WOLFGANG Z. KELLER · KUNST IST LUXUS
2. Auflage 2018
2. Auflage 2018
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»Die meisten ‚Altersruhesitze‘<br />
sehen SO aus!«<br />
Der MutterAltersRuheSitz<br />
Wer schon einmal einen sehr nahen Menschen<br />
verloren hat und dessen Zimmer oder<br />
Wohnung ausräumen musste, mag Ähnliches<br />
erlebt haben.<br />
Als meine Mutter am 1. April 2007 gestorben<br />
war, stand ich die Wochen und Monate<br />
danach oft in ihrer 4-Zimmer-Wohnung, ließ<br />
alles wieder und wieder auf mich wirken,<br />
nahm nach und nach immer mehr Abschied,<br />
auch von ihr. Aber es war weder die Küche<br />
noch das Schlafzimmer, das ich am meisten<br />
mit ihr verband, das mich am meisten an sie<br />
erinnerte.<br />
Es war der Kumulus, dieser kippbare Lehnsessel,<br />
in dem sie die letzte Spanne ihres<br />
Lebens hauptsächlich zubrachte. Sie, die sich<br />
über 86 Jahre so viel und so gerne bewegt<br />
hatte, die Jahrzehnte am liebsten und von<br />
früh bis spät in ihrem Garten werkelte, war<br />
die letzten drei, vier Jahre durch eine völlig<br />
kaputte Hüfte fast unbeweglich geworden.<br />
Wer sie besuchte in diesen Jahren, fand sie<br />
so vor wie ich meist auch: Zurückgekippt,<br />
oft eingenickt oder das Programm des BR<br />
schauend, Sommer wie Winter mit Wolljacke,<br />
halb zugedeckt, und alles für sie Lebensnotwendige<br />
greifbar um sich: Ein Lexikon<br />
zum Nachschlagen bei auftauchenden Fragen,<br />
eine Stehlampe, Schere, Bleistift, Notizblock,<br />
Papierkorb, Näh-, Strick- und Kleinzeug<br />
und – im wahrsten Wortsinn als Draht<br />
zum „anderen“ Leben – das Telefon und ihr<br />
Telefon-Bücherl.<br />
Über die für Weihnachten 2006 – es war<br />
ihr letztes – von mir selber gefilzten Hausschuhe<br />
war sie ausgesprochen glücklich gewesen<br />
…<br />
Bei der ersten Aufstellung dieser Installation,<br />
Dezember 2007 im KunstPavillon im Alten<br />
Botanischen Garten München, kamen alte<br />
wie junge Menschen bewegt zu mir und<br />
sagten: „Man spürt noch, wie sie drin sitzt!“<br />
München, Februar 2011<br />
Wolfgang Z. Keller