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Berufspraxis und Berufsbild im Umbruch? Von Muriel Surdez - SAVIR

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Die Feminisierung des Veterinärwesens in der Schweiz Prof. <strong>Muriel</strong> <strong>Surdez</strong><br />

Dieser Umstand weist auf Schwierigkeiten in jeder Arbeitsteilung hin, d. h. auf eine<br />

Hierarchie von Aufgaben, Verantwortlichkeiten <strong>und</strong> Zeitaufwand (wer übern<strong>im</strong>mt die<br />

beliebten <strong>und</strong> wer die weniger beliebten Aufgaben?).<br />

Ähnliche (Un)Gleichgewichte haben wir in Gemeinschaftspraxen mit mehreren Männern oder<br />

auch mit zwei Frauen beobachtet. Wir stellen nachfolgend nur den ersten Fall dar:<br />

Herr J. betreibt zusammen mit einem anderen Tierarzt eine Gemischt- <strong>und</strong> Pferdepraxis in<br />

einem Dorf am Genfersee. Zur Praxis gehören ausserdem eine weibliche Angestellte <strong>und</strong> eine<br />

weibliche Hilfskraft. Wie Herr J. erklärt, führte er zunächst während zwei Jahren alleine eine<br />

Praxis, bevor er sich mit einem Berufskollegen zusammentat. Er gibt an, dass er schon <strong>im</strong>mer<br />

ein grösseres Unternehmen wie in angelsächsischen Ländern aufbauen wollte, da dies ein<br />

rationelleres Funktionieren, fixere Arbeitszeiten <strong>und</strong> eine angemessenere Arbeitsteilung<br />

erlauben würde. Er stelle jedoch fest, dass sich dieses Projekt nicht wie vorgesehen realisieren<br />

lässt. Er beschreibt sich als das tragende Element der Praxis. Seine Ambitionen seien<br />

übertroffen worden, denn <strong>im</strong> Moment versinke die Praxis in der Arbeit. Seine Arbeitskollegen<br />

könnten der Arbeitslast nicht wie er standhalten: Sein Partner hat ein Burnout (kann sich<br />

jedoch nicht zurückziehen, weil er entweder die Schulden für die Praxiseröffnung abzahlen<br />

oder einen Nachfolger finden muss); die weibliche Assistentin, der schon einige Male die<br />

Geschäftspartnerschaft angetragen wurde, schreckt davor zurück, weil sie die Arbeitszeiten<br />

<strong>und</strong> die Verantwortung in Grenzen halten will.<br />

Die Einstellung <strong>und</strong> die Aussagen von Herrn J. sind denjenigen von Frau S. sehr ähnlich. Er<br />

ist stolz auf das, was er geschaffen hat, <strong>und</strong> auf seinen Status des erfolgreichen<br />

Kleinunternehmers, aber er bedauert den persönlichen Tribut, den er dafür zahlen muss. Er<br />

stellte dieses Dilemma in den Vordergr<strong>und</strong>, weil er <strong>im</strong> Moment in Scheidung steht, <strong>und</strong> lastet<br />

diese Auswirkung auf sein Privatleben seinem Job an, indem er sagt, seine Frau habe nicht<br />

verstanden, was es heisse, Veterinär zu sein.<br />

Bei Tierärzten ist die Praxisgemeinschaft eine delikate Organisationsform, weil es keine<br />

Struktur mit fixem Organigramm <strong>und</strong> vertikaler Hierarchie gibt. Der Status des Mitinhabers<br />

geht mit Gleichheit von Autorität <strong>und</strong> Entscheidungsgewalt einher. Das kann einige Probleme<br />

heraufbeschwören, wenn sich jüngere Menschen mit erfahreneren Partnern zusammentun – in<br />

diesem Fall stellt die Erfahrung ein Pr<strong>im</strong>at dar – oder wenn Mitinhaber nicht dieselben<br />

Geldsummen in die Praxis investieren. Das häufige Scheitern von Partnerschaften findet<br />

hierin eine Erklärung; der angeblich schwierige Charakter oder der Individualismus von<br />

Tierärzten stellen individuelle Reaktionen auf diese beruflichen Zwänge dar.<br />

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