RA 01/2019 - Entscheidung des Monats
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<strong>01</strong>/2<strong>01</strong>9<br />
ENTSCHEIDUNGDESMONATS<br />
ZIVILRECHT<br />
LebenslangesWohnrechtalsVertragzugunsten<br />
Dritergem.§328BGB
Editorial <strong>RA</strong> 12/2<strong>01</strong>8<br />
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<strong>RA</strong> <strong>01</strong>/2<strong>01</strong>9<br />
Zivilrecht<br />
1<br />
ZIVILRECHT<br />
Problem: Lebenslanges Wohnrecht als Vertrag zugunsten<br />
Dritter gem. § 328 BGB<br />
Einordnung: Schuldrecht AT<br />
BGH, Urteil vom 14.11.2<strong>01</strong>8<br />
VIII ZR 109/18<br />
EINLEITUNG<br />
Bei einem Vertrag zugunsten Dritter verpflichtet sich der Schuldner („Versprechende“)<br />
eine Leistung an einen vom Gläubiger („Versprechensempfänger“)<br />
verschiedenen Dritten zu erbringen. Das Bürgerliche Gesetzbuch regelt in<br />
den §§ 328-335 BGB den sog. echten Vertrag zugunsten Dritter. Dabei erwirbt<br />
der Dritte einen eigenen Anspruch gegen den Versprechenden. Ob dies der<br />
Fall ist, richtet sich stets nach dem Vertragsinhalt, der ggf. durch Auslegung<br />
(§§ 133, 157 BGB) klarzustellen ist.<br />
SACHVERHALT<br />
Die Beklagte (B) mietet im Jahr 1981 von der Stadt Bochum die Erdgeschosswohnung<br />
eines Siedlungshauses mit zwei Wohnungen. B hat als ehemaliger<br />
Bergmann einen sog. Bergmannsversorgungsschein. Im Jahr 2<strong>01</strong>2 erwirbt der<br />
Kläger (K) das Siedlungshaus von der Stadt Bochum. Der notarielle Kaufvertrag<br />
vom 04.07.2<strong>01</strong>2 enthält in § 2 b) u.a. folgende von den Parteien ausgehandelte<br />
Regelung: „Dem Käufer ist bekannt, dass im Haus eine Wohnung im<br />
Erdgeschoss an B vermietet ist (Vertragsbeginn 16.06.1981). Der Mieter hat<br />
ein lebenslanges Wohnrecht. Der Käufer übernimmt das bestehende Mietverhältnis.<br />
Er darf insbesondere keine Kündigung wegen Eigenbedarfs oder<br />
wegen der Behinderung einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung<br />
aussprechen. Möglich ist lediglich eine Kündigung wegen der erheblichen<br />
Verletzung der dem Mieter obliegenden vertraglichen Verpflichtungen.“ Im<br />
Anschluss an den Erwerb zieht K in die Wohnung im ersten Stock. Mit Schreiben<br />
vom 25.02.2<strong>01</strong>5 kündigt K das mit B bestehende Mietverhältnis nach § 573a I 1<br />
BGB. B widerspricht der Kündigung. Er macht geltend, in dem notariellen Kaufvertrag<br />
vom 04.12.2<strong>01</strong>2 sei zu seinen Gunsten ein lebenslanges Wohnrecht<br />
vereinbart worden, das der Kündigung entgegenstehe. K entgegnet, dass der<br />
ursprüngliche Mietvertrag mit der Stadt Bochum ein Wohnrecht nicht vorgesehen<br />
habe. § 2 b) <strong>des</strong> notariellen Kaufvertrages sei daher widersprüchlich.<br />
Zudem sei B bereits durch die gesetzlichen Regelungen <strong>des</strong> Mietrechts<br />
– wie z.B. § 573 BGB – ausreichend geschützt. K verlangt daher Räumung und<br />
Herausgabe der Erdgeschosswohnung. Zu Recht?<br />
PRÜFUNGSSCHEMA<br />
LEITSATZ<br />
Bei der in einem Kaufvertrag <strong>des</strong><br />
Vermieters über ein Hausgrundstück<br />
enthaltenen Vereinbarung,<br />
wonach der Mieter einer Wohnung<br />
<strong>des</strong> Hauses ein lebenslanges Wohnrecht<br />
haben und eine ordentliche<br />
Kündigung <strong>des</strong> Mietverhältnisses<br />
durch den in den Mietvertrag eintretenden<br />
Erwerber ausgeschlossen<br />
sein soll, handelt es sich um einen<br />
(echten) Vertrag zugunsten Dritter<br />
(hier: <strong>des</strong> Mieters) gem. § 328 BGB.<br />
Der Mieter erwirbt hierdurch unmittelbar<br />
das Recht, auf Lebenszeit von<br />
dem Käufer die Unterlassung einer<br />
ordentlichen Kündigung <strong>des</strong> Mietverhältnisses<br />
zu verlangen.<br />
A. K gegen B gem. §§ 549 I, 546 I BGB<br />
I. Vorliegen eines Mietverhältnisses<br />
II. Beendigung gem. § 542 I BGB<br />
B. Ergebnis<br />
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2 Zivilrecht <strong>RA</strong> <strong>01</strong>/2<strong>01</strong>9<br />
LÖSUNG<br />
A. K gegen B gem. §§ 549 I, 546 I BGB<br />
K könnte gegen B einen Anspruch auf Räumung und Herausgabe der<br />
Erdgeschosswohnung gem. §§ 549 I, 546 I BGB haben.<br />
Gem. § 566 BGB wird der neue<br />
Eigentümer auch Vermieter.<br />
§ 576a I 1 BGB erleichtert die<br />
Kündigung.<br />
Das vereinbarte „lebenslange Wohnrecht“<br />
könnte sich auf § 576a I 1 BGB<br />
auswirken.<br />
Die zwischen K und der Stadt<br />
Bochum getroffene Abrede in Ziffer<br />
2b) <strong>des</strong> notariellen Kaufvertrags ist<br />
nach den allgemeinen Grundsätzen<br />
(§§ 133, 157 BGB) auszulegen.<br />
B sollte das eigene Recht gerade<br />
auch K gegenüber zustehen.<br />
Wörtliche Auslegung<br />
In der Vereinbarung ist ein echter<br />
Vertrag zugunsten Dritter i.S.d.<br />
§ 328 BGB zu sehen. Ziel ist die<br />
Sicherstellung der Versorgung <strong>des</strong><br />
besonders schutzwürdigen Mieters<br />
B.<br />
I. Vorliegen eines Mietverhältnisses<br />
K schloss im Jahr 1981 mit der Stadt Bochum einen Mietvertrag über die Erdgeschosswohnung<br />
eines Siedlungshauses. In diesen ist B gem. § 566 I BGB<br />
eingetreten. Ein Mietverhältnis i.S.d. § 535 BGB liegt damit zwischen den<br />
Parteien vor.<br />
II. Beendigung gem. § 542 I BGB<br />
Das Mietverhältnis über die Erdgeschosswohnung müsste aufgrund der Kündigung<br />
vom 25.02.2<strong>01</strong>5 beendet worden sein. Gem. § 576a I 1 BGB kann der<br />
Vermieter ein Mietverhältnis über eine Wohnung in einem von ihm selbst<br />
bewohnten Gebäude mit nicht mehr als zwei Wohnungen kündigen, ohne<br />
dass es eines berechtigten Interesses i.S.d. § 573 BGB bedarf. Fraglich ist, ob<br />
dieser erleichterten Kündigung vorliegend das im notariellen Kaufvertrag zwischen<br />
der Stadt Bochum und K individuell vereinbarte lebenslange Wohnrecht<br />
<strong>des</strong> B entgegensteht. Es könnte sich dabei um einen echten Vertrag zugunsten<br />
Dritter gem. § 328 BGB handeln, der dem B eigene Rechte gegenüber K einräumt<br />
und eine Kündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 und 3 BGB sowie nach<br />
§ 573a BGB ausschließt.<br />
„[19] Nach anerkannten Auslegungsgrundsätzen bildet der von den<br />
Parteien gewählte Wortlaut einer Vereinbarung und der diesem zu entnehmende<br />
objektiv erklärte Parteiwille den Ausgangspunkt einer nach<br />
§§ 133, 157 BGB vorzunehmenden Auslegung; darüber hinaus sind insbesondere<br />
der mit der Vereinbarung verfolgte Zweck und die Interessenlage<br />
der Parteien zu beachten, ferner die sonstigen Begleitumstände, die den<br />
Sinngehalt der gewechselten Erklärungen erhellen können.<br />
[20] In Anwendung dieser Grundsätze hat das Berufungsgericht die in<br />
§ 2 b) enthaltenen Regelungen rechtsfehlerfrei dahin ausgelegt, dass<br />
mit dem dort genannten lebenslangen Wohnrecht <strong>des</strong> B und dem<br />
Ausschluss einer Kündigung wegen Eigenbedarfs und wirtschaftlicher<br />
Verwertung nicht nur eine Verpflichtung <strong>des</strong> K gegenüber der Stadt<br />
Bochum, sondern eigene Rechte <strong>des</strong> B begründet werden sollten, die<br />
er K direkt entgegenhalten konnte.<br />
[21] Schon der Wortlaut der Regelung, in der von einem bestehenden<br />
lebenslangen Wohnrecht <strong>des</strong> Mieters und einer Übernahme <strong>des</strong> Mietverhältnisses<br />
durch K die Rede ist, deutet darauf hin, dass B auf diese Weise<br />
eine gesicherte Rechtsposition auch gegenüber K als Käufer eingeräumt<br />
werden sollte und B ihren bisherigen Wohnraum nicht verlieren sollte,<br />
sofern er dies nicht selbst zu vertreten hätte.<br />
[22] Die hohe Schutzbedürftigkeit <strong>des</strong> B als langjährigen Mieter, die sich<br />
zusätzlich daraus ergibt, dass ihm ein Bergmannsversorgungsschein<br />
erteilt ist, sowie die Verantwortung der Stadt Bochum als kommunaler<br />
Eigentümer und Veräußerer sprechen ebenfalls dafür, dass mit dieser<br />
Regelung eine Absicherung in der Form einer unmittelbaren Wirkung <strong>des</strong><br />
Kündigungsausschlusses dem K gegenüber gewollt war.<br />
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Zivilrecht<br />
3<br />
[23] Aus dem Umstand, dass der ursprünglich zwischen der Stadt Bochum<br />
und B abgeschlossene Mietvertrag ein lebenslanges Wohnrecht nicht<br />
vorsah, ergibt sich keineswegs, dass die Regelung in § 2 b) <strong>des</strong> Kaufvertrages<br />
widersprüchlich oder gar wegen „Perplexität“ unwirksam wäre.<br />
Im Gegenteil unterliegt es bei verständiger Betrachtung keinem Zweifel,<br />
dass mit der kaufvertraglichen Regelung ein lebenslanges Wohnrecht <strong>des</strong><br />
Mieters und <strong>des</strong>sen Übernahme durch den Käufer im Rahmen <strong>des</strong> Übergangs<br />
<strong>des</strong> Mietverhältnisses festgelegt werden sollte; dies wird durch die<br />
weiteren Sätze, nach denen eine ordentliche Kündigung <strong>des</strong> Mietvertrags<br />
seitens <strong>des</strong> K ausgeschlossen ist, eindeutig bestätigt.<br />
[24] Diesen auf einen umfassenden Schutz <strong>des</strong> Mieters abzielenden<br />
Regelungen <strong>des</strong> Kaufvertrages hat das Berufungsgericht zu Recht<br />
entnommen, dass B mit dem Wohnrecht im Wege eines (echten)<br />
Vertrags zugunsten Dritter (§ 328 BGB) ein unmittelbares Recht gegen<br />
K erwerben sollte, das noch zusätzlich dadurch abgesichert war, dass K<br />
bei einem Verstoß gegen die Mieterschutzbestimmung empfindliche<br />
finanzielle Belastungen durch die nach dem Kaufvertrag von ihnen zu<br />
tragenden Folgekosten drohten.<br />
[25] Ohne Erfolg bleibt auch die weitere Rüge, eine besondere<br />
Schutzbedürftigkeit <strong>des</strong> B sei <strong>des</strong>halb zu verneinen, weil dieser schon<br />
durch die gesetzlichen Regelungen <strong>des</strong> Mietrechts, etwa § 573 BGB,<br />
ausreichend geschützt seien. Die Revision verkennt insoweit, dass es in<br />
dem Kaufvertrag gerade darum ging, zugunsten <strong>des</strong> langjährigen<br />
Mieters der Stadt Bochum einen über § 573 BGB hinausgehenden<br />
Schutz vor ordentlichen Vermieterkündigungen zu gewähren, die<br />
ihren Grund nicht in einem vertragswidrigen Verhalten der Mieter haben.<br />
[26] Schließlich hat das Berufungsgericht die vorgenannten Regelungen<br />
zutreffend dahingehend ausgelegt, dass diese auch eine Kündigung<br />
gem. § 573a I 1 BGB - wie hier vorliegend - ausschließen. Zwar wird die<br />
erleichterte Kündigungsmöglichkeit <strong>des</strong> im selben Hause wohnenden<br />
Vermieters gemäß § 573a I 1 BGB im Kaufvertragstext nicht (ausdrücklich)<br />
angesprochen. Jedoch wird schon aus der Formulierung „insbesondere“<br />
deutlich, dass es sich bei den benannten Kündigungen wegen Eigenbedarfs<br />
(§ 573 II Nr. 2 BGB) und wegen der Hinderung einer angemessenen<br />
wirtschaftlichen Verwertung (§ 573 II Nr. 3 BGB) nicht um eine abschließende<br />
Aufzählung handelt. Da eine Kündigung gemäß § 573a BGB gerade keine<br />
Pflichtverletzung oder ein Verschulden auf Mieterseite voraussetzt, wird<br />
schließlich auch durch die im Vertragstext folgende Regelung, wonach<br />
„lediglich eine Kündigung wegen der erheblichen Verletzung der dem<br />
Mieter obliegenden vertraglichen Verpflichtungen“ möglich sein soll,<br />
besonders deutlich, dass auch die Kündigung gem. § 573a I 1 BGB vom<br />
Kündigungsausschluss mitumfasst ist.“<br />
Mithin steht der (erleichterten) Kündigung <strong>des</strong> Mietvertrages das im notariellen<br />
Kaufvertrag zwischen der Stadt Bochum und K zugunsten <strong>des</strong> B<br />
vereinbarte lebenslange Wohnrecht entgehen.<br />
B. Ergebnis<br />
K hat gegen B keinen Anspruch auf Räumung und Herausgabe der Erdgeschosswohnung<br />
gem. §§ 549 I, 546 I BGB.<br />
Das Gericht vermag keine Widersprüche<br />
im Vertrag zu entdecken<br />
und erkennt das „lebenslange<br />
Wohnrecht“ <strong>des</strong> B.<br />
B steht aus diesem „Wohnrecht“<br />
gegen K ein eigenes Recht zu,<br />
welches er der Kündigung nach<br />
§ 573a I 1 BGB entgegenhalten kann.<br />
Die Vereinbarung sollte B über die<br />
gesetzliche Regelung <strong>des</strong> § 573 BGB<br />
hinaus schützen.<br />
Der Umstand, dass die erleichterte<br />
Kündigung nach § 573a I 1 BGB nicht<br />
ausdrücklich in die Abrede aufgenommen<br />
wurde, ist unschädlich. Es<br />
handelt sich aufgrund <strong>des</strong> Wortlauts<br />
„insbesondere“ um keine abschließende<br />
Aufzählung.<br />
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