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<strong>Medical</strong> <strong>Tribune</strong> | Nr. <strong>10</strong> | 6. März <strong>2019</strong> WIRTSCHAFT | PRAXISFÜHRUNG 21<br />
Landärztin aus Leidenschaft<br />
PRAXISPORTRÄT Dr. Stefanie Essl übernahm 2016 eine Landarztpraxis. Im Sommer 2018 bekam sie ein Baby. Finanzielle<br />
Unterstützung gab’s nur für die Zeit des Mutterschutzes. Trotzdem bereut die Jungärztin ihre Entscheidung nicht.<br />
FOTOS: PRIVAT<br />
KARIN MARTIN<br />
Die Landarztpraxis von Dr. Stefanie<br />
Essl zeichnet sich durch ihre<br />
zentrale Lage am Hauptplatz der<br />
steirischen Gemeinde Passail (Bezirk<br />
Weiz) aus. Apotheke, Bushaltestelle<br />
und Parkplätze finden<br />
sich in unmittelbarer Nähe. Das<br />
Haus ist im Besitz der Gemeinde.<br />
Die bestehenden Räumlichkeiten<br />
werden von der Jungärztin gemietet.<br />
Die Ordination hat an fünf Tagen<br />
die Woche geöffnet, zweimal<br />
nachmittags. Das Praxisteam setzt<br />
sich aus drei Ordinationsassistentinnen<br />
und einer Reinigungskraft<br />
zusammen.<br />
Essl hat die Ordination in<br />
der knapp 4.300-Einwohner-Gemeinde<br />
2016 von ihrem Vorgänger<br />
übernommen. Dieser wollte<br />
zurück in den städtischen Bereich<br />
und hat die Landarztpraxis<br />
als Nachfolgeordination ausgeschrieben.<br />
„Nach reiflicher und intensiver<br />
Überlegung habe ich mich<br />
für eine Bewerbung entschieden,<br />
da mein Mann und ich tief mit<br />
der Gegend verwurzelt sind“, erzählt<br />
die gebürtige Steirerin. „Ich<br />
bin im Ort aufgewachsen, in die<br />
Schule gegangen, habe Verwandte<br />
und Freunde hier.“ Nach Zusage<br />
der Kassenstelle brach die damals<br />
32-Jährige ihre Facharztbildung ab<br />
– und wurde zur jüngsten Allgemeinmedizinerin<br />
mit eigener Ordination<br />
in der Steiermark.<br />
„Die ganze Bürokratie im Hintergrund,<br />
die ein eigener Betrieb<br />
mit sich bringt“ hat Essl zu Beginn<br />
sehr wohl als „abschreckend“ und<br />
„sehr fordernd“ erlebt. Die 1985 Geborene<br />
hatte keinerlei Erfahrung<br />
auf diesem Gebiet. „Gott sei Dank<br />
hatte ich Leute um mich, die mich<br />
in dieser Zeit unterstützt und gut<br />
beraten haben“, schildert sie.<br />
Auch die Investitionen seien am<br />
Anfang „ein sehr großer Brocken,<br />
jedoch überschaubar“ gewesen:<br />
„Leider kam aber relativ rasch die<br />
Ernüchterung in Form von unerwarteten<br />
Kosten, welche die Übernahme<br />
einer älteren Ordination<br />
mit sich bringt.“ Denn: Während<br />
der Standort der Ordination ideal<br />
ist, ist es das Gebäude, wegen seiner<br />
alten Bausubstanz, weniger.<br />
„Die Räumlichkeiten sind zu klein,<br />
es gibt wenig Tageslicht – jedoch<br />
fast keine Möglichkeiten zu expandieren“,<br />
so die junge Kollegin.<br />
„Was man macht, soll<br />
bezahlt werden, so wie in<br />
allen anderen Berufen auch.“<br />
Dr. Stefanie Essl<br />
Dauerbaustelle<br />
Gleichzeitig sei eine Erweiterung<br />
und umfassende Sanierung unumgänglich.<br />
„Seit der Praxiseröffnung<br />
gibt es beinahe jedes Monat<br />
Dinge, die erneuert werden<br />
müssen“, sagt Essl.<br />
Inwieweit das Einkommen<br />
ausreicht, kann sie nach wie vor<br />
schwer sagen, da in den ersten Jahren<br />
die Steuervor- und -nachzahlungen<br />
sowie die Ärztekammerabgaben<br />
erst eingestuft werden<br />
müssen: „Man hofft, dass es durch<br />
die angekündigten Leistungserhöhungen<br />
der Sozialversicherungen<br />
auch zu einer Verbesserung des<br />
Einkommens kommt. Dies ist jedoch<br />
noch abzuwarten.“<br />
Am eigenen Leib hat Essl gerade<br />
erlebt, wie schwierig es als Selbstständige<br />
ist, Mutter zu werden. Ihr<br />
erstes Kind kam im Sommer zur<br />
Essl wurde nicht nur von den jüngsten Patienten schnell akzeptiert.<br />
Welt. Finanzielle Unterstützung<br />
gibt es nur für die Zeit des Mutterschutzes.<br />
Gute Vertretungsärzte<br />
sind teuer und schwer zu bekommen<br />
und müssen über den Mutterschutz<br />
hinaus aus eigener Tasche<br />
bezahlt werden. „Von der Familie<br />
und dem Partner braucht man definitiv<br />
viel Unterstützung“, so die<br />
junge Ärztin und Mutter. Wichtig<br />
sei ein Partner, der selbst auch mit<br />
beiden Beinen im Leben steht und<br />
Verständnis für die Situation mitbringt.<br />
Trotz diverser Schwierigkeiten,<br />
die sich für Selbstständige<br />
im Zuge der Familienplanung ergeben,<br />
rät Essl, sich davon nicht<br />
abschrecken zu lassen, wenn man<br />
Kinder möchte. Denn den „richtigen<br />
Zeitpunkt“ gebe es einfach<br />
nicht. Grundsätzlich sei alles lösbar<br />
und selbst die beste Arbeit<br />
könne die wunderbaren Momente<br />
mit dem Nachwuchs nicht ersetzen.<br />
„Die Zeit, die mit der Familie<br />
bleibt, muss man einfach richtig<br />
genießen und nutzen!“ Umgekehrt<br />
sollte man nicht wegen der<br />
schwierigeren Familienplanung<br />
das Landarztdasein „verteufeln“<br />
und immer nach Ausflüchten suchen:<br />
„Es ist zwar ein anspruchsvoller,<br />
jedoch überaus schöner<br />
Beruf, den ich engagierten Kolleginnen<br />
und Kollegen nur empfehlen<br />
kann!“<br />
Auf die Frage, ob sich die Arbeit<br />
in einer Landarztpraxis generell<br />
mit einer modernen Lebensführung<br />
vereinbaren lasse, antwortet<br />
die Jungärztin mit einer Gegenfrage:<br />
„Was bezeichnet eine moderne<br />
Lebensführung? Man passt<br />
sich den Gegebenheiten an. Freizeit<br />
ist oft sehr knapp bemessen,<br />
man muss die Gelegenheiten dann<br />
einfach besser nutzen.“ Was leicht<br />
unterschätzt werde, seien die bürokratischen<br />
Tätigkeiten und die<br />
Hausbesuche.<br />
Süße Unabhängigkeit<br />
Essl weiß jedoch auch um die Vorteile<br />
einer eigenen Ordination:<br />
Man ist sein eigener Boss. Der<br />
Alltag ist abwechslungsreich. Die<br />
Menschen geben einem sehr viel<br />
zurück. Die jahrelange Betreuung<br />
der Patienten ist zwar anspruchsvoll,<br />
doch eine besonders schöne<br />
Erfahrung. Diese sind keine „anonymen<br />
Ziffern“ im System wie im<br />
Krankenhaus. Auch den kurzen<br />
Weg von drei Minuten zur Arbeit<br />
weiß die Landärztin zu schätzen.<br />
„Davor waren es 50 Minuten bei<br />
schönem Wetter und bis zu 90 Minuten<br />
bei Schneefall – und das war<br />
nur eine Strecke!“, gibt sie zu bedenken.<br />
In einem PHC statt in einer Einzelordination<br />
zu arbeiten, hätte<br />
sich Essl nicht vorstellen kön-