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Leo Januar/Februar 2019

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MUSIK<br />

INTERVIEW<br />

FOTOS: T. BRUENING<br />

ALICE MERTON:<br />

gesundes Selbstbewusstsein<br />

Einst machte die Plattenfirma<br />

Decca einen folgenschweren<br />

Fehler: Sie lehnte die<br />

Beatles mangels Erfolgsaussichten<br />

ab. Ein ähnliches Schicksal ereilte<br />

die Sängerin Alice Merton, nachdem<br />

sie ihr Studium an der Mannheimer<br />

Popakademie beendet hatte. „Keiner<br />

wollte meine Musik“, erinnert<br />

sie sich. Zumindest nicht in der<br />

Originalfassung. Einige Vertreter<br />

der Plattenbranche versuchten ihr<br />

einzureden, ihre Lieder würden nur<br />

als Remixe funktionieren. Andere<br />

rieten ihr, bei ihrem Lied „No Roots“<br />

die Gitarre und die Bridge stärker<br />

in den Vordergrund zu rücken. „Das<br />

war für mich vollkommen indiskutabel“,<br />

sagt die 25-Jährige. „Ich<br />

hatte keine Lust, einen Vertrag<br />

mit jemandem abzuschließen, der<br />

meine Visionen nicht teilt.“<br />

Statt sich von Marketingprofis ein musikalisches<br />

und optisches Image maßschneidern<br />

zu lassen, gründete Alice Merton<br />

in Berlin ihr eigenes Label Paper Plane<br />

Records. In ihrem Büro am Prenzlauer<br />

Berg empfängt sie nun Journalisten zum<br />

Interview. Sie hat es sich mit angezogenen<br />

Knien auf einer Couch gemütlich gemacht.<br />

In einem Raum, der in warmes Licht<br />

getaucht wird. Heimeligkeit weiß sie offensichtlich<br />

zu schätzen. Dabei tut sie sich<br />

mit dem Begriff „Zuhause“ schwer, wie<br />

ihr Hit „No Roots“ unter Beweis stellt. Er<br />

katapultierte sie nicht bloß auf Platz zwei<br />

der deutschen Charts, sondern wurde ein<br />

internationaler Hit, der es an die Spitze der<br />

US-Adult-Alternative-Songs- sowie der<br />

US-Rock-Airplay-Charts schaffte. Mehr als<br />

eine Million Mal verkaufte er sich weltweit.<br />

Was ist das Geheimnis dieses Erfolgs?<br />

Musik, die ebenso eingängig wie eigenwillig<br />

ist. Eine hinreißende Stimme. Ein persönlicher<br />

Text mit Bezug zu Alice<br />

Mertons unsteter Kindheit:<br />

Die Tochter einer Deutschen<br />

und eines Iren wurde<br />

in Frankfurt geboren, sie<br />

wuchs in Kanada, in den<br />

USA, in Deutschland und<br />

England auf. „Auf dieser<br />

Welt gibt es keinen Ort, an<br />

dem ich mich richtig daheim<br />

fühle“, resümiert sie. „Für mich<br />

ist eher meine Musik mein Zuhause.<br />

Oder Menschen, die mir wirklich etwas<br />

bedeuten.“ Zum Beispiel ihr Manager und<br />

bester Freund Paul Grauwinkel<br />

. Wie sich die beiden an einer Bushaltestelle<br />

in Mannheim kennengelernt haben,<br />

beschreibt Alice Merton in dem Stück<br />

„2 Kids“. Diese aufgekratzte Ode an die<br />

Freundschaft lässt keinen Zweifel daran,<br />

dass die Killers zu den musikalischen Vorbildern<br />

der Wahl-Berlinerin zählen.<br />

Auf ihrem Debütalbum „Mint“ gelingt ihr<br />

die Gratwanderung zwischen schlichter<br />

Instrumentierung und Elektro-Beats. Ihre<br />

Songs setzen auf energetischen Pop.<br />

Erfreulicherweise kommen sie völlig ungekünstelt<br />

daher. Genau wie Alice Merton<br />

selbst. Sie macht keinen Hehl daraus, wie<br />

anstrengend es manchmal ist, monatelang<br />

mit neun Männern im Tourbus unterwegs<br />

zu sein. Allerdings sieht sie kaum eine<br />

Chance, daran etwas mit weiblicher Verstärkung<br />

zu ändern: „Frauen in meinem Alter<br />

haben oft einen festen Freund<br />

und denken vielleicht schon<br />

über die Familienplanung<br />

nach. Für sie wäre es<br />

keine Option, ständig<br />

zu reisen.“<br />

Alice Merton selbst<br />

ist da flexibler. Mit<br />

ihrem Vagabundenleben<br />

kommt sie eigentlich<br />

ganz gut zurecht. In dem<br />

Titel „Homesick“ verkündet<br />

sie, sie habe niemals Heimweh, doch<br />

gelegentlich vermisse sie bestimmte<br />

Menschen. Diese Verse singt sie mit der<br />

Stimme einer Frau, die sich einen Panzer<br />

aus Empfindsamkeit zugelegt hat. „Mich<br />

plagen viele Ängste“, gesteht sie. „Wenn<br />

ich die jetzt alle aufzählen würde, würden<br />

wir stundenlang hier sitzen.“ Das bedeutet<br />

aber nicht, dass Alice Merton total verunsichert<br />

ist: „Bei meinen Auftritten habe ich<br />

durchaus ein gesundes Selbstbewusstsein.“<br />

*Interview: Dagmar Leischow

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