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1 - Eulenfisch - Bistum Limburg

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Von der Form zur Formel<br />

Metaphysik und Naturwissenschaft<br />

Interview mit Hans-Dieter Mutschler<br />

Der Philosoph Hans Blumenberg, über den übrigens Sibylle Lewitscharow gerade einen kuriosen,<br />

aber sehr lesenswerten Roman geschrieben hat, hat eine seiner wichtigsten Schriften überschrieben<br />

mit: „Wirklichkeiten, in denen wir leben“. Gehört die Wirklichkeit nicht in den Singular? Gibt<br />

es eine oder gibt es viele Wirklichkeiten?<br />

Die Wirklichkeit gehört in den Singular. Das ist wie das Universum. Auch vom Universum gibt<br />

es nur einen Singular. Die Frage ist aber, ob wir die Wirklichkeit mit einem Aspekt alleine<br />

abbilden können, oder ob es genügt, dass wir in einem einzigen Diskurs alles auf einen Punkt<br />

bringen. Und das glaube ich nun in der Tat nicht.<br />

Die Naturwissenschaftler und in ihrem Gefolge auch manche Philosophen gehen ja auch von nur<br />

einer Wirklichkeit aus, und zwar der, die mit naturwissenschaftlichen Methoden, also mit sinnlicher<br />

Erfahrung und logischem Denken beschrieben werden kann.<br />

Nun, dass diese These falsch ist, sieht man ganz leicht, denn in einer solchen Welt, die durch<br />

die Naturwissenschaft beschrieben wird, kommen z.B. Werte nicht vor, die in unserem Leben<br />

ja ganz wichtig sind, d.h. diese wissenschaftliche Perspektive ist nur eine unter vielen.<br />

So könnte man also doch sagen, es gibt diese naturwissenschaftliche Wirklichkeit, und dann eine<br />

Wirklichkeit der Werte, das wären ja dann schon einmal zwei.<br />

Ich spreche nicht gerne von Wirklichkeiten. Ich spreche von Aspekten, von Perspektiven, und<br />

die Perspektive, etwa des Handelns, wo Werte für uns wichtig sind, ist nicht dieselbe wie die<br />

der Naturwissenschaft.<br />

Gerade diese naturwissenschaftliche Perspektive hat sich aber auch im Alltagsdenken vieler Menschen<br />

als sehr dominant erwiesen. Und es gibt Philosophen, die sprechen davon, dass wir im nachmetaphysischen<br />

Zeitalter leben. Würden Sie dieses Etikett auch benutzen?<br />

Der Ausdruck „nach-metaphysisch“ stammt von Jürgen Habermas. Er hat sehr lange versucht,<br />

ohne Metaphysik auszukommen, aber in seinen letzten Schriften hat er gemerkt, dass er das<br />

gar nicht vermeiden kann. Er glaubt, dass die naturwissenschaftliche Sicht auf den Menschen<br />

nicht genügt. Die Evolutionstheorie, die die Natur beschreibt, kann nicht vollständig erfassen,<br />

wie der Mensch aus der Natur hervorgegangen ist, obwohl die Natur das Umfassende ist. Und<br />

an dieser Stelle hat er inzwischen gesehen, dass er um die Metaphysik nicht herumkommt.<br />

Trotzdem ist das Label vom nach-metaphysischen Zeitalter nun mal in der Welt, und Sie waren so<br />

kühn und haben nun ein Buch über Metaphysik geschrieben.<br />

Mein Buch ist eigentlich ein Buch über schlechte Metaphysik, und zwar vertrete ich die These,<br />

dass die Frage nach dem Wesen der Dinge, die früher die Metaphysiker bewegt hat, inzwischen<br />

von den Naturwissenschaftlern für sich in Anspruch genommen wird. Viele von ihnen<br />

geben vor, das Wesen der Dinge in ihren Formeln einfangen zu können.<br />

Ausschnitt aus dem Buchcover „Von der Form zur Formel“, Die Graue Edition<br />

Bitte geben Sie ein Beispiel.<br />

Nehmen Sie die These, die seit 50 Jahren vertreten wird, dass die Gene das Wesen des Lebendigen<br />

sind. Sie sollen das Programm für alle Verhaltensweisen festlegen. Auch der Bau der<br />

Lebewesen soll in diesem Programm enthalten sein. Das hat sich übrigens inzwischen rein<br />

biologisch als falsch herausgestellt, aber es war der Versuch, in einer Formel das Wesen der<br />

Dinge auszudrücken.<br />

Nun hat es ja – Kant ist ein berühmtes Beispiel – auch eine klassische Kritik an der traditionellen<br />

Metaphysik, etwa der von Descartes oder Leibniz, gegeben. Meinen Sie, dass diese Kritik unberechtigt<br />

war?<br />

Die Kritik an der klassischen Metaphysik war sehr berechtigt, und Kant hat einfach darauf<br />

verwiesen, dass die Metaphysiker alle 20 Jahre etwas als absolut wahr behaupten, was sich<br />

dann wieder als falsch herausstellt, und das empfand er als Skandal. Aus diesem Grunde war<br />

er sehr vorsichtig, was die Metaphysik anbelangt. Er war der Meinung, dass das metaphysische<br />

Bedürfnis des Menschen eine Naturanlage ist. Er trägt sie mit sich herum. Und wenn<br />

wir keine von allen akzeptierte Metaphysik mehr haben, weil einer das nach-metaphyische<br />

Zeitalter ausgerufen hat, dann suchen wir sie eben in der Naturwissenschaft.<br />

Wo liegt Ihrer Meinung nach der Fehler?<br />

Der Fehler liegt darin, dass wir zu viel Sicherheit haben wollen. Wir sind mit Faust verwandt.<br />

Wir wollen wissen, „was die Welt im Innersten zusammenhält“, das ist vielleicht sogar ein<br />

religiöses Bestreben, und weil die Naturwissenschaften uns verlässliches Wissen liefern, besseres<br />

als wir jemals hatten, glauben wir, wir könnten mit Hilfe dieses Wissens auch unseren<br />

metaphysischen Durst befriedigen. Ich bin davon überzeugt, dass das aber auf diese Weise<br />

nicht gelingt.<br />

Warum nicht?<br />

Die Naturwissenschaften beschreiben die Phänomene nur in einer ganz bestimmten Hinsicht.<br />

Sie beschreiben die Phänomene, wie sie erscheinen, wenn wir sie kausal decodieren, also<br />

wenn wir einen materiellen Zustand im Verhältnis zum nächsten beobachten. Aber das ist ja<br />

nicht das ganze Phänomen.<br />

Haben Sie eigentlich etwas gegen Naturwissenschaften?<br />

Nichts, sonst hätte ich sie nicht studiert. Ich habe Physik studiert und finde sie eine großartige<br />

Wissenschaft. Aber gerade an der Physik kann man sehen, dass bei aller Präzision bestimmte<br />

Fragen überhaupt nicht mehr gestellt werden können. Also wenn man z.B. fragt, was<br />

liegt eigentlich der Physik zugrunde, was ist das eigentlich Reale, dann gibt uns die Physik<br />

darauf keine Antwort. Sie kann uns lediglich sagen, wie sich die Kräfte wechselseitig verhalten.<br />

Aber was das Zugrundeliegende ist, was das Wesen z.B. der Schwerkraft ist, das kann<br />

man innerhalb der Grenzen dieser Wissenschaft nicht beantworten.<br />

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