UNIversalis-Zeitung Sommersemester 2018
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16 <strong>UNIversalis</strong>-<strong>Zeitung</strong> Sommer <strong>2018</strong><br />
Zur Hermeneutik der<br />
„Schwarzen Hefte“<br />
Rezension: Heidegger-Jahrbuch 11<br />
Nachdem sich der erste hysterische<br />
Sturm der Rezeption von Heideggers<br />
sogenannten „Schwarzen<br />
Heften“ gelegt hatte, wurden wieder<br />
sachlichere Stimmen vernehmbar.<br />
So auch im bereits Ende letzten Jahres<br />
erschienenen Heidegger-Jahrbuch<br />
11 vom hiesigen Alber-Verlag.<br />
Mit Heideggers „Schwarzen Heften“<br />
betraute Journalisten wähnten<br />
sich scheinbar in guter Gesellschaft,<br />
wenn sie den längst als „Naziphilosoph“<br />
Entlarvten nun auch noch des<br />
Antisemitismus bezichtigen konnten.<br />
Jetzt durfte der Philosoph zum<br />
zweiten Mal „erledigt“ werden. Die<br />
internationalen akademischen Stars<br />
wie Jean-Luc Nancy (Straßburg),<br />
Hans-Ulrich Gumbrecht (Stanford),<br />
Donatella di Cesare (Rom) und mit<br />
Einschränkung auch Peter Trawny,<br />
der als Herausgeber die Diskussion<br />
mit in diese Richtung gelenkt hatte,<br />
saßen dieser tendenziösen und<br />
einseitig auf den Antisemitismus<br />
fixierten Deutung der „Schwarzen<br />
Hefte“ auf und sind dem Charme<br />
der Empörung leider ebenso erlegen<br />
wie manche Journalisten. Wobei<br />
Trawnys Einlassungen, wenn<br />
man sie genau betrachtet, eher<br />
differenzierter zu bewerten sind.<br />
Er gibt sich alle Mühe, wenn nicht<br />
den Philosophen als Person so aber<br />
seine Philosophie, die größer zu<br />
sein scheint als der kleine Mann,<br />
der sie denkt und unter ihrer Last<br />
zu zerbrechen droht, unter seinem<br />
Eindruck des „seinsgeschichtlichen<br />
Antisemitismus“ dennoch zu retten;<br />
v.a. in seiner Schrift „Irrnisfuge“<br />
(2014), die kurz nach seinem<br />
„Heidegger und der Mythos der<br />
jüdischen Weltverschwörung“ erschien<br />
und z.T. durchaus als Revision<br />
desselben gelesen werden kann.<br />
Doch sensationslüstern stürzte man<br />
sich eben nur auf sein „rotes Buch“.<br />
Rüdiger Safranski, der Heidegger-<br />
Biograf, hatte ja bereits zu Anfang<br />
der Debatte den Verdacht geäußert,<br />
dass man die skandalumwitterten<br />
Stellen dankbar aufnahm, um sich<br />
Heideggers eigentlicher Philosophie<br />
nun elegant entledigen zu können.<br />
Hysterie und Angst vor der<br />
großen Irre<br />
Dass dies in den Beiträgen des<br />
aktuellen Heidegger-Jahrbuchs<br />
nicht geschieht, ist begrüßenswert.<br />
Der Tenor ist nun wieder der Sache<br />
gewidmet, vielleicht auch dem<br />
Umstand geschuldet, dass vier Jahre<br />
nach der Erstveröffentlichung genug<br />
Zeit war, die bisher erschienenen<br />
Bände zu bearbeiten, statt sich bloß<br />
die 0,3 Prozent der Textmasse ausmachenden<br />
antisemitischen Stellen<br />
herauszupicken, ohne sich nur<br />
annähernd darum zu bemühen, sie<br />
in ihrem Kontext zu betrachten. Es<br />
kursierten Meinungspamphlete, die<br />
ihre Argumentation nur aus Vorurteilen<br />
aufgebaut hatten und entsprechende<br />
Stellen suchten, um jene bestätigt<br />
zu finden, statt zu lesen, was<br />
wirklich in den „Schwarzen Heften“<br />
stand. Die Herausgeber Alfred Denker<br />
und der ehemalige Freiburger<br />
Holger Zaborowski schicken gleich<br />
in ihrem Vorwort voraus, dass „die<br />
Frage nach seinem Verhältnis zum<br />
Nationalsozialismus und die Frage<br />
nach seinem Antisemitismus“ die<br />
Debatte dominiert hätten, obwohl<br />
sich Heidegger nicht nur in seinem<br />
Gesamtwerk, sondern sogar „in den<br />
Schwarzen Heften zum Großteil mit<br />
anderen Themen befasste“ und dies<br />
völlig aus dem Blick geriet.<br />
Die zentrale Leitfrage der gesamten<br />
Debatte war dem Thema gewidmet,<br />
ob nach der Entdeckung der<br />
skandalösen Stellen in seinen Denktagebüchern,<br />
die die sogenannten<br />
„Schwarzen Hefte“ eigentlich sind,<br />
worauf der Beitrag von Richard Polt<br />
(Cincinnati, USA) insistiert, Heideggers<br />
Denken und Werk mit einem<br />
wie immer gearteten Antisemitismus<br />
per se „kontaminiert“ (Trawny)<br />
seien. Oder ob Heideggers Erwähnung<br />
der Juden „innerhalb des<br />
weiten Horizonts der Modernitätskritik<br />
betrachtet werden sollte“ (F.<br />
Brencio), wie es auch Silvio Vietta<br />
(Hildesheim) tut. Auch für Ingo<br />
Farin (Tasmanien) „ist die globale<br />
Zivilisationskritik“ zentraler Inhalt,<br />
der mit „den Juden“ nichts zu tun<br />
hätte. Er geht sehr plausibel sogar<br />
soweit, dass „ohne jeglichen Beleg,<br />
einige Termini, die Heidegger<br />
benutzt, als ‚Code‘ für antisemitische<br />
Inhalte interpretiert“ würden,<br />
„was als methodologische Maxime<br />
darauf hinaus“ liefe, „in den Text<br />
Heideggers das hineinzulegen, was<br />
man gerne aus ihm<br />
herauslesen möchte“.<br />
Der Beitrag Takao<br />
Todorokis (Yokosuka,<br />
JPN), bemerkt,<br />
dass die umstrittenen<br />
Stellen zum Judentum<br />
„wiederholt immer<br />
in einem Zusammenhang<br />
zu seinen<br />
kritischen Bemerkungen<br />
zum Nationalsozialismus<br />
auftauchen“.<br />
Dieser sei<br />
ja „völlig durch das<br />
metaphysische Denken,<br />
das Heidegger<br />
als etwas Jüdisches<br />
ansieht, bestimmt“.<br />
Beim Hervorkommen<br />
der „Machenschaften“<br />
hätte „die<br />
jüdisch-christliche<br />
Schöpfungslehre und<br />
die damit zusammenhängende<br />
Vorstellung eines<br />
absoluten Gottes eine große Rolle<br />
gespielt“. Genau so sieht es auch<br />
Francesca Brencio (Zaragoza, ESP,<br />
u. Freiburg). Todorokis Beitrag<br />
sieht zwar den Zusammenhang<br />
von Heideggers Bemerkungen<br />
zum Judentum mit seinem „seynsgeschichtlichen<br />
Denken“, bewegt<br />
sich aber im Rahmen der Unterscheidung<br />
Silvio Viettas, der das<br />
rassistische Vernichtungsprogramm<br />
der Nazis von einer „lässlichen Judenkritik“<br />
mit nachvollziehbaren<br />
guten Gründen getrennt wissen<br />
möchte. Für Peter Trawny war bei<br />
einem Podiumsgespräch mit Vietta<br />
und Safranski in der Rainhofscheune<br />
in Kirchzarten vor zweieinhalb<br />
Jahren im politisch korrekten Sinne<br />
hier die Grenze zum rassistischen<br />
Antisemitismus überschritten. Die<br />
unvereinbaren Auffassungen werden<br />
die Heidegger-Forschung wohl<br />
weiterhin in mindestens zwei Lager<br />
von Befürwortern und Gegnern<br />
spalten. Es wäre wünschenswert,<br />
dass Heideggers eigentliche Philosophie<br />
hinter dieser Diskussion<br />
nicht in Vergessenheit gerät und diese<br />
Debatte und jede weitere dadurch<br />
die anfangs fehlenden aber gleichwohl<br />
angemessenen Zwischentöne<br />
gewinnt. Das Heidegger-Jahrbuch<br />
11 des Alber-Verlags trägt mit einer<br />
bemerkenswerten Internationalität<br />
und Unaufgeregtheit der Beiträge<br />
jedenfalls dazu bei und relativiert<br />
auch so manche Aufgeregtheit der<br />
deutschen Diskussion.<br />
Alfred Denker, Holger Zaborowski<br />
(Hrsg.), Zur Hermeneutik der<br />
„Schwarzen Hefte“, Heidegger-<br />
Jahrbuch 11, Alber-Verlag Freiburg<br />
2017, 224 Seiten, € 50, im Abo € 42<br />
Jens Bodemer