Doppelt bestraft - Zahnärztekammer Niedersachsen
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FLUORIDPROPHYLAXE<br />
unter Berücksichtigung des Kariesrisikos<br />
Prof. Dr. Thomas Attin, Göttingen<br />
1. Einleitung<br />
Sollten sich alle ca. 75. Mio. Einwohner<br />
der Bundesrepublik zweimal<br />
jährlich einer professionellen<br />
Zahnreinigung von ca. 1 h unterziehen,<br />
so wäre dieser Bedarf nur<br />
durch ca. 86.000 Prophylaxekräfte<br />
zu erfüllen (Abb. 1). Bei der Implementierung<br />
von Prophylaxeprogrammen<br />
sollte daher berücksichtigt<br />
werden, dass es bei einer undifferenzierten<br />
Anwendung von professionell<br />
durchgeführten Prophylaxemaßnahmen<br />
in der zahnärztlichen<br />
Praxis zu einem nicht zu erfüllenden<br />
Bedarf an Prophylaxekräften käme. Untersuchungen<br />
zur Verteilung der Karies bei Kindern und Jugendlichen zeigen,<br />
dass es zunehmend zu einer Polarisation der Karies<br />
gekommen ist. Dies bedeutet, dass einer großen Anzahl an<br />
Personen (ca. 80%) mit keinen oder nur gering ausgeprägten<br />
Läsionen eine kleine Gruppe von Patienten mit hohem<br />
Kariesbefall gegenübersteht (Marthaler 1975, Pieper 1998).<br />
Speziell für diese Patientengruppe scheinen intensivere Prophylaxebemühungen<br />
notwendig, um das Auftreten neuer<br />
kariöser Läsionen zu verhindern. Dazu zählt neben Maßnahmen<br />
zur Ernährungslenkung,<br />
der<br />
Fissurenversiegelung<br />
(bei Kindern und<br />
Jugendlichen), der<br />
antibakteriellen Therapie<br />
zur Reduzierung<br />
kariesaktiver<br />
Mikroorganismen in<br />
der Mundhöhle vor<br />
allem die Anwendung<br />
von Fluoriden zur<br />
Prof. Dr. Thomas Attin<br />
1: Prophylaxebedarf in Deutschland unter der Anme,<br />
dass nahezu alle bezahnten Bundesbürger zweipro<br />
Jahr eine professionelle Zahnreinigung erhalten.<br />
20<br />
Verbesserung der Balance<br />
zwischen Deund<br />
Remineralisation.<br />
2. Kariesprophylaxe durch Fluoride<br />
Bei der Fluoridierung wird zwischen der systemischen (z.B.<br />
Tablettenfluoridierung, Trinkwasserfluoridierung, Salzfluoridierung,<br />
Milchfluoridierung) und der lokalen Fluoridapplikation<br />
(Lacke, Gelees, fluoridhaltiger Schaum, Zahnpasten)<br />
unterschieden. Als systemische Fluoridierungsarten werden<br />
die Maßnahmen verstanden, bei denen Fluorid per os aufgenommen,<br />
im Magen-Darm-Trakt resorbiert und anschließend<br />
in geringen Mengen über den Speichel wieder ausge-<br />
ZAHNÄRZTLICHE<br />
NACHRICHTEN<br />
NIEDERSACHSEN 11/03<br />
schieden wird. Durch eine systemische Fluoridierung kommt<br />
es ferner zu einem Kontakt von Fluorid mit noch nicht<br />
durchgebrochenen Zähnen, was zu einem Einbau von Fluorid<br />
in die Zahnhartsubstanzen während der primären Mineralisation<br />
führt. Dem präeruptiven Einbau von Fluorid in<br />
Schmelz und Dentin wird aber in der modernen Literatur<br />
nur eine untergeordnete kariesprophylaktische Rolle zugeschrieben.<br />
Vielmehr wird davon ausgegangen, dass der<br />
direkte lokale Kontakt der Zähne mit Fluorid eine Beeinflussung<br />
der De- und Remineralisation zur Folge hat. Ein<br />
lokaler Kontakt der Zahnoberflächen tritt vor allem bei den<br />
lokalen, aber auch bei den systemischen Fluoridierungsarten<br />
während der Verweildauer der fluoridhaltigen Präparate<br />
oder Nahrungsmittel im Mund auf.<br />
Es stehen verschiedene Fluoridierungsmaßnahmen zur Verfügung.<br />
Um eine Überdosierung zu vermeiden, ist zunächst<br />
eine gründliche Fluoridanamnese beim Patienten vorzunehmen.<br />
Erst dann kann entsprechend des beim Patienten vorliegenden<br />
Kariesrisikos eine angemessene Fluoridprophylaxe<br />
implementiert werden.<br />
In der Zahnarztpraxis<br />
stehen<br />
vor allem die beiden<br />
Möglichkeiten der<br />
Anwendung von<br />
Fluoridgelen und -<br />
lacken zur lokalen<br />
Fluoridapplikation<br />
zur Verfügung.<br />
Heute weiß man,<br />
dass das während<br />
der Zahnentwicklung<br />
in den Schmelz<br />
eingelagerte Fluorid<br />
nicht ausreicht, um<br />
einen klinisch messbarensäurelöslichkeitshemmenden<br />
Effekt zu erzielen<br />
Abb. 2 a und b:<br />
Darstellung fluorotischer Zahnschmelzveränderungen<br />
a) Milde weissliche Fluorose.<br />
In einem solchen Fall sollte anamnestisch<br />
das Vorliegen von Turnerzähnen abgeklärt werden.<br />
b) Bei dieser dunklen Form der Fluorose ist es vermutlich<br />
zu einer dunklen, externen Farbeinlagerung in den fluorotisch<br />
veränderten, porösen Zahnschmelz gekommen (Abb.<br />
mit freundlicher Genehmigung von Prof. Dr. E. Hellwig).<br />
(Fejerskov et al. 1981, Ten Cate und Featherstone 1991).<br />
Fluoridtabletten sollten bei Kindern daher heute nur noch<br />
Anwendung finden, wenn keine anderen Fluoridierungsmassnahmen<br />
durchgeführt werden und ein hohes Kariesrisiko<br />
vorliegt. Eine Schmelzfluorose entsteht durch Schädigung<br />
des Stoffwechsels der schmelzbildenden Ameloblastenzellen<br />
in der präeruptiven Phase (Abb. 2a und b). Die Grenzdosis<br />
für Kinder für die Ausbildung einer Fluorose im bleibenden<br />
Gebiss wird mit 0,02-0.1 mg F - /kg-Körpergewicht/Tag<br />
angegeben (Forsman 1977, Fejerskov et al. 1996). Grund-