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1 - Eulenfisch - Bistum Limburg

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Der weiße Schatten<br />

Martin Walsers Roman „Muttersohn“<br />

Von Susanne Nordhofen<br />

Frage: „Wie heißt nochmal der letzte Walserroman?“<br />

Antwort im Brustton der Gewissheit: „Menschensohn“. –<br />

„Menschensohn? Ich dachte immer ‚Muttersohn‘.“<br />

Natürlich heißt er „Muttersohn“. Der Titel ruft sofort<br />

negative Konnotationen und Schablonen auf: „Hotel<br />

Mama“, fehlgeschlagene Abnabelung, psychopathologische<br />

Fixierungen, Ödipuskomplex. Walser hat in<br />

seinem Roman „Die Verteidigung der Kindheit“ schon<br />

einmal einem speziellen Muttersohn ein literarisches<br />

Denkmal gesetzt: Alfred Dorn, der nie erwachsen werden<br />

will, weil die Zukunft ihm nur Verfall und Tod<br />

bringen würde. An ihm ist das Leben vorbeigezogen,<br />

er zerbricht an einem obsessiven Vergangenheitskult<br />

um seine Mutter. Alles, was sie berührt hat, ist ihm<br />

heilig. Am Ende, noch bevor er sich das Privatmuseum<br />

mit den Devotionalien seiner Kindheit einrichten kann,<br />

stirbt er mehr oder weniger zufällig durch unkontrollierten<br />

Tablettenkonsum, weil ihm die Zeit immer wieder<br />

entgleitet.<br />

Percy, die Hauptfigur im „Muttersohn“ ist ganz und<br />

gar kein Epigone Alfreds. Seine Mutter Josefine behauptet,<br />

ihren Sohn ohne das Zutun eines Vaters empfangen<br />

zu haben. Eine zweite Jungfrauengeburt also.<br />

Percy ist ein Sohn von Mutter Fini, einer einfachen<br />

Frau, die im Leben nichts hat als die Gewissheit, eine<br />

„Geführte“ zu sein. Wenn es in ihrem Umkreis wieder<br />

ganz fürchterlich ist, bewahrt sie eine unbestimmte<br />

Sehnsucht nach dem erlösenden Wort der Liebe und<br />

des Trostes. Percy ist die fleischgewordene Erfüllung<br />

ihrer Sehnsucht, das Ergebnis ihrer mystischen Vereinigung<br />

mit einer männlichen Idealgestalt in einer<br />

intensiven erotischen Liebesvision. In diesem emphatischen<br />

Sinn ist er ausschließlich der Sohn einer Mutter,<br />

ein Muttersohn also, kein Muttersöhnchen.<br />

Percy geht ganz und gar in der Gegenwart auf. Sein<br />

Gang ist bei aller Körperfülle so schwebend wie der<br />

eines Engels ohne Flügel. Nach einem Unfall am Heiligen<br />

Abend wird er aus dem verschneiten Straßengraben<br />

von einem Pfarrer gerettet. Das ist wie eine<br />

Fügung, eine zweite Geburt. Wir erfahren über seinen<br />

Werdegang lediglich so viel, dass er in der psychiatrischen<br />

Anstalt seines väterlichen Freundes Prof. Augustin<br />

Feinlein den Beruf des Pflegers erlernt hat, dass<br />

er das südliche Deutschland von Heilanstalt zu Anstalt<br />

durchwandert und dass er sich dort jeweils den Menschen<br />

zuwendet, die in der Tat mühselig und beladen<br />

» Percy ist der Anwalt des Lebens. «<br />

sind, weil sie den gängigen Normen psychischer Gesundheit<br />

nicht entsprechen und abgesondert von den<br />

anderen Menschen leben müssen. Seine Therapien sind<br />

ungewöhnlich, intuitiv und wohltuend. Er tut immer<br />

das Richtige zur rechten Zeit. Kranke werden von Stimmen<br />

verfolgt und nach dem Prinzip des „similia similibus<br />

curantur“ von Percy wieder in eine Art seelisches<br />

Gleichgewicht gebracht, indem sie religiöse Texte bis<br />

zur Erschöpfung aufsagen müssen und die quälenden<br />

Stimmen damit zum Verstummen bringen. Er weiß,<br />

wann er sprechen darf und wann er schweigen muss.<br />

Von ihm gehen Energien aus, welche die Selbstheilungskräfte<br />

von todgeweihten Krebspatienten auferwecken.<br />

Selbst schwierigste Fälle bekommen wieder<br />

eine Lebensperspektive, weil Percy sie annimmt, wie<br />

sie sind. Das spüren sie, weil es ihnen wohltut. Percy<br />

ist der Anwalt des Lebens.<br />

Percy hat keinen festen Wohnsitz; befreundete Pfarrer<br />

gewähren ihm gelegentlich Obdach auf seinen Touren.<br />

Dafür predigt er dort von Zeit zu Zeit, spontan,<br />

ohne intellektuelle, dogmatische oder rhetorische Vorbereitung;<br />

er stimmt sich mit Orgelimprovisationen<br />

innerlich ein und trifft dann mit seinen Worten immer<br />

genau ins Seelenzentrum seiner Zuhörer, so dass sie<br />

innerlich gestärkt von dannen ziehen, ohne dass man<br />

sagen könnte, worin seine Lehre oder sein Programm<br />

genau bestehen würde. Dabei fallen charismatische<br />

Sätze.<br />

Außer einem alten Lederhut und einem Rucksack<br />

besitzt Percy fast nichts. Am Ende hat er durch sein<br />

bloßes So-Sein die Feinde des Lebens, eine Motorradgang,<br />

provoziert, die sich dem Hass und der absoluten<br />

Negation verschrieben hat, Mordaufträge entgegennimmt<br />

und für Hinrichtungen trainiert. Das Fernsehen<br />

hat darüber berichtet. Nun möchte die Gang Percy<br />

„umpolen“ und sein Charisma für ihre Ziele instrumentalisieren.<br />

Da Percy nicht darauf eingeht und es zulässt,<br />

dass auch über seine Person eine Art Gegenfilm<br />

» Religion produziert Schönheit. «<br />

gesendet wird, will der Anführer der „Jollynecks“, eine<br />

Art Antichrist, ihn erschießen, drei Tage nach der Beerdigung<br />

ausgraben, den Leichnam verschwinden lassen<br />

und Percys Auferstehung und Himmelfahrt simulieren.<br />

Percy ahnt seinen Tod voraus, da man ihn vorgewarnt<br />

hat. In seiner letzten Predigt wendet er sich in eigener<br />

Sache an die Zuhörer:<br />

„Lass mich nicht allein. So schaff ich mir ein Gegenüber.<br />

Das nicht da ist. Das es aber gibt. Sonst könnte ich<br />

doch nicht sagen: Lass mich nicht allein. Wir sagen etwas,<br />

und dadurch machen wir etwas. Ich sage diesen<br />

Satz heute zum ersten Mal. Es ist ein bittender Satz,<br />

kein befehlender. Lass mich nicht allein. Wir hören das<br />

Bittende, das Flehende. Und wenn ich ihn sage, dann<br />

spüre ich, dass ich dazugehöre, zu denen, die nicht<br />

alleingelassen werden wollen. Aber ich bin ja schon<br />

allein gelassen worden, sonst hätte ich den Satz nicht<br />

sagen können. Es herrscht ein Mangel.“ (S. 485)<br />

Trotz dieser „Ölbergsstimmung“ setzt er seine Waldwanderung<br />

am Heiligen Abend fort und wird vom Anführer<br />

der „Jollynecks“ vom Motorrad aus mit einem<br />

gezielten Genickschuss geradezu hingerichtet. Dieser<br />

stürzt sich dabei selber zu Tode, weil der Wanderstock<br />

Percys zwischen die Speichen gekommen ist. Mutter<br />

Fini bleibt angesichts der Todesnachricht relativ unbeeindruckt.<br />

Percys Biografie macht plausibel, wie es zu dem Irrtum<br />

„Menschensohn“ kommen konnte. Es wäre schon<br />

eine verführerische Angelegenheit, in einer kirchlichen<br />

Zeitschrift Walsers „Muttersohn“ als einen camouflierten<br />

Jesusroman in der Tradition von Dostojewski<br />

vorzustellen. In der Tat wird hier virtuos mit<br />

zahlreichen religiösen Andeutungen und Gegenbesetzungen<br />

gespielt. Percys absolute Präsenz in der Gegenwart,<br />

seine absolute Humanität, seine Bereitschaft,<br />

sich für alles Leiden in und an der Welt durchlässig<br />

zu machen, indem er an dem Satz „Dem Leben zuliebe“<br />

wie an einem Mantra festhält, erinnern an den Hoheitstitel<br />

des Heilands.<br />

Martin Walser hat kürzlich Religion und Literatur<br />

als zwei Seiten einer einzigen Medaille bezeichnet, „die<br />

unser Dasein heiße“. Diese Äußerung setzt ein Ausrufezeichen<br />

unter die Debatte über seine beiden letzten<br />

Bücher „Mein Jenseits“ und „Muttersohn“, denen nachgesagt<br />

wird, Walser sei in seinem Spätwerk fromm<br />

und altersmilde geworden. Wer Walsers scharfe Abrechnung<br />

mit der vorkonziliaren Moralerziehung der<br />

katholischen Kirche aus dem Roman „Ein springender<br />

Brunnen“ noch vor Augen hat, mag sich in der Tat über<br />

einen neuen Ton wundern. Mit seinem Vergleich zwischen<br />

Literatur und Religion markiert Walser jedoch<br />

sein jahrzehntelanges persönliches „Gottesprojekt“,<br />

eine Erfahrungen mit dem Wort „Gott“, das ihn in immer<br />

neuen Variationen beschäftigt hat. Er legt folgende<br />

Worte Augustin Feinlein, dem ärztlichen Direktor der<br />

psychiatrischen Anstalt in Scherblingen, in den Mund:<br />

„Warum glauben wir? Weil uns etwas fehlt. (…) Glauben<br />

heißt Berge besteigen, die es nicht gibt. (…) Wenn<br />

es Gott nicht gäbe, könnte man nicht sagen, dass es<br />

ihn nicht gibt. Wer sagt, es gebe ihn nicht, hat doch<br />

schon von ihm gesprochen. Eine Verneinung vermag<br />

nichts gegen ein Hauptwort.“ (Mein Jenseits, Berlin<br />

2010, S. 112)<br />

Das könnte Walser wohl auch für sich selber proklamieren.<br />

Wer Augen hat zu lesen, wird in Walsers<br />

Werk reichliche Hinweise dafür finden, dass ein<br />

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EULENFISCH _ Kunst & Kultur 71

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