Oktober 2018 - coolibri Hamm, Unna, Hagen
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THEATER<br />
D O R T M U N D<br />
Großer Mindfuck<br />
Foto: Birgit Hupfeld<br />
„Kann die Naturdennwirklichsoabsurd<br />
sein,wie es uns in unseren Experimenten<br />
erscheint?“ DieseFrage stellt sich Werner<br />
Heisenbergvor 92 Jahren.Seitdem bemühtsichdie<br />
Menschheit redlich, den beunruhigendenAussagen<br />
seinerQuantenphysik<br />
auf die Schlichezukommen. Ein<br />
Ausdruck davonist dieVersuchsanordnung<br />
„Die Parallelwelt“,mit derder Dortmunder<br />
Schauspiel-Chef KayVoges seine<br />
Vorreiterrolle im digitalenTheater zu den<br />
ganz großen Menschheitsfragen behauptetund<br />
äußerstaufwendigeinen Schluss<br />
aus derUnschärferelation bebildert: Wir<br />
lebenimMultiversum. Was, wenn wirzu<br />
unseren Doppelgängern in einemParalleluniversum<br />
Kontaktaufnehmen könnten?<br />
Miteiner ArmadaanSchauspielern, Statisten<br />
undTechnikern hatKay VogeszweiParalleluniversen<br />
entstehenlassen: DieHauptrolle in der<br />
weltersten Simultanaufführung spieltein gut<br />
420Kilometer langes Glasfaserkabel,das das<br />
Berliner Ensemble mitdem SchauspielDortmund<br />
verbindetund denDarstellernermöglicht,<br />
fast ohne Zeitverzögerungzuinteragierenund<br />
durchdie Ähnlichkeit ihrerKostümeund Bühnenbilderzuverschwimmen,inder<br />
Unschärfe<br />
zu verschwinden,dassden Zuschauern der<br />
Kopf schwirrt.<br />
DieLebensgeschichtedes Erdenbewohners<br />
Fred,die in Dortmund rückwärts (alsomit dem<br />
Todbeginnend) undinBerlin vorwärts erzählt<br />
wird,kulminiertanbeidenOrten in derparallel<br />
gespieltenHochzeitsszene, beider sich dieFigurenüberWandmonitorebegegnen.<br />
Obwohl<br />
Brautund Bräutigamvor demTraualtar extragefragtwerden,<br />
ob sieParadoxienals wesentlichen<br />
Bestandteilalles Realen gelten lassen,<br />
mündetdie Begegnung mitden Doppelgängern<br />
im Zickenkrieg: Sowohl AnnikaMeier in Berlin<br />
als auch BettinaLiederwollenselbstredenddie<br />
Hauptrolle aufihrer Hochzeit spielenund realer<br />
sein als ihre Kopie im Paralleluniversum.<br />
„Die Parallelwelt“ist einschrilles, manchmal<br />
nervtötendesSpektakel zurungelöstenFrage,<br />
wasdie Erkenntnisse dertheoretischenPhysik<br />
für unseralltägliches Lebenbedeutenkönnten.<br />
Es istein großer Mindfuck,aufgeladenmit Textschnipseln<br />
vonAristoteles,Newton, Beckett,<br />
Breton,Sebald, HeinerMüller undnatürlichaus<br />
derBibel.Inder langen,parallelen Geburts- und<br />
Sterbeszenezur Eröffnungist dasStückpathetischerFernsehfilmund<br />
manstöhnt insgeheim:<br />
„Der ganzeAufwand, um Netflix Konkurrenzzu<br />
machen?“ Später magman dieInszenierung<br />
wohlwollenderinReferenzsysteme vonDavid<br />
Lynchbis ChristopherNolan einordnen. Die<br />
Bühneist viergeteiltund zeigtgleichrangigVideobilder<br />
undSpielszenen.Voges Kamera-Team<br />
arbeitetmit Überblendungen undÜberlagerungen,<br />
oftwissendie Zuschauertatsächlich nicht<br />
mehr,welches Bild gerade vorneliveauf der<br />
Bühne produziert wird. DieEntfernung zwischenBerlinund<br />
Dortmund istnicht mehr existent<br />
–ein exzellentesBildfür eine globalisierte<br />
Welt derGleichzeitig- undErreichbarkeit.<br />
Leider istdie spärlicheHandlungdem Versuchscharakter<br />
desStückskomplettunterworfen.Es<br />
fragtnicht nurnachden Erkenntnissen dertheoretischen<br />
Physik, sondernauch nach Notwendigkeiteiner<br />
jahrtausendealtenVoraussetzung<br />
desTheatererlebnisses: derphysischen Präsenz<br />
derSchauspieler undihresPublikums an<br />
einemOrt.Und ja,man freutsichdoch, wenn<br />
am Ende dieMonitorwände an denRandder<br />
Wahrnehmungrückenund dasrealanwesende<br />
Ensemble zurApplausordnungantritt.<br />
MaxFlorian Kühlem<br />
DieParallelwelt: 28.+31.10., Schauspiel Dortmund;<br />
theaterdo.de<br />
PREMIERENIMOKTOBER<br />
CASTROP-RAUXEL<br />
13.10. Sieben minus eins vonArne<br />
Dahl (R: Lothar Maninger), WLTim<br />
Saalbau Witten 28.10.MamaMuh<br />
unddie Krähevon J.Wieslander (R:<br />
Katrin Herchenröther), WLT-Studio<br />
DORTMUND<br />
5.10.Aidavon Giuseppe Verdi(R:<br />
50<br />
Jacobo Spirei), Opernhaus<br />
7.10.Der Barbiervon Sevillavon<br />
GioachinoRossini (R:MartinG.<br />
Berger), Opernhaus<br />
12.10. Everythingbelongs to the<br />
future vonLauriePenny (R: Laura<br />
N. Junghanns),Studio<br />
13.10. Ich, Europa vonYavuz Ekinci,<br />
Anis Humaidan,Yasmin Khadra<br />
u.a. (R: Marcus Lobbes), Schauspielhaus<br />
DUISBURG<br />
13.10. Petruschka/L’enfantetles<br />
Sortilèges vonIgor Strawinsky/Maurice<br />
Ravel(R: SusanneAndrade,<br />
Esme Appleton), Theater<br />
Duisburg<br />
ESSEN<br />
5.10.Die Hauptstadt vonRobert<br />
Menasse (R: Hermann Schmidt-<br />
Rahmer), Grillo-Theater<br />
6.10.Auerhaus vonBov Bjerg(R:<br />
KarstenDahlem), Casa<br />
12.10. Biografie: EinSpielvon Max<br />
Frisch (R: Thomas Ladwig), Grillo-<br />
Theater13.10.Carmen vonG.Bizet<br />
(R: LottedeBeer), Aalto-Theater<br />
GELSENKIRCHEN<br />
6.10.Massvon LeonardBernstein<br />
(R:Richard Siegal), Musiktheater<br />
im Revier