Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
KÖLN 17<br />
auch zugelassen. Dadurch ist es jetzt wie<br />
eine Narbe. Man hat sie ein Leben lang.<br />
Sie bleibt. Aber sie schmerzt nicht mehr<br />
jeden Tag, und manchmal wird man durch<br />
sie auch wieder an die schönen Momente<br />
vor dem Abschied erinnert. An anderen<br />
Tagen wiederum schmerzt die Narbe.<br />
Das Bild einer Narbe finde ich in diesem<br />
Zusammenhang sehr passend. Ich habe<br />
den Schmerz um seinen Tod nie verdrängt,<br />
insofern lernte ich, ihn in mein Leben zu<br />
lassen. Beim Schreiben der Zeilen für das<br />
Buch kommen dann aber zwangsläufig<br />
Erinnerungen. Und mit ihnen auch die<br />
Tränen.<br />
Kann man Abschiednehmen mit den<br />
Jahren – und der daraus resultierenden<br />
Häufigkeit von Abschieden –<br />
lernen? Wird es leichter mit der Zeit?<br />
Nein, das kann man nie. Ein Abschied ist<br />
immer ein harter Einschnitt. Du lernst nur<br />
damit umzugehen, dass es Abschiede im<br />
Leben gibt. Man lernt den Umgang mit<br />
seiner eigenen Trauer. Es gab Zeiten, da<br />
war ich mehr auf Beerdigungen als auf Geburtstagsfeiern.<br />
In den ersten Jahren war<br />
die Medizin bei HIV-Infektionen noch weit<br />
von den heutigen Möglichkeiten entfernt.<br />
Konntest du mit John über den<br />
Tod sprechen? Ihr wart beide junge<br />
Männer, in einem Alter, in dem der<br />
Tod normalerweise noch lange kein<br />
Thema ist.<br />
Wir mussten es lernen. Man kann sich nie<br />
auf den Tod vorbereiten. Man spricht im<br />
Idealfall offen darüber, aber wenn der Moment<br />
kommt, wirst du vom Schmerz eingeholt.<br />
Es war der 18. Januar 1993, als John<br />
starb. Danach versuchst du zu funktionieren.<br />
Du organisierst die Beerdigung mit allen<br />
Formalitäten. Das lenkt auch erst mal ein<br />
wenig ab. Der richtig schwere Teil kommt<br />
nach der Beerdigung, wenn der Alltag wieder<br />
ins Leben eintritt. Ab einem gewissen<br />
Zeitpunkt erwartet die Allgemeinheit, dass<br />
man wieder funktioniert. Als Betroffener,<br />
tief in Trauer, bleibt das unvorstellbar für<br />
dich. Du verarbeitest die Trauer Stück für<br />
Stück. Und in genau diesen Zeitrahmen<br />
der Trauerarbeit kam dann meine eigene<br />
Doppeldiagnose.<br />
Du bist für die Schwulenszene eine<br />
wichtige Person. Dein Serien-Alter-<br />
Ego „Carsten Flöter“ hatte den ersten<br />
Kuss zwischen zwei Männern in einer<br />
deutschen Fernsehserie.<br />
Sicherlich war die „Lindenstraße“ auch in<br />
Sachen „schwule Serienfigur“ ein Wegbereiter.<br />
Ich hatte mehr als mein damaliger Serienpartner<br />
Martin Armknecht, der die Rolle „Robert<br />
Engel“ spielte, böse Post bekommen. Es<br />
reichte bis zur Bombendrohung gegen die<br />
Produktion, zeitweise bekam ich Personenschutz.<br />
Martin Armknecht erhielt auch nicht<br />
nur lobende Briefe, aber er war im Gegensatz<br />
zu mir heterosexuell. Ich war für die homophoben<br />
Vollpfosten die ideale Zielscheibe<br />
ihres Hasses, da ich auch privat offen schwul<br />
war. Jahre später hatten auch andere Serien<br />
wie „Verbotene Liebe“ ihre schwulen Storylines.<br />
Der Aufschrei war längst verflogen. Wir<br />
müssen als Schwule nur aufpassen, dass wir<br />
uns nicht selbst in das Klischee der jungen<br />
und schönen Schwulen zurückziehen. Auch<br />
wir werden älter. Umso spannender finde ich,<br />
dass die „Lindenstraße“ mich als nun älteren<br />
schwulen Mann ein Singleleben in der Serie<br />
leben lässt. *Interview: Marcel Schenk<br />
*Marcel Schenk moderiert seit 2009 für<br />
diverse Radio- und Fernsehstationen. Aktuell<br />
sieht man ihn bei 1-2-3.tv (Deutschlands<br />
drittgrößtem Shoppingsender). Marcel liebt<br />
die Popmusik der 1980er-Jahre und Kultserien<br />
wie „Falcon Crest“ und „Lindenstraße“.