1 - Eulenfisch - Bistum Limburg
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imposanter als vorher. Man fühlt sich vom Gebäude<br />
gleichzeitig gehalten, geschützt und von etwas Größerem<br />
überstiegen. Dass innere Stille und Konzentration<br />
auf der Suche nach Gott und tätige Weltveränderung,<br />
um das Paradies schon zu Lebzeiten anfanghaft zu verwirklichen,<br />
sich nicht ausschließen, ist an wenigen Orten<br />
so unmittelbar zu erleben wie in dieser, im romantischen<br />
Sinne, schönen Ruine. Die Zisterzienser hatten<br />
es sich nämlich zur Aufgabe gemacht, die Lebensverhältnisse<br />
der Menschen deutlich zu verbessern, indem<br />
sie effektivere landwirtschaftliche Methoden<br />
in den kärglichen Waldregionen Europas möglichst<br />
weiträumig verbreiteten. Da sich in der ehemaligen<br />
Apsis meistens Holzbänke befinden, können dort gut<br />
die Ausführungen zum Ordensleben präsentiert werden,<br />
das die Lebensumstände der einfachen Bauern in<br />
Europa maßgeblich veränderte. Anschließend steigt<br />
man die steilen Stufen zum Dormitorium hoch und erfährt<br />
hautnah die damaligen Lebensbedingungen der<br />
spirituell und praktisch hoch engagierten Mönche. Mit<br />
einem Gang über den Friedhof jenseits des nördlichen<br />
Seitenschiffs klingt dieser Teil der Annäherung an das<br />
Kloster aus.<br />
Der Kreuzgang<br />
Um sich dem zweiten Teil zu nähern, geht die Gruppe<br />
nun in den ehemaligen Kreuzgang. Im Innenhof befinden<br />
sich lange, mit Thymian bewachsene Gangreihen.<br />
Die Schüler sollten zunächst alleine für sich die<br />
kleinen Tafeln studieren, die die dort eng beieinander<br />
liegenden Gräber markieren und ihre Beobachtungen<br />
anschließend im Plenum mitteilen. Mit Verwunderung<br />
und Bestürzung wird dabei festgestellt, dass hier in<br />
den letzten Kriegstagen ermordete Kriegsgefangene,<br />
SS-Angehörige und Soldaten nebeneinander beerdigt<br />
sind. Dies fällt besonders dann auf, wenn die Schüler<br />
vorher nicht schon thematisch vorbereitet sind, sondern<br />
sich in Gesprächen untereinander auf diesen Umstand<br />
aufmerksam machen.<br />
Die Neugier, über diese von vielen als mindestens<br />
befremdlich empfundene Anordnung mehr zu erfahren,<br />
ist geweckt und die Lust auf neue Information<br />
intensiv. Man muss nicht die Lernpsychologie bemühen,<br />
um sich vorzustellen, dass nun jedes Referat „ver-<br />
schlungen“ wird. Manch einer hat vielleicht auch schon<br />
die Gedenktafel entdeckt, die von einem Todesmarsch<br />
und Massaker berichtet. Die Referenten des Buches<br />
von Michael Keller „Das mit den Russenweibern ist<br />
erledigt“ können nun von einem schwierigen Kapitel<br />
der deutschen Erinnerungsarbeit berichten. Anfangs<br />
waren die Toten nämlich anonym in einem Massengrab<br />
verscharrt. Später, Ende der 50er Jahre, wurden<br />
sie, ebenfalls anonym, im Kreuzgang bestattet. Erst in<br />
den 90er Jahren wurden die Namen und die Geschichte<br />
der Toten soweit möglich durch Michael Keller, einem<br />
Lehrer, erforscht und beschrieben. Seit etwas mehr<br />
als 10 Jahren gibt es die Gedenktafel, die die Gräfin<br />
zu Solms aus dem dort seit Jahrhunderten ansässigem<br />
Adelsgeschlecht gestiftet hat. Im angrenzenden Kapitelsaal<br />
steht ein großes Denkmal zu Ehren der Gefallenen<br />
im Ersten und Zweiten Weltkrieg.<br />
An diesem Ort werden wie in einem Brennglas die<br />
Wunden der jüngeren deutschen Geschichte und die<br />
Schwierigkeiten, sich mit ihr angemessen auseinander<br />
zu setzen, deutlich. Die Schüler kommen durch die<br />
Informationen über die mühsame, von Verdrängungen<br />
und anderen Problemen geprägte Auseinandersetzung<br />
mit der Geschichte, aber auch durch die unausbleibliche<br />
emotionale Ausstrahlung dieses Ortes niemals<br />
ungerührt davon. Sie sind stark motiviert, möglichst<br />
viel davon zu erfahren, auch über den Tag hinaus. Mehr<br />
kann Schule nicht leisten.<br />
Literatur<br />
Rudolf Arnheim: Die Dynamik der Architektonischen Form. Köln (1975)<br />
1980.<br />
Otto Gärtner: Kloster Arnsburg in der Wetterau. 3., durchgesehene<br />
Aufl. Königstein im Taunus 1998.<br />
Michael Keller: „Das mit den Russenweibern ist erledigt.“ Rüstungsproduktion,<br />
Zwangsarbeit, Gestapo-KZ, Massenmord einer SS-Kampftruppe<br />
und die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit am Tatort<br />
Hirzenhain wie auf dem Kriegsgräberfriedhof in Kloster Arnsburg<br />
1943-1996. Zweite stark erw. Aufl. Bindernagel 2000.<br />
PD Dr. Iris Gniosdorsch ist Privatdozentin am Institut<br />
für Katholische Theologie der Justus-Liebig-Universität<br />
Gießen und unterrichtet Katholische Religionslehre und<br />
Ethik am Liebig-Gymnasium in Frankfurt/Main.<br />
„Das Sichtbare ruht im<br />
Unsichtbaren“<br />
Der Maler Gerhard Mevissen im Gespräch über<br />
kontemplative Malerei und die Bedeutung der Stille<br />
Interview mit Gerhard Mevissen<br />
Wir sind geradezu von Bildern umzingelt – vielen lauten, manchmal auch leisen. Sie bezeichnen<br />
sich selbst als einen „kontemplativen Maler“. Was genau meinen Sie damit?<br />
Ich gehe meinen schöpferischen Weg kontemplativ, d. h. aus intensiven Stilleerfahrungen heraus.<br />
Meinen Tag beginne ich in aller Frühe, indem ich mich zunächst in eine absichtslose<br />
Stille begebe, in einen Prozess des Loslassens von rationalem und egozentrischem Denken<br />
und Handeln. Stattdessen übe ich mich darin, mich dem Spirituellen und Poetischen zu überlassen,<br />
das ich hier vorfinde.<br />
Ich erlebe das vor allem als eine innere Haltung des Wartens, des Wartens auf Anwesenheit<br />
und Verwandlung mit dem Ziel eines möglichst absichtslosen Empfangens. Wenn ich warte,<br />
mache ich mich offen für das, was eintreffen wird. Ich weite mich in einer Haltung der Empfangsbereitschaft.<br />
Das braucht Vertrauen. Statt sich zu fürchten, verletzt oder gar vernichtet<br />
zu werden durch das, was mich hier an geistig-geistlicher Gewalt treffen kann, versuche ich<br />
mich auf die Tragfähigkeit der jahrelangen Erfahrungen zu verlassen, innerhalb meiner Potenziale<br />
wachsend gefordert, aber nicht zerstört zu werden durch die Tiefe der ergreifenden<br />
Atmosphären in den Begegnungen mit der und in der Stille. Denn ich begebe mich dann in<br />
eine Situation, in der ich mich etwas Größerem, Komplexerem, Tieferem aussetze. Ausgehend<br />
von dieser Kontemplation als Tagesbeginn gehe ich nach und nach in die schöpferischen Prozesse<br />
über und mache mich darin unerreichbar für das Alltägliche bis zum Mittag.<br />
Im zweiten Teil des Tages trete ich dann mehr und mehr ein in die organisatorischen, dialogischen<br />
und familiären Dimensionen meines Lebens.<br />
Sie haben sich intensiv mit dem Andersort Kloster und seinem architektonischen Zentrum – dem<br />
Kreuzgang mit der ausgesparten Mitte – beschäftigt. Was fasziniert Sie an Kreuzgängen?<br />
Diese Architektur der baulichen Öffnung einer monastischen Klausur aus der Mitte der Konventsgebäude<br />
heraus, wie sie in der mittelalterlichen Klosterreform verbindlich vorgeschrieben<br />
wurde, bewegt mich schon sehr lange. Mich fasziniert die Idee von der Freiheit und der<br />
Offenheit zum Himmlischen hin aus einer großen Strenge heraus und die baulich vorgegebene<br />
Einladung zum Gehen in der Vierung, ein Wegesystem, das alle wichtigen Räume des Klosters<br />
und somit auch deren Funktionen miteinander verbindet. Unter der Vorschrift, dort schweigsam<br />
und langsam zu gehen, sind die mönchischen Wege tagtäglich durch unzählige kleine<br />
Wegstücke meditativ unterbrochen.<br />
Damit fügen sich Alltag und Meditation zu einer Einheit zusammen.<br />
Was für ein genialer Denkimpuls für einen besinnlichen Lebensentwurf! Ein Großteil der<br />
alltäglichen Wege und der geistig-geistlichen Unterbrechungen sind ein und dieselben. Das<br />
können wir als Nicht-Mönche nur erahnen, denn die Kreuzgänge, die wir in der Regel betreten<br />
dürfen, sind nicht die intakten Kreuzgärten von noch lebendigen Konventen, sondern wie verlassene<br />
Feuerstellen, in denen wir uns an der Restwärme von verschwundenem Ordensleben<br />
zu erbauen und ehrfürchtig im Abwesenden seinem auratischen Nachklang der Besinnung zu<br />
lauschen versuchen.<br />
64 EULENFISCH _ Kunst & Kultur<br />
EULENFISCH _ Kunst & Kultur 65