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Medical Tribune 10/2019

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<strong>Medical</strong> <strong>Tribune</strong> | Nr. <strong>10</strong> | 6. März <strong>2019</strong> MEDIZIN UND ICH VON A BIS Z 23<br />

Ab jetzt bin ich Ärztin mit Grenzen<br />

FOTO: FURGLER<br />

Von<br />

Dr. Ulrike Stelzl<br />

Kassen ärztin<br />

für Allgemeinmedizin<br />

in Graz<br />

Gerade lese ich einen Artikel, der<br />

mich warnt, dass wir Ärzt/innen<br />

häufiger „Burnout“-gefährdet sind<br />

als viele andere Berufsgruppen.<br />

Nur Lehrer oder Feuerwehrleute<br />

übertreffen uns noch. Eigentlich<br />

mag ich die Diagnose „Burnout“<br />

überhaupt nicht. Weil sie einfach<br />

so „in“ ist und weil schon jeder<br />

Sechzehnjährige, von dem ein wenig<br />

Leistung gefordert wird, sich<br />

als potenzielles Opfer dieser heimtückischen<br />

Erscheinung wähnt.<br />

S wie Selbstevaluation<br />

Ich sehe Leistung als etwas sehr<br />

Positives und bin außerdem der<br />

Überzeugung, dass gelegentliche<br />

Selbstüberwindung und ein Tritt<br />

in den Allerwertesten bekömmlicher<br />

sind als arm sein und jammern.<br />

Ab er wie schon Paracelsus<br />

sagte: Die Dosis macht das<br />

Gift. Und da ich derzeit vor lauter<br />

Tritt in den eigenen Allerwertesten<br />

schon blaue Flecken habe<br />

und in meinem Kopf ein Dauerohrwurm<br />

spukt: „Still, still, still,<br />

weil ich endlich schlafen will …“<br />

(Weihnachtslied etwas abgewandelt),<br />

dämmert mir, dass Handeln<br />

angesagt ist.<br />

Eine kurze Selbstevaluation<br />

zeigt mir Schlafstörungen. Interne<br />

aufgrund von Grübeln und<br />

massiven Nackenschmerzen und<br />

externe aufgrund eines schnarchenden<br />

Katers in unserem Bett.<br />

Die Verleugnung der eigenen Bedürfnisse<br />

ist insofern kein Thema,<br />

als mir im Moment keine Bedürfnisse<br />

einfallen, die ich verleugnen<br />

könnte. Und für den Verlust der Erholungsfähigkeit<br />

kann ich leider<br />

auch nichts. Diese ist irgendwie<br />

zwischen kranken Schwiegereltern,<br />

kaputtgehenden lebenswichtigen<br />

Systemen in Haushalt und<br />

Ordi und der Intensivpflege einer<br />

todkranken Katze (Vergiftung?)<br />

verlustig gegangen.<br />

„Mein Bedürfnis, die Welt zu retten und<br />

es dabei auch noch allen recht zu<br />

machen, bringt mich noch ins Grab.“<br />

Zeit, an mich zu denken<br />

Da nun aber die Schwiegereltern<br />

wieder wohlauf sind, alles Lebenswichtige<br />

repariert und besagte<br />

Katze wieder ein normales Bilirubin,<br />

einen wenigstens unterdurchschnittlichen<br />

Hämatokrit und ein<br />

fast normales Körpergewicht hat,<br />

kann ich endlich anfangen, an<br />

mich zu denken.<br />

Ich weiß ja eh, woran es bei mir<br />

krankt. Da sind einmal die Ansprüche<br />

an die eigene Person und der<br />

mir innewohnende Perfektionismus.<br />

Diesbezüglich bin ich mir<br />

aber noch nicht einmal sicher, ob<br />

ich diesen Teil wirklich loslassen<br />

möchte. Denn immerhin macht er<br />

die Qualität in meiner Arbeit aus.<br />

Und abgesehen von der medizinischen<br />

Qualität will ich, dass es hier<br />

blitzsauber ist, dass die Patienten<br />

möglichst keine Wartezeiten haben<br />

und dass sie rundherum gut versorgt<br />

und auch gegebenenfalls von<br />

uns gut durchorganisiert werden.<br />

Nein, da will ich nicht ansetzen.<br />

Vielleicht erlaube ich mir als<br />

kleines Zugeständnis in der Grippezeit,<br />

dass die Einschubtermine<br />

ein bisschen länger im Wartezimmer<br />

sitzen, ohne dass ich deshalb<br />

ein schlechtes Gewissen bekomme<br />

oder mir vor lauter Hektik<br />

übel wird.<br />

Wo aber dringend angesetzt gehört,<br />

ist die Fähigkeit, mich abzugrenzen.<br />

Das führt mir der heutige<br />

Tag ganz klar vor Augen. Mein Bedürfnis,<br />

die Welt zu retten und es<br />

dabei auch noch allen recht zu machen,<br />

bringt mich sonst ins Grab.<br />

Also bin ich ab heute Ärztin mit<br />

Grenzen.<br />

Die erste Grenze setzen wir bei<br />

neuen Patienten. Natürlich nehmen<br />

wir trotzdem jeden Tag welche.<br />

Weil sie in unmittelbarer<br />

Nähe wohnen oder weil sie in der<br />

Türe stehen und ganz arm sind.<br />

Standhaft bleiben<br />

Heute ruft eine Dame an, ihr<br />

Hausarzt geht in Pension und sie<br />

will einen Termin bei mir. Meine<br />

Assistentin erklärt ihr, dass wir<br />

derzeit keine neuen Patienten<br />

nehmen, vor allem da der Hausarzt<br />

ja noch gar nicht in Pension<br />

ist. Sie wird ein wenig unangenehm<br />

und verlangt, mit mir<br />

zu sprechen. Kein schönes Gespräch,<br />

das folgendermaßen endet:<br />

„Das hab ich ja noch nie gehört,<br />

dass ein Arzt keine Patienten<br />

mehr nimmt, dürfen Sie das überhaupt?“<br />

So wie ich das sehe, hätten<br />

wir beide sowieso keine liebevolle<br />

Beziehung aufgebaut. Und<br />

natürlich droht sie mir, dass die<br />

Sache ein Nachspiel haben wird.<br />

Aber ich bleibe standhaft. Ich will<br />

mich nicht mehr erpressen lassen,<br />

zumal nach meiner leidvollen Erfahrung<br />

da nix Gescheites rauskommt<br />

und im Endeffekt nicht<br />

nur der Arzt, sondern auch der<br />

Patient darunter leidet.<br />

Meine nächste Tat ist es, eine<br />

Pharmareferentin zu vergraulen.<br />

Ich mag die Dame sehr, und als sie<br />

noch mit Antibiotika und später<br />

mit Antidepressiva unterwegs war,<br />

habe ich ihr auch gerne zugehört.<br />

Jetzt vertritt sie aber ein Produkt,<br />

das ich nicht mal erstverschreiben<br />

darf und für das ich einfach nicht<br />

die Patientenzielgruppe habe. Ich<br />

bitte sie um Verständnis, dass ich<br />

diesbezüglich keine Information<br />

haben möchte, auch keine Guidelines<br />

und auch keine tolle Computerpräsentation.<br />

Ich will mich<br />

dafür nicht interessieren müssen<br />

und das bissi Resthirn, das mir an<br />

Tagen wie heute noch übrigbleibt,<br />

gezielt einsetzen. Sie ist bitterböse<br />

auf mich, und fast wäre ich umgekippt<br />

und hätte mir ihr zuliebe die<br />

Präsentationen reingezogen. Aber<br />

heute muss ich lernen, nicht gemocht<br />

zu werden.<br />

So auch von Patientin T., die<br />

drei Minuten vor Ordinationsende<br />

anruft. Sie ist seit einer Woche<br />

krank und möchte heute unbedingt<br />

noch vorbeikommen.<br />

Natürlich fühle ich mich sofort<br />

verantwortlich, schaffe es aber<br />

dann doch, Nein zu sagen. Denn<br />

heute will ich heim und meine Bedürfnisse<br />

suchen. Wer weiß, vielleicht<br />

finde ich ja eines?<br />

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