65 Jahre KLE. Reden zum Jubiläumsfest - KA Steiermark ...
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Der personalistische Philosoph und jüdische Theologe Martin Buber<br />
hat ein kleines Buch geschrieben mit dem Titel „Zwei Glaubensweisen“.<br />
Buber sagt, Glauben im Horizont der Bibel, mindestens der jüdischen Bibel<br />
– des Alten Testamentes also – sei Vertrauen. Glauben sagt sich zuletzt<br />
nicht in der Formel aus „ich glaube, dass dies und das wahr ist“, sondern<br />
in der Formel “Ich glaube Dir“ und diese Formel findet ihre höchste Verwirklichung,<br />
wenn der Mensch zu Gott, auf Gott hin sagt „Ich glaube Dir,<br />
ich vertraue auf Dich“. Ohne das Wagnis des Glaubens, in welchem ein<br />
Mensch sich auf andere Menschen hin und schließlich auf Gott hin öffnet,<br />
bleibt – davon ist nicht nur Martin Buber überzeugt – bleibt der Mensch ein<br />
Torso, ist eine seiner Grunddimensionen unausgefaltet. Wissen – das ist<br />
eine Weise, sich Wirklichkeit zu erschließen; ein Weg, der in den letzten<br />
Jahrhunderten und schon gar im 20. Jahrhundert auf vorher kaum vorstellbare<br />
Weise ausgebaut worden ist. Glauben – das ist die andere, die komplementäre<br />
Weise der Erschließung der Realität. „Glauben heißt, nichts<br />
wissen“, so lautet der <strong>zum</strong> Gemeinplatz gewordene Spruch von Halbaufgeklärten,<br />
die den Menschen und so sich selbst gar nicht radikal erkannt<br />
haben. Glauben im christlichen Sinn heißt allerdings nicht nur Vertrauen,<br />
blindes Vertrauen, sondern heißt auch glauben, dass etwas wahr und<br />
etwas anderes falsch sei. Glauben schließt auch Rationalität und Plausibilität<br />
ein und darauf begründet sich ja alle Theologie. Aber niemals kann der<br />
Glaube in lauter kleine Denkschritte aufgelöst werden, die insgesamt den<br />
Sprung in den Glauben, das Wagnis der Zumutung an das Beste im Menschen<br />
ersparen würden.<br />
Der zweite Grundbegriff im Thema unserer Überlegungen lautet: „Bildung“.<br />
Was bedeutet dieses vielstrapazierte Wort? Ein sicher höchstens halbwahres<br />
Bonmot sagt, Bildung sei das, was übrig bleibt, wenn man alles<br />
vergessen hat, was man lernen musste.<br />
„Der Begriff Bildung hat sachlich wie sprachlich seine Konturen ziemlich<br />
verloren“ liest man im evangelischen Lexikon „Die Religion in Geschichte<br />
und Gegenwart“. Weniger begriffsskeptisch sagt das katholische „Lexikon für<br />
Theologie und Kirche“: „Bildung bedeutet den Vorgang, in dem der Mensch<br />
die eigentliche Gestalt des Menschseins erlangt.“ Lassen wir beide fragmentarischen<br />
Aussagen in ökumenischer Eintracht nebeneinander stehen und<br />
beleuchten wir kurz das Bildungsziel, wie es oben formuliert wurde: die „eigentliche<br />
Gestalt des Menschseins“. Gestalt ist einer der Zentralbegriffe in<br />
der Anthropologie Goethes ebenso wie in der Theologie Romano Guardinis<br />
oder Hans Urs von Balthasars. Bildung zielt auf die Ausprägung der Gestalt.<br />
Was damit gemeint ist, zeigt ergreifend eine kleine Skulptur an der<br />
Fassade der Kathedrale Chartres bei Paris. Diese Skulptur gehört einem<br />
Zyklus von Bildwerken an, die die Schöpfung der Welt und des Menschen<br />
darstellen. Der unsichtbare Gott ist als menschgewordenes Wort, als junger<br />
Christus dargestellt, wie er eben den Adam erschafft. Dieser Adam ist als<br />
Gestalt schon deutlich ausgeprägt. Nur das Haupt des Adam ist noch nicht<br />
vollendet. Der Gott-Logos hält das Haupt des Adam in Händen und streicht<br />
glättend über die Stirn des Urmenschen. Die Gestalt Gottes und die Gestalt<br />
des Adam sind einander höchst ähnlich. Nur das Antlitz des Adam hat die<br />
Schönheit des göttlichen Antlitzes noch nicht erreicht. Das ist eines der<br />
schönsten Gleichnisse für das, was Bildung sein soll: Erkennen der geheimen<br />
Entelechie im Adam, im Menschen, und geburtshelferisches Bemühen<br />
um Entfaltung, um Gestaltwerdung dieser Entelechie.<br />
Bildung ist nicht zuerst Ein-Bildung eines Fremden, Aufgezwungenen<br />
in das Knetwachs kindlichen oder jugendlichen Menschseins, sondern Aus-<br />
Bildung, Ans-Licht-Bringen dessen, was in ihm angelegt ist. Freilich ist Bil-<br />
4 | Begegnungen 1/2011 <strong>65</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>KLE</strong>. <strong>Reden</strong> <strong>zum</strong> <strong>Jubiläumsfest</strong><br />
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