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RE KW 43

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Zusammen die Stille durchbrechen<br />

Über das Tabuthema Suizid und das gemeinsame Verarbeiten des Verlusts: Ein Gespräch mit einem Vater, der seinen Sohn verlor<br />

Wenn sich ein Mensch dazu entschließt, das eigene Leben zu<br />

beenden, bleibt im nahen Umfeld vieles zurück: Gesagtes und<br />

Unausgesprochenes, Trauer und Ratlosigkeit, vielleicht aber auch<br />

Gefühle von Schuld, Zorn oder Unverständnis. Gesprochen wird<br />

in Österreich über diese Art von Verlust hingegen nur selten, auch<br />

wenn durch Suizid mehr jährliche Todesopfer zu beklagen sind als<br />

bei Unfällen im Straßenverkehr. Diesen Mantel des Schweigens<br />

lüften möchte eine Selbsthilfegruppe in den Räumen von „pro<br />

mente“ in Landeck. Ein regelmäßiger Teilnehmer dieser Treffen<br />

ist Moritz*, der seinen Sohn verlor und Schicksalsgenossen dazu<br />

ermutigt, die Last als Hinterbliebener nicht alleine zu schultern.<br />

Von Manuel Matt<br />

Nachdem sich sein Sohn das Leben<br />

genommen hatte, geriet für<br />

Moritz die Welt aus den Fugen. „Da<br />

zieht es dir schlagartig den Boden<br />

unter den Füßen weg“, erzählt der<br />

Vater über die ersten Emotionen<br />

angesichts einer Situation, „auf die<br />

du nicht vorbereitet bist“, auf die<br />

vielleicht niemand jemals vorbereitet<br />

sein kann: „Du suchst dann<br />

nicht nur nach Antworten auf die<br />

vielen quälenden Fragen, sondern<br />

vor allem nach jemanden, der dich<br />

versteht, mit dem du über deinen<br />

Verlust sprechen kannst.“<br />

RUNDSCHAU Seite 20<br />

Besinnlich<br />

INS GESPRÄCH KOMMEN.<br />

Einfach sei diese Suche jedenfalls<br />

nicht, weil dieses „Gefühlschaos<br />

eigentlicht nur jemand nachvollziehen<br />

kann, der die gleiche Erfahrung<br />

machen musste“, sagt Moritz und<br />

erzählt über seine Motivation, Teil<br />

eines Kreises von Schicksalsgenossen<br />

zu werden: „Es hat sich damals<br />

die Möglichkeit ergeben, an einer<br />

Selbsthilfegruppe für Angehörige<br />

nach Suizid teilzunehmen und ich<br />

wollte mir ansehen, ob eine Selbsthilfegruppe<br />

das Richtige für mich ist.<br />

Darin habe ich eine Möglichkeit gesehen,<br />

mit Menschen ins Gespräch<br />

zu kommen, die so wie ich einen<br />

(sas) Die Rochuskapelle „auf der Geißel“ wurde 1611 als Pestkapelle erbaut. An<br />

das dreijochige Langhaus schließt ein zweijochiger Chor mit Dreiachtelschluss an.<br />

Der Hochaltar entstand im Jahr 1618. Die Rochuskapelle ist somit das älteste sakrale<br />

Bauwerk in Biberwier und wurde 1985 in sehr gut geglückter Restaurierung<br />

wiederhergestellt. Die Kapelle ist dem Fabian und Sebastian geweiht. Im Sommer<br />

finden hier klassische Konzert bei Kerzenlicht statt. „Gott schließt nie eine Türe,<br />

ohne eine andere zu öffnen.“ Es lohnt sich, einen Spaziergang zur „Rochuskapelle<br />

auf der Geißel“ in Biberwier zu unternehmen, die Ruhe in der Kapelle zu erleben<br />

und innezuhalten. Wer auf die Kapelle zugeht, genießt ein wunderbares Panorma<br />

mit Blick auf die Zugspitze.<br />

RS-Foto: Schretter<br />

AUSSERFERNER<br />

SEIT 1922<br />

NACHRICHTEN<br />

Wenn sich ein geliebter Mensch das Leben nimmt, bleiben Angehörige mit ihrem<br />

Schmerz zurück. Helfen kann ein Gespräch mit anderen Betroffenen.<br />

nahen Angehörigen durch Suizid<br />

verloren haben.“ Heute ist Moritz<br />

jedenfalls erleichtert, diesen Schritt<br />

gemacht zu haben, auch wenn er damals<br />

nicht wusste, was ihn in dieser<br />

Gruppe erwarten würde.<br />

DIE VIELEN FORMEN DES<br />

TRAUERNS. Diese Ungewissheit<br />

möchte Moritz jenen, die über eine<br />

Teilnahme nachdenken, gerne von<br />

den Schultern nehmen und erklärt,<br />

was innerhalb der Selbsthilfegruppe<br />

passiert: „Es ist eine angeleitete, offene<br />

Gruppe und richtet sich an alle,<br />

die einen Angehörigen durch Suizid<br />

verloren haben. Dabei spielt es keine<br />

Rolle, ob das erst vor Kurzem war<br />

oder bereits mehrere Jahre zurückliegt.<br />

Wir können über unsere Erfahrungen<br />

sprechen und ungezwungen<br />

erzählen, wie es uns geht.“ Da jedes<br />

Schicksal, jedes Verlusterlebnis trotz<br />

eventueller Parallelen für sich einzigartig<br />

ist, gebe es kein richtig oder<br />

falsch, betont Moritz: „Jeder in der<br />

Gruppe geht mit seiner Trauer anders<br />

um, bewältigt seinen Verlust auf<br />

seine Weise. Es herrscht eine sehr<br />

vertrauliche Atmosphäre, in der alles<br />

Platz hat. Jeder kann – muss aber<br />

nicht – über alles sprechen, was ihn<br />

beschäftigt.“ Besonders schätzt Moritz<br />

dabei das Verbindende aufgrund<br />

der gemeinsamen Erfahrung, aber<br />

auch die Gewissheit, dass nichts,<br />

was innerhalb der Gruppe besprochen<br />

wird, nach außen dringt. „Jeder<br />

kann so offen und ehrlich über<br />

seine Empfindungen sprechen“, verspricht<br />

Moritz.<br />

*Name von der Redaktion geändert<br />

OFFEN & UNVERBINDLICH.<br />

Der Schmerz mag bleiben, vielleicht<br />

ein ganzes Leben lang, doch sein<br />

inneres Empfinden mit anderen zu<br />

teilen, kann Balsam für die wunde<br />

Seele sein. Davon scheint Moritz<br />

überzeugt: „Zu hören, dass man<br />

mit seinem Problem nicht alleine<br />

ist, bringt eine große Erleichterung<br />

und tut einfach gut. Zu hören, wie<br />

andere Betroffene mit ihrem Verlust<br />

umgehen, hilft, über die eigene Situation<br />

nachzudenken und gibt einem<br />

Hoffnung. Die Hoffnung nämlich,<br />

dass man es vielleicht auch einmal<br />

schaffen kann, mit seinem Schicksal<br />

umzugehen.“ Es sei nie zu spät,<br />

seine persönliche Hemmschwelle zu<br />

überwinden und völlig unverbindlich<br />

zum nächsten Treffen zu kommen,<br />

betont Moritz: „Auch wenn es<br />

nicht einfach ist, möchte ich alle Betroffenen,<br />

insbesondere betroffene<br />

Männer, dazu ermutigen, diesen<br />

Schritt zu wagen, das Gespräch mit<br />

anderen Betroffenen zu suchen. Jeder<br />

kleine Schritt hilft einem – und<br />

auch den anderen!“<br />

Als Basis dieses Beitrags diente ein<br />

Interview mit einem Gruppenteilnehmer,<br />

durchgeführt von Petra Egger.<br />

Gruppen-Termine<br />

Symbolbild: pixabay.com<br />

Die Selbsthilfegruppe für Angehörige<br />

nach Suizid trifft sich regelmäßig<br />

einmal im Monat in den Räumlichkeiten<br />

von „pro mente“ in Landeck.<br />

Das nächste Treffen findet am 7. November,<br />

um 18 Uhr statt. Weitere Informationen<br />

erteilt Petra Egger unter<br />

Tel. 0664 81 72 791.<br />

24./25. Oktober 2018

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