WOLFGANG Z. KELLER · KUNST IST LUXUS
2. Auflage 2018
2. Auflage 2018
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Konzept für die Installation<br />
„ ... der werfe den ersten Stein.“ – Ein Glashaus für Europa<br />
Seit dem Ende des zweiten Weltkrieges steht die Person Adolf Hitler als Symbol für Brutalität und eine<br />
bis dahin undenkbare Gewaltfähigkeit des Menschen. Es ist wohlfeil, kopfschüttelnd Entsetzen über die<br />
Abartigkeit jener Epoche deutscher Geschichte zu artikulieren, Entsetzen über das verbrecherische<br />
Potenzial Hitlers. Auf ihn reduziert sich oft die Frage nach der Verantwortung, auf ihn läßt sich gut mit<br />
dem Finger zeigen. Allenfalls eine Handvoll Helfershelfer werden noch als Mittäter ausgemacht.<br />
Dabei haben, trotz des offen begonnen Terrors gegen alle Andersdenkenden, bei der Wahl am 5. März<br />
1933 nicht weniger als 43,7 Prozent der Wähler für Hitler gestimmt.<br />
Die Deutschen – ein verführtes Volk? Brave Menschen, die den Obsessionen eines Monsters aufsaßen?<br />
Keiner hat´s gewollt, keiner hat´s gewußt, keiner ist´s gewesen? Auf solche Floskeln beschränkte man<br />
gerade in der Nachkriegszeit die Wahrnehmung des „Sündenfalls Nationalsozialismus“. Die Person<br />
Adolf Hitler wurde zur idealen Projektionsfläche beim Versuch vieler, das eigene Mitlaufen, Mitmachen<br />
oder auch Nichts-Machen zu ignorieren. Hinter Hitler konnte sich die All-Gemeinheit gut verstecken, sich<br />
für nicht zuständig erklären, den eigenen Anteil verharmlosen. Kaum wurde die totale Kapitulation als<br />
Chance ergriffen, sich selbst zu erforschen, das Böse, die Täterseite in sich selbst zu erkennen, eigene<br />
Inhumanitäten, eigene Aggressionen und Fanatismen.<br />
Und heute? Junge Menschen geben sich oft unbesorgt. Das war ja eindeutig vor ihrer Zeit. Aber ist ihre<br />
liberale Geisteshaltung wirklich mehr als nur etwas leicht Gelebtes in unserer großzügigen Gesellschaft?<br />
Würden sie in einer wirtschaftlichen und politischen Krise, die ihren Alltag hautnah berührt, gegen den<br />
Strom schwimmen und Humanismus praktizieren?<br />
Die kollektive Verweigerung seit dem 8. Mai 1945, nach innen zu schauen und den Ursachen für Hitlers<br />
Erfolg bei sich selbst nachzuspüren, ist eine vertane Chance, Erkenntnisse darüber zu gewinnen, wessen<br />
der Mensch fähig ist – jeder Mensch. Vertan die Chance, der eigenen Anfälligkeit für Ausgrenzung und<br />
totalitäre Ziele, für Gewaltbereitschaft oder Lethargie gewahr zu werden.<br />
Die Installation „ ... der werfe den ersten Stein.“ – Ein Glashaus für Europa soll zu dieser Nachdenklichkeit<br />
animieren. Sie nimmt Bezug auf das Datum vom 5. März 1933. Auch heute, über siebzig Jahre<br />
nach dieser katastrophalen Wahlentscheidung, und sechzig Jahre nach Ende des 2. Weltkrieges, sind<br />
wir nicht immun gegen Feindbilder und Hetze. Unsere Ansprechbarkeit schlummert nur, solange das<br />
Umfeld den Ausbruch solcher Instinkte verhindert. Die öffentliche Diskussion darüber ist zumeist tabu,<br />
verharmlosend, verletzend oder moralisierend. Gerade das birgt die Gefahr einer Wiederholung, jederzeit<br />
und überall, wie zum Beispiel in Kambodscha, Ruanda, Kurdistan, Tschetschenien, im ehemaligen<br />
Jugoslawien und in Deutschland.<br />
München, Juni / Dezember 1995 und Juni 2004, Wolfgang Z. Keller<br />
... der werfe den ersten Stein. 1995/2003<br />
Glashaus, 750 x 450 x 400 cm, mit<br />
spiegelndem Hitlerportrait, 230 x 150 cm<br />
Erst-Aufstellung im Kloster St. Bonifaz, München<br />
Pressefoto aus Süddeutscher Zeitung vom 27. März 1998