gebäude einen positiven ökologischen Fußabdruck.
24 Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
Bauen und Wohnen
Schon gewusst?
Umweltkennzeichen und -deklarationen gibt es in
drei verschiedenen Kategorien. Typ I nach ISO 14024
weist ein bis zwei Umweltaspekte von Baustoffen
wie Farben, Bodenbelägen und Dämmstoffen aus.
Beispiele sind das FSC-Siegel oder der Blaue Engel.
Diese Siegel richten sich an private und gewerbliche
Endverbraucher. Bei Typ II handelt es sich um
Umweltzeichen, die von Herstellern für ihre Produkte
verwendet werden. Bei dieser sogenannten Selbstdeklaration
erfolgt keine unabhängige Prüfung und Bewertung.
Allerdings sind die Vorgaben der ISO 14021
einzuhalten. Beispiele sind das Drei-Pfeile-Symbol
oder diverse Verbandssiegel. Typ III nach ISO 14025
entspricht den EPD, die das IBU vergibt. Im Vergleich
zu den anderen Zeichentypen erfolgt hier weder eine
Bewertung bestimmter Produkteigenschaften noch
wird ein Zertifikat vergeben. Ziel ist vielmehr die neutrale
Bereitstellung und transparente Kommunikation
von Umweltinformationen. Diese bilden wiederum die
Grundlage für Gebäudezertifizierungssysteme von
DGNB, BNB, BREEAM und LEED.
Architekt mit seinen Produkten und seinem Know-how
daran mitwirken kann, das Gebäude hinsichtlich ökologischer,
aber auch sozialer und wirtschaftlicher Aspekte zu
optimieren.
Mit den Umwelt-Produktdeklarationen (Environmental
Product Declarations, kurz: EPD) steht der Bauindustrie
ein System zur Verfügung, das Informationen über die Umweltwirkungen
von Bauprodukten und -komponenten in einem
einheitlichen Format bündelt und dokumentiert. Fast
alle EPD werden in Deutschland vom Institut Bauen und
Umwelt e.V. (IBU) veröffentlicht. Umweltfreundliche Baustoffe
allein sind jedoch noch keine Garantie für Nachhaltigkeit,
weil sie keine Endprodukte sind. IBU-Geschäftsführer
Dr. Burkhart Lehmann erläutert: „Verbaute Produkte
entfalten ihre Wirkungen auf die Umwelt erst am Gebäude
im Zusammenspiel mit anderen Bauprodukten in einer bestimmten
Einbausituation.“
Deshalb wird bei der Erstellung einer EPD der gesamte Lebenszyklus
eines Bauprodukts in den Blick genommen bis
hin zu Angaben zum Rückbau, der Recyclingfähigkeit und
zur Entsorgung. Darüber hinaus helfen technische Angaben
– etwa zur Lebensdauer und zur Wärme- und Schallisolierung
–, die Leistungsfähigkeit eines Produktes innerhalb
eines Gebäudekontextes einzuschätzen. Wo relevant, können
EPD auch umwelt- und gesundheitsbezogene Nachweise
enthalten, wie beispielsweise zum Emissionsverhalten
in die Innenraumluft. In Form einer Ökobilanz lässt sich so
etwa der Beitrag zum globalen Treibhauseffekt, zum Ozonabbau,
zur Versauerung der Böden und Gewässer oder zur
Ressourcenverknappung bestimmen.
Zementhersteller engagieren sich
Seit Jahresbeginn gibt es ein neues Zertifizierungssystem
für Beton- und Zementhersteller sowie Produzenten von Gesteinskörnung
in Deutschland, das sich bereits international
bewährt hat. Initiator des Zertifizierungssystems ist die
„Nachhaltigkeitsinitiative Zement“ des „Weltwirtschaftsrats
für Nachhaltige Entwicklung“. Der Bundesverband der
Deutschen Transportbetonindustrie e. V. (BTB) wird das Zertifizierungssystem
hierzulande organisieren, darüber informieren,
beraten und schulen. Ziel sei es, „die Transparenz
über den Herstellungsprozess von Beton und dessen Wertschöpfungskette
sowie deren Auswirkungen auf das soziale
und ökologische Umfeld“ zu fördern, so Dr. Olaf Aßbrock,
Hauptgeschäftsführer des BTB. Das System ist vergleichbar
mit dem FSC-Siegel und soll von allen großen Gebäudezertifizierungssystemen
wie BREEAM (Building Research Establishment
Environmental Assessment Methodology), LEED
(Leadership in Energy and Environmental Design) und DGNB
(Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen) anerkannt
werden.
Zertifizierungssysteme sind gefragt
Dass sich Nachhaltigkeit immer mehr aus der Nische bewegt
und zum Standard wird, zeigt auch die steigende
Zahl von Nachhaltigkeitszertifikaten.
Wie eine kürzlich veröffentlichte gemeinsame Auswertung
der Professional Group (PG) Sustainability der RICS
Deutschland und des IRE|BS Instituts für Immobilienwirtschaft
belegt, sind europaweit rund 22.500 Immobilien
mit einem Nachhaltigkeitszertifikat ausgezeichnet. Das
entspreche einer Steigerung von 16 Prozent im Vergleich
zum Vorjahreszeitraum.
Dazu trägt neben steigenden gesetzlichen Anforderungen
auch das wachsende Interesse von Investoren bei. Diese
kämen am Thema Nachhaltigkeit nicht mehr vorbei, wie
es in einer Studie von LaSalle Investment Manage- >>
Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
25
Bauen und Wohnen
Energieeffizient bauen und wohnen:
Ein Ausblick
Isolierglasfenster
Keine Energiekosten,
Nullemissionen und ein
gesundes Raumklima
– sieht so das Gebäude
der Zukunft aus? Zweifellos
werden wir künftig
nicht nur komfortabler
wohnen, sondern vor
allem energieeffizienter
und nachhaltiger. Schon
heute gibt es viele kluge
Technologien und Ideen,
wie Häuser Energie effizient
nutzen und dadurch
Treibhausgasemissionen
einsparen können. Ein
Ausblick.
Hochwirksame Wärmedämmung:
Dazu zählt z.B. eine verbesserte
Dämmung der Dachflächen, der Außenwand
und ggf. der Kellerwand.
Energieeffiziente, intelligente Haushaltsgeräte
wie Waschmaschine,
Backofen oder Kühlschrank, die aus
der Ferne gesteuert werden können
Verbesserte Gebäudeautomation
und
Kontrollsysteme, die auf
veränderte Bedingungen
reagieren und etwa
die Beleuchtung oder
Lüftung nach Bedarf
regulieren
Intelligente Stromzähler und -netze, die Angebot
und Nachfrage in Echtzeit anpassen
Grafik: shutterstock.com
Geothermie und
Wärmepumpe
26 Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
Bauen und Wohnen
Solarthermie: kann für die
Heizung und die Warmwasserbereitung
genutzt werden
Tageslichtnutzung
Fotovoltaikanlagen wandeln
Sonnenenergie in Strom
um. Um den bestmöglichen
Ertrag zu erzielen, sollten
die Solarmodule nach Süden
ausgerichtet sein.
Lüftungsanlage: Sie verbessert u.a. das
Raumklima. Mit Wärmerückgewinnung ist
sie besonders energieeffizient.
Energieeffiziente Beleuchtungs-,
Heiz-, Lüftungsund
Klimatechnik
Das durchschnittliche CO 2
-Einsparpotenzial
durch energieeffiziente Technologien beläuft
sich auf
20-45 %
Quelle: klimafakten.de
Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
27
Bauen und Wohnen
ment heißt. „Die Bedeutung umweltfreundlicher Gebäudeeigenschaften
hat in den letzten Jahren stark zugenommen
und einen Punkt erreicht, an dem Investoren ihnen,
neben weiteren langfristigen Trends, Beachtung schenken
sollten“, so Mahdi Mokrane, LaSalle's European Head
of Research & Strategy.
Darüber, dass sich nachhaltige Gebäude nicht nur unter
Umweltgesichtspunkten, sondern auch wirtschaftlich
rechnen, ist man sich in Fachkreisen inzwischen einig. Zu
den Vorteilen zählen neben niedrigeren Energie- und Betriebskosten
unter anderem ein höherer Immobilienwert,
höhere Mieten, weniger Leerstand, aber auch bessere Lebens-
und Arbeitsbedingungen und – damit einhergehend
– Gesundheits- und Produktivitätsvorteile für die Nutzer
und Eigentümer.
In Deutschland und weltweit haben sich verschiedene
Gebäude- bzw. Green-Building-Zertifizierungssysteme
entwickelt. Diese bewerten die Gebäudequalität anhand
festgelegter Kriterien und weisen diese durch ein entsprechendes
Zertifikat aus. So können sich Anleger, aber auch
Gebäudenutzer, entweder über die Gesamtbewertung oder
in Form einer differenzierten Darstellung über die Eigenschaften
des Gebäudes informieren. Welche Kriterien wie
stark gewichtet werden, hängt vom jeweiligen System sowie
von den jeweiligen landestypischen Standards, Vorschriften
und klimatischen Bedingungen ab. Alle „großen“
Systeme bewerten jedoch die effiziente Nutzung von Ressourcen
wie Energie und Wasser. Auch der Standort, die
Nähe zu öffentlichen Verkehrsmitteln sowie der Komfort
finden bei den meisten Zertifizierungssystemen Berücksichtigung.
Kostenaspekte werden hingegen oftmals außer
Acht gelassen.
Das Nebeneinander der zahlreichen Zertifizierungssysteme
gibt aber auch Anlass zur Kritik, führt es doch dazu,
dass sich die Ergebnisse teilweise stark voneinander unterscheiden.
Was ein nachhaltiges Gebäude bzw. ein Green
Building auszeichnet, unterscheidet sich demnach von
Land zu Land und von System zu System. Bemängelt wird
zudem, dass zum Teil nur der Ist-Zustand zum Zeitpunkt
der Überprüfung berücksichtigt wird anstelle des gesamten
Lebenszyklus der Immobilie.
Regelmäßige Rezertifizierungen, die die nachhaltige Bewirtschaftung
der Immobilie kontrollieren und sicherstellen,
könnten hier Abhilfe schaffen. Darüber hinaus könnten
Initiativen wie die Sustainable Building Alliance zu einer
besseren Vergleichbarkeit beitragen. Die Dachorganisation,
der alle großen Zertifizierungssysteme angehören, wurde
mit dem Ziel gegründet, ein Rahmenwerk für systemübergreifende
Kriterien für nachhaltige Gebäude zu schaffen.
BREEAM
Das älteste, weltweit am
meisten verbreitetste Zertifizierungssystem
ist die
Building Research Establishment
Environmental
Assessment Method
(BREEAM). Sie wurde
1990 vom Building Research
Establishment, einem
Bauforschungsinstitut, in England
auf den Markt gebracht und
war Vorbild für viele andere Systeme weltweit. BREEAM
bezieht insbesondere die Kriterien Management, Energie,
Wasser, Landverbrauch und Ökologie, Gesundheit und
Wohlbefinden, Transport, Material und Verschmutzung
bei der Bewertung von Sanierungen und Neubauten ein.
Je nach Erfüllungsgrad werden Gütesiegel in den Abstufungen
„Ausgezeichnet“, „Sehr gut“, „Gut“ oder „Durchschnittlich/Bestanden“
vergeben. Nach BREEAM wurden
weltweit bereits über 200.000 Bauten zertifiziert (Stand
2016).
LEED
Auf BREEAM basierend entwickelte
der US Green Building
Council im Jahr 1996
das Zertifizierungssystem
Leadership in Energy and
Design (LEED). Das System
ist mittlerweile ein
anerkannter Standard in
vielen Ländern der Welt. Der
Kriterienkatalog umfasst die
Bereiche Nachhaltiger Grund und
Boden, Wassereffizienz, Energie und Atmosphäre, Materialien
und Ressourcen, Innenraumqualität sowie Innovation
und Designprozess. Eine Besonderheit von LEED sind
die Vorbedingungen: Sollten bestimmte Mindestanforderungen
– wie zum Beispiel die Verringerung negativer
28 Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
Bauen und Wohnen
Der Nutzer kann – wenn er nicht
zufällig selbst vom Fach ist –
die komplexen Anforderungen
und Entstehungsprozesse kaum
bewerten. Genauso wenig, wie
ich den Vitamingehalt eines
Orangensafts in meiner Küche
prüfen kann und deshalb auf das
entsprechende Zertifikat sehe.
Genau hier liegt die Funktion
von Zertifikaten und der Grund
dafür, dass sie immer
wichtiger werden.
Umweltauswirkungen durch Baustellenaktivitäten
oder aber die Berücksichtigung
von Recyclingmöglichkeiten
bei der Entsorgung – nicht erfüllt
werden, ist eine Zertifizierung von
vorne herein ausgeschlossen.
Gebäudezertifizierung in Deutschland
Prof. Alexander Rudolphie,
Präsident DGNB
Deutschland ist im internationalen
Vergleich ein Nachzügler in Sachen
Zertifizierungssysteme. Seit 2009
gibt es hierzulande das Deutsche Gütesiegel
Nachhaltiges Bauen (DGNB).
Das System entstand als Gemeinschaftsprojekt
des Bundesbauministeriums
und der Deutschen Gesellschaft
für Nachhaltiges Bauen und gilt als
eines der umfassendsten Zertifizierungssysteme
weltweit. So bewertet
es eine Vielzahl an ökonomischen,
ökologischen, soziokulturellen, technischen
und funktionalen Aspekten.
Nach einer Pilotphase, in der das
System erfolgreich erprobt wurde,
trennten sich die Wege der Partner.
Auf Basis des gemeinsam erarbeiteten
Systems führte das Bundesbauministerium
ein eigenes Bewertungssystem
fort: das Bewertungssystem Nachhaltiges
Bauen für Bundesbauten
(BNB). Während das DGNB-Zertifikat
von privaten Bauherren angewendet
wird, gilt die BNB-Zertifizierung für
öffentliche Bundesbauten. Bei beiden
Systemen können am Ende der Zertifizierungsphase
die Qualitätsstandards
Gold, Silber oder Bronze erreicht werden.
Das Qualitätssiegel Nachhaltiger
Wohnungsbau (NaWoh) ist ebenfalls
an das DGNB-System angelehnt. Es
ist jedoch kompakter und rechnet sich
dadurch auch für typische Anwender
des Wohnungsbaus wie Wohnungsbaugesellschaften
und -genossenschaften.
Das NaWoh-Bewertungssystem
wurde in der AG Nachhaltiger
Wohnungsbau entwickelt, findet seit
2012 auf freiwilliger Basis Anwendung
und ist auf die Bedürfnisse des
Wohnungsneubaus zugeschnitten.
Neben den britischen, US-amerikanischen
und deutschen Gebäudezertifizierungssystemen
gibt es viele weitere
Methoden: so etwa das französische
HQE (Haute Qualité Environnementale)
aus dem Jahr 2004, das australische
Green-Star-System, das seit 2003
besonders umweltfreundliche Büround
Gewerbebauten auszeichnet,
sowie das asiatische Casbee (Comprehensive
Assessment System for
Building Environmental Efficiency),
das 2001 in Japan eingeführt wurde.
Der neue „WELL Building
Standard“
Der WELL Building Standard wurde
vom International WELL Building Institute
entwickelt und wird von der Organisation
Green Business Certification
Inc. zertifiziert. Das Besondere: Die
Gebäudezertifizierung berücksichtigt
vornehmlich Gebäudemerkmale, die
einen Einfluss auf die Gesundheit und
das Wohlbefinden der Gebäudenutzer
haben. Dazu zählen etwa die Innenraumluftqualität
und Akustik, ausreichend
natürliches Tageslicht und die
Integration biophiler Designelemente.
Interface, ein Hersteller modularer
Bodenbeläge, hat dazu jetzt den Design
Guide „Positive Räume schaffen –
Mit dem Well Building Standard“ veröffentlicht.
Der Leitfaden richtet sich
an Architekten, Designer und Planer
und wurde mit dem Ziel entwickelt,
sie bei der Umsetzung des Standards
zu unterstützen. f
Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
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Bauen und Wohnen
Good Practice Beispiele
für zertifizierte Gebäude
50hertz Netzquartier
Architekturbüro: LOVE architecture
and urbanism
Fertigstellung: 2016
Standort: Berlin
Zertifikat: DGNB Diamant
Foto: LOVE architecture and urbanism
Deutsche Börse: The Cube
Architekturbüro: KSP Jürgen Engel Architekten
Fertigstellung: 2010
Standort: Eschborn bei Frankfurt
Zertifikat: LEED-Zertifikat Platin für deutsches Hochhaus
Fotos: Deutsche Börse AG
30 Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
Bauen und Wohnen
Büroturm 1 Bligh
Architekturbüro: Ingenhoven Architects
Fertigstellung: 2011
Standort: Sydney
Zertifikat: Green Star
Fotos: ingenhoven architects / HGEsch
The Edge
Architekturbüro: PLP Architecture
Fertigstellung: 2014
Standort: Amsterdam
Zertifikat: BREEAM NL New Construction
Fotos: Ronald Tilleman / OVG real estate
Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
31
Bauen und Wohnen
Advertorial
Moderne Gebäude müssen vielen
Ansprüchen genügen: Sie sollen nicht
nur möglichst energieeffizient, sondern
auch ein Ort zum Wohlfühlen
sein. Intelligente Fenster ermöglichen
genau das. Sie können das einströmende
Tageslicht und die Temperatur
in Sekundenschnelle regulieren. Die
Flüssigkristallfenster-Technologie
des Darmstädter Wissenschafts- und
Technologieunternehmens Merck bietet
dafür die Grundlage.
Ein Blick durch die Flüssigkristallfenster im Schachbrettmodus
– so lässt sich der helle und dunkle
Zustand der Scheiben gleichzeitig zeigen.
EINE SONNENBRILLE
FÜR FENSTER
Energetische Anforderungen für Neubauten und Sanierungen
sowie freiwillige Initiativen der Wirtschaft haben
laut Umweltbundesamt dazu geführt, dass der Energieverbrauch
für das Heizen von Gebäuden in den letzten Jahren
zurückgegangen ist. Im Vergleich dazu seien bei der Kühlung
jedoch gegenläufige Trends zu beobachten: Hier könnte
der Bedarf weiter steigen. Gründe dafür sind beispielsweise
wachsende Ansprüche an das Innenraumklima. Das
gilt sowohl für Wohn- als auch für Bürogebäude.
Das moderne Büro: Behaglich und lichtdurchflutet
Wie eine Studie herausfand, wünschen sich vor allem jüngere
Beschäftigte helle, lichtdurchflutete Räume mit großen
Fenstern. Der Nachteil: Gerade in den Sommermonaten
heizt das einströmende Tageslicht die Räume stark auf.
Um ein behagliches Innenraumklima sicherzustellen, kommen
in der Regel Klimaanlagen zum Einsatz. Jalousien oder
Rollläden dienen als Sonnen- bzw. Blendschutz. Allerdings
verdunkeln diese die Räume oft so stark, dass künstliches
Licht eingeschaltet werden muss.
Intelligente Fenster: Einsparungen von bis zu
40 Prozent möglich
Ein effizientes Licht- und Temperaturmanagement ist folglich
eine wichtige Stellschraube, um Energie und Kosten zu
sparen. Das dachte man sich auch bei Merck. „Wir haben
uns gefragt: Gibt es da nicht eine bessere, nachhaltigere
Lösung?“, erinnert sich der Chemiker Johannes Canisius.
Er ist einer der Köpfe hinter der neuen energieeffizienten
Technologie von Merck für intelligente Fenster. Seit
2012 arbeitet er mit seinem Team an der Entwicklung von
Flüssigkristallfenstern, den sogenannten Liquid Crystal
Windows (LCW). „Wir haben den Fenstern eine Art Sonnenbrille
aufgesetzt“, erläutert Johannes Canisius, der
das 2016 eigens für die LCW-Technologie gegründete Geschäftsfeld
im Unternehmensbereich Performance Materials
leitet. „Durch unsere Flüssigkristalltechnologie lässt
sich das einfallende Licht auf Knopfdruck regulieren. Bei
Sonne kann der Raum stufenlos auf wenige Prozent abgedunkelt
werden und heizt sich weniger stark auf. “ Ein
Vorteil gegenüber Jalousien ist, dass das Licht durch die
mit der LCW-Technologie ausgestatteten Fenster hindurch
gelassen und ein unverändert freier Durchblick gewährt
wird. Alles in allem geht man bei Merck von Einsparungen
von bis zu 40 Prozent beim Gebäudeenergieverbrauch aus.
Merck: 110 Jahre Erfahrung mit Flüssigkristallen
Flüssigkristalle finden sich unsichtbar in vielen Alltagsgegenständen
wieder. So werden sie seit Langem in flachen
Displays von Smartphones, Tablets oder Fernsehern eingesetzt.
Merck arbeitet eigenen Angaben zufolge seit mehr
als 110 Jahren mit Flüssigkristallen und ist mit seiner
Erfahrung und seinem Know-how auf diesem Gebiet der
32 Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
Foto: Ingmar Kurth / Merck
weltweit führende Lieferant für Display-Hersteller.
Mit Fenstern bringt man diese Technologie
in der Regel nicht in Verbindung.
Bis jetzt: Unter dem Markennamen
Licrivision bietet Merck seine
Flüssigkristallmaterialien nun auch
für den Einsatz in intelligenten Fenstersystemen
an. Das funktioniert ähnlich
wie bei Displays: Durch Anlegen
einer elektrischen Spannung können
die Flüssigkristalle in verschiedene
Anordnungen gebracht werden. Je
nach Anordnung strömt mehr oder
weniger Licht und damit Wärme durch
die Flüssigkristallschicht, die unsichtbar
zwischen zwei Glasscheiben eingebracht
wird. Auf diese Weise lässt
sich das Fenster sehr komfortabel heller
oder dunkler schalten – individuell
oder auch automatisch und zentral
über Innen- und Außensensoren. Auf
Wunsch liefern integrierte Solarzellen
den Strom.
Über die Sonnenschutzfunktion hinaus
lassen sich Liquid Cristal Windows
auch als Sichtschutz verwenden. In
der sogenannten Privacy-Variante
lässt sich die Scheibe bei Bedarf von
kristallklar auf milchig-undurchsichtig
schalten. Konferenz- oder auch
Wohnräume schützt sie so vor ungewollten
Blicken von außen.
Die Flüssigkristallfenster-Module können
sowohl bei Neubauten als auch
bei Sanierungen eingesetzt werden,
passen sie doch in alle Standardrahmen
und Fassaden sowohl neuerer als
auch älterer Gebäude. Die LCW-Technologie
lässt sich in jede gewöhnliche
Doppel- oder Dreifachverglasung integrieren,
eignet sich für jegliche Form
und Größe und bietet verschiedene
Farbvarianten. Das macht sie vor allem
für Architekten und Designer so
interessant.
LCW: Komfort und Umweltschutz
im Einklang
Nicht nur mit Blick auf Komfort
und Design, sondern auch unter
Nachhaltigkeitsgesichtspunkten hebt
sich die LCW-Technologie positiv
von anderen Sonnenschutzlösungen
ab: Die Materialmenge für die Flüssigkristallschicht
ist laut Merck sehr
gering.
Dass die LCW-Technologie darüber
hinaus sehr haltbar, temperatur- und
UV-resistent ist, zeigt die Praxis: Die
westliche Fensterfront des Innovationszentrums
von Merck in Darmstadt
ist seit 2015 mit Flüssigkristallfenstern
ausgestattet. Seitdem trotzen sie
erfolgreich auch widrigen Wetterbedingungen
wie starker Hitze oder Eiseskälte.
Die Sonnenschutz- und „Privacy“-Anwendung
wiederum findet
sich seit September 2016 ebenfalls in
Darmstadt im neuen OLED-Produktionsgebäude.
Flüssigkristallfenster – der neue
Standard
„
Bauen und Wohnen
Moderne Bauwerke bekommen immer mehr
Ähnlichkeit mit lebenden Organismen. Ihre
Fassade gleicht einer Haut, die dafür sorgt,
dass es im Inneren komfortabel ist. Wie im
menschlichen Körper müssen auch in
einem Gebäude alle Teile harmonisch
zusammen funktionieren. Unsere Flüssigkristalle
reihen sich hier bestens ein. Sie
lassen sich nahtlos in andere Licht- und
Energieregulierungen eines Gebäudes
integrieren, nutzen das Tageslicht optimal
aus und machen das Bauwerk zu einem
Platz, an dem wir uns gerne aufhalten.
Caspar van Oosten, Geschäftsführer von Merck Window Technologies,
ehemals Gründer und Miteigentümer des niederländischen Start-up-Unternehmens
Peer+, das die LCW-Technologie gemeinsam mit Merck entwickelt hat.
Bei Merck ist man überzeugt, dass
Flüssigkristallfenster schon in absehbarer
Zeit zum Standard werden.
Michael Heckmeier, Leiter der Geschäftseinheit
Display Solutions: „Liquid
Crystal Windows haben unserer
Flüssigkristalltechnologie eine ganz
neue Richtung gegeben. Sie werden
schon bald fester Bestandteil moderner
Architektur und nachhaltigen Gebäudemanagements
sein.“ Daher ist
es nur konsequent, dass Merck Ende
vergangenen Jahres rund 15 Millionen
Euro in eine eigene Produktionsstätte
für Flüssigkristallfenster-Module
im niederländischen Veldhoven
(bei Eindhoven) investiert hat. Für
die Technologie erhielt Merck ebenfalls
2017 den Technology Innovation
Award in der Kategorie „Smart Glass
Industry“ von Frost & Sullivan.
Die Jury hob vor allem die schnellen
Schaltzeiten, die Langlebigkeit, die
Anpassungsfähigkeit und die Ästhetik
des Produkts als wichtige Eigenschaften
von intelligenten Verglasungen
hervor. Bei allen diesen Kriterien
habe Merck die Nase vorn. Auf diesem
Erfolg will man sich bei Merck aber
nicht ausruhen: Längst arbeitet man
am Einsatz der LCW-Technologie in
Fahrzeugen. Weitere Anwendungsgebiete
wie die Luft- und Seefahrt werden
derzeit erforscht. f
Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
33
Bauen und Wohnen
Die leisen
Die Diskussionen um Luftqualität im Freien nehmen kein Ende. Der
jüngste Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts zum Diesel-Fahrverbot
zeigt: Das Ringen um saubere Atemluft ist ein langwieriger Prozess,
dem nicht mit einfachen Antworten beizukommen ist. Was kaum Beachtung
findet: Auch unsere Luft in Innenräumen ist längst nicht mehr so
sauber, wie sie sein sollte.
Wer gesund sein will, sollte Krankheiten
meiden. Was ironisch
klingt, hat durchaus einen ernsten
Hintergrund: Unser modernes
Verständnis von Gesundheit
und ihrer Erhaltung suggeriert
Mess-, vor allem aber Planbarkeit.
Digital erfassen wir unsere
Vitaldaten, machen Sport
zum optimalen Zeitpunkt in
der optimalen Herzfrequenz,
stimmen die Ernährung individuell
darauf ab. Trotz aller
Mühen wird ein Faktor in der
öffentlichen Wahrnehmung so
gut wie ausgeblendet: Die Luftqualität
in unseren Innenräumen.
Dabei drängt sich das Thema bei
näherer Betrachtung förmlich
auf. Mitteleuropäische
Erwachsene halten sich
bis zu 90 Prozent des
Tages in geschlossenen
Räumen auf, etwa am
Arbeitsplatz, zu Hause,
in Verkehrsmitteln wie
Bus oder Auto, in öffentlichen
Einrichtungen.
Das ist Zeit, in denen sie
alles einatmen, was in geschlossenen
Räumen ausdünsten kann: Kleber,
Farben, Lacke, Textilien oder andere
Baustoffe, zusammengefasst als
„Flüchtige organische Verbindungen“
(VOC, Volatile Organic Compounds).
Es muss gar nicht mal Asbest sein.
Erschreckend: Nach einer Analyse der
Weltgesundheitsorganisation (WHO)
starben 2012 weltweit etwa 3,7 Millionen
Menschen an Luftverschmutzung
im Freien, aber 4,3 Millionen an
schlechter Luft in Innenräumen.
Multiple Chemikalien-Sensibilität
Sogar ein eigenes Krankheitsbild
haben Experten schon definiert, welches
zum Großteil auf die unbemerkten
Emissionen zurückzuführen ist.
Menschen mit „Multipler Chemikalien-Sensibilität“
leiden unter starken
Kopfschmerzen, Hautausschlag, Husten,
Bauchschmerzen, Übelkeit, Asthma
oder Schwindel. Die Liste der möglichen
Symptome ist genauso lang
wie unspezifisch. Das Problem: Wird
die Quelle der Ausdünstungen nicht
beseitigt, nutzt eine medizinische Behandlung
nur sehr wenig.
Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
Bauen und Wohnen
Lüften und Lehmhütten
Was tun gegen die leise Luftverschmutzung? Das Umweltbundesamt
hat beispielsweise Tipps für richtiges Lüften
von Innenräumen herausgegeben. Klingt banal, ist aber
wichtig, sind doch Innenräume je nach Funktion anderen
Schadstoffen ausgesetzt. Im Badezimmer ist es feuchter als
in einem Konferenzraum. Regelmäßiges Stoßlüften ist nach
wie vor das Mittel der Wahl. Letztendlich kommt aber hier
die Diskussion um die grundsätzliche Luftqualität ins Spiel.
Lüften nutzt nur dann etwas, wenn die zirkulierende Luft
aus dem Freien sauber ist. Auch der Standort des Gebäudes
ist von Bedeutung: Steht das Wohnhaus an einer Hauptverkehrsstraße,
wird die Frage, ob man das Fenster öffnet, im
wahrsten Sinne zur Wahl zwischen Pest und Cholera.
Erfolgsversprechend ist der Einsatz von neuartigen Baumaterialien.
In heißeren, aber auch gemäßigten Klimazonen
schätzen die Menschen seit Jahrtausenden die feuchtigkeitsregulierende
Eigenschaft von Lehm. Der antike Baustoff
kann sowohl Feuchtigkeit speichern als auch wieder
abgeben, falls die Luftfeuchtigkeit im Raum entsprechend
sinkt. Dabei wird die Luft gefiltert und Schadstoffe werden
gebunden. In Berlin forschen Wissenschaftler deshalb daran,
diese Eigenschaft in zeitgemäße Baustoffe zu übertragen
und damit die Luftqualität in Neubauten zu verbessern.
Angenehmer Nebeneffekt: Lehm bietet eine ausgezeichnete
Wärmedämmung, die ihn als Baustoff noch attraktiver
macht. f
Die Rohbau-Riecher
Neue Materialien und Bauprodukte verströmen oft unangenehme
Gerüche. Um ihnen auf die Spur zu kommen,
entwickelten die Forscher des Fraunhofer Instituts für
Bauphysik (IBP) die Skala „Smell Intensity Level“
(SmILe). Sie soll helfen, die Fehlgerüche von Räumen
und Materialien zu identifizieren. Anhand der Skala
können die sogenannten „Geruchsprüfer“ die aufgenommenen
Ausdünstungen bewerten. Diese besteht aus
insgesamt sieben Kategorien von „kaum wahrnehmbar“
bis „extrem stark“. Bislang schulte das Fraunhofer
Institut 30 Personen zum Geruchsprüfer. Die Prüfung
eines Raumes verläuft unkompliziert: Die Prüfer betreten
den ungelüfteten Raum und bewerten ihn dann hinsichtlich
der empfundenen Geruchsintensität. Je mehr
Personen vor Ort sind, desto statistisch genauer ist das
Ergebnis. Das wird dann mithilfe der „SmILe“-Skala
genau ermittelt. Ziel dabei ist es, die Entwicklung
geruchlich verbesserter Bauprodukte zu fördern.
Zusätzlich können so die Auswirkungen der Materialien
auf die Innenraumluftqualität definiert werden.
Grafiken: phocks eye / stock.adobe.com
Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
35
Bauen und Wohnen
Wenn der Sand
Bauvorhaben verbrauchen weltweit so viel
Sand und Kies, dass der Rohstoff in einigen
Gegenden bereits knapp wird. Wird er dabei
massiv aus dem Meer abgebaut, verändern
sich die maritimen Ökosysteme. Das macht
Baustoffrecycling und den Einsatz alternativer
Baumaterialien notwendig, um den Gebäudebau
nachhaltiger zu gestalten.
Weil es so viel Sand auf der Welt gibt, wird seine Bedeutung
oft unterschätzt. Der Rohstoff steckt in vielen Produkten,
die uns täglich umgeben und unerlässlich für uns sind.
Er kommt in Zahnpasta, Kosmetika, Arzneimitteln, aber
auch in Papier, Mikrochips oder Solarzellen vor. Darüber
hinaus ist Sand der wichtigste Bestandteil von Stahlbeton,
ohne den wir keine Straßen, Brücken oder Häuser bauen
könnten. Laut UN-Umweltprogramm UNEP werden so jährlich
bis zu 60 Milliarden Tonnen Sand und Kies gefördert.
Der Großteil davon wird für Infrastruktur- und Bauvorhaben
genutzt. Allerdings taugt nicht jeder Sand als Baustoff.
Wüstensand etwa eignet sich kaum für Beton und
Landaufschüttungen, da seine Körner durch Erosion rund
geschliffen sind und sie daher das Material nicht gut binden
können. Das erklärt auch, warum eine Stadt wie Dubai
beispielsweise tonnenweise Sand aus Lagerstätten der Ostküste
Australiens für seine künstlichen Inseln importieren
musste.
Ökosysteme verändern sich
Eigentlich wird Sand ständig auf natürliche Weise produziert,
indem Felsfragmente in Flüssen auf ihrem Weg von
den Bergen ins Meer mechanisch zerkleinert und >>
36 Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
Bauen und Wohnen
ausgeht
Foto: Marion Lenzen
Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
37
Bauen und Wohnen
weiter transportiert werden. Dieser Vorgang dauert allerdings
Jahrtausende und der aktuelle Verbrauch ist größer
als das, was die Natur herstellen kann. Dabei hat der
Sandabbau zum Teil gravierende Folgen, die ganze Ökosysteme
verändern.
Stammt der Rohstoff beispielsweise aus Meeresvorkommen,
haben zuvor Saugbaggerschiffe den Boden metertief
abgetragen; mit allen dort lebenden Tieren und Pflanzen.
In Küstenregionen verstärkt der Rohstoffgewinn die Erosion,
weil u.a. ganze Strände abgebaut werden. Der Rohstoffgewinn
in Flussbetten führt wiederum dazu, dass weniger
Material an die Küsten gespült wird und die Landschaft
sich nicht regenerieren kann.
Dass der Sandabbau nicht nur ökologischen Schaden anrichtet,
sondern auch politische Konsequenzen nach sich
zieht, zeigt sich in Asien am Beispiel Singapur. Das kleine
Land hat UNEP zufolge mit 5,4 Tonnen pro Jahr weltweit
den größten Sandverbrauch pro Kopf. Der Grund: In Singapur
hat sich die Bevölkerung innerhalb von wenigen Jahrzehnten
derart vervielfacht, dass die Regierung 130 Quadratkilometer
Land aufgeschüttet hat, um den notwendigen
Platz für die Menschen zu schaffen. Der Sand dafür stammte
hauptsächlich aus Indonesien, wo durch den Rohstoffabbau
mehrere Inseln verschwanden. Das wiederum führte
zu Streitigkeiten über die Abgrenzung von Hoheitsgewässern,
wie der Tagesspeigel berichtet.
Situation in Deutschland
In Deutschland ist der Sandabbau mit ganz eigenen Problemen
verbunden: „Aufgrund seiner Entstehung gibt es
in Deutschland eine fast unendlich große Menge an Sand,
sodass ihre Tonnage nicht genau berechnet werden kann.
Nur in ganz wenigen Regionen wie in den Großräumen
München oder Stuttgart besteht eine geologische Knappheit.
Allerdings hat die geologische Verfügbarkeit von Sand
nur zu einem geringen Teil mit der tatsächlichen Situation
zu tun“, sagt der Geologe Dr. Harald Elsner von der Bundesanstalt
für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR).
Denn hierzulande stehen viele Sandvorkommen gar nicht
zur Verfügung. Das hat mehrere Gründe: So liegen sie entweder
in Naturschutzgebieten oder unter überbauten Flächen.
In Baden-Württemberg zum Beispiel sind 85 Prozent
der Landesfläche durch diese vorrangigen Nutzungen bereits
verplant.
Foto: Marion Lenzen
Auch die aktuelle Entwicklung auf dem Grundstücksmarkt
behindert die ausreichende Versorgung mit Baurohstoffen,
weiß man bei der BGR. So geben immer weniger Landwirte
ihre Flächen für einen Rohstoffabbau frei. In Zeiten niedriger
Zinsen und gleichzeitig steigender Preise für Ackerland
lohne es sich für sie nicht, ihre Flächen zu verkaufen
oder zu verpachten.
Außerdem erschweren langwierige Genehmigungsverfahren
für neue Gewinnungsvorhaben und nicht ausreichende
Verarbeitungskapazitäten der Baustoffindustrie die
Versorgungssituation mit Baurohstoffen. Als Folge davon
traten im Jahr 2017 erstmals im Ruhrgebiet Versorgungsengpässe
mit Baurohstoffen für den Straßenbau auf. Für
2018 rechnen die Industrieverbände mit weiteren Lieferengpässen,
die auch andere Regionen Deutschlands betreffen
könnten.
Holz kann jetzt auch hoch
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, um mit der drohenden
Sandknappheit umzugehen und die bestehenden Rohstoffvorkommen
zu schonen. Dazu gehört das Recycling von Beton,
um das Material erneut zu verwenden. Dem Umweltbundesamt
zufolge ließen sich bis zum Jahr 2050 mehr als
ein Drittel der Sand- und Kiesmengen durch aufbereitete
Abbruchmaterialien ersetzen. Bis dahin ist es aber noch
38 Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
Bauen und Wohnen
ein weiter Weg, weil die Wiederverwertung
von Bauschutt aufwendig
und teuer ist. Das Problem: Wenige
denken beim Bauen das Recycling mit
und verwenden die Materialien so,
dass sie im Nachhinein nur schwer
voneinander zu trennen sind.
Wenn also das Baustoffrecycling noch
nicht die benötigte Menge an einsetzbaren
Materialien liefert, müssen Alternativen
her, um künftig genügend
Wohnungen und Häuser bauen zu
können. Und das im großen Stil. Wie
das funktionieren kann, zeigen die
Fortschritte beim Bau von Holzhäusern.
Hier hat sich jüngst ein richtiger
Wettbewerb der Superlative entwickelt,
bei dem mehrere Bauherren
versprechen, das jeweils höchste Gebäude
ihrer Art zu errichten.
Ein Beispiel dafür ist das Wohngebäude
Skaio, das bis 2019 in Heilbronn
fertiggestellt wird. Es besteht aus
insgesamt zehn Geschossen und soll
Platz für 60 Mietwohnungen bieten.
Nach Angaben der ausführenden Firma
Züblin Timber ist es mit 34 Metern
Höhe das erste Holzhochhaus
Deutschlands. Das Gebäude wird in
einer sogenannten Holz-Hybrid-Bauweise
errichtet: Wände und Decken
sind dabei aus Holz und werden den
überwiegenden Teil der Konstruktion
ausmachen. Ganz ohne Beton kommt
die Hybrid-Konstruktion aber nicht
aus. Sockelgeschoss und Treppenhaus
bestehen jeweils aus Stahlbeton. Das
verlangt das deutsche Baurecht aus
Brandschutzgründen.
Ein großer Vorteil der Holzbauweise
ist die vergleichsweise kurze Bauzeit;
die Holzbauteile werden weitgehend
vorgefertigt und vor Ort lediglich
montiert. „Wir bauen ein Stockwerk
pro Woche“, sagt Markus Brandl,
Projektleiter bei Züblin Timber. Die
Stützen der beiden Neubauten bestehen
aus Brettschichtholz. Für die
Holzwände und -decken verwendet
das Unternehmen ausschließlich Fichtenholz
– überwiegend aus deutschen
Wäldern und durchweg versehen mit
PEFC-Zertifikat, dem Siegel für nachhaltige
Forstwirtschaft.
Baumaterialien aus nachwachsenden
Rohstoffen haben den Vorteil, dass
die Produktion relativ wenig Energie
benötigt. Stammen sie darüber hinaus
aus der Region, ist auch ihr Transport
energie- und emissionsarm. Neben
Holz testen Wissenschaftler noch weitere
nachwachsende Materialien wie
Hanf, Stroh, Schafwolle oder Seegras,
die künftig beim Bauen vermehrt Einsatz
finden können. Hier allerdings in
erster Linie als Dämmstoffe.
Wenn das mal nicht aufweicht
Auch Häuser aus Altpapier sind möglich,
wie die Schweizer Firma Ecocell
mit ihrem Bausystem zeigt. Sowohl
feuer- als auch wasserresistent, besteht
der Kern aus einer Wabenstruktur
aus 100 Prozent Recyclingpapier
mit einer hauchdünnen Schicht aus
Zement. Im Sandwichverbund mit
Holz ergibt die Betonwabe die erste
statisch belastbare Isolation und zugleich
tragende Hauswand in einem –
ohne dabei auf die üblichen Baumittel
wie Beton, Kies oder Sand zurückgreifen
zu müssen.
Gebaut wird mit fertigen Wandelementen,
auch Baukastenprinzip genannt.
Dies macht den Aufbau nicht
nur schnell, sondern auch preiswert.
Die Wandelemente werden nach dem
Nut- oder auch Federprinzip verbunden
und sind somit wieder lösbar. Ein
weiterer Vorteil: die Häuser sind erdbebensicher.
So können die Bausätze
in Containern verschickt und für die
Katastrophenhilfe in anderen Ländern
eingesetzt werden. Auch der Hausbau
hierzulande für Flüchtlingsunterkünfte
könnte so vereinfacht und vorangetrieben
werden. f
(H)ausgedruckt
Ohne Bagger, Bauschutt und
Gerüst – Häuser könnten in
Zukunft einfach und schnell mit
einem 3-D-Drucker entstehen.
Das klingt unglaublich, ist aber
Realität. Ein Vorzeigeobjekt
dafür ist die chinesische Stadt
Suzhou in der Nähe von Shanghai.
Die Stadt hat mehr als zehn
Millionen Einwohner – und einen
enormen Engpass an Wohnfläche.
Auf einem Industriegelände
der Millionenstadt steht
seit 2015 ein Prototyp für ein
ausgedrucktes Haus. Mit einem
selbst entwickelten 3-D-Drucker
setzte das Bauunternehmen
Winsu die einzelnen Elemente zu
1.100 Quadratmetern Wohnfläche
auf zwei Stockwerken
zusammen. Insgesamt soll das
nur zwei Tage gedauert haben.
Die Häuser werden schichtweise
ausgedruckt und als einzelne
Elemente auf herkömmliche
Stahlträger gesetzt und dann
zusammengefügt. Dabei wird
kein Baustoff verschwendet. Die
Wände sind hohl und bestehen
aus Rohstoffresten und Bauabfällen.
Für den Bau verwendet
Winsu ausschließlich recycelten
Beton.
Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
39
Bauen und Wohnen
URBAN MINING–
der verborgene Rohstoffschatz in der Stadt
Foto: skpw / stock.adobe.com
Viele der weltweiten Ressourcen werden knapp. Während natürliche Reserven schrumpfen,
ist die moderne Stadt längst zu einer riesigen Rohstoffmine geworden. Urban Mining will diese
wertvollen Rohstoffe langfristig sichern – und steht dabei vor großen Herausforderungen.
Von Victoria Scherff
Etwa 50 Milliarden Tonnen Materialien haben wir seit dem
zweiten Weltkrieg angehäuft, vieles davon verbaut in Gebäuden,
Infrastruktur und langlebigen Konsumgütern wie
Autos. Dieses Materiallager ist keine schlechte Basis für
das als rohstoffarm geltende Deutschland, das Erze und
Metalle komplett importieren muss.
Und nicht nur in den Städten Deutschlands findet sich dieser
Rohstoffreichtum: Jede dicht besiedelte industrialisierte
Stadt ist eine riesige Rohstoffmine. Denn es sind vor allem
die Industrieländer, die mit 15 Prozent Anteil an der weltweiten
Bevölkerung rund ein Drittel der globalen Rohstoffe
verbrauchen und verbauen. Warum nicht diese städtischen
Rohstoffminen sinnvoll nutzen?
Was ist Urban Mining?
Bei diesem Gedanken setzt Urban Mining an und will die
in unseren Städten und unserer Umwelt verbauten Rohstoffe
aufspüren, sichern und nutzbar machen – ohne sie
abzuwerten. Städtische Rohstoffförderung statt klassischer
Bergbau also – Urban Mining gewinnt Rohstoffe aus langlebigen
Gütern wie Elektrogeräten, Autos, Bahntrassen und
Gebäuden zurück.
Verbaute Materialien wie Ziegel, Gips, Beton, Stahl, Metalle
wie Kupfer, Aluminium und Cobalt, aber auch Asphalt und
Holz werden so als Sekundärrohstoffe wieder nutzbar. Das
Potenzial des menschengemachten Lagers ist enorm:
f Allein auf einer PC-Leiterplatte gibt es 44 unterschiedliche
chemische Elemente.
f In deutschen Bahnhöfen sind rund 32 Millionen Tonnen
Materialien langfristig eingebunden.
f In Japan wird die urbane Silber-Mine auf 24 Prozent der
weltweiten Reserven geschätzt.
f Aus einem durchschnittlichen Altbau mit zehn Wohnungen
fallen rund 1.500 Tonnen Material zur Verwertung
an, darunter 70 Tonnen Metalle und 30 Tonnen Kunststoffe,
Bitumen und Holz, berechnete das Umweltbundesamt
(UBA).
40 Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
Bauen und Wohnen
Und auch das ist Urban Mining: Die
Rückgewinnung des seltenen Phosphors
aus städtischem Klärschlamm.
In der Schweiz etwa fällt jährlich so
viel Phosphor an, wie importiert wird.
Urban Mining ergänzt Abfallwirtschaft
Doch was unterscheidet Urban Mining
von der klassischen Abfallwirtschaft?
Urban Mining will „möglichst früh
künftige Stoffströme prognostizieren,
[…] noch bevor die Materialien als Abfall
anfallen“, so das UBA. Urban Mining
ergänze also die Abfallwirtschaft
um den Kreislaufgedanken und will
vor allem die wertvollen Stoffströme
sinnvoll und planbar managen. Nicht
zuletzt will Urban Mining die wertvollen
Stoffe noch vor Abriss und Entsorgung
aufspüren, um sie somit sofort
zu sichern und sortenrein voneinander
zu trennen.
Eine Sonderform des Urban Mining
ist das Landfill Mining – die Förderung
von Wertstoffen aus Abfällen,
die bereits auf den Mülldeponien liegen.
Glas, Metall, Kunststoffe: In alten
Mülldeponien liegen Tausende Tonnen
wertvoller Materialien.
Großes Potenzial, schwierige Planung
Das UBA schätzt, dass sich in den
vergangenen 50 Jahren rund 42 Milliarden
Tonnen in deutschen städtischen
Lagern angesammelt haben.
Zum Vergleich: Im Jahr 2000 wurden
weltweit genauso viele Rohstoffe neu
gewonnen. Mit jährlich 200 Millionen
Tonnen sind Baureste wie Bauschutt,
Straßenaufbruch, Steine und Baustellenabfälle
die größte Abfallfraktion.
Urban Mining mag lukrativ und nachhaltig
erscheinen, doch noch ist die
Umsetzung schwierig. Die städtischen
„Minen“ zu kennen und zu wissen,
wann welche Materialien wieder frei
werden – das ist eine der größten Herausforderungen.
Nicht zuletzt müssen
die wertvollen Materialien richtig gefördert,
getrennt und aufbereitet werden.
Um besser zu wissen, welche Materialien
etwa in einem Gebäude verbaut
wurden, schlägt das UBA vor, dass der
Gebäudepass neben dem Energieausweis
auch einen Materialpass haben
soll. Dabei ist die Idee des Materialpasses
nicht neu, er werde jedoch
noch nicht überall eingesetzt.
Die urbane Mine, die jeder hat
Urban Mining mag als Begriff und
Idee etwas alltagsfremd erscheinen,
dabei haben die meisten von uns mindestens
eine kleine städtische Mine in
den eigenen vier Wänden: ausgediente
Handys und Smartphones.
Und die sind wahre Schatztruhen:
Etwa 60 verschiedene Materialien
stecken in jedem Handy, ungefähr die
Hälfte davon sind Metalle wie Gold,
Silber und Platin. Das UBA schätzt,
dass 85 Millionen ungenutzte Handys
in den deutschen Schubladen liegen.
Zusammengerechnet ergibt das einen
großen Schatz: Über 21 Tonnen Silber,
zwei Tonnen Gold, 765 Tonnen Kupfer
und viele weitere Metalle. Wertvolle
Metalle, die in begrenzten Mengen auf
der Erde verfügbar sind – und die unter
teils großen Belastungen für Umwelt
und Mensch abgebaut wurden.
Die Minen der Zukunft?
Fest steht: Die Rohstoffe unserer Erde
sind großenteils endlich. Sie zu fördern,
greift empfindlich ins Ökosystem
ein, nicht selten werden dabei
umweltschädliche Substanzen freigesetzt,
es kommt zur Ausbeutung von
Menschen und zu kriegerischen Auseinandersetzungen
im Wettbewerb
um die knappen Ressourcen.
Urban Mining nutzt bereits in den
Kreislauf gebrachte Rohstoffe und
trägt somit dazu bei, die natürlichen
Ressourcen der Erde zu schonen.
Gleichzeitig erlaubt es anderen, weniger
entwickelten Ländern, auf noch
verfügbare Ressourcen zuzugreifen
und sich somit weiterzuentwickeln.
Urban Mining kann die Rohstoffversorgung
von morgen sichern, vorausgesetzt
die städtischen Minen werden
systematisch erfasst. Und wir können
schon jetzt selbst zu städtischen „Minenarbeitern“
werden – indem wir unsere
alten Handys aus den Schubladen
holen. f
Im Original erschienen bei
utopia.de.
Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
41
Bauen und Wohnen
Biotope
Kleine
zwischen Wolkenkratzern
und Maschinenpark
Außenfassaden, Dächer und Grundstücksflächen von Firmen
erweisen sich überraschend oft als kleine Biotopinseln für
Vögel und Insekten. Durch gezielte Maßnahmen versuchen
manche Unternehmen, die „wilde“ Natur auf ihrem Firmengelände
zu fördern. Manchmal kommt die Natur aber auch
von allein ins Bankenviertel oder Industriegebiet.
Von Andreas Scholz
Der größte Gegner der Planer des
Bahnprojekts „Stuttgart21“ ist gerade
einmal drei Zentimeter lang, hat sechs
Beine und einen ziemlich dicken Kopf.
Die Rede ist vom seltenen und daher
geschützten Juchtenkäfer. Einen Dickkopf
hatten auch die, die sich für oder
gegen seine Baum-Zuhause am Stuttgarter
Bahnhof einsetzten. Was folgte,
war eine Geschichte über den normalen
Wahnsinn bei der Planung eines
Großprojekts.
Foto: RWE Power AG
Eine der Lehren aus dem Streit um
den Bau von „Stuttgart21“ ist: Heutzutage
müssen Politiker und Firmen mit
gestiegenem Flächenanspruch häufig
für ökologische Ausgleichsmaßnahmen
sorgen. Neben dem starken
Flächenverbrauch sorgt eine weitere
Entwicklung dafür, dass die Lebensräume
für Tiere und Pflanzen im 21.
Jahrhundert knapper werden. In einer
monotonen Landwirtschaft finden
Vögel und Insekten nämlich immer
42 Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
Bauen und Wohnen
Foto: Rolf Schwarz
weniger Nahrung. Daher ziehen sie auf ihrer Suche nach
Futter immer öfter in unsere Städte – in manchen Regionen
schweben heutzutage teilweise mehr Bienen und Insekten
in den urbanen Ballungsgebieten durch die Lüfte als im
ländlichen Raum.
Vor dem Hintergrund des Klimawandels und des schleichenden
Rückgangs der Artenvielfalt findet aber langsam
ein allgemeines Umdenken statt. Nicht nur kleine Betriebe
auf der grünen Wiese, sondern auch große Industrie- und
Dienstleistungsunternehmen wollen durch ökologische
Ausgleichsmaßnahmen oder umweltfreundliche Betriebsgelände
der Natur etwas zurückgeben.
Schwaben sind Vorreiter
Eine Vorreiterrolle im Umweltschutz nimmt das Bundesland
Baden-Württemberg ein. Für Firmen aus dem „Ländle“
hat die Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz
Baden-Württemberg (LUBW) schon vor Jahren
einen Leitfaden für ein naturnahes Betriebsgelände entwickelt:
Unternehmen, die im Einklang mit der Natur leben
möchten, erhalten Tipps, wie sich naturnahe Außenanlagen
realisieren lassen. Dass eine moderne Gebäudegestaltung
und Artenvielfalt sich nicht ausschließen, zeigt etwa
die Unternehmenszentrale von GETRAG in Untergruppenbach
am Fuße der Löwensteiner Berge. Der Antriebsspezialist
GETRAG verschreibt sich bereits seit geraumer Zeit
den Nachhaltigkeitsgedanken. „Beim Thema Nachhaltigkeit
sind wir der Überzeugung, dass nur bei einem Gleichgewicht
von Umwelt, Ökonomie und Gesellschaft unser
Anspruch erfüllt werden kann“, erklärt Bo Zhang, Specialist
Internal und External Communications.
Das GETRAG Gebäude steht mit fast 14.000 Quadratmetern
Grundfläche aufgrund der besonderen Geologie auf
550 Pfählen, die aneinandergereiht eine Länge von 5.300
Metern hätten. „Wir haben der Natur Fläche weggenommen,
diese aber in Form von begrünten Dachflächen und
4.500 Quadratmetern Wasserfläche zurückgegeben und
damit höchste biologische Vielfalt ermöglicht“, erklärt
Zhang.
Aus der Vogelperspektive sehen die Gründächer aus wie
Wiesen und Felder. Der Unternehmenshauptsitz ist eines
der ersten Gebäude weltweit, das in derart hohem Maß Regenwasser
im Sanitärbereich und als Löschwasser nutzt.
„Fische, Seerosen sowie viele weitere Tiere und Pflanzen
finden rund um das Gebäude ein Zuhause“, erläutert
Zhang. Regelmäßig findet für Mitarbeiter am Standort in
Untergruppenbach auch eine Nachhaltigkeitswoche statt.
Imker aus der Region erklären dann anhand von Bienenschaukästen
am See hinterm hohen Schilf die hohe ökologische
und ökonomische Bedeutung der Honigbiene. >>
Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
43
Bauen und Wohnen
Dachbegrünung spart Geld
Doch nicht nur auf den Gründächern
von GETRAG in Untergruppenbach
finden Honigbienen, Wildbienen
und Schmetterlinge dank Dachpflanzen
wie Mauerpfeffer und Co. einen
reich gedeckten Tisch vor. Nur von
der Dachterrasse des Sudhauses in
Schwäbisch Hall wird sichtbar, dass
es auch auf dem Dach der direkt gegenüberliegenden
Kunsthalle Würth
„bunt“ zugeht.
Die Kunsthalle Würth wurde 2001
von dem bekannten Unternehmer
und Kunstmäzen Reinhold Würth in
Schwäbisch Hall gegründet. Vordergründig
zur Wärmedämmung angelegt,
entpuppen sich die Salbei- und
Mauerpfefferkolonien auf dem Dach
der Kunsthalle als wahre Insektenweiden
und stehen in ihrer Farbenpracht
den Meisterwerken ein Stockwerk tiefer
in nichts nach.
Der Trend zum Gründach nimmt bei
großen Industrieunternehmen zu.
Denn: mit einem durchdachten Regenwassermanagement
können Firmen
zudem hohe Gebühren für Abwasser
sparen. Gründächer wirken sich
durch ihre wärmedämmenden Fähigkeiten
positiv auf die Energiebilanz
aus. Dass Schmetterlinge und Bienen
sich auf den Gründächern wohlfühlen,
ist ein schöner Nebeneffekt.
Auf ein Naturdach setzte auch der
Softwareriese SAP bei der Planung
des Hauses im Park in St. Ingbert. In
Kooperation mit der Firma Optigrün
– einem der international führenden
Anbieter für Dachbegrünung mit Sitz
im schwäbischen Krauchenwies – entstanden
2010 in einem Pionierprojekt
üppige Grünbereiche in luftiger Höhe.
Den Klimawandel und die Energiebilanz
stets vor Augen ziehen weitere
Industriebetriebe mit Gründächern
nach.
Foto: Andreas Scholz
Bagger als Brutplatz
Ein Firmengelände kann jedoch nicht
nur Schmetterlingen oder Bienen als
ökologische Nische dienen. Neue Lebensräume
im urbanen Raum hat sich
ebenfalls der Wanderfalke erobert.
Von seinen einstigen Nistplätzen in
Steinbrüchen weicht der Wanderfalke
als Kulturfolger inzwischen auf Hochhäuser,
Kraftwerke, Brückenpfeiler
oder Fernsehtürme als künstliche Ersatzfelsen
aus. Im Tagebau Hambach
der RWE Power AG brütet der Wanderfalke
seit Jahren regelmäßig auf
fahrbaren Baggern!
Auch an der Außenfassade des
Kraftwerks in Gommersdorf hat der
Wanderfalke schon seine Jungen
großgezogen. Die RWE Power AG arbeitet
in Nordrhein-Westfalen eng
mit lokalen Naturschutzgruppen und
Greifvogelexperten zusammen. Der
Energiedienstleister hat extra eine
Forschungsstelle zur Rekultivierung
von einstigen Braunkohletagebauen
gegründet. Wo einst die Braunkohlebagger
rollten, um die oft kritisierte
Energieressource zu fördern, gibt es
inzwischen seltene Orchideen und Libellen.
Einen ungewöhnlichen Nistplatz
sucht sich seit mehr als zehn Jahren
auch ein Wanderfalkenpärchen in
Frankfurt am Main aus. Auf dem 285
Meter hohen Commerzbank-Tower in
der Bankenmetropole erblicken jedes
Jahr ein paar Jungfalken das Licht der
Welt. Der Finanzdienstleister lässt den
Wanderfalken gewähren und sorgt dafür,
dass während der Aufzucht der
Jungen keine Wartungsarbeiten auf
dem Dach durchgeführt werden. Nur
lokale Naturschutzgruppen dürfen in
der Brutphase aufs Dach.
Naturnahe Betriebsgelände sind langfristige
Projekte, bei denen Firmen oft
Hand in Hand mit lokalen Naturschutzorganisationen
sowie Landschaftsarchitekten
und -gärtnern zusammenarbeiten.
Der Artenreichtum auf dem
Betriebsgelände nimmt sogar noch zu,
wenn eine Verwilderung teilweise zugelassen
wird. Ein weiteres Kooperationsbeispiel
für gelebten Artenschutz
liefert der Steinbruch der Heidelberg-
Cement AG in Nußloch. Der seltene
Bienenfresser gräbt hier seit mehreren
Jahren wieder seine Brutröhren
in die Abbruchkanten. Während der
Brutzeit des schillernden „Paradiesvogels“
erhält die örtliche NABU-Gruppe
44 Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
Bauen und Wohnen
Weitere Informationen
f SCHWEGLER Vogel- und Naturschutzprodukte GmbH
www.schwegler-natur.de
f Bauanleitungen für Vogel-Nistkästen
www.nabu.de/tiere-und-pflanzen/voegel/helfen/nistkaesten/
f Bauanleitungen für Insektenhotels
http://www.insekten-hotels.de/bauanleitung.html
f Anleitung zum Bau einer Trockenmauer
www.hausjournal.net/trockenmauer-bauen
f Optigrün – Gründachspezialist
www.optigruen.de
Foto: Torsten Haag
f Rekultivierung von RWE-Tagebauflächen
www.forschungsstellerekultivierung.de
Foto: Andreas Scholz
Oben links: Salbei- und
Mauerpfefferkolonien auf dem
Dach der Kunsthalle Würth
Oben rechts: Nistplatz auf dem
Golfplatz
Unten rechts: Anbringung eines
Nistkastens auf dem Golfplatz in
Friedrichsruhe
von HeidelbergCement ein exklusives
Zugangsrecht zum Steinbruch.
Singvögel auf Golfplätzen kein Handicap
Dass ökologische Vielfalt auf gepflegtem
Rasengrün möglich ist, zeigt sich
auch auf dem Golfplatz in Friedrichsruhe.
Die Geschäftsleitung des Golf-
Clubs Heilbronn-Hohenlohe hatte
nichts dagegen, als Jürgen Laucher
zusammen mit seinen Kollegen vom
NABU Öhringen im März 2018 erstmals
Nistkästen auf dem Golfgelände
aufstellte.
Die Idee, das Golfgrün mit Nistkästen
für heimische Singvögel zu bestücken,
kam Jürgen Laucher beim Golfspielen.
„Die Landschaft hier auf dem Golfplatz
in Friedrichsruhe ist sehr vielseitig.
Es gibt viele alte Bäume, mehrere
Seen, offene Flächen und kleine
Waldstücke“, erklärt der passionierte
Hobby-Golfer. An den Seen auf dem
Golfplatzgelände hat der Tierarzt im
Ruhestand schon Zwergtaucher und
Teichrohrsänger entdeckt. Inzwischen
hängen rund 60 Nistkästen auf
dem Golfplatzgelände. Jürgen Laucher
hofft, dass er auf seinen ornithologischen
Führungen den Besuchern zukünftig
noch mehr Vogelarten zeigen
kann.
Spannende Vogelbeobachtungen auf
industriellem Terrain sind für Naturschützer
auch in den Fabrikfilialen
von Südzucker im süddeutschen
Raum möglich. Wenn aus Rüben
Zucker gewonnen wird, fällt massig
Wasser an. Das Abwasser reinigt Südzucker
in fabrikeigenen Klärteichen.
Die Klärteiche locken seit vielen Jahren
seltene Vogelarten an. Rund um
den Klärteich in Offenau bieten regionale
Naturschutzgruppen regelmäßig
ornithologische Führungen an. f
Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
45
Bauen und Wohnen
Fotos: Fabian Stürtz / vdi
Markus Pfeil macht aus Gebäuden
ganzheitliche Energiesparer.
vom Keller
bis zum Dach
Man könnte es fast übersehen:
Das neue Gebäude der
Deutschen Bundesstiftung
Umwelt (DBU) in Osnabrück gibt
sich auf den ersten Blick zurückhaltend.
Die Form und Konturen folgen
einem klaren Konzept. Ziel, Sinn und
Zweck sind ein sparsamerer Umgang
mit Ressourcen und Energie. Hinter
dem Energiekonzept des Projekts
steckt der Ingenieur Markus Pfeil.
Mit seinem Ingenieurbüro entwickelt
er ganzheitliche Energielösungen für
Bauten jeder Art. Das Ergebnis seiner
Arbeit in Osnabrück: Mit 15 KWh/m2
(das entspricht 1,5 Liter Heizöl) wird
nur noch ein Bruchteil der Heizenergie
vergleichbarer Gebäude benötigt.
Dank einer Reihe weiterer Maßnahmen
wird sogar mehr Energie erzeugt
als selbst verbraucht. Das Prinzip
nennt sich Plusenergiehaus.
Hausgemachte Klimatechnik
Es gehört zum Selbstverständnis
einer Umweltorganisation wie der
DBU, selbst mit gutem Beispiel voranzugehen.
Entsprechend entwickelte
Markus Pfeil das Energiekonzept mit
einem hohen ökologischen Anspruch.
Das beginnt bei der vorbildlichen Nutzung
von Baumaterialien wie Holz für
die Rahmenkonstruktion und recycelbarem
Hanf für die Wärmedämmung.
Große Fensterflächen mit regelbarem
Licht- und Wärmeeintrag sorgen für
viel Tageslicht und vermeiden Überhitzungen.
Deckenstrahlplatten regeln
ganzjährlich die Temperatur:
Sie kühlen im Sommer und heizen im
Winter. Ein hocheffizientes Blockheizkraftwerk
liefert die Wärme und eine
große Fotovoltaikanlage auf dem Dach
liefert zusätzlich Strom. Energiezukunft
an allen Ecken und Enden.
„Spielen war für mich immer mit
Technik verbunden.“
Die Begeisterung für Technik reicht
bei Markus Pfeil weit zurück: „Bauen,
Löten und Schweißen wurden mir
quasi in die Wiege gelegt”. Als Sohn
eines Mechanikers hatte er von Kindesbeinen
an Kontakt zu Technik und
schraubte bereits mit zehn Jahren am
ersten eigenen Auto herum. „An meinem
Vater ist auf jeden Fall ein Ingenieur
verloren gegangen”, sagt Markus
Pfeil. Für den Sohn war der Weg
zum Maschinenbaustudium vorgezeichnet.
Doch im Studium stellte sich
schnell heraus, dass seine eigentliche
Liebe der Energietechnik galt. Gerade
die Fotovoltaik war Mitte der 1990er
ein neues, spannendes und gleichzeitig
wichtiges Feld. Aus der Berufung
wurde bald ein Beruf und schließlich
ein eigenes Ingenieurbüro, das er mit
seinem Kollegen Holger Koch 1997
gründete. „Es geht um ganzheitliche
Energiekonzepte: von der energieeffizienten
Gebäudehülle bis zu innovativen
Techniken wie Geothermie, Biomasse
und Solarenergie”, sagt Markus
Pfeil.
Das Thema spielt inzwischen auch in
seinem Leben eine ganzheitliche Rolle.
Als Professor der Münster School
of Architecture vermittelt er angehenden
Architekten sein Wissen. Zudem
plant und baut er für seine Familie
und zusammen mit 13 weiteren Familien
in Köln zwei Mehrfamilienhäuser
nach neuesten energetischen, ökologischen
und sozialen Gesichtspunkten.
Markus Pfeil gönnt sich nur ein
Hobby, das sich nicht an neuesten Klimastandards
orientiert, das er dafür
aber umso nachhaltiger pflegt. In seiner
Freizeit schraubt er mit viel Leidenschaft
an seinem Mercedes Benz,
Baujahr 1966, den er seit über 25 Jahren
straßentauglich hält. f
Aus Ingenieurgeschichten des VDI
46 Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
Natur
am
Arbeitsplatz
Wenn Büros
glücklich machen
Von Jennifer Nicolay
Wenn es um die Schönheit der Natur geht, brauchen wir
sie alle. Die sinnliche Erfahrung von Ästhetik in der Natur
mindert nachweislich Stress und regt die Fantasie an. Das
kann man auch im Stadtleben und in modernen Büro-Innenräumen
nutzen: Mit dem sogenannten Biophilic Design
bringt der Hersteller modularer Bodenbeläge Interface die
Natur ganz bewusst zurück an den Arbeitsplatz. Das sorgt
für mehr Gesundheit, Wohlbefinden und Kreativität.
Fragt man Menschen danach, wo sie sich am zufriedensten,
am kreativsten und am produktivsten fühlen, wird kaum
jemand antworten: im Büro. Vielmehr wird man Antworten
bekommen wie: an einem See, mit dem Blick aufs Meer
oder zu Hause im Garten. In natürlicher Umgebung fühlen
Menschen sich nachweislich wohler. Doch unser Alltag
sieht bekanntlich anders aus, und so wird der direkte
Kontakt zur Natur oftmals zu einer unerfüllten Sehnsucht.
Das ist das Ergebnis des „Human Spaces Reports“ von Interface,
der unter der Leitung des Organisationspsychologen
Professor Sir Cary Cooper entstanden ist. Darin wurden
7.600 Büroangestellte aus 16 Ländern befragt, welche
Wirkung die Büroumgebung auf ihr Wohlbefinden hat. Die
Ergebnisse: Viele Angestellte werden krank, leiden >>
Foto: Interface
47
Bauen und Wohnen
an Depressionen oder Unkonzentriertheit, wenn sie sich
überwiegend in einer Umgebung ohne jeglichen Naturbezug
aufhalten.
In Deutschland arbeiten nach Angaben des Reports 84 Prozent
der Menschen in einer städtischen Umgebung. Die allermeiste
Arbeitszeit verbringen wir in Innenräumen. Und
das oft ohne Bezug zur Natur: 43 Prozent der Deutschen
sollen laut Human Spaces Report keine Grünbepflanzung
am Arbeitsplatz haben, 41 Prozent nicht einmal natürliches
Tageslicht. Das Potenzial für Veränderungen zugunsten
von Gesundheit, Wohlbefinden und Produktivität ist
entsprechend hoch. Bereits kleine Veränderungen wie das
Aufstellen von Pflanzen oder der Blick ins Grüne können
nämlich den Stresslevel signifikant senken. Da lag es für
Interface nahe, genau an dieser Stelle innovative Lösungen
zu entwickeln und anzubieten. Der gewählte Ansatz beruht
auf der Theorie der Biophilie.
Was genau ist Biophilie?
„Biophilie ist das angeborene, biologisch bedingte, menschliche
Bedürfnis nach Kontakt mit der Natur.“ Das Zitat
stammt von der Unternehmensberatung Terrapin Bright
Green. Den theoretischen Hintergrund dazu liefert der
deutsch-amerikanische Psychoanalytiker und Philosoph
Erich Fromm, der die Biophilie in den 1960er Jahren als
dem Menschen innewohnende Eigenschaft definierte.
Auch der Biologe E. O. Wilson baute eine Theory of Biophilia
auf, die davon ausgeht, dass die Verbindung zur Natur
ein menschliches Bedürfnis ist und sich positiv auf Wohlbefinden,
Produktivität und Beziehungen auswirkt.
Im Laufe der letzten Jahre entwickelten sich auf dieser Basis
praxisnahe Architektur- und Design-Ansätze: Biophilic
Design findet dabei nicht nur in Innenräumen, sondern
auch bei der Entwicklung ganzer Smart Cities Anwendung.
Dahinter steht mehr, als einige Grünflächen auf Häusern
und in Parks zu integrieren oder ein paar Zimmerpflanzen
ins Büro zu stellen. Es spricht ein Urbedürfnis und evolutionäres
Erbe an, das den Menschen in Beziehung zur Natur
setzt. Dadurch wird die Natur besonders wertgeschätzt. Das
Foto: Interface
Design-Konzept bedient sich dazu verschiedener Wahrnehmungsmuster,
die Menschen als positiv, beruhigend oder
anregend empfinden.
Woran orientiert sich das Biophilic Design?
Auch bei Interface nutzt man die Erkenntnisse von Biophilic
Design, und hierbei insbesondere die „14 Patterns
of Biophilic Design“, die Terrapin Bright Green 2014 vorstellte.
Diese Muster gliedern sich in drei Kategorien: Die
erste Kategorie greift direkt die Natur im Raum auf, also
beispielsweise die Sicht auf Pflanzen oder das Vorhandensein
von Wasser. Auch natürliches Licht, Verbindungen zu
Terrassen und Innenhöfen oder kinetische bzw. bewegliche
Wandelemente gehören in die Kategorie der Natur im
Raum.
Die zweite Kategorie greift Analogien zur Natur auf. Das
sind in der Regel nicht-organische und indirekte Anklänge
an die Natur, etwa Farben und biomorphe Formen oder
auch Bodenstrukturen und symbolische Anspielungen auf
bestimmte Muster, die man in der Natur vorfindet.
Die dritte Kategorie ist etwas abstrakter. Sie betrifft die
Charakteristik des Raumes. Dabei greift man das Bedürfnis
nach Überblick oder Rückzug auf, spielt aber auch mit
der Sensation, von einem Geheimnis überrascht zu werden
oder ein Risiko einzugehen. Dadurch wird die Fantasie angeregt
und kreatives Potenzial kann sich entfalten. In der
Raumgestaltung fallen etwa Balkone, höher liegende Ge-
48 Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
Bauen und Wohnen
bäudeteile mit durchsichtigen Geländern oder Bodenplatten
in das Wahrnehmungsmuster Risiko. Auditive Reize
wie Musik aus einer nicht wahrnehmbaren Quelle erleben
wir als geheimnisvoll.
Wie setzt Interface das Biophilic Design um?
Um die Gesundheit und das Wohlbefinden am Arbeitsplatz
und in der Lebenswelt zu steigern, setzt Interface gezielt
Biophilic Design bei seinen Kunden in der Praxis ein. „We
make carpet tile, but we sell design“, lautet ein Slogan des
Unternehmens, der sofort spürbar ist, wenn man entsprechend
gestaltete Räume betritt. Die modularen Bodenbelagslösungen
mit ihren verschiedenen Mustern, Texturen
und Farben sind dabei Teil eines umfassenderen Innenraumdesigns,
das zum Verweilen, zur Rekreation und Kreation
einlädt.
Im Mai letzten Jahres hat Interface dazu die Kollektion Global
Change vorgestellt, die das biophile Design besonders
interpretiert: „Global Change wurde von den Übergängen
in der Natur inspiriert. Mit organischen Mustern und linearen
Strukturen verknüpft diese Kollektion Menschen
mit der Erde, den Morgen mit dem Abend und die Nacht
mit dem Tag“, informiert die Unternehmenshomepage. Die
Global-Change-Produkte sind speziell dafür ausgelegt, miteinander
kombiniert zu werden, und bieten so eine große
Bandbreite an sinnlichen und visuellen Erfahrungen.
Für Global Change verwendet Interface darüber hinaus umweltfreundliches
Solution-Dyed-Polyamid, was die Produkte
besonders nachhaltig macht: „Als eine unserer umweltfreundlichsten
Kollektionen unterstützt sie unser Ziel, ein
lebensfähiges Klima zu schaffen, und bringt uns letztlich
einen wichtigen Schritt weiter auf unserer Climate Take
Back-Mission.“
Foto: Interface
Interface selbst setzt beispielsweise das Biophile Design
in seinem deutschen Hauptstandort im Krefelder Mies van
der Rohe Business Park um. Dort haben die Concept Designer
verschiedene Bodenbelagstexturen verwendet, um eine
besondere Haptik unter den Fußsohlen zu erzeugen. Hochflorige
Teppichfasern wechseln sich mit kürzeren Fasern
ab und ahmen einen natürlichen Untergrund nach. Die geradlinige
Architektur wird durch organische Formen der
Möbel und Lampen aufgebrochen, ein Wasserfall sorgt für
ein angenehmes Raumklima. In der Raumaufteilung gibt
es Überblickspunkte und sichtgeschützte Bereiche, die als
Rückzugsort dienen.
Der Standort ist so konzipiert, dass sich die Mitarbeiter in
Krefeld wie zu Hause fühlen. Dabei können sie selbst flexibel
entscheiden, ob ihnen nach Kommunikation, nach entspanntem
Arbeiten oder fokussierter Konzentration ist. Die
durch die unterschiedliche Gestaltung der einzelnen Räume
und Einheiten entstandene Heterogenität im Gesamtbild
ist gewollt: „Interface ist nicht einfarbig, nicht regelmäßig,
nicht berechenbar und nicht langweilig – genauso
wie wir dies aus unserer natürlichen Umgebung kennen.“
Die positiven Effekte, die das Raumdesign auf die Mitarbeiter
hat, werden aktuell ausgewertet. f
Biophilic Design in Krefeld
Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
49
Zum Wandel
des Wohnens
Von Christine Hannemann
Foto: Monkey Business / stock.adobe.com
Privatheit, eine enorme
technische Ausstattung
und die Infrastrukturanbindung
an Zentralheizung,
Kanalisation oder
den öffentlichen Nahverkehr
kennzeichnen unser
heutiges Wohnen. Wir geben
eine Menge Geld aus,
um den Wert der Wohnausstattung
zu steigern
und mehr Platz zu haben.
Demgegenüber schrumpft
das, was in der Wohnung
zwingend erledigt werden
muss. Aber warum
wird dennoch in unserem
Kulturkreis an der eigenen
Wohnung festgehalten?
Wohnen gehört zu den elementaren
Bedürfnissen des
Menschen und weckt Assoziationen
wie Sicherheit, Schutz,
Geborgenheit, Kontakt, Kommunikation
und Selbstdarstellung. Gleichzeitig
ist das Wohnen einem ständigen
Wandel unterworfen und weist sehr
unterschiedliche Ausprägungen auf,
regional, sozial, individuell. Wie die
Grundbedürfnisse befriedigt werden,
verändert sich im historischen Maßstab
ebenso wie für jeden Menschen
im Laufe seines Lebenszyklus. Die
Wohnung stellt für die meisten Haushalte
den Lebensmittelpunkt dar. Sie
beeinflusst den Alltag von Familien,
die individuellen Entfaltungsmöglichkeiten,
die Sozialisationschancen von
Kindern, Gesundheit und Wohlbefinden.
Die Wohnung bestimmt, wie Intimität
und Privatsphäre geschützt werden.
Wohnen bedeutet mehr als nur Unterkunft,
sie ist auch Ort und Medium der
Selbstdarstellung und der Repräsentation.
Im Wohnen manifestiert sich
der soziale Status. Lage und Standort
(Viertel, Straße), Wohnform (Villa,
Mietshaus), Wohnumfeld sowie Architektur
haben während der gesamten
Wohnungsbaugeschichte immer
auch die gesellschaftliche Stellung
der Bewohner abgebildet. Das Bürgertum
im 19. Jahrhundert residierte in
Landhäusern und Villen oder bewohnte
die „Belle Etage“ der Bürgerhäuser.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde
das Eigenheim neben dem Auto zum
wichtigen Statussymbol. Dagegen bedeutet
der Verlust der Wohnung – die
Wohnungslosigkeit – einen starken
sozialen Abstieg und tendenziell eine
Ausgrenzung aus der Gesellschaft.
Idealtypus des modernen Wohnens
Unsere heutige Vorstellung vom
Wohnen hat sich wesentlich erst mit
der Urbanisierung und Industrialisierung,
also seit der Entstehung der Moderne,
herausgebildet. Sie wird durch
fünf Merkmale charakterisiert, die
den Massenwohnungsbau zumindest
bis in die 1970er Jahre beschrei- >>
Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
51
Bauen und Wohnen
ben. Diese Merkmale erklären, warum
sich heute das Wohnen in einer Wohnung
mit hierarchisch-funktionell angeordneten
Räumen – Wohnzimmer,
Schlafzimmer, Kinderzimmer, Küche,
Bad, Flur – als „Wohnleitbild“ stark
verfestigt hat.
Zu den idealtypischen Kennzeichen
zählen:
f Trennung von Arbeiten und Wohnen:
Wohnen als Ort der „Nichtarbeit"
f Begrenzung von Personen: Wohnen
als Lebensform der Kleinfamilie
f Auseinandertreten von Öffentlichkeit
und Privatheit – Wohnen als Ort der
Intimität
f Entstehung des Wohnungsmarkts –
Wohnung als Ware
f Einfluss technischer Entwicklungen
– Wohnen als Ort der Technisierung
Postmoderne Transformation der
Lebensverhältnisse
Waren Sozialer Wohnungsbau und
technische Normierungen kennzeichnend
für die Entwicklungen in der
zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts,
wandelt sich das Wohnen heute vor allem
durch die postmoderne Transformation
aller Lebensverhältnisse, insbesondere
durch Individualisierung,
Alterung sowie Entgrenzung und Subjektivierung
der Erwerbsarbeit.
Individualisierung
Individualisierung meint einen mit
der Industrialisierung und Modernisierung
der westlichen Gesellschaften
einhergehenden Übergangsprozess
des Individuums von der Fremd- zur
Selbstbestimmung. In der gegenwärtigen
postmodernen Gesellschaft prägt
eine qualitativ neue Radikalität diesen
Prozess. Gesellschaftliche Grundmuster,
wie die klassische Kernfamilie,
zerfallen. Der zunehmende Zwang
zur reflexiven Lebensführung bewirkt
die Pluralisierung von Lebensstilen,
und Identitäts- und Sinnfindung werden
zur individuellen Leistung. Für
das Wohnen relevant ist dabei vor
allem die Singularisierung als freiwillige
oder unfreiwillige Form des
Alleinwohnens und der Schrumpfung
der Haushaltsgrößen. Gerade die mit
dem Alleinwohnen verbundenen
Verhaltensweisen und Bedürfnisse
verändern die Infrastruktur in den
Innenstädten: Außerhäusliche Einrichtungen
wie Cafés und Imbissmöglichkeiten
bestimmen zunehmend die
öffentlich sichtbare Infrastruktur in
den Stadtteilen. Dies gilt gleichermaßen
für Angebote von Dienstleistungen
und Kommunikation aller Art.
Alterung
Ein immer größerer Anteil von Menschen
wohnt im Alter allein. Dies betrifft
insbesondere Frauen, die in Privatwohnungen
leben, resultierend aus
der nach wie vor längeren Lebenserwartung
von Frauen und dem immer
stärker und besser zu realisierenden
Wunsch, länger in den eigenen vier
Wänden zu bleiben. Vor allem aber
bleiben „die Alten“ auch länger „jung“,
aktiv und vital. Traditionelle Altenheime
entsprechen nicht dem vorherrschenden
Wunsch nach Erhaltung der
gewohnten, selbstständigen Lebensführung.
Neue Modelle sind hier etwa
die Alten-Wohngemeinschaft und das
Mehrgenerationenhaus.
Entgrenzung und Subjektivierung
der Arbeit
Besonders einschneidend und für
Stadtentwicklung und Veränderung
der Ansprüche an das Wohnen besonders
relevant ist die zeitliche Entgrenzung
von Arbeit. Arbeitszeiten
sind immer weniger an Tages- und
Nachtzeiten gebunden, wie beispielsweise
bei der Schichtarbeit. Diese
zeitliche Entgrenzung wird flankiert
durch die räumliche: Flexible Arbeitsmodelle
wie das Arbeiten am heimischen
Schreibtisch oder außerhalb
des Büros werden immer mehr zum
Normalfall der Erwerbstätigkeit. Für
die Lebensverhältnisse dramatisch ist
vor allem die rechtliche Entgrenzung
von Arbeit. Hier wird auch von Deregulierung
gesprochen. Indikatoren
für diese Wertung sind das vermehrte
Aufkommen von Zeit- und Leiharbeit,
von befristeten Verträgen und einem
verringerten Kündigungsschutz.
Von „Subjektivierung“ wird gesprochen,
weil die Forschung eine Intensivierung
von „individuellen“, das heißt
persönlich involvierten Wechselverhältnissen
zwischen Mensch und
Betrieb beziehungsweise betrieblich
organisierten Arbeitsprozessen konstatiert.
Gemeinsam ist diesen Entwicklungen,
dass Entgrenzung und
Subjektivierung die systematische
Ausdünnung zur Folge hat. So sind
beispielsweise Tarifverträge für immer
weniger Erwerbstätige relevant,
immer mehr arbeiten in temporären
Arbeitsverhältnissen, in Praktika oder
in Projekten. Des Weiteren bedeuten
Entgrenzung und Subjektivierung
52 Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
Bauen und Wohnen
auch, dass sich die Strukturen von
Arbeit dynamisieren: Beispielsweise
wird räumliche Flexibilität immer notwendiger.
Damit verändern sich auch
die Anforderungen an das Wohnen
und die Lage, Größe und Ausstattung
der Wohnungen. Schon 2020 wird
nur noch die Hälfte der Angestellten
in Deutschland vorwiegend im Büro
sitzen.
Foto: Halfpoint / stock.adobe.com
Wie das Wohnen die Stadt verändert
Angesichts der Individualisierung bekommt
die Wohnfunktion in der Stadt
eine neue Bedeutung als Reurbanisierung.
War lange Zeit die Suburbanisierung der bestimmende
Trend des Wohnens, wird heute wieder das Wohnen
in den Städten zum bevorzugten Ziel verschiedenster und
disparater „Nutzergruppen“. Über die tatsächliche Renaissance
der Stadt wird in der Fachwelt zwar heftig gestritten,
unübersehbar aber sind die Veränderungen in innerstädtischen
Wohngebieten: Wohnstandorte, die früher – pauschal
gesprochen – hauptsächlich von sozial Schwachen,
verschiedene Ethnien mit Migrationshintergrund eingeschlossen,
bewohnt wurden, prägen heute junge Familien,
Edelurbaniten, Baugemeinschaften, Studierende und Jungakademiker
sowie Senioren- und andere Residenzen innerstädtische
Wohnmilieus. Die Struktur der Stadtbewohner
wird älter und sichtlich bunter: Veränderte Lebensstile bedingen
Wohnformen jenseits der klassischen abgeschlossenen
Kleinwohnung mit Wohn-, Schlaf- und Kinderzimmer.
Darüber hinaus wird Multilokalität für immer mehr Menschen
zur sozialen Praxis, insbesondere für Berufstätige.
Mobilität ist ein Schlüsselerfordernis gegenwärtiger
gesellschaftlicher Verhältnisse, fast zwangsläufig eine
Grundbedingung der Erwerbsarbeit. Eine spezifische Form
des Mobilseins, die sich auch als Spannungsfeld zwischen
Mobilität und Sesshaftigkeit konstituiert, ist das multilokale
Wohnen, also die Organisation des Lebensalltags über
zwei oder mehr Wohnstandorte hinweg. Multilokalität
hat inzwischen einen solchen Umfang und solche Spezifik
erlangt, dass in der sozialräumlichen Forschung diese
soziale Praxis der Lebensführung „gleichberechtigt neben
Migration und Zirkulation“ gestellt wird. Wohnen kann
sich sogar auf „Übernachten“, auf die reine Behälterfunktion,
reduzieren: Soziale Einbindung, gar nachbarschaftliches
Engagement oder kulturelle Inwertsetzung werden
nicht am – zeitlich gesehen – „Meistwohnort“ realisiert,
sondern nur am Ort des zeitlich weniger genutzten Hauptwohnsitzes.
Zwar bleibt die Angewiesenheit auf die Containerfunktion
der Wohnung als grundlegende Existenzform des Menschen
konstant, aber ihr jeweiliger lokaler Stellenwert
verschiebt sich, wird hybrider: Temporäre Wohnformen
jeder Art werden ubiquitärer. Gerade mit den Mitteln von
modernen Kommunikationstechnologien kann das Heimischsein
zu Orten hergestellt, erhalten, aber auch konstituiert
werden, die nicht auf den aktuellen Wohnsitz bezogen
sind. f
Gekürzte Fassung des Essays
„Zum Wandel des Wohnens“, im
Original erschienen in der APuZ
„Wohnen“ von 2014.
Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
53
Bauen und Wohnen
Collaborative Living
Architektur eines
neuen Lebenskonzepts
Die Sharing Economy brachte in den letzten Jahren die herrschende Ordnung in immer mehr
Lebens- und Wirtschaftsbereichen vollständig durcheinander. Die Kernidee hinter den Konzepten
von Airbnb, Uber und car2go: Zugang und Nutzung sind wichtiger als Eigentum. Lässt
sich dieses Prinzip auch auf unsere Wohnkultur übertragen? Eine Frage wie diese stellt sich
angesichts der Urbanisierung und des demografischen und gesellschaftlichen Wandels umso
drängender, da die Städte immer größer bzw. voller werden und sich gleichzeitig die Art, wie die
Menschen wohnen, verändert.
Von Caspar Schmitz-Morkramer
Die Herausforderungen, vor denen Städte in Zukunft stehen,
sind klar: Bezahlbarer Wohnraum ist ebenso gefragt
wie lebenswerte Städte mit Rückzugsorten, Grünflächen
und Freiräumen. Eines der kommenden Konzepte, die darauf
eine Antwort geben, sind Micro-Apartments. Ist „Collaborative
Living“ ein weiterer Teil der Lösungsstrategie
auf dem Weg zu lebenswerteren Städten? Wie müssen architektonische
Konzepte aussehen, die sich für diese neue
Idee des geteilten Wohnens eignen?
Das Prinzip der Schnittstelle: So funktioniert die
Sharing Economy
Um diese Fragen zu beantworten, ist es zunächst wichtig zu
verstehen, wie die Sharing Economy funktioniert. Das Faszinierende
an den neuen Sharing-Konzepten ist, dass die
dahinter stehenden Unternehmen im Verhältnis zu ihrer
Reichweite sehr klein sind. Über Airbnb werden beispielsweise
weltweit über 1,5 Millionen Wohnungen angeboten.
Airbnb selbst zählt aber gerade einmal 600 Mitarbeiter.
Foto: Amanda Dahms
Der Grund für dieses ungleiche Verhältnis zwischen Reichweite
und Unternehmensgröße liegt am Prinzip, das hinter
54 Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
Bauen und Wohnen
der Sharing Economy steckt. Sie beruht
auf dem Prinzip der Schnittstelle.
Über diese Schnittstellen in Form
von Homepages oder Apps werden
Wohnungen, Mitfahrgelegenheiten,
Autos etc. vermittelt. Im Falle von
Airbnb betreibt das Start-up lediglich
die Plattform, über die sich jeder kostenlos
anmelden und sein Haus, seine
Wohnung oder einen Teil davon zur
Vermietung anbieten kann.
Kann man Wohnen auslagern?
Wenn es allerdings um das Wohnen
geht, ist die Sache nicht ganz so einfach
wie im Fall von Uber oder Airbnb.
Insbesondere mir als Architekten
stellen sich Fragen, die das gängige
Weltbild von traditioneller Wohnarchitektur
auf den Kopf stellen: Wie
ist es praktisch umsetzbar, in der eigenen
Wohnung keine Küche mehr
zu haben? Wird dann nur ab und zu
eine gemeinschaftlich nutzbare Küche
verwendet? Schon diese erste Überlegung
stößt in der Praxis auf erhebliche
Schwierigkeiten. Wenn bestimmte
Wohnbereiche eingespart und dazu
aus den eigenen vier Wänden ausgelagert
werden sollen, wird der vorhandene
Wohnraum nicht automatisch
kleiner oder günstiger.
Sprich: Der große Teil des Bestands
an Wohnungen in den Städten ist entsprechend
für solche strukturellen
Veränderungen der Wohnkultur nur
bedingt geeignet. Meiner Überzeugung
nach wird es darum in Zukunft
eine steigende Nachfrage nach neuen
architektonischen Entwürfen geben,
die sich besser für Collaborative
Living eignen. Im Zentrum wird es darum
gehen, die Frage zu beantworten:
Wie sehen solche architektonischen
Modelle aus, die einer Sharing Economy
entgegenkommen?
Inbegriff für Mobilität: Der Container
als Lebens- und Wohnraum
Seit den 1920er Jahren gab es immer
wieder Versuche, modulare Bauweisen
zu erproben und dafür standardisierte
Bauteile zu entwickeln, die
beliebig je nach Bedarf kombiniert
werden können. Das Prinzip des Teilens
und temporären Nutzens ist mit
so einer Vorstellung durchaus kompatibel.
Einer der am erfolgreichsten
standardisierten, modularen Gegenstände
ist der Container.
Der Container ist eine Erfindung der
globalisierten Welt, die seit dem Ausbau
des Eisenbahnschienennetzes
immer mehr zusammenwuchs. Der
Container ist der Inbegriff für Mobilität
und Globalisierung. Der internationale
Frachtverkehr machte es im 20.
Jahrhundert notwendig, sich auf einen
standardisierten Transportbehälter zu
verständigen. 1956 wurde erstmals
ein solcher internationaler Standard
für den Frachtverkehr auf LKWs und
Schiffen festgelegt. Seit den 1970er
Jahren wurden diese Frachtcontainer
für temporäre Nutzungen wie Büroräume,
temporäre Kliniken oder als
Wohnraum genutzt. Vor allem in den
USA fand diese Form des Wohnens
großen Anklang.
Das Wohnen im Container hat seinen
ganz eigenen Reiz. Einer der großen
Vorteile, die diese Wohnform hat,
ist sicher an erster Stelle der Preis.
Schnell und kostengünstig lassen sich
Container in Wohnraum verwandeln –
beispielsweise für Studenten. Die Vorstellung
aber, dass im Container nur
billiger Wohnraum entstehen kann,
ist allerdings falsch.
Collaborative Living setzt sich
durch
Die Dezentralisierung des Wohnens
kommt den Gegebenheiten unserer
Gesellschaft entgegen. Die demografische
Entwicklung in den letzten
Jahren hat mehrere Trends gezeigt.
Die traditionelle Familie ist – leider
– ein Auslaufmodell. Neben jungen
Menschen leben immer mehr ältere
Menschen allein und lassen damit die
Single-Haushalte zur meistverbreiteten
Wohnform werden. Patchwork-Familien
und Mehrgenerationen-Haushalte
liegen ebenfalls wieder im
Trend.
Angesichts dieser demografischen
und gesellschaftlichen Entwicklung
scheint es nur konsequent zu sein,
dass sich das Collaborative Living als
neuer Megatrend durchsetzen wird.
Die Funktionen, die eine Wohnung
erfüllen muss, lassen sich auf das
Wesentliche reduzieren, wenn es eine
entsprechende Ausweichmöglichkeit
gibt, die dazu noch einen Mehrwert
hat. Für ältere Menschen können
Gemeinschaftsküchen und gemeinsam
benutzte Esszimmer insbesondere
deswegen interessant sein, weil
sie zugleich als Orte der Begegnung
dienen. >>
Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
55
Bauen und Wohnen
Neue Gemeinschaftskonzepte am
Beispiel des Wohnquartiers „Le
Flair“
Das „Le Flair“ in Düsseldorf setzt auf
ein neues Gemeinschaftskonzept.
Anstatt in jeder Wohnung ein Gästezimmer
einplanen zu müssen, bietet
das Projekt den Bewohnern eine
Gästewohnung an, die allen gleichermaßen
zur Nutzung zur Verfügung
steht. Des Weiteren gibt es einen Gemeinschaftsraum,
der von allen Bewohnern
des Quartiers für besondere
Anlässe gebucht werden kann. All
diese gemeinschaftlich genutzten Flächen
und noch weitere Dienstleistungen
werden im „Le Flair“ über einen
Servicepoint, in dem tagsüber ein Ansprechpartner
vor Ort ist, organisiert.
Collaborative Living ist die Renaissance
des öffentlichen Raums
Meine These ist, dass nicht nur der
private Wohnraum auf das Wesentliche
reduziert, sondern im gleichen
Zug auch der öffentliche Raum aufgewertet
werden wird. Wie schon früher
die Marktplätze Orte der Begegnung
und des zwanglosen Aufenthalts waren,
wird es zu einer Renaissance von
öffentlichen Orten kommen. Auch diese
werden einen Wandel durchlaufen
und sich den Wohnbereichen angleichen,
die in Wohnungen der Reduzierung
zum Opfer fallen.
Bars werden zu wohnzimmerähnlichen
Lounges, öffentliche Bäder werden
zu Wohlfühl-Spas. Restaurants
werden Bereiche zur Verfügung stellen,
in denen man gemeinsam mit
Freunden kochen und essen kann.
Schon jetzt gibt es erste Start-ups wie
EatWith, Travelingspoon oder ShareDnD,
die private Angebote zum Mitessen
vermitteln. Alternativ werden
sich neue Wohn- und Baukonzepte
56 Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
Bauen und Wohnen
Fotos Servicepoint Le Flair: Christoph Pforr
wie Baugruppen oder Genossenschaften
vermehrt durchsetzen, bei denen
ein Teil der gebauten Fläche gemeinschaftlich
genutzt wird. Durch solche
Gemeinschaftsflächen kann jede
einzelne Wohnung kostengünstiger
gebaut werden. Und schließlich wird
es immer mehr (mobile) Containerwohnungen
in allen Preis- und Wohnsegmenten
geben, die im Bedarfsfall
vollständig an einen anderen Ort
transportiert werden können. In den
USA sind Trailerparks, bei denen
die Containerwohnungen mit einem
Truck an einen anderen Ort verfrachtet
werden, schon seit Jahrzehnten zur
Normalität geworden.
Und doch wird es auch hier so sein:
Neue Wohnformen werden sich entwickeln,
was im Umkehrschluss nicht
heißt, dass es die herkömmlichen
Wohnformen nicht mehr weiter geben
wird. Wir werden uns nur darauf einstellen
müssen, dass das Angebot an
Wohnen vielfältiger, spannender und
einfallsreicher werden muss. Eine
große Herausforderung an uns als
Städteplaner und Architekten.
Caspar Schmitz-Morkramer ist
Architekt und Inhaber des Architekturbüros
meyerschmitzmorkramer
(www.msm.archi). f
Vom Gemeinschaftsraum mit modernem
Kamin über das Gästeapartment
bis hin zum Besprechungsraum können
die Bewohner im „Le Flair“ Flächen
je nach Bedarf buchen.
Fotos: Christoph Pforr
Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
57
Bauen und Wohnen
EINFACH MAL PLATZ SPAREN
Foto: Steffen Jaenicke
Viele machen sich beim Bauen und Wohnen Gedanken über die Umwelt. Sie benutzen natürliche
Rohstoffe und lassen ihr Haus energetisch sanieren. Auch drehen sie die Heizung runter,
bevor sie lüften oder schalten ihre Hausgeräte über Nacht aus. Aber mit räumlichem Platz
gehen Menschen gerne verschwenderisch um. Doch der ist rar und wird immer teurer. Dabei
gibt es neue Bauvarianten und Möbel, die einem ein Leben auf „kleinem Fuße“ ermöglichen.
58 Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
Bauen und Wohnen
Von der Toilette bis zur Küche und
zum Schlafzimmer in fünf Schritten:
Das wohl bekannteste Miniatur-Wohnkonzept
sind die sogenannten „Tiny
Houses“. Schlafen, kochen, duschen:
das alles ist in solch einem Häuschen
möglich – auf durchschnittlich
6,4 Quadratmetern Wohnfläche. Mit
Tiny Houses werden Gebäude in der
Machart kleiner Hütten bezeichnet.
Sie sind meistens auf Rädern montiert
und man kann sie als Anhänger umherziehen.
Auf kleinster Fläche nutzen
sie jeden Kubikmeter durchdacht
aus, um möglichst viel Wohnraum zu
schaffen – mit allem, was ein Mensch
in der Regel so braucht. Die Idee dahinter
ist einleuchtend: Auf kleinstem
Raum lebt es sich kostengünstig und
zugleich weitaus umweltverträglicher.
Das „winzige Haus“ hat seinen Ursprung
in den USA und ist dort sehr
beliebt. Kein Wunder: gesetzliche
Vorgaben zum Standort und zu Baugenehmigungen
gibt es in Amerika in
der Regel nicht. In Deutschland herrschen
dagegen strengere Vorschriften.
Maximal zwei Wochen darf ein
Wohnwagen auf öffentlichen Plätzen
und Straßen parken, und auch das
dauerhafte Wohnen in so einem Häuschen
ist nicht überall möglich. Trotzdem
kommt der Trend allmählich in
Deutschland an.
Auch für Städte geeignet?
Auch die Studentin Julia Wehdeking
hat gemeinsam mit einer Kommilitonin
ein Mini-Haus auf Rädern entworfen.
Dafür gewann sie einen Preis
und nutzte das Geld gleich, um ihren
Entwurf in die Tat umzusetzen. Das
Besondere an ihrem Tiny House: alles
soll nachhaltig sein. Statt Isolierwolle
verwendet sie getrocknetes Seegras.
Später soll es Solarzellen auf dem
Dach haben und eine Komposttoilette.
„Die Herausforderung ist, dass alles
auf so kleinem Raum ist. Man muss
sich überlegen: Was brauche ich?“, erklärt
Wehdeking dem NDR.
Bauberaterin Isabella Bosler ist ebenfalls
vom Wohnen auf kleinstem Raum
fasziniert. Deshalb gründete sie ein
Online-Infoportal zu den Tiny Houses.
„Der Zuspruch, den wir bekommen,
ist enorm“, sagt sie. „Viele Menschen
sind fasziniert von dem Thema.“ Mittlerweile
gibt es in Deutschland mehrere
Handwerksbetriebe, die den Bau
der kleinen Häuser in ihrem Portfolio
anbieten.
Viele Architekten setzten sich bei
der Städteplanung ebenfalls mit dem
Konzept auseinander. Die Idee: Tiny
Houses würden auf den Dächern von
innerstädtischen Häusern für mehr
Wohnraum sorgen. Das klingt unglaubwürdig,
wäre aber ein Schritt
in die richtige Richtung. Laut einer
Studie der Universität Darmstadt aus
dem Jahr 2016 könnten deutschlandweit
1,5 Millionen zusätzliche Wohnungen
geschaffen werden, wenn
man die bestehenden Mehrfamilienhäuser
der Baujahre 1950 bis 1989
mit einigen Tiny Houses auf den Dächern
aufstockte.
Mikroapartments
In teuren Großstädten liegen sie längst
im Trend: Mikroapartments. Oftmals
bereits fertig möbliert, finden hier vor
allem Studenten, Singles und Pendler
auf 20 Quadratmetern Platz im überteuerten
Wohnungsmarkt. Wem >>
Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
59
Bauen und Wohnen
die Mikroapartments zu klein sind, um Gäste zu empfangen,
der kann in einigen Gebäuden auf Gemeinschaftsräume
ausweichen. So bietet zum Beispiel die i Live-Gruppe in
ihren Häusern Terrassen, Lounge- und Barräume, die die
Mieter gemeinsam nutzen können.
Auch ein Fitnessraum und eine Bibliothek sind im Angebot:
„Unser Serviceangebot fokussiert dabei möglichst vielseitig
die Interessen und Bedürfnisse unserer Bewohner.
Zentraler Dreh- und Angelpunkt sind dabei unsere i Live-
App sowie unser Community Manager vor Ort“, erklärt das
Unternehmen. Dieser organisiert Freizeitevents wie gemeinsame
Kochkurse oder Skifahrten.
Foto: Enrico Lapponi / stock.adobe.com
Kompakter geht's nicht
Kleine Räume nützen gar nichts, wenn die Möbel dazu
nicht passen oder zu groß sind. Wer praktische Lösungen
für platzsparende Möbel benötigt, kann auf kompakte Alternativen
zurückgreifen. So gibt es Möbelstücke, die unterschiedliche
Funktionen miteinander kombinieren, den
Luftraum im Zimmer und den Platz unter der Treppe nutzen.
Manche kann man sogar zusammenfalten. f
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66 Raumwunder für ein entspanntes Zuhause, lebendige
Nachbarschaft und grüne Städte
Irgendwie ist immer zu wenig Platz: Ungenutzte Dinge
sammeln sich an, füllen Schubladen und Abstellkammer;
Kinder vergrößern den Haushalt und brauchen irgendwann
ein eigenes Zimmer. Auf der anderen Seite stehen Räume
leer, weil niemand permanent Gäste hat oder das Haus im
Grünen für die alleinstehende Oma zu groß geworden ist.
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helfen, diesen Herausforderungen zu begegnen. Platz
schaffen, Freiräume gewinnen, Zusammenrücken – die
Möglichkeiten für ein anderes, modernes Wohnen sind
immens, und die Auswirkungen sind es ebenso: Alte Menschen
finden wieder Anschluss, junge Städter bezahlbaren
Wohnraum. Kieze und Viertel würden lebendiger, wenn
Jung und Alt sich näherkommen, Zugereiste und Alteingesessene
sich gegenseitig bereichern.
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60 Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
Bauen und Wohnen
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61
Bauen und Wohnen
Nachhaltigkeit ist die
neue Heimat
Foto: Ihar Bublikau / stock.adobe.com
62 Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
Bauen und Wohnen
Wohnen ist die Weise, in der wir uns in der Welt befinden und der Versuch zu leben,
ohne sich zu verlieren. Im Zuge gesellschaftlicher Umwälzungen sowie veränderter
Lebensmodelle und Ansprüche gewinnt die Sehnsucht nach Heimat immer mehr
an Bedeutung – und damit nach Privatheit, Geborgenheit, Ruhe und Wärme. Die
neue Gemütlichkeit, geprägt durch Materialien wie Holz, Baumwolle, Leder, Filz
und Naturstein, ist die Antwort auf unsere rastlose Gesellschaft. Wer ihr entfliehen
will, schließt die Tür hinter sich und zelebriert die eigene Wohnkultur, in der wir uns
ganz als uns selbst erfahren und „wirklich“ sind.
Von Dr. Alexandra Hildebrandt
Das Wohnen aber
ist der Grundzug
des Seins.
„Martin Heidegger
(„Bauen, Wohnen, Denken“, 1951)
Diese Wohnkultur zeichnet sich durch folgende Trends
aus:
Dekoration
Je mehr die grüne Welt draußen schrumpft, desto mehr
hält sie Einzug in unser Zuhause, in dem Alltagsobjekte
wie Aufbewahrungsorte einer intakten Natur erscheinen.
Angesichts der „wachsenden“ Untergangsszenarien wird
der Ruf nach Dekoration immer lauter, was durch steigende
Auflagenzahlen von Idyll-Magazinen wie „Landlust“,
„LandIdee“ oder „Mein schönes Land“ noch verstärkt
wird.
Die schöne neue Ding- und Motivwelt wird zum Appell,
„den Tag zu pflücken“ (Horaz), was zu einem elementaren
Prinzip des glücklichen Lebens gehört. Die eigenen vier
Wände sind nicht nur Rückzugsort, sondern auch Beziehungsort.
Essbereich
Einrichtungsgegenstände gewinnen zunehmend an Wohlfühlcharakter,
was sich auch im Essbereich zeigt: Hier dominiert
der Trend zu ausladenden Tischen und gepolsterten
Sitzbänken sowie komfortablen Armlehnstühlen, die
Großzügigkeit und behagliche Wärme vermitteln.
Farben
Zu den Trendfarben gehören samtige Nudetöne (Creme,
Karamell und Schoko), aber auch pastellige Grün-, Blauoder
Grautöne. Da die Gesellschaft unruhig und unübersichtlich
geworden ist, dominiert eine Bewegung des Rückzugs
und des Minimalismus, verbunden mit dem Wunsch
nach Beständigkeit und Sicherheit. Grau ist deshalb zu einem
Understatement geworden. Ein besonderer Trend ist
heute betongrau: Neben den vielen Vorteilen, den Beton für
das Baugewerbe bietet, wird das Material gerade in der Küchenbranche
neu entdeckt.
>>
Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
63
Bauen und Wohnen
Küche
In Deutschland ist der Küchenmarkt
ein Milliardengeschäft mit stetig
wachsenden Umsätzen. Viele Deutsche
investieren inzwischen mehr
in die eigene Küche als ins Auto, das
längst kein Statussymbol mehr ist.
Hier verbinden sich heute ebenfalls
innovative Technologien, intelligente
Funktionen, nachhaltiges Design und
traditionelles Handwerk zu einzigartigen
und emotionalen Produkten. Das
ist nicht „abgefahren“, sondern hat
mit der Lust am Bleiben und am Analogen
zu tun. Es geht darum, sich aus
der Dauererreichbarkeit auszuklinken,
achtsam und in sich ruhend im
Hier und Jetzt zu sein und einer Sache
seine volle Aufmerksamkeit zu schenken.
Trendforscher versprechen sich
von der Küche der Zukunft, dass sie
unsere Ernährung gesünder und den
Genuss vielseitiger macht. Dies hängt
vor allem damit zusammen, dass
nachhaltige Lebensweisen bereits in
der Gestaltung unseres Alltags und
Lebensumfelds immer mehr an Bedeutung
gewinnen. Das gilt auch für
die Einrichtung und Nutzung der Küche.
Dabei sind nicht nur ökologische
Gesichtspunkte von Bedeutung, sondern
auch die Steigerung der eigenen
Lebensqualität durch gesunde Nahrungsmittel
sowie die Verwendung
nachhaltig produzierter Küchenmöbel
und Elektrogeräte. Die moderne Küche
stillt unsere Sehnsucht nach Heimat
und Überschaubarkeit in einer
globalisierten Welt.
Möbel
„Einladende“ Möbel ziehen verstärkt
in moderne Wohn- und Bürowelten
ein. In Zukunft werden vor allem Erdtöne
- braun bis ocker – eine größere
Rolle spielen. Schwarz hat es allerdings
schwer, weil damit Bedrohung
und Pessimismus assoziiert werden.
Maßarbeit und Nachhaltigkeit sowie
ressourcenschonende Fertigungstechniken
gewinnen beim Möbelkauf in
einer Zeit voller Technisierung, Digitalisierung,
Massenproduktion, Komplexität
und Tempowechsel immer
mehr an Bedeutung – vor allem der
Werkstoff Holz als „analoger Ruhepol"
wird immer beliebter. Er ist das verbindende
und identitätsstiftende Element
zwischen uns und der Welt, der
sich im besten Wortsinn von etwas
Höherem ableitet: dem Baum. Wer
ihn verstehen will, muss den Wald als
Ganzes begreifen.
Die Wertschätzung des Handwerks
in Zeiten tiefgreifender gesellschaft-
Foto: Federico Rostagno / stock.adobe.com
Foto: lulu / stock.adobe.com
Foto: fotofabrika / stock.adobe.com
64 Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
Bauen und Wohnen
licher Veränderungen und Instabilität
ist unter anderem darauf
zurückzuführen, dass alles nicht
Greifbare immer mehr für Unbehagen
sorgt. Selbstbestimmung ist zu einem
der prägendsten Begriffe der Gegenwart
geworden, denn es geht darum,
die Kontrolle über alltägliche Dinge
in einer Zeit der Technisierung und
Kommerzialisierung aller Lebensbereiche
zurückzuholen.
Motive
Je härter die Realität, desto ausgeprägter
ist die Sehnsucht nach Leichtigkeit,
nach dem Schwebenden, das
man festhalten möchte, aber doch
nicht wirklich fassen kann. So tauchen
seit einigen Jahren vor allem
Wolkenmotive auf Textilien, Handyhüllen,
Schneidbrettern und Sitzmöbeln
auf. Wo Wolken sind, ist auch die
Engelkunst nicht weit, die bereits in
den 1990er Jahren eine Renaissance
erlebte.
Polster
In den vergangenen Jahren präsentierte
die Möbel- und Einrichtungsbranche
ein Wolkenmeer aus Stoffen
und Drapeterien, aber auch ausladende
watteweiche Sitzlandschaften.
Die „gepolsterten“ Errungenschaften
stammen bereits aus dem 16. Jahrhundert,
zuvor gab es Felle und Stroh.
Die Polstergarnitur ist eine Erfindung
aus dem 18. Jahrhundert, bestehend
aus einem Sofa und zwei Armlehnstühlen.
Auch sie erlebt gerade eine
Renaissance.
Schlafbereich
Schlafen und Matratzen gehören derzeit
zu den größten Lifestyle-Themen.
Die niederländische Trendforscherin
Lidewij „Li“ Edelkoort sagte bereits
vor einigen Jahren voraus, dass wir
künftig mehr in Schlafbereichen leben
werden, weil die Grenzen von Arbeit
und Muße in unserer beunruhigten
westlichen Kultur immer fließender
werden. Schlafzimmer werden als
Orte des Träumens künftig immer
wichtiger, weil wir im Schlafen lernen,
körperlich stillzuhalten und der Geist
vom rationalen Denken befreit wird.
Sie sind heute immer auch Rettungsräume,
die uns helfen, unser Leben
zusammenzuhalten und „schlafwandlerische
Sicherheit“ (Paul Valéry) zu
lernen, die uns hilft, der inneren und
äußeren Unruhe vorbehaltlos zu begegnen.
Schlafbereiche sind aber auch deshalb
so bedeutsam, weil das Bett zu
den wichtigsten Möbelstücken im Leben
eines Menschen gehört, der darin
etwa ein Drittel seiner Lebenszeit
verbringt. Die Matratze ist ein Grundelement
des Wohnens und der Inbegriff
von Intimität und Körperlichkeit.
Schlaf ist elementar in einer Welt, in
Foto: lulu / stock.adobe.com
der Menschen täglich Stress ausgesetzt
sind. Eine nachhaltige Gesellschaft
sollte dafür Sorge tragen, dass
Schlaf eine leistungsfreie Zone bleibt
– ein Ruhebereich, der sich selbst genügt.
Teppiche
Der Teppich feierte in den vergangenen
Jahren ein grandioses Comeback,
nachdem jahrelang vor allem Parkett,
Linoleum oder Estrich in Wohn- und
Arbeitsräumen verlegt wurden. Er ist
so etwas wie ein „mentaler Rückzugsraum“
in Zeiten der Globalisierung
und Digitalisierung. Der Vintage-Look
vieler Teppiche (aus entfärbten Versatzstücken
alter Teppiche werden
neue kombiniert) steht für die Sehnsucht
nach Verwurzelung, Einzigartigkeit,
Authentizität und Handwerkskunst.
Wohntextilien
Anbieter von nachhaltigen Heim- und
Wohntextilien werben heute verstärkt
mit der „Gemütlichkeit in den eigenen
vier Wänden“ (memolife). Da Wohntextilien
direkten Hautkontakt haben,
achten immer mehr Menschen darauf,
dass sie frei von Schadstoffen sind.
Urban Jungle
Als Urban Jungle wird innen fortgesetzt,
was als Urban Gardening im
Außenbereich begann: Zuerst ließen
die Stadtbewohner Salat und Blumen
auf Dächern, zwischen Pflastersteinen,
Hinterhöfen und Hauswänden
sprießen – nun sind es Zierpflanzen
in der Wohnung, die Wände, Regale
und Fensterbänke bedecken. „Urban
Jungle” steht für einen grünen Rückzugsort
zwischen Asphalt und Beton.
Gern gekauft werden grüne Lifestyleprodukte
wie Plant-Hanger oder
„Boob-Pot” (die ganz nebenbei an einen
weiblichen Oberkörper erinnern).
Zimmerpflanzen gehören ebenfalls zu
den neuen Statussymbolen.
Nachhaltigkeit ist die neue Heimat. f
Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
Foto: virtua73 / stock.adobe.com
65
Bauen und Wohnen
Besser wohnen
Qi
“
dank „fließendem
Foto: Skandinavisk
Jeder kennt diese Situation: Eine Wohnung ist schön eingerichtet,
mit gut aufeinander abgestimmten Bodenbelägen
und Möbeln – aber trotzdem fühlt man sich nicht
richtig wohl. In solchen Fällen würden Anhänger der aus
China stammenden Lehre des Feng-Shui vermuten, dass
einzelne Elemente in der Einrichtung die Harmonie des
Raums stören. Manchmal reicht schon eine kleine Veränderung,
um den Gesamteindruck deutlich zu verbessern.
Die ostasiatische Harmonielehre erfreut sich auch in
Deutschland immer größerer Beliebtheit. Sie geht davon
aus, dass wir überall von der Lebensenergie „Qi“ umgeben
sind. Das Qi muss in Bewegung bleiben, um für einen Ausgleich
zwischen den fünf Grundelementen Feuer, Metall,
Erde, Holz und Wasser zu sorgen. Für die Einrichtung einer
Wohnung oder eines Gartens bedeutet das: nirgendwo
darf der Fluss dieser Lebensenergie blockiert werden.
Je höher die Bewegung des Qi, desto höher auch das persönliche
Wohlbefinden. Ein enger Eingangsbereich hinter
der Wohnungstür wirkt beispielsweise hemmend auf den
Energiefluss. Laut Feng-Shui sollten Kleidung und Schuhe
im Flur in einem geschlossenen Schrank verstaut werden.
Abgerundete Möbelkanten und der geschickte Einsatz von
Spiegeln und Bildern können den Eindruck von Weite vermitteln
und so Blockaden aufheben. Ganz wichtig ist die
Positionierung des Schlafzimmers – dem Ruhepol der Wohnung.
Nach den Regeln des Feng-Shui sollte es möglichst
weit vom Haupteingang der Wohnung entfernt liegen und
am besten nicht an ein Badezimmer oder WC angrenzen. So
würde die Harmonie des Schlafplatzes gestört.
66 Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
Bauen und Wohnen
Die Wirkung von Feng-Shui ist bislang
wissenschaftlich nicht belegbar. Wohl
aber spürbar, glaubt man den Berichten
von Kunden. In Deutschland ist
das sogenannte „Business Feng-Shui“
sehr beliebt. Vor allem von Einzelunternehmern
und Konzernen wird dies
gern in Anspruch genommen. Die Beweggründe
dafür sind meist persönlich,
ein Gefühl von Unwohlsein oder
der Wunsch nach Veränderung.
Hygge – dänische Gemütlichkeit
„Hygge“ – was auf Deutsch etwa so
viel wie „Gemütlichkeit“ bedeutet
– ist ein Trend aus Dänemark, der
mittlerweile immer stärker Einzug in
die deutschen Haushalte hält. Sogar
bis nach Großbritannien und in die
USA hat er es schon geschafft. Was
macht ihn so beliebt? Glaubt man den
unzähligen Ratgebern, bringt Hygge
mehr Freude und Entspannung in die
eigenen vier Wände. Dazu braucht es
nicht viel: Einige (am besten viele!)
Kerzen und ein paar Pflanzen für die
richtige Atmosphäre. Bequeme Kissen
und dicke Wolldecken, in die man sich
gemütlich einkuscheln kann. Etwas
Leckeres zu essen, im Idealfall selbst
gebacken oder gekocht (Kalorien werden
hier nicht gezählt!). Und ein paar
liebe Freunde oder die Familie, damit
man sich bei netten Gesprächen gemeinsam
entspannen kann (das Handy
bleibt natürlich ausgeschaltet!).
Als nicht besonders hyggelig gelten
übrigens Diskussionen über Politik
sowie Hektik, Streit und Lärm. Einige
sehen diesen Trend als schöne
Illusion an, als Verschließen vor der
Wirklichkeit. Andere wiederum nehmen
ihn als Möglichkeit wahr, dem
Alltagsstress zu entfliehen und sich
mal wieder auf das „Wesentliche“ wie
die Familie oder das Lesen eines Buches
konzentrieren zu können. Das
macht – bei aller Realitätsflucht – den
Charme dieser Lebensweise aus: dass
sie den Blick auf die schönen Dinge im
Leben lenkt. Das kann ein Buch, eine
Kerze oder ein Stück Schokoladetorte
sein. Da verwundert es nicht, dass die
Dänen laut Weltglücksreport zu den
glücklichsten Menschen der Welt zählen.
Neo-Biedermeier: Zu Hause ist es
doch am Schönsten
In einer Zeit, in der befristete Verträge
eher die Regel als die Ausnahme
sind, die Welt sich immer schneller
zu drehen scheint und selbst das Aussuchen
des richtigen Kaffeegetränks
eine kleine Herausforderung ist, sehnen
sich vor allem die 20- bis 30-Jährigen
hierzulande nach Sicherheit und
Einfachheit. Aufgewachsen sind sie in
einer Zeit der Instabilität: Die Währung,
das Klima und auch die Weltwirtschaft
gerieten ins Wanken. Das
wiederum führe zu einem erhöhten
Sicherheitsbedürfnis, stellten etwa
Forscher vom Zukunftsinstitut aus
Frankfurt fest. Das eigene Zuhause
wird somit zum Rückzugsort, Nostalgie
wieder „modern“.
Neo-Biedermeier nennt sich dieser
Trend, der für die Flucht vor der Welt
in die eigenen vier Wände steht. Politikverdrossenheit,
Angst vor Terror
und der drohende Verlust der Privatsphäre
durch die Digitalisierung sind
nur ein paar der Triebfedern dieser
(nicht ganz so) neuen Bewegung.
Schon im 19. Jahrhundert zogen sich
die Menschen aus der Öffentlichkeit
zurück ins traute Heim, um den politischen
und gesellschaftlichen Unsicherheiten
der damaligen Zeit zu
entgehen.
Heute ist das Ganze sogar noch einfacher:
Die moderne Technik macht’s
möglich. Statt ins Kino zu gehen, verbringt
man den Abend mit diversen
Streaming-Portalen lieber gemütlich
auf der Couch, der Konzertbesuch
wird durch Musik aus der neuen Anlage
ersetzt. Lebensmittel lassen sich
online bestellen, die Möglichkeit von
Homeoffice verlagert sogar das Arbeitsleben
in die private Umgebung.
Rückzug in die Gemütlichkeit des
Privaten ist hier das Stichwort. Im
Gegensatz zu dem eher weniger nachhaltigen
Onlineshopping steht der
schlichte Einrichtungsstil der neuen
„Generation Biedermeier“, wie sie
von den Wissenschaftlern des Kölner
Rheingold-Instituts genannt wird.
Klarheit, Funktionalität und Einfachheit
dominieren, die Materialien stammen
bestenfalls aus lokalen Quellen.
In den Großstädten zeigt sich derweil
ein Trend zur Gruppenbildung, die
Stadt wird dörflich inszeniert. Man
will „gemeinsam allein sein“. Deutlich
wird das vor allem am Immobilienmarkt,
wie der Immobilienreport 2015
des Frankfurter Zukunftsinstituts herausgestellt
hat. In neue Häuser investiert
man gemeinsam, Wohneigentum
finanziert sich durch Baugruppen. Das
hat nicht nur Vorteile für den eigenen
Geldbeutel: die „Generation Biedermeier“
erschafft sich so ihre eigene
(Wahl-) Großfamilie. Fragt sich nur,
ob diese Sehnsucht nach mehr Sicherheit
und Einfachheit bloß ein (Wohn-)
Trend ist oder vielleicht sogar für den
Anfang einer neuen gesellschaftlichen
Bewegung steht. f
Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
67
Bauen und Wohnen
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68 Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
Bauen und Wohnen
Schloss Tempelhof:
Eine Ökokommune
mit Vorbildcharakter
Fotos: Schloss Tempelhof
Von Fee Hovehne und Sonja Scheferling
Wenn wir wirklich Verantwortung für uns
und unsere Nachkommen übernehmen
wollen, müssen wir bei uns selbst anfangen:
Nach diesem Motto leben die Menschen
im Ökodorf Schloss Tempelhof. Ihr
Ziel ist es, sich weitestgehend autark mit
Biolebensmitteln und Energie zu versorgen
und solidarische Wirtschaftskreisläufe zu
etablieren. Schloss Tempelhof ist ein gutes
Beispiel dafür, wie verlassene Orte wiederbelebt
werden können.
Landschaftsidylle pur: Nichts als Felder, Wiesen und vereinzelte
Bäume umranden Schloss Tempelhof nahe Kreßberg
in Schwäbisch Hall. Doch wer denkt, dass die Siedlung
ein einsamer Ort ist, der irrt gewaltig. Denn: Schloss
Tempelhof ist die Heimat von über 100 Menschen, die hier
wohnen, zum Teil arbeiten und ihr Konzept von einer nachhaltigen
Lebensweise verwirklichen. So kann man auf Familien
mit Kindern, Menschen mittleren Semesters oder
Senioren treffen.
Das Besondere ist, dass sich alle Bewohner dem solidarischen
Gedanken verpflichtet fühlen und zum Wohle aller
handeln wollen. Wichtige Entscheidungen werden nur im
Konsens getroffen und die Gemeinschaft führt sich selbst
nach dem All-Leader-Prinzip. Das bedeutet, dass jedes Mitglied
für die gesamte Entwicklung der Gemeinschaft Verantwortung
trägt.
>>
Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
69
Bauen und Wohnen
Wie alles begann
Die Geschichte der Gemeinschaft begann
2007, als sich eine Gruppe von
Gleichgesinnten aus dem Raum München
dazu entschloss, ihre Version
von einem zukunftsfähigen Zusammenleben
umzusetzen. Drei Jahre
lang suchten sie, bis sie das geeignete
Objekt dafür gefunden hatten:
„Der erste Eindruck war schon hart“,
erzählte Agnes Schuster, eine der
Mitbegründerinnen, gegenüber dem
Stadtmagazin Rotour. Kein Wunder,
standen doch die Gebäude der Siedlung
zuvor vier Jahre lang leer und
mussten dementsprechend renoviert
werden.
Die Siedlung Schloss Tempelhof hat
eine lange Vergangenheit, die über
mehrere Jahrhunderte reicht. Vor
dem 30-jährigen Krieg erbaut, entwickelte
sich der Adelssitz zu einer
Wohnsiedlung. Im 19. Jahrhundert
wurde das Objekt dann zu einer
Kindererziehungsanstalt umfunktioniert,
und in den 1980er Jahren fand
dort eine Behindertenwerkstatt ihre
Räume, die das Ensemble aber 2006
verließ.
Zu dem Besitz gehören aktuell insgesamt
31 Hektar Boden, bestehend
aus vier Hektar Baugrund mit zahlreichen
Gebäuden und 27 Hektar Agrarland.
Bodenspekulation ausgeschlossen
Privatbesitz an Grund und Boden gibt
es bei den Tempelhofern nicht. Die gemeinnützige
Schloss Tempelhof Stiftung
hat die Liegenschaft erworben
und per Erbpachtvertrag mit 99 Jahren
Laufzeit an die Genossenschaft
vergeben. Das Objekt wurde so jegli-
70 Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
Bauen und Wohnen
Impressionen der Gemeinschaft
Schloss Tempelhof
Mindesteinlage von 30.000 Euro Mitglied
in der Genossenschaft werden;
vorausgesetzt, die anderen sind einverstanden.
Dafür erhält er ein Anrecht
auf 36 Quadratmeter Wohnraum
und wird an dem Projekt beteiligt.
Das Genossenschaftsmodell bildet so
das finanzielle und rechtliche Fundament,
das dieses soziale Experiment
erst ermöglicht: „Wer hier leben will,
investiert in ein Lebenskonzept“, zitiert
Rotour Stefanie Raysz, die auch
in Tempelhof wohnt. Allerdings müssen
die Mitglieder finanziell unabhängig
sein, denn der Tempelhof ist kein
Hort für gesellschaftliche Aussteiger.
So pendeln einige der Mitglieder wöchentlich
zur Arbeit nach München
oder Ulm.
Arbeit vor Ort
cher künftigen Bodenspekulation entzogen:
„Die Genossenschaft ist eine
geeignete demokratische Rechtsform
für die Verwaltung der solidarischen
Betriebe, denn jeder hat unabhängig
von der Höhe seiner Einlage das gleiche
Stimmrecht“, erklärt die Gemeinschaft
auf ihrer Homepage. Zusätzlich
wurde als Träger von gemeinnützigen
Projekten ein Verein gegründet.
Neben dem Seminar und Veranstaltungsbereich
gibt es unter dem Dach
des Vereins eine freie Schule sowie
Jugendprojekte.
Wer beitreten möchte, muss eine
einjährige Annäherungsphase mitmachen
und kann dann gegen eine
Andere wiederum sind selbstständig
und können vor Ort tätig sein. So wie
Max Thulè, der mit seiner Familie
ebenfalls in Tempelhof lebt und die
MoWo Tempelhof GmbH gegründet
hat. Ob in modularer Wabenstruktur
oder als Wagen auf Rädern: Der studierte
Maschinenbauer stellt kleinen
Wohnraum aus baubiologischen Materialien
her – ganz individuell nach
den jeweiligen Wünschen der Kunden.
Von Hand gefertigt, setzt er dabei auf
langlebige, regionale, ökologische und
transportable Lösungen: „Ich bin mit
dem Thema von mobilen Wohneinheiten
schon von der Wiege an groß
geworden, da meine Eltern den Traum
hatten, in einem alten Salamander
Schuhverkaufsbus durch die Lande
zu ziehen, mit mir als Säugling“, so
Thulè.
Arbeit gibt es in Tempelhof auch an
anderen Stellen. Beispielsweise in einer
der Großküchen, in denen >>
Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
71
Bauen und Wohnen
das Essen gegen einen festen monatlichen
Beitrag für alle Tempelhofer
gekocht wird: „Heute arbeiten bereits
22 Frauen und Männer in der Gärtnerei,
im Ackerbau, der Tierhaltung, in
der Käserei, Imkerei, Bäckerei und
in unserer Kantinenküche – und verwirklichen
so eine solidarische Landwirtschaft,
die alle Bewohner gesund
und umfassend ernährt. Weitere 15
Arbeitsplätze entstanden im Seminar-
und Gästehaus, dem Energie- und
Baubereich, der Verwaltung, beim
„Mobilen Wohnen” und in der freien
Schule“, so die Tempelhofer. Unabhängig
davon müssen alle Mitglieder
pro Woche mehrere Stunden Gemeinschaftsdienst
leisten.
Traditionelle Dorftugenden aktiviert
Mit ihrem Konzept knüpfen die Tempelhofer
im Grunde genommen an
klassische Funktionen traditioneller
Dörfer an: „Dorfbewohner haben eine
hohe Kompetenz, lokale Fragen und
Probleme ehrenamtlich oder genossenschaftlich
anzugehen und Verantwortung
für das Gemeinwesen zu
tragen. Selbstverantwortung und Anpackkultur
sind im Dorf tief verwurzelt“,
sagt etwa der Humangeograf
Gerhard Henkel. „Insgesamt ist das
vorsorgende Leben und Wirtschaften
auf dem Lande stärker verbreitet als
in der Großstadt.“
Neben der Lebensmittelversorgung
und der Bereitstellung von Rohstoffen
und Naturgütern sind Fürsorglichkeit,
Natur- und Menschennähe und
Gemeinsinn für Henkel alles wichtige
Funktionen und Tugenden, die Dörfer
trotz des Urbanisierungstrends für
eine Gesellschaft unverzichtbar machen.
Davon ist auch das Zukunftsinstitut
überzeugt: „Das Dorf hat Zukunft.
Als Landidyll und Lieferant für erneuerbare
Energien erlebt das Dorf eine
Renaissance. Künftig wird es wieder
sehr viel enger mit der Stadt vernetzt
sein.“
Städter profitieren
Das trifft auch auf Schloss Tempelhof
zu. Bewohner umliegender Städte wie
Crailsheim oder Dinkelsbühl können
Mitglied in der Solidarischen Landwirtschaft
werden. Dafür erhalten
sie einmal in der Woche an zentralen
Abholstellen eine Gemüsekiste mit
saisonalen, frischen Produkten und
selbstgebackenem Brot. Wer keine
Lust auf eine feste Mitgliedschaft hat,
kann alternativ im Hofladen der Gemeinschaft
einkaufen, der mehrmals
in der Woche geöffnet hat.
Mit ihrem Angebot bedienen die
Tempelhofer eine Entwicklung, die
künftig weiter zunimmt und die vor
allem gesundheitsbewusste Städter
überzeugt: der Trend nach nachhaltig
erzeugten Lebensmitteln: „Der
Öko-Landbau bevorzugt Regional- und
Direktvermarktung und zieht damit
Käufer aus den Städten aufs Land. Zudem
ist die Herstellung und Verarbeitung
von biologischen Lebensmitteln
aufwendiger als die konventionelle
Produktion“, so das Zukunftsinstitut.
„Dadurch entstehen neue Beschäftigungsmöglichkeiten
auch jenseits
der landwirtschaftlichen Tätigkeiten,
denn Biohöfe entwickeln sich zu kleinen
Knotenpunkten des Austausches,
Lernens und nachhaltigen Konsums.“
Andere sollen von ihnen lernen
Damit stößt man bei den Tempelhofern
auf offene Ohren. Die Gemeinschaft
ist unter anderem Mitglied des
Global Ecovillage Network Europe, zu
dem viele verschiedene nachhaltige
Siedlungen und Ökodörfer weltweit
gehören. Die Teilnehmer nutzen die
Organisation auch dafür, um Ideen
und Informationen auszutauschen
oder beispielsweise Technologien zu
transferieren.
Das deutsche Netzwerk hat das Projekt
„Leben in zukunftsfähigen Dörfern“
initiiert, das die Zusammenarbeit von
Siedlungen aus verschiedenen Regionen
Deutschlands mit einem ansässigen
Ökodorf unterstützt. Auch Tempelhof
nimmt daran teil. Das Projekt
richtet sich an Gemeinden, die etwa
durch soziologische Probleme wie
Abwanderung oder ökologische Probleme
wie den Verlust von Artenvielfalt
betroffen sind. „Die gemeinsame
Kooperation für eine zukunftsfähige
Dorfentwicklung soll es ermöglichen,
übertragbare Erfahrungen zu sammeln
und ein methodisches Vorgehen
zu entwickeln, von dem letztlich zahlreiche
weitere ländliche Gemeinden
in vergleichbarer Situation Inspiration
und Ermutigung erhalten können“,
so das Netzwerk auf seiner Homepage.
Reallabor für experimentelles
Wohnen
Neue Ideen erproben, Erfahrungen teilen
und Wissen zugänglich machen:
Das liegt den Tempelhofern auch
bei einem ganz speziellen Projekt
am Herzen. Eine Gruppe innerhalb
der Gemeinschaft hat 2016 das erste
„Earthship“-Haus in Deutschland fertiggestellt.
Dieses dient rund 25 Bewohnern
als Gemeinschaftsgebäude,
in dem sich eine Küche, Waschräume,
sanitäre Anlagen und ein Aufenthaltsraum
befinden. Private Rückzugsmög-
72 Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
Bauen und Wohnen
lichkeiten finden die Bewohner in Jurten,
Bauwagen und anderen mobilen
Wohneinheiten, die um das Earthship
angeordnet sind.
Wissenschaftlich begleitet, will die
Gemeinschaft durch den Bau einen
Beitrag zur Umweltbildung leisten:
„Gleichzeitig ist es eine ideelle und
praktische Plattform für Diskussionen
zu Ökologie und Nachhaltigkeit sowie
mögliche zukunftsfähige Lebens- und
Wohnformen“, so die Tempelhofer.
Doch was macht das Haus so besonders?
Earthship-Gebäude wie in Tempelhof
werden aus bereits benutzten
Materialien wie Autoreifen, Flaschen
oder Getränkedosen in Kombination
mit natürlichen Baustoffen errichtet.
Darüber hinaus sind die Häuser
autark: „Stellt Euch ein Haus vor, das
sich selbst heizt, sein Wasser liefert,
Essen produziert. Es braucht keine
teure Technologie, recycelt seinen eigenen
Abfall, hat seine Energiequelle.
Es kann überall von jedem gebaut werden,
aus Dingen, die die Gesellschaft
wegwirft“, beschreibt der US-Amerikaner
Michael Reynolds das Konzept,
das er vor 40 Jahren erfunden hat und
dessen Nachbau er weltweit begleitet.
Und so funktioniert es
In der Theorie funktionieren die Häuser
immer nach denselben Prinzipien.
Dazu gehören etwa die Stromerzeugung
mittels Windkraft oder Fotovoltaik,
das hausinterne Anpflanzen von
Obst und Gemüse oder das Sammeln
von Regenwasser über die Dachoberfläche,
das danach in Zisternen gespeichert
wird. In der Praxis müssen
die Funktionen natürlich an die jeweiligen
klimatischen Verhältnisse und
an das nationale Recht angepasst werden.
So dürfen etwa die Tempelhofer
in Deutschland das gesammelte Wasser
nur für die Beete, die Waschmaschine
und die Toilette nutzen. Es zu
trinken, ist hingegen nicht erlaubt. f
Foto: „earthship-construction9“
von Jenny Parkins unter CC-BY-2.0
Foto: „earthship-exterior32“
von Jenny Parkins unter CC-BY-2.0
Foto: „earthship-interior27“
von Jenny Parkins unter CC-BY-2.0
Bauweisen von „Earthship“-Häusern
Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
73
Bauen und Wohnen
Wer will schon ins Altersheim?
Der demografische Wandel wird alle Bereiche
unserer Gesellschaft erfassen. Schon
jetzt gibt es in Deutschland rund 17 Millionen
Menschen, die mindestens 65 Jahre alt sind.
Tendenz steigend, wie das statistische Bundesamt
informiert. Das erfordert Infrastrukturen,
die den öffentlichen Raum, den Nahverkehr
und das Wohnen neu gestalten und an
die Bedürfnisse von Senioren anpassen.
Foto: Halfpoint / stock.adobe.com
Man ist so alt, wie man sich fühlt. Und viele ältere Menschen
fühlen sich eindeutig jünger, als sie tatsächlich
sind. Eigenen Angaben zufolge führt die Mehrheit der über
65-jährigen auch entsprechend dazu ein abwechslungsreiches,
mobiles und aktives Leben. Zu diesen Ergebnissen
kommt die aktuelle Altersstudie des Versicherers Generali.
Die Selbstwahrnehmung der Senioren passt allerdings
nicht zu unserem gesellschaftlichen Bild, das wir über das
Altern haben. Dieses fokussiert sich immer noch auf Themen
wie Pflege und Hilfsbedürftigkeit: „Es darf nicht mehr
bloß darum gehen, alte Menschen zu versorgen. Vielmehr
brauchen wir Strukturen, in denen Menschen zugleich Sorge
empfangen und Sorge tragen können“, sagt etwa Professor
Andreas Kruse von der Universität Heidelberg.
Ein Design für alle
Im Bereich Bauen und Wohnen gehören dazu beispielsweise
das Konzept des betreuten Wohnens, Mehrgenerationenwohnprojekte
oder Alters-WGs, die bei Senioren immer
beliebter werden: „In unserer künftigen Pro-Aging-Gesellschaft
sind Begriffe wie ‚altersgerecht‘, ‚Seniorenresidenz‘
oder gar ‚Altersheim‘ weitgehend aus dem Sprachgebrauch
verschwunden“, informiert etwa das Zukunftsinstitut. Das
sei einerseits das Ergebnis des „Downaging“, also der länger
anhaltenden Fitness und Vitalität bei höherer Lebensdauer,
und andererseits auch die Folge von neuen Konzepten,
die es Menschen ermöglichen, lange in den eigenen
vier Wänden zu leben.
Wie das geht, zeigen Ageless- und Universal-Design-Ansätze.
Diese gestalten Produkte, Umgebungen und Systeme
so, dass möglichst viele Menschen sie ohne zusätzliche
Anpassungen nutzen können: „Ein wesentlicher Aspekt
dabei ist, dass Barrierefreiheit und Ästhetik nicht länger
als Gegensätze voneinander koexistieren. Fortschritte
im Bereich Ambient Assisted Living (AAL) befördern als
Gestaltungsprinzip von elektronischen Produkten bis
hin zu Dienstleistungen immer stärker den Trend zu einem
selbstbestimmten Leben im Alter“, so das Zukunftsinstitut.
Ambient Assisted Living
Altersgerechte Assistenzsysteme nutzen moderne
Kommunikations- und Informationstechnologien, um
den Alltag von Senioren und beeinträchtigten Menschen
sicherer und angenehmer zu gestalten. Dabei
passt sich die Technik zwingend den Bedürfnissen der
Menschen an und nicht umgekehrt.
Beispiele hierfür sind smarte Funktionen, die den Herd
und elektronische Geräte automatisch abschalten oder
die Raumtemperatur und Beleuchtung selbstständig
steuern.
74 Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
Bauen und Wohnen
Wie die Bewohner die sozialen und ambulanten Dienste
in den Wohnquartieren nutzen, analysieren zurzeit Pflegewissenschaftler
der Universität Bielefeld, wie die Neue
Westfälische berichtet. Dafür begleiten und befragen die
Experten über zwei Jahre 50 Mieter und interviewen darüber
hinaus Mitarbeiter und Dienstleister. Ziel ist es, die
Stärken und Schwächen des Bielefelder Modells zu identifizieren
und Erkenntnisse zu sammeln, inwiefern der Ansatz
weiter auf andere Städte übertragbar ist. f
„Bullerbü“ für Senioren
Bosau ist eine 700-Seelen-Gemeinde am Plöner See,
unweit der Ostseeinsel Fehmarn. Auf einer Fläche von
rd. 50.000 Quadratmetern entsteht derzeit das Seniorendorf
„Uhlenbusch“. Die kleine Ökosiedlung wird
aus 30 Wohnhäusern und mehreren Gemeinschaftsgebäuden
bestehen. Außerdem wird es in dem Dorf
einen kleinen Laden geben, ein Wasch- und Badehaus
und Werkstätten für Holz- und Metallarbeiten.
Zusätzlich bewirtschaftet die Dorfgemeinschaft eine
große Gartenfläche und hält auf einer Weide Hühner
und Schafe.
Bielefeld zeigt, wie es geht
Und dieses spielt sich künftig auch für alte Menschen
hauptsächlich in der Stadt ab. Deswegen ist es umso wichtiger,
dass eine moderne Quartiersgestaltung diese Ansätze
aufgreift. Vorbildcharakter hat hier die Stadt Bielefeld mit
dem „Bielefelder Modell“, das bundesweit kopiert wird. Das
Besondere: In fast allen Stadtteilen können Menschen barrierefreie
Wohnungen in Wohnanlagen mieten, in denen
ein sozialer Dienstleister 24 Stunden am Tag erreichbar
ist. Die Hilfs- und Betreuungsangebote können alle Mieter
nutzen; bezahlt wird nur das, was wirklich in Anspruch genommen
wird, so die Bielefelder Gesellschaft für Wohnen
und Immobiliendienstleistungen (BGW), die das Modell initiiert
hat.
Integriert in die bestehende Wohnumgebung und mit guter
infrastruktureller Anbindung, sollen hier nicht nur alte,
sondern auch Menschen mit Behinderungen Raum finden.
„Aber nicht nur für diese Personengruppen, sondern
übergreifend für alle, haben Wohnsituationen und Nachbarschaft
einen entscheidenden Einfluss auf die Lebensqualität
im Alltag“, sagt die BGW. „Die Anforderungen an
die Quartiersentwicklung sind damit hoch. Wohnquartiere
müssen mehr und mehr generationengerecht, kultursensibel
und inklusiv sein.“
Die Vision der Initiatoren Caroline und Ulrich Reimann:
aktiv und selbstbestimmt alt werden, gemeinsam
mit anderen. „Der Uhlenbusch ist ein Konzept
– an diesem Ort werden vorwiegend Menschen wohnen,
die ihre Lebensarbeitszeit hinter sich haben. Sie
werden hier ein selbstbestimmtes Leben führen – mit
gegenseitiger Hilfe und vielen, ganz unterschiedlichen
Aktivitäten. Naturnah, ökologisch, umweltfreundlich
und weitgehend energieautark“, liest man auf der
Homepage des Seniorendorfes. Anfang September
2017 standen bereits 15 der 30 Wohneinheiten. Mitte
2018 soll die Siedlung fertiggestellt werden. Dann
stehen auf dem Grundstück 60 bis 70 Quadratmeter
große Reihenhäuser sowie 90 Quadratmeter große
freistehende Gebäude und Doppelhäuser.
Die Häuser im Uhlenbusch wurden barrierefrei gebaut
und besonders nachhaltig konzipiert. Sie kommen
weitestgehend ohne Baustoffe mit chemischen
Zusätzen aus. Ihre Beheizungs- und Haushaltsstromversorgung
beziehen sie hauptsächlich durch
eigens produzierten Strom aus Fotovoltaikanlagen.
Die Nutzung von Erdöl ist in der Siedlung tabu. „Der
wirtschaftliche und soziale Wandel in unserer Zeit
macht es erforderlich, unseren bisherigen Lebensstil
zu hinterfragen. Aufgrund knapper Ressourcen in
so gut wie jedem Bereich müssen neue Formen und
Konzepte des Zusammenlebens gefunden werden –
insbesondere für das Alter“.
Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
75
Bauen und Wohnen
(Gem)einsam
alt werden?
Der Pflegenotstand ist jetzt
auch in der öffentlichen Diskussion
angekommen: Junge
Pfleger malen in Talkshows
Horrorszenarien vom Alltag
auf Station und in den Heimen.
Überlastet und ausgebrannt
sind die wenigen
Idealisten, die es trotz Überforderung
und unzureichender
Bezahlung noch in der
Pflege hält. Dunkle Zeiten für
eine zusehends überalternde
Gesellschaft? UmweltDialog
hat sich außerhalb des Pflegeheims
nach alternativen
Wohnkonzepten umgesehen.
Von Lucas Beesten
„Ich finde es wichtig, dass ich weiß:
Wenn es mir mal schlecht geht, ist jemand
da. Und lässt mich nicht einfach
liegen.“ Lambertus Kleine Stegemann
blickt ernst in die Kamera der Lokalzeit,
als er die Worte spricht. Als Rentner
ist er direkt betroffen von der Debatte,
die seit Monaten Deutschland
beschäftigt. Und zusammen mit dem
Verein „Leben in der Nachbarschaft“
(LiNa) hat er seine eigene Antwort auf
die Frage nach einem würdevollen Altern
gefunden.
76 Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
Foto: WavebreakmediaMicro / fotolia.com
Bauen und Wohnen
Stegemann wohnt mit seiner Frau
und 24 anderen Senioren in einer
Senioren-Genossenschaft in Haltern
am See. Der Clou: Zwar leben die Bewohner
in 18 getrennten Wohnungen.
Diese befinden sich aber alle in einem
zentralen Haus mit zusätzlichen Gemeinschaftsräumen.
Im Mittelpunkt
steht das Zusammenleben und Miteinander.
Jeder steuert bei, was er
kann: Die Bewohner unterstützen sich
gegenseitig bei anfallenden Reparaturen
oder im Haushalt. Die Fassade des
Hauses muss erneuert werden? Wer
Zeit hat, beteiligt sich an Diskussion
und Bewältigung der Aufgabe. Aber
auch Freizeitaktivitäten und Ausflüge
planen die Genossen gemeinschaftlich.
Angst vor Vereinsamung hat in
dieser Gemeinschaft niemand.
Damit das Projekt kein Einzelfall
bleibt, geht das Land NRW die Herausforderungen
des demografischen
Wandels mit seiner Nachhaltigkeitsstrategie
an und fördert eine altersgerechte
Stadt- und Quartiersentwicklung.
Die Senioren-WG
Noch näher kommen sich die Bewohner
einer Senioren-Wohngemeinschaft.
Ähnlich wie in der Genossenschaft
steht hier das Miteinander
im Vordergrund; der Anteil des gemeinschaftlichen
Wohnbereichs ist
allerdings noch größer. Esszimmer,
Badezimmer und Küche sind Gemeinschafträume
für alle. So engagiert die
Bewohner im Zusammenleben auch
sind: Je nach Krankenakte ist natürlich
trotzdem professionelle Pflege und
medizinische Versorgung vonnöten.
Deshalb unterstützen bei Bedarf z.B.
Diakoniestationen die Wohngemeinschaften
mit zusätzlicher Pflege und
Betreuungsangeboten. Das hat seinen
Preis: Neben Miete und Nebenkosten
kommen Pauschalen für Küche,
Waschküche, Renovierungs-Rücklagen,
Reinigung, Haushaltsgeld und
eben Betreuungspauschale hinzu.
Über 2.000 Euro monatlich kann das
einen Bewohner kosten. Wer später
mal in einer WG alt werden möchte,
sollte also zeitig mit dem Sparen anfangen.
Künstler unter sich
Trotz aller Unkenrufe – auch in der
konventionelleren Pflege ist längst
nicht alles schlecht. In Weimar wurde
ein Seniorenstift der besonderen Art
geschaffen: In der Marie-Seebach-Stiftung
verbringen zum Großteil Kulturschaffende
ihren Lebensabend. 25 Prozent
der Bewohner sind pensionierte
Künstler, Maler und Schauspieler.
Die Bewohner schwelgen dabei nicht
bloß in Erinnerungen an ihre kreative
Vergangenheit: Konzerte, Theateraufführungen,
Lesungen, Literaturgottesdienste
und Gesprächsrunden sind
fester Bestandteil des Programms im
Seniorenstift. „Unterhaltungsprogramme
und Kaffeetrinken alleine reichen
vielen nicht. Was wir brauchen,
sind Angebote, die ihren unterschiedlichen
Interessen, Bedürfnissen und
kulturellen Erfahrungen Rechnung
tragen“, sagt Diplom-Pädagogin Dr.
Kim de Groote gegenüber dem PROconcept-Magazin.
Ein großer Vorteil der gemeinschaftlichen
Einrichtung: Die Logistik übernimmt
die Hausverwaltung. Egal ob
putzen, spülen oder waschen, die Bewohner
sind von hauswirtschaftlichen
Aufgaben befreit. Damit das funktioniert,
braucht es Geräte, die für eine
solche Nutzlast ausgelegt sind und
den besonderen hygienischen Anforderungen
in einem Pflegeheim entsprechen.
Der Hersteller Miele bietet
Produkte, die speziell an die Bedürfnisse
von Heimbewohnern angepasst
sind. Die Gewerbegeschirrspüler des
Traditionsunternehmens reinigen das
Geschirr mittels hoher Temperaturen
und Desinfektionsprogrammen besonders
gründlich von Keimen.
Das neue Testverfahren „PRO-Hygiene“
nimmt die Keimfreiheit in den
Wäschereien noch genauer in den
Blick: Mit dem Verfahren prüft der
Miele-Kundendienst bei der Wartung
der Waschmaschinen, wie effizient
Waschmittel und -verfahren zusammenwirken
und kann die Zusammenstellung
so genau anpassen.
Smarte Technologie für den
Einzelnen
Nicht jedem liegt das Altwerden in
der Gemeinschaft. Eine neue Technologie
kann hier Abhilfe schaffen:
LiNX 3D heißt das erste smarte Hörgerät
für das iPhone. In einer Kooperation
von ReSound GN und Miele
entwickelt, soll LiNX 3D Haushaltsgeräte
mit einem Hörgerät verbinden.
Statusmeldungen und Hinweise der
Haushaltsgeräte können so direkt
in die Gehörgänge der Benutzer gestreamt
werden. „Neben Meldungen
könnten zukünftig auch Warnhinweise
– etwa ‚Gefrierschranktür steht offen‘
– oder Zubereitungshinweise wie
‚Bitte Spargel einschieben‘ übertragen
werden“, sagt ReSound Deutschland
Geschäftsführer Joachim Gast
gegenüber dem Presseportal. Smarte
Technologie wird zukünftig also auch
dazu beitragen, dass sich alleinlebende
Senioren nicht allein gelassen fühlen
müssen. f
Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
77
Bauen und Wohnen
Es kommt
Leben in die
Das ist der Moment, vor dem sich jeder Hausbesitzer fürchtet: Schimmel in den eigenen vier
Wänden. Mikroorganismen wie Pilze und Bakterienkulturen haben beim Wohnungsbau oder gar
im Haushalt nichts zu suchen, gelten als Zeichen mangelnder Hygiene. Bis jetzt. Unser Bild der
winzigen Lebewesen könnte sich in den nächsten Jahren radikal verändern.
Für viele Menschen ist Keimfreiheit ein Synonym für
Gesundheit und Sauberkeit. Dabei sind bei Weitem
nicht alle Mikroorganismen gesundheitsschädlich,
viele sogar überlebenswichtig. Obwohl Forscher schon seit
über 300 Jahren Bakterien beschreiben und katalogisieren,
sind wahrscheinlich nicht einmal 95 Prozent aller existierenden
Arten bekannt. Kreative in Kunst und Architektur
haben jetzt das Potenzial der verrufenen Lebewesen erkannt.
Dabei ist die Verbindung von Natur und Architektur gar
nicht neu. Bereits nach dem ersten Weltkrieg strebten progressive
Architekten wie Hugo Häring oder Hans Scharoun
nach Harmonie zwischen Gebäude und Natur. Für ihre Bauten
verwendeten sie größtenteils natürliche Baumaterialien.
Die hier vorgestellten Projekte stehen damit im Geiste
dieser organischen Architektur und führen das Konzept
konsequent fort.
Abfall als wertvoller Rohstoff
Warum nicht den Gasherd und die Heizung mit Abfall betreiben?
Was auf den ersten Blick abwegig scheint, ist das
erklärte Ziel von Philips Design. Mit dem „Microbial Home“
stellen die Designer ein visionäres, geschlossenes Wohnkonzept
vor. Bakterien zersetzen hier Abfälle zu Biogas.
Das modular aufgebaute System nutzt dieses anschließend
als Energiequelle. Der Begriff „Müll“ verliert seine Bedeutung,
wenn Abfall als Rohstoff begriffen wird: Es ist die
Vision der vollendeten Kreislaufwirtschaft in den eigenen
vier Wänden.
Mit dem „Paternoster“ als integriertes Modul ist das System
nicht nur auf biologischen Abfall beschränkt. Die Upcycling-Maschine
soll Kunststoffabfälle mithilfe von Enzymen
zersetzen. Als Produkt entstehen essbare Pilze.
Ebenfalls in das System integriert sind ein urbaner Bienenstock,
leuchtende Bakterien in den Lampen und Was-
78 Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
Bauen und Wohnen
serfilter in den Sanitäranlagen. Selbst
Exkremente könnten so nach den Vorstellungen
der Designer als Nähr- und
Rohstoff für die Bakterien dienen.
Gezüchtete Häuser aus
genmanipulierten Bäumen
Eine ähnliche, aber noch radikalere
Idee verfolgt Mitchell Joachim. Der
promovierte Architekt forscht seit Jahren
an nachhaltiger Architektur und
entwickelte die Vision des „Fab Tree
Hab“: Aus gentechnisch veränderten
Bäumen sollen „gezüchtete“ Häuser
entstehen, die in einer symbiotischen
Beziehung zu ihrer Umwelt stehen.
Dabei produziert ein Fab Tree Hab
während seines gesamten Lebenszyklus
Nahrung für seine Bewohner.
Auch hier entsteht kein Abfall oder
Abwasser im klassischen Sinne, alles
findet im geschlossenen Kreislauf
Simulationen: Mitchell Joachim, Terreform ONE
Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
Foto: Courtesy of Phil Ross & Workshop Residence
zwischen Ökosystem und Haus seine
(Wieder-)Verwendung.
Das klingt stark nach Science-Fiction.
Joachim selbst scheut diesen
Vergleich aber nicht. Gegenüber dem
Zukunftsinstitut sagte er: „Die Ideen,
die wir vorbringen, basieren auf bereits
serienmäßig existierenden Technologien.
Wir ändern nur die Lösungsgrundlage
und tun Dinge, die nicht
immer offensichtlich sind. Wir haben
kein Problem damit, über Science-Fiction
nachzudenken – wir begrüßen es
sogar.“ Noch sind allerdings nicht alle
für das Projekt benötigten Technologien
ausgereift. Beispielsweise fehlen
organische Fenster. Deshalb wird es
wohl noch eine Weile dauern, bis der
visionäre Architekt dem ersten Fab
Tree Hab den Lebensfunken einhauchen
kann.
Kreativ mit Pilzen
Bodenständiger geht es in den Werkräumen
des Künstlers Philipp Ross
zu. Der ehemalige Küchenchef hat
während seiner Arbeit am Herd die
Liebe zu Speisepilzen entdeckt und
nutzt sie jetzt als Rohstoff für Möbelstücke
und Skulpturen. Der Vorteil:
Im Gegensatz zu Baumaterialien wie
Beton bleiben Pilze über einen längeren
Zeitraum formbar, sind hitze- und
lichtempfindlich.
Die jahrelange Arbeit mit dem exotischen
Material hat allerdings auch den
gebürtigen New Yorker zu visionärem
Denken beflügelt: In seinem Projekt
„Mycotecture“ soll ein komplettes Gebäude
aus Speisepilzen gezüchtet und
errichtet werden. „Wir können jetzt
schon in zwei Wochen eine Menge an
Lederersatzstoff aus Pilzen züchten,
für die man in der Massentierhaltung
zwei Jahre bräuchte. Und dabei benötigen
Pilze nur Abfall als Nährstoff.
Sie sind der Rohstoff der Zukunft“,
Oben: Die Vision des „Fab Tree Hab“
Unten: Aus Speisepilzen gezüchteter
Stuhl
Foto: Susana Cámara Leret
Die „Latro Algen Lampe“
sagt Ross in einem Video auf seiner
Internetseite.
Das Algen-Kraftwerk
Geht es nach den Vorstellungen des
Designers Mike Thompson, werden
Algen zukünftig als Energiequelle dienen.
Der Engländer entwickelte das
Konzept der „Latro Algen Lampe“: In
einer Hängelampe befindliche Algen
betreiben Fotosynthese und produzieren
Strom, der in einer Batterie
gespeichert wird. Das benötigte CO 2
stammt dabei aus der Atemluft, die
über ein Mundstück zugeführt wird.
Vorerst bleibt das Algen-Kraftwerk
aber ebenfalls noch Zukunftsmusik.
Das schreckt die Pioniere des organischen
Designs aber nicht davor ab,
ihre futuristischen Ideen zu verfolgen.
Schließlich hat Hermann Hesse einmal
bemerkt: „Man muss das Unmögliche
versuchen, um das Mögliche zu
erreichen.“ f
79
Bauen und Wohnen
Holland
in Not
Aquakulturen gezüchtet werden. Die
Nährstoffe erhalten die Algen von Abwässern,
die vom Festland ins Meer
gelangen – und filtern so ganz nebenbei
das Wasser.
Simulation: Blue21
Von Julia Arendt
Die Menschen des 21. Jahrhunderts
zieht es in die Städte.
Prognosen zufolge soll der Bevölkerungsanteil
dort im Jahr 2050
bei 70 Prozent liegen – derzeit beträgt
er etwas mehr als 50 Prozent. Den
größten Andrang werden die kleineren
und mittelgroßen Orte mit bis zu
fünf Millionen Einwohnern erleben.
Das stellt Städteplaner und Ingenieure
vor gewaltige Herausforderungen.
Genügend Wohn- und Arbeitsraum
muss her. Dieser soll den Bewohnern
nicht nur eine hohe Lebensqualität
bieten – gleichzeitig sollen Luftverschmutzung
und die Auswirkungen
des Klimawandels verringert werden.
Es wird also höchste Zeit, die nachhaltige
Stadtentwicklung der Zukunft
im Blick zu haben.
Küstenstädte lernen schwimmen
Der Klimawandel hat weitreichende
Folgen. So rechnen Forscher damit,
dass etwa der Meeresspiegel durch
Polar- und Gletscherschmelze bis zum
Jahr 2100 stellenweise bis zwei Meter
ansteigen wird. Das niederländische
Unternehmen „Blue21“ hat dafür die
Zukunftslösung: Es entwickelt Baukonzepte,
wie Küstenstädte sich etwa
auf dem Meer über schwimmende
Plattformen ausdehnen können. Die
Vision des Projekts: die schwimmenden
Städte stehen in enger Verbindung
mit dem Festland und bilden
eine Symbiose. Sie versorgen sich
selbstständig mit Energie, und als
Nahrungsquelle sollen den Menschen
Algen dienen, die über Hydro- und
Ein solches Konzept klingt sehr futuristisch,
wird aber nötig sein: Die
Macher von Blue21 haben errechnet,
dass die fortschreitende Umweltzerstörung,
die wachsende Weltbevölkerung
und der steigende Bedarf an
Lebensmitteln dazu führen wird, dass
im Jahr 2050 zwischen 13 Millionen
und 36 Millionen Quadratkilometer
bewohnbares Land fehlen. Was also
tun? Ihr Vorschlag sieht die Verlagerung
eines Teils der Produktion von
Nahrungsmitteln und Biokraftstoffen
aufs Wasser vor. Zwischen 2,4 und 5,4
Millionen Quadratkilometer schwimmende
Urbanisation auf dem Meer,
könnten den erwarteten Mangel an
Landfläche lindern helfen.
Ein Kuhstall auf dem Wasser
Die Niederländer pflegen eine Beziehung
zum Wasser, die weltweit seinesgleichen
sucht. Ein Viertel des Landes
liegt unterhalb des Meeresspiegels;
95 Prozent aller Polder Europas sind
dort zu finden. Wer etwa vor 150 Jahren
das Gebiet des heutigen Amsterdamer
Flughafens Schiphol besucht
hätte, wäre ohne Boot aufgeschmissen
gewesen. Wenn in Schipohl und an
allen anderen tief liegenden Regionen
nicht ständig Wasser abgepumpt
und die Küsten nicht ständig mit Sand
aufgeschüttet würden, läge die niederländische
Küste 60 Kilometer weiter
östlich, so die Universität Münster.
80 Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
Bauen und Wohnen
Simulation: BELADON
Die Floating Farm ermöglicht einen geschlossenen
Kreislauf von Wasser, Energie und Abfall.
Die Niederländer wissen aber nicht nur, wie man dem
Meer durch mächtige Deiche und Entwässerungssysteme
Land abtrotzt. Sie haben auch gelernt, auf dem Wasser
zu leben. Mit Hausbooten und schwimmenden Häusern
beispielsweise. Der neueste Ansatz geht aber noch einen
Schritt weiter: Künftig sollen Kühe auf einer riesigen Potonfläche
im Hafen von Rotterdam ihre Heimat haben; in
einem schwimmenden Hightech-Kuhstall. Zweigeschossig,
sollen beim Projekt „Floating Farm“ bis zu 40 Kühe im ersten
Stock Platz finden und täglich mehrere 100 Liter Milch
geben. Im Untergeschoss sind Gewächshäuser zur Futtermittelproduktion
und eine Molkerei vorgesehen, in der die
Milch weiterverarbeitet wird.
Die Idee dahinter: Da viele alte Hafenbecken mittlerweile
zu klein für große Containerschiffe sind, soll der ungenutzte
Raum eine neue Bestimmung bekommen und in Zeiten
knapp werdender Flächen sollen dort lokal frische Lebensmittel
erzeugt werden, wo viele Menschen leben. f
Forscher wollen Städte aus Vulkanasche bauen
Mischung aus Beton und Gesteinspulver reduziert Energiebedarf
Forscher des Massachusetts Institute of Technology
(MIT) haben gemeinsam mit Kollegen der Kuwait Foundation
for the Advancement of Science ein Pilotprojekt
gestartet, um Gebäude und ganze Stadtteile in Zukunft
aus einer Mischung aus herkömmlichem Beton und Vulkanasche
zu bauen. Die Vorteile: Das fein pulverisierte
Vulkangestein kommt in der Natur häufig vor, kann bei
kleinerer Partikelgröße die Materialstärke verbessern
und reduziert den Energiebedarf.
Partikelgröße entscheidend
„Indem wir einen gewissen Prozentsatz des traditionellen
Betons durch Vulkanasche ersetzen, können wir
den Energieaufwand, der nötig ist, um dieses Material
herzustellen, auf signifikante Weise reduzieren“, zitiert
„TechXplore“ Oral Buyukozturk vom Department of Civil
and Environmental Engineering des MIT. So konnte
etwa bei einem Modellversuch in Kuwait-Stadt gezeigt
werden, dass sich bei einem Stadtteil mit 26 Gebäuden
eine Energieersparnis von 16 Prozent ergibt, wenn man
bei dessen Errichtung anstatt des normalen Betons ein
50:50-Gemisch aus Beton und Vulkanasche verwendet.
Je nachdem, wie fein das vulkanische Gestein pulverisiert
wird, kann eine Beigabe dieses natürlich vorkommenden
Stoffes zudem dazu führen, dass sich die
Stärke des dadurch gewonnenen Materials verbessert.
„Wenn man das Gestein bis auf eine Partikelgröße
von sechs Mikrometern zermahlt, steigert das die
Härte, wirkt sich aber auch auf den Energieaufwand
aus“, erläutert Buyukozturk. Die oben angegebenen 16
Prozent Energieersparnis lassen sich nämlich nur bei
einer Partikelgröße von 17 Mikrometern erreichen. „Man
kann das anpassen, wie man es haben möchte“, so der
MIT-Forscher.
Ziel: CO 2
-Emissionen senken
Laut Buyukozturk und seinen Kollegen ist Beton nach
Wasser das am häufigsten verwendete Material auf der
Welt. Die Energiebilanz seiner Herstellung ist allerdings
nicht wirklich nachhaltig: Zuerst müssen größere Gesteinsbrocken
wie etwa Kalkstein aus Steinbrüchen herausgesprengt
werden, dann müssen diese Brocken zu
Mühlen transportiert werden, wo sie zerkleinert werden,
um anschließend unter hohen Temperaturen verschiedene
Prozesse über sich ergehen zu lassen.
„Solch eine energieintensive Herstellung erzeugt einen
deutlich spürbaren ökologischen Fußabdruck. Auf
die Produktion von herkömmlichem Zement entfallen
weltweit gerechnet rund fünf Prozent der Kohlendioxidemissionen.
Ziel unseres Projektes ist es, neue Möglichkeiten
aufzuzeigen, wie sich der Kohlendioxidausstoß
durch nachhaltige Zusatzstoffe oder Alternativen zu
Beton deutlich senken lässt“, fasst der MIT-Experte
zusammen.
Ausgabe 9 | Mai 2018 | Umweltdialog.de
81
Bauen und Wohnen
guter
Letzt
Zu
Wehe,
wenn der Sprachassistent
böse auf dich ist!
Zahlreiche Nutzer des Sprachassistenten „Amazon Echo“
berichten im Internet von „bösartigem Gelächter“, das von
ihrem Gerät ausgeht. Einige User beschreiben das unverhohlene
Gackern von Alexa als „hexenartig“ und „extrem
gruselig“. Befehle würden zudem missachtet.
Sprachbefehle ignoriert
Ein Nutzer behauptet hinsichtlich der zahlreichen verängstigten
Beiträge gegenüber „BuzzFeed“, dass er versucht
habe, das Licht auszuschalten. Das Gerät hätte dieses jedoch
wiederholt wieder eingeschaltet, bevor der Sprachassistent
ein „böses Lachen“ von sich gegeben habe. Alexa selbst hat
ein eigenes Lachen, das Nutzer mit einer bestimmten Frage
auslösen können. Dieses würde sich den Berichten zufolge
jedoch deutlich von den kürzlichen Fällen des bösartigen
Gackerns unterscheiden.
Ein anderer Nutzer gibt an, er hätte Alexa befohlen, den Wecker
abzustellen. Der Sprachassistent reagierte dem User
zufolge jedoch auch in diesem Fall mit einem „hexenartigen“
Lachen. Ein weiterer Reddit-User schreibt, dass sein
Alexa-Gerät es abgelehnt habe, das Licht auszuschalten.
„Nach der dritten Bitte reagierte Alexa gar nicht mehr
und lachte stattdessen böse. Das Lachen war nicht in der
Alexa-Stimme. Es klang wie eine echte Person“, so der Nutzer.
Störimpulse vermutet
Viele weitere Anwender berichten über ähnliche Vorfälle, in
denen der Sprachassistent Befehlen nicht mehr nachgekommen
sei und stattdessen zu lachen begonnen habe. Bislang
ist nicht klar, warum Alexa derzeit ohne eine spezielle Frage
lacht oder eine andere Stimme dafür benutzen kann. Laut
dem Bericht ist der Online-Versandhändler und Alexa-Entwickler
Amazon noch nicht auf Anfragen nach weiteren Informationen
über den Störimpuls eingegangen. Erst kürzlich
wurde jedoch auch bekannt, dass Alexa oft durch Geräusche
der Umgebung und nicht durch den Nutzer selbst ausgelöst
werden kann. Werbespots wären in vielen Fällen der Grund
für ungewollte Befehle gewesen. f
IMPRESSUM
UmweltDialog ist ein unabhängiger Nachrichtendienst
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