REGIOBUSINESS NR. 194 - 08/2018
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30 Employer Branding<br />
August <strong>2018</strong> I Jahrgang 17 I Nr. <strong>194</strong><br />
Sicherheit statt Geld und Karriere<br />
Noch immer sind viele Stellenanzeigen auf Akademiker zugeschnitten, dabei suchen Unternehmen heute vor allem Fachkräfte mit abgeschlossener<br />
Berufsausbildung. Beim „Employer Branding“ müssen sie daher viel stärker auf die Bedürfnisse dieser Zielgruppe eingehen – hier ein paar Tipps.<br />
Wir riefen Arbeitskräfte,<br />
und es kamen Menschen“<br />
– diesen Satz<br />
sagte der Schriftsteller und Architekt<br />
Max Frisch einst in Bezug auf<br />
die ersten Gastarbeiter in Westdeutschland<br />
und der Schweiz in<br />
der Nachkriegszeit. Doch lässt<br />
sich das Zitat ebenso gut ummünzen<br />
auf die heutige Situation vieler<br />
Unternehmen: Fachkraft ist nicht<br />
gleich Fachkraft – das ist eine Lektion,<br />
die viele lernen müssen,<br />
wenn sie auf der verzweifelten Suche<br />
nach qualifizierten Mitarbeitern<br />
sind. Denn wer im harten<br />
Wettbewerb um die besten Köpfe<br />
am Arbeitsmarkt bestehen will,<br />
muss sie als Persönlichkeiten mit<br />
individuellen Wünschen und Bedürfnissen<br />
wahrnehmen und sie<br />
entsprechend begeistern.<br />
LOCKMITTEL Wird diese Erkenntnis<br />
bereits umgesetzt? Ein<br />
Blick in die gängigen Stellenanzeigen<br />
lässt zweifeln: Immer wieder<br />
ist die Rede von herausragenden<br />
Karrierechancen, vielfältigen Entwicklungsmöglichkeiten<br />
und einem<br />
üppigen Gehalt. Sind das richtigen<br />
Lockmittel für Fachkräfte?<br />
Nicht unbedingt, wie aus einer Studie<br />
des Portals meinestadt.de hervorgeht:<br />
Was für Akademiker<br />
wichtige Aspekte bei der Jobwahl<br />
sein mögen, sei für Nicht-Akademiker<br />
noch lange nicht zwingend<br />
attraktiv – Fachkraft ist eben nicht<br />
gleich Fachkraft. Nicht-akademische<br />
Fachkräfte seien nämlich vor<br />
allem an einem sicheren Arbeitsplatz,<br />
einem guten Betriebsklima<br />
und einem pünktlich gezahlten Gehalt<br />
interessiert. Doch hier liegt<br />
das Problem bei vielen Stellenausschreibungen:<br />
Sie sind immer<br />
noch viel zu standardisiert und<br />
auf die Ansprüche von Akademikern<br />
zugeschnitten.<br />
Die Top 3 unter den wichtigsten Sicherheitsfaktoren<br />
für Fachkräfte<br />
sind ein unbefristeter Vertrag,<br />
pünktliches Gehalt sowie ein gesundes<br />
und stabiles Unternehmen.<br />
Bei der Bewerbersuche sollten<br />
Unternehmen daher genau<br />
diese Punkte hervorheben.<br />
FREIZEIT Noch zwei Aspekte finden<br />
bisher wenig Beachtung: Aus<br />
anderen Umfragen geht hervor,<br />
dass Arbeitnehmer mit Berufsausbildung<br />
sehr viel Wert auf Freizeit<br />
legen. Logisch: Wer auf Sicherheit<br />
aus ist, strebt nicht die große Karriere<br />
an. Und wer in der Unternehmenshierachie<br />
nicht unbedingt<br />
aufsteigen will, der möchte auch<br />
nicht viele Überstunden schieben,<br />
sondern lieber das Leben jenseits<br />
beruflicher Verpflichtungen genießen.<br />
Und: Viele Befragte, die mit<br />
ihrem aktuellen Job unzufrieden<br />
Strategie: Auch mit einfachen Methoden können Unternehmen Aufmerksamkeit erregen. Wer bei Bewerbern<br />
aber nachhaltig punkten will, sollte ein stimmiges Konzept erarbeiten.<br />
Foto: Doc RaBe/Fotolia.com<br />
sind, beklagen mangelnde Wertschätzung<br />
durch ihren Vorgesetzten.<br />
Es lohnt sich für ein Unternehmen<br />
also durchaus, Führungskräfte<br />
in Kommunikation und anderen<br />
Fähigkeiten zu schulen.<br />
Folgende Tipps sollten Unternehmen<br />
beim Employer Branding für<br />
Fachkräfte berücksichtigen: Fachkräfte<br />
wollen als Zielgruppe ernstgenommen<br />
werden. Nicht-akademische<br />
Zielgruppen sind in vielen<br />
Branchen begehrt – und wissen<br />
das. Arbeitgeber sollten hier von<br />
„Selektion“ auf „Gewinnen“ umschalten<br />
und entsprechende Argumente<br />
entwickeln. Das gesamte<br />
Employer Branding muss neu konzipiert<br />
werden – weg von Standversprechen<br />
wie „attraktiven Karrierechancen“<br />
und „hervorragenden<br />
Entwicklungsmöglichkeiten“. Um<br />
eine vor allem nicht-akademische<br />
Zielgruppe zu begeistern, braucht<br />
es neue Ansätze.<br />
Trotzdem gilt: Auch nicht-akademische<br />
Fachkräfte sind keine homogene<br />
Gruppe. Arbeitgeber sollten<br />
ihre Kernzielgruppen kennenlernen<br />
und verstehen, was sie an<br />
einem Arbeitgeber reizt und was<br />
sie verschreckt. Mit Karriereversprechen<br />
ist oft nicht mehr zu<br />
punkten: Fachkräfte mit abgeschlossener<br />
Berufsausbildung<br />
wünschen sich Sicherheit, Wertschätzung<br />
und eine ausgeglichene<br />
„Work-Life-Balance“, Aufstiegschancen<br />
sind ihnen weit weniger<br />
wichtig.<br />
KONKRET Eine alarmierende<br />
Zahl: Nicht mal jeder Zehnte findet<br />
aktuelle Stellenanzeigen sehr<br />
überzeugend. Was gut ankommt,<br />
sind Sätze, die konkret auf Urlaubsgeld,<br />
Sonderzahlungen oder<br />
familienfreundliche Arbeitsmodelle<br />
eingehen. Floskeln à la<br />
„Freuen Sie sich auf eine spannende,<br />
vielseitige und verantwortungsvolle<br />
Tätigkeit“ rufen bei vielen<br />
Bewerbern nur noch ein müdes<br />
Lächeln hervor.<br />
Ganz wichtig auch: Fachkräfte<br />
sind Teamplayer. Sie empfinden<br />
ihre Arbeit als sinnvoll, wenn sie<br />
sich als Teil einer Gemeinschaft<br />
fühlen – auch das geht aus der<br />
meinestadt.de-Studie hervor. Das<br />
sollten Arbeitgeber ernst nehmen<br />
und darauf eingehen.<br />
Passend zum Thema „Sinnhaftigkeit“:<br />
Über die Hälfte der befragten<br />
Fachkräfte möchte im Job etwas<br />
Gutes bewirken. Das sollte<br />
die Unternehmen eigentlich<br />
freuen, denn es spricht dafür,<br />
dass die Bewerber nach wie vor<br />
eine hohe Motivation mitbringen.<br />
Dieses Potenzial gilt es zu nutzen<br />
und in produktive Bahnen zu lenken.<br />
Zu guter Letzt: Fachkräfte sollten<br />
regional angesprochen werden.<br />
Während viele Akademiker eine<br />
internationale Karriere anstreben,<br />
spielt die Nähe zur Heimat oder<br />
zur vertrauten Umgebung besonders<br />
für nicht-akademische Fachkräfte<br />
eine große Rolle. Kein Krankenpfleger<br />
will von Künzelsau<br />
nach Köln, keine Busfahrerin von<br />
Heilbronn nach Hamburg ziehen<br />
– außer aus privaten Gründen.<br />
Und das müssen sie auch nicht,<br />
denn in vielen Berufen haben sie<br />
heute eine große Auswahl – auch<br />
vor der eigenen Haustür. pm/flu<br />
www.employerbranding.org<br />
Aldi pusht Auftritt<br />
Der Discounter präsentiert sich in der neuen Kampagne als attraktiver Arbeitgeber.<br />
Aldi kennt jeder: Der Discounter<br />
bietet günstige<br />
Preise, ein umfangreiches<br />
Angebot und jede Menge Sonderangebote.<br />
Insgesamt arbeiten für Aldi Süd<br />
in Deutschland mehr als<br />
43 400 Mitarbeiter. Das Unternehmen<br />
bildet etwa 5200 Lehrlinge<br />
aus, es bietet ein duales<br />
Studium und weitreichende Karrieremöglichkeiten,<br />
leistungsgerechte<br />
Bezahlung und vor allem<br />
unbefristete Jobs von Anfang<br />
an: Das alles macht Aldi zu<br />
einem attraktiven Arbeitgeber.<br />
Schwer vorzustellen, dass auch<br />
der Discounter sich Sorgen um<br />
zukünftige Arbeitskräfte machen<br />
muss.<br />
Aber genau das tut er. Seit drei<br />
Tagen jedenfalls macht Aldi Süd<br />
Werbung in eigener Sache. Unter<br />
dem Slogan „Für mich. Für<br />
uns. Für morgen.“ wirbt das Unternehmen<br />
auf ausgewählten Kanälen<br />
um Mitarbeiter. Die Agentur<br />
„Territory Embrace“ hat die<br />
Employer-Branding-Kampagne<br />
umgesetzt und läutet sie mit<br />
provokanten Fragen ein. Sechs<br />
Key-Visuals zeigen ein zerwühltes<br />
Bett, den Schatten zweier<br />
Personen oder eine Straßenkreuzung<br />
und fragen nach:<br />
„Wofür stehst du jeden Morgen<br />
auf?“, „Wofür springst du über<br />
deinen Schatten?“ oder „Wofür<br />
ist dir kein Weg zu weit?“ Die<br />
Maßnahme ist Teil einer Employer-Branding-Kampagne,<br />
die derzeit von verschiedenen<br />
Unternehmen gestartet wird.<br />
Kern dieser Kampagnen ist es,<br />
das Image des Unternehmens<br />
als attraktiver Arbeitgeber in<br />
die Wahrnehmung zu rücken.<br />
„Das Ziel war, eine starke, nahbare<br />
und glaubwürdige Arbeitgebermarke<br />
zu schaffen“, sagt<br />
Kamila Kwasny, Director Human<br />
Resources Marketing bei<br />
Aldi Süd. „Mit der Kampagne<br />
möchten wir den Bewerbern<br />
ihre echten, zukünftigen Kollegen<br />
vorstellen und einen authentischen<br />
Blick in die Arbeitswelt<br />
bei uns ermöglichen.“<br />
Fragen, keine platten Werbebotschaften<br />
Drei Perspektiven sind wichtig:<br />
die Sicht der Mitarbeiter, die<br />
Darstellung des Teamgeistes sowie<br />
die Zukunftsfähigkeit des<br />
Unternehmens. Der Aufbau der<br />
Kampagne setzt sich aus zwei<br />
Teilen zusammen. Auffallend<br />
beim ersten Teil ist, dass keine<br />
platten Werbebotschaften vermittelt,<br />
sondern Fragen gestellt<br />
werden, die bewusst provozieren<br />
und eine breite Zielgruppe<br />
ansprechen sollen. Diese Fragen<br />
werden anschließend von<br />
26 Mitarbeitern aus den unterschiedlichen<br />
Unternehmensbereichen<br />
– dem Verkauf, dem Logistikzentrum<br />
oder der Verwaltung<br />
– auf mehr als 52 verschiedenen<br />
Motiven beantwortet. Dabei<br />
wird jede Person sowohl im<br />
Privaten als auch im Arbeitsalltag<br />
gezeigt.<br />
Arbeit und Privates unter<br />
einen Hut bringen<br />
Denn auch Aldi weiß: Die meisten<br />
Mitarbeiter im Einzelhandel<br />
sind weiblich und wer einen<br />
Job bieten kann, bei dem sich<br />
das Familienleben mit dem Arbeitsleben<br />
unter einen Hut bringen<br />
lässt, hat bessere Chancen,<br />
qualifizierte Nachwuchskräfte<br />
zu finden. In der neuen Employer-Branding-Kampagne<br />
lässt der Discounter daher die<br />
Mitarbeiter beschreiben, was<br />
sie privat antreibt – und wie<br />
das zu ihrem Job bei Aldi Süd<br />
passt. Mit ihren Employer-Branding-Aktionen<br />
hat die Unternehmensgruppe<br />
bereits mehrfach<br />
Auszeichnungen erhalten. Die<br />
neue Kampagne startete Anfang<br />
August und nutzt das ganze Werbespektrum:<br />
Plakatflächen, Radio-<br />
und Videospots, Spotify,<br />
YouTube, Anzeigenschaltungen<br />
Tageszeitungen und Publikationen,<br />
Display-Ads und Online-<br />
Werbebanner sowie Werbung<br />
in den Filialen.<br />
do/pm<br />
www.karriere.aldi-sued.de<br />
Ausbildung: So wirbt Aldi Süd in eigener Sache<br />
Foto: Aldi Süd<br />
Praxisbezogen: Die Teilnehmer der Qualifizierung erhalten in der Ausbildungswerkstatt<br />
in Ingelfingen ihre Grundkenntnisse in den Bereichen<br />
Metall und Elektro.<br />
Foto: Bürkert<br />
Geflüchtete integrieren<br />
Die Qualifizierung Zugewanderter ist ein Weg, um Mitarbeiter<br />
zu finden. Die Firma Bürkert ist damit erfolgreich.<br />
Arbeitgeberwerbung in eigener<br />
Sache ist ein Mittel, um Fachkräfte<br />
auf sich aufmerksam zu machen.<br />
Die Firma Bürkert aus Ingelfingen<br />
geht noch einen anderen<br />
Weg – und hat Erfolg damit.<br />
Bürkert qualifiziert Geflüchtete<br />
und integriert sie im eigenen Unternehmen.<br />
Mit mittlerweile vier<br />
Übernahmen in eine Festanstellung<br />
zeige die Initiative Erfolge<br />
echter Integration mit Perspektive,<br />
schreibt der Fluidspezialist in<br />
einer Pressemitteilung.<br />
Bürkert hat vor knapp zwei Jahren<br />
eine Initiative ins Lebens gerufen,<br />
die Flüchtlingen durch ein<br />
dreimonatiges Integrationspraktikum<br />
den Einstieg in den regionalen<br />
Arbeitsmarkt erleichtern soll.<br />
In einer Kombination aus Theorie<br />
und Praxis erlangen die Praktikanten<br />
die grundlegenden Fertigkeiten<br />
aus den Bereichen Metall und<br />
Elektro, ergänzt durch begleitenden<br />
Deutschunterricht an zwei<br />
Vormittagen in der Woche.<br />
Der mittlerweile fünfte Integrationskurs<br />
bei Bürkert endete Mitte<br />
Juli. Mit dabei waren sieben Praktikanten<br />
in Vollzeit – vier aus Syrien,<br />
zwei aus dem Irak und einer<br />
aus Afghanistan. Parallel dazu besuchen<br />
an zwei Tagen pro Woche<br />
auch Schüler der VABO-Klassen<br />
(Vorqualifizierungsjahr Arbeit<br />
und Beruf für Jugendliche ohne<br />
Deutschkenntnisse) in Öhringen<br />
und der Metallfachschule Künzelsau<br />
die ehemalige Bürkert-Ausbildungswerkstatt,<br />
um hier ihr<br />
Praktikum zu absolvieren. Der<br />
nächste Kurs des Qualifizierungsprogramms<br />
QIP startet am Montag,<br />
10. September. Weitere Infos<br />
unter 0 79 40 / 1 09 65 41. pm<br />
www.buerkert.de