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Achtung! Warum Unternehmen Menschenrechte beachten müssen

Bei Menschenrechten geht es um Würde und Achtung. Daran haben sich auch Unternehmen und Staaten zu halten. Aber tun sie das auch? Die aktuelle Ausgabe des Wirtschaftsmagazins UmweltDialog lotet auf 84 Seiten die vielen Facetten des hochaktuellen und brisanten Themas Menschenrechte aus.

Bei Menschenrechten geht es um Würde und Achtung. Daran haben sich auch Unternehmen und Staaten zu halten. Aber tun sie das auch? Die aktuelle Ausgabe des Wirtschaftsmagazins UmweltDialog lotet auf 84 Seiten die vielen Facetten des hochaktuellen und brisanten Themas Menschenrechte aus.

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Ausgabe 10<br />

November 2018<br />

9,00 EUR<br />

<strong>Achtung</strong>!<br />

<strong>Warum</strong> <strong>Unternehmen</strong> <strong>Menschenrechte</strong> <strong>beachten</strong> <strong>müssen</strong><br />

umweltdialog.de


© shutterstock<br />

MENSCHENRECHTE IN<br />

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dass <strong>Unternehmen</strong> ihrer Verantwortung nachkommen und für die Einhaltung von <strong>Menschenrechte</strong>n<br />

im <strong>Unternehmen</strong> und entlang der Lieferkette sorgen.<br />

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<strong>Menschenrechte</strong><br />

Liebe Leserinnen<br />

und Leser,<br />

als wir vor längerer Zeit für diese<br />

Ausgabe das Thema <strong>Menschenrechte</strong><br />

planten, hatten wir eigentlich „nur“<br />

den 70. Jahrestag der Allgemeinen<br />

Deklaration der <strong>Menschenrechte</strong><br />

am 8. Dezember im Kopf. Wir hätten<br />

nicht gedacht, dass <strong>Menschenrechte</strong><br />

als Thema so viel politische Brisanz<br />

und Aktualität bekommt, so viel im<br />

Positiven wie auch im Negativen passiert.<br />

Unsere Ausgabe will versuchen,<br />

hier etwas Struktur in die Menschenrechtsdebatte<br />

zu bringen, wobei wir<br />

den Fokus darauf legen, welche Rolle<br />

<strong>Unternehmen</strong> dabei spielen.<br />

Reden wir über Positives: Die <strong>Menschenrechte</strong><br />

haben sich definitiv weiterentwickelt.<br />

Es geht nicht mehr<br />

nur um minimale Bürgerrechte wie<br />

Unversehrtheit und Rechtsbeistand,<br />

sondern auch um soziale Anspruchsund<br />

Teilhaberechte und immer öfter<br />

um Selbstbestimmungsrechte. Wegweisend<br />

sind hier auch die Arbeiten<br />

des Harvard-Professors und UN-<br />

Sonderbeauftragten John Ruggie: Die<br />

„UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und<br />

<strong>Menschenrechte</strong>“ – oft auch einfach<br />

Ruggie-Principles genannt – bilden einen<br />

konsensfähigen Rahmen zur<br />

menschenrechtlichen Regulierung von<br />

<strong>Unternehmen</strong>.<br />

Reden wir über Negatives: Das ist oftmals<br />

die gelebte Praxis. Da werden<br />

unliebsame Journalisten in Konsulaten<br />

und auf der Straße umgebracht,<br />

in Nordafrika gibt es wieder Sklavenmärkte,<br />

Konzerne machen mit Schurkenstaaten<br />

beste Geschäfte, und auf<br />

unseren Feldern schuften Arbeiter unter<br />

bescheidensten Bedingungen. Die<br />

Wörter <strong>Menschenrechte</strong> und Missachtung<br />

<strong>müssen</strong> leider noch allzu oft<br />

in einem Satz genannt werden.<br />

Sowohl Staat als auch Zivilgesellschaft<br />

drängen beim Thema <strong>Menschenrechte</strong><br />

zunehmend auf gesetzliche Regelungen.<br />

Das ist aus den Erfahrungen,<br />

die wir machen, sicher auch verständlich.<br />

Aber am Ende reichen Gesetze<br />

alleine nicht aus: Der frühere Richter<br />

am Bundesverfassungsgericht,<br />

Ernst-Wolfgang Böckenförde hat das<br />

in einem nach ihm benannten Dilemma<br />

sehr gut auf den Punkt gebracht:<br />

„Der freiheitliche, säkularisierte Staat<br />

lebt von Voraussetzungen, die er selbst<br />

nicht garantieren kann.“ Er hängt also<br />

davon ab, dass alle in diesem Staat mit<br />

ihrem Verhalten und ihrer Lebensweise<br />

diesen liberalen Staat ermöglichen,<br />

und zwar proaktiv und freiwillig.<br />

<strong>Menschenrechte</strong> gehören nicht in gedruckte<br />

Deklarationen oder Gesetzestexte,<br />

sondern in den täglich gelebten<br />

Alltag!<br />

Viel Spaß beim Lesen wünscht im<br />

Namen der gesamten Redaktion Ihr<br />

Dr. Elmer Lenzen<br />

Chefredakteur<br />

Die nächste Ausgabe<br />

UmweltDialog erscheint am<br />

17.05.2019


6<br />

Business braucht Regeln –<br />

gerade beim Thema<br />

<strong>Menschenrechte</strong><br />

Inhalt<br />

EINFÜHRUNG<br />

<strong>Unternehmen</strong> und <strong>Menschenrechte</strong> ................................. 6<br />

Bei <strong>Menschenrechte</strong>n geht es um Würde und <strong>Achtung</strong>.<br />

Daran haben sich auch <strong>Unternehmen</strong> zu halten.<br />

Aber tun sie das auch?<br />

CSR und Haftung – <strong>Unternehmen</strong> zwischen<br />

Skylla und Charybdis ......................................................... 10<br />

Wie können Firmen Nachhaltigkeitsvorgaben in der<br />

Lieferkette verankern, ohne dass ihnen Haftung droht?<br />

<strong>Menschenrechte</strong> sind kein dünner Ersatzkaffee .......... 12<br />

Eine philosophische Annäherung an aktuelle Fragen<br />

mit Prof. Dr. Claus Dierksmeier<br />

70 Jahre Deklaration der <strong>Menschenrechte</strong> ................... 18<br />

Die UN-Menschenrechtscharta feiert Jubiläum.<br />

Unsere Bildergeschichte zeigt die wichtigen Momente.<br />

Zwischen Glamour und Grundrechten ............................22<br />

Amal und George Clooney sind mehr als nur ein<br />

Glamour-Paar. Das zeigt ihr Einsatz für <strong>Menschenrechte</strong>.<br />

Wozu dient die menschenrechtliche Risikoanalyse? ....34<br />

Kinderarbeit, Sklaverei, Armut: Die Schattenseiten globaler<br />

Wertschöpfungsketten erfordern neue Strategien.<br />

Menschenrechtliche Sorgfaltspflicht bei<br />

der Deutschen Telekom......................................................36<br />

<strong>Unternehmen</strong>sverantwortung lässt sich planen und<br />

trainieren. Wie das geht, zeigt das Beispiel der<br />

Deutschen Telekom.<br />

Ethik? Das Wort gefällt mir nicht ....................................38<br />

Auf Hauptversammlungen geht es nur um's Geld?<br />

„Von wegen!“ sagt der Aktivist Mauro Meggiolaro und<br />

mischt mit „Shareholders for Change“ mit.<br />

MODERNE SKLAVEREI<br />

Was ist moderne Sklaverei? .............................................42<br />

Der Begriff der modernen Sklaverei wird in der<br />

Menschenrechtsdebatte vermehrt verwendet.<br />

Aber was bedeutet er genau?<br />

MANAGEMENT<br />

<strong>Unternehmen</strong>sverantwortung ist nicht verhandelbar ...28<br />

<strong>Unternehmen</strong> <strong>müssen</strong> die Top-Risiken im Blick haben,<br />

wenn sie <strong>Menschenrechte</strong> innerhalb der Lieferkette<br />

managen wollen.<br />

Der SA8000-Standard .......................................................32<br />

Der Sozialstandard SA 8000 ist der erste weltweit<br />

zertifizierbare Standard für eine sozial verantwortliche<br />

<strong>Unternehmen</strong>sführung.<br />

Missachtung hat viele Gesichter .....................................44<br />

Arbeit auf Abruf, illegale Erntehelfer, Geschäfte mit<br />

Gaunern, und die Frage: Dürfen Kindermädchen in<br />

Dubai eine Tag pro Woche frei haben?<br />

O Tannenbaum, o Tannenbaum,<br />

wie fair sind deine Zapfen! ................................................50<br />

Für viele ist die Nordmanntanne der Inbegriff des<br />

Weihnachtsbaums. Ihre Zapfen zur Zucht werden teils<br />

unter gefährlichen Bedingungen gepflückt.<br />

Das will toom ändern.


<strong>Menschenrechte</strong><br />

BÜRGERRECHTE<br />

Bauern vertrieben, Plantage läuft ...................................52<br />

Kleinbauern werden in Uganda vertrieben, damit<br />

deutsche Kaffeebarone gute Geschäfte machen können.<br />

Um Entschädigung kämpfen die Farmer bis heute.<br />

Kinderrechte in einer globalen Wirtschaft .....................58<br />

Immer noch verbinden viele <strong>Unternehmen</strong> Kinderrechte<br />

lediglich mit dem Verbot von Kinderarbeit. Dabei geht<br />

es um viel, viel mehr.<br />

Wo Kinder noch Kinder bleiben dürfen ...........................62<br />

Unsere Beispiele aus Indien, Guatemala und China<br />

zeigen bessere Arbeitsbedingungen und vor allem die<br />

Einhaltung der Kinderrechte.<br />

22<br />

Mehr als nur Bling-Bling<br />

im Kopf: Amal und<br />

George Clooney<br />

ROHSTOFFE<br />

Welcome to Sodom ............................................................64<br />

Was passiert mit unserem Elektroschrott? Der Dokumentarfilm<br />

„Welcome to Sodom“ zeigt die Menschen,<br />

die in Afrikas größter Müllhalde leben und arbeiten.<br />

Nachhaltigkeitsrisiko Bauxit ............................................68<br />

Aluminium ist mit der wichtigste Rohstoff der Energiewende.<br />

Hergestellt wird es aus Bauxit. Der Abbau ist mit<br />

erheblichen Risiken für Mensch und Umwelt verbunden.<br />

Nespresso setzt sich für Nachhaltigkeit<br />

in der Lieferkette ein .......................................................... 72<br />

Die Aluminium Stewardship Initiative ist der weltweit<br />

erste Standard für dessen nachhaltige Beschaffung.<br />

42<br />

Sklavenarbeit? Nicht mein<br />

Problem! Von wegen – moderne<br />

Sklaverei ufert immer weiter aus.<br />

Wie die Blockchain Kinderarbeit und<br />

Konfliktmineralien auf die Spur kommt ......................... 74<br />

Elektronische Produkte bestehen aus tausenden Komponenten.<br />

Deren Herkunft lässt sich oftmals nur schwer<br />

zurückverfolgen. Die Blockchain kann das ändern.<br />

Energiewende auf Kosten von Umwelt- und<br />

<strong>Menschenrechte</strong>n? ............................................................. 77<br />

Auch Grünstrom ist nicht konfliktfrei – vor allem gibt es<br />

bei der Beschaffung der benötigten Rohstoffe Probleme.<br />

Steinkohle – ein schmutziges Geschäft ........................ 78<br />

In Deutschland wird die Steinkohleproduktion Ende<br />

2018 eingestellt, der Strom soll ja sauber werden.<br />

Doch die Kraftwerke laufen weiter – mit Importkohle.<br />

Moral Mining .......................................................................80<br />

In Minen arbeiten muss nicht automatisch schlimm sein.<br />

Es kommt auf die Einhaltung von Standards an.<br />

Holländer und Schweizer prüfen das mittels eines Index.<br />

68<br />

Ohne Aluminium kein Leichtbau,<br />

keine Energiewende, kein Klimaschutz.<br />

Aber wehe, wir schauen genau<br />

hin, woher der Rohstoff kommt!


<strong>Menschenrechte</strong><br />

I<br />

UNTERNEHMEN<br />

VERSUS<br />

und<br />

Von Philipp Bleckmann<br />

Im Juni 2017 veröffentlichten Germanwatch<br />

und Misereor eine Studie<br />

zu Menschenrechtsverletzungen<br />

deutscher <strong>Unternehmen</strong> in der<br />

Energiewirtschaft. Das Medienecho<br />

war gewaltig. Kein Wunder, denn die<br />

Autoren werfen den <strong>Unternehmen</strong> vor,<br />

die <strong>Menschenrechte</strong> vielfach zu missachten<br />

– und zwar insbesondere in ihren<br />

Lieferketten im Ausland. Die Vorwürfe<br />

an alle großen Stromversorger<br />

reichen von illegalen Umsiedlungen<br />

über massive negative Gesundheitsauswirkungen<br />

bis zur Beeinträchtigung<br />

der Rechte indigener Bevölkerungsgruppen.<br />

MENSCHENRECHTE<br />

Auch bei der Elektromobilität finden<br />

sich ähnliche Anschuldigungen in einer<br />

aktuellen Kampagne von Amnesty<br />

International. Deutschen Automobilbauern<br />

sowie internationalen <strong>Unternehmen</strong><br />

der Elektronikbranche wird<br />

darin vorgeworfen, in ihren Lieferketten,<br />

vor allem etwa in der Region der<br />

Großen Seen im Kongo, massive Menschenrechtsverletzungen<br />

zuzulassen.<br />

Recherchen aus diesem Jahr zeigen,<br />

dass moderne Sklaverei und Ausbeu-<br />

Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de


<strong>Menschenrechte</strong><br />

tung bei den Arbeitsbedingungen<br />

auch in Europa alltäglich sind: Etwa<br />

beim Anbau von Tomaten, Erdbeeren<br />

und ähnlichen Produkten in Spanien<br />

oder in Italien, wo oftmals Geflüchtete<br />

und illegal Beschäftigte zu den<br />

Leidtragenden der teils bandenmäßig<br />

organisierten Vergehen gehören.<br />

Da stellen sich Fragen: <strong>Warum</strong> kommt<br />

es immer wieder zu solchen negativen<br />

Auswirkungen in den Wertschöpfungsketten?<br />

Wie reagiert die<br />

internationale Staatengemeinschaft<br />

auf diese Herausforderung? Und<br />

schließlich: Was sind die konkreten<br />

Anforderungen an <strong>Unternehmen</strong>, um<br />

ihre Geschäftstätigkeiten inklusive<br />

Lieferketten fair und sozial nachhaltig<br />

zu gestalten?<br />

Begeben wir uns auf Ursachenforschung<br />

Die Entwicklung der internationalen<br />

Wirtschaft in den letzten Jahren ist<br />

geprägt von massiven Verschiebungen,<br />

Stichworte sind Globalisierung,<br />

Privatisierung und mangelnde Staatlichkeit.<br />

2016 waren von den 100 größten<br />

„Economies“ nur noch 31 Staaten<br />

– aber 69 <strong>Unternehmen</strong>.<br />

Globalisierter Handel geht oft einher<br />

mit der Konzentration von Macht in<br />

den Händen einiger weniger. In den<br />

meisten Fällen sind das Großkonzerne<br />

aus Europa oder den USA. Somit<br />

ist das Vorrecht des Staates als<br />

zentraler und mächtigster Akteur<br />

in vielen Konstellationen fraglich –<br />

vor allem da seine Zuständigkeit an<br />

Landesgrenzen haltmacht, die Aktivitäten<br />

der <strong>Unternehmen</strong> hingegen<br />

nicht. Zudem erleben wir durch<br />

ein hochkompliziertes Geflecht aus<br />

Tochterfirmen, die juristisch als<br />

unabhängige Rechtspersönlichkeiten<br />

gefasst werden und nicht für einander<br />

haften, eine Situation unklarer<br />

Verantwortung. Dies betrifft sowohl<br />

die Schaffung von Tochterfirmen in<br />

Produktionsländern, für die aufgrund<br />

von Haftungsbeschränken im Binnenleben<br />

der <strong>Unternehmen</strong> die Muttergesellschaft<br />

bei Verstößen nicht haftet<br />

als auch den Fall komplizierter und<br />

verzweigter Lieferketten. Der Konzern<br />

lagert den Großteil der Produktionsschritte<br />

an Zulieferer aus, für die<br />

er rechtlich keine Verantwortung hat.<br />

Kurzum: Staaten können <strong>Unternehmen</strong>saktivitäten<br />

sehr viel schwieriger<br />

regulieren als früher.<br />

Zeitgleich zu den international verlaufenden<br />

Liberalisierungsprozessen<br />

sehen wir sowohl in Entwicklungsund<br />

Schwellenländern als auch in<br />

den Industrieländern enorme Privatisierungstendenzen:<br />

Aspekte der<br />

Gesellschaft, die bislang unter die<br />

staatliche Pflicht zum Schutz, der<br />

Förderung und der Gewährleistung<br />

von <strong>Menschenrechte</strong>n gefallen sind,<br />

werden nun privatwirtschaftlich organisiert.<br />

Die bisher für Staaten<br />

geltenden Regeln reichen in diesen<br />

„new private spheres“ zum Schutz<br />

der <strong>Menschenrechte</strong> dann oftmals<br />

nicht mehr aus.<br />

Zu guter Letzt operieren <strong>Unternehmen</strong><br />

häufig in Ländern mit schwacher<br />

Staatlichkeit, die aus verschiedenen<br />

Gründen den Schutz der <strong>Menschenrechte</strong><br />

nicht gewährleisten: Korruption,<br />

mangelnde Kapazitäten oder Anreize<br />

für die Regierung, mit möglichst<br />

geringen Standards bewusst hohe<br />

Direktinvestitionen anzulocken, seien<br />

hier genannt.<br />

Wie sehen Lösungen aus?<br />

Aus diesen schwierigen Rahmenbedingungen<br />

ergeben sich für den Umgang<br />

mit negativen Auswirkungen<br />

auf die <strong>Menschenrechte</strong> große Herausforderungen.<br />

Dies wird deutlich<br />

beim Versuch, die Frage zu beantworten,<br />

wer etwa für die Geschehnisse<br />

bei einem Fabrikeinsturz oder einem<br />

Großbrand die Verantwortung trägt:<br />

• Ist es die Regierung des Landes, die<br />

keine effektiven Kontrollen durchsetzt?<br />

• Ist es der Bauunternehmer, der sich<br />

aus Kostengründen gezwungen<br />

sieht, am Rande der legalen Bauschriften<br />

zu agieren?<br />

• Liegt die Verantwortung beim lokalen<br />

Fabrikbesitzer, der kein Interesse<br />

an gesteigerter Arbeitssicherheit<br />

hat?<br />

• Welcher Teil der Verantwortung ist<br />

für den europäischen Großkunden<br />

anzusetzen, dessen Einkaufspraxis<br />

vor allem auf den Preis als entscheidendes<br />

Kriterium fokussiert?<br />

• Und inwieweit ist am Ende gar der<br />

Verbraucher zu nennen, der trotz aller<br />

gesellschaftlicher Bekenntnisse<br />

zu mehr Nachhaltigkeit nicht mehr<br />

als ein paar Euro für ein T-Shirt ausgeben<br />

möchte oder kann.<br />

Der aktuell einflussreichste und umfangreichste<br />

Versuch, eine Antwort auf<br />

diese Fragen zu formulieren, sind die<br />

UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und<br />

<strong>Menschenrechte</strong>. Die 2011 vom UN-<br />

Menschenrechtsrat einstimmig verabschiedeten<br />

Leitprinzipien wurden im<br />

Anschluss von einer Vielzahl weiterer<br />

Initiativen, Rahmenwerke, Staaten und<br />

<strong>Unternehmen</strong> übernommen und entfalten<br />

dadurch ihre Wirkung, ohne von<br />

sich aus eine rechtliche Verbindlichkeit<br />

zu bedingen. John Ruggie, einer<br />

der Autoren der UN-Leitprinzipien, bezeichnet<br />

dies als die „normative Kraft“<br />

der Leitprinzipien.<br />

Drei Säulen bilden den Kern dieser<br />

Leitprinzipien:<br />

In Säule 1 (Schutz der <strong>Menschenrechte</strong>)<br />

wird die bekannte Pflicht der Staaten<br />

zum Schutz der <strong>Menschenrechte</strong><br />

ausgeführt. Staaten sind die primären<br />

Adressaten, die die <strong>Menschenrechte</strong><br />

und Grundfreiheiten zu achten, zu<br />

schützen und zu gewährleisten haben.<br />

In Säule 2 (<strong>Achtung</strong> der <strong>Menschenrechte</strong>)<br />

wird die Verantwortung von<br />

Wirtschaftsunternehmen, als spezialisierten<br />

Organen der Gesellschaft, >><br />

Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de<br />

7


<strong>Menschenrechte</strong><br />

Grafik: fotoscool / stock.adobe.com<br />

Philipp Bleckmann ist Manager<br />

„Human Rights and Business“<br />

beim Deutschen Global Compact<br />

Netzwerk.<br />

zur <strong>Achtung</strong> der <strong>Menschenrechte</strong> festgelegt.<br />

Sie haben die Verantwortung,<br />

in ihrem operativen Handeln nicht<br />

nur geltendem Recht Folge zu leisten,<br />

sondern darüber hinaus die <strong>Menschenrechte</strong><br />

zu achten. Dies gilt insbesondere<br />

dann, wenn der Staat, indem sie<br />

operieren, nicht willens oder nicht in<br />

der Lage ist, seiner Pflicht zum Schutz<br />

der <strong>Menschenrechte</strong> nachzukommen.<br />

Das <strong>Unternehmen</strong> muss in diesem<br />

Fall dann trotzdem von sich aus seiner<br />

Verantwortung zur <strong>Achtung</strong> der <strong>Menschenrechte</strong><br />

nachkommen. Das heißt,<br />

dass die <strong>Unternehmen</strong> „vermeiden<br />

sollen, die <strong>Menschenrechte</strong> Anderer<br />

zu beeinträchtigen und dass sie nachteiligen<br />

menschenrechtlichen Auswirkungen,<br />

an denen sie beteiligt sind,<br />

begegnen sollen“. Kernaufgabe der<br />

<strong>Unternehmen</strong> ist die Einführung und<br />

Umsetzung von Prozessen menschenrechtlicher<br />

Sorgfalt.<br />

Abschließend regeln die Leitprinzipien<br />

in Säule 3 (Zugang zu Abhilfe)<br />

den Fall, dass es bei der Ausübung<br />

der Schutzpflicht oder der <strong>Achtung</strong>sverantwortung<br />

dennoch zu negativen<br />

Auswirkungen auf die <strong>Menschenrechte</strong><br />

Dritter kommt. In einem solchen<br />

Fall haben sowohl Staaten als auch<br />

<strong>Unternehmen</strong> die Pflicht und die Verantwortung,<br />

angemessene und wirksame<br />

Abhilfemaßnahmen zu entwickeln.<br />

Und das sagt der Gesetzgeber<br />

Die EU sowie der UN-Menschenrechtsrat<br />

haben die Staatengemeinschaft<br />

2012 aufgefordert, die Anforderungen<br />

der UN-Leitprinzipien in Nationalen<br />

Aktionsplänen für die jeweiligen Länder<br />

zu konkretisieren. In Deutschland<br />

dauerte das vier Jahre. Im 2016 verabschiedeten<br />

„Deutschen Nationalen<br />

Aktionsplan“ (kurz: NAP) äußert die<br />

Bundesregierung die Erwartung, dass<br />

alle <strong>Unternehmen</strong> die <strong>Menschenrechte</strong><br />

achten. Diese Erwartung gilt grundsätzlich<br />

unabhängig von der Größe des<br />

<strong>Unternehmen</strong>s, auch wenn die konkrete<br />

Ausgestaltung der <strong>Achtung</strong>sver-<br />

Zunehmende menschenrechtliche Regulierung<br />

1977 1998 2006 2010 2011 2012<br />

USA<br />

Foreign Corrupt<br />

Practice Act<br />

(FCPA)<br />

USA FCPA<br />

überarbeitet<br />

UK<br />

Companies Act<br />

USA<br />

Dodd-Frank Act<br />

UK Bribery Act<br />

UN-<br />

Leitprinzipien<br />

werden<br />

verabschiedet<br />

Kalifornisches<br />

Gesetz zu<br />

Transparenz<br />

in Lieferketten<br />

Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de


<strong>Menschenrechte</strong><br />

antwortung in der Praxis von der Art<br />

und Größe des <strong>Unternehmen</strong>s, seiner<br />

Position in internationalen Lieferketten<br />

und weiteren Faktoren abhängig<br />

ist. Der <strong>Achtung</strong> der <strong>Menschenrechte</strong><br />

kommen <strong>Unternehmen</strong> laut Nationalem<br />

Aktionsplan nach, indem sie<br />

Prozesse menschenrechtlicher Sorgfalt<br />

einführen und umsetzen. Diese<br />

aus den UN-Leitprinzipien bekannten<br />

Prozesse formulierte die Bundesregierung<br />

im Nationalen Aktionsplan aus<br />

und nimmt dazu auch ausdrücklich<br />

Bezug zu den UN-Leitprinzipien.<br />

Für <strong>Unternehmen</strong> mit mehr als 500<br />

Mitarbeitern formuliert die Bundesregierung<br />

außerdem eine Zielvorgabe:<br />

bis 2020 sollen 50 Prozent all dieser<br />

<strong>Unternehmen</strong> diese Elemente in ihre<br />

<strong>Unternehmen</strong>sprozesse integriert haben.<br />

Sollte diese Zielmarke nicht erreicht<br />

werden, so wird die Bundesregierung<br />

„weitergehende Maßnahmen,<br />

bis hin zu Verbindlichkeit“ prüfen. Im<br />

Koalitionsvertrag vom 14. März 2018<br />

gehen CDU/CSU und SPD sogar noch<br />

weiter: „Wir setzen uns für eine konsequente<br />

Umsetzung des Nationalen<br />

Aktionsplans Wirtschaft und <strong>Menschenrechte</strong><br />

(NAP) ein, einschließlich<br />

des öffentlichen Beschaffungswesens.<br />

Falls die wirksame und umfassende<br />

Überprüfung des NAP 2020 zu dem<br />

Ergebnis kommt, dass die freiwillige<br />

Selbstverpflichtung der <strong>Unternehmen</strong><br />

nicht ausreicht, werden wir national<br />

gesetzlich tätig und uns für eine<br />

EU-weite Regelung einsetzen.“<br />

So fällt das derzeitige Fazit aus<br />

Viele <strong>Unternehmen</strong> haben sich zur<br />

Umsetzung der UN-Leitprinzipien bekannt<br />

und gehen die Herausforderungen<br />

der menschenrechtlichen Sorgfalt<br />

proaktiv an. Dafür finden <strong>Unternehmen</strong><br />

in Deutschland mehrere Unterstützungsangebote.<br />

Als Eingangstor<br />

fungiert etwa der NAP Helpdesk der<br />

Agentur für Wirtschaft und Entwicklung,<br />

der konkrete Fragen zum Nationalen<br />

Aktionsplan beantwortet. Das<br />

Deutsche Global Compact Netzwerk<br />

bietet mit seiner Plattform MR-Sorgfalt.de<br />

eine Anlaufstelle für Anfänger<br />

und Fortgeschrittene, sowie mit dem<br />

„Fit für den NAP“-Qualifizierungsprogramm<br />

auch eine Hilfestellung bei der<br />

schrittweisen Umsetzung der Sorgfaltsprozesse.<br />

Oftmals stellt sich jedoch auch bei den<br />

engagierten <strong>Unternehmen</strong> die Frage<br />

nach der internationalen Kohärenz<br />

der Ansätze: wenn sich die oben beschriebenen<br />

Herausforderungen vor<br />

allem auch aus der Globalisierung<br />

und grenzüberschreitendem Handel<br />

ergeben, sollten dann nicht auch die<br />

Lösungen international sein? Mit den<br />

UN-Leitprinzipien ist dazu ein erster<br />

Schritt getan, doch wäre ein koordiniertes<br />

Vorgehen auf EU-Ebene (zum<br />

Beispiel ein europäischer Aktionsplan<br />

Wirtschaft & <strong>Menschenrechte</strong>) oder<br />

gar eine Verlagerung auf UN-Ebene<br />

(siehe die Diskussion zum UN-Treaty)<br />

zur Erreichung eines „Level Playing<br />

Field“ ein sicherlich denkbarer nächster<br />

Schritt. f<br />

2013 2014 2015 2016<br />

2017<br />

▲<br />

Nationaler<br />

Aktionsplan<br />

(NAP)<br />

• Vereinigtes<br />

Königreich<br />

• Niederlande<br />

UK<br />

Companies<br />

Act wird<br />

erweitert<br />

NAP<br />

• Finnland<br />

• Dänemark<br />

• Spanien<br />

Indien CSR<br />

Gesetz<br />

EU<br />

CSR-Richtlinie<br />

ILO-Übereinkommen<br />

gegen<br />

Zwangsarbeit<br />

Ziele für<br />

nachhaltige<br />

Entwicklung<br />

(SDGs)<br />

NAP<br />

• Litauen<br />

• Schweden<br />

• Norwegen<br />

• Kolumbien<br />

EU-Konfliktmineralien<br />

Regulierung<br />

UK Modern<br />

Slavery Act<br />

NAP<br />

• Schweiz<br />

• Italien<br />

• USA<br />

• Deutschland<br />

• Frankreich<br />

Frankreich<br />

Gesetz über<br />

unternehmerische<br />

Sorgfaltspflicht<br />

Bevorstehende<br />

Ereignisse:<br />

• Konzernverantwortungsinitiative<br />

(CH)<br />

• Sorgfaltspflicht<br />

gegen Kinderarbeit<br />

(NL)<br />

• NAPs:<br />

Australien<br />

Argentinien<br />

Belgien<br />

Mexiko<br />

Myanmar ...<br />

Quelle: DGCN<br />

Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de<br />

9


<strong>Menschenrechte</strong><br />

CSR und Haftung<br />

<strong>Unternehmen</strong> zwischen Skylla und Charybdis<br />

Von Rechtsanwältin Priv.-Doz. Dr. Birgit Spiesshofer M.C.J., New York University<br />

<strong>Unternehmen</strong> navigieren zwischen Skylla<br />

und Charybdis: Kommen sie den von internationalen<br />

Normen geforderten CSR-Vorgaben<br />

hinsichtlich Konzernunternehmen und<br />

Lieferanten nicht nach, so sollen sie<br />

verantwortlich sein – kommen sie ihnen durch<br />

intensive Durchsteuerung nach, so kann dies<br />

Haftung nach nationalem Recht begründen.<br />

<strong>Unternehmen</strong> sollen nachhaltig wirtschaften. Sie sollen<br />

CSR-Vorgaben einhalten. Und sie sollen dies im Konzern<br />

und in der Lieferkette einfordern und durchsetzen. Dies fordern<br />

die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und <strong>Menschenrechte</strong><br />

und, ihnen folgend, mittlerweile alle internationalen<br />

CSR-Standards. Sie sind zwar nicht rechtsverbindlich, aber<br />

gleichwohl Ausdruck „erwarteten Verhaltens“ und können<br />

mit weichen Mechanismen, insbesondere name and shame-Kampagnen<br />

oder vor den Nationalen Kontaktstellen<br />

nach den OECD-Leitsätzen für Multinationale <strong>Unternehmen</strong><br />

durchgesetzt werden. Nicht (oder allenfalls im Kleingedruckten<br />

wie bei den Reportingstandards der Global Reporting<br />

Initiative) wird thematisiert, dass die Umsetzung<br />

dieser internationalen Leitlinien nicht nur Haftungsrisiken<br />

minimieren, sondern auch Haftung begründen oder erweitern<br />

kann.<br />

<strong>Unternehmen</strong> navigieren in Untiefen: Kommen sie den von<br />

CSR-Normen geforderten Sorgfaltspflichten nicht nach,<br />

insbesondere hinsichtlich Konzernunternehmen und Lieferanten,<br />

dann sollen sie deliktisch oder in den „Courts of<br />

public opinion“ verantwortlich gemacht werden können –<br />

kommen sie ihnen durch intensive Durchsteuerung nach,<br />

zeigt eine in jüngerer Zeit zunehmende Zahl von Gerichtsverfahren,<br />

dass sie dadurch die Tür zu den tiefen Taschen<br />

der Muttergesellschaft oder des Auftraggebers und zu Klagen<br />

vor Gerichten in deren Heimatländern öffnen.


<strong>Menschenrechte</strong><br />

Ein Beispiel ist der vor dem Landgericht Dortmund verhandelte<br />

KiK-Fall, in dem die Kläger argumentieren, dass KiK<br />

für einen Brand bei dem Zulieferer Ali Enterprises und für<br />

die dadurch verursachten Schäden bei dessen Mitarbeitern<br />

mit verantwortlich sein soll, weil der Zulieferer trotz rechtlicher<br />

Selbständigkeit wie eine Abteilung von KiK anzusehen<br />

sei. Gestützt wird dies im Wesentlichen darauf, dass<br />

• KiK Ali Enterprises verpflichtet hatte, ihren Code of Conduct<br />

zu unterzeichnen,<br />

• KiK Audits hat durchführen lassen und von Ali Enterprises<br />

verlangte, dass sie die gefundenen Defizite beseitigen,<br />

und<br />

• Ali Enterprises hauptsächlich für KiK produzierte.<br />

Aus diesen an sich wünschenswerten Maßnahmen haben<br />

die Kläger eine haftungsbegründende Kontrolle abgeleitet.<br />

Das ist kein isolierter Einzelfall. Britische Gerichte haben<br />

in jüngerer Zeit in einigen Entscheidungen zur Sorgfaltspflicht<br />

(und damit Haftung) von Muttergesellschaften<br />

gegenüber Personen, für deren Schäden an sich Tochtergesellschaften<br />

verantwortlich wären, eine ähnliche Argumentation<br />

entwickelt. So wurde in Lungowe vs. Vedanta<br />

Resources plc, in dem es um Umweltverschmutzung durch<br />

ein Tochterunternehmen ging, aus vollmundigen Nachhaltigkeitsberichten,<br />

die die Überwachung des Umweltschutzes<br />

im Gesamtkonzern durch die Muttergesellschaft<br />

hervorhoben, sowie von ihr gruppenweit durchgeführten<br />

Trainings und einer erheblichen Einflussnahme auf das<br />

Management der Tochtergesellschaft eine Sorgfaltspflicht<br />

gegenüber den von der Tochtergesellschaft Geschädigten<br />

abgeleitet, die eine eigene Haftung der Muttergesellschaft<br />

begründen kann. In zwei weiteren Entscheidungen<br />

(Okpabi vs. Royal Dutch Shell plc und AAA vs. Unilever<br />

plc & Unilever Tea Kenya Ltd.) wurde zwar eine Sorgfaltspflicht<br />

im Ergebnis abgelehnt, jedoch wurden die haftungsbegründenden<br />

Faktoren genau untersucht, insbesondere<br />

die Konzernstruktur, die konzernweiten CSR-Policies, ihre<br />

Umsetzung und Durchsetzung und inwieweit daraus eine<br />

Kontrolle abgeleitet werden kann. Konzernweit geltende<br />

Leitlinien allein sollen nicht ausreichen, um Kontrolle zu<br />

begründen. Vielmehr soll es für die Haftung der Muttergesellschaft<br />

darauf ankommen, dass sie sie auch steuernd<br />

durchsetzt. Genau das ist jedoch der Sinn vieler konzernübergreifenden<br />

Divisionsstrukturen und Compliancemanagementsysteme,<br />

die auch konzerninterne CSR-<br />

Vorgaben umfassen können.<br />

Für <strong>Unternehmen</strong> ist es daher eine Gratwanderung, wie sie<br />

im Gesamtkonzern und in der Lieferkette Nachhaltigkeitsvorgaben<br />

verankern, ohne zugleich eine haftungsbegründende<br />

Kontrolle auszulösen. f<br />

Grafiken: shutterstock.com


<strong>Menschenrechte</strong><br />

Eine philosophische Annäherung an Menschenrechtsdebatten<br />

<strong>Menschenrechte</strong> sind<br />

kein dünner Ersatzkaffee<br />

Die einen kämpfen gegen die Todesstrafe, die anderen für das<br />

Gender * im Wortschatz. Wieder andere diskutieren darüber,<br />

ob wir Diktatoren wie Assad stoppen dürfen und <strong>müssen</strong> oder<br />

ob es für Armutsmigration eine Obergrenze gibt. Alle beziehen<br />

sich auf die <strong>Menschenrechte</strong>. Sie sind universell und scheinbar<br />

äußerst dehnbar. Wir sprachen mit dem Philosophen<br />

Prof. Dr. Claus Dierksmeier. Der Globalisierungsethiker an der<br />

Universität Tübingen ist ein kluger Geist, der die Dinge unserer<br />

Zeit nicht nur einordnet, sondern vor allem auch notwendige<br />

Grenzen zieht.<br />

Grundrechte, Bürgerrechte und <strong>Menschenrechte</strong><br />

werden gerne in einem<br />

Atemzug genannt. Worum geht es?<br />

Wir <strong>müssen</strong> Grund- und Bürgerrechte<br />

immer im Zusammenhang mit dem jeweiligen<br />

Staatswesen betrachten. Unser<br />

heutiges Staatswesen garantiert<br />

seinen An- und Zugehörigen bestimmte<br />

Rechte, die einklagbar oder deren<br />

Verletzung sanktionierbar sind.<br />

<strong>Warum</strong> dürfen diese Rechte auch von<br />

demokratischen Mehrheiten nicht<br />

einfach abgeschafft werden?<br />

Weil unserer Vorstellung von <strong>Menschenrechte</strong>n<br />

die Grundüberzeugung<br />

zu Grunde liegt, dass jeder Mensch<br />

unveräußerliche Rechte hat, die ihm<br />

nur und insofern zukommen, als sie<br />

eben auch für alle anderen Menschen<br />

gelten.<br />

Diese Idee geht zurück auf die französische<br />

Revolution von 1789. Für uns<br />

im Westen sind seitdem Menschenund<br />

politische Rechte immer ganz eng<br />

mit der Säkularisierung der Gesellschaft<br />

verknüpft.<br />

… womit viele Kulturen ihre Schwierigkeiten<br />

haben!<br />

Richtig, das ist im Kontext des 21.<br />

Jahrhunderts mit seinem sehr großen<br />

Anteil an spiritueller und religiöser<br />

Weltbevölkerung problematisch. Hier<br />

wird schnell der Eindruck erzeugt,<br />

man spiele jetzt <strong>Menschenrechte</strong> gegen<br />

Religion oder Spiritualität aus.<br />

Leider wird es ja auch in anderen Kulturen<br />

oft genau so wahrgenommen:<br />

Der Westen wolle den Leuten ihren<br />

Glauben nehmen und ihnen als säkulares<br />

Ersatzkaffee ein dürres, abstraktes<br />

Menschenrechtskonstrukt einschenken.<br />

Da liegt ein entscheidendes Missverständnis<br />

vor: Die <strong>Menschenrechte</strong><br />

lassen sich auch von spiritueller Warte<br />

aus begründen und einfordern –<br />

12 Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de


<strong>Menschenrechte</strong><br />

und das ist in vielen Religionen auch<br />

ausdrücklich so geschehen.<br />

Der Menschenrechtsbegriff hat sich<br />

über die Zeit entwickelt. Anfangs<br />

ging es um die Unversehrtheit als<br />

Bürger, dann kamen Forderungen<br />

nach Wahlrecht und Mitbestimmung.<br />

Heutzutage reden wir vor allem über<br />

eine Individualisierung von Rechten.<br />

Das lässt sich aber nicht endlos ausdehnen:<br />

Ab wann geht das Recht des<br />

Einzelnen zu Lasten der Rechte der<br />

Gemeinschaft?<br />

Dafür <strong>müssen</strong> wir einen näheren<br />

Blick auf verschiedene Traditionen<br />

des freiheitlichen Denkens werfen: Es<br />

ist richtig, dass <strong>Menschenrechte</strong> heute<br />

in nachmodernen Zeiten über das<br />

Freiheitsprinzip begründet werden<br />

<strong>müssen</strong>, aber darin eben auch ihre<br />

Grenzen haben. Mehr noch: Meine<br />

Freiheit findet in der Freiheit des anderen<br />

nicht nur ihre Grenze, sondern<br />

eben auch ihren Grund, der sie verantwortlich<br />

ausrichtet.<br />

Das <strong>müssen</strong> Sie uns bitte näher erläutern!<br />

Foto: Marion Lenzen<br />

Wir folgen nicht einfach nur einem Dono-harm-Prinzip,<br />

sondern wir leben im<br />

Idealfall auf Basis eines würdevollen<br />

Miteinanders, das die Autonomie des<br />

jeweils Anderen anerkennt. Das gilt<br />

übrigens für alle Personen und deshalb<br />

auch für entfernt lebende Andere<br />

und zukünftige Generationen. Dieser<br />

Punkt wird, glaube ich, oft übersehen,<br />

wenn man eine rein individualistische<br />

oder materialistische Freiheitsvorstellung<br />

hat. Ich nenne das eine rein<br />

quantitative Freiheitstheorie. In diesen<br />

Theorien wird Freiheit beschrieben<br />

als ein „Je mehr, desto besser“,<br />

das nach immer mehr Optionen der<br />

privaten Verfügungsmacht sucht und<br />

nur darin Freiheit gesteigert sieht. Die<br />

Anderen kommen dann meist nur als<br />

Störer oder Beschränker meiner Freiheit<br />

in den Blick.<br />

>><br />

Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de<br />

13


<strong>Menschenrechte</strong><br />

Dagegen setze ich einen qualitativen Freiheitsbegriff,<br />

der lautet: „Je besser, desto<br />

mehr“. Also je besser unsere individuelle<br />

Freiheit mit dem universellen Gedanken<br />

der Freiheit übereinstimmt, desto echter<br />

ist die Freiheit und desto stärker sollten<br />

wir sie schätzen, schützen und stärken.<br />

Da rollen aber zwei sehr entgegengesetzte<br />

Züge aufeinander …<br />

In der Tat! Genau an der Bruchstelle erleben<br />

wir im Moment eine heftige Auseinandersetzung:<br />

Die einen wollen minimale<br />

Restriktionen, minimale Regierung,<br />

minimale Steuern und so weiter. Die<br />

anderen halten dagegen und sagen: Die<br />

Freiheit der anderen ist zwar die Grenze meiner Freiheit,<br />

aber auch die Grundlage, von der her meine eigene Freiheit<br />

erst zu denken ist: Individuelle Freiheit und kosmopolitische<br />

Verantwortung gehören zusammen.<br />

Dieser Freiheitsbegriff beruht auf gegenseitiger Toleranz.<br />

Ihr Kollege John Gray hat sich jüngst in einem spannenden<br />

Essay sehr frustriert geäußert. Für ihn ist es nicht<br />

weit her mit Toleranz – der Liberalismus habe sich vielmehr<br />

von einem Konzept der Toleranz hin zu einer Orthodoxie<br />

verwandelt, die kein Abweichen zulässt. Leben wir<br />

in zunehmend intoleranten Zeiten?<br />

Ich freue mich, dass Sie das ansprechen, weil die Verorthodoxierung<br />

des Liberalismus – also die Intoleranz gegenüber<br />

anderen Meinungen – genau jener quantitativen<br />

Art von egoistischer Freiheitsauslegung geschuldet ist.<br />

Wenn wir uns anschauen, was Neoliberale und Libertäre<br />

in den letzten Jahrzehnten so gemacht haben, dann gibt es<br />

da schon ein Muster:<br />

Sie übernehmen einen eng verstandenen Positivismus<br />

und sagen: Wir <strong>müssen</strong> wertfrei an die Geschichte ran,<br />

weil wir ja so fürchterlich tolerant sind. Und weil wir<br />

wertfrei über alles reden, auch über die Freiheit selbst,<br />

dürfen wir auch nicht mehr sagen, welche Freiheiten wir<br />

eigentlich meinen oder welche Freiheiten für uns wichtig<br />

sind. Da wir das nicht mehr tun dürfen, aber trotzdem<br />

beurteilen wollen, welche Regierungssysteme besser sind<br />

– das von Putin oder von Merkel – bleibt uns stattdessen<br />

nur noch die Quantität der individuellen Optionen.<br />

Am Ende entsteht ein System, das wertfrei sein möchte,<br />

aber durch und durch mit der Wertung besetzt ist, weil<br />

diejenigen Freiheiten, die zähl- und messbar sind, darin<br />

”<br />

besser performen und entsprechend wichtiger werden.<br />

So kriegen wir Freiheit für die Konsumgesellschaft, aber<br />

keine Freiheit der Lebenschancen. Faktische Besitzstände<br />

und erworbene Rechte lassen sich so wohl schützen, kontrafaktische<br />

Ansprüche (etwa auf Sozialleistungen) eher<br />

nicht. Die kriegen wir erst in den Blick, wenn wir zugestehen,<br />

dass zur Freiheit auch Aspekte gehören, die wir nicht<br />

messen, zählen oder wiegen können.<br />

Es geht gar nicht in erster<br />

Linie darum, zu sagen, wer<br />

Recht hat, sondern darum<br />

festzulegen, wer das Recht<br />

hat zu entscheiden.<br />

Wie kommen wir aus der Zwickmühle wieder raus?<br />

Umdenken! Den Pseudo-Positivisten sage ich: Indem ihr<br />

zählt, wertet ihr. Wir <strong>müssen</strong> zurück zur Ausgangsfrage:<br />

Was gilt uns eigentlich als eine Freiheit, die wir schützen,<br />

schätzen und stärken wollen?<br />

Bei jedem Menschen ist intuitiv die Einsicht vorhanden,<br />

dass es Freiheiten unterschiedlicher Rangstufe gibt. Ein<br />

Beispiel dazu: Es gibt die Freiheit, entweder auf der linken<br />

oder der rechen Fahrbahn zu fahren, welche sinnvollerweise<br />

durch die Straßenverkehrsordnung eingeschränkt<br />

wird.<br />

Das kann man aber nicht über einen Kamm scheren etwa<br />

mit Einschränkung von Freiheit, sich politisch nur links<br />

oder nur rechts äußern zu dürfen. Beides reduziert unsere<br />

Freiheit, aber dennoch sind die Beschränkungen keinesfalls<br />

gleichwertig. Das sieht jeder. Um es aber begründen<br />

zu können, <strong>müssen</strong> wir auf Werte zurückgreifen und<br />

erklären, warum etwa die Meinungsäußerungsfreiheit<br />

wichtiger ist als die freie Wahl des Fahrstreifen. Dafür<br />

brauchen wir Pluralität, Differenz, Divergenz: Solche Gewichtungen<br />

lassen sich nicht im voraus auf Kreidetafeln<br />

berechnen, man muss man darüber Dialog führen und es<br />

dann demokratisch entscheiden.<br />

14 Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de


<strong>Menschenrechte</strong><br />

Es gibt also Regeln, die muss man<br />

einhalten und andere Regeln, die<br />

muss man freihalten. Wenn wir jetzt<br />

gemeinsam die Grenze zwischen<br />

Menschenrecht und Völkerrecht abschreiten,<br />

dann hat jeder Staat für<br />

sich natürlich erst mal die Souveränität<br />

zu machen, was er möchte.<br />

Auf der anderen Seite können wir<br />

bei Verbrechen – ich denke da an<br />

Ruanda oder Syrien – nicht einfach<br />

zuschauen. Müssen wir zu Not Menschen-<br />

und Völkerrecht brechen, um<br />

<strong>Menschenrechte</strong> zu schützen?<br />

Die kurze Antwort lautet: Bei extremen<br />

Fällen wie Genozid läuft es auf<br />

ein Abwägungsurteil hinaus zwischen<br />

zu schützenden und erst durch<br />

ein Eingreifen zerstörten Menschenlebens.<br />

Das ist auch die Antwort der<br />

klassischen spätscholastischen Theorie<br />

vom Gerechten Krieg.<br />

Die längere Antwort lautet: Wenn<br />

<strong>Menschenrechte</strong> auf Freiheit basieren<br />

und nach der Formel arbeiten „Die<br />

Freiheit des anderen ist nicht nur die<br />

Grenze, sondern auch der Grund meiner<br />

Freiheit“, dann steht diese Freiheit<br />

nicht nur mir zu, sondern allen<br />

Menschen. Das heißt, ich bin auf die<br />

Freiheitspflege anderer verpflichtet.<br />

Deswegen gehen uns die Menschenrechtsverletzungen<br />

in failing states<br />

etwas an. Und deswegen gibt es auch<br />

Pflichten zur humanitären Intervention.<br />

Auch dabei <strong>müssen</strong> wir natürlich<br />

abwägen: Wenn wir militärisch in<br />

andere Nationen eingreifen, kommen<br />

Menschen dabei zu Tode. Und wenn<br />

wir nicht eingreifen, kommen sie<br />

auch zu Tode.<br />

Nun ist die Entscheidung, ob man militärisch<br />

eingreift oder nicht, keine,<br />

die von Philosophen getroffen wird,<br />

sondern es ist eine politische Machtfrage.<br />

Lange galten hier die Vereinten<br />

Nationen als moralische Instanz. Damit<br />

ist seit Trump und Co. Schluss.<br />

Was heißt das für die UN und andere<br />

internationale Institutionen zur Verteidigung<br />

der <strong>Menschenrechte</strong>?<br />

Ich gehe noch mal zum Anfang Ihrer<br />

Frage zurück, als Sie die Unterscheidung<br />

gemacht haben zwischen der<br />

philosophischen Frage: „Darf man<br />

überhaupt eine humanitäre Intervention<br />

machen?“ und der politischen Begründung:<br />

„Jetzt und darum machen<br />

wir eine!“ Dass es diese Unterscheidung<br />

gibt und dass sich diese zwei<br />

Ebenen ergänzen <strong>müssen</strong>, entspringt<br />

einer bestimmten Denkschule: Wir<br />

wollen Entscheidungen institutionell<br />

organisieren. <strong>Warum</strong>? Weil es gar<br />

nicht in erster Linie darum geht, zu<br />

sagen, wer Recht hat, sondern darum<br />

festzulegen, wer das Recht hat zu<br />

entscheiden. Genau aus dem Grund<br />

hat die Menschheit Institutionen wie<br />

Schlichter und Richter geschaffen,<br />

und wir alle sind, sofern die sich an<br />

bestimmte Verfahrensregeln halten,<br />

bereit, deren Entscheidungen zu akzeptieren,<br />

selbst wenn diese im Ergebnis<br />

nicht mit unseren Gerechtigkeitshoffnungen<br />

oder Meinungen übereinstimmen.<br />

International betrachtet haben wir solche<br />

Schlichtungs- und Richterinstanzen<br />

nur sehr eingeschränkt umgesetzt<br />

und oft untergraben, schwächen und<br />

hintergehen wir sie dann auch noch.<br />

Es ist sicher kein Zufall, dass Institutionen<br />

wie der Völkerbund nach dem<br />

1. Weltkrieg und die UN nach dem 2.<br />

Weltkrieg geschaffen wurden, weil die<br />

Menschheit nach diesen historischen<br />

Erlebnissen aus Schaden klug geworden<br />

war und gesehen hat, dass Richter<br />

in eigener Sache zu sein auf Dauer in<br />

die Katastrophe führt.<br />

Heute sind aber wieder viele Richter<br />

nur in eigener Sache unterwegs. Das<br />

ist doch die Idee hinter Trumps<br />

„America first“-Doktrin!<br />

Protektionismus kann in der Tat kurzfristig<br />

erfolgreich sein, langfristig<br />

führt er in die Katastrophe. Dennoch<br />

wollen manche Politiker diese kurzfristigen<br />

Vorteile mitnehmen, ohne<br />

sich einen Kopf darüber zu machen,<br />

wohin das langfristig führt.<br />

Frustriert Sie das nicht?<br />

Es ist schwer, optimistisch zu sein,<br />

dass die Menschheit ohne den Druck<br />

von Katastrophen zur Einsicht zurückkehrt,<br />

dass wir gerade auf globaler<br />

Ebene auch Institutionen des Schlichtens<br />

und Richtens brauchen. Wenn es<br />

zu Handlungsdruck kommt, wie etwa<br />

beim Thema Klimawandel, dann kann<br />

man eigentlich nur hoffen, dass dieser<br />

Druck zwar steigt, aber doch noch so<br />

graduell, dass wir auf ihn reagieren<br />

können. Erfahrungsgemäß ist ein gradueller<br />

Anstieg aber gerade eigentlich<br />

nicht das, was die Menschen zum<br />

Handeln bewegt, sondern es sind die<br />

großen Katastrophen – erst dann werden<br />

viele aktiv.<br />

Für sehr viele Menschen macht sich<br />

das Menschenrechtsthema vor allem<br />

an der Flüchtlingsfrage fest. Die Debatte<br />

findet zwischen zwei Extremen<br />

statt, die kaum Dialogbereitschaft<br />

mitbringen: Auf der einen Seite die,<br />

die <strong>Menschenrechte</strong> wie Immanuel<br />

Kant als absolute, unverhandelbare<br />

Norm begreifen. Und auf der anderen<br />

Seite Verantwortungsethiker, die<br />

schauen, was politisch und gesellschaftlich<br />

geht. Ist denn jeder Kompromiss<br />

ein Tabubruch?<br />

Ich sehe hier auch zwei verfehlte Extrempositionen<br />

– alle rein oder alle<br />

raus. Als wäre Asylpolitik eine rein<br />

quantitative Frage, die man wie einen<br />

Schieber von links nach rechts<br />

bewegt! Tatsächlich muss das Ergebnis<br />

irgendwann eine gesunde Mitte<br />

zwischen diesen Extremen sein, aber<br />

die Herleitung dafür kann, so glaube<br />

ich, nicht quantitativ über eine rigide<br />

Obergrenze erfolgen, sondern es muss<br />

qualitativ argumentiert werden. >><br />

Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de<br />

15


<strong>Menschenrechte</strong><br />

Im Prinzip hat uns unsere Verfassung<br />

dafür schon gute Indikatoren<br />

an die Hand gegeben und gesagt: Ein<br />

Recht auf Asyl wird unbedingt gewährt.<br />

Ein Recht auf Einwanderung<br />

dagegen kann und sollte an politische<br />

Voraussetzungen geknüpft werden.<br />

Einwanderung, also vor allem Armutseinwanderung,<br />

muss mit Blick auf<br />

die Leistungsfähigkeit des politischen<br />

Systems diskutiert werden. Das ist<br />

keineswegs moralisch illegitim, sondern<br />

geradezu geboten. Denn wenn<br />

ein System nicht mehr leistungsfähig<br />

ist, dann werden alle Rechtsleistungen<br />

dieses Systems ruiniert.<br />

Ich erinnere Sie da noch einmal<br />

schnell an John Grays Dogmatiker –<br />

die werden Ihnen jetzt lautstark widersprechen!<br />

Ja. Moralische Idealisten sagen: Du<br />

darfst gar nicht an die Belastungsgrenzen<br />

der Bundesrepublik denken,<br />

du darfst gar nicht mit Pegida oder der<br />

AfD sprechen. Das ist richtig, wenn<br />

wir über Asyl reden. Es ist falsch,<br />

wenn wir über Einwanderung reden.<br />

Das Nachdenken über die Belastbarkeit<br />

des politischen Gemeinwesens<br />

ist Teil der Aufrechterhaltung des<br />

politischen Gemeinwesens, und die<br />

Existenz dieses Gemeinwesens ist ein<br />

hohes Gut. Wie man allerdings dann<br />

diese Grenzen für Armutsmigration<br />

etwa definiert, das geht nicht autistisch,<br />

sondern nur im Verbund mit<br />

anderen und möglichst in einem kosmopolitischen<br />

Dialog.<br />

Reden wir über die Rolle der Wirtschaft!<br />

Lange glaubte man, dass<br />

mehr Markt auch mehr Demokratie<br />

braucht und generiert. Die Demokratie-<br />

und Globalisierungswelle nach<br />

dem Kalten Krieg steht für diese Narration.<br />

Aber jetzt beweisen immer<br />

öfter populistische und/oder autoritäre<br />

Systeme das Gegenteil. Laufen<br />

gute Geschäfte besser ohne Moral?<br />

Langfristig nicht. Hier <strong>müssen</strong> wir<br />

noch mal ein Stück weit philosophisch<br />

werden. Über Jahrzehnte wurde<br />

den Studierenden in BWL und VWL<br />

Michael Jensens „Principal/Agent<br />

Theory“ eingetrichtert, wonach eine<br />

Firma nichts anderes ist als ein Nexus<br />

von Verträgen zwischen homines oeconomici:<br />

Ein rationaler Maximierer<br />

seines Eigennutzens trifft sich mit<br />

anderen Maximierern, und die verabreden<br />

Verträge zur kollektiven Maximierung<br />

ihres Eigennutzes. Wenn<br />

man die Welt so sieht, dann sind<br />

moralische Werte und Normen tatsächlich<br />

nichts als Seitenbegrenzungen<br />

und Maximierungshindernisse,<br />

von denen man dann natürlich lieber<br />

weniger als mehr hat. Menschen mit<br />

einem solchen Selbstverständnis werden<br />

Werten und Normen stets mit einer<br />

Vermeidungslogik begegnen.<br />

Ich halte dies Modell für falsch: Firmen<br />

sind Ansammlungen von Menschen,<br />

die mit Menschen für Menschen tätig<br />

sind. Die „Principal/Agent Theory“<br />

kann zwar sehr gut die menschlichen<br />

Laster abbilden – Gier beispielsweise<br />

– sie ist aber sehr schlecht darin, Altruismus<br />

und Tugenden abzubilden.<br />

Der Mensch kommt aber bekanntlich<br />

nicht nur mit Lastern, sondern auch<br />

mit Tugenden zur Welt. Das heißt,<br />

ein Teil dessen, was uns Menschen<br />

ausmacht, wird in diesen Modellen<br />

nicht abgebildet und wird dann auch<br />

managementmäßig nicht angetriggert.<br />

Die herkömmliche Lehre vom<br />

wirtschaftenden Menschen oder von<br />

der Nationalökonomie ist also nicht<br />

realistisch genug, eben weil sie nicht<br />

idealistisch genug ist.<br />

Wie bekommen wir weniger skrupellose<br />

und mehr empathische Manager?<br />

Auf der Makroebene braucht es<br />

Rechtsnormen, die soziopathisches,<br />

psychopathisches oder schlichtweg illegales<br />

Handeln abstrafen, damit der<br />

Ehrliche nicht der Dumme ist. Zudem<br />

Foto: Marion Lenzen<br />

darf es keine Verfestigung des Normbruchs<br />

geben: Es darf niemals so weit<br />

kommen, dass irgendwann Unrecht<br />

als geltendes Recht angesehen wird.<br />

Auf der Mesoebene brauchen wir ein<br />

Anerkennungs-Management, damit jeder,<br />

der sich um anständiges Wirtschaften<br />

bemüht, damit auch Karriere<br />

machen und eine entsprechende<br />

Reputation aufbauen kann. Ich würde<br />

das von schlichten Anreizsystemen<br />

insofern unterscheiden, weil Anreizsysteme<br />

sehr oft mechanisch ausgerichtet<br />

sind. Nach dem Motto: Zuckerbrot<br />

und Peitsche. Jemand, der vorher<br />

Geld bekommt, damit er nachher regelkonform<br />

handelt, ist etwas anderes<br />

als jemand, der nachher eine materielle<br />

oder immaterielle Anerkennung<br />

erhält, weil er zuvor anständig gewirtschaftet<br />

hat.<br />

Auf der Mikroebene schließlich geht<br />

es ganz wesentlich um mentale Veränderung.<br />

Hier haben wir an den Universitäten<br />

sehr viel aufzuholen. Zu lange<br />

haben wir Einstellungen gefördert,<br />

die zu einem Empathie-armen und<br />

rücksichtslosen Wirtschaften beitragen.<br />

Wie man in den Wald hinein ruft,<br />

so schallt es heraus. Wenn wir in den<br />

Kursen den Studierenden das Gefühl<br />

vermitteln, alle anderen sind homines<br />

oeconomici, dann mögen sie zwar im<br />

16 Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de


<strong>Menschenrechte</strong><br />

”<br />

Es darf niemals so weit<br />

kommen, dass irgendwann<br />

Unrecht als geltendes Recht<br />

angesehen wird.<br />

Stillen denken: „Ich wäre eigentlich ganz gerne anständig<br />

und würde viel lieber zum Besseren der Menschheit<br />

wirtschaften, aber da alle anderen kurzfristige Maximierer<br />

sind, ziehe ich notgedrungen mit“. Wenn wir also den<br />

Studierenden Theorien beibringen, nach denen so etwas<br />

wie Social Entrepreneurship gar nicht möglich ist, weil es<br />

moralische Motivation voraussetzt, und dann sehen, dass<br />

derlei Unternehmungen sehr wohl schwarze Zahlen schreiben,<br />

dann <strong>müssen</strong> wir nicht die Realität, sondern unsere<br />

Theorien ändern. Denn Wirklichkeit beweist Möglichkeit.<br />

Die Erwartungen an die Wirtschaft sind riesig – <strong>Unternehmen</strong><br />

sollen den Klimawandel stoppen, die wachsende<br />

Weltbevölkerung in Arbeit? und Brot bringen, nur Gutes<br />

produzieren und überall da einspringen, wo der Staat<br />

versagt oder fehlt. An so einem Erwartungshorizont kann<br />

man doch nur scheitern?<br />

Noch einen Schritt zurück und dann zwei nach vorne: <strong>Unternehmen</strong><br />

<strong>müssen</strong> nicht die Welt retten oder schlichtweg<br />

alles können. Aber dass <strong>Unternehmen</strong> einen positiven<br />

Beitrag im weitesten Sinne zu ihren Umwelten leisten, ist<br />

eine Art systemische Grundanforderung, die an alle gesellschaftlichen<br />

Akteure gestellt wird. <strong>Unternehmen</strong> wie auch<br />

Menschen <strong>müssen</strong> irgendwann mit einem Surplus für ihre<br />

Umgebung rüberkommen, oder das Ganze ist nicht nachhaltig.<br />

Das ist keine unbotmäßige Forderung, sondern lediglich<br />

eine Frage der eigenen Zukunftsfähigkeit, die wir<br />

den <strong>Unternehmen</strong> vor Augen führen <strong>müssen</strong>, damit sie Forderungen<br />

der Gesellschaft nicht als Restriktion ihrer unternehmerischen<br />

Freiheit, sondern eher als Hinweise auf die<br />

Nachhaltigkeitsbedingungen ihres Geschäfts ansehen.<br />

So, und jetzt zu ihrer Frage: Was <strong>müssen</strong> <strong>Unternehmen</strong> tun<br />

im Kontext von failed states? Da finde ich den Philosophen<br />

Hegel plausibel, der die <strong>Unternehmen</strong> erst mal nicht daraus<br />

entlässt, dass sie in der Sphäre der Sittlichkeit angeordnet<br />

und wesentlicher Teil der Gesellschaft sind. Gesellschaftliche<br />

Verantwortung also haben sie. Andererseits würde ich<br />

nicht hingehen und sagen, sie seien geradezu Institutionen<br />

des Staats und sollten deswegen auch Aufgaben des Staats<br />

erledigen.<br />

Wenn <strong>Unternehmen</strong> also strategisch mit der Frage umgehen,<br />

soll ich mich an der Intaktheit meines Gemeinwesens<br />

beteiligen, dann halte ich das nicht für illegitim, sondern<br />

für die einzig nachhaltige Art und Weise, im Business zu<br />

bleiben. Aber ein <strong>Unternehmen</strong> kann nicht über Jahrzehnte<br />

den Staat kompensieren und dafür nichts kriegen. Dann ist<br />

das <strong>Unternehmen</strong> irgendwann pleite und die Guten haben<br />

sich selbst abgeschafft. Das kann nicht das Ziel sein.<br />

Was raten Sie den <strong>Unternehmen</strong>?<br />

<strong>Unternehmen</strong> können mit moralischer Pflicht durchaus<br />

strategisch umgehen. Ich rate ihnen deshalb bezüglich der<br />

Frage nach ihrer gesellschaftlichen Verantwortung: Macht<br />

es nicht autistisch im Board Room mit euch selbst aus oder<br />

plant irgendwelche Philanthropie-Projekte, die nachher<br />

kein Mensch braucht, sondern stellt euch führt einen aufrichtigen<br />

Dialog mit der Gesellschaft, um zu lernen, was<br />

diese von Euch braucht. <strong>Unternehmen</strong>, die sich den aus<br />

diesem Gespräch erwachsenden Aufgaben stellen und dabei<br />

strategisch handeln, also entlang ihrer Kernkompetenzen,<br />

setzen ihre Ressourcen effizient und langfristig erfolgreich<br />

ein. Und das ist letztendlich für sie und das System<br />

insgesamt besser, als wenn sie orientierungslos mit der<br />

Spenden-Gießkanne durch die Welt laufen.<br />

Vielen Dank für das Gespräch!<br />

Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de<br />

17


<strong>Menschenrechte</strong><br />

70 Jahre<br />

Deklaration der<br />

<strong>Menschenrechte</strong><br />

3<br />

Japanische Frauen besuchen<br />

das temporäre UN-Hauptquartier<br />

in Lake Success<br />

4<br />

Kinder von UN-Mitarbeitern<br />

betrachten die Allgemeine<br />

Erklärung der <strong>Menschenrechte</strong>,<br />

die am 10. Dezember 1950 zwei<br />

Jahre alt wurde.<br />

5<br />

Das Hauptquartier der<br />

Vereinten Nationen<br />

1<br />

3<br />

4<br />

5<br />

1<br />

Eleanor Roosevelt mit<br />

einem Ausdruck der<br />

Allgemeinen Erklärung für<br />

<strong>Menschenrechte</strong> auf<br />

Spanisch.<br />

2<br />

2<br />

Das UN-Hauptquartier<br />

wird gebaut.<br />

18 Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de


6<br />

<strong>Menschenrechte</strong><br />

7<br />

6 / 7<br />

Dr. Charles Malik hat die<br />

Allgemeine Erklärung<br />

der <strong>Menschenrechte</strong><br />

wesentlich mitgestaltet.<br />

8<br />

8<br />

Eleanor Roosevelt:<br />

Verfechterin der<br />

<strong>Menschenrechte</strong><br />

9<br />

Reproduktion des Covers<br />

der französischen,<br />

englischen und<br />

spanischen Ausgabe<br />

des Diskussionsleitfadens<br />

„Our Rights as Human<br />

Beings“.<br />

9<br />

10<br />

11<br />

Fotos: UN Photo; Hintergrund: stock.adobe.com<br />

10<br />

Eleanor Roosevelt, Vorsitzende der<br />

Menschenrechtskommission, und<br />

Dr. Charles Malik, Vorsitzender des<br />

dritten Ausschusses der<br />

UN-Generalversammlung (zweiter von<br />

rechts), während einer Pressekonferenz<br />

nach dem Abschluss der Deklaration<br />

der <strong>Menschenrechte</strong>.<br />

11<br />

Feierlichkeiten zur Grundsteinlegung<br />

kennzeichnen den vierten Geburtstag<br />

der Vereinten Nationen.<br />

Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de<br />

19


<strong>Menschenrechte</strong><br />

<strong>Menschenrechte</strong><br />

stehen jedem zu<br />

Universell, unveräußerlich und unteilbar: <strong>Menschenrechte</strong> sind subjektive Rechte, die<br />

jeder Mensch qua seines Menschseins innehat. Zu diesen Rechten gehören beispielsweise<br />

Persönlichkeitsrechte wie das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Schutz vor<br />

Folter, Menschenversuchen und Zwangssterilisation oder Freiheitsrechte wie das Recht auf<br />

Freiheit, Eigentum und Sicherheit der Person. Außerdem gehören auch justizielle Rechte<br />

wie rechtliches Gehör und die Unschuldsvermutung dazu. Auch wenn fast alle Staaten<br />

weltweit die <strong>Menschenrechte</strong> anerkennen, führen verschiedene Aspekte wie etwa der<br />

universelle Geltungsanspruch zu politischen Debatten.<br />

Die Menschrechte werden in die erste Generation (bürgerliche Abwehrrechte gegenüber<br />

dem Staat), die zweite Generation (soziale Anspruchs- und Teilhaberechte) und die dritte<br />

Generation (Selbstbestimmungsrecht der Völker) unterteilt.<br />

Allgemeine Erklärung der <strong>Menschenrechte</strong><br />

„Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten<br />

geboren“: Bei der Allgemeinen Erklärung der <strong>Menschenrechte</strong><br />

(AEMR), auch Deklaration der <strong>Menschenrechte</strong> oder<br />

UN-Menschenrechtscharta genannt, handelt es sich um unverbindliche<br />

Empfehlungen der Vereinten Nationen zu den<br />

Grundsätzen der <strong>Menschenrechte</strong>. Die AEMR wurde am 10.<br />

Dezember 1948 von der Generalversammlung der UN im<br />

Palais des Chaillot in Paris bekannt gegeben. Seitdem wird<br />

der Tag als Internationaler Tag der <strong>Menschenrechte</strong> gefeiert.<br />

Als Reaktion auf die furchtbaren Ereignisse des Zweiten<br />

Weltkrieges hatte eine Kommission unter der Leitung Eleanor<br />

Roosevelts den Text erarbeitet. Neben der Witwe von<br />

Franklin D. Roosevelt waren unter anderem der libanesische<br />

Politiker und Philosoph Charles Malik, der französische Jurist<br />

René Cassin oder der chinesische Philosoph Peng-chun<br />

Chang an der Abfassung beteiligt. Bestehend aus 30 Artikeln,<br />

enthält die AEMR die grundlegenden Ansichten über<br />

die Rechte, die jedem Menschen zustehen sollten. Und zwar<br />

unabhängig von Religion, Geschlecht, Hautfarbe oder Herkunft<br />

und unabhängig von dem Rechtsverhältnis, das ein<br />

Mensch zu dem Staat hat, in dem er sich aufhält.<br />

In der Präambel werden generelle Absichten wie „Freiheit,<br />

Gleichheit und Frieden in der Welt“ oder die Gleichberechtigung<br />

der Geschlechter postuliert. Die AEMR ist kein völkerrechtlicher<br />

Vertrag und damit nicht verbindlich. Die<br />

Verhandlungen waren bereits von den Vorboten des späteren<br />

Ost-Westkonfliktes gekennzeichnet. Aus diesem Grund<br />

wurde der ursprüngliche Plan eines völkerrechtlich bindenden<br />

Menschenrechtspaktes auf später verschoben. Im Jahre<br />

1966 wurden dann einige Artikel im UN-Zivilpakt und im<br />

UN-Sozialpakt übernommen. Gemeinsam mit der AEMR bilden<br />

sie den internationalen Menschenrechtskodex.<br />

20 Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de


<strong>Menschenrechte</strong><br />

Völkerrechtsverträge: UN-Sozialpakt und UN-Zivilpakt<br />

Der UN-Sozialpakt (Internationale Pakt über wirtschaftliche,<br />

soziale und kulturelle Rechte) und der UN-Zivilpakt<br />

(Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte)<br />

sind Völkerrechtsverträge, die 1966 von der Generalversammlung<br />

der Vereinten Nationen verabschiedet wurden<br />

und zehn Jahre später in Kraft traten. Bei den Vertragsverhandlungen<br />

kam es vor allem wegen der Frage, inwiefern<br />

die transnationalen völkerrechtlichen Abkommen Einfluss<br />

auf die staatliche Souveränität der Vertragsunterzeichner<br />

haben können, zu Streitigkeiten.<br />

Die bürgerlichen und politischen Rechte sind heute in zahlreichen<br />

Verfassungen der Mitgliedstaaten verankert und<br />

gerichtlich einklagbar. Im Bereich der sozialen <strong>Menschenrechte</strong><br />

ist hier noch Nachholbedarf, weil sie nicht in allen<br />

Mitgliedstaaten positiv rechtlich normiert sind.<br />

Bestimmungen des UN-Sozialpaktes im Überblick: Der<br />

UN-Sozialpakt besteht aus 31 Artikeln. Dazu gehören Bestimmungen<br />

wie das Recht auf Berufsfreiheit, Recht auf<br />

angemessenen Lohn und Lebensunterhalt, das Recht auf<br />

sichere und gesunde Arbeitsbedingungen, das Recht auf<br />

die Gründung von Gewerkschaften oder das Recht auf Mutterschutz<br />

und das Recht auf ein Mindestarbeitsalter von<br />

Kindern.<br />

Bestimmungen des UN-Zivilpaktes im Überblick: Der<br />

UN-Zivilpakt garantiert die Rechte, die als erste Generation<br />

der <strong>Menschenrechte</strong> bezeichnet werden. Dazu gehören<br />

zum Beispiel das Recht auf Leben, das Verbot der Sklaverei<br />

und Zwangsarbeit, das Recht auf Religionsfreiheit oder das<br />

Recht auf allgemeine, gleiche und geheime Wahlen. Minderheiten<br />

darf darüber hinaus das Recht auf ihre Kultur<br />

nicht aberkannt werden.<br />

Die Vertragsstaaten sind in beiden Fällen dazu verpflichtet,<br />

Staatenberichte für den UN-Menschenrechtsausschuss zu<br />

verfassen.<br />

Nationaler Aktionsplan zur Umsetzung<br />

der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und<br />

<strong>Menschenrechte</strong> (2016-2020)“ (NAP)<br />

Ende 2016 wurde der „Nationale Aktionsplan zur Umsetzung<br />

der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und <strong>Menschenrechte</strong><br />

(2016-2020)“ (NAP) im Bundeskabinett verabschiedet.<br />

Der NAP sieht ein Monitoringverfahren zur<br />

Überprüfung des Umsetzungsstandes menschenrechtlicher<br />

Sorgfaltsprüfungen in deutschen <strong>Unternehmen</strong> vor. Mit der<br />

Durchführung dieses Monitorings hat das Auswärtige Amt<br />

die Beratungsgesellschaft EY in Zusammenarbeit mit einem<br />

Konsortium bestehend aus Adelphi, der Systain Consulting<br />

und focusright beauftragt.<br />

Die Bundesregierung definiert mit dem NAP die Verantwortung<br />

von deutschen <strong>Unternehmen</strong> für die <strong>Achtung</strong> der <strong>Menschenrechte</strong>.<br />

Dabei formuliert sie ihre Erwartung bezüglich<br />

der Einhaltung der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht<br />

für <strong>Unternehmen</strong> und die <strong>Achtung</strong> der <strong>Menschenrechte</strong> entlang<br />

unternehmerischer Liefer- und Wertschöpfungsketten.<br />

Die Überprüfung des Umsetzungsstandes hinsichtlich der<br />

in Kapitel III des NAP beschriebenen Elemente menschenrechtlicher<br />

Sorgfalt durch <strong>Unternehmen</strong> erfolgt durch<br />

eine ab 2018 jährlich durchzuführende Erhebung. Anhand<br />

des Monitorings wird nach wissenschaftlichen Standards<br />

überprüft, ob im Jahr 2020 mindestens 50 Prozent aller in<br />

Deutschland ansässigen <strong>Unternehmen</strong> mit über 500 sozialversicherungspflichtigen<br />

Beschäftigten die Erwartungen<br />

der Bundesregierung in Bezug auf die unternehmerische<br />

Sorgfaltspflicht erfüllen.<br />

Hintergrund: stock.adobe.com<br />

Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de<br />

21


<strong>Menschenrechte</strong><br />

Foto: shutterstock.com<br />

22 Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de


<strong>Menschenrechte</strong><br />

Zwischen Glamour<br />

und Grundrechten<br />

Amal und George Clooney kennen viele vom roten Teppich in Hollywood. Dass die<br />

beiden mehr als ein Glamour-Paar sind, beweist ihr globaler Einsatz für <strong>Menschenrechte</strong>.<br />

Während sich der Schauspieler etwa für ein Ende von Krieg und Völkermord im<br />

Südsudan einsetzt, arbeitet seine Frau als renommierte Menschenrechtsanwältin und<br />

ist in verschiedene Kommissionen der Vereinten Nationen berufen worden.<br />

George Clooney ist für die meisten Menschen vor allem:<br />

Sexsymbol, Schauspieler und glamouröser Star. Vielleicht<br />

fällt manchem auch noch ein, dass er fleißig Werbung für<br />

Nespresso macht. Laut aktueller Forbes-Liste soll Clooney<br />

im letzten Jahr rund 239 Millionen Dollar verdient haben.<br />

Also wieder so ein oberflächlicher Hollywood-Beau, der<br />

sich die Taschen dick macht?<br />

Tatsächlich gibt es auch einen anderen George Clooney,<br />

der aber weniger Leuten bekannt ist: Er ist politisch sehr<br />

aktiv, lautstarker Trump-Kritiker und vor allem einer der<br />

bekanntesten Fürsprecher für <strong>Menschenrechte</strong>. So engagiert<br />

er sich abseits seines Berufs als offizieller Friedensbotschafter<br />

der Vereinten Nationen. Große Aufmerksamkeit<br />

bekamen vor allem seine langjährigen Bemühungen,<br />

den Völkermord im Südsudan zu stoppen oder auch seine<br />

Entschlossenheit, den Völkermord in Armenien weltweit<br />

anzuerkennen. Hochgelobt ist auch seine Arbeit mit „Realising<br />

the Dream“, einer gemeinnützigen Initiative, die das<br />

Vermächtnis und die Arbeit von Martin Luther King fortsetzen<br />

will, um Armut und Ungerechtigkeit zu bekämpfen.<br />

So ein politisches Engagement im Privatleben funktioniert,<br />

wenn man eine Partnerin an seiner Seite hat, die diese<br />

Überzeugung teilt. Im Fall seiner Ehefrau Amal Clooney<br />

geht es sogar noch einen Schritt weiter: Sie ist in Menschenrechtsfragen<br />

viel eher der Treiber, der Kopf und der<br />

Plan dahinter. Gemeinsam macht dies die Clooneys zu einem<br />

starken Menschenrechtsteam.<br />

Sich für Frieden und <strong>Menschenrechte</strong> zu engagieren, war<br />

nämlich auch immer das Anliegen von Amal Alamuddin<br />

Clooney. Sie wurde 1978 im libanesischen Beirut geboren.<br />

Ihre Mutter Baria war eine erfolgreiche politische Journalistin,<br />

während ihr Vater Ramzi Vizepräsident der „Universal<br />

Federation of Travel Agents Association“ war, die sich<br />

auch mit den Vereinten Nationen berät.<br />

Amal wurde während einer ruhigen Phase des Bürgerkriegs<br />

im Libanon geboren und nach dem arabischen Wort<br />

für Hoffnung benannt. Aufgrund der Arbeit ihres Vaters<br />

war die junge Familie von Beginn an viel unterwegs. Als<br />

die Unruhen während des Bürgerkriegs im Libanon zunahmen,<br />

musste die Familie Beirut verlassen und wanderte<br />

nach Großbritannien aus.<br />

Dort ging die junge Amal erst auf ein Mädchengymnasium<br />

und studierte dann Jura am St. Hugh‘s College in Oxford.<br />

2001 ging sie an die New York University School of Law,<br />

wo sie ihren ersten Job bei der angesehenen Firma >><br />

Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de<br />

23


<strong>Menschenrechte</strong><br />

Sullivan & Cromwell ergatterte. Hier<br />

war sie Teil des Verteidigungsteams<br />

des Energiekonzerns Enron, aber am<br />

meisten inspirierten sie die Fälle, in<br />

denen sie auf Pro-bono-Basis arbeitete.<br />

2004 begann die ambitionierte junge<br />

Anwältin ein einjähriges Referendariat<br />

am Internationalen Gerichtshof der<br />

Vereinten Nationen in Den Haag, bevor<br />

sie nach Beirut zurückkehrte. Dort<br />

nutzte sie ihr Können und unterstützte<br />

die Vereinten Nationen bei der Verfolgung<br />

der Mörder des libanesischen<br />

Premierministers. 2010 ließ sie sich<br />

in London nieder, wo sie bis heute als<br />

Rechtsanwältin tätig ist. Hier hat sie<br />

bereits eine Reihe von prominenten<br />

Kunden vertreten, darunter Mohamed<br />

Fahmy, den kanadisch-ägyptischen<br />

Chef von Al Jazeera sowie Mohamed<br />

Nasheed, den ersten demokratisch gewählten<br />

Präsidenten der Malediven,<br />

oder auch den schillernden Whistleblower<br />

Julian Assange. Zusätzlich<br />

wurde sie in mehrere Kommissionen<br />

der Vereinten Nationen berufen,<br />

darunter als Beraterin des kürzlich<br />

verstorbenen Sondergesandten Kofi<br />

Annan in Syrien.<br />

Es überrascht wenig, dass George,<br />

als er Amal am Comer See begegnete,<br />

sofort von ihr hingerissen war.<br />

Hier trafen sich ein intuitiv handelnder<br />

Menschenrechtsaktivist und eine<br />

scharfsinnige, analytische Menschenrechtsanwältin.<br />

2014 heirateten sie<br />

und wurden drei Jahre später Eltern<br />

von Zwillingen. „Für mich war es immer<br />

klar, dass ich mit meiner Arbeit<br />

weitermache, weil ich nie wirklich<br />

davon Abstand genommen habe“, sagt<br />

Amal. „Der imposante Lebensstil und<br />

die mediale Aufmerksamkeit waren<br />

nichts, was ich jemals gewollt oder<br />

angestrebt habe. Aber wenn das eine<br />

erhöhte Aufmerksamkeit auf wirklich<br />

wichtige und ernsthafte Projekte<br />

lenkt, wie könnte ich dann nicht denken,<br />

dass es eine gute Sache ist?“<br />

2016 gründeten sie ihr erstes gemeinsames<br />

Projekt: Die „Clooney<br />

Foundation for Justice“ setzt sich für<br />

die Rechte von Menschen ein, die<br />

unfair von repressiven Regierungen<br />

und deren Gerichten behandelt werden.<br />

Im vergangenen Jahr hat sich die<br />

Foundation mit UNICEF zusammengeschlossen,<br />

um acht libanesische Schulen<br />

mit 3.000 syrischen Flüchtlingen<br />

zu unterstützen. Außerdem spendeten<br />

sie eine Million Dollar für die Unterstützung<br />

des „Southern Poverty Law<br />

Center“ bei der Bekämpfung von gewalttätigen<br />

Gruppen nach den Protesten<br />

in Charlottesville, Virginia. Und<br />

zuletzt spendeten sie 100.000 Dollar<br />

an das „Young Center“, um die Interessen<br />

von Einwandererkindern, die<br />

von ihren Familien bei der Einreise in<br />

die Vereinigten Staaten getrennt wurden,<br />

zu schützen und zu fördern.<br />

Die Organisation entwickelt derzeit<br />

auch „Trial Watch“, ein umfassendes<br />

globales Prozessbeobachtungs-Programm.<br />

Amal erklärte der US-amerikanischen<br />

Vogue, warum der Schutz<br />

der Redefreiheit noch immer so wichtig<br />

ist: „Regierungen können nicht<br />

so leicht davonkommen, wenn sie<br />

jemanden auf der Straße anschießen,<br />

aber sie können sehr leicht davonkommen,<br />

indem sie ihre Justiz verwenden,<br />

um jemanden ins Gefängnis<br />

zu bringen“, so Amal Clooney. „Diese<br />

Dinge passieren immer wieder, und<br />

das ist die Tragödie. Wir hatten den<br />

Völkermord in Bosnien und dann<br />

wieder in Ruanda. Das System hat<br />

sich weder zu einem Ort entwickelt,<br />

an dem diese Grausamkeiten hätten<br />

verhindert werden können, noch<br />

werden sie danach angemessen behandelt.“<br />

George und Amal Clooney beweisen,<br />

dass ihr humanitäres Engagement<br />

nicht nur „for show“ ist. So haben sie<br />

bei sich in Augusta, Kentucky, einen<br />

jesidischen Flüchtling aus dem Irak<br />

aufgenommen, der unbedingt in den<br />

USA studieren wollte. Hazim Avdal<br />

traf die Clooneys, während Amal ihn<br />

und eine Reihe anderer Jesiden vertrat,<br />

die Opfer des vom sogenannten<br />

Islamischen Staat (IS) begangenen<br />

Völkermords waren. Sie beschlossen,<br />

ihm bei der Immatrikulation an der<br />

University of Chicago zu helfen.<br />

Aber selbst mit der Unterstützung<br />

des berühmten Paares war der Weg<br />

nach Amerika immer noch problematisch.<br />

„Hazim war in einem Bus nach<br />

Mossul, als Mitglieder des IS die beiden<br />

Busfahrer töteten und sagten:<br />

‚Wir werden jeden von euch, der studieren<br />

will, erschießen‘“, berichtete<br />

George dem Hollywood Reporter. „Er<br />

hat überlebt und ist nach Amerika<br />

gekommen. Er hat alle Kontrollen gut<br />

überstanden und hier haben wir ihm<br />

versichert: ‚Hör zu, wir unterstützen<br />

dich. Du möchtest dich weiterbilden?<br />

Du möchtest im Leben vorankommen?<br />

Dabei können wir dir helfen‘.“<br />

24 Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de


Foto: UN Photo / Rick Bajornas<br />

<strong>Menschenrechte</strong><br />

Für Amal war der Übergang von einer<br />

hochrangigen Rechtsanwältin zu Mrs.<br />

George Clooney nicht einfach, obwohl<br />

ihr neues Leben beneidenswert glamourös<br />

sein mag. Denn obwohl sie<br />

stilvoll und elegant ist, widerspricht<br />

ihr Beruf wohl dem oberflächlichen<br />

Glanz und Glamour Hollywoods. Wäre<br />

das Paar nicht so beharrlich mit seinem<br />

menschenrechtlichen Engagement,<br />

hätte sich der Ruhm sicher als<br />

zu viel für die 40-jährige Anwältin erwiesen.<br />

„Ich bin mir des zusätzlichen<br />

Drucks bewusst, der damit einhergeht“,<br />

sagt Amal, die privat aufrichtig<br />

und bescheiden auftritt. „Die Kontrolle<br />

der Öffentlichkeit ist groß. Das Beste,<br />

was ich machen kann, ist die Aufmerksamkeit<br />

der Medien auf mich zu<br />

ziehen, indem ich diese Art von Arbeit<br />

weitermache.“<br />

Der Druck auf sie wird durch die Tatsache<br />

verstärkt, dass George, lange<br />

bevor Amal in sein Leben kam, bereits<br />

ganz vorne an der Front der humanitären<br />

Bewegung Hollywoods stand.<br />

Besonders bekannt ist die Gründung<br />

der Organisation „Not On Our Watch“<br />

mit seinen Ocean‘s 11-Co-Stars Don<br />

Cheadle, Matt Damon, Brad Pitt und<br />

Produzent Jerry Weintraub. Er war<br />

außerdem einer der lautesten Kritiker<br />

des Sudanesischen Präsidenten Omar<br />

al-Bashir und lenkte die Aufmerksamkeit<br />

auf den Darfur-Konflikt, der Hunderttausenden<br />

Menschen das Leben<br />

kostete und Millionen vertrieb. Während<br />

eines Protestes wurde Clooney<br />

sogar vor der sudanesischen Botschaft<br />

in Washington wegen zivilem Ungehorsam<br />

verhaftet.<br />

George rechnet es seinem berühmten<br />

Journalisten-Vater Nick Clooney hoch<br />

an, dass er ihm so starke Werte in Bezug<br />

auf soziale Gerechtigkeit mitgegeben<br />

hat: „Mein Vater hat viel damit zu<br />

tun, wie ich über meine Arbeit denke.<br />

Er hatte ein sehr hohes Maß an Integrität,<br />

wenn es um seine Arbeit und<br />

die wichtigen politischen Fragen der<br />

Zeit ging. Er war ein sehr engagierter<br />

Journalist und brachte mir seine Prinzipien<br />

bei und dazu zählte vor allem,<br />

andere Menschen mit Respekt zu behandeln.<br />

Ich denke, wenn man damit<br />

aufwächst, hinterlässt das einen bleibenden<br />

Eindruck. Und während ich<br />

älter und weiser wurde, begann ich<br />

zu verstehen, dass man viel in seinem<br />

Leben erreichen kann, wenn man hart<br />

arbeitet, um seine Ziele zu erreichen.“<br />

Nachdem sie so weit gekommen sind,<br />

wäre es für die Clooneys ein Leichtes,<br />

in den Ruhestand zu gehen und sich<br />

auf ihr Familienleben zu konzentrieren,<br />

während sie ihr Vermächtnis<br />

durch Spenden und gelegentliche öffentliche<br />

Auftritte aufrechterhalten.<br />

Fest steht jedoch, dass das Paar sich<br />

weiter engagieren will. „Die Demokratie<br />

steht auf dem Spiel und wenn diese<br />

wirklich bedroht ist, ist auch die Freiheit<br />

von allen Menschen auf der Welt<br />

bedroht. Denn wir alle sind von Ereignissen<br />

betroffen, die jetzt auf globaler<br />

Ebene stattfinden. Die Idee der Problemisolation<br />

ist veraltet, wir <strong>müssen</strong><br />

zusammenstehen.“<br />

Derzeit schreibt Amal zusammen mit<br />

Philippa Webb, mit der sie in Den<br />

Haag zusammengearbeitet hat, ein<br />

Buch mit dem Titel „Das Recht auf einen<br />

fairen Prozess im Völkerrecht“.<br />

George‘s letzte Regiearbeiten zum<br />

Film „Suburbicon“ warfen ein Licht<br />

auf den Rassenkonflikt in Amerika in<br />

den 1950er-Jahren und lösten Diskussionen<br />

darüber aus, wie sehr sich die<br />

Gesellschaft in ihrer Haltung wirklich<br />

verändert hat.<br />

„Es ist keine Frage der Zufriedenheit“,<br />

sagt Clooney. „Es ist eine Frage<br />

dessen, was du am meisten vom Leben<br />

willst und wie du leben musst,<br />

um dahin zu kommen. Am Ende<br />

dreht sich alles um Freundschaft und<br />

Loyalität und darum, Menschen richtig<br />

zu behandeln.“ Amal ergänzt, dass<br />

eine erfolgreiche Kampagnenarbeit<br />

dauerhaftes Engagement benötigt: „Es<br />

gibt kein Ende und das wird es auch<br />

nie geben, aber Aufgeben ist keine<br />

Option.“ f<br />

Foto: UN Photo / David Manyua<br />

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25


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26 Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de


<strong>Menschenrechte</strong><br />

Wie die EU mit <strong>Unternehmen</strong><br />

bei <strong>Menschenrechte</strong>n kungelt<br />

Nichtregierungsorganisationen beobachten<br />

mit Sorgen die Verhandlungen auf UN-Ebene<br />

zum Thema „<strong>Unternehmen</strong> und <strong>Menschenrechte</strong>“.<br />

In Genf werden bis zum Jahresende<br />

die Grundlagen für einen UN-Vertrag verhandelt,<br />

der transnationale <strong>Unternehmen</strong> für ihre<br />

Menschenrechtsverletzungen verantwortlich<br />

machen soll.<br />

Ein Standpunkt von Dr. Thomas Dürmeier, Goliathwatch<br />

Recherchen von Friends of the Earth France und dem Observatoire<br />

des multinationales und des Transnational Institute<br />

(TNI) zeigt, dass die Europäische Union diesen Prozess<br />

behindert. Die EU wendet die gleichen Argumente wie die<br />

<strong>Unternehmen</strong>slobbys an und verteidigt hartnäckig freiwillige<br />

und ineffektive Leitlinien.<br />

Unsere Fallstudien zeigen, dass es dringend notwendig ist,<br />

einen international verbindlichen Vertrag zu verhandeln,<br />

um die Lücken in der nationalen und internationalen Gesetzgebung<br />

zu schließen. Man muss eine Antwort auf die<br />

komplexen Rechtsstrukturen transnationaler Konzerne<br />

finden, um Mutter- und Outsourcing-<strong>Unternehmen</strong> für ihre<br />

Aktivitäten auf der ganzen Welt verantwortlich zu machen.<br />

Verbindlicher Vertrag in Arbeit<br />

Gerade erst fand die vierte Sitzung der zwischenstaatlichen<br />

Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen statt, die mit der<br />

Ausarbeitung eines verbindlichen Vertrags über transnationale<br />

<strong>Unternehmen</strong> und <strong>Menschenrechte</strong> beauftragt ist.<br />

Die Staaten werden auf der Grundlage eines „Grundlagenentwurfes<br />

(engl. draft zero)“ verhandeln, der in diesem<br />

Sommer veröffentlicht wurde.<br />

In den letzten vier Jahren hat die EU den Prozess in Richtung<br />

Vertrag behindert. Die EU hat u.a. die Beteiligung von<br />

<strong>Unternehmen</strong> an den Verhandlungen gefordert. Sie setzt<br />

damit eine Entwicklung in Brüssel und bei den Vereinten<br />

Nationen fort, die Beteiligung des Privatsektors zu legitimieren<br />

und <strong>Unternehmen</strong> aufzufordern, die für sie geltenden<br />

Vorschriften „mitzuschreiben“.<br />

Juliette Renaud von Amis de la Terre aus Frankreich sagt:<br />

„Die EU parodiert in dieser UN-Arbeitsgruppe lediglich<br />

internationale <strong>Unternehmen</strong>slobbygruppen wie die Internationale<br />

Handelskammer (International Chamber of Commerce)<br />

oder die Internationale Arbeitgeberorganisation<br />

(International Organisation of Employers), indem sie die<br />

gleichen Argumenten und manchmal genau die gleichen<br />

Worte benutzt. Die jüngste Verabschiedung des französischen<br />

Gesetzes über Sorgfaltspflichten, das durch den<br />

heftigen Widerstand des privaten Sektors verzögert und<br />

geschwächt wurde, beweist, dass die <strong>Unternehmen</strong>slobbys<br />

alles tun werden, um die Ambitionen des künftigen Vertrags<br />

zu schwächen und die Verhandlungen scheitern zu<br />

lassen. Es sollten Maßnahmen ergriffen werden, um den<br />

UN-Prozess vor schädlichen Einflüssen der <strong>Unternehmen</strong><br />

zu schützen.“<br />

Der Staat als Gefangener<br />

Raffaele Morgantini vom CETIM aus der Schweiz weist darauf<br />

hin, dass „die Lobbyarbeit der Privatwirtschaft immer<br />

eine zentrale Rolle gespielt hat, Verhandlungsversuche zu<br />

verbindlichen Rechtsnormen für transnationale <strong>Unternehmen</strong><br />

(TNCs) zu verhindern, da diese als Bedrohung ihrer<br />

wirtschaftlichen Interessen und Profitmaximierung angesehen<br />

werden. Sie sind heute ein integraler Bestandteil des<br />

Systems der Vereinten Nationen. Die Strategie der TNCs<br />

und ihrer Interessengruppen lässt sich in zwei Hauptelemente<br />

unterteilen: die Delegitimierung des Vertragsprozesses<br />

und die Ausübung von Druck, Erpressung und/oder<br />

von Drohungen gegen Staaten. Wir <strong>müssen</strong> uns diesem<br />

destruktiven Dynamik widersetzen und die Kontrolle über<br />

das System der Vereinten Nationen zurückgewinnen: Die<br />

Zukunft der Demokratie und der sozialen Gerechtigkeit<br />

steht auf dem Spiel.“<br />

Mónica Vargas vom europäischen Transnational Institut<br />

kommentierte: „Ein robuster, verbindlicher Vertrag über<br />

TNCs in Bezug auf die <strong>Menschenrechte</strong> wird ein entscheidender<br />

Schritt auf dem Gebiet der internationalen Menschenrechtsgesetzgebung<br />

sein. Die Verhandlungen über<br />

den Vertragstext, die im November in Genf beginnen, werden<br />

einen unvergleichbaren Fahrplan eröffnen, der das Ende<br />

der freiwilligen und ineffektiven Selbstregulierung der <strong>Unternehmen</strong><br />

und das Ende der Gefangennahme des Staates<br />

(corporate capture) durch <strong>Unternehmen</strong> markiert.“ f<br />

Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de<br />

27


<strong>Menschenrechte</strong><br />

<strong>Unternehmen</strong>sverantwortung<br />

ist nicht<br />

verhandelbar<br />

„Von Sonja Scheferling<br />

Wirtschaftliche Verantwortung<br />

und <strong>Menschenrechte</strong> sind<br />

gerade am Anfang der Lieferkette<br />

ein brisantes Thema. Dennoch<br />

kommen <strong>Unternehmen</strong> an rechtskonformem<br />

Handeln nicht mehr<br />

vorbei. <strong>Warum</strong> das so ist, erklärt<br />

Kai M. Beckmann gegenüber<br />

Umweltdialog. Beckmann leitet<br />

den Geschäftsbereich<br />

Governance, Risk & Compliance<br />

des Prüfungs- und Beratungsunternehmens<br />

Mazars in<br />

Deutschland und ist Experte<br />

im Bereich CSR.<br />

Foto: Mazars<br />

28 Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de


<strong>Menschenrechte</strong><br />

Herr Beckmann, Anti-Korruptionsgesetze,<br />

Umweltauflagen, Arbeitnehmerrechte:<br />

Moderne Geschäftstätigkeit<br />

wird durch viele Vorgaben<br />

reglementiert. Und nun sollen <strong>Unternehmen</strong><br />

auch noch die Einhaltung<br />

von <strong>Menschenrechte</strong>n in der Lieferkette<br />

im Blick haben. <strong>Warum</strong>?<br />

Auch beim Thema <strong>Menschenrechte</strong><br />

hat sich das regulative Umfeld für<br />

<strong>Unternehmen</strong> verändert und sie werden<br />

zunehmend mit internationalen<br />

Gesetzen konfrontiert. Möchten Betriebe<br />

global aktiv sein, <strong>müssen</strong> sie<br />

die unterschiedlichen Anforderungen<br />

der Gesetzgeber erfüllen. Dazu gehören<br />

der Dodd-Frank Act aus den USA,<br />

der britische Modern Slavery Act,<br />

das Loi de Vigilance aus Frankreich,<br />

aber auch das deutsche CSR-Richtlinien-Umsetzungsgesetz,<br />

kurz CSR-RUG.<br />

Alle diese Regelungen funktionieren<br />

nur über einen systematischen, standardisierten<br />

Ansatz, der sich in den<br />

Managementprozessen widerspiegelt<br />

und ein regelkonformes Handeln ermöglicht.<br />

Außerdem lassen sich immer mehr<br />

Konzerne Auditrechte vertraglich garantieren<br />

und geben gleichzeitig vor,<br />

dass sich die Zulieferer innerhalb der<br />

Lieferkette menschenrechtskonform<br />

verhalten <strong>müssen</strong>. Verstöße ziehen<br />

dann erhebliche Konsequenzen wie<br />

Vertragsstrafen oder kostenintensive<br />

Auditierungsprozesse nach sich.<br />

Darüber hinaus reagiert der Kapitalmarkt<br />

zunehmend sensibel auf das<br />

Thema Nachhaltigkeit und somit auch<br />

auf Menschenrechtsaspekte. Das hat<br />

nicht zuletzt die High-Level Expert<br />

Group on Sustainable Finance der Europäischen<br />

Kommission gefördert, die<br />

hier starke Impulse für den europäischen<br />

Kapitalmarkt gesetzt hat.<br />

Es gibt zahlreiche Menschenrechtsabkommen.<br />

Das Problem: Wenn Staaten<br />

diese Rechte für ihre Bevölkerung<br />

schon nicht durchsetzen, wie können<br />

dann <strong>Unternehmen</strong> dieser Aufgabe in<br />

weitverzweigten Lieferketten gerecht<br />

werden?<br />

Nur weil nicht alle Staaten Menschenrechtsverletzungen<br />

konsequent<br />

verfolgen, kann das ja für <strong>Unternehmen</strong><br />

nicht bedeuten, das Thema zu<br />

vernachlässigen. <strong>Unternehmen</strong>sverantwortung<br />

ist nicht verhandelbar.<br />

Gerade deshalb sind aber auch internationale<br />

Standards so entscheidend,<br />

an denen sich Firmen orientieren können<br />

– und sollten. Es geht darum, dass<br />

sich <strong>Unternehmen</strong> systematisch über<br />

Managementansätze mit dem Thema<br />

auseinandersetzen und versuchen,<br />

weitestgehend eigene Ziele zu erreichen.<br />

Ganz klar: In weitverzweigten Lieferketten<br />

ohne Marktmacht haben <strong>Unternehmen</strong><br />

nur begrenzt die Möglichkeit,<br />

ihre Ideen umzusetzen. Aber >><br />

Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de<br />

29


<strong>Menschenrechte</strong><br />

Die <strong>Unternehmen</strong> <strong>müssen</strong><br />

„<br />

Instrumente implementieren,<br />

die die Auswirkungen der<br />

Geschäftstätigkeit hinsichtlich<br />

Menschenrechtsaspekten<br />

individuell identifizieren.<br />

Aber um dem Thema etwas den Schrecken<br />

zu nehmen: Es geht nicht darum,<br />

dass <strong>Unternehmen</strong> die Welt retten sollen.<br />

Sie sollen aber die Verantwortung<br />

für die Top-Risiken ihrer Geschäftstätigkeit<br />

übernehmen. Denn das sagt<br />

der Wesentlichkeitsbegriff in der<br />

Nachhaltigkeitsdebatte aus. Diesen<br />

Prozess verfolgen wir seit Jahren im<br />

Umweltbereich. Nun ist einfach ein<br />

weiteres Thema hinzugekommen.<br />

dafür gibt es zunehmend Initiativen und Kooperationsmodelle,<br />

die versuchen, über einzelne Betriebe hinaus entsprechende<br />

Menschenrechtsziele umzusetzen.<br />

Mit diesem Prozess ist häufig auch die Frage nach den<br />

Chancen verbunden: Können bessere Arbeitsbedingungen<br />

beispielsweise die Produktivität in den Ländern am Anfang<br />

der Lieferkette verbessern? Gibt es weniger krankheitsbedingte<br />

Ausfälle? Es gibt genug <strong>Unternehmen</strong>, die nicht nur<br />

kritisch abfragen und bewerten, sondern die aktiv versuchen,<br />

ihre Lieferkette diesbezüglich positiv zu entwickeln.<br />

Um die menschrechtliche Verantwortung von <strong>Unternehmen</strong><br />

zu beschreiben, wurde der Begriff der „menschenrechtlichen<br />

Sorgfalt“ eingeführt. Was heißt das und auf<br />

welche sozialen Risiken <strong>müssen</strong> Betriebe genau achten?<br />

Das referenziert wieder auf das Thema Managementsystem.<br />

Die <strong>Unternehmen</strong> <strong>müssen</strong> Instrumente implementieren,<br />

die die Auswirkungen der Geschäftstätigkeit hinsichtlich<br />

Menschenrechtsaspekten individuell identifizieren.<br />

Nur so können Firmen überhaupt Einfluss nehmen. In diesem<br />

Zusammenhang hat das CSR-RUG einen Perspektivwechsel<br />

vorgenommen, da es den bisherigen betrieblichen<br />

Risikobegriff umgekehrt hat. In der Vergangenheit haben<br />

<strong>Unternehmen</strong> analysiert, welche Risiken Menschenrechtsthemen<br />

für die Geschäftstätigkeit haben. Nun <strong>müssen</strong> sie<br />

sich die Frage stellen, welche wesentlichen sozialen Auswirkungen<br />

das eigene unternehmerische Handeln entlang<br />

der Lieferkette hat.<br />

Die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht<br />

hat erst im Rahmen der UN-<br />

Leitprinzipien für Wirtschaft und <strong>Menschenrechte</strong> von<br />

John Ruggie an Bedeutung gewonnen. Sie beruhen auf<br />

den Prinzipien „protect, respect, remedy“. Was heißt das?<br />

Die sogenannten Ruggie-Prinzipien versuchen, zwischen<br />

politischer und wirtschaftlicher Verantwortung zum<br />

Schutz der <strong>Menschenrechte</strong> zu differenzieren und die <strong>Unternehmen</strong><br />

diesbezüglich in die Pflicht zu nehmen. Während<br />

die Staaten die Aufgabe haben, Menschen vor wirtschaftsbezogenen<br />

Menschenrechtsverstößen zu schützen<br />

(„protect“), <strong>müssen</strong> <strong>Unternehmen</strong> die <strong>Menschenrechte</strong><br />

achten („respect“), regelwidrige Geschäftspraktiken beenden<br />

und versuchen, Verstöße wiedergutzumachen („remedy“).<br />

Demzufolge <strong>müssen</strong> Betroffene auch die Möglichkeit<br />

haben, Menschenrechtsverletzungen zu kommunizieren.<br />

John Ruggie hat aus seinem Auftrag für die Vereinten Nationen<br />

heraus die Idee von „protect, respect, remedy“ in einen<br />

Standard übersetzt: den „UN Guiding Principles Reporting<br />

Framework“. Dieser wurde von seiner Menschenrechtsorganisation<br />

„Shift“ und von uns operationalisiert, um den<br />

<strong>Unternehmen</strong> ein Instrument an die Hand zu geben, das<br />

einen vergleichbaren, systematischen Umgang mit dem<br />

Thema <strong>Menschenrechte</strong> überhaupt erst gewährleistet.<br />

Wie unterstützen Sie die <strong>Unternehmen</strong> hier praktisch?<br />

Wir helfen <strong>Unternehmen</strong> mittels des „UN Guiding Principles<br />

Reporting Framework“ dabei, relevante Kennzahlen<br />

und Prozesse zu identifizieren und die Infor-<br />

30 Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de


<strong>Menschenrechte</strong><br />

mationen in ein entsprechendes<br />

Reporting zu überführen. Das macht<br />

eine Vergleichbarkeit gegenüber Dritten<br />

– etwa Investoren – möglich.<br />

Der Einsatz des Frameworks schafft<br />

auch die Voraussetzungen für die<br />

Prüffähigkeit der Angaben zu <strong>Menschenrechte</strong>n.<br />

Das ist notwendig, weil<br />

nicht-finanzielle Informationen, wie<br />

etwa Menschenrechtsangaben, durch<br />

die Aufnahme in den Lagebericht<br />

nach CSR-RUG eine ganz andere Verbindlichkeit<br />

bekommen haben, da der<br />

Aufsichtsrat nun persönlich für die<br />

Richtigkeit der Angaben haften muss.<br />

Deswegen ist auch die Prüfungsrichtlinie<br />

– das „UN Guiding Principles<br />

Assurance Framework“ für <strong>Menschenrechte</strong><br />

– so wichtig, die Mazars<br />

letztes Jahr veröffentlicht hat. Sie<br />

unterstützt einerseits die interne <strong>Unternehmen</strong>srevision<br />

dabei, eine menschenrechtskonforme<br />

Geschäftstätigkeit<br />

sicherzustellen. Andererseits unterstützt<br />

sie externe Prüfungsunternehmen<br />

bei ihrer Arbeit, die das<br />

Reporting in diesem Bereich überwachen.<br />

Das ist aber nur ein Teil Ihrer Arbeit.<br />

Wir als Prüfungs- und Beratungsgesellschaft<br />

unterstützen die <strong>Unternehmen</strong><br />

zunächst bei der Integration von<br />

Menschenrechtsaspekten in die relevanten<br />

Prozesse. Wie können diese<br />

Themen ins Stakeholder-Management<br />

aufgenommen und in verschiedene Betriebsbereiche<br />

implementiert werden?<br />

Beispielsweise in die Beschaffung?<br />

Einkäufer bewerten ihre Lieferanten<br />

nach Kriterien wie Geschwindigkeit,<br />

Preis oder Qualität. Müssen sie dabei<br />

zusätzlich noch soziale Belange berücksichtigen,<br />

kann es hier schnell zu<br />

Zielkonflikten kommen.<br />

Außerdem helfen wir auch bei der konkreten<br />

Umsetzung. Momentan führen<br />

wir beispielsweise für <strong>Unternehmen</strong><br />

im Bergbau und im Agrarbereich<br />

Human-Rights-Due-Diligence-Prozesse<br />

in einzelnen Ländern durch. Die<br />

Firmen haben festgestellt, dass ihre<br />

eigenen Analyseverfahren nicht ermitteln<br />

konnten, ob sie dort wirklich<br />

menschenrechtskonform handelten.<br />

Auch hier geht es darum, standardisierte<br />

Prozesse aufzubauen, die künftig<br />

Menschenrechtsverstöße verhindern<br />

sollen.<br />

Um die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft<br />

und <strong>Menschenrechte</strong> national<br />

umzusetzen, hat die Bundesregierung<br />

2016 den Nationalen Aktionsplan<br />

Wirtschaft und <strong>Menschenrechte</strong><br />

(NAP) verabschiedet. Dieser bleibt<br />

weit hinter den Erwartungen der<br />

Zivilgesellschaft zurück. Was sind<br />

die wesentlichen Kritikpunkte aus<br />

Ihrer Sicht?<br />

Der NAP hat hehre Ziele, aber – und<br />

das ist eine große Herausforderung –<br />

auch eine große Unverbindlichkeit. In<br />

der Praxis hat er kaum Auswirkungen<br />

auf die <strong>Unternehmen</strong>srealität und<br />

auf <strong>Unternehmen</strong>sentscheidungen.<br />

Deswegen spielt er in der betriebsinternen<br />

Diskussion der Fachbereiche<br />

auch keine große Rolle.<br />

<strong>Warum</strong> ist Deutschland im Vergleich<br />

zu anderen Industrieländern wie<br />

Großbritannien oder den USA so defensiv<br />

bei der verbindlichen Umsetzung<br />

von Menschenrechtsstandards?<br />

Ich glaube, dass das historisch bedingt<br />

ist. Die deutsche Wirtschaft ist<br />

traditionell durch das Ingenieurwesen<br />

geprägt. Ökologische Fragen, die umfassende<br />

Umweltmanagementsysteme<br />

erfordern, sind deswegen schon<br />

lange in der DNA der Betriebe verankert.<br />

Angelsächsische Länder haben<br />

hier keine vergleichbare Entwicklung;<br />

für sie sind soziale Themen wichtiger.<br />

Der goldene Mittelweg wäre für beide<br />

Perspektiven richtig: Während<br />

deutsche <strong>Unternehmen</strong> noch Nachholbedarf<br />

bei der standardisierten<br />

Umsetzung in Bezug auf Menschenrechtsfragen<br />

haben, können andere<br />

Industrieländer noch das Managen<br />

ökologischer Risiken verbessern.<br />

Vielen Dank für das Gespräch, Herr<br />

Beckmann! f<br />

Foto: MaeuseobeStock / stock.adobe.com<br />

Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de<br />

31


<strong>Menschenrechte</strong><br />

Advertorial<br />

Für menschenwürdige<br />

Arbeitsplätze in allen<br />

Industriezweigen –<br />

der SA8000-Standard<br />

Am 24. April 2013 ist die Textilfabrik von Rana Plaza eingestürzt.<br />

Das Unglück in Bangladesch forderte tausende Tote<br />

und Verletzte – eine Katastrophe, die die gesamte Textilbranche<br />

und viele Kunden aufrüttelte. Danach war im Nachhaltigkeitssektor<br />

nichts mehr wie es war: Rana Plaza rückte<br />

wichtige Themen wie Arbeitsbedingungen, Arbeitssicherheit<br />

und Gesundheit am Arbeitsplatz in den Blickpunkt.<br />

Das Ereignis gab auch einigen grundlegenden politischen<br />

Weichenstellungen zusätzlichen Rückenwind. Die Europäische<br />

Union räumte diesen Aspekten viel Platz in der<br />

europaweiten CSR-Berichtspflicht ein und auch die Vereinten<br />

Nationen gaben nach langen Verhandlungen grünes Licht<br />

für Regelungen zu „<strong>Unternehmen</strong> und <strong>Menschenrechte</strong>“.<br />

Beides wurde bzw. wird jetzt auch in bundesdeutsches<br />

Recht umgesetzt.<br />

Foto: DNV GL / shutterstock.com<br />

Nicht mehr Ob, sondern Wie und Wo zählt<br />

Der Druck auf <strong>Unternehmen</strong>, die Nachhaltigkeit ihrer Lieferketten<br />

sicherzustellen und nachzuweisen, wird daher immer<br />

größer. Doch mit der praktischen Umsetzung tun sich<br />

viele <strong>Unternehmen</strong> noch schwer: Der Grund dafür sind ihre<br />

oftmals komplexen und geografisch verstreuten Lieferketten.<br />

Das sorgt für Transparenzprobleme. Gleichzeitig<br />

bietet die Einführung digitaler Technologien neue Möglichkeiten<br />

für die Rückverfolgbarkeit und digitale Absicherung<br />

in der Lieferkette.<br />

Für <strong>Unternehmen</strong> stellt sich daher heute nicht mehr die<br />

Frage, warum Nachhaltigkeit wichtig ist, sondern vielmehr:<br />

Wo anfangen? Was wird das kosten? Und wie wird der<br />

Erfolg gemessen? Bleiben wir zur Beantwortung beim Rana<br />

Plaza-Fall und den Fehlern, die dort rund um Gesundheit,<br />

Sicherheit und Umwelt (in der Fachwelt als EHS abgekürzt)<br />

gemacht wurden. Diese lassen sich vermeiden durch die<br />

Anwendung entsprechender Standards, deren Einhaltung<br />

kontinuierlich geprüft und zertifiziert werden muss.<br />

Dazu zählen beispielsweise der BSCI Code of Conduct<br />

der Business Social Compliance Initiative, die ISO 45001<br />

(früher BS OHSAS 18001), sowie der Social Accountability<br />

Standard SA 8000.<br />

Was ist SA 8000?<br />

Der Sozialstandard SA 8000 ist der erste weltweit zertifizierbare<br />

Standard für eine sozial verantwortliche<br />

<strong>Unternehmen</strong>sführung. Zu den Indikatoren gehören z.B.<br />

Arbeitspraktiken und Beschäftigung (Aus- und Weiterbildung,<br />

Arbeitszeitmodelle etc.) und die ökologische Leistung<br />

(Verbrauch an Material und Energie, Emissionen etc.) eines<br />

<strong>Unternehmen</strong>s. Es gibt die Möglichkeit ein eigenes<br />

Kennzahlensystem zu entwickeln (Balanced Scorecard),<br />

in dem auch Kriterien wie die Anzahl von öffentlichen<br />

Beschwerden, Strafzahlungen, Mitarbeiterzufriedenheit<br />

oder Auszeichnungen/Preise integriert werden.<br />

Der SA 8000-Standard wurde 1997 von der gemeinnützigen<br />

Organisation Social Accountability International (SAI)<br />

mit dem Ziel ins Leben gerufen, die Arbeiter von Firmen,<br />

NGOs oder staatlichen Einrichtungen zu stärken und zu<br />

schützen. Das schließt laut Leitfaden alle Arbeiter ein, die<br />

von der Organisation selbst, deren Sub-Unternehmern und<br />

-Lieferanten beschäftigt werden sowie die Heimarbeiter. Der<br />

SA 8000 beruht auf der UN-Menschenrechtserklärung und<br />

berücksichtigt Übereinkommen der International Labour<br />

32 Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de


<strong>Menschenrechte</strong><br />

Organization (ILO), internationale <strong>Menschenrechte</strong> und<br />

Anforderungen aus nationalem Arbeitsrecht.<br />

2014 erfolgte ein umfassendes Update. Es berücksichtigt<br />

jetzt auch die neuen Anforderungen der UN Guiding<br />

Principles und nationale Regelungen. Gabriele Götz, Lead<br />

Auditorin bei der Zertifizierungsgesellschaft DNV GL –<br />

Business Assurance, sagt über die Neuerungen: „Es gibt nun<br />

konkretere Anforderungen an Leiharbeitsfirmen und Vorkehrungen<br />

gegen Menschenhandel. Bezahlungsmodalitäten<br />

sind konkreter geregelt – keine Voucher oder Coupons.<br />

Dies inkludiert eigenes Personal, Sub-Kontraktoren und<br />

Unterlieferanten. Außerdem gibt es eine klar definierte<br />

Mindestanforderung an die soziale Leistungsfähigkeit einer<br />

Organisation.“<br />

Gemessen wird dies mit Hilfe des Social Fingerprint ® des<br />

SA 8000. Das ist ein Set von Werkzeugen, das Firmen bei<br />

der Messung und Verbesserung ihrer Managementsysteme<br />

zur sozialen Leistungsfähigkeit unterstützt. Der Social Fingerprint<br />

gliedert das Konzept eines Managementsystems<br />

in zehn prozess-basierte Kategorien und fünf Reifegrade.<br />

Wie wird der SA 8000 konkret umgesetzt?<br />

Vor Beginn der Zertifizierung sollte das <strong>Unternehmen</strong><br />

ein internes Audit durchführen, um mögliche Lücken zu<br />

identifizieren. Wichtig dabei ist es zu verstehen, dass die<br />

Entwicklung, Implementierung und Zertifizierung eines<br />

sozialen Verantwortlichkeitsmanagementsystems keine<br />

statische Aktion ist, sondern eher einer kontinuierlichen<br />

Reise entspricht, auf der die Zertifizierungsaudits ein nützliches<br />

Element bei der kontinuierlichen Verbesserung der<br />

Prozesse sind.<br />

Ein gutes Praxisbeispiel ist die von DNV GL zertifizierte<br />

Textilfirma Mattes & Ammann aus dem schwäbischen<br />

Meßstetten-Tieringen. Seit über 20 Jahren arbeitet das <strong>Unternehmen</strong><br />

im Bereich Arbeitssicherheit erfolgreich mit<br />

DNV GL zusammen. „Damals haben wir mit der SCC**-<br />

Zertifizierung begonnen, 2003 die OHSAS 18001 dazu<br />

genommen und sind seit jeher sehr effizient durch die<br />

Zertifizierungen und die anschließenden Audits begleitet<br />

worden – ohne übertriebenen Zeitaufwand und damit Kosten“,<br />

blickt Gudrun Volm, Diplom-Ingenieurin bei Mattes<br />

& Ammann zurück. Seit 2008 kommt auch SA 8000 zum<br />

Einsatz. Gudrun Volm koordiniert die Arbeitssicherheit<br />

und berichtet: „Da scheiden Lieferanten schon von vorneherein<br />

aus, wenn sie Kinder als Baumwollpflücker einsetzen<br />

statt sie in die Schule zu schicken.“ Um das zu überprüfen<br />

reisen Mitarbeiter aus Schwaben bis nach Indien<br />

oder Indonesien. „Wir führen diese Gespräche zum Code<br />

of Conduct mit unseren Geschäftspartnern selbst“, erläutert<br />

Volm. „So haben wir das selbst besser im Griff, das ist<br />

mehr Butter bei die Fische.“<br />

Neun Anforderungen der SA 8000 *<br />

1. Kinderarbeit<br />

2. Zwangsarbeit<br />

3. Arbeits- und Gesundheitsschutz<br />

4. Versammlungsfreiheit und Recht auf<br />

gewerkschaftliche Tarifverhandlungen<br />

5. Diskriminierung<br />

6. Disziplinarische Praktiken<br />

7. Arbeitszeiten<br />

8. Entlohnung<br />

9. Managementsystem / Anforderungen an<br />

Lieferanten und Kontraktoren<br />

* Nimmt Bezug auf folgende Regelungen: ILO internationaler<br />

Arbeits- und Sozialnormen; UN Guiding Principles on Business<br />

& Human Rights (UNGP); UN Global Compact (UNGC); OECD<br />

Guidelines für Multinationale Konzerne, Unicef – UN Kinderrechtskonvention<br />

Gesetze: EU CSR-Berichtspflicht (CSR-RUG); UK Modern Slavery<br />

Act; Kalifornisches Gesetz zu Transparenz in Lieferketten;<br />

Sorgfaltspflicht gegen Kinderarbeit (NL); Nationale Aktionspläne<br />

(NAP) u.a. in D, CH, USA; F, AUS, SWE, FIN, N, DK, E, B u.s.w.;<br />

EU-Konfliktmineralien Regulierung, Dodd-Frank Act USA<br />

Wer hilft?<br />

DNV GL bietet in diesem Bereich zahlreiche Audits, Assessments,<br />

Trainings und maßgeschneiderte Lösungen an. Das<br />

norwegische <strong>Unternehmen</strong> ist ein globaler Dienstleister<br />

für Qualitätssicherung und Risikomanagement. Mehr als<br />

150 Jahre Erfahrung und Vertretungen in über 100 Ländern<br />

sichern eine Begleitung entlang der gesamten Wertschöpfung.<br />

„Durch die Nutzung unserer Erfahrung und<br />

Branchenexpertise helfen wir unseren Kunden zu verstehen,<br />

welche Art von Audit für ihr <strong>Unternehmen</strong> am relevantesten<br />

sein kann“, erläutert Gabriele Götz. „Wir bieten<br />

dafür viele Leistungen an, einschließlich der Überprüfung<br />

der Einhaltung der lokalen Gesetzgebung, internationaler<br />

Normen oder kundeneigener Verhaltenskodizes.“<br />

Dafür entstand auch die Risk Based Certification: Diese<br />

risikobasierte Zertifizierungsmethode ermöglicht es<br />

DNV GL, die jeweiligen Audits noch gezielter zu steuern.<br />

Zunächst werden die wichtigsten Kundenrisiken für die<br />

Zukunft identifiziert. Das hilft sich zu positionieren, wesentliche<br />

Verbesserungsbereiche festzulegen und sich genau<br />

darauf zu konzentrieren. Sowohl die Zertifizierung als<br />

auch die jährlichen Audits nehmen dann darauf Bezug. So<br />

führen Veränderungen der äußeren Risikolandschaft stets<br />

zu internem Gegensteuern. f<br />

Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de<br />

33


<strong>Menschenrechte</strong><br />

Wozu dient<br />

die menschenrechtliche<br />

Risikoanalyse?<br />

Ob in der Textilindustrie, im<br />

Rohstoffsektor oder in der<br />

Lebensmittelbranche – die<br />

Schattenseiten der globalen<br />

Wertschöpfungsketten –<br />

wie Kinderarbeit, Sklaverei<br />

oder Armut – erfordern<br />

neue Strategien der <strong>Unternehmen</strong>sverantwortung.<br />

Von Markus Löning<br />

Eine solide menschenrechtliche Risikoanalyse<br />

ermittelt und bewertet<br />

die menschenrechtlichen Auswirkungen<br />

unternehmerischer Aktivitäten<br />

und legt damit den Grundstein zur<br />

Erfüllung der Menschenrechtlichen<br />

Sorgfaltspflicht (human rights due<br />

diligence). Sie ist unerlässliche Voraussetzung<br />

dafür, dass Firmen den aktuellen<br />

gesetzlichen und gesellschaftlichen<br />

Anforderungen gerecht werden.<br />

Die 2011 von den Vereinten Nationen<br />

verabschiedeten UN-Leitprinzipien<br />

für Wirtschaft und <strong>Menschenrechte</strong><br />

haben einen globalen Referenzrahmen<br />

geschaffen, in dem erstmals die<br />

menschenrechtliche Verantwortung<br />

von <strong>Unternehmen</strong> definiert wird. Ziel<br />

ist es, ein verantwortungsbewussteres<br />

und nachhaltigeres Handeln von <strong>Unternehmen</strong><br />

zu fördern. Obwohl rechtlich<br />

unverbindlich, haben die UN-Leitprinzipien<br />

den Druck auf Staaten und<br />

<strong>Unternehmen</strong> verstärkt.<br />

Mit dem Nationalen Aktionsplan zur<br />

Umsetzung der UN-Leitprinzipien oder<br />

34 Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de


Foto: paulprescott72/ istock.com<br />

<strong>Menschenrechte</strong><br />

Foto: UN Photo / George Frayne<br />

Foto: xy / stock.adobe.com<br />

dem „Gesetz zur Stärkung der nichtfinanziellen<br />

Berichterstattung der <strong>Unternehmen</strong><br />

in ihren Lage- und Konzernlageberichten“<br />

(besser bekannt<br />

als CSR-Richtlinie-Umsetzungsgesetz)<br />

werden zunehmend rechtlich verbindliche<br />

Vorschriften<br />

geschaffen. Das<br />

am 9. März 2017<br />

vom Deutschen<br />

Bundestag verabschiedete<br />

Gesetz<br />

zur CSR-Berichtspflicht<br />

fordert<br />

insbesondere börsennotierte<br />

<strong>Unternehmen</strong><br />

mit<br />

mehr als 500 Beschäftigten<br />

dazu<br />

auf, künftig auch<br />

nichtfinanzielle<br />

Aspekte ihrer<br />

Tätigkeiten offenzulegen. Durch menschenrechtliche<br />

Risikoanalysen sollen<br />

<strong>Unternehmen</strong> mögliche Schwachstellen<br />

entlang ihrer globalen Lieferketten<br />

identifizieren und negativen Folgen<br />

in Bezug auf <strong>Menschenrechte</strong> sowie<br />

Arbeits- und Sozialstandards besser<br />

vorbeugen.<br />

Mit einer menschenrechtlichen Risikoanalyse<br />

und darauf aufbauend<br />

einer Strategie zur Erfüllung der<br />

Menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht<br />

werden <strong>Unternehmen</strong> auch wachsenden<br />

gesellschaftlichen und wirtschaftlichen<br />

Anforderungen gerecht.<br />

NGOs und Medien üben zunehmend<br />

Obwohl rechtlich<br />

unverbindlich, haben<br />

die UN-Leitprinzipien<br />

den Druck auf Staaten<br />

und <strong>Unternehmen</strong><br />

verstärkt.<br />

Druck aus, indem sie verstärkt über<br />

Menschenrechtsverletzungen entlang<br />

der Lieferketten berichten. Generationenübergreifend<br />

achten immer mehr<br />

Verbraucherinnen und Verbraucher<br />

bei ihren Kaufentscheidungen auf<br />

Nachhaltigkeit<br />

und Transparenz.<br />

Gelebte <strong>Unternehmen</strong>sverantwortung<br />

kann<br />

darüber hinaus<br />

die Rekrutierung<br />

neuer Mitarbeiter<br />

sowie die langfristige<br />

Bindung<br />

von Talenten an<br />

ein <strong>Unternehmen</strong><br />

positiv beeinflussen.<br />

Außerdem<br />

erleichtert sie<br />

den Zugang zu<br />

neuen Investitionen und Finanzmitteln,<br />

beschränkt Reputations- und<br />

Haftungsrisiken und begünstigt langfristige<br />

und zuverlässige Lieferantenbeziehungen.<br />

Eine menschenrechtliche Risikoanalyse<br />

ist für <strong>Unternehmen</strong> oft ein komplexer<br />

Prozess. In unserem aktuellen<br />

Knowledge-Paper „Menschenrechtliche<br />

Risikoanalyse“ wird erläutert, wie<br />

eine professionelle menschenrechtliche<br />

Risikoanalyse nach international<br />

anerkannten Standards durchgeführt<br />

werden sollte und welche normativen<br />

Grundlagen einer solchen Analyse zugrunde<br />

liegen. f<br />

Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de<br />

35


<strong>Menschenrechte</strong><br />

Advertorial<br />

Menschenrechtliche Sorgfaltspflicht<br />

bei der Deutschen Telekom<br />

Gesellschaftliche <strong>Unternehmen</strong>sverantwortung<br />

kann nur gemeinsam mit den Mitarbeitern<br />

eines <strong>Unternehmen</strong>s gelingen. Von besonderer<br />

Bedeutung ist dabei das Commitment der<br />

<strong>Unternehmen</strong>sführung. Im Alltag muss CSR<br />

aber auch gelebt werden. Das erfordert neben<br />

Vorbildern auch das nötige Wissen.<br />

Mitarbeiter <strong>müssen</strong> zu den wichtigsten Themen geschult<br />

und sensibilisiert werden. Jedem Mitarbeiter sollte klar<br />

sein, welchen Beitrag er zur Reduzierung des Carbon Footprint<br />

leisten kann, und er sollte erkennen können, wenn<br />

grundlegende <strong>Menschenrechte</strong> in seiner unmittelbaren<br />

Umgebung oder in seinem Tätigkeitsbereich gefährdet<br />

sind.<br />

Für die Deutsche Telekom ist die Einbindung der Mitarbeiter<br />

essentieller Bestandteil des Nachhaltigkeitsengagements.<br />

„Wir sind auf den ersten Blick vielleicht kein ‚klassisch<br />

grünes‘ <strong>Unternehmen</strong>“, sagte Timotheus Höttges,<br />

Vorstandsvorsitzender der Deutschen Telekom, bei der<br />

Verleihung des Deutschen Nachhaltigkeitspreises 2017.<br />

„Aber wir nehmen Nachhaltigkeit sehr ernst.“<br />

Im Rahmen ihrer Nachhaltigkeitsberichterstattung ermittelt<br />

die Deutsche Telekom mit einem eigenen KPI die Befürwortung<br />

der Mitarbeiter zum CR-Engagement. Die letzten<br />

veröffentlichten Zahlen aus dem Jahr 2015 zeigen mit<br />

78 Prozent hohe Zustimmungswerte, sowohl für die Bewertung<br />

als auch für die persönliche Identifikation mit dem<br />

CR-Engagement.<br />

Zudem wird im jährlich abgefragten und veröffentlichten<br />

Sozialbericht die Einhaltung des „Menschenrechtskodex<br />

& Soziale Grundsätze“ überprüft. 121 vollkonsolidierte<br />

Gesellschaften aus dem gesamten Konzern haben für den<br />

aktuellen Bericht über das Geschäftsjahr 2017 die vollständige<br />

Einhaltung gemeldet.<br />

Basis für die Menschenrechtspolitik der Deutschen<br />

Telekom sind die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und<br />

<strong>Menschenrechte</strong> aus dem Jahr 2011. Sie bilden die Grundlage<br />

für die im „Menschenrechtskodex & Soziale Grundsätze“<br />

verankerte Sorgfaltspflicht sowie den für Lieferanten spezifischen<br />

Supplier Code of Conduct.<br />

Die CSR Richtlinie (CSR RUG) und der Nationale Aktionsplan<br />

Wirtschaft und <strong>Menschenrechte</strong> (NAP) sind neue rechtliche<br />

Anforderungen, die eine Auseinandersetzung mit dem<br />

Thema <strong>Menschenrechte</strong> erforderlich machen, hinzu kommen<br />

die Erwartungen unterschiedlicher Stakeholder.<br />

Um das Thema aber in die <strong>Unternehmen</strong>skultur zu integrieren,<br />

ist die Einbindung der Mitarbeiter unerlässlich.<br />

Zur Förderung von Sensibilität und Bewusstsein für menschenrechtliche<br />

Risiken und Verstöße wurde deshalb ein<br />

spezielles Training für alle Mitarbeiter konzipiert. Damit<br />

schult die Deutsche Telekom weltweit alle 216.000 Mitarbeiter<br />

zum Themenbereich <strong>Menschenrechte</strong>. „Wir haben<br />

im Januar mit dem weltweiten Rollout begonnen“, sagt<br />

Yvonne Hommes, die im Konzern für die interne Einhaltung<br />

der <strong>Menschenrechte</strong> zuständig ist.<br />

Das als E-Learning angelegte Trainingsprogramm steht<br />

konzernweit zur Verfügung. Man habe sich bewusst für ein<br />

breites Bildungsangebot entschieden, an dem alle Mitarbeiter<br />

teilnehmen können, erläutert Hommes. Kulturelle Besonderheiten<br />

und nationale Gesetzgebungen werden dabei<br />

berücksichtigt. „Grundsätzlich gilt unser Menschenrechtskodex<br />

& Soziale Grundsätze aber weltweit“, so Yvonne<br />

Hommes weiter.<br />

Seit einigen Jahren untersucht das Team neben den lang<br />

etablierten formalen Audits in der Lieferkette auch gezielt<br />

die Situation in den eigenen lokalen Einheiten der DTAG<br />

36 Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de


<strong>Menschenrechte</strong><br />

Beispiele aus dem E-Learning-<br />

Programm „<strong>Menschenrechte</strong>“:<br />

Mit einfachen Inhalten sollen die<br />

Mitarbeiter für menschenrechtliche<br />

Risiken sensibilisiert werden.<br />

Szenario 1 Information<br />

rund um den Globus. Mit den vorhandenen<br />

Prozessen und den Ergebnissen<br />

war man in Bonn weitestgehend<br />

zufrieden. Gemeinsam erarbeitete<br />

Maßnahmenpläne und deren Umsetzung<br />

sorgen für stetige Verbesserung.<br />

„Dabei fiel uns allerdings auch auf,<br />

Hier geht es um die folgenden<br />

Menschenrechtsanliegen:<br />

• Arbeitsbedingungen<br />

• Recht auf Privatleben<br />

• Mögliche Diskriminierung aufgrund<br />

des Geschlechts<br />

Unsere Konzernrichtlinie zu Employee<br />

Relations befasst sich mit den wichtigsten<br />

Elementen der Personalpolitik der Deutschen<br />

Telekom. Eines davon ist ein gesundes<br />

Gleichgewicht zwischen Beruf und<br />

Privatleben.<br />

Andere Personenkreise, deren<br />

<strong>Menschenrechte</strong> möglicherweise betroffen<br />

sein könnten<br />

Die Aktivitäten eines <strong>Unternehmen</strong>s können<br />

sich nicht nur auf die <strong>Menschenrechte</strong> seiner<br />

Mitarbeiter auswirken.<br />

Kunden, Kommunen und Arbeiter in<br />

Lieferketten können ebenfalls betroffen sein.<br />

In den Kästen links finden Sie Beispiele für<br />

negative Auswirkungen auf die<br />

<strong>Menschenrechte</strong> anderer Personenkreise.<br />

Probleme ansprechen<br />

Wenn Sie Bedenken oder Fragen hinsichtlich<br />

Ihrer eigenen <strong>Menschenrechte</strong> oder der<br />

<strong>Menschenrechte</strong> anderer Personen im<br />

System der Deutschen Telekom haben,<br />

sollten Sie sich an Ihren direkten<br />

Vorgesetzten wenden und/oder eine E-Mail<br />

an die Kontaktstelle für <strong>Menschenrechte</strong><br />

senden: humanrights@telekom.de.<br />

Die Adresse finden Sie im Bereich<br />

<strong>Menschenrechte</strong> der DT-Website.<br />

Sie können auch mit dem Hinweisgeberportal<br />

„Tell me!“ Kontakt aufnehmen.<br />

dass der Begriff der „<strong>Menschenrechte</strong>“<br />

als solches von Mitarbeitern aber<br />

auch Führungskräften häufig nur<br />

mit Missständen in fernen Ländern<br />

in Asien oder Afrika in Verbindung<br />

gebracht wird“, erinnert sich Yvonne<br />

Hommes. „Ziel muss es sein, die <strong>Achtung</strong><br />

der <strong>Menschenrechte</strong> in die <strong>Unternehmen</strong>skultur<br />

zu integrieren und<br />

nicht nur als Thema im Einkauf zu<br />

begreifen“, führt sie weiter aus. „Jeder<br />

Mitarbeiter sollte verstehen, welchen<br />

Einfluß und welche Verantwortung<br />

die Deutsche Telekom insgesamt hat“,<br />

so Hommes, „aber auch was <strong>Menschenrechte</strong><br />

für die unmittelbare Umgebung<br />

bedeuten, und was zu tun ist,<br />

um diese einzuhalten.“<br />

Im Nachgang entstand daher die Idee,<br />

das Thema <strong>Menschenrechte</strong> für die gesamte<br />

Belegschaft aufzubereiten. Ziel<br />

ist die Sensibilisierung aller Mitarbeiter<br />

zu Menschenrechtsthemen, vor allem<br />

auch in ihrer unmittelbaren Umgebung<br />

und ihrem Tätigkeitsbereich.<br />

Das E-Learning führt anhand von Szenarien<br />

um Diskriminierung, Arbeitszeitbelastung<br />

bis hin zur sexuellen<br />

Belästigung am Arbeitsplatz in das<br />

Thema ein. Regelmäßige flankierende<br />

interne Kommunikationskampagnen<br />

zum Thema <strong>Menschenrechte</strong> sorgen<br />

für eine rege Teilnahme. Hommes:<br />

„Den tatsächlichen Erfolg können wir<br />

Ende des Jahres auswerten und dann<br />

eventuell notwendige Anpassungen<br />

vornehmen.“<br />

Neben dem Erkennen von Risiken sollen<br />

die Mitarbeiter auch lernen, wie<br />

sie sich verhalten können, wenn ihnen<br />

Verstöße begegnen. „Dafür haben wir<br />

ein spezielles Postfach eingerichtet“,<br />

so Yvonne Hommes. Dort eingehende<br />

Anliegen werden zunächst einem<br />

Plausibilitätstest unterzogen und dann<br />

mit den geeigneten Ansprechpartnern<br />

und Fachabteilungen bearbeitet.<br />

Hommes: „Jeder Mitarbeiter kann sich<br />

sicher sein, dass wir sein Anliegen bis<br />

zu einer abschließenden Klärung bearbeiten<br />

werden.“ f<br />

Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de<br />

37


„<br />

<strong>Menschenrechte</strong><br />

Ethik?<br />

Das Wort gefällt<br />

Fotos: Tim Flavor<br />

mir nicht<br />

Von Hans Weitmayr<br />

Mauro Meggiolaro setzt sich auf Hauptversammlungen seit<br />

Jahren für die Durchsetzung nachhaltiger Geschäftsgebarungen<br />

ein. Als Koordinator der neuen institutionellen Plattform<br />

„Shareholders for Change“ wird er das 2018 europaweit tun –<br />

mit vielleicht bald 30 Milliarden Euro im Rücken.<br />

Wenn Mauro Meggiolaro bei einer<br />

Hauptversammlung auftaucht, kann<br />

das eine ganze Bandbreite an Reaktionen<br />

auslösen. Die einen rollen mit den<br />

Augen, die anderen machen sich über<br />

ihn lustig, wieder andere schreien ihn<br />

an. Das liegt an der Hauptbeschäftigung<br />

des umtriebigen Italieners: Er<br />

ist Boardroom-Aktivist. Allerdings<br />

nicht für einen Hedgefonds, sondern<br />

für einen bislang eher unbekannten<br />

Vorreiter in Sachen nachhaltiges<br />

und ethisches Investieren – der Investorenplattform<br />

„Shareholders for<br />

Change“ (SFC). Das Netzwerk, dem<br />

Meggiolaro als Koordinator vorsteht,<br />

wurde im Dezember 2017 ins Leben<br />

gerufen und soll eine Art Task<br />

Force für Stiftungen, Pensionsversicherer<br />

oder Banken bilden, die ihre<br />

ESG-Prinzipien auf sich allein gestellt<br />

nicht ganz so effizient durchsetzen<br />

können, wie sie das gern würden.<br />

Über die Plattform werden Interessen<br />

gebündelt, Informationen ausgetauscht,<br />

und es soll auf <strong>Unternehmen</strong><br />

Druck ausgeübt werden, nachhaltige<br />

Prinzipien in das eigene Geschäftsmodell<br />

zu implementieren. Das soll<br />

in vielen Fällen dort geschehen, wo<br />

es – auch medial gesehen – am wirkungsvollsten<br />

ist: auf den jeweiligen<br />

Hauptversammlungen.<br />

Entschlossenheit<br />

Die Plattform befindet sich noch in der<br />

Gründungsphase. Doch trotz des frühen<br />

Entwicklungsstadiums sollte man<br />

die Entschlossenheit der Organisation<br />

nicht unterschätzen: Sie umfasst<br />

bereits jetzt sieben Mitglieder in vier<br />

Ländern (siehe Infokasten „Shareholders<br />

for Change“) und repräsentiert<br />

Assets im Volumen von 22 Milliarden<br />

Euro. „Das ist nicht nichts“, meint ein<br />

zufriedener Meggiolaro. „Wir führen<br />

derzeit Gespräche mit weiteren potenziellen<br />

Mitgliedern in der Schweiz<br />

und in Deutschland. Das würde unsere<br />

repräsentierten Assets auf 30 Milliarden<br />

steigern und unseren Hebel<br />

beim Durchsetzen nachhaltiger Prinzipien<br />

natürlich verstärken.“<br />

Der Ort des<br />

Gesprächs kann<br />

symbolisch<br />

verstanden<br />

werden und<br />

räumt mit dem<br />

Vorurteil auf,<br />

dass ethischnachhaltiges<br />

Agieren mit einem<br />

Verlust an<br />

Lebensqualität<br />

und -freude einhergehen<br />

muss.<br />

38 Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de


<strong>Menschenrechte</strong><br />

Meggiolaro entspricht nicht unbedingt<br />

dem Klischee des institutionellen<br />

Investors. Beruflich pendelt er<br />

zwischen Mailand und Berlin hin und<br />

her. In der Bundeshauptstadt arbeitet<br />

er von seinem Home Office aus. Wir<br />

treffen ihn an einem klaren, aber eiskalten<br />

Februartag in der Monti Caffè<br />

Bar – einem der Lokale, das den ehemaligen<br />

Bürgermeister der Stadt wohl<br />

zu dem Spruch „Arm, aber sexy“ verleitet<br />

hatte. Hätten wir von unserem<br />

Gegenüber Anzug und Krawatte erwartet,<br />

wären wir enttäuscht worden.<br />

Meggiolaro bevorzugt italienischen<br />

Chic mit Hang zum Understatement.<br />

Nicht zu unterschätzen<br />

Wer den SFC-Koordinator aufgrund<br />

seines legeren Auftretens unterschätzt,<br />

begeht wahrscheinlich einen<br />

Fehler. Der studierte Ökonom >><br />

MAURO MEGGIOLARO<br />

KURZBIOGRAFIE<br />

Geboren: Januar 1976<br />

Lebens- und Arbeitsmittelpunkte:<br />

Florenz und Berlin<br />

Bevorzugte Arbeitsstätte:<br />

Home Office<br />

Bevorzugter Interview-Ort:<br />

MONTI CAFFÈ BAR in Berlin; jedes<br />

Café in Mailand<br />

BERUFLICHER<br />

WERDEGANG<br />

Seit Dezember 2017:<br />

Koordinator der Investorenplattform<br />

„Shareholders for Change“<br />

Seit 2009: Miteigentümer und<br />

Gründer von Merina Research<br />

2009: Berater der Banca Etica<br />

Groupdast<br />

2002–2008: Head of CSR<br />

Research and Communication bei<br />

Banca Etica in Mailand<br />

2001–2002: SRI Financial Advisor<br />

bei Umweltfinanz, Berlin<br />

Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de<br />

39


<strong>Menschenrechte</strong><br />

geht dem konfliktreichen Job eines<br />

Boardroom-Aktivisten schon lange<br />

nach – lange bevor es diese Berufsbezeichnung<br />

in Europa überhaupt<br />

gab. Dabei hat er immer im Bereich<br />

ESG und SRI nachgehakt – auch das<br />

lange bevor diese Begriffe in Europa<br />

gebräuchlich waren. Konkret war<br />

es das Jahr 2005, als Meggiolaro auf<br />

der Hauptversammlung des Küchengeräteherstellers<br />

Merloni auftauchte.<br />

Das Management des <strong>Unternehmen</strong>s,<br />

das inzwischen zu Whirlpool gehört,<br />

war nicht ganz auf die Stoßrichtung<br />

seiner Fragen vorbereitet. Nachhaltigkeit<br />

im <strong>Unternehmen</strong>? Welche Relevanz<br />

sollte das haben? Heute lacht<br />

Meggiolaro darüber: „Die haben uns<br />

ein bisschen komisch angeschaut“,<br />

erinnert er sich zurück. „Heute sind<br />

diese Fragestellungen ganz normal.<br />

Es geht um Umwelt, Steueroasen, alles<br />

Mögliche.“<br />

Unwohl fühlt sich der Italiener, wenn<br />

es um die begriffliche Abgrenzung seiner<br />

Tätigkeit geht, insbesondere wenn<br />

der Begriff „Ethik“ fällt. „Das ist ein<br />

großes Wort, das mir eigentlich nicht<br />

gefällt“, eines, das zum Moralisieren<br />

einlade – und genau das will der Plattformkoordinator<br />

nicht. „Es stimmt,<br />

wir wollen etwas bewegen, aber wir<br />

wollen das ohne erhobenen Zeigefinger<br />

tun. Vielleicht ist Nachhaltigkeit<br />

wirklich das bessere Wort, weil es<br />

mehr umfasst.“<br />

Persönlich angegriffen<br />

Meggiolaros Wille, Dinge zu verändern,<br />

kann ansteckend sein – und gerade<br />

deshalb und vielleicht paradoxerweise<br />

zu Enttäuschung und fallweise<br />

Verbitterung führen. Er erinnert sich<br />

an eine Hauptversammlung beim italienischen<br />

Stromkonzern Eni. Dort<br />

stellte sich Meggiolaro jährlich ein.<br />

Als er auf besagter Hauptversammlung<br />

ein Vorhaben des <strong>Unternehmen</strong>s<br />

im Bereich Umwelt und Solar mit den<br />

Worten „Viel Kommunikation und<br />

wenig Substanz“ kritisierte, „ist der<br />

CEO explodiert“, erzählt Meggiolaro.<br />

„Sie kommen jedes Jahr her, und egal,<br />

was wir umsetzen, nie sind Sie zufrieden.“<br />

Im persönlichen Gespräch nach<br />

der Präsentation der Zahlen habe sich<br />

herausgestellt, dass das umstrittene<br />

Projekt vom CEO selbst auf den Weg<br />

gebracht worden war. „Es ist erstaunlich,<br />

wie die Dinge manchmal persönlich<br />

genommen werden“, wundert<br />

sich Meggiolaro. Am Ende habe man<br />

einen persönlichen Termin vereinbart<br />

und die Sache aus der Welt geschafft.<br />

MAURO MEGGIOLARO<br />

frei assoziierend zu:<br />

Rendite<br />

Muss Sinn machen und sich<br />

an der Zukunft orientieren.<br />

Hauptversammlung<br />

Der perfekte Ort, um<br />

die Kultur einer Firma<br />

kennenzulernen.<br />

Ethik<br />

Ein großes Wort, das mir<br />

nicht besonders gefällt. Ist<br />

mir zu moralisierend.<br />

Feigenblatt<br />

Wenn ich so etwas wittere,<br />

beginne ich zu recherchieren.<br />

Waffen<br />

Das<br />

„<br />

Schlimmste, das man<br />

sich vorstellen kann.<br />

seinem liebsten Laster<br />

Wein. Italienischer.<br />

Vorbildern<br />

Habe ich keine richtigen.<br />

US-Investments<br />

Die USA sind das Land mit<br />

der fortschrittlichsten<br />

Firmenkultur. Die Anleihen<br />

sind ein anderes Thema.<br />

Mit der Plattform Shareholders for Change<br />

will Meggiolaro nun länderübergreifend<br />

agieren. Auch in Deutschland<br />

– dort konnte der Italiener schon<br />

bei Rheinmetall Erfahrung sammeln.<br />

Das <strong>Unternehmen</strong> betreibt in Italien<br />

ein Werk, das Kriegsmaterial herstellt.<br />

Erst so war Meggiolaro auf die<br />

Deutschen gestoßen, die nach außen<br />

hin extrem verschlossen agieren. Zur<br />

Hauptversammlung sind keine Kameras<br />

zugelassen. Eine beklemmende<br />

ARD-Dokumentation mit dem Titel<br />

„Bomben für die Welt“ nahm sich<br />

das <strong>Unternehmen</strong> trotzdem vor – mit<br />

Meggiolaro als Interviewpartner. Geglückte<br />

Kommunikationsarbeit sieht<br />

anders aus.<br />

Seelenschau<br />

„Hauptversammlungen sind ein guter<br />

Ort, um etwas über die Seele eines<br />

<strong>Unternehmen</strong>s herauszufinden“,<br />

fasst Meggiolaro zusammen. Welche<br />

Menschen sind vor Ort, welche Art<br />

von Fragen wird gestellt, oder – vielleicht<br />

nicht ganz ernst gemeint – was<br />

wird am Buffet angeboten? Softe Faktoren<br />

können jedoch nur ein Teil der<br />

Analyse sein. Wichtig ist es auch, das<br />

Thema Nachhaltigkeit so gut wie möglich<br />

zu quantifizieren. Auch hier war<br />

der 42-Jährige ein Vorreiter, hat er<br />

sich doch bereits 2002 darangemacht,<br />

SRI-Ratings für die Banca Etica zu erstellen.<br />

Während heute jeder noch so<br />

kleine Fonds auf Morningstar mit einem<br />

Nachhaltigkeits-Rating versehen<br />

wird, war das damals noch vollkommenes<br />

Neuland.<br />

Die Liste<br />

Mit dem geplanten Wachstum des<br />

Netzwerks wird es dem Koordinator<br />

von SFC nicht möglich sein, sämtliche<br />

Hauptversammlungen selbst zu<br />

besuchen, das heißt, auch personell<br />

wird man sich breiter aufstellen oder<br />

auf die Kapazitäten der Mitglieder zurückgreifen<br />

<strong>müssen</strong>. Für dieses Jahr<br />

stehen unter anderem Eni, Enel, Inditex<br />

– und Meggiolaros Freunde von<br />

Rheinmetall auf der Liste.<br />

40 Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de


Foto: Matej Kastelic / stock.adobe.com<br />

<strong>Menschenrechte</strong><br />

waren die Portfoliomanager dann aber<br />

doch interessiert. „Denn um die Ölund<br />

Finanztitel zu ersetzen, hatte ich<br />

natürlich nach Ersatzunternehmen<br />

gesucht.“ Mit einem Mal entstand so<br />

ein Portfolio, das relativ unkorreliert<br />

war, entsprechend zur Diversifikation<br />

beigetragen hat und in Wirklichkeit<br />

Risiken und Volatilitäten extrem gesenkt<br />

hat.<br />

Informelle Treffen wird es unter anderem mit dem Management<br />

der Bürosoftware-Schmiede SAP geben. Meetings<br />

dieser Art sind eine zweite Schiene, auf die die Plattform<br />

setzen will. Es handelt sich dabei um ein subtileres Mittel,<br />

durch das man abseits der großen HV-Bühne auf die <strong>Unternehmen</strong><br />

einwirken will.<br />

Doch wie vertragen sich die hehren Ansinnen der Plattform<br />

mit den Zwang, Rendite zu erwirtschaften? Denn dass die<br />

Ausschließung von Investments aufgrund von nachhaltigen<br />

Kriterien Ertrag kosten kann, hat ziemlich prominent und<br />

medienträchtig der norwegische Staatsfonds ausgewiesen.<br />

Konfrontiert man Meggiolaro mit den Kalkulationen der<br />

Skandinavier, kommt Emotion auf. „Ich kenne diese Zahlen.<br />

Das ist lächerlich.“ Der angebliche Minderertrag belaufe<br />

sich auf 0,1 Prozent pro Jahr. Näher an der Null könne man<br />

gar nicht sein – eine vernachlässigbare Größe also.<br />

Eine Gegenfrage<br />

Doch wenn dem so ist, wenn diese 0,1 Prozent tatsächlich<br />

vernachlässigbar sind, was darf Nachhaltigkeit eigentlich<br />

kosten? Bei dieser Frage wird die Schwäche des gesamten<br />

Themenbereichs deutlich – er bleibt, trotz aller erfolgter<br />

Quantifizierung, schlussendlich eines: schwammig. Dem<br />

kann sich auch Meggiolaro nicht entziehen. Also beantwortet<br />

er die Frage mit einer Gegenfrage: „Was bringt es mir,<br />

wenn ich 80 Prozent Rendite habe, aber dann die Umwelt<br />

zerstört ist?“<br />

Dass das Thema Nachhaltigkeit ein finanzielles Zukunftsthema<br />

werden würde, war Meggiolaro jedenfalls schon<br />

2003 klar. Damals erstellte er für die Banca Etica im Rahmen<br />

seiner Tätigkeit als Head of CSR Research ein Portfolio,<br />

das den Faktor „Nachhaltigkeit“ beinhaltete. Das Resultat<br />

war eine Exklusion der Finanz- und Ölbranche. „Man<br />

hat mich damals zunächst einmal für verrückt erklärt“,<br />

erinnert sich der Italiener zurück. Auf den zweiten Blick<br />

An dieser Stelle gibt es eine Art inhaltlicher<br />

Versöhnung mit dem norwegischen<br />

Staatsfonds: Auch dieser hat<br />

ja zuletzt empfohlen, Öltitel aus dem<br />

Portfolio zu nehmen. Die Argumente<br />

sind von einem Portfoliostandpunkt<br />

dieselben, die Meggiolaro 15 Jahre zuvor ins Feld geführt<br />

hatte – Risikostreuung.<br />

Doch ist dieser Aspekt der Nachhaltigkeit am Ende nicht<br />

doch nur eine Art Modeerscheinung? Ein Verkaufsargument,<br />

mit dem man neue Kundenstöcke erschließt, einen<br />

Hype kreiert, der in einen Boom mündet und sich schlussendlich<br />

als ebenso nachhaltig erweist wie der Neue Markt<br />

in Frankfurt? Meggiolaro verneint das entschieden. Es<br />

stimme schon, das Umfeld habe sich verändert, das Konzept<br />

der Nachhaltigkeit sei zu einer Industrie geworden,<br />

was es kleineren Spezialisten schwerer mache, ein allein<br />

stehendes Geschäftsmodell zu finden. „Jede große Fondsgesellschaft<br />

bietet jetzt nachhaltige Produkte an“, so Meggiolaro.<br />

Insgesamt wertet er das aber als einen positiven Trend, als<br />

eine Art Entwicklungsschritt: „Das ist vielleicht das Zeichen<br />

dafür, dass wir in eine postmoderne Finanzwelt getreten<br />

sind.“ Es ist zwar nach wie vor unmöglich, Investoren<br />

mit „rein ethischen Argumenten von einem Finanzprodukt<br />

zu überzeugen“. Man muss Mehrwert in Form von Rendite<br />

oder Risikominderung oder Diversifikation anbieten<br />

können. Auf der anderen Seite fällt es aber auch immer<br />

schwerer, Investments ohne einen nachhaltigen Überbau<br />

zu argumentieren. Am Ende wird Nachhaltigkeit also kein<br />

Sonderthema, sondern eine Selbstverständlichkeit sein.<br />

Für Meggiolaro würde das bedeuten, dass es seinen Job<br />

nicht mehr gibt. „Stimmt“, lacht er. „Ich arbeite an meiner<br />

Selbstauflösung. Das wird aber noch dauern.“ f<br />

Im Original erschienen in<br />

Ausgabe No. 1/2018, Institutional Money<br />

Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de<br />

41


<strong>Menschenrechte</strong><br />

Was ist moderne<br />

Sklaverei?<br />

Seit einigen Jahren ist moderne Sklaverei<br />

verstärkt in den Fokus gerückt – des Gesetzgebers,<br />

der Zivilgesellschaft, aber auch der<br />

Wirtschaft. Doch was genau ist moderne<br />

Sklaverei? Wie entsteht sie? Wer sind die<br />

Betroffenen? Und wieso sollten sich deutsche<br />

<strong>Unternehmen</strong> mit der Thematik befassen?<br />

Diese und weitere Fragen beleuchtet das<br />

Deutsche Global Compact Netzwerk (DGCN)<br />

in einer neuen Studie. Laura Curtze, Senior<br />

Consultant bei der durchführenden Beratung<br />

Ergon Associates, gibt einen ersten Überblick.<br />

Von Laura Curtze<br />

Bulgarische Erntehelfer in Großbritannien, denen<br />

nach Eintreffen die Pässe von ihrem Arbeitgeber<br />

abgenommen werden und die durch Unterzeichnen<br />

eines Vertrages, den sie nicht verstehen, in ein Arbeitsverhältnis<br />

einwilligen, in dem sie nicht einmal die Hälfe des<br />

geltenden Mindestlohns erhalten. Arbeiterinnen in einer<br />

Textilfabrik in Indien, die unbezahlt Extraschichten ableisten<br />

<strong>müssen</strong>, auch an Ruhetagen, oder sie verlieren ihren<br />

Job und damit die Lebensgrundlage ihrer Familie. Junge<br />

Männer aus Bangladesch, die sich Tausende Dollar für die<br />

Vermittlung eines Jobs auf einer Baustelle in Singapur geliehen<br />

haben und deren Familien von den Geldgebern bedroht<br />

werden, nachdem die Lohn- und somit auch die Kreditrückzahlungen<br />

ausblieben.<br />

Diese Beispiele zeigen: Situationen unfreiwilliger und ausbeuterischer<br />

Arbeit können überall vorkommen. Das ist<br />

nichts Neues. Was allerdings neu ist, sind die Mittel des<br />

Zwangs, das Profil der Täter und auch das der Opfer. An<br />

dieser Stelle setzt die neue Studie des DGCN an: Moderne<br />

Sklaven liegen nicht in Ketten, sie sind nicht das Eigentum<br />

ihres Arbeitgebers. Viele erhalten Lohn, sind oftmals sogar<br />

sozialversichert. Aber sie gelangen durch Täuschung oder<br />

Nötigung in eine Situation, in denen ihnen unter Androhung<br />

von Strafe oder Gewalt Arbeit abverlangt wird und<br />

aus der sie sich nicht einfach so wieder befreien können.<br />

Immer häufiger sind es die wirtschaftliche Not und die Suche<br />

nach besseren Einkommensmöglichkeiten, die Menschen<br />

in die Arme und in die Abhängigkeit von skrupellosen<br />

Vermittlern und Arbeitgebern treiben.<br />

Foto: Oksana Perkins / stock.adobe.com<br />

42 Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de


<strong>Menschenrechte</strong><br />

<strong>Warum</strong> sich deutsche <strong>Unternehmen</strong><br />

mit Risiken moderner<br />

Sklaverei auseinandersetzen sollten<br />

Moderne Sklaverei, verstanden als<br />

extreme Form der Arbeitsausbeutung,<br />

stellt einen drastischen Einschnitt in<br />

die <strong>Menschenrechte</strong> der betroffenen<br />

Personen dar. Niemand sollte unter<br />

Androhung von Gewalt zur Arbeit gezwungen<br />

werden. Dieses grundlegende<br />

Prinzip ist im internationalen wie<br />

im nationalen Recht fest verankert<br />

und somit auch für privatwirtschaftliche<br />

Akteure nicht nur moralisch, sondern<br />

auch rechtlich handlungsleitend.<br />

Doch auch darüber hinaus gibt es gute<br />

Gründe für deutsche <strong>Unternehmen</strong>,<br />

sich proaktiv mit Risiken moderner<br />

Sklaverei auseinanderzusetzen.<br />

Dazu zählen die Abwendung potenziell<br />

gravierender Reputationsschäden<br />

und die Stärkung des eigenen<br />

Risikomanagements. Viele deutsche<br />

<strong>Unternehmen</strong> sind außerdem unter<br />

dem britischen Modern Slavery Act<br />

oder dem CSR-Richtlinien-Umsetzungsgesetz<br />

berichtspflichtig, ähnliche<br />

Gesetze sind derzeit u.a. in Australien<br />

in Planung und zeugen von<br />

wachsenden Transparenzanforderungen.<br />

Die menschenrechtliche Performance<br />

eines <strong>Unternehmen</strong>s rückt<br />

auch für Investoren und Geldgeber<br />

verstärkt in den Fokus.<br />

Risiken beschränken sich nicht<br />

auf die Lieferkette<br />

Die spezifischen Risiken moderner<br />

Sklaverei sind dabei von Land zu<br />

Land und von Branche zu Branche<br />

unterschiedlich. Generell besteht vor<br />

allem dort ein erhöhtes Risiko, wo<br />

wirtschaftliche, soziale und gesellschaftliche<br />

Rahmenbedingungen wie<br />

Armut, Ungleichheit, politische Instabilität,<br />

strukturelle Diskriminierung<br />

oder Krisen und Konflikte Menschen<br />

verwundbar gegenüber Ausbeutung<br />

machen. Überregional lässt sich beispielsweise<br />

beobachten, dass Arbeitsmigranten,<br />

Flüchtlinge und Binnenvertriebene<br />

besonders häufig Opfer<br />

moderner Sklaverei werden. Das bestätigen<br />

auch die jüngsten Schätzungen<br />

zu Opferzahlen der Internationalen<br />

Arbeitsorganisation (ILO). Oftmals<br />

strukturell benachteiligt, ist es ihnen<br />

aufgrund ihrer besonderen Situation<br />

(keine Kenntnisse der Landessprache,<br />

kein soziales Netzwerk, hohe Abhängigkeit<br />

vom Arbeitgeber usw.) kaum<br />

möglich, ihre Rechte einzufordern<br />

und Hilfe zu suchen. Die Erfahrung<br />

zeigt außerdem, dass ein besonders<br />

hohes Risiko moderner Sklaverei und<br />

Ausbeutung in arbeitsintensiven,<br />

niedrigqualifizierten Aktivitäten besteht,<br />

in denen Arbeitskräfte schnell<br />

und einfach ausgewechselt werden<br />

können.<br />

Viele <strong>Unternehmen</strong> betrachten moderne<br />

Sklaverei in erster Linie als ein<br />

ihre Lieferketten und Auslandsgeschäfte<br />

betreffendes Phänomen. Doch<br />

die Studie zeigt: Wer sucht, der findet<br />

– auch in Deutschland und oftmals<br />

näher am eigenen <strong>Unternehmen</strong> als<br />

geglaubt. Denn gerade im Inland rücken<br />

auch Dienstleistungen wie Reinigung,<br />

Logistik oder Entsorgung in den<br />

Fokus. In seinem jüngsten Lagebild<br />

zum Menschenhandel in Deutschland<br />

weist das Bundeskriminalamt auf einen<br />

starken Anstieg der Fallzahlen<br />

im Bereich Menschenhandel zum<br />

Zweck der Arbeitsausbeutung hin.<br />

Zu den besonders betroffenen Wirtschaftszweigen<br />

gehören Baugewerbe,<br />

Landwirtschaft, fleischverarbeitende<br />

Industrie, Gastronomie und Gebäudereinigung,<br />

doch auch bei Automobilzulieferern<br />

oder im Speditionswesen<br />

wurden in den vergangenen Jahren<br />

Fälle von Ausbeutung publik. Beinahe<br />

ausnahmslos handelt es sich bei den<br />

Opfern um ausländische Staatsbürger,<br />

vornehmlich aus ost- und südosteuropäischen<br />

EU-Mitgliedsstaaten.<br />

Ganzheitliche Konzepte entwickeln<br />

und Transparenz herstellen<br />

Konzepte zur Bekämpfung moderner<br />

Sklaverei sollten dort ansetzen, wo<br />

Risiken entstehen. Die Studie bietet<br />

<strong>Unternehmen</strong> wertvolle Hilfestellungen<br />

für die Ermittlung und Bewertung<br />

von Risiken. Neben einer fundierten<br />

Risikoanalyse und Ursachenforschung<br />

erfordert die Entwicklung wirksamer<br />

Präventionsstrategien dabei auch die<br />

vermehrte Herstellung von Transparenz:<br />

Mit wem arbeiten wir zusammen?<br />

Von wem kaufen wir? Wer beschäftigt<br />

die Bauarbeiter, die aktuell<br />

unseren Firmensitz renovieren? Zu<br />

welchen Konditionen? Wie steht es<br />

um die Kapazität unserer Geschäftspartner,<br />

ihrerseits Risiken moderner<br />

Sklaverei zu erkennen und zu vermeiden?<br />

Bei alldem sollte nicht vergessen<br />

werden, dass moderne Sklaverei<br />

ein Extrem auf einem Kontinuum<br />

der Ausbeutung darstellt. Schlechte<br />

Arbeitsbedingungen an sich stellen<br />

nicht automatisch auch moderne<br />

Sklaverei dar. Gleichzeitig können<br />

sie aber, gerade in Kombination mit<br />

anderen Faktoren, zu Risiken moderner<br />

Sklaverei beitragen. Im Interesse<br />

eines effektiven Risikomanagements<br />

sollten <strong>Unternehmen</strong> solche Faktoren<br />

deswegen frühzeitig in den Blick<br />

nehmen, tragfähige Sorgfaltspflichtsprozesse<br />

entwickeln und gemeinsam<br />

mit Partnern an Lösungen arbeiten,<br />

anstatt zu warten, bis es zu schwerwiegenderen<br />

Verstößen kommt. f<br />

Mehr Infos: Die Studie „Moderne<br />

Sklaverei und Arbeitsausbeutung<br />

– welche Relevanz für deutsche<br />

<strong>Unternehmen</strong>?“, herausgegeben<br />

vom DGCN und entwickelt von<br />

Ergon Associates, wird Ende<br />

2018 veröffentlicht.<br />

Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de<br />

43


<strong>Menschenrechte</strong><br />

Deutsche <strong>Unternehmen</strong><br />

sind weltweit an Energieprojekten beteiligt,<br />

die menschenrechtliche Probleme aufwerfen.<br />

AGUA ZARCA (HONDURAS)<br />

Voith Hydro, ein Joint Venture von<br />

Voith und Siemens, hat einen<br />

Liefervertrag für Turbinen, Generatoren<br />

und Steuerungsanlagen für ein<br />

Wasserkraftwerk abgeschlossen.<br />

TEHUANTEPEC (MEXIKO)<br />

Für Windparks stellt Siemens u.a.<br />

Umspannwerke und Stromleitungen<br />

bereit.<br />

DRUMMOND<br />

(KOLUMBIEN)<br />

EnBW bezieht Steinkohle<br />

von Drummond.<br />

BARRO BLANCO (PANAMA)<br />

Die DEG finanziert mit 25 Mio. US$<br />

den Staudamm mit.<br />

HIDROSOGAMOSO<br />

(KOLUMBIEN)<br />

Siemens liefert Transformatoren<br />

und eine Schaltanlage. Die<br />

deutsche Niederlassung des<br />

österreichischen <strong>Unternehmen</strong>s<br />

Andritz liefert Turbinen und<br />

erhält dafür eine Exportkreditbürgschaft<br />

vom Bund.<br />

HUARAZ (PERU)<br />

RWE hat als Europas<br />

größter Emittent von<br />

Treibhausgasen<br />

erheblich zum Klimawandel<br />

beigetragen.<br />

Durch den<br />

Temperaturanstieg<br />

droht ein Gletschersee<br />

auszubrechen<br />

und die Stadt zu<br />

überfluten.<br />

VACA MUERTA<br />

(ARGENTINIEN)<br />

Wintershall ist Teil eines<br />

Firmenkonsortiums, das<br />

Erdgas fördert, neuerdings<br />

auch mittels Fracking.<br />

44 Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de


<strong>Menschenrechte</strong><br />

WINDPARK ÇESME (TÜRKEI)<br />

Nordex liefert Turbinen für<br />

Windkraftanlagen.<br />

MEROWE (SUDAN)<br />

Lahmeyer übernahm die<br />

Kontrolle der Inbetriebnahme des<br />

Staudamms, bei dessen Flutung<br />

4.700 Familien ohne vorherige<br />

Umsiedlung vertrieben wurden.<br />

KUSILE & MEDUPI (SÜDAFRIKA)<br />

Die KfW-IPEX Bank ist durch<br />

Exportkredite, der Bund durch<br />

Exportkreditbürgschaften und 19<br />

deutsche <strong>Unternehmen</strong> sind als<br />

Exporteure und Dienstleister am<br />

Bau der Kohlekraftwerke beteiligt.<br />

OLKARIA IV (KENIA)<br />

Die KfW-Entwicklungsbank ist an<br />

der Finanzierung des Geothermiekraftwerks<br />

beteiligt.<br />

Quelle: Misereor<br />

Die Planungen der dargestellten Energieprojekte bezogen die lokale Bevölkerung nicht oder kaum ein.<br />

Auch deshalb kommt es zu vielfältigen, teils interdependenten Menschenrechtsverletzungen durch:<br />

Bedrohung von<br />

Aktivisten von verbaler<br />

Einschüchterung bis<br />

Mord<br />

Zwangsumsiedlung<br />

Umweltschäden:<br />

Zerstörung von Wäldern,<br />

Luft- und / oder Wasser<br />

verschmutzung<br />

Erkrankungen,<br />

verursacht durch<br />

Umweltverschmutzung<br />

Existenzgefährdung<br />

durch Zerstörung der<br />

natürlichen Lebensgrundlagen<br />

(Böden,<br />

Wasser etc.)<br />

45


<strong>Menschenrechte</strong><br />

Zero-hour contracts –<br />

Arbeit auf Abruf<br />

In Großbritannien haben sich sogenannte „Zero-hours“-Verträge etabliert.<br />

Arbeitgeber können mit ihnen Personal einstellen – ohne eine feste<br />

Wochenarbeitszeit und festes Gehalt garantieren zu <strong>müssen</strong>. Gezahlt<br />

wird nur für die Arbeit, die geleistet worden ist. Auch in Deutschland setzt<br />

sich die Praxis der „Arbeit auf Abruf“ immer mehr durch. Sie ist im Teilzeitund<br />

Befristungsgesetz geregelt. Demnach muss die Arbeitszeit mindestens<br />

zehn Stunden in der Woche betragen, der Beschäftigte muss mindestens<br />

drei Stunden am Stück arbeiten und muss vier Tage im Voraus über die Arbeitszeiten<br />

informiert werden. Wie Deutschlandfunk Nova im März 2018<br />

berichtete, geht die Forschung von etwa 1,9 Millionen Menschen aus, die<br />

in Deutschland nach diesem Modell arbeiten. Zum Beispiel in der Gastronomie:<br />

Hier wird in den Sommermonaten bei schönem Wetter kurzfristig mehr<br />

Personal benötigt. Aber auch Einzelhandelsunternehmen wie H&M stellen<br />

immer mehr flexible Stundenkräfte ein.<br />

Saisonarbeit in Deutschland:<br />

Gute Ernte, schlechte Bezahlung<br />

Hierzulande sind ausländische<br />

Arbeitskräfte ein unersetzlicher<br />

Teil des gesellschaftlichen<br />

und ökonomischen<br />

Lebens. Sie pflegen alte Menschen,<br />

arbeiten in Restaurants oder helfen<br />

bei der Erdbeer- und Spargelernte<br />

auf unseren Feldern. Wie ZEIT ON-<br />

LINE berichtet, kommen jedes Jahr<br />

rund 300.000 Saisonkräfte aus dem<br />

Ausland zur Gemüse- und Obsternte<br />

nach Deutschland. Und diese fiel in<br />

2018, anders als beim Getreide, üppig<br />

aus. Obwohl die Landwirtschaft<br />

also auf die Aushilfskräfte angewiesen<br />

ist, gibt es immer wieder Berichte<br />

über schlechte Arbeitsbedingungen<br />

und ausbeuterische Praktiken.<br />

Dazu zählen zum Beispiel lange Arbeitstage,<br />

geringe Bezahlung unterhalb<br />

des gesetzlichen Mindestlohns,<br />

Kündigungen von einem auf den<br />

anderen Tag oder das Einbehalten<br />

von Ausweisen unter dem Vorwand,<br />

dass die Arbeiter diese sonst verlieren<br />

würden. Helfer zu finden, die<br />

unter diesen Umständen arbeiten<br />

wollen, wird immer schwieriger, so<br />

ZEIT ONLINE. Doch auch die Landwirte<br />

stehen vor dem Hintergrund<br />

gleichbleibender Preise für ihre<br />

Ernten und gleichzeitig steigendem<br />

Mindestlohn zunehmend unter<br />

Druck. „Wenn wir den Mindestlohn<br />

bezahlen sollen, bräuchten wir auch<br />

einen Mindestabnahmepreis beim<br />

Handel“, sagt ein Bauer gegenüber<br />

ZEIT ONLINE.<br />

Ausbeutung<br />

von Erntehelfern<br />

in Spanien<br />

Die Ausbeutung und der<br />

Missbrauch von Arbeitern<br />

im Agrarsektor ist nicht nur<br />

hierzulande ein Problem. „Überall<br />

dort, wo Menschen Lebensmittel<br />

für Supermärkte in Deutschland<br />

und anderen Ländern produzieren,<br />

sind Menschenrechtsverletzungen<br />

gang und gäbe“, heißt es<br />

in einer im Juni veröffentlichten<br />

Oxfam-Studie. Besonders prekär<br />

sind die Lebens- und Arbeitsbedingungen<br />

für die zumeist migrantischen,<br />

aus Afrika stammenden<br />

Saisonkräfte in Italien und Spanien.<br />

Deutschland bezieht vor<br />

allem Zitrusfrüchte, Paprika und<br />

Gurken aus den Mittelmeerstaaten.<br />

Wie aus einer aktuellen Studie<br />

von Löning – Human Rights &<br />

Responsible Business hervorgeht,<br />

verdienen die Arbeiter häufig nur<br />

25 Euro am Tag und haben keine<br />

gewerkschaftlichen Rechte. Vor allem<br />

Frauen erfahren öfter sexuelle<br />

Gewalt. Zudem sind die Beschäftigten<br />

oft Pestiziden ausgesetzt, ohne<br />

mit der dafür vorgeschriebenen<br />

Schutzkleidung ausgestattet zu<br />

sein. Durch die hohen Flüchtlingszahlen<br />

steigt der Konkurrenzdruck<br />

unter den Arbeitssuchenden, heißt<br />

es in einem Bericht von DasErste.<br />

de. Das nutzten viele Landwirte<br />

aus. Trotz zahlreicher Verstöße<br />

erhielten die <strong>Unternehmen</strong> jedoch<br />

weiterhin EU-Subventionen in Millionenhöhe.<br />

Mehrere Europapolitiker<br />

forderten deshalb strengere<br />

Kontrollen.<br />

46 Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de


<strong>Menschenrechte</strong><br />

Mehr Schutz für philippinische Hausmädchen in Kuwait<br />

In Kuwait arbeiten laut eines Spiegel Online-Berichts<br />

rund 250.000 Filipinas als Hausangestellte. Die Arbeit<br />

in diesem Sektor birgt große Risiken, wie aus einer<br />

Südwind-Studie hervorgeht. Durch die isolierte Arbeitsstätte<br />

seien die Frauen der Willkür ihrer Arbeitgeber relativ<br />

schutzlos ausgeliefert. Im Fall von Migrantinnen komme<br />

hinzu, dass sie ihre Rechte oft nicht kennen oder aus<br />

Angst vor Abschiebung oder Verlust des Arbeitsplatzes auf<br />

Hilfsangebote verzichten. Das sogenannte Kafala-System<br />

bindet jeden Gastarbeiter an einen einheimischen Arbeitgeber.<br />

Kündigt der Arbeitnehmer, muss er das Land verlassen.<br />

Menschenrechtsorganisationen vergleichen das Kafala-System<br />

mit Sklaverei, heißt es bei Spiegel Online.<br />

„Es gibt Wichtigeres im Leben.<br />

Zum Beispiel Botox“<br />

Instagram-Star Sondos AlqaHan<br />

Nicht alle Einheimischen haben Verständnis für die Nöte<br />

der Hausangestellten. Der in Kuwait aufgewachsene Instagram-Star<br />

Sondos AlqaHan beschwerte sich kürzlich in<br />

einem Video darüber, dass philippinische Dienstmädchen<br />

nach einer Gesetzesänderung künftig mehr Rechte erhalten<br />

sollen. „Ich würde mir kein philippinisches Hausmädchen<br />

mehr holen. Sie würde nur sechs Tage die Woche arbeiten<br />

und bekäme vier Tage im Monat frei“, zitiert Spiegel Online<br />

die 27-Jährige. Sie beendete ihr Video mit den Worten:<br />

„Ich habe jetzt auch genug von dem Thema. Ich will davon<br />

nichts mehr hören, es gibt Wichtigeres im Leben. Zum Beispiel<br />

Botox.“ Die Debatte über die Behandlung der Gastarbeiterinnen<br />

und die anschließende Gesetzesänderung war<br />

durch den Mord an einer philippinischen Hausangestellten<br />

durch ihren Arbeitgeber angestoßen worden.<br />

Weil sie in ihrer Heimat keinen existenzsichernden Job finden,<br />

zieht es tausende junge, gut ausgebildete Frauen ins Ausland.<br />

Die Philippinen etwa sind eines der größten Herkunftsländer<br />

von Arbeitsmigrantinnen. Zu den größten Beförderern<br />

der Arbeitsmigration gehört die philippinische Regierung<br />

selbst, die im Laufe der letzten Jahrzehnte immer abhängiger<br />

von den Heimatüberweisungen geworden ist. Doch anstelle<br />

der erhofften höheren Löhne wartet auf die Frauen im Zielland<br />

oft eine schlecht bezahlte Beschäftigung unterhalb ihrer<br />

Qualifikation. In Kuwait zum Beispiel arbeiten viele Filipinas<br />

als Hausangestellte – oft unter zwangsarbeitsähnlichen Bedingungen.<br />

Über die Hintergründe informierte Südwind 2017<br />

in der Studie „Frauen, Migration und Arbeit. Ohne Rechte keine<br />

Perspektive“.<br />

Grafik: Artsgraphiques.net / stock.adobe.com<br />

Terror-Unterstützung aus Frankreich<br />

Der Fall des Zementkonzerns<br />

Lafarge ließ 2016 die französische<br />

Presse aufhorchen. Der<br />

Vorwurf: Das <strong>Unternehmen</strong> soll mehrere<br />

Millionen Euro gezahlt haben, um in<br />

Syrien trotz Bürgerkrieg weiterproduzieren<br />

zu können – auch an die Terrormiliz<br />

„Islamischer Staat“. Anfang Juli<br />

2018 leiteten drei Pariser Richter ein<br />

Ermittlungsverfahren gegen Lafarge<br />

ein. Medienberichten zufolge belaufen<br />

sich die Vorwürfe unter anderem auf<br />

„Finanzierung von Terrorismus“ und<br />

„Mittäterschaft bei Verbrechen gegen<br />

die Menschlichkeit“. Als sich 2012<br />

die Situation in Syrien verschärfte,<br />

verließen andere französische Firmen<br />

wie Total oder Air Liquide das Land –<br />

Lafarge blieb. Für den ungehinderten<br />

Zugang zu Rohstoffen, Arbeitern und<br />

Ausrüstungen zahlte der Konzern Medienberichten<br />

zufolge rund 5,5 Millionen<br />

Dollar an bewaffnete Islamisten<br />

und Verbündete. Laut der Zeitung „Le<br />

Canard Enchaîné“ gingen davon mehr<br />

als eine halbe Millionen Dollar an den<br />

IS. Die Abmachung funktionierte bis<br />

zur Besetzung des Werkes durch den<br />

IS im September 2014. Erst zwei Jahre<br />

später kam der Skandal durch die<br />

Tageszeitung Le Monde ans Licht. Seitdem<br />

versucht Lafarge sich zu erklären.<br />

Im Rückblick gestand die Firma nach einer<br />

internen Untersuchung „inakzeptable<br />

Praktiken“ ein. Das Ermittlungsverfahren<br />

wird zeigen, ob sich der Konzern<br />

entlasten kann. Den Lafarge-Geschäftsführern<br />

drohen bis zu zehn Jahren Haft;<br />

dem <strong>Unternehmen</strong> die Schließung.<br />

Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de<br />

47


<strong>Menschenrechte</strong><br />

Krank durch Kupfer<br />

Peru ist der zweitgrößte Kupferproduzent<br />

weltweit. Der Abbau<br />

des Rohstoffs ist jedoch mit massiven<br />

Umweltproblemen verbunden.<br />

Ein Beispiel dafür ist die Mine Antapaccay<br />

im Süden Perus. Seit Jahren<br />

klagen die Bewohner der Umgebung<br />

über massive gesundheitliche Probleme.<br />

Studien der Regierung zeigen,<br />

dass die Bevölkerung, die unterhalb<br />

des Rückhaltebeckens für Minenschlämme<br />

lebt, stark erhöhte Konzentrationen<br />

von Schwermetallen im Blut<br />

hat. Das Grundwasser der Region ist<br />

ebenfalls verseucht. „Angesichts der<br />

fallenden Rohstoffpreise hat unsere<br />

Regierung die Umweltgesetze in den<br />

vergangenen Jahren sogar noch weiter<br />

abgeschwächt, um Investoren anzuziehen“,<br />

beklagt Menschenrechtler<br />

und Aktivist Flores Unzaga im Interview<br />

mit der Frankfurter Rundschau.<br />

Seit 2013 ist Antapaccay im Besitz<br />

des Schweizer Rohstoffkonzerns Glencore.<br />

Das <strong>Unternehmen</strong> fördert und<br />

vertreibt Rohstoffe wie Kohle, Kupfer<br />

oder Zink. Mittlerweile gehören die<br />

Schweizer zu den weltweit führenden<br />

Rohstoffhändlern. Ähnlich wie in<br />

Peru ist die Situation im sambischen<br />

Mufulira. Glencore betreibt dort seit<br />

2001 mehrere Untertageminen und<br />

eine Kupferhütte. Laut dem Schweizer<br />

Radio und Fernsehen (SRF) sind<br />

die Schwefeldioxid-Emissionen des<br />

Werks derart hoch, dass sie Atemnot<br />

und Lungeninfektionen verursachen.<br />

In einem Gerichtsprozess 2016 sah<br />

es ein sambisches Zivilgericht sogar<br />

als erwiesen, dass die Abgase der<br />

Kupferfabrik Mopani für den Tod der<br />

sambischen Politikerin Beatrice Mithi<br />

verantwortlich seien. Die Schweizer<br />

kamen glimpflich davon. Das Gericht<br />

verurteilte sie zu einer Entschädigungszahlung<br />

von 40.000 Franken,<br />

also rund 35.400 Euro, sowie zur Übernahme<br />

der Gerichtskosten.<br />

Sklaven auf WM-Baustellen?<br />

Korruptionsvorwürfe, katastrophale Arbeitsbedingungen<br />

und Todesfälle auf Stadionbaustellen: Die schon<br />

seit der Verkündung umstrittene Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaft<br />

2022 an Katar ist für die FIFA zum<br />

Dauerproblem geworden. Wegen der Menschenrechtsverletzungen<br />

im Ausrichterland haben internationale Gewerkschaften<br />

gegen den Weltfußballverband Klage eingereicht.<br />

„Ich hab' nicht einen einzigen Sklaven<br />

in Katar g'sehn! Die laufen alle frei 'rum,<br />

weder in Ketten gefesselt noch mit<br />

irgendeiner Büßerkappe am Kopf.“<br />

Franz Beckenbauer<br />

Kritik am WM-Gastgeber ertönt auch aus den eigenen Reihen.<br />

Der von Fußball-Kaiser Franz Beckenbauer geäußerte<br />

Unmut zielt jedoch in eine ganz andere Richtung. „Er verstehe“,<br />

zitiert n-tv den ehemaligen Fußball-Star im Jahr 2013,<br />

„die Kritiker, die die Turnier-Vergabe angesichts der Temperaturen<br />

im Wüsten-Staat im Sommer für ‚wahnsinnig‘<br />

hielten.“ Zu den Menschenrechtsverstößen hingegen sagte<br />

er in einem Interview: „Ich hab' nicht einen einzigen Sklaven<br />

in Katar g'sehn! Die laufen alle frei 'rum“. Also doch keine<br />

Zwangsarbeit in Katar? Amnesty International dokumentiert<br />

seit Jahren, wie katastrophal die Lebens- und Arbeitsbedingungen<br />

für die meist aus Süd- und Südostasien stammenden<br />

Arbeiter tatsächlich sind. „Ihre Pässe werden einbehalten,<br />

sie bekommen ihr Gehalt verspätet oder gar nicht ausgezahlt,<br />

dürfen ohne Genehmigung weder ihren Arbeitgeber<br />

wechseln noch das Land verlassen. Wenn sie sich wehren,<br />

werden sie bedroht und eingeschüchtert“, heißt es in einer<br />

Pressemitteilung aus dem vergangenen Jahr.<br />

Die FIFA hat inzwischen auf die Vorwürfe reagiert und einen<br />

Menschenrechtsrat eingerichtet, der neue Vergabekriterien<br />

für die WM 2026 erarbeiten soll. Wichtigster Aspekt: Der<br />

Schutz der <strong>Menschenrechte</strong> in den Bewerberländern. Allerdings,<br />

so Menschenrechtsrats-Chefin Rachel Davis, gehe<br />

es nicht darum, „die gesamte Menschenrechts-Performance<br />

eines Landes zu beurteilen. Ziel ist, die Risiken in Verbindung<br />

mit der WM zu erkennen, die dann gemanagt werden<br />

<strong>müssen</strong>.“<br />

48 Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de


<strong>Menschenrechte</strong><br />

Wie viele<br />

Sklaven arbeiten<br />

für Dich?<br />

slaveryfootprint.org<br />

Smartphones, T-Shirts, Krabbencocktails,<br />

Orangensaft – alle diese Produkte<br />

werden entlang einer aufwendigen<br />

Lieferkette gefertigt. Wer hier genau<br />

was macht, ist häufig schwer nachvollziehbar.<br />

Oft genug schauen <strong>Unternehmen</strong><br />

und Konsumenten auch<br />

nicht genau hin, denn die Antworten<br />

können unangenehm sein: beispielsweise,<br />

dass rund 40 Millionen Menschen<br />

weltweit als moderne Sklaven,<br />

vor allem in rohstoffintensiven Bereichen,<br />

arbeiten <strong>müssen</strong>. Die Internetseite<br />

der NGO „Slavery Footprint“ sensibilisiert,<br />

indem Verbraucher ihren<br />

persönlichen „Sklaven-Fußabdruck“<br />

feststellen können.<br />

Smartphones oder T-Shirts sieht man<br />

nicht an, unter welchen Menschenrechtsbedingungen<br />

diese hergestellt<br />

wurden. Deshalb hat das Team von<br />

Slavery Footprint die Lieferketten von<br />

mehr als 400 Produkten unter genau<br />

diesem Aspekt untersucht. Auf der<br />

Grundlage dieser Daten entwickelte<br />

Slavery Footprint einen „spielerischen“<br />

Onlinetest. Abgefragt werden<br />

Nahrungsgewohnheiten, verwendete<br />

Kosmetika, Besitz von Edelmetallen<br />

und -steinen, der Besitz von elektronischen<br />

Geräten, die Anzahl von Kleidungsstücken<br />

sowie Sportaktivitäten.<br />

Anhand dieser Daten wird die Anzahl<br />

von Sklaven angezeigt, die sehr wahrscheinlich<br />

für die Rohstoffgewinnung<br />

zur Arbeit gezwungen wurden. Innerhalb<br />

der UmweltDialog-Redaktion<br />

ergab der Selbsttest dabei Werte zwischen<br />

30 bis 60 Sklaven.<br />

Die verstörenden Zahlen zeigen, dass<br />

sich zum Beispiel neue Baumwolltextilien<br />

im Kleiderschrank, mehr elektronische<br />

Geräte im Haushalt sowie<br />

häufiger Genuss von Meeres- oder Zitrusfrüchten<br />

in einem höheren Anteil<br />

von Sklavenarbeit niederschlagen.<br />

Denn hergestellt werden diese Produkte<br />

unter anderem durch die Ausbeutung<br />

von Menschen in illegalen Minen<br />

im Kongo, in thailändischen Krabbenfarmen<br />

oder afrikanischen Baumwollfeldern.<br />

Laut der Internationalen Arbeitsorganisation<br />

ILO leben mehr als<br />

40 Millionen Menschen weltweit als<br />

Sklaven. Rund 25 Millionen davon befinden<br />

sich in Zwangsarbeit und werden<br />

durch Drohungen oder Nötigung<br />

zur Arbeit gezwungen – etwa in Haushalten,<br />

auf Baustellen oder Farmen und<br />

in Fischereien. Viele von ihnen werden<br />

zusätzlich sexuell missbraucht.<br />

Produkte einer freien Welt<br />

Die Idee zum Slavery Footprint hatte<br />

Justin Dillon. 2008 drehte er die Dokumentation<br />

„Call + Response“, über die<br />

Themen Sklaverei und Menschenhandel.<br />

Die erschreckende Erkenntnis für<br />

Dillon war, dass wir heute mehr Sklaven<br />

haben als jemals zuvor in der Weltgeschichte.<br />

Über den Film wurde das<br />

US-amerikanische Außenministerium<br />

auf ihn aufmerksam und beauftragte<br />

ihn, eine Methode zu entwickeln, mit<br />

der jeder Einzelne seinen Beitrag zur<br />

modernen Sklavenarbeit nachvollziehen<br />

kann. 2011 gründete Dillon<br />

schließlich die NGO Slavery Footprint.<br />

Das Tool setzt vor allem auf Transparenz<br />

und Aufklärung. <strong>Unternehmen</strong><br />

sollen sich ihrer Verantwortung<br />

entlang ihrer gesamten Lieferkette<br />

bewusst werden und Missstände abstellen.<br />

Zudem werden Konsumenten<br />

immer kritischer und hinterfragen<br />

die Herkunft vieler Produkte. Hier<br />

setzt Justin Dillon mit einer weiteren<br />

Idee an, seinem <strong>Unternehmen</strong><br />

„Made in a Free World“. Neben der<br />

Information von Konsumenten und<br />

Unternehmern hilft „Made in a Free<br />

World“ Menschen, der Sklaverei zu<br />

entkommen und unterstützt <strong>Unternehmen</strong>,<br />

ein transparentes Lieferkettenmanagement<br />

zu entwickeln sowie<br />

mögliche Risiken zu entdecken. „Wir<br />

arbeiten mit den <strong>Unternehmen</strong> daran,<br />

Sklaverei bei den Produkten, die<br />

wir so lieben, abzuschaffen“, heißt es<br />

dazu auf der Homepage von Slavery<br />

Footprint. f<br />

Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de<br />

49


<strong>Menschenrechte</strong><br />

Advertorial<br />

O Tannenbaum,<br />

O Tannenbaum,<br />

wie fair sind<br />

deine Zapfen!<br />

Fotos: toom<br />

Für toom ein Grund zu handeln: In Georgien werden die<br />

Samen für die Nordmanntannen teils unter gefährlichen<br />

Bedingungen geerntet. Dabei klettern Erntehelfer<br />

ungesichert bis in die Tannenspitzen.<br />

Es duftet nach heißem Kakao und Zimt, Lichterketten<br />

beleuchten die Straßen und im Kamin lodert ein wärmendes<br />

Feuer. Weihnachten bedeutet für die meisten<br />

von uns eine besinnliche Zeit mit Familie und Freunden.<br />

Ein schön geschmückter Weihnachtsbaum gehört für gewöhnlich<br />

dazu. Am beliebtesten ist die Nordmanntanne.<br />

Was viele aber nicht wissen, ist, dass die Zapfen zur Zucht<br />

der Tanne unter teils gefährlichen Bedingungen in Georgien<br />

gepflückt werden. toom arbeitet mit der Stiftung „Fair<br />

Trees“ zusammen, um das zu ändern.<br />

Die letzten Tage vor dem Fest sind für viele besonders<br />

stressig: Schnell noch letzte Geschenke und alles für das<br />

Festtagsmenü kaufen – und ein festlicher Baum muss auch<br />

noch her. Für die Weihnachtsbaumverkäufer sind die Tage<br />

vor dem Fest ein gutes Geschäft: Fast 30 Millionen Weihnachtsbäume<br />

werden jedes Jahr in Deutschland verkauft.<br />

Das entspricht einem Gesamtumsatz von knapp 700 Millionen<br />

Euro. Michail Murusidse aus Georgien hat davon nicht<br />

viel. Damit wir es uns in unseren Wohnzimmern mit Weihnachtsbaum<br />

gemütlich machen können, lebt er für ein paar<br />

Wochen in einem einfachen Zelt im georgischen Wald. Wie<br />

viele andere pflückt Murusidse dort die Zapfen, die hierzulande<br />

zu den beliebten Nordmanntannen heranwachsen.<br />

Und das zu niedrigem Lohn und unter dem Einsatz der eigenen<br />

Gesundheit.<br />

Gefährliche Ernte der Zapfen<br />

Etwa 80 Prozent des Saatguts der Nordmanntannen aus<br />

deutscher und dänischer Aufzucht stammen aus der georgischen<br />

Region Racha. Das hat seine Gründe, wie die<br />

Schutzgemeinschaft Deutscher Wald erklärt: „Die Herkünfte<br />

aus Georgien zeichnen sich durch ein besonders schönes<br />

Wuchsbild aus sowie durch einen späten Austrieb, was das<br />

Frostrisiko vermindert.“<br />

Zwei bis vier Wochen im September ernten die Pflücker die<br />

begehrten Zapfen, in denen die Samen enthalten sind, von<br />

den Bäumen. Die Arbeit ist hart und vor allem gefährlich:<br />

Weil die hochwertigsten Zapfen ganz oben in den bis zu 30<br />

Meter hohen Baumwipfeln wachsen, <strong>müssen</strong> die meist ungelernten<br />

Arbeiter bis in die Spitzen klettern. Dabei tragen<br />

sie aber oft weder Schutzkleidung, noch benutzen sie eine<br />

Kletterausrüstung. Mitunter springen die Pflücker sogar<br />

von Baum zu Baum, um den Ab- und Aufstieg zu vermeiden.<br />

Dadurch kommt es nicht selten zu schweren Unfällen und<br />

Abstürzen. Wie viele Unfälle sich jedes Jahr ereignen, weiß<br />

niemand. Belastbare Zahlen gibt es nicht. Sicher ist dagegen,<br />

dass die Opfer meist nicht versichert sind. Zudem sind<br />

die Gehälter sehr gering. Aufgrund der in der Region herrschenden<br />

Armut sind viele trotzdem darauf angewiesen:<br />

„Es ist eine sehr, sehr schwere Arbeit. Aber ich habe vier<br />

50 Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de


<strong>Menschenrechte</strong><br />

Kinder und keine andere Wahl“, sagt<br />

Zapfenpflücker Michail Murusidse<br />

gegenüber der Märkischen Allgemeine,<br />

der sonst eigentlich als Bäcker<br />

arbeitet: „Selbst wenn ich nur 40 Cent<br />

für ein Kilogramm bekomme, ist es<br />

ein stabiles Einkommen.“<br />

Faire Weihnachten mit toom<br />

Weil toom für die Arbeiter faire Bedingungen<br />

und vor allem mehr Sicherheit<br />

schaffen möchte, arbeitet die<br />

Baumarktkette mit der dänischen Organisation<br />

Fair Trees zusammen. Um<br />

einen Eindruck von den Verhältnissen<br />

vor Ort zu gewinnen, hat toom im<br />

Jahr 2017 die Stiftung nach Georgien<br />

begleitet. Daraus entwickelte sich ein<br />

Maßnahmenkatalog, der den Zapfenpflückern<br />

und deren Familien helfen<br />

soll: „Die Idee hinter Fair Trees ist, die<br />

konventionelle Christbaumproduktion<br />

in eine nachhaltige, ethisch vertretbare<br />

Richtung zu bringen. Wir wollen das<br />

Alltagsleben der vielen Menschen verbessern,<br />

die entlang der Wertschöpfungskette<br />

eines Christbaums beschäftigt<br />

sind“, erläutert Marianne Bols,<br />

Gründerin und Vorstandsmitglied der<br />

Stiftung „Fair Trees Fund“, im Interview<br />

mit der Plattform Biorama. Jeder<br />

ihrer Zapfenpflücker absolviert im<br />

Vorfeld der Ernte ein fünftägiges Klettertraining<br />

und muss im Anschluss<br />

eine Prüfung ablegen. Außerdem erhalten<br />

die Arbeiter eine professionelle<br />

Kletterausrüstung und sind während<br />

der Erntezeit unfallversichert. Sollte<br />

es doch zu Unfällen kommen, sorgen<br />

extra eingerichtete Rettungsrouten<br />

dafür, dass schnell geholfen werden<br />

kann. Im Erste-Hilfe-Kurs des Roten<br />

Kreuzes erlernen die Erntehelfer zudem<br />

bereits das Verhalten bei Unfällen.<br />

Faire Löhne und eine ganzjährige<br />

Krankenversicherung für die gesamte<br />

Familie gehören ebenfalls zum Programm<br />

von Fair Trees. Zusätzlich können<br />

auch die Familienangehörigen an<br />

einem Erste-Hilfe-Kurs zum Thema<br />

„Child Care“ teilnehmen.<br />

Bessere Gesundheit und Bildung<br />

Wie wird das finanziert? Für jeden gekauften<br />

Fair Trees-Baum unterstützt<br />

toom die Stiftung bei der Umsetzung<br />

sozialer Projekte in der Region Racha.<br />

So ist unter anderem eine Zahnarztpraxis<br />

für Kinder entstanden, die in<br />

einer Grundschule eingerichtet wurde.<br />

Fair Trees stattet die Schulen zudem<br />

mit Computern und Sportgeräten<br />

aus. Außerdem vergibt die Stiftung<br />

Stipendien an Kinder und Jugendliche.<br />

„Indem wir Fair Trees unterstützen,<br />

verbessern wir nicht nur die Arbeitsbedingungen<br />

der Erntehelfer sondern<br />

fördern auch die Bildungschancen der<br />

Kinder und Jugendlichen und leisten<br />

einen Beitrag zur wirtschaftlichen und<br />

sozialen Entwicklung der Region“,<br />

toom setzt sich in Zusammenarbeit<br />

mit Fair Trees dafür ein, dass die<br />

Erntehelfer gesichert und versichert<br />

sind.<br />

heißt es von Kai Battenberg, Fachbereichsleiter<br />

Nachhaltigkeit Ware bei<br />

toom.<br />

Alle Nordmanntannen, die der Baumarkt<br />

verkauft, tragen sowohl das<br />

Fair Trees-Etikett als auch das PRO<br />

PLANET-Label, welches nachhaltigere<br />

Produkte bei toom auszeichnet. Da<br />

die Samen einige Jahre benötigen, um<br />

zu einem Weihnachtsbaum heranzuwachsen,<br />

pflanzt toom ab diesem Jahr<br />

für jede verkaufte Nordmanntanne<br />

aus herkömmlicher Anzucht einen<br />

Weihnachtsbaum aus fairer Ernte<br />

nach. Auch von prominenter Seite erhält<br />

das Engagement Unterstützung:<br />

„Ich bin hingerissen, dass Fair Trees<br />

die armen Zapfenpflücker in Georgien<br />

erreicht hat. Es ist ein wunderbares<br />

Projekt, das das Leben vieler Menschen<br />

in abgelegenen Gegenden Georgiens<br />

verbessert – dem Land, in dem ich<br />

geboren wurde“, schwärmt etwa die<br />

Sängerin Katie Melua gegenüber dem<br />

Blog Veganettes. f<br />

Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de<br />

51


Fotos: Michael Enger<br />

<strong>Menschenrechte</strong><br />

Deutscher Kaffeekonzern in Uganda<br />

Bauern<br />

vertrieben,<br />

Plantage<br />

läuft<br />

Die Dorfbewohner dachten, es sei „Krieg“, als sie 2001 aus ihren Häusern vertrieben wurden.<br />

Ugandas Regierung hatte das Land zuvor an einen Hamburger Kaffeekonzern für dessen<br />

Plantage verpachtet. Ein Fall von Landgrabbing mit Opfern und Profiten.<br />

Aus Uganda berichtet Michael Enger<br />

Auch nach Jahren ist der Kleinbauer Aminadabu aus Uganda<br />

noch immer darüber aufgebracht, dass er mit seiner Familie<br />

von seinem Land vertrieben wurde. Er sitzt auf einer<br />

wackeligen Holzbank vor seiner Hütte und erinnert sich an<br />

die schrecklichen Ereignisse.<br />

„Wir sahen, wie Soldaten kamen. Mit Gewehrkolben schlugen<br />

sie auf uns ein und zerstörten unsere Häuser. Wir<br />

wussten nicht, wer sie waren. Später erfuhren wir, dass es<br />

um einen Weißen aus Deutschland ging. Man hat unsere<br />

Häuser für seine Kaffeeplantage zerstört.“<br />

Diesen „Weißen“ macht Kleinbauer Aminadabu mitverantwortlich<br />

für die Ereignisse. Der residiert in Hamburg, ist<br />

Herr über ein Imperium, das Geschäfte mit Kaffee macht.<br />

Gemeint ist Michael R. Neumann, weltweit führender Rohkaffee-Importeur.<br />

Kleinbauer Aminadabu hat um sich herum auf dem Boden<br />

seine fünf Kinder versammelt. Neben ihm auf der<br />

Bank sitzt seine Frau Vanisi. Sie trägt ihr Sonntagskleid in<br />

leuchtendem Blau.<br />

„Ich dachte zunächst, es sei Krieg, als wir fliehen mussten.<br />

Danach war es sehr schwierig, die Familie zu ernähren.<br />

Wir hatten nicht genug zu essen, nicht einmal Decken, um<br />

uns nachts zuzudecken. Deshalb starb eines meiner Kinder<br />

– es war erst sieben.“<br />

Einer der ersten, gut dokumentierten Fälle von<br />

Landgrabbing<br />

Die Familie von Aminadabu hatte früher ihr Auskommen<br />

und einen bescheidenen Wohlstand – bis zu jenem 18. August<br />

2001, als die Soldaten sie von ihrem Land vertrieben,<br />

wie viele andere in Mubende, in Zentral-Uganda. Insgesamt<br />

waren es 4.000 Menschen in vier Dörfern. Sie soll-<br />

52 Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de


<strong>Menschenrechte</strong><br />

Anna Nandyose Katende<br />

ten Platz schaffen für die neue Plantage<br />

der Neumann Kaffee Gruppe aus<br />

Hamburg.<br />

Nach der Vertreibung kümmerten<br />

sich Menschenrechtsorganisationen<br />

um die Opfer. Gertrud Falk unterstützt<br />

sie schon seit 2003, fliegt regelmäßig<br />

nach Uganda und arbeitet für<br />

FIAN, das FoodFirst Informations- und<br />

Aktions-Netzwerk, das für das Menschenrecht<br />

auf Nahrung eintritt.<br />

„Dieser Fall der Kaweri-Plantage ist<br />

einer der ersten, gut dokumentierten<br />

Fälle von Landgrabbing. Landgrabbing<br />

ist ja leider ein Phänomen, was<br />

heute ganz gravierend ist. Das heißt,<br />

multinational aufgestellte <strong>Unternehmen</strong><br />

und auch Regierungen nehmen<br />

Bevölkerungen in Entwicklungsländern<br />

das Land weg, um für den Export<br />

zu produzieren. Die Bevölkerung vor<br />

Ort leidet darunter, sie haben keine<br />

ausreichende Alternative, sich mehr<br />

zu ernähren.“<br />

Im konkreten Fall hier in Uganda<br />

begann alles im Jahr 2000. Die „Neumann<br />

Kaffee Gruppe“ suchte Land<br />

für eine neue Plantage. Im Distrikt<br />

Mubende fand man ein 2.500 Hektar<br />

großes Areal, das die staatliche „Uganda<br />

Investment Authority“ für 99 Jahre<br />

an Neumann verpachtete, damit die<br />

Firma dort ihre „Kaweri Coffee Plantation“<br />

errichten konnte. Aber das Land<br />

war besiedelt.<br />

„Bevor die Plantage 2001 angelegt<br />

wurde, wurden zwei Monate vorher<br />

die Menschen aufgefordert, das Land<br />

zu verlassen. Es wurden ihnen Entschädigung<br />

zugesagt, Umsiedlung<br />

zugesagt, doch das ist alles nicht eingetreten.<br />

Da die Menschen überhaupt<br />

nicht wussten, wohin sie gehen sollten,<br />

sind sie zuhause geblieben. Und<br />

dann kam die ugandische Armee und<br />

hat die Leute gewaltsam vertrieben.“<br />

Weitere Land-Vertreibungen in<br />

Uganda<br />

Mubende sei nicht der einzige Fall von<br />

Landgrabbing in Uganda, ergänzt Gertrud<br />

Falk und verweist auf weitere Fälle.<br />

Oft gehe es um Landkonflikte beim<br />

Abbau von Bodenschätzen – wie in<br />

West-Uganda durch Ölförderung oder<br />

durch Minenaktivitäten im Nord-Osten,<br />

in Karamoja. Dort hatte die Regierung<br />

großzügig Konzessionen für die<br />

Ausbeute von Edelmetallen an ausländische<br />

Investoren vergeben. Wie<br />

Human Rights Watch berichtete, versprach<br />

man der lokalen Bevölkerung<br />

zuvor zwar Wohlstand, tatsächlich<br />

aber wurden viele Kleinbauern von<br />

ihrem Land vertrieben.<br />

Oxfam berichtete, dass zwischen 2006<br />

und 2010 in den Provinzen Kiboga<br />

und Mubende über 22.500 Menschen<br />

mit Gewalt von Soldaten und Mitarbeitern<br />

des britischen Holzunternehmens<br />

New Forests Company verjagt,<br />

ihr Vieh getötet und Häuser zerstört<br />

worden seien, um dort Nadel- und Eukalyptusbäume<br />

zu pflanzen. Die Vertriebenen<br />

hätten dort seit Jahrzehnten<br />

gelebt und keine Entschädigung bekommen.<br />

3.500 Tonnen Kaffee liefert die<br />

größte Plantage des Landes<br />

Zurück zur Kaweri-Plantage in Mubende.<br />

Hier wird Robusta-Kaffee angebaut,<br />

also Kaffee, der auch nach<br />

Europa kommt. Die Neumann Kaffee<br />

Gruppe beliefert fast alle deutschen<br />

Marken. Die Firma hat als führender<br />

Rohkaffee-Importeur einen Anteil von<br />

zehn Prozent am Welthandel. Ein Konzern<br />

mit Stammsitz in der Hamburger<br />

„Dieser Fall<br />

der Kaweri-<br />

Plantage ist<br />

einer der<br />

ersten, gut<br />

dokumentierten<br />

Fälle von<br />

Landgrabbing.“<br />

Hafencity, 47 Tochterfirmen in 28 Ländern,<br />

Umsatz 2,7 Milliarden US-Dollar<br />

im Jahr 2014. Dazu trägt auch die Kaweri-Plantage<br />

hier in Uganda bei.<br />

Ihren Aufbau hat Hans Fässler von<br />

Anfang an begleitet. Der Schweizer ist<br />

ihr Manager und begutachtet gerade<br />

mit Arbeitern die Blätter einiger Kaffeebäumchen.<br />

Dunkelbrauner Cowboy-Hut,<br />

olivgrünes Hemd, Jeans.<br />

Im Jahr 2011 stellt er sich den Fragen,<br />

danach wollen Sprecher des Konzerns<br />

keine Interviews mehr geben. Bei aktuellen<br />

Anfragen heißt es in der Firmenzentrale<br />

in Hamburg nur, man<br />

wolle sich zur Plantage nur schriftlich<br />

äußern.<br />

„Ich selber kam hierher mit dem damaligen<br />

Besitzer, und wir haben das<br />

Land besichtigt. Da hat es eine Straße<br />

gegeben, die durch dieses Land<br />

geführt hat. Man hat gesehen, es hat<br />

Settlements, es hat Felder gehabt, verstreut<br />

auf diesem Land. Wir wussten,<br />

dass Leute da sind. Das ist kein Geheimnis.<br />

Der Besitzer hat uns damals<br />

versichert, dass diese Leute eben genau<br />

wissen, dass sie auf seinem Land<br />

sind.“<br />

>><br />

Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de<br />

53


<strong>Menschenrechte</strong><br />

3.500 Tonnen Kaffee werden jedes<br />

Jahr auf der Kaweri-Plantage geerntet,<br />

der modernsten und größten Kaffeeplantage<br />

in Uganda. Es sei eine<br />

„Modellfarm“, so der Konzern, die<br />

man auf dem freigeräumten Areal errichten<br />

konnte.<br />

Aber rein rechtlich hätte keine der<br />

Familien dort vertrieben werden dürfen.<br />

Denn freies Land kann in Uganda<br />

von mittellosen Kleinbauern besiedelt<br />

und bewirtschaftet werden. Der<br />

ugandische Land Act gewährt jedem,<br />

der mehr als zwölf Jahre darauf lebt,<br />

ein Gewohnheitsrecht. Die meisten<br />

der Vertriebenen lebten schon länger<br />

dort, einige sogar seit Generationen<br />

– so auch die Familie von Betty Ingabire.<br />

Das Dorf der Vertriebenen neben<br />

der Plantage<br />

Neben ihrer Hütte bereitet Betty das<br />

Essen für die Familie vor – eine einfache<br />

Feuerstelle aus Steinen, darüber<br />

zum Schutz eine Plastikplane gegen<br />

Regen. Betty rührt in einem großen<br />

Topf, kocht einen Brei aus Maismehl<br />

und Wasser – das Essen der Armen.<br />

Die Vertreibung wurde für die damals<br />

noch junge Betty zum Trauma.<br />

„Als die Soldaten uns das Vieh nehmen<br />

wollten, flehte unsere Mutter,<br />

‚Lasst uns doch wenigstens eine<br />

Kuh‘. Aber stattdessen schlugen sie<br />

meine Mutter und rissen mit einem<br />

Bulldozer unser Haus ein. Als wir<br />

unseren Vater aus dem Haus retten<br />

wollten, trafen ihn Steine. Er starb<br />

nach drei Tagen. Meine Mutter war<br />

durch Schläge auf die Nieren verletzt<br />

worden. Auch sie starb, zwei Monate<br />

später. Wir sechs Kinder waren nun<br />

Waisen, lebten unter Bäumen und<br />

hatten nichts zu essen. Der Hunger<br />

quälte uns so sehr, dass auch die beiden<br />

Kleinsten von uns starben.“<br />

Obwohl Betty durch die Kaffeeplantage<br />

alles verloren hat, arbeitet sie<br />

heute dort als Tagelöhnerin. Die Not<br />

zwinge sie dazu, sagt sie. Hier gäbe es<br />

sonst keine Arbeit. Betty lebt in Kyengeza,<br />

dem Dorf der Vertriebenen.<br />

Es entstand nach der Vertreibung unmittelbar<br />

neben der Plantage.<br />

Nicht weit entfernt lebt auch Anna<br />

Nandyose Katende. Sie ist 85, eine<br />

stolze alte Dame mit kurz geschnittenen,<br />

weißen Haaren. Anna gehörte zu<br />

den Bessergestellten im Dorf, hatte<br />

42 Hektar Land mit großen Plantagen,<br />

sechs Häuser und mehr als 100<br />

Tiere.<br />

„Sie haben den Stall angezündet, in<br />

dem meine Ziegen waren. Alle Ziegen<br />

sind darin verbrannt. Was für ein<br />

Unglück! Ich muss weinen, wenn ich<br />

daran denke. Als sie mich vertrieben<br />

hatten, musste ich hier unter den<br />

Bäumen leben. Ich hatte nichts mehr.<br />

Die Soldaten kreisten ständig um uns<br />

herum. Fünf Tage lang haben sie hier<br />

patrouilliert.“<br />

Anna sitzt aufrecht auf einer Bastmatte<br />

und nimmt Dokumente zur<br />

Hand, die sie vor sich ausgebreitet<br />

hat. Einige sind schon ein wenig zerfleddert,<br />

andere zum Schutz in Folie<br />

eingeschweißt. Anna gehört zu denjenigen,<br />

die laut ihren Unterlagen<br />

rechtmäßige Besitzer des Landes<br />

sind, von dem sie vertrieben wurden.<br />

„Das Land gehört mir. Ich habe es<br />

von meinem Vater bekommen. Diese<br />

Papiere beweisen, dass mein Vater<br />

das Land gekauft hat. Damals lebte er<br />

noch. Im Jahr 1964 hat er hier unterschrieben.“<br />

Kaffeekonzern spricht von<br />

Entschädigungen<br />

Laut Manager Hans Fässler hat man<br />

im <strong>Unternehmen</strong> nicht so recht mitbekommen,<br />

was sich im August 2001<br />

auf ihrem zukünftigen Plantagengelände<br />

abspielte.<br />

„Das ist sicher, dass hier Druck gemacht<br />

wurde, dass die Armee, die<br />

ja selber auf dem Land präsent war,<br />

dass die eingeschritten sind, das halt<br />

ich für möglich.“<br />

Er hält es für „möglich“? Angesichts<br />

des Ausmaßes der Vertreibung mehrerer<br />

tausend Menschen verwundert<br />

die Sicht des Managers. Man habe<br />

verlangt, dass das Land frei sei von<br />

Rechten Dritter und dass die Familien<br />

entschädigt würden, ergänzt der<br />

Manager. Dorfvorsteher Patrick Sebwato<br />

widerspricht. Auch wenn das<br />

<strong>Unternehmen</strong> immer behaupten würde,<br />

die Vertriebenen hätten eine Entschädigung<br />

erhalten – dies sei nicht<br />

geschehen.<br />

Patrick Sebwato arbeitet in Gummistiefeln<br />

auf seinem Feld, das er bald<br />

bestellen möchte. Er reißt das dichte<br />

Gestrüpp aus der Erde und lockert<br />

den Boden mit einer langstieligen Hacke.<br />

Er erinnert sich noch gut daran,<br />

dass 2001 weiße Männer ins Dorf kamen<br />

und er in die Verwaltung gerufen<br />

wurde.<br />

„Ich ging in meiner Funktion als<br />

Dorfvorsteher dahin. Sie sagten, man<br />

wolle dem Dorf Fortschritt bringen<br />

und uns für unser Land und unseren<br />

Besitz voll entschädigen. Wir würden<br />

woanders gleichwertiges Land erhalten.<br />

Sie würden dort neue Häuser<br />

bauen, gute Straßen, Krankenhäuser<br />

und Wasserstellen. Man wolle alle<br />

54 Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de


<strong>Menschenrechte</strong><br />

Anna Nandyose Katende auf der<br />

Versammlung der Vertriebenen<br />

Voraussetzungen schaffen, damit jeder sich wie im ,gelobten<br />

Land‘ fühle. Aber – so wahr ich hier sitze – die Versprechungen<br />

wurden nie eingehalten.“<br />

Anwalt widerspricht Konzern und erhebt schwere<br />

Vorwürfe<br />

Joseph Balikuddembe hat als Anwalt jahrelang für die Rechte<br />

der Vertriebenen gestritten. Ende 2017 ist er verstorben. Im<br />

Jahr zuvor hatte auch er in seinem Büro in der ugandischen<br />

Hauptstadt Kampala den Beteuerungen der Neumann Kaffee<br />

Gruppe widersprochen, die Vertriebenen seien entschädigt<br />

worden und hätten neues Land erhalten. Im Interview bestritt<br />

er die Rechtmäßigkeit der vorgelegten Bestätigungen.<br />

„Diese Bestätigungen, die die Leute unterzeichnet haben,<br />

wurden mit Waffengewalt erzwungen. Der Assistent des<br />

Regierungspräsidenten ging durch die Dörfer, eskortiert<br />

von Soldaten. Man zwang die Leute zu unterschreiben, sie<br />

hätten irgendwo Land erhalten und sie seien entschädigt<br />

worden.“<br />

Anwalt Balikuddembe widersprach auch der Darstellung<br />

des <strong>Unternehmen</strong>s, man habe erst zwei Monate später von<br />

der Vertreibung erfahren. Denn bei den Treffen mit den<br />

Kleinbauern seien zwei Neumann-Manager dabei gewesen<br />

– auch beim letzten, am Vorabend der Vertreibung. Eine<br />

Anwesenheitsliste würde das belegen.<br />

„Die beiden Deutschen waren dabei, als der Regierungsvertreter<br />

den Siedlern das Ultimatum stellte, bis acht Uhr am<br />

nächsten Morgen das Land zu verlassen. Die Leute wussten<br />

nicht, wohin sie sollten und gingen nach Hause. Am nächsten<br />

Tag kamen die Soldaten und vertrieben sie. Ich betone:<br />

Die Deutschen waren bei dem Treffen anwesend, als das<br />

Ultimatum gestellt wurde.“<br />

Der Anwalt erhob weitere schwere Vorwürfe. Nicht nur die<br />

Armee habe die Zerstörung zu verantworten, sondern auch<br />

Angestellte der Plantage seien dabei aktiv gewesen.<br />

„Unmittelbar nach der offiziellen Eröffnung<br />

begannen Arbeiter der Kaweri-Kaffeeplantage<br />

damit, die Ernte,<br />

Kaffeebäume, Bananenpflanzen und<br />

alles Andere abzuholzen, um den Boden<br />

zu säubern – damit sie ihren Kaffee<br />

anpflanzen konnten. Wir haben<br />

sie verklagt, weil sie daran beteiligt<br />

waren, meine Mandanten zu vertreiben und ihren Besitz<br />

zu zerstören.“<br />

Der Gerichtsprozess läuft seit 16 Jahren<br />

Ihre Klage reichten die Vertriebenen 2002 ein – gegen den<br />

ugandischen Staat, den früheren Landbesitzer und die Neumann<br />

Kaffee Gruppe. Aber der Prozess wurde über Jahre<br />

verschleppt und dauert bis heute an. 2013 fällte der High<br />

Court zwar ein Urteil zu Gunsten der Vertriebenen, das<br />

wurde aber 2015 vom Berufungsgericht wieder aufgehoben.<br />

Seitdem wird erneut vor dem High Court verhandelt.<br />

Auf den Fall Mubende sind mittlerweile auch die Vereinigten<br />

Nationen aufmerksam geworden. Sie forderten 2015<br />

die ugandische Regierung auf, die Rechte der Vertriebenen<br />

wieder herzustellen.<br />

Möglicherweise gibt es Schritte in diese Richtung. Zumindest<br />

schöpfen die Vertriebenen nach 17 Jahren nun ein<br />

wenig neue Hoffnung. Eine staatliche Kommission wurde<br />

im vergangenen Jahr in Uganda eingesetzt, die auch Fälle<br />

von Landgrabbing untersuchen soll. Die 85-jährige Anna<br />

möchte es noch erleben, mit ihren Kindern wieder auf dem<br />

eigenen Land zu wohnen.<br />

„Sie sollen mir mein Land zurückgeben. Das ist das Einzige,<br />

was ich will. Sie sollen mir mein Land zurückgeben und<br />

mich für alles entschädigen, was ich erleiden musste. Sie<br />

haben mir meinen inneren Frieden genommen. Ich habe<br />

keinen Frieden mehr.“ f<br />

Nützliche Adresse:<br />

FIAN Deutschland e.V.<br />

FoodFirst Informations- & Aktions-Netzwerk<br />

Briedeler Straße 13 • 50969 Köln • www.fian.de<br />

Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de<br />

55


<strong>Menschenrechte</strong><br />

Wo Unrecht zu Recht wird<br />

Jede Revolution hat Persönlichkeiten, die ihre Ideale tragen. Der Umweltaktivismus bildet da<br />

keine Ausnahme. Es sind die Geschichten hinter diesen Menschen, die uns die edlen Ziele ihrer<br />

Bewegungen greif- und erfahrbar machen. UmweltDialog verfolgt zwei dieser Geschichten zu<br />

ihrem Ursprung zurück.<br />

Hintergrundfoto: Andrey Armyagov / stock.adobe.com, Foto: IPE / Goldman Environmental Prize / www.goldmanprize.org<br />

Der Träumer – Ma Jun<br />

In den 1970er Jahren konnte man<br />

in Peking noch in den Stadtkanälen<br />

schwimmen und fischen. Ein kleiner<br />

Junge namens Ma Jun verbrachte<br />

ganze Sommer damit. Hielt er sich<br />

doch mal zu Hause auf, schmökerte<br />

er in Büchern, die Bilder von Flüssen,<br />

Bergen und Landschaften in seinem<br />

Kopf entstehen ließen, heißt es in<br />

seiner Biografie. Nicht ahnend, dass<br />

das Land, so, wie es da beschrieben<br />

stand, bereits aufhörte zu existieren.<br />

Verblasst und vergilbt unter<br />

Rauchschwaden; die wenigen Farben<br />

nurmehr ölige Reflektionen in<br />

Gewässern, die ihre Reinheit längst<br />

verloren hatten.<br />

Seit Mao Zedongs Politik des „großen<br />

Sprungs nach vorn“ Mitte des 20.<br />

Jahrhunderts verschluckt das Streben<br />

nach Wirtschaftswachstum jegliche<br />

ökologische Bedenken in der Volksrepublik<br />

China. Der rasante Aufstieg<br />

zur ökonomischen Weltmacht raubt<br />

den Chinesen sprichwörtlich die Luft<br />

zum Atmen. Chemie- und Schwerindustrie<br />

vergiften Luft und Wasser mit<br />

ihren Abfällen. Die verschmutzten<br />

Gewässer des Landes verwandeln<br />

idyllische Siedlungen in „Krebsdörfer“,<br />

mit auffallend vielen Krebserkrankten<br />

und Todesfällen.<br />

Doch die Bilder aus den Büchern blieben<br />

im Kopf des jungen Ma haften<br />

und weckten in ihm den Wunsch, die<br />

Natur zu schützen und über die Umweltverschmutzung<br />

aufzuklären.<br />

Heute ist Ma Jun Chinas bekanntester<br />

und einflussreichster Umweltaktivist.<br />

In Pekings Stadtkanälen fischt<br />

und schwimmt er allerdings schon<br />

lange nicht mehr.<br />

Aktiv nach klaren Spielregeln<br />

Wie engagiert man sich in einem autokratischen<br />

System, dessen starre<br />

Fünf-Jahres-Pläne wenig Spielraum<br />

für Aktivismus und Wandel lassen?<br />

Gar nicht. Zumindest nicht im traditionellen<br />

Sinne. Ma Juns Weg ist ein<br />

moderner. Er arbeitet nicht gegen,<br />

sondern mit der Regierung. Und vor<br />

allem mit Informationen. Mit seiner<br />

2006 gegründeten NGO „Institute of<br />

Public & Environmental Affairs“ (IPE)<br />

stellt er öffentlich zugängliche Daten<br />

über Umweltzerstörung durch westliche<br />

<strong>Unternehmen</strong> in China zusammen<br />

und veröffentlicht sie online. Die<br />

Folge: Der öffentliche Druck ließ Global<br />

Player wie Nike, General Electric,<br />

Apple und Walmart plötzlich Verantwortung<br />

für ihre Lieferketten in China<br />

übernehmen.<br />

Über die Landesgrenzen hinaus bekannt<br />

geworden sind IPE und Ma Jun<br />

aber vor allem für die digitale Visualisierung<br />

von Umweltverschmutzung:<br />

Auf der Seite der NGO können Nutzer<br />

die Qualität von chinesischen Gewässern<br />

auf der „water pollution map“<br />

in Echtzeit betrachten. Mittlerweile<br />

sind auch Parameter wie die Reinheit<br />

der Luft oder ansässige <strong>Unternehmen</strong><br />

hinzugekommen.<br />

56 Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de


<strong>Menschenrechte</strong><br />

Der Waldläufer – Chico Mendes<br />

Inmitten des brasilianischen Regenwaldes wurde 1944<br />

Chico Mendes geboren. Mit neun Jahren lernte er das<br />

Handwerk, das sein Leben bestimmen sollte. Seringueiros<br />

heißen sie auf portugiesisch, die Kautschukzapfer. Bis zu<br />

zwölf Stunden täglich durchstreifte der Junge fortan den<br />

Urwald und schnitt mit einem Meißel Rillen in die Rinde<br />

der Gummibäume, um an die begehrte Flüssigkeit, das Latex,<br />

zu gelangen. Dabei ließ der straffe Tag wenig Raum<br />

für Schule und Bildung. Lesen und Schreiben konnte der<br />

junge Chico bis zu seinen späten Teenager-Jahren nicht.<br />

Für die meisten Seringueiros im brasilianischen Bundesstaat<br />

Acre ist das keine Besonderheit – mangelnde Bildung<br />

und Armut gehen auch in Brasilien Hand in Hand.<br />

Das lukrative Geschäft mit Naturkautschuk lag nämlich<br />

weitestgehend in den Händen der besitzenden Gummibarone,<br />

fazendeiros genannt. Die Kautschuksammler selbst<br />

wurden nur mit Hungerlöhnen abgespeist. Dazu kam die<br />

immer weiter fortschreitende Rodung und Ausbeutung<br />

des urtümlichen Regenwaldes durch Holzfirmen.<br />

Chico Mendes änderte das. Unter seiner Führung organisierten<br />

sich die Kautschukzapfer 1977 erstmals gewerkschaftlich.<br />

Mendes gelang dabei etwas, was lange<br />

undenkbar schien: Er versöhnte die verfeindeten Seringueiros<br />

und Indigene im gemeinsamen Kampf für ihren<br />

Lebensraum, bildete mit ihnen Menschenketten und<br />

stellte sich den Bulldozern direkt entgegen. Er reiste<br />

nach Washington und überzeugte die Interamerikanische<br />

Entwicklungsbank, keine Kredite mehr für Rodungen in<br />

Amazonien zu vergeben. Er forderte die Errichtung neuer<br />

Schutzgebiete, die die Waldgebiete gesetzlich vor der Rodung<br />

schützen sollten – kurzum, er stieg zum Anführer<br />

einer nachhaltigen Bewegung zum Schutz des Regenwaldes<br />

und der <strong>Menschenrechte</strong> in Brasilien auf. Man sagt<br />

ihm nach, dass er sich seiner außergewöhnlichen Stellung<br />

nicht bewusst gewesen sein soll. Ihm ging es um bessere<br />

Bedingungen für seine Kautschuksammler und deren Lebensraum<br />

– wenn das „Umweltschutz“ hieße, sei das auch<br />

in Ordnung, so Chico Mendes.<br />

Mächtige Feinde<br />

Mendes‘ Zielstrebigkeit und klare Position schürte den<br />

Widerstand und Hass der Großgrundbesitzer. Während<br />

der brasilianischen Militärdiktatur wurde er mehrfach inhaftiert,<br />

aber immer wieder in die Freiheit entlassen. „Seit<br />

1977 bin ich das Opfer von mindestens sechs Anschlägen<br />

gewesen. Glücklicherweise, so unwahrscheinlich es<br />

klingt, bin ich heil davongekommen“, sagte Mendes damals<br />

im Deutschlandfunk.<br />

Am 22. Dezember 1988 verließ den Brasilianer dann das<br />

Glück. Chico Mendes soll auf dem Weg zur selbstgebauten<br />

Dusche im Hinterhof seines Hauses gewesen sein, als<br />

Großgrundbesitzer Darcy Alves den Aktivisten erschoss.<br />

Vater Darly Alves hatte den Mord zuvor befohlen. Die beiden<br />

Mörder erhielten langjährige Gefängnisstrafen. Zurück<br />

blieb ein mediales Echo, dass die Umweltbewegung<br />

nur noch mehr beförderte. Am 22. Dezember 2018 ist der<br />

30. Todestag von Chico Mendes. Sein Anliegen ist heute<br />

aktueller denn je: Der aussichtsreiche Präsidentschaftskandidat<br />

Jair Bolsonaro möchte das Umweltministerium<br />

nach gewonnener Wahl wieder in ein Industrie-freundliches<br />

Agrarministerium umwandeln. f<br />

Hintergrundfoto: Simon Bennett / stock.adobe.com, Foto: Miranda Smith / Miranda Productions Inc / Wikimedia.org, cc 1.2<br />

Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de<br />

57


<strong>Menschenrechte</strong><br />

Kinderrechte<br />

Darüber hinaus haben <strong>Unternehmen</strong> auch indirekte Auswirkungen<br />

auf Kinderrechte, zum Beispiel durch die Gewährleistung<br />

von familienfreundlichen Arbeitsplätzen.<br />

Aber auch mit ihren Beziehungen zu nationalen und lokalen<br />

Regierungen sowie Investitionen in lokale Gemeinschaften<br />

oder durch ein ressourcenschonendes Umweltmanage-<br />

>><br />

in einer<br />

globalen<br />

Wirtschaft<br />

Die Missachtung von Kinderrechten darf kein<br />

Wettbewerbsvorteil sein, sondern ihre<br />

Umsetzung muss positive Größe bei<br />

<strong>Unternehmen</strong>sentscheidungen und Teil von<br />

verbindlichen Compliance-Regeln werden.<br />

In diesem Sinne hat UNICEF in Zusammenarbeit<br />

mit dem Global Compact und Save the<br />

Children bereits im Jahr 2012 Grundsätze zum<br />

Schutz und zur Förderung von Kinderrechten<br />

im Rahmen von unternehmerischem Handeln<br />

entwickelt. Die Studie aus dem Jahr 2017<br />

„Kinderrechte in deutschen <strong>Unternehmen</strong>saktivitäten“<br />

belegt empirisch, wie weit Kinderrechte<br />

in deutschen <strong>Unternehmen</strong>saktivitäten<br />

bereits verankert sind.<br />

Kinder unter 18 Jahren stellen beinahe ein Drittel der Weltbevölkerung,<br />

in manchen Ländern liegt der Anteil bei über<br />

50 Prozent. Doch noch immer hat fast die Hälfte der mehr<br />

als zwei Milliarden. Kinder weltweit keinen Zugang zu einer<br />

Grundversorgung, die für ihr Überleben oder ihre Entwicklung<br />

unentbehrlich ist. Dabei haben Kinder ein Recht<br />

darauf. Jedes dieser Mädchen und Jungen hat in der UN-Kinderrechtskonvention<br />

verbriefte Rechte. Sie sind die entscheidenden<br />

Gestalter des Wandels, wie die Agenda 2030<br />

für nachhaltige Entwicklung ausdrücklich hervorhebt; sie<br />

haben das Potenzial, die Gesellschaft zu verändern.<br />

Durch die Gestaltung von Produktionsprozessen, Produkten<br />

und Dienstleistungen sowie durch ihren Einfluss auf<br />

die wirtschaftliche und soziale Entwicklung einer Region<br />

können <strong>Unternehmen</strong> die Lebenssituation von Kindern<br />

wesentlich beeinflussen – sowohl zum Positiven, als auch<br />

zum Negativen. Denn noch immer kommt es zu schwerwiegenden<br />

Fällen von Kinderarbeit. Noch immer sind<br />

Arbeitnehmer in vielen Fabriken menschenunwürdigen<br />

Bedingungen ausgesetzt. Noch immer werden gesundheitsschädliche<br />

Produkte auch an Kinder vermarktet. Auch zeigen<br />

die in den letzten Jahren eingesetzten Monitoringsysteme<br />

in der Lieferkette Schwachstellen. Gleichzeitig können<br />

Einkaufspraktiken von Großkonzernen den Druck auf die<br />

Lieferanten erhöhen. Die Herausforderungen im Kampf für<br />

Kinderrechte bleiben folglich akut, die Rolle von <strong>Unternehmen</strong><br />

wird dabei immer wichtiger.<br />

Kinderrechte zu achten, ist eine Voraussetzung für menschenrechtskonforme<br />

<strong>Unternehmen</strong>spraktiken. Doch noch<br />

immer verbinden viele <strong>Unternehmen</strong> Kinderrechte lediglich<br />

mit dem Verbot von Kinderarbeit. Dieser Fokus ist<br />

nicht falsch, greift aber zu kurz. Kinderrechte gehen weit<br />

über das Thema Kinderarbeit hinaus und werden durch<br />

vielfältige <strong>Unternehmen</strong>saktivitäten und über die gesamte<br />

Wertschöpfungskette hinweg berührt. Hierzu gehören die<br />

direkten Auswirkungen der Geschäftstätigkeit – beispielsweise<br />

von Produkten und Dienstleistungen sowie von Marketing-<br />

und Vertriebspraktiken.<br />

58 Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de


<strong>Menschenrechte</strong><br />

Kinderunrecht<br />

in Zahlen<br />

Rund 1,1<br />

Milliarden Kindern<br />

auf der Erde fehlen bis heute grundlegende Mittel<br />

für Überleben und Entwicklung wie ausreichende<br />

Nahrung, sauberes Wasser, medizinische Hilfe, eine<br />

gute Schulbildung und ein Dach über dem Kopf.<br />

Naturkatastrophen in Folge des Klimawandels<br />

bedrohen immer mehr Kinder – insbesondere in<br />

Entwicklungs- und Schwellenländern. Die Zahl der<br />

betroffenen Kinder wird sich in<br />

175<br />

diesem Jahrzehnt auf<br />

Millionen pro Jahr<br />

erhöhen. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO)<br />

geht jeder dritte Todesfall bei Kindern auf<br />

Umweltschäden zurück.<br />

168 Millionen<br />

Kinder und Jugendliche<br />

zwischen fünf und 17 Jahren weltweit sind Opfer von Kinderarbeit,<br />

120 von ihnen sind Millionen<br />

jünger als 15 Jahre.<br />

Mehr als zwei Drittel dieser Kinder – 85 Millionen – leiden unter<br />

Arbeitsbedingungen, die besonders gefährlich<br />

oder ausbeuterisch sind.<br />

Auch in den Industrieländern wächst die Kluft zwischen<br />

den Kindern, die gesund, abgesichert und gefördert<br />

aufwachsen und solchen, deren Alltag durch<br />

Hoffnungslosigkeit, Mangel und Ausgrenzung geprägt ist.<br />

25<br />

So entbehren fast<br />

Prozent der<br />

deutschen Kinder<br />

in Ein-Eltern-Familien wichtige Dinge wie eine tägliche<br />

warme Mahlzeit oder wetterfestes Schuhwerk. Chronische<br />

Krankheiten, Übergewicht und Verhaltensauffälligkeiten<br />

bei benachteiligten Kindern nehmen zu. Der Schulerfolg<br />

von Kindern in Deutschland hängt bis heute stark von der<br />

Bildung der Eltern ab.<br />

40 Fast Prozent der weltweit<br />

200 Millionen Arbeitslosen sind junge Menschen.<br />

In Nordafrika und dem Nahen Osten ist mehr als jeder<br />

vierte<br />

Heranwachsende ohne Job.<br />

In der Europäischen Union stieg der Anteil der jungen<br />

Arbeitslosen von 11 Prozent in 2007 auf 21,4 Prozent<br />

in 2011.<br />

Quelle für alle Angaben und Grafiken: UNICEF Deutschland/Deutsches Global Compact Netzwerk / BMZ<br />

(2017): Kinderrechte in deutschen <strong>Unternehmen</strong>saktivitäten. Status und Bedeutung. Köln/Berlin.<br />

Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de<br />

59


<strong>Menschenrechte</strong><br />

Aktivitäten von <strong>Unternehmen</strong> versus<br />

als irrelevant bezeichnete Themenfelder<br />

ment, das es zukünftigen Generationen erlaubt, gesund<br />

und sicher zu leben, können <strong>Unternehmen</strong> Einfluss auf das<br />

Wohlbefinden von Kindern nehmen.<br />

Wie bewerten <strong>Unternehmen</strong> die Rechte von Kindern?<br />

24 %<br />

17 %<br />

35 %<br />

45 %<br />

45 %<br />

34 %<br />

52 %<br />

35 %<br />

Bereits aktiv<br />

60 %<br />

84 %<br />

13 % 11 % 12 % 13 %<br />

1 %<br />

Als irrelevant<br />

bezeichnete<br />

Themenfelder<br />

25 %<br />

81 %<br />

Verbot von Kinderarbeit<br />

im eigenen <strong>Unternehmen</strong><br />

63 %<br />

24 %<br />

Abschaffung von Kinderarbeit<br />

in der Lieferkette<br />

42 %<br />

Einrichtung familienfreundlicher Arbeitsplätze für<br />

junge Menschen, Eltern und Betreuungspersonen<br />

Gewährleistung von Schutz und Sicherheit<br />

in allen betrieblichen Einrichtungen<br />

Kindgerechte Gestaltung von Produkten<br />

und Dienstleistungen<br />

<strong>Achtung</strong> von Kinderrechten in Marketing<br />

und Werbung<br />

<strong>Achtung</strong> von Kinderrechten bei der Nutzung<br />

von Land (z.B. Umsiedlungen)<br />

Auflagen für Sicherheitsdienste (z.B. Vermeidung<br />

von Gewalt, Einschüchterung etc.)<br />

Beitrag zum Schutz von Kindern<br />

in Notsituationen<br />

Unterstützung von Projekten/Maßnahmen zur<br />

Förderung der Rechte von Kindern<br />

Kinderrechte sind für <strong>Unternehmen</strong>saktivitäten in allen<br />

Prozessen der Wertschöpfung relevant und können von <strong>Unternehmen</strong><br />

auf verschiedene Art und Weise gefördert und<br />

geachtet werden. Die Studie zeigt: Die befragten <strong>Unternehmen</strong><br />

sind bei den Themen „Kinderarbeit“, „Familienfreundliche<br />

Arbeitsplätze“ sowie „Kinder in Notsituationen“ und<br />

„Unterstützung von Projekten und Maßnahmen“ am aktivsten.<br />

Doch viele andere kinderrechtsrelevante Themen<br />

im <strong>Unternehmen</strong> werden von den Umfrageteilnehmern für<br />

ihr <strong>Unternehmen</strong> als nicht relevant bewertet. Dazu zählen<br />

etwa die kindgerechte Gestaltung von Produkten und<br />

Dienstleistungen, die Berücksichtigung von Kinderrechten<br />

bei der Nutzung von Land oder auch Auflagen für Sicherheitsdienste.<br />

Darüber hinaus schreiben zwar viele Teilnehmer<br />

kinderrechtsbezogene Themen in Richtlinien für das<br />

eigene <strong>Unternehmen</strong> fest, nicht jedoch für ihre Lieferkette.<br />

Wesentlich für eine erfolgreiche Umsetzung von Kinderrechten<br />

in <strong>Unternehmen</strong> ist der Aufbau eines Managementsystems.<br />

Lediglich fünf der im Rahmen der Studie<br />

befragten <strong>Unternehmen</strong> beziehen sich im Rahmen von Managementinstrumenten<br />

explizit auf die „Übernahme von<br />

Verantwortung für Kinderrechte“. Sie geben an, dies vorranging<br />

durch Schulung der Mitarbeiter, Monitoring und<br />

Hinweisgeberverfahren über Hotlines umzusetzen.<br />

Die Online-Recherche im Rahmen der Studie hat ergeben,<br />

dass insgesamt 71 der 100 untersuchten <strong>Unternehmen</strong> Managementsysteme<br />

einsetzen, um die Einhaltung der Grundsätze<br />

für Kinderrechte und unternehmerisches Handeln<br />

zu gewährleisten, ohne dabei allerdings einen konkreten<br />

Bezug zu Kinderrechten herzustellen. Der Fokus dieser<br />

Managementsysteme liegt vor allem auf der Überwachung<br />

arbeitsplatzbezogener Grundsätze, weniger auf der Produktgestaltung<br />

oder der Etablierung sozialer Projekte.<br />

Häufigste Managementsysteme in <strong>Unternehmen</strong> generell<br />

sind laut der Studie mit 46 Prozent Hinweisgeberverfahren,<br />

gefolgt von Schulungen der Mitarbeiter/innen (40 Prozent),<br />

Monitoring (30 Prozent) und Audits (29 Prozent). Auf Lieferketten-Ebene<br />

haben lediglich 55 Prozent der <strong>Unternehmen</strong><br />

Managementsysteme implementiert. Bei den im Rahmen<br />

der Lieferkette eingesetzten Instrumenten liegt der Schwerpunkt<br />

auf Audits (42 Prozent) und Monitoring (33 Prozent).<br />

Überprüft werden mit diesen Instrumenten vor allem das<br />

Verbot von Kinderarbeit sowie sichere Arbeitsbedingungen.<br />

Kaum genannt werden Instrumente, die einen Hinweis darauf<br />

geben, dass die <strong>Unternehmen</strong> sich vor Ort dafür ein-<br />

60 Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de


<strong>Menschenrechte</strong><br />

setzen, die Situation von Mitarbeitern in der Lieferkette zu<br />

verbessern, wie Konsultationsprozesse oder Ansätze zur<br />

Wiedergutmachung. Hinweisgeberverfahren, mit denen<br />

Mitarbeiter/innen von Zulieferern anonym Verstöße melden<br />

können, haben weniger als ein Drittel der <strong>Unternehmen</strong><br />

implementiert.<br />

Kinderrechte im <strong>Unternehmen</strong> verankern<br />

Kinderrechte können im Rahmen der globalen Wirtschaft<br />

nur gefördert und geschützt werden, wenn weltweit agierende<br />

<strong>Unternehmen</strong> diese Rechte in ihr unternehmerisches<br />

Handeln integrieren. Ein erster Schritt besteht darin,<br />

sich Probleme und Herausforderungen bewusst zu machen<br />

und die Verletzung von Kinderrechten nicht lediglich auf<br />

den Bereich Kinderarbeit zu beschränken. Darüber hinaus<br />

sind Managementsysteme notwendig, mit denen die Berücksichtigung<br />

der Kinderrechte kontrolliert werden kann.<br />

Und nicht zuletzt machen politische Rahmenbedingungen<br />

einen Unterschied: Eine Verankerung von Kinderrechten<br />

in der Verfassung oder in nationalen Programmen könnte<br />

dem Thema Handlungsrelevanz und Dynamik verleihen<br />

und eine stärkere Verbreitung im unternehmerischen Handeln<br />

forcieren. f<br />

Studie und Methodik:<br />

UNICEF/Deutsches Global Compact Netzwerk/BMZ<br />

(2017): Kinderrechte in deutschen <strong>Unternehmen</strong>saktivitäten.<br />

Status und Bedeutung. Köln/Berlin.<br />

Für die Studie „Kinderrechte in deutschen <strong>Unternehmen</strong>saktivitäten“<br />

wurden eine Online-Status-quo-Analyse<br />

sowie eine Online-Befragung von <strong>Unternehmen</strong><br />

vom unabhängigen Forschungsinstitut IMUG durchgeführt<br />

und miteinander kombiniert. Im Rahmen der Status-quo-Analyse<br />

wurden 100 <strong>Unternehmen</strong> aus sieben<br />

verschiedenen Branchen und 26 Geschäftssegmenten<br />

ausgewählt. Die Analyse erfasst relevante Aktivitäten,<br />

über die die untersuchten <strong>Unternehmen</strong> auch öffentlich<br />

berichten. Im Rahmen der Online-Befragung wurden<br />

insgesamt 485 <strong>Unternehmen</strong> angeschrieben, 83<br />

davon haben einen Fragebogen vollständig ausgefüllt.<br />

Abgefragt wurden unter anderem das Verständnis<br />

der <strong>Unternehmen</strong> von Kinderrechten in ihrer eigenen<br />

<strong>Unternehmen</strong>stätigkeit, Problembewusstsein und<br />

Selbsteinschätzung sowie konkrete Maßnahmen.<br />

Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de<br />

61


<strong>Menschenrechte</strong><br />

Unternehmerisches Engagement:<br />

Wo Kinder noch Kinder<br />

bleiben dürfen<br />

Die Einhaltung der Kinderrechte vor allem in außereuropäischen Produktionsländern ist für<br />

<strong>Unternehmen</strong> oft schwer zu kontrollieren. Schuld daran sind unter anderem intransparente<br />

Lieferketten und die mangelnde Umsetzung entsprechender Gesetze. Dass es aber durchaus<br />

möglich ist, das Risiko der Kinderarbeit innerhalb des Wertschöpfungsprozesses zu reduzieren,<br />

zeigen die <strong>Unternehmen</strong> Merck, Tchibo und toom Baumarkt. Sie engagieren sich unter<br />

anderem in Indien, Guatemala und China für bessere Arbeitsbedingungen und vor allem die<br />

Einhaltung der Kinderrechte.<br />

Fotos oben / unten: Merck / Vivek Sharma<br />

Bildung statt Glitzer: Mercks<br />

Einsatz in Indien<br />

Glimmer (engl. Mica) ist einer der<br />

Hauptrohstoffe für schimmernden<br />

Lidschatten oder Autolack. Merck<br />

nutzt das Mineral für seine Effektpigmente,<br />

die auch in der Elektroindustrie<br />

zum Einsatz kommen. Der<br />

Rohstoff stammt dabei vor allem aus<br />

zwei Provinzen in Indien. 2008 stellte<br />

man bei Merck fest, dass viele junge<br />

Menschen in der Region keine Schule<br />

besuchen, sondern mit ihren Eltern<br />

zusammen Glimmer vom Boden stillgelegter<br />

Minen sammeln. Für das <strong>Unternehmen</strong><br />

ein klarer Verstoß gegen<br />

die <strong>Unternehmen</strong>swerte, das Kinderarbeitsverbot<br />

und die Prinzipien der<br />

Menschenrechts-Charta: „Die Einhaltung<br />

grundlegender Arbeitsstandards<br />

bei unseren Lieferanten hat für uns<br />

höchste Priorität. Durch eine tiefgreifende<br />

Umstellung unserer Lieferkette<br />

haben wir Maßnahmen ergriffen mit<br />

dem Ziel, Kinderarbeit im Glimmerabbau<br />

dauerhaft zu unterbinden. Das<br />

Thema liegt uns sehr am Herzen,<br />

deshalb waren wir auch bereit, eine<br />

treibende Rolle bei der Responsible<br />

Mica Initiative zu übernehmen“, erklärt<br />

Friedhelm Felten, Leiter der Geschäftseinheit<br />

Surface Solutions bei<br />

Merck.<br />

Das <strong>Unternehmen</strong> hat nicht nur seine<br />

Lieferkette komplett umgestellt, es<br />

setzt sich außerdem dafür ein, die Arbeitsbedingungen<br />

der Minenarbeiter<br />

in Indien zu verbessern. Das Engagement<br />

bezieht auch Chancen auf Bildung<br />

und bessere Gesundheit mit ein:<br />

In der Provinz Jharkhand finanziert<br />

Merck drei Schulen, die von der Organisation<br />

IGEP betrieben werden. Mehr<br />

als 500 Kinder und Jugendliche sind<br />

in diesen Schulen eingeschrieben. Auf<br />

dem Stundenplan stehen zum Beispiel<br />

Aufklärung über Hygiene und Gesundheit.<br />

Außerdem werden Kurse für das<br />

Schneider- und Schreinerhandwerk<br />

angeboten. An einer vierten Schule,<br />

die von einem der Glimmer-Lieferanten<br />

im Jahr 2014 eröffnet wurde, hat<br />

Merck 2017 an 200 Kinder Stipendien<br />

vergeben.<br />

62 Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de


<strong>Menschenrechte</strong><br />

Kaffeegenuss ohne Kinderarbeit bei Tchibo<br />

Vor ähnlichen Schwierigkeiten steht auch Tchibo: Beim<br />

Kaffeeanbau in Guatemala nehmen die Erntehelfer meistens<br />

ihre Kinder mit auf die Felder, da Betreuungsangebote<br />

dort rar sind. Dabei wird häufig die Grenze zur verbotenen<br />

Kinderarbeit überschritten: „Auch ganz kleine Kinder<br />

<strong>müssen</strong> schon jeden Tag den beschwerlichen Weg von der<br />

Hütte auf die Plantage auf sich nehmen, pro Weg etwa anderthalb<br />

Stunden durch unwegsames Gelände in den Bergen.<br />

Und dann haben sie den ganzen Tag nichts zu tun, sie<br />

lümmeln zwischen Spinnen und Schlangen herum. Es ist<br />

heiß, gefährlich und anstrengend“, beschrieb Ulrike von<br />

der Groeben die Situation. Die Moderatorin war Patin eines<br />

Projektes, das Tchibo und Save the Children ins Leben gerufen<br />

haben.<br />

Fotos oben / unten: Tchibo<br />

Bei dem Kinderprojekt in Guatemala hat Tchibo Betreuungsangebote<br />

für die Kinder der Wanderarbeiter geschaffen<br />

sowie insgesamt die Lebensbedingungen der Kinder in<br />

der Region verbessert. Dazu hat das <strong>Unternehmen</strong> gemeinsam<br />

mit Save the Children Kindertagesstätten für die zwei<br />

bis 13-Jährigen eingerichtet. In lokale Schulen integriert,<br />

gibt es zwei aufeinander aufbauende Lernstufen, in denen<br />

ausgebildete Erzieher die Kinder ihrem Alter gemäß den<br />

ganzen Tag über pädagogisch und schulisch betreuen. Das<br />

heißt, es darf gespielt und getobt werden, aber die Kinder<br />

lernen auch viel über Hygiene und gesunde Nahrungsmittel.<br />

Außerdem werden sie ärztlich versorgt und bekommen<br />

frische Mahlzeiten. Das Engagement von Tchibo ging über<br />

die Erntezeit hinaus: Das ganze Jahr über können die Kinder<br />

nun verschiedene Bildungsangebote in lokalen Schulen<br />

nutzen. Dazu gehören beispielsweise Lerngruppen, in denen<br />

Mathematik und Lesen gefördert werden. Elternabende<br />

informieren zusätzlich über internationale Kinder- und<br />

Arbeitsrechte. Für das Projekt sind, auch mit Hilfe des<br />

RTL-Spendenmarathons, rund 2,4 Millionen Euro zusammengekommen.<br />

Bis heute haben mehr als 3.000 Kinder die<br />

Angebote in 35 Schulen genutzt, 500 davon während der<br />

Erntezeit.<br />

Transparenz in tooms Naturstein-Lieferkette<br />

Die Baumarktkette toom sieht sich ebenfalls mit Problemen<br />

aus kinderrechtlicher Sicht konfrontiert. Rund 89<br />

Prozent seiner Natursteine bezieht das <strong>Unternehmen</strong> aus<br />

China. Die Verletzung von Kinder- und <strong>Menschenrechte</strong>n<br />

ist hier eher die Regel als die Ausnahme. Weil die Kinder<br />

in den Minen arbeiten, gehen sie nicht zur Schule. Auch<br />

die gefährliche Krankheit Silikose (Quarzstaublunge) ist<br />

dort weit verbreitet. Die Folgen können tödlich sein. toom<br />

achtet daher ganz besonders auf deren Einhaltung in der<br />

gesamten Lieferkette für Natursteine. Jedes Produkt, das<br />

aus diesem Rohstoff gefertigt wurde, trägt sowohl das Siegel<br />

PRO PLANET als auch das „XertifiX Plus“-Label. Für die<br />

Vergabe durch den unabhängigen Verein XertifiX gelten<br />

gewisse Bedingungen, wie beispielsweise das Verbot von<br />

Kinder- oder Zwangsarbeit.<br />

Regelmäßige Audits garantieren, dass die Anforderungen<br />

umgesetzt werden. Dafür werden sowohl die Verarbeitungsbetriebe<br />

als auch die Steinbrüche überprüft. Zwei<br />

Mal im Jahr macht XertifiX diese Kontrollen, mindestens<br />

eine davon unangekündigt. „Basierend auf den Ergebnissen<br />

erarbeiten wir individuelle Maßnahmenkataloge. Wir<br />

entscheiden, mit wem wir die Zusammenarbeit fortführen,<br />

welche Steinbrüche und Verarbeiter weiter geschult werden<br />

<strong>müssen</strong> oder wo es wegen offenkundiger Mängel keine<br />

Perspektive für eine Zusammenarbeit mit toom geben<br />

kann“, so Dominique Rotondi, Geschäftsführer Einkauf bei<br />

toom. Ganz besonders wichtig ist die Transparenz in der<br />

gesamten Lieferkette. XertifiX und toom haben dazu gemeinsam<br />

einen Prozess entwickelt, bei dem schon die Rohblöcke<br />

in den Steinbrüchen entsprechend gekennzeichnet<br />

werden. „Mit Hilfe dieses Systems kann der Käufer der<br />

Natursteine sicher sein, dass die Produktionsstätten der<br />

gekauften Steine tatsächlich kontrolliert wurden und die<br />

Standard-Kriterien dort erfüllt werden“, informiert der Verein<br />

auf seiner Website. f<br />

Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de<br />

63


<strong>Menschenrechte</strong><br />

WELCOME<br />

TO SODOM<br />

64 Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de


Fotos: www.welcome-to-sodom.de / camino Filmverleih<br />

<strong>Menschenrechte</strong><br />

Agbogbloshie, Accra, ist eine der größten Elektro-<br />

Müllhalden der Welt. Rund 6000 Frauen, Männer und<br />

Kinder leben und arbeiten hier. Sie selbst nennen diesen<br />

Ort „Sodom“. Rund 250.000 Tonnen ausrangierte<br />

Computer, Smartphones, Drucker und andere Geräte aus<br />

einer weit entfernten, elektrifizierten und digitalisierten<br />

Welt gelangen Jahr für Jahr hierher. Der Dokumentarfilm<br />

„Welcome to Sodom – Dein Smartphone ist schon hier“<br />

lässt die Zuschauer hinter die Kulissen von Europas größter<br />

Müllhalde mitten in Afrika blicken und portraitiert die<br />

Verlierer der digitalen Revolution.<br />

Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de<br />

65


<strong>Menschenrechte</strong><br />

66 Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de


<strong>Menschenrechte</strong><br />

Fotos: www.welcome-to-sodom.de / camino Filmverleih<br />

„Sodom is like a Beast.<br />

Sometimes you kill the Beast.<br />

Sometimes the Beast kills you.“<br />

Mohammed Abubakar<br />

Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de<br />

67


Nachhaltigkeitsrisiko<br />

Bauxit<br />

Von Sonja Scheferling<br />

Ob Automobile, Computer oder Smartphones:<br />

Praktisch alle Produkte im Alltag sind voller<br />

Rohstoffe. Die meisten stammen aus<br />

Entwicklungs- und Schwellenländern mit<br />

sensiblen Ökosystemen und teilweise instabilen<br />

gesellschaftlichen Verhältnissen. Das zeigt das<br />

Beispiel des Bauxit-Bergbaus in Brasilien.<br />

Sie leben vom Fischen, Jagen<br />

und Anbau von Maniok, Bananen<br />

und Gemüse: Für die<br />

Quilombolas (Nachfahren entflohener<br />

afrikanischer Sklaven) des Unteren<br />

Amazonas ist eine intakte Natur die<br />

wichtigste Lebensgrundlage. Über 30<br />

große Familienverbünde wohnen dort<br />

in acht Siedlungen rund um die Gemeinde<br />

Oriximiná im brasilianischen<br />

Bundesstaat Pará. Doch ihr Leben ist<br />

alles andere als sorgenfrei: Durch die<br />

mangelnde juristische Anerkennung<br />

ihrer Gebiete sehen sich die Quilom-<br />

68 Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de


<strong>Menschenrechte</strong><br />

Fotos: shutterstock.com<br />

bolas mit Landansprüchen konfrontiert,<br />

die in Verbindung zu Infrastrukturprojekten<br />

und dem Bergbau<br />

stehen.<br />

Umweltverschmutzung und Abholzung,<br />

bedingt durch den Bergbausektor,<br />

beeinträchtigen bereits jetzt<br />

ihre Fisch- und Jagdgründe. „Der<br />

Rohstoffabbau, konkret durch die<br />

Bergbaufirma Mineração Rio do Norte<br />

(MRN), die in den Territorien der Quilombolas<br />

noch mehr Bauxit abbauen<br />

will, stellt für die Quilombolas in<br />

Oriximiná heute die größte Bedrohung<br />

ihrer Lebensgrundlagen dar“, erklärte<br />

letztes Jahr Fastenopfer, das katholische<br />

Hilfswerk der Schweiz. Gemeinsam<br />

mit einer brasilianischen Partnerorganisation<br />

unterstützt Fastenopfer<br />

die Quilombolas dabei, ihre Landrechte<br />

gegenüber MRN zu verteidigen.<br />

Rohstoffe in Brasilien<br />

Laut einer Studie der Beratungsgesellschaft<br />

adelphi über die Bauxitgewinnung<br />

und Aluminiumherstellung<br />

in Brasilien, die für das Umweltbundesamt<br />

erstellt wurde, fördert MRN<br />

jährlich mehr als 17 Millionen Tonnen<br />

Bauxit. Die Bergbaufirma ist ein Joint<br />

Venture zweier großer Konzerne, die<br />

in der Branche tätig sind: „Der brasilianische<br />

Bergbausektor wird von multinationalen<br />

Konzernen beherrscht“,<br />

so die Studie. „Viele <strong>Unternehmen</strong><br />

sind durch Anteilseignerschaften miteinander<br />

verwoben und die Strukturen<br />

ändern sich schnell.“<br />

Obwohl die Gesamtzahl der Beschäftigten<br />

in diesem Sektor gering sei, sei<br />

dieser für die ländlichen und ärmeren<br />

Regionen im Norden von großer Bedeutung:<br />

„Brasilien besitzt dort Bauxitvorkommen,<br />

die vor allem in der<br />

Amazonasregion, am Trombetasfluss<br />

und in den Gegenden bei Paragominas<br />

und Juruti zu finden sind.“ Neben Bauxit<br />

werden im Bundesstaat Pará auch<br />

Kupfer und Eisenerz gewonnen. Künftig<br />

werde der Bergbausektor weiter<br />

wachsen: „Schätzungen zufolge soll es<br />

2030 80 Bergbaustädte in Pará geben<br />

und 230 Bergwerke.“<br />

Wertschöpfung benötigt viel<br />

Energie<br />

Brasilien ist der drittgrößte Bauxitproduzent<br />

weltweit. Aus dem Rohstoff<br />

wird Aluminium hergestellt, zum Beispiel<br />

für Autos oder Fahrräder. Auch<br />

bei der Weiterverarbeitung des Bauxits<br />

spielt Brasilien eine wichtige Rolle. Bis<br />

aus dem Erz ein weiterverarbeitungsfähiges<br />

Metall wird, sind unterschiedliche<br />

Prozessschritte notwendig;<br />

weite Transportwege werden zurückgelegt.<br />

Dabei ergeben sich innerhalb<br />

des Wertschöpfungsprozesses<br />

unterschiedliche Risiken für Mensch<br />

und Umwelt.<br />

Nach der Gewinnung des Bauxits im<br />

Tagebau muss das Erz gewaschen<br />

und aufbereitet werden: „Allein in<br />

Oriximiná befinden sich 24 Rückhaltebecken<br />

für giftigen Klärschlamm<br />

aus der Bauxitproduktion“, so Fastenopfer.<br />

Danach folgen die Raffination<br />

zu Aluminiumoxid und das Schmelzen<br />

zu metallischem Aluminium. Um<br />

eine Tonne des Metalls herzustellen,<br />

benötigt man insgesamt vier Tonnen<br />

Bauxit, rechnet die adelphi-Studie vor.<br />

Als Abfall des Herstellungsprozesses<br />

entsteht u.a. der sogenannte giftige<br />

Rotschlamm. Außerdem entweichen<br />

Gase, die bei den Anwohnern der Fabriken<br />

Atemwegserkrankungen, Knochenschäden<br />

und Hautprobleme hervorrufen<br />

können.<br />

>><br />

Rotschlamm: Eine Gefahr<br />

für Mensch und Umwelt<br />

Nachdem das Bauxit gewonnen<br />

wurde, wird das darin enthaltene<br />

Aluminium in Druckbehältern<br />

bei bis zu 200 Grad Celsius mit<br />

Natronlauge erhitzt. Daraus<br />

geht das Aluminat hervor.<br />

Die eisenreichen Rückstände,<br />

Rotschlamm genannt, <strong>müssen</strong><br />

abgefiltert werden: „Das Aluminiumoxid<br />

wird geschmolzen und<br />

im Elektrolyseverfahren unter<br />

Einsatz von großen Mengen<br />

elektrischer Energie zu metallischem<br />

Aluminium reduziert“,<br />

erklärt die NGO Rettet den<br />

Regenwald.<br />

Außerdem muss der Rotschlamm<br />

als Abfallprodukt<br />

deponiert werden. Er besteht<br />

nicht nur aus feinen Eisenpartikeln<br />

und Natronlauge. Je nach<br />

Ursprung des Bauxits enthält<br />

er ebenfalls unterschiedliche<br />

Schwermetalle. Bei einer<br />

unsachgemäßen Lagerung<br />

verursacht dieses Gemisch die<br />

größten Schäden für Mensch<br />

und Natur. Rettet den Regenwald<br />

dazu: „Die feinen Partikel<br />

verschlammen Flüsse und Seen<br />

in der Umgebung. Die dadurch<br />

verstopften Poren und Hohlräume<br />

führen zum schnellen<br />

Tod von Tieren und Pflanzen.<br />

Schlecht abgedichtete Deponien<br />

belasten Grundwasser mit<br />

Schwermetallen. Sie werden so<br />

zu einer langfristigen Gefahr für<br />

die Gesundheit der in der Umgebung<br />

lebenden Menschen.“<br />

Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de<br />

69


Renaturierung<br />

Bergwerksbetreiber wie MRN<br />

kümmern sich darum, dass der<br />

für den Rohstoffabbau gerodete<br />

Regenwald wieder aufgeforstet<br />

wird: „Für die Renaturierung<br />

wird der zuvor abgetragene<br />

Oberboden, der neben Samen<br />

und auskeimungsfähigen<br />

Pflanzenteilen noch viel organisches<br />

Material wie Wurzelreste,<br />

Äste und Baumstämme enthält,<br />

wiederverwendet und mit in<br />

Gewächshäusern angezogenen<br />

Setzlingen heimischer Baumarten<br />

bepflanzt“, erläutert die<br />

Studie von adelphi. Das Problem:<br />

Eine vollständige Wiederherstellung<br />

der Biodiversität ist<br />

nicht möglich.<br />

er fungiert auch als wichtiger Speicher von Kohlendioxid“,<br />

heißt es in der adelphi-Studie. „Als Quelle eines Fünftels<br />

der weltweiten Süßwasserressourcen spielt der Amazonas<br />

zudem eine kritische Rolle bei der Regulierung des globalen<br />

und regionalen Klimas.“ Die weitflächige Rodung des<br />

tropischen Regenwaldes würde sich laut Studie global auswirken,<br />

die Folgen wären nicht abschätzbar.<br />

Für den Bauxitbergbau und die Energieversorgung der<br />

Aluminiumschmelzen war und ist der Verlust primären<br />

Regenwaldes jedoch unausweichlich. Das hat unterschiedliche<br />

Gründe: So <strong>müssen</strong> die Bäume wegen der Tagebauflächen<br />

gerodet werden. Angaben von Rettet den Regenwald<br />

zufolge werden noch heute jährlich 100 Hektar Tropenwald<br />

für die seit 1979 bestehende Mine von Porto Trombetas<br />

gefällt. Die Pflanzen fallen zudem dem Ausbau der<br />

Arbeitersiedlungen und der Infrastruktur – dazu gehören<br />

auch Straßen zum Transport des Rohstoffs – zum Opfer.<br />

Der Straßenbau wiederum befördert den illegalen Holzeinschlag,<br />

weil Holzfäller auf befestigten Straßen leichter entlegene<br />

Gebiete erreichen und die gefällten Bäume abtransportieren<br />

können.<br />

Der Prozess frisst eine Menge Energie: „Die Aluminiumherstellung<br />

ist die energieintensivste Industriebranche<br />

weltweit und zählt zu den größten Energieverbrauchern<br />

der Erde“, so die adelphi-Studie weiter. Demnach entfielen<br />

2013 über sieben Prozent des weltweiten industriellen<br />

Stromverbrauchs auf die Aluminiumschmelzen. „Damit für<br />

die Aluminiumproduktion und andere energieintensive<br />

Industriezweige genug Energie zur Verfügung steht, muss<br />

der Energiesektor jährlich um 6,5 Prozent wachsen.“<br />

Auf Kosten des Regenwaldes und des Klimas<br />

Dafür setzt Brasilien vor allem auf Staudämme und<br />

Wasserkraft als Energiequelle. Zusammen mit<br />

dem Bergbau hat dieser Trend aber weitreichende<br />

Folgen für Mensch und Natur. Das zeigen die<br />

Entwicklungen der letzten Jahrzehnte in Pará<br />

deutlich. Mit dem Bauxitbergwerk von Porto<br />

Trombetas von MRN bei Oriximiná befindet sich<br />

hier das weltweit drittgrößte seiner Art. Gleichzeitig<br />

weist Pará den Großteil des Amazonasgebietes<br />

auf. „Der Amazonas ist nicht nur aufgrund seiner Biodiversität<br />

ein Ökosystem von globaler Bedeutung, sondern<br />

Foto: shutterstock.com<br />

70 Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de


<strong>Menschenrechte</strong><br />

Außerdem gehen große Regenwaldflächen<br />

durch den Bau der Staudämme<br />

für die Wasserkraftwerke verloren.<br />

Entweder werden sie vorher gerodet<br />

oder durch die Stauseen überflutet.<br />

Das ist ausgesprochen klimaschädlich,<br />

weil durch die verrottende Biomasse<br />

das Treibhausgas Methan entsteht.<br />

Darüber hinaus verändern sich<br />

durch die Stauung und Umleitung von<br />

Flüssen die Ökosysteme, was sich negativ<br />

auf die Biodiversität der Region<br />

auswirkt; Tiere und Pflanzen werden<br />

verdrängt.<br />

Einheimische sind die<br />

Leidtragenden<br />

Der Bergbau und der infrastrukturelle<br />

Ausbau hatten in der Vergangenheit<br />

einen großen Einfluss auf die Menschen,<br />

die in den betroffenen Regionen<br />

leben. So beeinträchtigten die<br />

Entwicklungen nicht nur ihre Gesundheit,<br />

sondern veränderten ihre gesamte<br />

Lebenssituation. Dazu heißt es in<br />

der adelphi-Studie: „Zusammen mit<br />

den Bergwerken und Staudämmen<br />

stieg die Bevölkerungsdichte durch<br />

den Zuzug großer Bevölkerungsgruppen,<br />

die wiederum Regenwald für<br />

Viehzucht und Landwirtschaft roden.“<br />

Für die dort ansässigen indigenen<br />

Gruppen habe dies meist weitreichende<br />

negative Konsequenzen gehabt.<br />

„Viele verloren Lebensgrundlage<br />

und Land und damit ihre<br />

Kultur und Tradition.“<br />

Und damit auch ihre<br />

wirtschaftliche<br />

Selbstständigkeit,<br />

wenn man<br />

sich die Quilombolas<br />

in Oriximiná<br />

anschaut.<br />

Wie Fastenopfer berichtet,<br />

sind diese heute<br />

nämlich von der Arbeit bei<br />

MRN abhängig. f<br />

Umwelt- und Sozialrisiken hängen zusammen<br />

adelphi hat nicht nur den Bauxitabbau und die Aluminiumherstellung in<br />

Brasilien untersucht, sondern auch Fallstudien für die Metalle Gold, Kupfer,<br />

Seltene Erden und Zinn erstellt. Ziel war es u.a., die Verbindung zwischen<br />

Umwelt- und Sozialauswirkungen der Rohstoffgewinnung in verschiedenen<br />

Ländern mit unterschiedlichen Problemkontexten zu untersuchen.<br />

„Bei Konflikten rund um die Rohstoffgewinnung zeigt sich vor allem in<br />

Entwicklungs- und Schwellenländern, dass negative Umwelt- und<br />

Sozialauswirkungen meist interagieren und gemeinsam als Konflikttreiber<br />

wirken.“<br />

Das liege daran, dass die lokale Bevölkerung oft direkt von natürlichen<br />

Ressourcen wie Land und Wasser sowie funktionierenden Ökosystemen<br />

für ihren Lebensunterhalt abhängig sei. Allerdings unterschieden sich die<br />

Konflikte hinsichtlich Dynamik und Ausmaß: „Sie reichten von verbalen<br />

Auseinandersetzungen und gewaltlosen Protesten über Menschenrechtsverletzungen<br />

und die Unterdrückung der freien Meinungsäußerung bis hin<br />

zu gewalttätigen Eskalationen und bewaffneten Konflikten.“<br />

Die Studie belegte außerdem einen Zusammenhang zwischen Governance-<br />

Problemen und negativen Umwelt- und Sozialauswirkungen der Bergbautätigkeit.<br />

Dazu zählten ein schlechter Vollzug bestehender Gesetze,<br />

etwa durch fehlendes Personal, mangelnde finanzielle Kapazitäten und<br />

Ausrüstung oder eine lückenhafte Gesetzgebung. „Probleme bestanden<br />

oft bezüglich der Regulierung der Schließungs- und Nachsorgephase von<br />

Bergwerken. Oftmals war das Verursacherprinzip nicht verankert oder<br />

<strong>Unternehmen</strong> entzogen sich ihrer Verantwortung.“<br />

Darüber hinaus wurden staatliche Erlöse aus dem Bergbausektor zur<br />

Bekämpfung der negativen Folgen zweckentfremdet: „Weiterhin war in<br />

den Fallstudien festzustellen, dass lange und enge Beziehungen zwischen<br />

Staat und Bergbauunternehmen Korruption begünstigten und die Einhaltung<br />

von Gesetzen und Standards beeinträchtigten. In vielen Fällen, in<br />

denen Bergbauunternehmen Funktionen des Staates übernahmen, traten<br />

Probleme auf.“<br />

Die Ergebnisse wurden wiederum genutzt, um die Wirkung von Standards<br />

zu erforschen, die Umwelt- und Sozialrisiken bei der Rohstoffgewinnung<br />

und -weiterverarbeitung reduzieren sollen. Insgesamt gibt es mittlerweile<br />

über 40 verschiedene Standards, Handlungsrahmen und Initiativen dieser<br />

Art. Dazu gehören u.a. die Aluminium Stewardship Initiative oder der<br />

Dodd-Frank Act, Sektion 1502.<br />

Nach: Umweltbundesamt (Hrsg.): Verantwortungsvolle Rohstoffgewinnung?<br />

Herausforderungen, Perspektiven, Lösungsansätze. Dessau-Roßlau 2017.<br />

Durchführung der Studie: adelphi research gGmbH.<br />

Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de<br />

71


<strong>Menschenrechte</strong><br />

Advertorial<br />

Aluminium:<br />

Nespresso setzt<br />

sich für Nachhaltigkeit<br />

in der Lieferkette ein<br />

Kein Material schützt die Qualität des Kaffees vor Sauerstoff,<br />

Licht und Feuchtigkeit so gut wie Aluminium. Außerdem lässt<br />

es sich ganz einfach und mehrfach recyceln. Aus diesem Grund<br />

verwendet Nespresso das Leichtmetall als Verpackungsmaterial<br />

für seine Kaffeekapseln. Gleichzeitig ist diese Wahl<br />

ein Grund dafür, dass Nespresso in der Öffentlichkeit immer<br />

wieder kontrovers diskutiert wird. Nespresso hat sich<br />

entschlossen, am Leichtmetall festzuhalten – dabei setzt<br />

sich das <strong>Unternehmen</strong> seit vielen Jahren für die nachhaltige<br />

Beschaffung von Aluminium sowie für das Recycling seiner<br />

Kapseln ein. So ist Nespresso Gründungsmitglied der<br />

Aluminium Stewardship Initiative (ASI). Die Brancheninitiative<br />

hat den weltweit ersten Standard für die nachhaltige<br />

Beschaffung von Aluminium entwickelt.<br />

Aluminium wird sehr vielseitig<br />

eingesetzt. In der Industrie<br />

sind vor allem die Automobilund<br />

Baubranche große Abnehmer.<br />

Außerdem begegnet uns das Metall<br />

im Haushalt in ganz alltäglichen Dingen<br />

wie einem Joghurtdeckel, Alufolie<br />

oder auch Kaffeekapseln. „Nespresso<br />

steht für Kaffee in höchster Qualität.<br />

Um die Frische unserer Produkte zu<br />

schützen und das Kaffeearoma zu bewahren,<br />

verwenden wir luftdicht verschlossene<br />

Aluminiumkapseln“, erklärt<br />

das <strong>Unternehmen</strong>. „Zusätzliche<br />

Verpackungen sind dadurch unnötig:<br />

Zudem sind Aluminiumverpackungen<br />

in der Regel leichter als viele andere<br />

Materialien. Das erlaubt eine möglichst<br />

nachhaltige Logistik.“<br />

Doch wie steht es um die Herkunft<br />

des Materials? Aluminium wird aus<br />

dem Rohstoff Bauxit gewonnen. Die<br />

Hauptherkunftsländer sind Guinea,<br />

Jamaika, Indien, Australien und Brasilien.<br />

Die Herstellung von Aluminium<br />

ist komplex: Bis aus dem Erz ein fertiges<br />

Produkt aus Aluminium entsteht,<br />

sind viele Prozessschritte vom Rohstoffabbau<br />

über das Schmelzen bis zur<br />

Verarbeitung des Metalls notwendig.<br />

Daran sind unterschiedliche Firmen<br />

beteiligt, was die Rückverfolgbarkeit<br />

des Materials erschwert. Vor allem<br />

Menschenrechtsverletzungen und<br />

Umweltverstöße gleich am Anfang der<br />

Lieferkette stellen für <strong>Unternehmen</strong><br />

ein großes Risiko dar.<br />

ASI – eine Multistakeholder-Initiative<br />

für nachhaltiges Aluminium<br />

Obwohl Nespresso im weltweiten<br />

Vergleich nur ein relativ kleiner Aluminiumnutzer<br />

ist, hat sich das <strong>Unternehmen</strong><br />

zum Ziel gesetzt, sich für<br />

die nachhaltige Gestaltung der Aluminium<br />

Wertschöpfungskette – von<br />

der Produktion bis zum Recycling<br />

– zu engagieren. Aus diesem Grund<br />

haben die Schweizer 2012 gemeinsam<br />

mit anderen Stakeholdern aus<br />

unterschiedlichen Branchen die Aluminium<br />

Stewardship Initiative (ASI)<br />

gegründet. Ihr Ziel ist es mehr Nachhaltigkeit<br />

und Transparenz im Aluminiumsektor<br />

zu schaffen und eine<br />

verantwortungsvolle Aluminiumgewinnung<br />

und -weiterverarbeitung zu<br />

fördern. In der Aluminiumwirtschaft<br />

ist dieser Ansatz bis jetzt einzigartig.<br />

Neben Nespresso kooperieren in der<br />

72 Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de


<strong>Menschenrechte</strong><br />

Die Entstehung von Aluminium ist ein<br />

Umweltfaktor. Ein Weiterer ist die Frage<br />

des Recyclings. Da Nespresso das<br />

Aluminium als Material für seine Kaffeekapseln<br />

verwendet, trägt das <strong>Unternehmen</strong><br />

eine besondere Verantwortung<br />

dafür, was mit dem Wertstoff nach<br />

dem Gebrauch passiert. Nespresso<br />

ist sich dessen bewusst.<br />

ASI auch NGOs sowie anderen Nutzer<br />

von Aluminium wie AUDI oder BMW.<br />

Die Initiative steht allen Firmen, die<br />

Aluminium produzieren, verwenden<br />

oder recyceln, offen. Darüber hinaus<br />

sind auch Vertreter der Zivilgesellschaft<br />

eingebunden: So beteiligen sich<br />

etwa der WWF und die International<br />

Union for Conservation of Nature<br />

(IUCN), indem sie ihre Expertise in Sachen<br />

nachhaltige Ressourcennutzung<br />

bereitstellen. Dank dieser Integration<br />

ganz unterschiedlicher Stakeholder<br />

stößt die ASI auf eine hohe Akzeptanz<br />

in der Industrie. Ziel ist es, die<br />

Transparenz und Rückverfolgbarkeit<br />

in der vielschichtigen Lieferkette von<br />

Aluminium zu steigern und das Vertrauen<br />

der Konsumenten gegenüber<br />

Produkten, die Aluminium enthalten,<br />

zu fördern.<br />

So funktionieren die ASI-Standards<br />

Die ASI hat 2014 den ersten Leistungsstandard<br />

für umwelt- und sozialkonformes<br />

Handeln entlang der gesamten<br />

Wertschöpfungskette entwickelt.<br />

Er gliedert sich in elf verschiedene<br />

Grundsätze in den Kategorien Umwelt,<br />

Soziales und Governance. Die<br />

ASI hat fünf Kernpunkte definiert, zu<br />

denen es jeweils Regeln gibt, die die<br />

Bilder: Nespresso<br />

<strong>Unternehmen</strong> befolgen <strong>müssen</strong>. Die<br />

Schwerpunkte sind:<br />

• Rechte indigener Völker<br />

• Biodiversität<br />

• Abfälle aus Bauxit, vom Schmelzen<br />

und Raffinieren<br />

• Treibhausgasemissionen<br />

• Recycling und Materialverantwortung<br />

Darüber hinaus hat die ASI einen Kontrollkettenstandard<br />

entwickelt, um<br />

nachhaltige Produktion mit nachhaltiger<br />

Beschaffung zu verbinden. Die<br />

Produktkette legt den Weg von Rohstoffen<br />

und Materialien über mehrere<br />

Stufen bis hin zum Endprodukt offen.<br />

Damit wird die Rückverfolgbarkeit<br />

der Rohstoffe gewährleistet. Seit im<br />

Juli 2018 zum ersten Mal ASI-Zertifizierungen<br />

vergeben wurden, ist das<br />

erste ASI-zertifizierte Aluminium auf<br />

dem Markt. Die Nachfrage danach ist<br />

groß. Nespresso beispielsweise hat<br />

sich verpflichtet, die ASI-Standards<br />

bei der Aluminiumbeschaffung zu 100<br />

Prozent einzuhalten.<br />

Ressourcenschonung durch<br />

Recycling<br />

Das <strong>Unternehmen</strong> nimmt bereits seit<br />

1993 am dualen System in Deutschland<br />

teil und hat seine Kapseln freiwillig<br />

beim Grünen Punkt lizenziert. Verbraucher<br />

können ihre gebrauchten<br />

Kapseln samt Kaffeesatz ganz bequem<br />

über den Gelben Sack, die Gelbe Tonne,<br />

die Wertstofftonne oder über Wertstoffsammelstellen<br />

dem Recyclingkreislauf<br />

zuführen. Die Rücknahmekapazität<br />

für Nespresso Kapseln<br />

in Deutschland liegt daher seit über<br />

25 Jahren bei 100 Prozent.<br />

Die Verpackungen weisen dabei eine<br />

hohe Recyclingfähigkeit auf, weil sie<br />

nicht im Verbund mit anderen Materialien<br />

hergestellt werden, sondern<br />

sortenrein sind:<br />

Werden Nespresso Kapseln dem Recyclingkreislauf<br />

zugeführt, entstehen<br />

aus den Kapseln und anderen aluminiumhaltigen<br />

Verpackungen wertvolles<br />

Sekundäraluminium. Dieses ist<br />

heute ein unverzichtbarer Bestandteil<br />

der Metallversorgung. So wurden<br />

2015 etwa 53 Prozent des Aluminiumbedarfs<br />

in Deutschland durch Sekundäraluminium<br />

gedeckt, wie die Wirtschaftsvereinigung<br />

Stahl mitteilt.<br />

Das Material wird u.a. in Fahrrädern<br />

oder Motorblöcken verarbeitet. Insgesamt<br />

sind rund 75 Prozent des jeweils<br />

produzierten Aluminiums noch heute<br />

in Verwendung, da sich das Material<br />

sehr gut mehrfach wiederverwerten<br />

lässt. Auch bei Nespresso kommen wo<br />

immer möglich und ökologisch sinnvoll<br />

immer öfter Recycling-Kapseln<br />

zum Einsatz. So sind ein Teil der neuen<br />

Vertuo Kapseln aus in der Schweiz<br />

recycelten Kapseln, wo Nespresso die<br />

Kapseln, anders als in Deutschland,<br />

über ein separates Recyclingsystem<br />

sammelt und wiederverwertet. f<br />

Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de<br />

73


<strong>Menschenrechte</strong><br />

Wie die Blockchain Kinderarbeit<br />

und Konfliktmineralien auf die<br />

Spur kommt<br />

Elektronische Produkte<br />

bestehen aus tausenden<br />

Komponenten. Deren<br />

Herkunft lässt sich oftmals<br />

nur schwer zurückverfolgen.<br />

Problematisch wird dies,<br />

wenn gesetzliche Vorschriften<br />

eingehalten werden<br />

<strong>müssen</strong>, wie etwa bei<br />

Konfliktmineralien. Das<br />

Softwarehaus iPoint-systems<br />

hat dafür jetzt ein Blockchain-<br />

Projekt gestartet, das von<br />

der Mine bis zum Endprodukt<br />

die gesamte Lieferkette<br />

digital nachverfolgbar<br />

macht.<br />

Von Dr. Elmer Lenzen<br />

Foto: UN Photo / UNMISS/JC McIlwaine<br />

Gesetzliche Bestimmungen wie<br />

die EU-Richtlinie zur CSR-<br />

Berichterstattung, der UK Modern<br />

Slavery Act oder die Konfliktmineralien-Regelungen<br />

der USA und EU<br />

rücken Menschenrechtsbelange in<br />

den Mittelpunkt. Für <strong>Unternehmen</strong><br />

und ihre Lieferketten steht viel auf<br />

dem Spiel. Die finanziellen Risiken<br />

sind erheblich, und es kann schnell zu<br />

einem Imageschaden kommen.<br />

Solche potenziellen Menschenrechtsverletzungen<br />

zu vermeiden, ist das<br />

Ziel eines Blockchain-basierten Systems<br />

zur Rückverfolgung bestimm-<br />

74 Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de


<strong>Menschenrechte</strong><br />

ter Rohstoffe aus Konflikt- und Hochrisikogebieten. Mit<br />

Mitteln der Europäischen Partnerschaft für Verantwortliche<br />

Mineralien (EPRM) untersucht iPoint zusammen mit<br />

Upstream-Partnern, ob Konfliktmineralien über die gesamte<br />

Lieferkette, also von der Mine bis zum fertigen Produkt,<br />

rückverfolgbar gemacht werden können. Dazu werden<br />

Transaktionen in der Produktions- und Lieferkette verifiziert<br />

und kryptographisch verschlüsselt.<br />

Wer sind die Initiatoren?<br />

„iPoint war schon immer von der Frage getrieben, wie<br />

wir modernste Technologien nutzen können, um globale<br />

Lieferketten nachhaltig zu verbessern. Dieses Projekt<br />

wird unsere langjährige Erfahrung in der nachgelagerten<br />

Lieferkette mit der lokalen Expertise unserer Upstream-<br />

Partner verbinden“, sagt Jörg Walden, CEO und Gründer<br />

von iPoint-systems.<br />

Die EPRM ist eine Multi-Stakeholder-Initiative, die gegründet<br />

wurde, um bessere soziale und wirtschaftliche Bedingungen<br />

für Minenarbeiter und lokale Bergbau-Gemeinschaften<br />

zu schaffen. Im Fokus stehen hierbei vor allem<br />

verantwortungsvolle Bergbaupraktiken in Konflikt- und<br />

Hochrisikogebieten. Zu den EPRM-Mitgliedern zählen unter<br />

anderem Technologiefirmen wie Apple, Fairphone, HP<br />

und Intel.<br />

Worum geht es in dem Projekt?<br />

Ziel des unter dem Titel „SustainBlock“ laufenden Projekts<br />

ist die Überprüfung und Bewertung der Rohstofflieferkette<br />

von sogenannten Konfliktrohstoffen, zu denen Zinn, Tantal,<br />

Wolfram, deren Erze und Gold (auch 3TG abgekürzt)<br />

und neuerdings auch Kobalt gezählt werden. Im konkreten<br />

Projekt geht es zunächst um ein solches Mineral aus<br />

Minen der Großen-Seen-Region in Afrika. Die jeweilige<br />

Auditierung und Überprüfung erfolgt dabei schon ganz am<br />

Anfang der Lieferkette, nämlich beim Schürfen. Ein Partner<br />

und Auditor vor Ort setzt hierfür ein auf Markierungen<br />

und Scans basierendes Rückverfolgungssystem ein, das<br />

den späteren Datenabgleich zulässt. Ziel ist es, „schwarzen<br />

Schafen“ und unethischen Quellen den Marktzugang zu erschweren.<br />

„Indem unsere Lösung die komplette Rückverfolgbarkeit<br />

der Rohstoffe von Anfang bis Ende erfasst“, erläutert der<br />

„Es bietet für Transaktionen,<br />

Prozesse und Partner in<br />

der Lieferkette eine<br />

gemeinsam genutzte,<br />

abgesicherte, für beide Seiten<br />

vertrauenswürdige,<br />

unveränderbare Aufzeichnung<br />

von Informationsflüssen.“<br />

Projektleiter Sebastian Galindo, „kann sie auch einen Betrag<br />

dazu leisten, ethisch unbedenkliche, nachhaltige Praktiken<br />

und Verhaltensweisen entlang der Wertschöpfungsketten<br />

zu unterstützen.“ Das Projekt läuft noch bis Mai<br />

2019.<br />

<strong>Warum</strong> ist die Blockchain wichtig?<br />

Da die Blockchain-Technologie sicherstellt, dass einmal<br />

verifizierte Daten nicht mehr geändert oder manipuliert<br />

werden können, werden die Systeme künftig nicht mehr<br />

die Daten kontrollieren, sondern nur noch nutzen. Die<br />

Kontrolle liegt dann viel mehr in der DNA des jeweiligen<br />

Produkts, erklärt iPoint-Geschäftsführer Jörg Walden. Das<br />

hat Folgen für die Abläufe in <strong>Unternehmen</strong>: Derzeit gibt es<br />

viele Fachabteilungen mit ihren Experten. Im Rahmen von<br />

Compliance und Due Diligence fällt ihnen die Aufgabe zu,<br />

die jeweiligen Lieferantenangaben zu validieren und gegebenenfalls<br />

extern verifizieren zu lassen. Diese Aufgabe<br />

könnte in Zukunft in wesentlichen Teilen entfallen. Wenn<br />

nämlich, wie beim SustainBlock-Projekt, gleich zu Beginn<br />

der Nachweis des Minerals erfolgt, dann wird diese Information<br />

im gesamten Folgeprozess mittels der Blockchain<br />

„mitgenommen“.<br />

„Es bietet für Transaktionen, Prozesse und Partner in der<br />

Lieferkette eine gemeinsam genutzte, abgesicherte, für beide<br />

Seiten vertrauenswürdige, unveränderbare Aufzeichnung<br />

von Informationsflüssen“, erklärt Walden. Das ist in<br />

kritischen Situationen, etwa bei Rückrufen, ein entscheidendes<br />

Plus. Und es ist auch wichtig für die Frage: Wem<br />

gehören die Daten und wer haftet bei Klagen?<br />

<strong>Warum</strong> nützt die Blockchain gerade bei Individuallösungen?<br />

Und ein weiterer Punkt kommt hinzu: Wir leben in einer<br />

Zeit, in der die Individualisierung von Produkten und<br />

Produkteigenschaften immer weiter zunimmt, in der >><br />

Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de<br />

75


<strong>Menschenrechte</strong><br />

Weitere Informationen:<br />

www.ipoint-systems.com/de<br />

www.sustainblock.org<br />

www.europeanpartnershipresponsibleminerals.eu/<br />

www.circulartree.com<br />

Foto: sfmthd / Fotolia.com<br />

Kunden immer stärker maßgeschneiderte<br />

Lösungen fordern. Hierzu Walden:<br />

„Wir reden hier von der Massenproduktion<br />

für die Mengeneinheit<br />

‚Eins‘. Dafür bedarf es extrem flexibler<br />

Lieferketten.“ <strong>Unternehmen</strong> wären<br />

jedoch komplett überfordert, die<br />

Herkunft der einzelnen Bestandteile<br />

jedes Produkts entlang der Lieferkette<br />

händisch zurückzuverfolgen und<br />

nachzuweisen. An dieser Stelle bekommt<br />

die Blockchain hochperfomante<br />

Alltagstauglichkeit. Die entsprechenden<br />

Daten liegen nämlich von<br />

jedem Bestandteil vor, und so lassen<br />

sich über entsprechende Programme<br />

relativ schnell Attribute wie REACHoder<br />

RoHS-Konformität, Menschenrechtsaspekte<br />

oder auch der jeweilige<br />

CO 2<br />

-Fußabdruck ermitteln.<br />

Legt Blockchain ungewollt<br />

Betriebsgeheimnisse offen?<br />

In der Praxis gibt es aber neben den<br />

technischen Hürden auch noch eine<br />

Vielzahl an offenen Fragen zu Vertraulichkeit,<br />

Urheberrechtsfragen und<br />

Betriebsgeheimnissen. So ist vielen<br />

Produzenten und Zulieferern nicht daran<br />

gelegen, alle ihre Geschäftsverbindungen,<br />

ihre Lieferantenstruktur und<br />

alle Produktbestandteile komplett offenzulegen.<br />

Tatsächlich ist die Gefahr<br />

von Nachahmern nicht zu unterschätzen.<br />

Auch könnten Abnehmer und<br />

große Konzerne diese Informationen<br />

nutzen, um ihre Lieferanten preislich<br />

weiter unter Druck zu setzen. Walden<br />

erläutert diesen kritischen Punkt:<br />

„Nachverfolgbarkeit in der gesamten<br />

Lieferkette kann nur durch ein Umfeld<br />

von Vertrauen geschaffen werden.<br />

Das SustainBlock-System nimmt<br />

diesen Aspekt sehr ernst und unterbindet<br />

die Sichtbarkeit der Lieferkette<br />

bei gleichzeitiger kryptographisch abgesicherter<br />

Nachverfolgbarkeit.“<br />

Zukunft nachhaltiger<br />

Lieferketten?<br />

Das SustainBlock-System von iPointsystems<br />

demonstriert damit die komplette<br />

Nachverfolgbarkeit von Rohstoffen<br />

von der Mine bis zum finalen<br />

Produzenten und ermöglicht den <strong>Unternehmen</strong>,<br />

Ihren Kunden diese Informationen<br />

zur Verfügung zu stellen.<br />

Das SustainBlock-Projekt prüft die<br />

Aufnahme von weiteren Lieferketten,<br />

z.B. Gold aus Südamerika und weiteren<br />

Teilen Afrikas. „SustainBlock ist<br />

offen für weitere Akteure und Rohstoffe.<br />

Die Möglichkeiten dieser neuen<br />

Technologie soll dazu beitragen globale<br />

Wertschöpfungsketten fairer und<br />

nachhaltiger zu gestalten“, erklärt<br />

Jörg Walden. „Wir haben kürzlich ein<br />

Blockchain-Startup namens ‚CircularTree‘<br />

mit Büros in Berlin und Melbourne<br />

mitbegründet, denn wir sind<br />

der Ansicht dass Blockchain sich als<br />

wichtige Technologie in diesem Bereich<br />

durchsetzen wird“, so Walden. f<br />

Was ist die Blockchain?<br />

Gleich sieben Mal taucht das<br />

Wort Blockchain im aktuellen<br />

Koalitionsvertrag auf – gleich<br />

auf den ersten Seiten. Zum<br />

Vergleich: Das Wort <strong>Menschenrechte</strong><br />

taucht neun Mal auf – allerdings<br />

im hinteren Teil des Vertrags.<br />

Die Blockchain gilt als das<br />

„nächste große Ding“ im Internet<br />

und könnte unsere Zukunft massiv<br />

prägen. Allzu libertäre Bürger<br />

sollten sich nicht zu früh freuen:<br />

Die Idee hinter der Blockchain ist<br />

nicht die Transparenz der Daten,<br />

sondern deren Kontrolle. Derzeit<br />

ist es so, dass digitale Produkte<br />

wie etwa Songs, Fotos, Filme<br />

mühelos kopiert und verbreitet<br />

werden können. Bei anderen Produkten<br />

wie etwa Metallen oder<br />

Stoffen lässt sich wiederum der<br />

Ursprung mühelos verschleiern<br />

oder sogar umdeklarieren. Mit<br />

der Blockchain geht das nicht<br />

mehr! Jede Transaktion wird wie<br />

in einem Kassenbuch protokolliert,<br />

Zeile für Zeile verschlüsselt,<br />

und einmal erfasste Daten sind<br />

damit nicht mehr ohne Weiteres<br />

veränderbar. Das erfolgt über<br />

entsprechend lange digitale<br />

Codes. Die Informationen liegen<br />

zur Sicherheit nicht zentral auf<br />

einem Server, sondern im Netz.<br />

76 Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de


<strong>Menschenrechte</strong><br />

Die dunkle Seite der Energiewende ❶<br />

Energiewende<br />

auf Kosten von<br />

Umwelt- und<br />

<strong>Menschenrechte</strong>n?<br />

Soll das Zwei-Grad-Ziel in der Klimapolitik<br />

erreicht werden, <strong>müssen</strong><br />

wir noch stärker als bisher auf erneuerbare<br />

Energien wie beispielsweise<br />

die Windkraft setzen. Doch auch<br />

Grünstrom ist nicht konfliktfrei – vor<br />

allem aus Menschenrechtsperspektive<br />

gibt es bei der Beschaffung der<br />

benötigten Rohstoffe Probleme. Eine<br />

Korruption durch<br />

Elektroautos?<br />

Im wachsenden Sektor der<br />

E-Mobilität ist die Rohstoffbeschaffung<br />

ähnlich problematisch.<br />

Für die Batterien von<br />

Elektroautos werden unter<br />

anderem Lithium und Kobalt<br />

benötigt. Letzteres kommt<br />

häufig aus dem Kongo, wo<br />

Korruption, Gewalt und Armut<br />

herrschen. Kinderarbeit und<br />

Umweltverschmutzung sind<br />

ebenfalls eher die Regel als<br />

die Ausnahme. Weil etwa 60<br />

Prozent des Weltmarktes für<br />

Kobalt aus dem Kongo beliefert<br />

werden, haben die Lieferanten<br />

eine relativ große Macht. Das<br />

erschwert eine Einflussnahme<br />

durch einzelne Automobilunternehmen<br />

zusätzlich.<br />

aktuelle Studie der NGO ActionAid<br />

und dem Centre for Research on Multinational<br />

Corporations (SOMO) hat<br />

am Beispiel von Offshore-Windenergieprojekten<br />

in den Niederlanden untersucht,<br />

welche Mineralien für den<br />

Bau von Windkraftanlagen verwendet<br />

werden und welche Probleme sich bei<br />

dem Abbau ergeben.<br />

Insgesamt 16 verschiedene Mineralien<br />

kommen bei dem Bau von Windturbinen<br />

zum Einsatz, darunter Kupfer<br />

und Kobalt sowie Metalle der Seltenen<br />

Erden, beispielsweise Neodym. Zum<br />

Teil stammen diese Rohstoffe aus Kanada<br />

und Australien. Der größte Anteil<br />

wird aber in Indien, China und Südafrika<br />

gewonnen. In diesen Ländern<br />

sind laut Studie die Menschenrechtsstandards<br />

eher schlecht. Zwar existieren<br />

gesetzliche Regelungen, diese<br />

würden aber von den Abbaubetrieben<br />

kaum umgesetzt. Neben mangelndem<br />

Arbeitschutz käme es oft auch<br />

zu Kinderarbeit, Verschmutzung von<br />

Luft und Wasser sowie Korruption<br />

und Gewalt.<br />

Sicherheitsmängel in den Abbaubetrieben<br />

führen bisweilen sogar zu Katastrophen,<br />

wie im Falle der Samarco<br />

Eisenerzgrube in Brasilien. 2015 brachen<br />

dort die Dämme eines Abwasserbeckens.<br />

Giftiger Schlamm trat aus<br />

und überschwemmte ein ganzes Dorf.<br />

19 Menschen starben, viele weitere<br />

verloren ihr Zuhause. Der Fluss Rio<br />

Doce wurde von dem Klärschlamm<br />

verseucht, die dortigen Fischbestände<br />

verendeten. Bis heute sind die sozialen<br />

und ökologischen Folgen zu spüren.<br />

Auch der Abbau von Neodym, das<br />

zum Beispiel für Permanentmagnete<br />

in Windturbinen benötigt wird, hat<br />

eine schlechte Umweltbilanz. Etwa<br />

90 Prozent der Weltproduktion dieses<br />

Metalls kommen aus China. Bei einer<br />

unvorsichtigen Trennung von Neodym<br />

aus dem Gestein werden häufig<br />

Uran und Thorium freigesetzt. Diese<br />

Stoffe gelangen anschließend in Form<br />

von giftigen Gasen, säurehaltigem<br />

Wasser und radioaktiven Abfällen in<br />

die Umwelt. Die Menschen, Tiere und<br />

Pflanzen, die dem ausgesetzt sind,<br />

werden krank. Das giftige Wasser gelangt<br />

mittlerweile sogar in den Yellow<br />

River, einer der Hauptwasserwege<br />

Chinas.<br />

Um Windkraft wirklich komplett<br />

nachhaltig zu machen, <strong>müssen</strong> diese<br />

Probleme gelöst werden. Wie soll das<br />

gehen? Laut der Studie von ActionAid<br />

und SOMO ist die Lieferkette bei den<br />

<strong>Unternehmen</strong>, die die Windkraftturbinen<br />

herstellen, zu intransparent.<br />

Auch die niederländische Regierung<br />

überprüfe die Hersteller zu wenig<br />

auf die Einhaltung der ISC-Standards<br />

in der Lieferkette. Konkrete Handlungen<br />

müssten von beiden Seiten<br />

unternommen werden. Für <strong>Unternehmen</strong><br />

gelte es, eine transparente<br />

Due Diligence in die Managementabläufe<br />

zu integrieren. Die „OECD Due<br />

Diligence Guidance for Responsible<br />

Supply Chains of Minerals from<br />

Conflict-Affected and High-Risk<br />

Areas” kann dabei als Richtlinie hilfreich<br />

sein. Kontrollsysteme <strong>müssen</strong><br />

aber auch vonseiten der Regierungen<br />

eingeführt werden. Zum Beispiel<br />

das Erstellen einer verpflichtenden<br />

CSR-Vereinbarung bei der Vergabe<br />

öffentlicher Aufträge. EU-weite gesetzliche<br />

Regelungen für die Hersteller<br />

der Windkraftturbinen wären eine<br />

weitere Möglichkeit, die Probleme in<br />

der Lieferkette anzugehen. f<br />

Foto: Marion Lenzen<br />

Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de<br />

77


<strong>Menschenrechte</strong><br />

Die dunkle Seite der Energiewende ❷<br />

Steinkohle –<br />

ein schmutziges Geschäft<br />

In Deutschland wird die<br />

Steinkohleproduktion Ende<br />

2018 eingestellt, der Strom soll<br />

ja sauber werden. Doch die<br />

Kraftwerke laufen weiter –<br />

mit Importkohle. Länder wie<br />

Kolumbien baden stattdessen<br />

die Energiewende aus. So<br />

verlieren etwa die Wayuu und<br />

andere ethnische Gruppen<br />

mehr und mehr von ihrem<br />

Land und werden zwangsumgesiedelt.<br />

Alle vier Tage wird ein Gewerkschaftler in Kolumbien<br />

ermordet. Diese Zahlen stammen nicht aus den<br />

dunklen Tagen des Bürgerkriegs in den 90er-Jahren,<br />

sondern aus 2018. Luis Alejandro Pedraza, Chef der Gewerkschaft<br />

„Central Unitaria de Trabajadores en Colombia“ (CUT)<br />

zählte bereits über 3.100 tote Kollegen gegenüber dem<br />

Lokalsender RCN Radio.<br />

Noch prekärer ist die Situation für die Wayuu-Indianer. Tote<br />

Gewerkschaftler bringen es immerhin in die Nachrichten.<br />

Das Leiden der Indigenen ist dagegen „normal“. Der Fehler<br />

der Wayuu ist, dass sich ihr traditioneller Siedlungsraum<br />

auf der Guajira-Halbinsel im Nordosten Kolumbiens befindet.<br />

Weit abgelegen eigentlich, aber im Boden schlummern<br />

kostbare Rohstoffe. Allen voran Steinkohle.<br />

Gleich zwei Minen befinden sich in der Gegend. Eine ist weltweit<br />

bekannt aufgrund ihres schieren Ausmaßes: El Cerrejón<br />

ist die größte Mine Lateinamerikas. Auf einer gigantischen<br />

Fläche von 69.000 Hektar graben sich jeden Tag Bagger immer<br />

tiefer ins Erdreich. Ströme von Trucks transportieren<br />

die Steinkohle ab. Eigentümer sind drei der größten Minenbetreiber<br />

weltweit: Die australische BHP Billiton, das britisch-südafrikanische<br />

Anglo American und der Schweizer<br />

Konzern Glencore. 33,4 Millionen Tonnen fördert Cerrejón<br />

im Jahr. Laut Plan sollten es eigentlich 90 Millionen Tonnen<br />

sein, denn der Energiehunger weltweit ist unstillbar.<br />

Wie die News-Agentur Reuters jedoch berichtet, behindern<br />

Extremwetter und Regenfälle die Produktion. Klimakapriolen<br />

sind derzeit die besten Verbündeten der Wayuu-<br />

Indianer. Doch auch das schützt nicht vor Repressalien.<br />

Die andere Mine ist weniger bekannt in der internationalen<br />

Öffentlichkeit, aber bei den Einheimischen umso gefürchteter:<br />

Die Drummond-Mine im Departamento César gehört<br />

zum gleichnamigen US-Konzern. Hier kam es in der Vergangenheit<br />

zu unglaublichen Menschenrechtsverstößen. Doch<br />

folgen wir zunächst der Spur der Kohle und ihrer Abnehmer:<br />

Deutsche Energieversorger nutzen jährlich bis zu 50<br />

Millionen Tonnen Steinkohle aus Ländern, in denen <strong>Menschenrechte</strong><br />

beim Kohleabbau zum Teil massiv verletzt werden.<br />

Deutschland ist damit größter Steinkohle-Importeur in<br />

Europa. Rund zehn Millionen Tonnen stammen aus Kolumbien.<br />

Zu den Abnehmern kolumbianischer Kohle zählen alle<br />

großen deutschen Verstromer: RWE, E.ON, Vattenfall, Steag<br />

und EnBW. Die Baden-Württemberger verbrannten 2015<br />

nach Spiegel-Angaben etwa zwei Millionen Tonnen Kohle<br />

aus Kolumbien, davon eine halbe Million aus Cerrejón.<br />

78 Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de


<strong>Menschenrechte</strong><br />

Industrie-Initiative „Better Coal“<br />

Foto: cherylvb / stock.adobe.com<br />

Ende 2011 starteten Energieversorger die Nachhaltigkeitsinitiative<br />

Better Coal. Gründungsmitglieder<br />

sind u.a. RWE, E.ON und Vattenfall. Better Coal soll,<br />

so lautet das Credo, Standards definieren und die<br />

Praxis „vor Ort in den internationalen Kohlebergwerken<br />

und entlang der Lieferkette verbessern“ sowie<br />

„Umweltschutz und nachhaltiges Handeln“ fördern<br />

und Beurteilungen durch „unabhängige Prüfer<br />

durchführen“. Bei RWE heißt es dazu: „Über Audits in<br />

Kohleminen weltweit und verbindliche Maßnahmen,<br />

um gefundene Mängel zu beheben, schafft Better<br />

Coal langfristig mehr Umweltschutz, bessere Abbauund<br />

Arbeitsbedingungen und eine Berücksichtigung<br />

von Interessen der Anwohner.“ Das sei ein „leeres<br />

Versprechen“, widerspricht die Umwelt- und Menschenrechtsorganisation<br />

Urgewald. Denn vom Umweltschutz<br />

sei in den Bergbauregionen kaum etwas<br />

zu sehen. „In der Kohleabbauregion Cesár ist die<br />

Luftverschmutzung so stark“, zitiert das Online-Magazin<br />

klimaretter.info Gloria Holguín aus Kolumbien,<br />

„dass das Umweltministerium die Umsiedlung der<br />

Gemeinde angeordnet hat.“<br />

„Wenn es der Bundesrepublik ernst<br />

mit dem Kohleausstieg ist, dann reicht<br />

es nicht aus, den Abbau in Deutschland<br />

sozialverträglich zu beenden.<br />

Dann muss die Kommission auch die<br />

Beendigung von Kohleimporten aus<br />

dem Ausland in ihre Agenda aufnehmen“,<br />

betont Misereor-Chef Pirmin<br />

Spiegel. „Sonst werden die Kosten<br />

für unseren Energiebedarf weiterhin<br />

auch auf andere Länder und Menschen<br />

verlagert.“<br />

Lange war alles ganz einfach: Die<br />

EnBW und andere Stromversorger<br />

kauften billige Steinkohle im Bürgerkriegsland<br />

Kolumbien und niemand<br />

stellte kritische Fragen. Doch auf<br />

einmal wurde es kompliziert. Sebastian<br />

Rötters vom Verein PowerShift<br />

erzählt: „Zwei wichtigen Kohlelieferanten,<br />

Drummond und der Glencore-<br />

Tochter Prodeco, wurde vorgeworfen,<br />

über viele Jahre paramilitärische<br />

Einheiten finanziert zu haben.“ Zuvor<br />

sei bereits bekannt gewesen,<br />

dass ein kolumbianisches Gericht Ermittlungen<br />

gegen mehrere ranghohe<br />

Drummond-Mitarbeiter und den Firmenboss<br />

anmahnte, um ihre Mitverantwortung<br />

für mehr als 3.000 Morde<br />

und 55.000 Vertriebene festzustellen.<br />

Die Zahlen sind unglaublich, aber die<br />

meisten Opfer waren einfache Bürger<br />

vor Ort. Erst die Ermordung von<br />

zwei Gewerkschaftsführern brachte<br />

staatliche Ermittlungen ins Rollen.<br />

Ein kolumbianisches Gericht ließ<br />

eine Klage gegen mehrere ranghohe<br />

Drummond-Mitarbeiter und sogar deren<br />

Direktor zu. Zahlreiche darauffolgende<br />

Untersuchungen von offizieller<br />

Seite und von NGOs brachten erschütternde<br />

Muster zutage: „Wir haben<br />

Aussagen von ehemaligen paramilitärischen<br />

Kommandanten der AUC,<br />

dass die Minenbetreiber Glencore und<br />

Drummond seit 1996 halfen, eine militärische<br />

Einheit aufzubauen. Sie begannen<br />

1996 mit 40 bis 60 Männern.<br />

2006 war diese Gruppe auf eine kleine<br />

Privatarmee mit 600 Soldaten angewachsen“,<br />

sagt Marianne Moore, Autorin<br />

einer der Studien. „Die Zeugenaussagen<br />

sowohl von Opfern als auch<br />

von Tätern machen deutlich, dass die<br />

Bergbauunternehmen bis heute von<br />

dieser Kooperation profitieren.“<br />

Die Berichte werfen ein Schlaglicht<br />

auf das weltweit kaum kontrollierte<br />

und intransparente Geschäft mit<br />

Rohstoffen, schreibt der Spiegel: „Mit<br />

Koffern voller Geld sowie verdeckten<br />

Überweisungen etwa über Dienstleister<br />

soll der US-Konzern Drummond<br />

Zahlungen an die Paramilitärs der<br />

Juan Andrés Alvarez-Front geleistet<br />

und so etwa den Kampf um bessere<br />

Arbeitsbedingungen unterminiert<br />

haben.“ f<br />

Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de<br />

79


MORAL MINING<br />

Foto: CURIOSO.PL / stock.adobe.com<br />

Deutschland bezieht mineralische Rohstoffe aus mehr als 160 Ländern weltweit. Viele davon<br />

werden unter Missachtung von Arbeits-, Sicherheits- und Umweltstandards gewonnen. Geht’s<br />

auch anders? Ja, sagen die niederländische und schweizerische Regierung und unterstützen<br />

einen entsprechenden Index.<br />

Metalle und Mineralien sind untrennbar mit unserem täglichen<br />

Leben verbunden. Kupfer, Eisen, Kobalt und Lithium<br />

befinden sich in unseren Handys, Autos und Häusern. Diese<br />

Materialien werden weltweit abgebaut, ihr Verbrauch<br />

und ihre Nutzung verbinden uns mit Bergarbeitern, von<br />

der Mine betroffenen Gemeinden und Umgebungen weltweit.<br />

Und unsere Nachfrage nach diesen Rohstoffen wird<br />

noch steigen, auch aufgrund des erwarteten Übergangs zu<br />

nachhaltigen Energiequellen.<br />

Bergbauunternehmen behaupten, beim Abbau dieser Rohstoffe<br />

verantwortungsbewusst mit Mensch und Umwelt<br />

umzugehen, aber ist das wirklich der Fall? Die Antwort<br />

auf diese Frage ist nun leicht im Responsible Mining Index<br />

(RMI) zu finden. Dies ist ein evidenzbasierter Index, der die<br />

Politik und Praktiken von Bergbauunternehmen in sechs<br />

wichtigen Bereichen bewertet, darunter Arbeitsbedingungen,<br />

Umwelt, wirtschaftliche Entwicklung und Wohlbefinden<br />

der Gemeinschaft.<br />

Die RMI-Rankings zeigen auf einen Blick, inwieweit verschiedene<br />

<strong>Unternehmen</strong> diese Themen angehen. Auf der<br />

Grundlage der im Index enthaltenen Informationen können<br />

Interessengruppen wie Gewerkschaften, Investoren, lokale<br />

Gemeinschaften und Regierungen die Bergbauunternehmen<br />

ermutigen, einer Reihe von wirtschaftlichen, ökologischen,<br />

sozialen und Governance-Fragen (EWSA) mehr<br />

Aufmerksamkeit zu schenken. Der Responsible Mining Index<br />

ist eine Initiative der Responsible Mining Foundation<br />

mit Sitz in den Niederlanden. Der Index wurde weitgehend<br />

Firma<br />

Anglo American<br />

(UK)<br />

BHP Billiton<br />

(UK)<br />

Rio Tinto<br />

(AUS)<br />

Glencore<br />

(CH)<br />

Vale<br />

(BRAS)<br />

Barrick Gold<br />

(CAN)<br />

Teck<br />

(CAN)<br />

Newmort Mining<br />

(USA)<br />

AngloGold Ashanti<br />

(RSA)<br />

Mitarbeiter /<br />

Umsatz<br />

78.000 MA<br />

21,5 Mrd. USD<br />

65.000 MA<br />

30,9 Mrd. USD<br />

51.000 MA<br />

33,8 Mrd. USD<br />

155.000 MA<br />

177,5 Mrd. USD<br />

134.000 MA<br />

27,5 Mrd. USD<br />

22.400 MA<br />

8,5 Mrd. USD<br />

9.800 MA<br />

9,3 Mrd. USD<br />

23.200 MA<br />

6,7 Mrd. USD<br />

52.700 MA<br />

4,2 Mrd. USD<br />

80 Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de


<strong>Menschenrechte</strong><br />

vom niederländischen Außenministerium und dem schweizerischen<br />

Staatssekretariat für Wirtschaft unterstützt.<br />

Die wichtigsten Ergebnisse<br />

Eines der wichtigsten Ergebnisse des Index ist, dass <strong>Unternehmen</strong><br />

allzu oft ihre eigenen politischen Verpflichtungen<br />

im Bereich des verantwortungsvollen Bergbaus nicht in die<br />

Tat umsetzen, wie z.B. bei Menschenrechtsfragen oder der<br />

Gewährleistung eines sicheren Arbeitsumfeldes. Und das<br />

Ausmaß und die Dauerhaftigkeit schwerwiegender nachteiliger<br />

Auswirkungen stehen im Widerspruch zu der weit<br />

verbreiteten Existenz von <strong>Unternehmen</strong>sverpflichtungen.<br />

So ereignen sich beispielsweise weiter Todesfälle von Arbeitnehmern<br />

(die 30 im Index aufgeführten <strong>Unternehmen</strong><br />

meldeten im Zeitraum 2015 bis 2016 insgesamt 331 Todesfälle<br />

von Arbeitnehmern), obwohl sich fast jedes <strong>Unternehmen</strong><br />

für den Arbeitsschutz eingesetzt hat.<br />

Gleichzeitig zeigt der Index, dass die 30 <strong>Unternehmen</strong> in<br />

vielen Bereichen gemeinsam verantwortungsbewusstes<br />

Bergbauen demonstrieren. Es finden sich starke Fälle von<br />

führender Praxis, die wertvolle Modelle für andere <strong>Unternehmen</strong><br />

darstellen.<br />

Diese erste Ausgabe des RMI führt 30 große Minengesellschaften<br />

auf, die zusammen mehr als 700 Minen in über<br />

vierzig Ländern betreiben. Diese <strong>Unternehmen</strong> machen 25<br />

Prozent aller abgebauten Rohstoffe weltweit aus. Der Index<br />

umfasst <strong>Unternehmen</strong> wie BHP Billiton, Rio Tinto, Glencore,<br />

Vale, Barrick Gold und Anglo American, die alle zu den<br />

zehn größten Minenunternehmen der Welt gehören. f<br />

Wirtschaftlichkeit<br />

<strong>Unternehmen</strong>sführung<br />

Lifecycle<br />

Management<br />

Bürgerschaftl.<br />

Engagement<br />

Arbeitsbedingungen<br />

Umweltschutz<br />

● 0,648 ● 0,657 ● 0,930 ● 0,745 ● 0,788 ● 0,668<br />

● 0,13 ● 0,666 ● 0,056 ● 0,328 ● 0,550 ● 0,48<br />

● 0,223 ● 0,630 ● 0,254 ● 0,214 ● 0,570 ● 0,447<br />

● 0,222 ● 0,621 ● 0,268 ● 0,280 ● 0,601 ● 0,497<br />

● 0,555 ● 0,504 ● 0,304 ● 0,197 ● 0,575 ● 0,391<br />

● 0,315 ● 0,549 ● 0,353 ● 0,595 ● 0,516 ● 0,420<br />

● 0,222 ● 0,639 ● 0,690 ● 0,420 ● 0,564 ● 0,714<br />

● 0,500 ● 0,693 ● 0,549 ● 0,695 ● 0,5778 ● 0,725<br />

● 0,185 ● 0,594 ● 0,620 ● 0,473 ● 0,821 ● 0,577<br />

Quelle: Responsible Mining Index<br />

Ausgabe 10 | November 2018 | Umweltdialog.de<br />

81


<strong>Menschenrechte</strong><br />

guter<br />

Letzt<br />

Zu<br />

Angst-Räume<br />

in der Stadt<br />

Radler spüren den kalten<br />

Angstschweiß, wenn<br />

ihnen ein Lkw zu nahe<br />

kommt, Fußgänger fühlen<br />

sich in der Unterführung<br />

mulmig, eine Straßenecke<br />

weiter genießen sie das<br />

entspannte Flanieren. Das<br />

Projekt Urban Emotions<br />

am Karlsruher Institut<br />

für Technologie (KIT) entwickelt<br />

Methoden, diese Gefühle messbar zu machen,<br />

um sie bei der Stadt- und Raumplanung zu berücksichtigen.<br />

Mit Smartband-Sensormessungen erheben die Wissenschaftler<br />

echtzeitnah die körperlichen Stressreaktionen<br />

von Probanden, die auf festgelegten Strecken in unterschiedlichen<br />

städtischen Situationen unterwegs sind.<br />

Zugleich nimmt eine am Fahrrad oder Körper befestigte<br />

360-Grad-Videokamera die jeweilige Umgebung auf,<br />

während über GPS die Position des Probanden erfasst<br />

wird. Die Verknüpfung der körperbiologischen Resonanzdaten<br />

mit den Bildern und Standortdaten ermöglicht<br />

es zu bestimmen, wann und wo die Versuchsteilnehmer<br />

Stress erlebt haben.<br />

„Bei Stress steigt die Hautleitfähigkeit und die Körpertemperatur<br />

sinkt. Diese Körperreaktionen lassen sich<br />

nicht beeinflussen, deshalb ermöglicht ihre Messung<br />

den Versuch, Gefühle objektiv zu erfassen“, erläutert Dr.<br />

Peter Zeile, Forschungsleiter des Projekts. Die digitale<br />

Stadtforschung von Urban Emotions hilft, Angstpunkte<br />

im Bestand aufzuspüren und zu beseitigen, und sie<br />

bietet aussagefähige Grundlagen für bürgerzentrierte<br />

raumplanerische Prozesse.<br />

PS: Und wenn's im Straßenverkehr schief läuft, hat<br />

man immer noch die Daten zur nachträglichen Auswertung.<br />

So wird jede und jeder zu ihrer / seiner eigenen<br />

Blackbox. Toll! f<br />

IMPRESSUM<br />

UmweltDialog ist ein unabhängiger Nachrichtendienst<br />

rund um die Themen Nachhaltigkeit und Corporate<br />

Social Responsibility. Die Redaktion von Umwelt-<br />

Dialog berichtet unabhängig, auch von den Interessen<br />

der eigenen Gesellschafter, über alle relevanten Themen<br />

und Ereignisse aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.<br />

Herausgeber:<br />

macondo publishing GmbH<br />

Dahlweg 87<br />

48153 Münster<br />

Tel.: 0251 / 200782-0<br />

Fax: 0251 / 200782-22<br />

E-Mail: redaktion@umweltdialog.de<br />

Redaktion dieser Ausgabe:<br />

Dr. Elmer Lenzen (V.i.S.d.P.), Sonja Scheferling,<br />

Milena Knoop, Lucas Beesten, Julia Arendt,<br />

Elena Köhn<br />

Bildredaktion:<br />

Marion Lenzen<br />

Gestaltung:<br />

Gesa Weber<br />

Lektorat:<br />

Marion Lenzen, Milena Knoop<br />

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Digital: 2199-1626<br />

Print: 2367-4113<br />

82 Ausgabe 10 | | November 2018 | | Umweltdialog.de


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17.05.2019


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