Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
NUR WER POSTET, EXISTIERT<br />
Wir werden unterbrochen. Jemand ist da, in unserem Auto. Es<br />
ist eine Frau und sie will wissen, ob sie etwas für uns tun kann.<br />
Halleluja! Der bzw. „die Mercedes“ spricht mit uns. Natürlich<br />
gibt es stets jede Menge für uns zu tun. Aber weil dieser Samstag<br />
mit Wind und Regen startet, wünschen wir es uns zunächst<br />
einmal wärmer. Höflich verkündet uns Miss Mercedes, dass sie<br />
die Temperatur auf 23 Grad regelt. WOW. Das ist wahrhaft ein<br />
soziales Medium! Unsere neue A-Klasse <strong>18</strong>0d redet, versteht,<br />
lernt und wechselt auf Wunsch den Radiosender. Unbewusst,<br />
aber dank weiblicher bzw. plappernder Intuition, hatten wir sie<br />
mit dem Codewort „Hey Mercedes“ aktiviert und schon war sie<br />
ganz Ohr. Wir werden ganz flattrig. Im Kontakt mit künstlicher<br />
Intelligenz verpassen wir fast die Einfahrt. Aber „Mercedes“<br />
behält die Nerven. Sie ist nicht nur eine Frau des Wortes, sondern<br />
auch der Tat. So bremst sie kurzerhand – und ohne höflich<br />
zu fragen – als sie meine Abstandsbemessung beim Wenden<br />
zu gewagt <strong>fin</strong>det.<br />
Dann lässt sie mich die Einfahrt passieren und wir steigen<br />
aus. In „Heidi’s Zauberpark“ entdecken wir weiße Hasen im<br />
Gras, ein blaues Pferd im Teich und Kois im Wasser. Hier ist<br />
wohl #digitaldetox und #inspirationalquotes angesagt, grinsen<br />
wir. Die Grünoase der Lebensberatung ist zwar nicht gerade<br />
„instagramable“, aber der Ort beschäftigt sich mit einer ähnlicher<br />
Frage: Wie viel Zauber braucht es zum Glück?<br />
Keine 08/15-Fotos bitte! Fashionexpertin Barbara hat da ästhetische<br />
Ansprüche. „Verstanden“ antworten wir und Miss Mercedes.<br />
#sprachsteuerung #socialstars #hightechluxus<br />
Selbst die Schönen sind heute nicht mehr schön!“<br />
Unsere Fotogra<strong>fin</strong> ist sofort im Thema. Nicht nur<br />
Menschen mit normalen Taillen, Nasen und Oberarmen<br />
stünden unter Druck, übernatürlich schlank,<br />
zierlich und muskulös auszusehen. „Selbst Models, die eh<br />
schon dünn sind, ziehen auf Instagram ihre Taille schmäler –<br />
und verschieben dabei den Hintergrund.“ Julie schüttelt den<br />
Kopf. Ich staune währenddessen über die Palette unzähliger<br />
Tools, welche zur digitalen Schnellverschönerung angeboten<br />
werden – und damit jedem Kind suggerieren: Echt ist nicht<br />
erwünscht. Gleichzeitig boomen Trends wie #bodypositivity<br />
#selbstliebe – und erinnert ihr euch noch an #nofilter?<br />
„Was ist da los?“, frage ich in den Rückspiegel. „Alles<br />
Doppelmoral?“. Auf der Rückbank der neusten A-Klasse<br />
kuscheln drei Frauen vom Fach. Marion lehnt sich vor: „Früher<br />
war Social Media ein Ort, wo normale Leute endlich das sein<br />
konnten, was sonst nur Schauspielern und Models vorbehalten<br />
war. Eine Gegenbewegung zur klassischen Welt der Werbung<br />
voller Supermodels. Inzwischen ist aber diese Gegenbewegung<br />
selbst extrem kommerziell.“ Die 35-Jährige ist nicht nur erfolgreiche<br />
Bloggerin und Fotogra<strong>fin</strong>, sondern auch Social Media<br />
Strategin. Ihr Reiseblog „Lady Venom“ hat über 270 Tausend<br />
Follower. (Randbemerkung: Reisebloggen ist ein Job und kein<br />
Urlaub, bitteschön.)<br />
270 Tausend Follower auf Instagram ohne ein einziges Selfie!<br />
Reisebloggerin Marion hat ihre Prinzipien und erinnert sich gern an die<br />
gute alte Zeit, als Instagram noch nicht Mainstream war. #mbux<br />
54 / LIFESTYLE /