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1 - Eulenfisch - Bistum Limburg

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an einer Stelle davon, dass seine Romane am Ende einen<br />

„weißen Schatten“ werfen. Das ist ein schönes Bild.<br />

In der empirischen Welt der Naturgesetze gibt es keinen<br />

weißen Schatten. Da ist ein weißer Schatten so etwas<br />

wie ein schwarzer Schimmel. Die fiktionale Welt<br />

muss sich an empirische Gepflogenheiten jedoch nicht<br />

halten. Sie muss nicht geschlossen, widerspruchsfrei<br />

und konsistent sein. In ihr kann es weiße Schatten<br />

geben. Der weiße Schatten ist das Versöhnliche, das<br />

den schrecklichen Ausgang eines Plots übersteigt und<br />

einen transzendenten Fluchtpunkt aufzeigt. In diesem<br />

Sinn schließt Walser an die Tradition der antiken Tragödien<br />

an. Auch hier stehen Figuren im Kreuzpunkt<br />

zweier Notwendigkeiten (Hegel) und sind daher dem<br />

tragischen Untergang ausgeliefert. Wie auch immer sie<br />

sich entscheiden, sie werden immer Schuld auf sich laden,<br />

sie werden geradezu schuldig, wenn sie sie – wie<br />

bei Ödipus – vermeiden wollen. Am Ende der Tragödien<br />

ist die göttliche Weltordnung wiederhergestellt.<br />

Der göttliche Fluch, Reaktion auf menschliche Hybris,<br />

hat sich erfüllt, bis Schuld und Sühne wieder austariert<br />

sind.<br />

Welchen weißen Schatten wirft „Muttersohn“, obwohl<br />

er tragisch ausgeht? Zunächst wird jährlich an<br />

Percys Todestag ein Konzert gegeben, an dem Hunderte<br />

von Sängern und Sängerinnen teilnehmen und<br />

die Klosterkirche zum Schweben bringen: „Jedes Jahr<br />

mit noch mehr Stimmen, bis es keine Zuhörer mehr<br />

gibt. Nur noch Singende.“ (S. 501) Wenn Musik solche<br />

Schönheit hervorruft, dann senden und empfangen<br />

alle Teilnehmer auf einer religiösen Frequenz. Chorerziehung<br />

wäre dann eine Seelenführung ganz im Sinne<br />

des Verstorbenen. Es wird gezeigt, dass alle Menschen<br />

„religiös musikalisch“ sein können, wenn man sie nur<br />

dazu ermutigt.<br />

Auf Percys Beerdigung heißt es: „Das ebenso anmutige<br />

wie rücksichtsvolle Rätsel, mit dem Anton Percy<br />

Schlugen sein Zurweltkommen umgeben habe, sein<br />

furchtbarer Tod und der durch nichts zu erschütternde<br />

Glaube seiner Mutter, das gebe unserer Trauer<br />

einen hellen Ton.“ (S. 500)<br />

Percy ist kein Opferlamm wie Jesus. Er kennt den<br />

himmlischen Vater nicht. Für ihn kommen mehrere<br />

Wahlväter in Betracht. In Todesangst faltet er nicht<br />

einmal die Hände, um jede Verwechslung auszuschlie-<br />

ßen. Hybris kennt er nicht. Er kennt seine eigenen<br />

Grenzen. Wenn er auch nicht Jesus ist, so verkörpert<br />

Percy doch die Utopie eines „neuen“ Menschen, der auf<br />

„keine Hoffnung hin dennoch an der Hoffnung festhält“<br />

(K. Barth). In diesem übertragenen Kontext machen<br />

Jungfrauengeburt und Auferstehung Percys Sinn.<br />

In der empirischen Welt sind das Antinomien. Der<br />

Roman aber kann sie, wenn auch ironisch gebrochen,<br />

auflösen: „Keine Angst, habe die Mutter (auf Percys Beerdigung,<br />

Anm.) gesagt, der kommt wieder. Sie kenne<br />

ihren Percy: der verschwindet, und auf einmal ist er<br />

wieder da.“ (S. 500).<br />

Der Glaube an die reale Auferstehung ist die radikalste<br />

Antwort nicht nur auf die große Endlichkeit,<br />

sondern auch auf die kleinen. Kein Mangel! Er ist die<br />

zugleich schwierigste und schönste christliche Hoffnung<br />

auf die Wiederherstellung der Weltordnung. Dort<br />

gelten andere optische Gesetze. Der weiße Schatten des<br />

Muttersohns ist dafür ein versöhnliches Beispiel. Mit<br />

ihm hat Martin Walser sein „Gottesprojekt“ für sich<br />

und seine Leserinnen und Leser beeindruckend und<br />

wunderbar vorangebracht.<br />

Dr. Susanne Nordhofen ist Fachleiterin für Philosophie/<br />

Ethik und Deutsch am Studienseminar in Offenbach.<br />

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