8.2 Methodischer Ansatz am Beispiel „Winter 2002/03“ - Gemeinde ...
8.2 Methodischer Ansatz am Beispiel „Winter 2002/03“ - Gemeinde ...
8.2 Methodischer Ansatz am Beispiel „Winter 2002/03“ - Gemeinde ...
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
„Eingrenzung potenzieller Lawinengefahr<br />
mit Hilfe von Aufzeichnungen und Beobachtungen<br />
von Experten bzw. der Bevölkerung<br />
vor Ort. Eine empirische Erhebung auf regionaler<br />
Ebene, dargestellt <strong>am</strong> Bereich der<br />
Wildschönau.“<br />
DIPLOMARBEIT<br />
zur Erlangung des Titels<br />
„Akademischer Krisen- und Katastrophenmanager“<br />
Eingereicht <strong>am</strong> 31. Jan. 2007 bei: Prof. Dr. Gerhard GROSSMANN<br />
Wissenschaftliche Betreuung: DI Dr. Peter HÖLLER<br />
Eingereicht von: Dipl.päd. Alexander HOLAUS,<br />
6313 Wildschönau-Auffach 324<br />
Universitätslehrgang „Sozioökonomisches und Psychosoziales<br />
Krisen- und Katastrophenmanagement“ an der UMIT in Hall/Tirol<br />
Studienbeginn: 2005
EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG<br />
„Ich erkläre hiermit an Eides statt, dass ich die vorliegende Diplomarbeit<br />
selbständig angefertigt habe. Die aus fremden Quellen direkt oder indirekt<br />
übernommenen Gedanken sind als solche kenntlich gemacht und angeführt.<br />
Die Arbeit wurde bisher weder in gleicher noch in ähnlicher Form einer ande-<br />
ren Prüfungsbehörde vorgelegt und auch noch nicht veröffentlicht.“<br />
Hall, <strong>am</strong> 31. Jan. 2007<br />
.....................................................<br />
Alexander Holaus
Lawinenexperten vor Ort<br />
Danksagung<br />
Danksagung<br />
Wer in den Bergen aufgewachsen ist, hat das große Privileg, die Jahreszeiten mit all ihren<br />
Schönheiten und Eigenheiten zu erleben. Die letzten Jahrzehnte haben uns jedoch gelehrt,<br />
dass unser Planet Erde ein sehr sensibles Gebilde ist und der technische Fortschritt mit<br />
seinen die Annehmlichkeiten begleitenden Problemen, wie etwa dem Klimawandel, seinen<br />
Preis hat. Dem Naturgefahrenmanagement kommt nach den massiv auftretenden Ereignis-<br />
sen der letzten Jahre künftig ein noch höherer Stellenwert zu. Mein Interesse an solchen<br />
Themen hat sich aufgrund der gravierenden Veränderungen in unseren heimatlichen Ber-<br />
gen (Gletscherrückgang, fortschreitende Erosion der Gebirge, Hochwasser, extreme, kurz-<br />
zeitige Temperaturschwankungen etc.) sehr stark ausgeprägt.<br />
Die Beschäftigung mit der Lawinenthematik hat durch die angeregte Diskussion mit fol-<br />
genden Personen und deren Unterstützung in meinen Fragestellungen und diversen Anlie-<br />
gen neue Perspektiven eröffnet:<br />
Ich bedanke mich bei Herrn DI Dr. Peter Höller vom Institut für Naturgefahrenforschung<br />
der Forstlichen Bundesversuchsanstalt in Innsbruck, für die wissenschaftliche Betreuung<br />
und seine kollegiale Art der Wissensvermittlung, den Herren Mag. Rudi Mayr und DI Pat-<br />
rick Nairz vom Tiroler Lawinenwarndienst sowie DI Hannes Niedertscheider, Abteilung<br />
Raumodnung, und DI Klaus Niedertscheider, Abteilung Hydrografie, vom Amt der Tiroler<br />
Landesregierung, für die erforderlichen Daten, Herrn DI Andreas Haas, vom Amt für<br />
Wildbach- und Lawinenverbauung (GBL Unterinntal-Wörgl), für seine beratende Tätigkeit<br />
und Einsicht in regionale Aufzeichnungen, Frau Dr. Barbara Ellenhuber (FH Kufstein) für<br />
ihre Tipps und Unterlagen in Sachen Fragebogenerhebung, dem Bürgermeister der Ge-<br />
meinde Wildschönau, Herrn Peter Riedmann, seinem <strong>Gemeinde</strong>rat und Herrn Amtsleiter<br />
Bernhard Silberberger, für ihr Wohlwollen und ihre Geduld, dem Landespolizeikommando<br />
Tirol und Herrn Postenkommandant Josef Silberberger für die Einsicht in lawinenrelevante<br />
Akten <strong>am</strong> Posten Oberau, den Kollegen der Lawinenkommission der <strong>Gemeinde</strong> Wildschö-<br />
nau, für ihre Gespräche und ihre Mithilfe, Herrn August Hofer für die Daten und Einsicht<br />
in seine Niederschlagsaufzeichnungen, meinen K<strong>am</strong>eradInnen der Bergrettungsortsstellen<br />
Auffach und Wörgl, der Betriebsleitung und den Mitarbeitern der Wildschönauer Berg-<br />
bahnen sowie der Wildschönauer Bevölkerung für das Ausfüllen der Erhebungsbögen und<br />
die angeregte Diskussion, Herrn Ing. Werner Hofer (hard-soft Informationstechnologie<br />
Holaus I
Lawinenexperten vor Ort<br />
Danksagung<br />
GmbH) und seinen MitarbeiterInnen für ihre Unterstützung in technischen Belangen, so-<br />
wie meinem Direktor und KollegInnen an der Musikhauptschule Wildschönau.<br />
Trotz vieler Entbehrungen in den abgelaufenen zwei Jahren hat mich meine F<strong>am</strong>ilie in<br />
meinen Bestrebungen stets unterstützt und mit Liebe und Zuspruch über so manche Hürde<br />
getragen.<br />
Herzlichen Dank dafür!<br />
Holaus II
Lawinenexperten vor Ort<br />
Inhaltsverzeichnis<br />
Inhaltsverzeichnis<br />
DANKSAGUNG I<br />
INHALTSVERZEICHNIS III<br />
ABBILDUNGSVERZEICHNIS VI<br />
TABELLENVERZEICHNIS VIII<br />
1 EINLEITUNG 1<br />
1.1 MOTIVATION ZUR THEMATIK: 1<br />
1.2 METHODIK UND AUFBAU DER ARBEIT 3<br />
2 GRUNDLEGENDES ZUR LAWINENTHEMATIK 4<br />
2.1 HISTORISCHER RÜCKBLICK ZUR LAWINENFORSCHUNG 4<br />
2.2 BEGRIFFSDEFINITIONEN 8<br />
2.2.1 BEGRIFFSDEFINITION EINER „LAWINE“ 8<br />
2.2.2 BEGRIFFSDEFINITION VON „LAWINENGEFAHR“ 9<br />
2.2.3 BEGRIFFSDEFINITION „LAWINENEINTRITTSWAHRSCHEINLICHKEIT“ 9<br />
2.2.4 BEGRIFFSDEFINITION „OBJEKTPRÄSENZWAHRSCHEINLICHKEIT“ 9<br />
2.2.5 BEGRIFFSDEFINITION „SCHADENSAUSMAß“ 9<br />
2.2.6 BEGRIFFSDEFINITION VON „LAWINENRISIKO“ 10<br />
2.3 KLASSIFIKATION VON LAWINEN 11<br />
2.4 BEWEGUNG VON LAWINEN 13<br />
2.5 ZERSTÖRUNGSKRAFT VON LAWINEN 18<br />
3 FAKTOREN DER LAWINENBILDUNG 21<br />
3.1 TOPOGRAPHISCHE FAKTOREN 22<br />
3.1.1 HANGNEIGUNG 22<br />
3.1.2 EXPOSITION 24<br />
3.1.3 VEGETATION 26<br />
3.2 METEOROLOGISCHE UND NIVOLOGISCHE FAKTOREN 27<br />
3.2.1 NIEDERSCHLÄGE 27<br />
3.2.2 WIND 28<br />
3.2.3 TEMPERATUR 29<br />
3.2.4 SCHNEEDECKENAUFBAU 29<br />
Holaus III
Lawinenexperten vor Ort<br />
Inhaltsverzeichnis<br />
4 BEURTEILUNG DER LAWINENGEFAHR 31<br />
4.1 LAWINENLAGEBERICHT/BULLETIN 31<br />
4.1.1 AUFBAU UND INHALT DES LAWINENLAGEBERICHTES 33<br />
4.1.2 ENTWICKLUNG DES LAWINENLAGEBERICHTS IN TIROL 39<br />
4.1.3 MÖGLICHKEITEN UND GRENZEN DES LAWINENLAGEBERICHTS 41<br />
4.1.4 METHODEN DER VORHERSAGEÜBERPRÜFUNG IN DEN ALPENREGIONEN 41<br />
4.2 INSTRUMENTE DER EXPERTEN 43<br />
4.2.1 STATISTISCHE METHODEN 44<br />
4.2.2 DETERMINISTISCHE METHODEN 45<br />
4.2.3 EXPERTENSYSTEME 46<br />
4.3 INSTRUMENTE FÜR DEN LAIEN 49<br />
4.3.1 STRATEGISCHE METHODEN ZUR EINSCHÄTZUNG DES LAWINENRISIKOS 49<br />
4.3.1.1 Reduktionsmethode nach Munter 49<br />
4.3.1.2 stop or go 51<br />
4.3.1.3 SnowCard 52<br />
4.3.1.4 NivoTest 53<br />
4.3.2 BEURTEILUNG DER STRATEGISCHEN METHODEN 54<br />
4.3.3 ERSTE DIGITALE HANGNEIGUNGSKARTEN 56<br />
4.3.4 TIROLER RAUMORDNUNGS-INFORMATIONSSYSTEM 2006 57<br />
5 WEITERE PRÄVENTIONSMAßNAHMEN 58<br />
6 BESCHREIBUNG DES UNTERSUCHUNGSGEBIETES 63<br />
6.1 GEOGRAFISCHE LAGE 63<br />
6.2 GEOLOGIE DER WILDSCHÖNAU 64<br />
6.3 KLIMATISCHE VERHÄLTNISSE UND HYDROGRAFIE 69<br />
6.4 BEVÖLKERUNG, WIRTSCHAFT UND INFRASTRUKTUR DES UNTERSUCHUNGSGEBIETES<br />
WILDSCHÖNAU 71<br />
7 METHODIK DER ERMITTLUNGEN 72<br />
8 VERIFIKATION DES LAGEBERICHTS 74<br />
8.1 ERGEBNISSE AUS DEM FRAGEBOGEN IN DER REGION WILDSCHÖNAU 74<br />
<strong>8.2</strong> METHODISCHER ANSATZ AM BEISPIEL „WINTER <strong>2002</strong>/<strong>03“</strong> 90<br />
9 DISKUSSION 92<br />
10 ZUSAMMENFASSUNG 103<br />
Holaus IV
Lawinenexperten vor Ort<br />
Inhaltsverzeichnis<br />
LITERATURVERZEICHNIS/QUELLENANGABE 106<br />
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS 111<br />
ANHANG 112<br />
Holaus V
Lawinenexperten vor Ort<br />
Abbildungsverzeichnis<br />
Abbildungsverzeichnis<br />
Abbildung 1-1: aus Landeskunde Tirol (Dr. Riegler, PädAk des Landes Tirol, 2005) ......................................1<br />
Abbildung 2-1: Katastrophenlawine im Großen Walsertal 1954 (Landesbildstelle Vorarlberg) .....................4<br />
Abbildung 2-2: Gegenüberstellung Ges<strong>am</strong>tschadenslawinen-Unfalllawinen in Österreich (Luzian, <strong>2002</strong>).....6<br />
Abbildung 2-3: Siedlungsraum gefährdende Lawinen in Österreich in der Periode 1967/68 bis 1992/93.......6<br />
Abbildung 2-4: Siedlungsraum gefährdende Lawinen in Tirol; Periode 1967/68 bis1992/93..........................7<br />
Abbildung 2-5: Künstlich ausgelöste Lawine (Land Tirol, 2000, Foto: Ing. Federer) ....................................8<br />
Abbildung 2-6: Anrissmächtigkeit einer Schneebrettlawine (Foto: LWD Tirol)..............................................12<br />
Abbildung 2-7: „Fischmaul“-artiges Öffnen (Gleiten) der Schneedecke auf dem Boden (Foto: A. Holaus) .13<br />
Abbildung 2-8: Staublawine in Hochfügen (LWD Tirol, 1999).......................................................................14<br />
Abbildung 2-9: Entwicklung einer Lawine und Lawinenbewegung (Land Tirol, 2000)..................................15<br />
Abbildung 2-10: Aufbau einer gemischten Trockenschneelawine (BFW, 1998) ............................................16<br />
Abbildung 2-11: Verteilung von Dichte und Geschwindigkeit in einer gemischten Lawine ...........................16<br />
Abbildung 2-12: Galtür 1999 (Land Tirol, 2000, Foto: Raimund Mayr).........................................................18<br />
Abbildung 2-13: Paznaun 1999 (Land Tirol, 2000) .........................................................................................19<br />
Abbildung 2-14: Lawinensturzbahn „Farnkaserlawine“ und Stütze einer ehemaligen Maetrialseilbahn als<br />
„stumme Zeugen“ (roter Kreis = Standort der Stütze); Foto: A. Holaus ........................................................20<br />
Abbildung 3-1: Gewichtete Einflüsse der lawinenbildenden Faktoren auf die Lawinengefahr (Jaccard,<br />
1990) ................................................................................................................................................................21<br />
Abbildung 3-2: Zus<strong>am</strong>menhang zwischen Hangneigung und durchschnittlicher Häufigkeit von Lawinen<br />
(ÖROK, 1986) ..................................................................................................................................................23<br />
Abbildung 3-3: Prozentuelle Häufigkeit der Hangneigungen von Unfalllawinen pro Gefahrenstufe (steilste<br />
Hangpartie innerhalb der Anrissfläche, gemessen auf der Karte M 1: 25000). ..............................................24<br />
Abbildung 3-4: Unfalllawinen im Vergleich zu befahrenen Expositionen - – in Wahrscheinlichkeiten<br />
ausgedrückt (Grafik: Grimsdottir/McClung, 2006). ........................................................................................25<br />
Abbildung 3-5: Lawinen-Wahrscheinlichkeiten in den einzelnen Expositionen (Grafik:<br />
Grimsdottier/McClung, 2006). .........................................................................................................................25<br />
Abbildung 3-6: Oberflächenreif (Munter, 2003)..............................................................................................26<br />
Abbildung 3-7: Seehöhen der Anbruchgebiete (Luzian, 2003).........................................................................27<br />
Abbildung 4-1: Europäische Lawinengefahrenskala (LWD Tirol, 2003) .......................................................32<br />
Abbildung 4-2: Europäische Hilfsmatrix zur Erstellung des LLB für die Lawinenwarndienste (LWD Bayern,<br />
2003) ................................................................................................................................................................34<br />
Abbildung 4-3: Europäische Hilfsmatrix zur einheitlichen Größendefinition von Lawinen - in Anlehnung an<br />
das Kanadische Modell (LWD Tirol, 2003) .....................................................................................................36<br />
Abbildung 4-4: Definition von „geringer“ bzw. „großer Zusatzbelastung“ (LWD Tirol, 2003)..................37<br />
Abbildung 4-5: Erster Lawinenlagebericht LWD Tirol aus dem Jahre 1960 (LWD Tirol, 2006)...................39<br />
Abbildung 4-6: aktuelles Layout des Tiroler Lageberichts (LWD Tirol, 2007) ...............................................40<br />
Abbildung 4-7: Instrumente und Methoden im synergetischen Einsatz zur näherungsweisen Bestimmung der<br />
Holaus VI
Lawinenexperten vor Ort<br />
Abbildungsverzeichnis<br />
Lawinengefahr (modifiziert nach Föhn, 1984).................................................................................................43<br />
Abbildung 4-8: Bedienungsoberfläche von NXD (Quelle: SLF Davos) ..........................................................44<br />
Abbildung 4-9: Grafische Darstellung der von SNOWPACK verarbeiteten Werte in der Schneedecke (SLF<br />
Davos, 2005) ....................................................................................................................................................45<br />
Abbildung 4-10: Galtür im Februar 1999 (Quelle: Land Tirol) .....................................................................46<br />
Abbildung 4-11: Dichtere und schwächere Schichten lassen sich <strong>am</strong> Schneeprofil im Gegenlicht gut<br />
unterscheiden (Munter, 2003) ..........................................................................................................................47<br />
Abbildung 4-12: 3x3 Reduktionsmethode nach Werner Munter, 2000............................................................50<br />
Abbildung 4-13: Strategiekärtchen Stop or go von Michael Lacher 1999, ÖAV ............................................51<br />
Abbildung 4-14: SnowCard (Martin Engler, 2000) .........................................................................................52<br />
Abbildung 4-15: NivoTest-Kärtchen (Bolognesi, 2000)..................................................................................53<br />
Abbildung 4-16: Schüler beim Messen der Hangneigung mit selbst kreierter Karte (Foto: A. Holaus).........55<br />
Abbildung 4-17: Ausschnitt aus der Lawinengefährdungskarte M 1 : 30000 aus dem Bieltal (Kriz, 2001)..56<br />
Abbildung 4-18: Geländeinformationskarte vom Bieltal (Quelle: tiris 2007).................................................57<br />
Abbildung 5-1: Permanente Stützverbauung im Anrissbereich (WLV, 2003) .................................................58<br />
Abbildung 5-2: <strong>Beispiel</strong> eines Lawinenkatasters anhand de <strong>Gemeinde</strong> Neustift im Stubaital: rot…jährlich,<br />
blau…3 bis 20 jährlich, gelb…> 50 jährlich. (ÖROK, 1986) ..........................................................................59<br />
Abbildung 5-3: Die Lawinenverbauungen verhindern ein Anbrechen von Lawinen (Foto: Wildbach- und<br />
Lawinenverbauung Tirol).................................................................................................................................60<br />
Abbildung 5-4: GZP von Neustift/Stubaital (tiris, 2006).................................................................................61<br />
Abbildung 5-5: Der Lawinenkeil dient zur Ablenkung auftreffender Kräfte (Foto: Wildbach- und<br />
Lawinenverbauung)..........................................................................................................................................62<br />
Abbildung 5-6: Die Lawinengalerie bietet (richtig dimensioniert) 100%igen Schutz (Foto: Wildbach- und<br />
Lawinenverbauung Tirol).................................................................................................................................62<br />
Abbildung 6-1: Die Wildschönau mit Nachbargemeinden (Land Tirol, 2006) ...............................................63<br />
Abbildung 6-2: Grauwackenzone mit Wildschönau (Mostler, 1973) ...............................................................64<br />
Abbildung 6-3: Rest-Kalkstock im nördlichsten Teil der Wildschönau (Foto: A. Holaus) ..............................64<br />
Abbildung 6-4: Der „Wildschönauer See“ (Quelle: Wildschönauer Heimatbuch von H. Mayr,1993) ..........65<br />
Abbildung 6-5: Buntsandstein und Schiefer prägen das Landschaftsbild der Wildschönau (Fotos: A. Holaus)<br />
..........................................................................................................................................................................66<br />
Abbildung 6-6: Quarzphyllit (umgewandelter Tonschiefer mit hohem Quarzanteil) .......................................67<br />
Abbildung 6-7: Blick von der Breitegg-Alm auf Großen und Kleinen Beil (Foto: Wildschönauer Heimatbuch,<br />
H. Mayr 1993)..................................................................................................................................................67<br />
Abbildung 6-8: Alpine Eismassen bis in den Süddeutschen Raum (van Husen, 1997)....................................68<br />
Abbildung 6-9: Findlingsbrunnen und Moränenreste in Auffach-Zetten(Fotos: A. Holaus) ...........................69<br />
Abbildung 6-10: Wildbachverbauung oberhalb Niederau-Wildenbachsiedlung (Fotos: A. Holaus)...............69<br />
Abbildung 6-11: Jahresniederschlag in Mühltal der Jahre 1967 bis 2005 (A. Hofer, 2006)...........................70<br />
Holaus VII
Lawinenexperten vor Ort<br />
Tabellenverzeichnis<br />
Tabellenverzeichnis<br />
Tabelle 2-1: Internationale Lawinenklassifikation (Unesco, 1981) .................................................................11<br />
Tabelle 2-2: Geschwindigkeiten und Schneedichte verschiedener Lawinenarten (Unesco, 1991) ..................18<br />
Tabelle 2-3: Vorkommende Druckverhältnisse (Land Tirol., 2000).................................................................19<br />
Tabelle 2-4: Zerstörungskraft bestimmter Stoßdrücke (Land Tirol., 2000) .....................................................19<br />
Tabelle 2-5: Zus<strong>am</strong>menhang zw. Wahrscheinlichkeit von Lawinenabgängen und der Vegetation (Land Tirol,<br />
2000) ................................................................................................................................................................20<br />
Tabelle 5-1: Maßnahmen zur Reduktion des Risikos (SLF, 1998)..........................................................58<br />
Tabelle 5-2: Kriterien zur Erstellung des GZP (BLF, 1976)............................................................................61<br />
Tabelle 6-1: Schneehöhen in Mühltal (Quelle: A. Hofer, 2006) ......................................................................70<br />
Tabelle 8-1: Rücklauf der Erhebungsbögen.....................................................................................................75<br />
Tabelle 8-2: Altersverteilung............................................................................................................................76<br />
Tabelle 8-3: Interesse an der Thematik............................................................................................................76<br />
Tabelle 8-4: Tägliches Abrufen des LLB..........................................................................................................77<br />
Tabelle 8-5: Zusatzinformationen im LLB werden als „wichtig“ erachtet. .....................................................77<br />
Tabelle 8-6: Beschäftigung mit LLB - je nach Tätigkeit...................................................................................78<br />
Tabelle 8-7:Frage nach eigenen Wetteraufzeichnungen..................................................................................78<br />
Tabelle 8-8: Untersuchungen in stets selber Hangneigung/-Exposition ..........................................................79<br />
Tabelle 8-9: Frage nach eigenen Schneedeckenuntersuchungen.....................................................................79<br />
Tabelle 8-10: Frage nach eigenen Schneedeckenuntersuchungen...................................................................80<br />
Tabelle 8-11: Versuch, eigene Lawinenprognosen anzustellen........................................................................80<br />
Tabelle 8-12: Eigenständige Prognosen stimmen mit offiziellem LLB überein................................................81<br />
Tabelle 8-13: Angegebene Warnstufe (1-5) ist verständlich ............................................................................81<br />
Tabelle 8-14: Versuch, eigene Lawinenprognosen anzustellen........................................................................82<br />
Tabelle 8-15: Selbst prognostizierte Lawinenereignisse der vergangenen Jahre sind eingetroffen. ...............82<br />
Tabelle 8-16: Die Witterungslage kann Lawinenabgänge beeinflussen...........................................................83<br />
Tabelle 8-17: Unterschiedliche Bewirtschaftungsformen begünstigen mitunter Lawinenbildung...................83<br />
Tabelle 8-18: Mehr Lawinen durch aufgelassene Weideflächen......................................................................84<br />
Tabelle 8-19: Verminderung der Lawinengefahr durch regelmäßiges Abgrasen/Mähen................................84<br />
Tabelle 8-20: Lawine in der Praxis in der Region Wildschönau beobachtet...................................................85<br />
Tabelle 8-21: Lawinenereignis in der Wildschönau kann dokumentiert werden .............................................85<br />
Tabelle 8-22: Selbst einem Lawinenereignis nur knapp entgangen.................................................................86<br />
Tabelle 8-23: In Besitz persönlicher Aufzeichnungen zu Lawinen...................................................................86<br />
Tabelle 8-24: Kenntnis von Rutschungen/Lawinen der letzten Jahre. .............................................................87<br />
Tabelle 8-25: Zeitliche und inhaltliche Zuordnung einzelner Lawinenereignisse ...........................................87<br />
Tabelle 8-26: Mehr Lawinen durch aufgelassene Weideflächen......................................................................88<br />
Tabelle 8-27: Herrschende Witterungsverhältnisse bestimmten Lawinen zuordnen........................................88<br />
Holaus VIII
Lawinenexperten vor Ort<br />
Tabellenverzeichnis<br />
Tabelle 8-28: Frage nach Personen, die erwähnenswerte Lawinen relevante Beobachtungen im Raum<br />
Wildschönau gemacht haben............................................................................................................................89<br />
Holaus IX
Lawinenexperten vor Ort<br />
Einleitung<br />
1 Einleitung<br />
1.1 Motivation zur Thematik:<br />
Das Unterinntal mit seiner Geräumigkeit der Siedlungsfläche und seiner transit- und verkehrsgünstigen<br />
Lage bildet heute den wirtschaftlich stärksten Raum Tirols. Festzuhalten ist<br />
die große Bedeutung des Fremdenverkehrs in den Seitentälern des Inntales wie im Zillertal,<br />
Achental, Alpachtal, in der Wildschönau und im Brixental.<br />
Abbildung 1-1: aus Landeskunde Tirol (Dr. Riegler, PädAk des Landes Tirol, 2005)<br />
Nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich in vielen Orten der Zweisaisonen-Tourismus durch-<br />
gesetzt wobei in den letzen Jahren der einträglichere Wintertourismus den Sommertouris-<br />
mus überholt hat (vgl. Abb. 1-1). Auch die einheimische Bevölkerung profitiert massiv<br />
von den touristischen Einrichtungen, wie Skiliften, Loipen, Rodelbahnen, Winterwander-<br />
wegen etc. Der Absicherung dieser Bereiche kommt eine wesentliche Rolle im Sicher-<br />
heitsangebot der Region zu. Speziell schneereiche Winter fordern Gefahrenmanagement<br />
vor Ort und rechtfertigen die mitunter erhöhten Kosten für Aus- und Weiterbildung der<br />
Lawinenkommissionen wie auch den Ausbau oft kostspieliger Präventionsmaßnahmen,<br />
wie Schutzverbauungen diverser Bauart. Sichere Wege zur Arbeitsstelle, im Siedlungs-<br />
raum und touristischen Erholungsfeld stellen eine Lebensgrundlage im alpinen Raum dar.<br />
Alexander Holaus Seite 1
Lawinenexperten vor Ort<br />
Einleitung<br />
Aus den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte haben sowohl Wissenschaft als auch Politik<br />
gelernt und etliches Forschungsgeld frei gemacht.<br />
Aufgrund meiner Qualifikation als Berg- und Skiführer und meines persönlichen Interesses<br />
<strong>am</strong> Thema „Lawinenschutz“ wurde ich vor nunmehr sechs Jahren in die Lawinenkommis-<br />
sion der <strong>Gemeinde</strong> Wildschönau berufen. Jährliche Fortbildungen in diesem Metier (so-<br />
wohl in rechtlicher, psychologischer und vorwiegend fachlicher Hinsicht) haben mein Inte-<br />
resse und außerdem mein Wissen in Bezug auf Lawinen vervollständigt.<br />
Etliche Institute im In- und Ausland beschäftigen sich seit Jahrzehnten mit dem Phänomen<br />
Schnee und der d<strong>am</strong>it verbundenen Lawinenproblematik. Hunderte von wissenschaftlichen<br />
Arbeiten wurden verfasst, empirische und wissenschaftlich gestützte Erhebungen versu-<br />
chen sich in einer Verifikation bislang angenommener Tatsachen. Tausende Ereignisse<br />
führen die Theorie immer wieder an ihre physikalischen Wurzeln zurück und mahnen uns,<br />
die Natur nicht beherrschen zu können. Viele Probleme sind hausgemacht (z.B. die Besied-<br />
lung der Alpentäler bis in unwegs<strong>am</strong>e und objektiv gefährdete Bereiche) und tragen mit<br />
den nicht vorhersehbaren klimatischen Veränderungen ebenso dazu bei, dass wir trotz wis-<br />
senschaftlichen und explodierenden technischen Fortschritts unsere Grenzen wieder neu<br />
ziehen müssen. Das Wissen um die Gefährdung bestimmter Bereiche bei speziellen Wet-<br />
terlagen (massive Niederschläge in kürzester Zeit, Temperaturanstieg bis in hohe Lagen,<br />
starker Windeinfluss zur Zeit der Niederschläge, etc.) aber auch durch die geänderten Be-<br />
wirtschaftungsformen unserer Wiesen und Wälder ist in der Bevölkerung vor Ort überra-<br />
schend gut verankert.<br />
Wissenschaftlich gestützte Prognosen in Verbindung mit dem Feedback aus den jeweiligen<br />
Regionen sind unerlässliche Faktoren in der Optimierung einer seriösen Lageeinschätzung.<br />
Lawinen – als Gefahr und Chance - stellen teils große Anforderungen an die Politik, was<br />
Budgetierung und leistbare Prävention angeht. Wissenschaftlich gestützte Prognosemodel-<br />
le haben in letzter Zeit unglaublich große Dienste geleistet, lassen sich regional gesehen<br />
aber immer noch durch systematisches Beobachten, fundierte Aufzeichnungen und Wissen<br />
von Experten vor Ort optimieren.<br />
Somit soll anhand der ausgewählten Region Wildschönau vorhandenes regionales Wissen<br />
zum Thema Schnee und Lawinen zus<strong>am</strong>mengeführt werden.<br />
Alexander Holaus Seite 2
Lawinenexperten vor Ort<br />
Einleitung<br />
1.2 Methodik und Aufbau der Arbeit<br />
Diese Arbeit teilt sich zum Einen in den Bereich der Lawinenthematik im Allgemeinen.<br />
Grundlagenforschung von historischem Rückblick, Begriffsdefinitionen, Klassifizierung<br />
von Lawinen, den darin auftretenden, teils zerstörerischen Kräften bis hin zu Lawinen bil-<br />
denden Faktoren sollen Einblick in die Materie verschaffen. Ein weiterer wesentlicher Ab-<br />
schnitt ist die Beurteilung von Lawinen. Experten und auch Laien stehen dazu verschiede-<br />
ne in diesem Kapitel aufgezeigte Methoden zur Verfügung. Mit der Vorstellung des Unter-<br />
suchungsgebietes Wildschönau im Tiroler Unterland in geologischer, klimatischer, demo-<br />
grafischer und wirtschaftlicher Hinsicht wird auf die Kernthematik der Lawinengefahren-<br />
prävention mit Hilfe von Expertenwissen vor Ort übergeleitet. Möglichkeiten der Verifika-<br />
tion des Lawinenlageberichts werden anhand von konkreten <strong>Beispiel</strong>en dargestellt und ein<br />
Vergleich der Methoden angeführt. Insbesondere eine empirische Erhebung auf regionaler<br />
Ebene mit Hilfe eines Fragebogens und eingehender Gespräche mit ausgewählten Perso-<br />
nen, welche aufgrund ihrer Tätigkeiten in der Region Wildschönau (privat oder beruflich)<br />
in den „Expertenkreis“ erhoben wurden, liefert Basisdaten zur Thematik. Die Analyse der<br />
Ergebnisse und ein Lawinenkataster der Untersuchungsregion auf Basis der Aufzeichnun-<br />
gen und des Wissens dieser Personen führen schlussendlich zur Diskussion.<br />
Anhand des <strong>Beispiel</strong>s Wildschönau wird versucht darzustellen,<br />
• welche Aufzeichnungen bislang in der zu untersuchenden Region geführt wurden,<br />
• ob daraus Schlüsse für Folgeereignisse/-jahre gezogen werden können,<br />
• inwieweit Aufzeichnungen aus einer bestimmten Region zur Erstellung oder Unter-<br />
stützung eines lokalen Lageberichts dienlich sein können,<br />
• welches des Wissens bzw. Erfahrung bestimmter vor Ort tätiger Personen nötig ist,<br />
um potenzielle Lawinengefahr eingrenzen zu können und<br />
• ob es möglich ist, den ausgegebenen offiziellen Lawinenlagebericht auf Grund von<br />
Beobachtungen, Aufzeichnungen und Untersuchungen vor Ort zu verifizieren.<br />
Die Ergebnisse werden der <strong>Gemeinde</strong> Wildschönau zur weiteren Verwendung zur Verfü-<br />
gung gestellt und sollen insbesondere der präventiven Tätigkeit der örtlichen Lawinen-<br />
kommission wertvolle Grundlage bieten.<br />
Alexander Holaus Seite 3
Lawinenexperten vor Ort<br />
Grundlegendes zur Lawinenthematik<br />
2 Grundlegendes zur Lawinenthematik<br />
2.1 Historischer Rückblick zur Lawinenforschung<br />
Berichte über Lawinenereignisse in der Geschichte reichen weit zurück:<br />
Eintragungen in den ältesten Rechnungsbüchern der landesfürstlichen K<strong>am</strong>mer von Tirol<br />
(um 1300) bestätigen, dass einzelnen Personen die Zahlung der Steuer wegen Verwüstung<br />
ihrer Felder durch Lawinen erlassen wurde.<br />
Große Lawinen ereigneten sich in Österreich im 15. Jahrhundert (22 Tote alleine in der<br />
Ortschaft Lähn im Jahre 1456) und im 17. Jhdt. mit 120 Tote im Montafon und wieder 21<br />
Toten in Lähn im Jahre 1689 (Luzian, <strong>2002</strong>).<br />
Vinzenz Pollack leitete in den Jahren 1880 bis 1884 die Errichtung der ersten Lawinen-<br />
stützverbauungen zum Schutz der Westr<strong>am</strong>pe des Arlbergs der d<strong>am</strong>aligen k.u.k. Staats-<br />
bahnen. Somit kann er als Begründer der Lawinenforschung in Österreich bezeichnet wer-<br />
den.<br />
Abbildung 2-1: Katastrophenlawine im Großen Walsertal 1954 (Landesbildstelle Vorarlberg)<br />
Alexander Holaus Seite 4
Lawinenexperten vor Ort<br />
Grundlegendes zur Lawinenthematik<br />
Im Jahr 1912 gab das k.u.k. Ackerbauministerium das Ziel, Unterlagen über Lawinenab-<br />
gänge planmäßig zu s<strong>am</strong>meln, vor. D<strong>am</strong>it wurden die Voraussetzungen für eine ges<strong>am</strong>tös-<br />
terreichische lawinenkundliche Forschung geschaffen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wur-<br />
de die Schneeforschungsstelle der Sektion Innsbruck der Wildbach- und Lawinenverbau-<br />
ung zur vorbeugenden Lawinenforschung in der Wattener Lizum eingerichtet. Nach den<br />
Katastrophenereignissen der Jahre 1951 (135 Tote) und 1954 (119 Tote) mit insges<strong>am</strong>t 271<br />
Toten im Bundesgebiet, war eine der wichtigsten Erkenntnisse, dass annähernd zwei Drit-<br />
tel der Lawinen unterhalb der potenziellen Waldgrenze abgehen (s. Abb. 2-1). Somit<br />
wechselte man in das 2000m hoch gelegene Obergurgl, um dort Methoden der Hochlagen-<br />
aufforstung zu erproben, welche die teuren und technisch aufwendigen Verbauungsmaß-<br />
nahmen ersetzen sollten. Im Jahre 1963 wurde diese Forschungsstelle als Außenstelle für<br />
subalpine Waldforschung der Forstlichen Bundesversuchsanstalt in Wien (FBVA) einge-<br />
gliedert und 1966 dem Institut für Wildbach und Lawinenverbauung zugeteilt. Zunehmen-<br />
de Besiedlung in den inneralpinen Tälern und die Errichtung der dafür erforderlichen Inf-<br />
rastruktur erforderten bereits in den Siebzigerjahren außerordentliche Schutzmaßnahmen,<br />
was auch aufgrund fehlender Forschungsgelder zu enger Zus<strong>am</strong>menarbeit mit dem Eidge-<br />
nössischen Institut für Schnee- und Lawinenforschung in Davos/CH geführt hat. Jahrzehnte<br />
lange Untersuchungen zur Lawinenthematik an den Universitäten Innsbruck, Salzburg,<br />
Graz und der Universität für Bodenkultur in Wien und die außerordentlich hohen Schäden<br />
der Lawinenwinter 1974 und 1984 führten zur Gründung des Instituts für Lawinenkunde an<br />
der FBVA in Innsbruck im Jahre 1985, heute als Institut für Wildbach- und Lawinenschutz<br />
tätig (Land Tirol, 2000). Mag. Roland Luzian von der Forstlichen Bundsversuchsanstalt in<br />
Innsbruck ist es in zwei Arbeiten gelungen, eine Österreichische Schadenlawinendaten-<br />
bank (s. Abb. 2-2) mit annähernd lückenlosen Daten aus den Wintern 1967/68 bis 1992/93<br />
zu erstellen. Dabei wurden Lawinenereignisse erfasst, durch die Menschen verschüttet oder<br />
menschliche Güter beschädigt worden sind (Luzian, <strong>2002</strong>).<br />
Um Maßnahmen zum Schutz vor Lawinen (1999: Galtür mit 31 Toten) treffen zu können,<br />
wurden in den letzten Jahren einerseits Methoden entwickelt, welche historische Ereignisse<br />
in die aktuelle Entscheidung mit einfließen lassen oder physikalische Prozesse in der<br />
Schneedecke nachbilden und andererseits Modelle erdacht, die eine Lawinenbewegung<br />
möglichst wirklichkeitsnah simulieren und als Ergebnis Geschwindigkeiten, Auslauflängen<br />
und Druckverteilungen liefern (vgl. Kapitel 4). Diese Ergebnisse finden Berücksichtigung<br />
in der Gefahrenzonenplanung sowie bei der Dimensionierung von Abriss-, Ablenk- und<br />
Alexander Holaus Seite 5
Lawinenexperten vor Ort<br />
Grundlegendes zur Lawinenthematik<br />
Bremsverbauungen. Lawinen gehören neben Felsstürzen und Muren zu den bedeutenden<br />
alpinen Naturgefahren. Allein in Österreich sind nach Luzian (<strong>2002</strong>) 5.800 Lawinenstriche<br />
registriert, die den Siedlungsraum gefährden.<br />
Abbildung 2-2: Gegenüberstellung Ges<strong>am</strong>tschadenslawinen-Unfalllawinen in Österreich (Luzian, <strong>2002</strong>)<br />
Die Abbildung 2-3 zeigt sehr anschaulich die Konzentration österreichischer Schadensla-<br />
winen auf den Bereiche Karnischer K<strong>am</strong>m und die hochalpinen Täler im Tiroler Oberland.<br />
Abbildung 2-3: Siedlungsraum gefährdende Lawinen in Österreich in der Periode 1967/68 bis 1992/93<br />
(Luzian, <strong>2002</strong>)<br />
Alexander Holaus Seite 6
Lawinenexperten vor Ort<br />
Grundlegendes zur Lawinenthematik<br />
In der folgenden, vergrößerten Ansicht von Tirol zeichnen sich die <strong>Gemeinde</strong>n des Pitz-<br />
Ötz- und Stubaitaltales, sowie das Paznaun als besonders schadenslawinenanfällige Berei-<br />
che aus (s. Abb. 2-4).<br />
Abbildung 2-4: Siedlungsraum gefährdende Lawinen in Tirol; Periode 1967/68 bis1992/93<br />
(Luzian, <strong>2002</strong>)<br />
Derlei statistische Arbeit ermöglicht, aus der Entwicklung der Lawinenschäden in der Ver-<br />
gangenheit Prognosen für die Zukunft abzuleiten. So wird es möglich, raumplanerisch auf<br />
die künftige Risikoentwicklung einzuwirken, die sehr stark sowohl durch Verbauungsmaß-<br />
nahmen als auch durch Nutzungsänderungen (Ausweitung der Siedlungen, Intensivierung<br />
des Fremdenverkehrs) beeinflusst werden. Die Risikoanalysen sollten vom regionalen (Be-<br />
zirk) bis zum lokalen (ein Skigebiet) Bereich skaliert werden. Mit Hilfe weiterer mathema-<br />
tisch-statistischer Analyseverfahren können daraus Signifikanzen und Zufälligkeiten sicht-<br />
bar gemacht werden und d<strong>am</strong>it bessere Entscheidungsgrundlagen für integrale Schutzkon-<br />
zepte geschaffen werden (Luzian, <strong>2002</strong>).<br />
Voraussetzung sind lückenlose und vergleichbare, standardisierte Datens<strong>am</strong>mlungen, wel-<br />
che durch die zunehmende Technisierung (online-Datenbanken etc.) und europaweite Ver-<br />
netzung künftig immer leichter verfügbar sein sollten.<br />
Alexander Holaus Seite 7
Lawinenexperten vor Ort<br />
Grundlegendes zur Lawinenthematik<br />
2.2 Begriffsdefinitionen<br />
2.2.1 Begriffsdefinition einer „Lawine“<br />
Unter einer Lawine (lat. labi: gleiten; rätorom. labina: Erdfall) sind<br />
„...Schneemassen zu verstehen, die bei raschem Absturz auf steilen Hängen, in Gräben u.ä.<br />
infolge der Bewegungsenergie oder der von ihnen verursachten Luftdruckwelle oder durch<br />
ihre Ablagerungen Gefahr oder Schäden verursachen kann. Ein Gemisch von mehr oder<br />
weniger Luft mit vorwiegend körnigen Schneeteilchen rutscht, fließt, kollert und stiebt<br />
bzw. fällt frei zu Tal und erreicht durch das Zus<strong>am</strong>menspiel von Masse und Geschwindig-<br />
keit seine Zerstörungskraft. Als Lawine bezeichnet man den ges<strong>am</strong>ten Bewegungsvorgang,<br />
beginnend mit dem Anbruch des abgelagerten Schnees im Anbruchgebiet. Durch die vor-<br />
gegebene Geländeform bestimmt, bewegt sich der Schnee in der Sturzbahn zu Tal, in der<br />
im Allgemeinen kein Lawinenschnee liegen bleibt. Erst wenn die Sturzbahn auf längerer<br />
Strecke ausreichend flach (20° bis 10°) wird, spricht man von der Auslaufstrecke der La-<br />
wine. Hier verringert sich die Bewegung bis zum Stillstand, und der Lawinenschnee bleibt<br />
im Ablagerungsgebiet liegen.“ (Land Tirol, 2000)<br />
Das Ablagerungsgebiet kann nach Internat. Lawinenklassifikation (Unesco, 1981) je nach<br />
Lawinentyp und Hangneigung unterschiedlich groß sein und sogar den Gegenhang mit<br />
einschließen. Außerdem unterscheidet man den Ablagerungsbereich fließender Schnee-<br />
massen und den darüber hinausreichenden Streubereich mit den Ablagerungen von Staub-<br />
lawinen (vgl. Kapitel 2.3: Lawinenklassifikation).<br />
Abbildung 2-5: Künstlich ausgelöste Lawine<br />
(Land Tirol, 2000, Foto: Ing. Federer)<br />
Alexander Holaus Seite 8
Lawinenexperten vor Ort<br />
Grundlegendes zur Lawinenthematik<br />
2.2.2 Begriffsdefinition von „Lawinengefahr“<br />
Unter Lawinengefahr verstehen wir die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer Lawine in<br />
einem vorgegebenen Gebiet. Die vorgegebene Zone kann den ganzen Lawinenzug oder<br />
auch nur Teile davon wie Anrissgebiet, Teile der Sturzbahn oder des Lawinenauslaufes<br />
umfassen. Die Lawinengefahr ist somit wesentlich durch die Schneedeckenstabilität sowie<br />
durch die Lawinenauslaufstrecke bestimmt. Die Schneedeckenstabilität ist grundsätzlich<br />
durch das Verhältnis von mechanischen Spannungen zu den entsprechenden Festigkeiten<br />
bestimmt (SLF, 1996).<br />
2.2.3 Begriffsdefinition „Lawineneintrittswahrscheinlichkeit“<br />
Die Eintrittswahrscheinlichkeit ist gleichzusetzen mit der Verkleinerung der Wahrschein-<br />
lichkeit des Auftretens von Lawinen <strong>am</strong> Ort der zu schützenden Objekte und Personen.<br />
Die Eintrittswahrscheinlichkeit von Lawinen (T ... Wiederkehrdauer) errechnet sich:<br />
P(L) = 1/T<br />
Eine Wiederkehrdauer von 300 Jahren bedeutet, dass die Lawineneintrittswahrscheinlich-<br />
keit 0,003 ist.<br />
Die Wahrscheinlichkeit P(X > 0), dass z.B. ein Gebäude innerhalb von n Jahren einmal<br />
betroffen ist, berechnet sich:<br />
P(X > 0) = 1 - (1 - 1/T) n<br />
D.h., ein Gebäude in einer nur alle 300 Jahre betroffenen Zone wird in einem Zeitraum von<br />
50 Jahren 0,153 betroffen sein.<br />
2.2.4 Begriffsdefinition „Objektpräsenzwahrscheinlichkeit“<br />
Die Präsenzwahrscheinlichkeit gibt an, mit welcher Wahrscheinlichkeit Objekte, Installa-<br />
tionen, Bauten, Menschen, Wald etc. einer möglichen Gefährdung (Lawinenwirkung) aus-<br />
gesetzt sind.<br />
2.2.5 Begriffsdefinition „Schadensausmaß“<br />
Das Schadenausmaß quantifiziert die Größe des möglichen Schadens.<br />
Alexander Holaus Seite 9
Lawinenexperten vor Ort<br />
Grundlegendes zur Lawinenthematik<br />
2.2.6 Begriffsdefinition von „Lawinenrisiko“<br />
Berücksichtigt man zur Lawinengefahr auch noch den schädigenden Einfluss von Lawinen<br />
auf Menschen und Infrastruktur, so spricht man per definitionem vom Lawinenrisiko.<br />
R = P(L) . P(O) . P(A) . Vo<br />
P(L) Lawineneintrittswahrscheinlichkeit<br />
P(O) Objektpräsenzwahrscheinlichkeit<br />
P(A) Ausmaßwahrscheinlichkeit<br />
Vo Werte der Objekte<br />
Bei Objektrisiken stellt die Ausmaßwahrscheinlichkeit P(A) eine Funktion von Lawinen-<br />
ausmaß (AL) und Schadensempfindlichkeit der Objekte (So)dar.<br />
Das Lawinenrisiko für Objekte lässt sich daher anschreiben:<br />
R = P(L) . P(O) . f(AL , So) . Vo<br />
oder zurückgeführt in die allg. Gleichung (Eintrittswahrscheinlichkeit PS und Scha-<br />
densausmaß S):<br />
R = PS . S<br />
Alexander Holaus Seite 10
Lawinenexperten vor Ort<br />
Grundlegendes zur Lawinenthematik<br />
2.3 Klassifikation von Lawinen<br />
Lawinen werden nach verschiedenen Merkmalen klassifiziert. In der folgenden Tabelle<br />
(Tab. 2-1) sind diese gemäß Internationaler Lawinenklassifikation (Unesco, 1981) zus<strong>am</strong>-<br />
menfassend dargestellt:<br />
Zone Kriterium<br />
Anbruchgebiet<br />
Sturzbahn<br />
Ablagerungsgebiet<br />
Form des Anrisses<br />
Lage der Gleitfläche<br />
Flüssiges Wasser in<br />
Lawinenschnee<br />
Form der Sturzbahn<br />
Form der Bewegung<br />
Oberflächenrauhigkeit<br />
der Ablagerung<br />
Flüssiges Wasser in<br />
der Ablagerung<br />
Fremdmaterial in der<br />
Ablagerung<br />
Von einem Punkt ausgehend:<br />
Lockerschneelawine<br />
Innerhalb der Schneedecke:<br />
Oberlawine<br />
Neuschneebruch/Altschneebruch<br />
Trocken:<br />
Trockenschneelawine<br />
Flächig:<br />
Flächenlawine<br />
Stiebend, als Schneewolke<br />
durch die Luft:<br />
Staublawine<br />
Grob (über 0,3 m):<br />
grobe Ablagerung<br />
Trocken:<br />
trockene Ablagerung<br />
Fehlend:<br />
Reine Ablagerung<br />
Alternative Merkmale<br />
Bezeichnung<br />
Von einer Linie anreißend:<br />
Schneebrettlawine<br />
Auf der Bodenfläche:<br />
Bodenlawine<br />
Nass:<br />
Nassschneelawine<br />
Runsenförmig:<br />
Runsenlawine<br />
gemischte Bewegung<br />
(kanalisierte Lawine)<br />
Fließend,<br />
dem Boden folgend:<br />
Fließlawine<br />
Fein (unter 0,3 m):<br />
Feine Ablagerung<br />
Nass:<br />
Tabelle 2-1: Internationale Lawinenklassifikation (Unesco, 1981)<br />
Nasse Ablagerung<br />
Vorhanden (Steine, Erde,<br />
Äste, Bäume):<br />
Gemischte Ablagerung<br />
Im Anbruchgebiet unterscheidet man je nach Form des Anrisses Schneebrett- und Locker-<br />
schneelawinen. Schneebrettlawinen haben eine linienförmige Anrissstirn, die in Streich-<br />
richtung zum Hang verläuft. Seitlich wird das Anbruchgebiet durch in Falllinie verlaufende<br />
Alexander Holaus Seite 11
Lawinenexperten vor Ort<br />
Grundlegendes zur Lawinenthematik<br />
Flanken begrenzt. Die untere Begrenzung bildet der Stauchwall. Lockerschneelawinen<br />
hingegen sind durch einen punktförmigen Anriss an der Schneeoberfläche und eine birnen-<br />
förmige Verbreiterung ihrer Bahn gekennzeichnet. Wird die Gleitfläche innerhalb der<br />
Schneedecke durch eine Schwachschicht gebildet, handelt es sich um eine Oberlawine. Im<br />
Gegensatz dazu spricht man von Bodenlawinen, wenn der Gesteins- oder Vegetationsun-<br />
tergrund die Gleitschicht darstellt. Je nach Form der Sturzbahn können Lawinen in Flä-<br />
chen- oder Runsenlawinen unterteilt werden. Das wesentliche Klassifikationsmerkmal von<br />
Lawinen ist die Form der Bewegung. Fließlawinen sind an den Boden gebunden und kön-<br />
nen sich translatorisch gleitend, fließend, bröckelnd oder rollend bewegen. Staublawinen<br />
führen eine stiebende Bewegung aus, die sich ohne dichten Kern vom Boden ablösen und<br />
mit Turbiditätsströmen vergleichbar sind. Am häufigsten treten jedoch gemischte Bewe-<br />
gungsformen auf (Unesco, 1981).<br />
Abbildung 2-6: Anrissmächtigkeit einer Schneebrettlawine (Foto: LWD Tirol)<br />
Alexander Holaus Seite 12
Lawinenexperten vor Ort<br />
Grundlegendes zur Lawinenthematik<br />
2.4 Bewegung von Lawinen<br />
Entsprechend den zuvor in Tabelle 2-1 (Unesco, 1981) angeführten Lawinenkriterien und<br />
Merkmalen wird nicht zwischen einer translatorischen, gleitenden Bewegung<br />
(v > ca. 1 m/s) und einer fließenden, bröckelnden oder rollenden Bewegung unterschieden.<br />
In der Anrisszone folgt die Bewegung immer dem Boden (Fließlawine). Wie schon zuvor<br />
angesprochen treten Mischformen von Fließ- und Staublawinen sehr häufig auf. Je nach<br />
dominierendem Merkmal spricht man von „Fließlawine mit Staubanteil“ oder „Staublawi-<br />
ne mit Fließanteil“. Kriech- und Gleitschneebewegungen von geringer Geschwindigkeit (s.<br />
Abb. 2-4) mit v < ca. 1 m/s werden (Unesco, 1981) nicht als Lawinenbewegung klassiert.<br />
Gleitschneelawinen - ein Sonderfall von Schneebrettlawinen - entstehen infolge plötzlicher<br />
Beschleunigung der gleitenden Schneedecke. Sie entwickeln insbesondere auf glattem Un-<br />
tergrund und infolge des Vorhandenseins eines nassen Gleit(schnee)films eine besondere<br />
Dyn<strong>am</strong>ik und bewegen sich Muren ähnlich.<br />
Abbildung 2-7: „Fischmaul“-artiges Öffnen (Gleiten) der Schneedecke auf dem Boden (Foto: A. Holaus)<br />
Nach dem Anbrechen des Schneebrettes erfolgt zunächst eine gleitende Bewegung Abbil-<br />
dung 2-9a). Ab Geschwindigkeiten von etwa 10 m/s (Voellmy, 1955) zerbricht das<br />
Schneebrett zu einzelnen Schollen, die zu einer knolligen, pulvrigen, breiartigen Masse<br />
zermalen werden. So wird die Gleitbewegung zu einer schnelleren Fließbewegung. Wird<br />
die Sturzbahn steiler, kommt es zum Lufteinzug in die Fließlawine und die Bewegung wird<br />
Alexander Holaus Seite 13
Lawinenexperten vor Ort<br />
Grundlegendes zur Lawinenthematik<br />
turbulent (Abbildung 2-9b). Ist der Schnee trocken und feinkörnig genug, lösen sich ab<br />
Geschwindigkeiten von 20 m/s Schneeteilchen von der Oberfläche der Fließlawine. Durch<br />
die Relativbewegung zwischen Fließlawine und anfangs ruhender Umgebungsluft, wird<br />
durch diese eine Schubspannung auf die Schneeoberfläche ausgeübt. Dadurch werden<br />
Schneepartikel aus der fließenden Schneeschicht herausgerissen und in die darüber liegen-<br />
de Luftschicht suspendiert, über der Fließlawine entsteht eine Schneestaubwolke (Ab-<br />
bildung 2-9c). Dieses Schnee-Luft-Gemisch (Aerosol) verhält sich in der umgebenden Luft<br />
wie ein schweres Gas. Jedes aufgewirbelte Schneeteilchen ist von einer an ihm haftenden<br />
Lufthülle umgeben. Weil diese Aerosolteilchen (Luftteilchen mit Schneekern) jedoch<br />
schwerer sind, als gleich große Luftteilchen (ohne Schneekern) der Umgebungsluft, wirkt<br />
die Gravitationskraft beschleunigend auf die Schneestaubwolke und treibt sie zu Tal.<br />
Abbildung 2-8: Staublawine in Hochfügen (LWD Tirol, 1999)<br />
Ist die Dichte an Aerosolkügelchen so hoch, dass sich ihre Lufthüllen vereinigen, bewegt<br />
sich die Suspension ohne innere Reibung. Da auf eine Staublawine durch ihre Ablösung<br />
vom Boden auch keine Bodenreibung mehr wirkt, ist sie nur noch der Reibung an der um-<br />
gebenden Luft ausgesetzt. So können Staublawinen weitaus höhere Geschwindigkeiten als<br />
Alexander Holaus Seite 14
Lawinenexperten vor Ort<br />
Grundlegendes zur Lawinenthematik<br />
Fließlawinen erreichen. Die vom Boden völlig abgelöste Bewegung einer Staub- oder<br />
Fließlawine kann nach Unesco 1981 auch als Kaskade (s. Abb. 2-9d) bezeichnet werden.<br />
Abbildung 2-9: Entwicklung einer Lawine und Lawinenbewegung (Land Tirol, 2000)<br />
In Bewegung befindliche voll ausgebildete Trockenschneelawinen mit Fließ- und Stauban-<br />
teil bestehen aus drei verschiedenartigen Schichten (s. Abb.2-10). Die unterste Schicht<br />
wird durch die Fließphase gebildet, die durch granulares Fließen und engen Kontakt zwi-<br />
schen den Partikeln gekennzeichnet ist. Zwischen Fließphase und Staubphase befindet sich<br />
eine interaktive Übergangsschicht. Hier findet ein ständiger Wechsel zwischen Abscheren<br />
(Suspension) und Wiedersedimentieren (Resuspension) von Schneepartikeln statt. Der Par-<br />
tikeltransport in dieser Schicht erfolgt springend (Saltation) wie bei Triebschnee. Die dritte<br />
Schicht wird durch die Staubphase gebildet. Die Schnee-Luft-Suspension dieser Schicht<br />
(Aerosol) bewegt sich ähnlich einem Turbiditätsstrom. Die ges<strong>am</strong>te Lawine ist oben und<br />
an den Seiten von einer Rezirkulationsschicht umgeben, in der ein Rückfluss von Luft er-<br />
folgt (Harbitz, 1998). Es besteht naturgemäß keine scharfe Abgrenzung zwischen Fließ-<br />
und Staubanteil. Jedoch ist häufig zu beobachten, dass sich Fließ- und Staubanteil bei star-<br />
ken Richtungsänderungen der Sturzbahn voneinander trennen und verschiedene Bahnen<br />
Alexander Holaus Seite 15
Lawinenexperten vor Ort<br />
Grundlegendes zur Lawinenthematik<br />
einschlagen (Hagen/Heubader, 1998). Das heißt, Fließlawinen folgen den natürlichen<br />
Sturzbahnen, während Staublawinen über Hindernisse hinwegströmen können.<br />
Abbildung 2-10: Aufbau einer gemischten Trockenschneelawine (BFW, 1998)<br />
Die Staublawine erreicht ihre maximale Geschwindigkeit etwa in der Mitte der Ganghöhe,<br />
die Fließlawine erreicht sie an der Oberfläche (vgl. Abb. 2-11).<br />
Abbildung 2-11: Verteilung von Dichte und Geschwindigkeit in einer gemischten Lawine<br />
(De Quervain, 1975)<br />
Alexander Holaus Seite 16
Lawinenexperten vor Ort<br />
Grundlegendes zur Lawinenthematik<br />
Gabl/Lackinger et al. (2000) führen die Berechnung der maximalen Fließgeschwindigkeit<br />
(Voellmy, 1955) im Tiroler Lawinenhandbuch an:<br />
Bei annähernd gleichmäßiger Fließmächtigkeit D (normal zum Hang gemessen) und<br />
großer Breite der Lawine (Flächenlawine) sind neben der inneren (turbulenten ) Rei-<br />
bung ξ die Hangneigung ψ und die Bodenreibung μ (auf der Gleitbahn) für die<br />
Fließgeschwindigkeit (an einem bestimmten Verlaufspunkt) ganz wesentlich.<br />
Somit gilt<br />
vmax = D ⋅ξ<br />
⋅ ( sinψ − μ ⋅ cosψ<br />
)<br />
Die Lawinenmasse ist von der Dichte des Schnees abhängig. Aus Dichte und Geschwin-<br />
digkeit einer Lawine resultieren ihre dyn<strong>am</strong>ischen Stoßdrücke.<br />
Alexander Holaus Seite 17
Lawinenexperten vor Ort<br />
Grundlegendes zur Lawinenthematik<br />
2.5 Zerstörungskraft von Lawinen<br />
Die Zerstörungskraft von Lawinen resultiert aus dem Zus<strong>am</strong>menspiel von Dichte des La-<br />
winenschnees und Geschwindigkeit. Die Geschwindigkeiten von Staublawinen und ihren<br />
Luftdruckwellen sind wesentlich höher als Geschwindigkeiten und Drücke von Fließlawi-<br />
nen. Die nachfolgende Tabelle zeigt die auftretenden Werte für Geschwindigkeiten und<br />
Dichte bei verschiedenen Lawinenarten:<br />
Lawinenart Geschwindigkeiten Dichte<br />
nasse Fließlawinen 70 km/h 300 - 400 kg/m³<br />
trockene Fließlawinen bis 150 km/h 50 - 300 kg/m³<br />
Staublawinen bis 250 km/h 2 - 15 kg/m³<br />
gemischte Lawinen 70 bis 180 km/h 10 - 200 kg/m³<br />
Tabelle 2-2: Geschwindigkeiten und Schneedichte verschiedener Lawinenarten (Unesco, 1991)<br />
Abbildung 2-12: Galtür 1999 (Land Tirol, 2000, Foto: Raimund Mayr)<br />
In Anbetracht der beiden Fotos in Abb. 2-12 und Abb. 2-13 lassen sich die von Staublawi-<br />
nen verursachten Schäden mit gasdyn<strong>am</strong>ischen Schäden nach Explosionen vergleichen.<br />
Alexander Holaus Seite 18
Lawinenexperten vor Ort<br />
Grundlegendes zur Lawinenthematik<br />
Salm et al. (1990) geben folgende Formel zur Berechnung des Drucks an:<br />
Der Stoßdruck P auf ein stauendes Hindernis berechnet sich nach der Formel<br />
P = ρ ⋅ v²<br />
mit ρ Dichte des Lawinenschnees und v Geschwindigkeit.<br />
Die Tabellen 2-3 und 2-4 geben vorkommende Druckverhältnisse und ihre Zerstörungs-<br />
kraft an:<br />
Auftreten Stoßdruck P<br />
häufig 100 bis 200 kN/m²<br />
selten 500 bis 600 kN/m² maximal bis 1.000 kN/m²<br />
Tabelle 2-3: Vorkommende Druckverhältnisse (Land Tirol., 2000)<br />
Stoßdruck P Zerstörende Wirkung<br />
ab 1 kN/m² Fenster<br />
ab 5 kN/m² Türen<br />
ab 30 kN/m² Gebäude (Ziegelmauer)<br />
ab 100 kN/m² Bäume entwurzeln<br />
ab 1.000 kN/m² Betonkonstruktion beschädigen<br />
Tabelle 2-4: Zerstörungskraft bestimmter Stoßdrücke (Land Tirol., 2000)<br />
Abbildung 2-13: Paznaun 1999 (Land Tirol, 2000)<br />
Alexander Holaus Seite 19
Lawinenexperten vor Ort<br />
Grundlegendes zur Lawinenthematik<br />
Über die Wiederkehrintervalle und das Schadensausmaß von Lawinenabgängen gibt die<br />
Vegetation in der Lawinensturzbahn Aufschluss:<br />
Wiederkehr-<br />
Wahrscheinlichkeit<br />
von Lawinenabgängen<br />
Vegetation<br />
1 –2 Jahre kahle Flächen, Buschwerk<br />
2 – 10 Jahre Jungwuchs bis etwa 2 m Höhe, Laubgehölz<br />
10 – 25 Jahre Nadelholz-Jungwald, Laubbäume<br />
25 – 100 Jahre Nadelwald bis 100 Jahre alt<br />
> 100 Jahre Nadelwald über 100 Jahre alt<br />
Tabelle 2-5: Zus<strong>am</strong>menhang zw. Wahrscheinlichkeit von Lawinenabgängen und der Vegetation<br />
(Land Tirol, 2000)<br />
Sogenannte „stumme Zeugen“ geben Aufschluss über die Wiederkehrwahrscheinlichkeit<br />
und das Ausmaß zu erwartender Lawinen.<br />
Abbildung 2-14: Lawinensturzbahn „Farnkaserlawine“ und Stütze einer ehemaligen Maetrialseilbahn als<br />
„stumme Zeugen“ (roter Kreis = Standort der Stütze); Foto: A. Holaus<br />
Alexander Holaus Seite 20
Lawinenexperten vor Ort<br />
Faktoren der Lawinenbildung<br />
3 Faktoren der Lawinenbildung<br />
Die aktuelle Lawinengefahr in einer Region ergibt sich als Resultierende aus dem komple-<br />
xen Zus<strong>am</strong>menspiel von<br />
– �topographischen Faktoren:<br />
Seehöhe, Hangneigung, Exposition, Geländeform, Vegetation und Boden<br />
– meteorologischen Faktoren:<br />
Witterung, Strahlung, Temperatur, Wind und Niederschlag<br />
– nivologischen Faktoren:<br />
Schichtung, Zus<strong>am</strong>mensetzung und Stabilität der Schneedecke<br />
Die komplexen Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Faktoren der Lawinenbildung<br />
veranschaulicht Abb. 3-1. Die Faktoren gliedern sich neben ihrer Einflussgröße von 0 bis 1<br />
auch nach der Art des Einflusses. Während Faktoren wie z.B. die Hangneigung (Inclinati-<br />
on) oder Geländeform (Shape) in direktem Zus<strong>am</strong>menhang mit der Lawinengefahr stehen,<br />
beeinflusst der überwiegende Teil der Variablen, wie beispielsweise die Geländeausrich-<br />
tung (Exposition) oder die Schneedeckenstabilität (Stability), die Lawinengefahr indirekt<br />
durch die Wechselwirkung mit anderen Faktoren.<br />
Abbildung 3-1: Gewichtete Einflüsse der lawinenbildenden Faktoren auf die Lawinengefahr<br />
(Jaccard, 1990)<br />
Alexander Holaus Seite 21
Lawinenexperten vor Ort<br />
Faktoren der Lawinenbildung<br />
Demnach hat die Hangrichtung (Exposition) keinen unmittelbaren Einfluss auf die Lawi-<br />
nengefahr, aber einen großen direkten Einfluss auf die Wärme (Heat), die ihrerseits einen<br />
großen direkten Einfluss auf den Schneedeckenaufbau (Constitution) geltend macht, und in<br />
folge die Schneedeckenstabilität (Stability) entscheidend beeinflusst. Diese Zus<strong>am</strong>men-<br />
hänge können mit geographischem und meteorologischem Basiswissen leicht nachvollzo-<br />
gen werden, jedoch erscheint eine Quantifizierung der Einflüsse nur sehr schwer möglich.<br />
3.1 Topographische Faktoren<br />
Topographische Faktoren unterliegen keiner zeitlichen Veränderung, sie können bei der<br />
Beurteilung der Lawinengefahr als Konstante einfließen. So können Geländeteile als Ge-<br />
fahrenzonen (z.B. dichte Waldgebiete) und als potentielle Anrissgebiete (z.B. Geländebe-<br />
reiche mit einer Hangneigung kleiner als 20-25°) mit einer hohen Wahrscheinlichkeit aus-<br />
geschlossen werden. Topographische Faktoren schaffen generell die Voraussetzungen für<br />
eine Lawine.<br />
3.1.1 Hangneigung<br />
Nach wie vor ist die Hangneigung ein bedeuts<strong>am</strong>er und der wohl <strong>am</strong> einfachsten zu beur-<br />
teilende Lawinen bildende Faktor (Salm, 1991). Die Hangneigung verhält sich direkt pro-<br />
portional zur Lawinengefahr, d.h. je steiler ein Hang, desto leichter kann eine Lawine aus-<br />
gelöst werden. An Hängen unter 20° treten aufgrund der geringen Neigung nur unter Aus-<br />
nahmebedingungen Lawinen auf bzw. rutscht bei einer Neigung über 50-60° Schnee be-<br />
reits während des Niederschlags zu einem beträchtlichen Teil wieder ab, so dass ein Lawi-<br />
nenanriss in diesem Bereich unwahrscheinlicher wird. Schneebrettlawinen nehmen zwi-<br />
schen 30° und 50° Hangneigung ihren Ausgang.<br />
Abbildung 3-2 zeigt den Zus<strong>am</strong>menhang zwischen Hangneigung und durchschnittlicher<br />
Häufigkeit von Lawinen. Die steilste Hangpartie der Unfalllawinen liegt im Mittel bei etwa<br />
38-39 Grad. Diese Grafik gibt aber keine Auskunft über die Auslösewahrscheinlichkeit.<br />
Alexander Holaus Seite 22
Lawinenexperten vor Ort<br />
Faktoren der Lawinenbildung<br />
Abbildung 3-2: Zus<strong>am</strong>menhang zwischen Hangneigung und durchschnittlicher Häufigkeit von Lawinen<br />
(ÖROK, 1986)<br />
Schweizer (2006) fasst drei wichtige Gründe für die höhere Auslösewahrscheinlichkeit bei<br />
zunehmender Steilheit zus<strong>am</strong>men:<br />
Erstens nimmt die Hangabtriebskraft mit zunehmender Hangneigung zu. Zweitens nimmt<br />
die Belastung durch den Schneesportler mit zunehmender Hangneigung zu, und zwar zwei-<br />
fach: Einerseits durch die Zunahme der Hangabtriebskraft der Zusatzbelastung, anderer-<br />
seits durch die Zunahme der Zusatzbelastung selbst als Folge der gezwungenermaßen dy-<br />
n<strong>am</strong>ischeren Fahrweise im extrem steilen Gelände; vorausgesetzt die Fahrt erfolgt eini-<br />
germaßen kontrolliert.<br />
Außerdem nimmt die Sonneneinstrahlung in Schattenhängen, wo bekanntlich die meisten<br />
Lawinen durch Wintersportler ausgelöst werden, mit zunehmender Hangneigung ab. D<strong>am</strong>it<br />
dürfte der Schneedeckenaufbau in extrem steilen Schattenhängen noch etwas schlechter<br />
sein und länger schlecht bleiben als in weniger steilen Hängen (Schweizer, 2006).<br />
Ebenso zeigt die Abb. 3-3 (Harvey, 2006), dass es in der Planung und als erster Anhalts-<br />
punkt im Gelände bzw. Gefahreneinschätzung von der „warmen Stube aus“ sehr wohl Sinn<br />
hat, einmal Gefahrenstufe und Hangneigung als ersten Filter zu kombinieren.<br />
Alexander Holaus Seite 23
Lawinenexperten vor Ort<br />
Faktoren der Lawinenbildung<br />
Abbildung 3-3: Prozentuelle Häufigkeit der Hangneigungen von Unfalllawinen pro Gefahrenstufe<br />
(steilste Hangpartie innerhalb der Anrissfläche, gemessen auf der Karte M 1: 25000).<br />
3.1.2 Exposition<br />
(Harvey, 2006)<br />
Die Exposition ist für die Lawinenbildung im Zus<strong>am</strong>menhang mit zwei weiteren Faktoren,<br />
nämlich der Windrichtung und der Sonneneinstrahlung, von eminenter Bedeutung. Die<br />
Windrichtung der vergangenen Tage bzw. während der letzten Niederschlagsperiode und<br />
die d<strong>am</strong>it verbundene Schneeverfrachtung erhöht die potentielle Lawinengefahr in den<br />
Lee-Bereichen (= Ablagerung des Wind transportierten Schnees) vorwiegend unterhalb<br />
von Kämmen und Graten zumeist drastisch. Die Strahlungsverhältnisse haben unmittelba-<br />
ren Einfluss auf die Entwicklung der Schneedecke.<br />
Alexander Holaus Seite 24
Lawinenexperten vor Ort<br />
Faktoren der Lawinenbildung<br />
Die Auswirkungen der Exposition auf die Lawinenbildung spiegeln sich in der<br />
Lawinenunfall-Statistik deutlich wieder:<br />
Abbildung 3-4: Unfalllawinen im Vergleich zu befahrenen Expositionen -<br />
– in Wahrscheinlichkeiten ausgedrückt (Grafik: Grimsdottir/McClung, 2006).<br />
Abb. 3-4 zeigt, dass die meisten Unfalllawinen in die Sektoren Nord und Nordost fallen.<br />
Dies sind auch die <strong>am</strong> häufigsten befahrenen Expositionen. Obwohl 25% der Unfalllawi-<br />
nen in den Sektor Nord fallen, wurde dieser Sektor nur zu 17% im Vergleich zu den übri-<br />
gen Sektoren befahren.<br />
Abbildung 3-5: Lawinen-Wahrscheinlichkeiten in den einzelnen Expositionen<br />
(Grafik: Grimsdottier/McClung, 2006).<br />
Alexander Holaus Seite 25
Lawinenexperten vor Ort<br />
Faktoren der Lawinenbildung<br />
Mit Abb. 3-5 zeigen Grimsdottir/McClung, dass das Risiko eine Lawinen auszulösen, nicht<br />
alleine von der Exposition abhängig ist, wie aus den Werten der Unfalllawinenanzahl zu<br />
vermuten wäre. Im direkten Vergleich ist das Risiko in Osthängen im Vergleich zum west-<br />
lich ausgerichteten Hängen höher, Nord- und Südsektor unterscheiden sich aber nur mini-<br />
mal.<br />
Südseitig exponierte Hänge setzten sich aufgrund der höheren Strahlung relativ gut, wäh-<br />
rend dies nord- und ostseitig gerichteten Expositionen infolge geringerer Strahlung, tieferer<br />
Temperaturen an der Oberfläche und d<strong>am</strong>it größerer Temperaturgradienten nicht so leicht<br />
zuteil wird. Oberflächenreif (Abb. 3-6) und Schwimmschneebildung sind die Folge.<br />
3.1.3 Vegetation<br />
Abbildung 3-6: Oberflächenreif (Munter, 2003)<br />
Die Vegetation in der Form eines dichten mehrstufigen Waldes stellt einen ausgezeichne-<br />
ten Schutz gegen das Anreißen von Lawinen dar. Er bewirkt ein teilweises Ablagern des<br />
Schnees in den Bäumen und durch die verminderte Schneeverfrachtung kann sich eine<br />
ausgeglichenere und durch die Bäume punktuell abgestützte Schneedecke ausbilden. Ein-<br />
schränkungen gelten in einem aufgelockerten Altbestand bzw. in winterkahlen Wäldern.<br />
Strauchgewächse haben nur bei geringen Schneehöhen eine verfestigende Wirkung auf die<br />
Schneedecke; bei Zunahme der Schneedecke durch neuerlichen Niederschlag oder<br />
Schneeverfrachtung kann es bedingt durch die zwischen und unter den Sträucher entste-<br />
Alexander Holaus Seite 26
Lawinenexperten vor Ort<br />
Faktoren der Lawinenbildung<br />
henden Hohlräume zu einer als kritisch zu beurteilenden ungleichmäßigen Setzung der<br />
Schneedecke und zu einer Begünstigung der Schwimmschneebildung kommen (vgl. Abb.<br />
3-6).<br />
Abbildung 3-7: Seehöhen der Anbruchgebiete (Luzian, 2003)<br />
3.2 Meteorologische und nivologische Faktoren<br />
Im Gegensatz zu den topographischen Faktoren verändern sich meteorologische und nivo-<br />
logische Faktoren kontinuierlich, sie sind eine sich ständig verändernde Komponente in der<br />
Beurteilung der Lawinengefahr. Nicht nur ihr momentaner Zustand, sondern auch der Ab-<br />
lauf ihrer Veränderung im Fortlauf des ges<strong>am</strong>ten Winters sind von entscheidender Bedeu-<br />
tung für eine Beurteilung der Lawinengefahr.<br />
3.2.1 Niederschläge<br />
Nicht die ges<strong>am</strong>te Schneehöhe oder die Niederschlagsmenge, sondern die Intensität der<br />
Niederschläge (= Neuschneemenge pro Zeiteinheit) ist ein wesentlicher Faktor für die Bil-<br />
dung von Lawinen. Eine größere Neuschneemenge bewirkt – oft ergänzt durch die Zusatz-<br />
last eines Winterbergsteigers - eine Erhöhung der Spannungen und ist häufig Ursache von<br />
Lawinen. Die Situation wird durch parallel auftretende Schneeverfrachtung drastisch ver-<br />
schärft. Nach Abklingen der Niederschläge verändert sich die Lawinengefahr in Abhän-<br />
Alexander Holaus Seite 27
Lawinenexperten vor Ort<br />
Faktoren der Lawinenbildung<br />
gigkeit von der Temperatur (= Sonneneinstrahlung) mit fortschreitender Setzung und Ver-<br />
festigung der Schneedecke. Bei kontinuierlich steigenden Temperaturen kommt es zur<br />
Verfestigung. Bleiben die Temperaturen tief, so ist mit nur geringer Setzung und somit<br />
unveränderter Situation zu rechnen<br />
Luzian (<strong>2002</strong>) zeigt in seinen Erhebungen, dass häufig auch Regen mit Schneefall ver-<br />
mischt oder Regen auf Schneefall folgend als lawinenbildender Faktor angeführt wurde.<br />
Leider war es für den Untersuchenden aus den angelieferten Aufzeichnungen nicht immer<br />
ersichtlich, ob es beispielsweise im Anbruchgebiet schneite und nur im Aufschüttungsbe-<br />
reich regnete, oder ob das ges<strong>am</strong>te Lawineneinzugsgebiet von Regen betroffen war.<br />
3.2.2 Wind<br />
Der Wind wird bedingt durch seine Fähigkeit der Windabtragung im Luv (= dem Wind<br />
zugewandte Geländeteile) und der d<strong>am</strong>it verbundenen Windablagerung im Lee (= dem<br />
Wind abgewandte Geländeteile) als „Baumeister der Lawinen“ im allgemeinen und der<br />
Schneebretter im besonderen bezeichnet. Bereits ab einer Windgeschwindigkeit von 4m/s<br />
(= 15 km/h, Wind im Gesicht fühlbar, aber nicht unangenehm ) setzt der Prozess der<br />
Schneeverfrachtung ein, dabei gilt es zu beachten, dass die mit der Zeiteinheit transportier-<br />
te Schneemenge mit der dritten Potenz der Windgeschwindigkeit wächst (Lawinenhand-<br />
buch, 2000).<br />
Abbildung 3-8: Schneeerosion findet an Stellen mit Geschwindigkeitszunahme (B) statt. An Stellen mit<br />
abnehmendem Wind (A) wird Schnee abgelagert (Land Tirol, 2000).<br />
Der Wind als Lawinen bildender Faktor kommt primär in Mulden, an abrupten Gefälleän-<br />
derungen, in Gipfelregionen und in der Nähe von Kämmen als Lawinen bildender Faktor<br />
zum Tragen. Von 2200 registrierten Lawinenabgängen in Österreich im Zeitraum von<br />
1967/68 bis 1992/93 war rund ein Drittel auf Windaktivität zurückzuführen (Luzian,<br />
1998).<br />
Alexander Holaus Seite 28
Lawinenexperten vor Ort<br />
Faktoren der Lawinenbildung<br />
3.2.3 Temperatur<br />
Der Faktor Temperatur (= Sonneneinstrahlung) auf die Lawinenbildung ist äußerst kom-<br />
plex. Neben den bereits oben angeführten Zus<strong>am</strong>menhängen zwischen Exposition und La-<br />
winengefahr spielt die Temperatur und ihr Verlauf während der ges<strong>am</strong>ten Wintersaison<br />
eine bedeutende Rolle für den Schneedeckenaufbau und die -stabilität. Niedrige Tempera-<br />
turen bewahren i.a. die bestehende Situation, d.h. die Lawinengefahr bleibt nach Schnee-<br />
zuwachs in anschließenden Kälteperioden länger erhalten. Erwärmung führt durch be-<br />
schleunigt abbauende Met<strong>am</strong>orphose eine rasche Stabilisierung herbei. Anfänglich wird<br />
dabei zwar die Festigkeit vermindert und die Gefahr erhöht, anschließend verfestigt sich<br />
aber der Schnee stärker. Speziell Schwimmschneebildung ist eine Folge ausgeprägter<br />
Temperaturgradienten in der Schneedecke, derartige Schichten bleiben bis ins Frühjahr<br />
hinaus bestehen (Land Tirol, 2000).<br />
Umgekehrt kann aus den Meldeblättern zur Schadenslawinendatenbank der Winter<br />
1963/64 bis 1993/94 (Luzian, 1998) 298 Mal die Meldung „Temperaturanstieg“ und 25<br />
Mal „Temperaturanstieg über Null“ entnommen werden. Nur drei Mal unter 2200 Eintra-<br />
gungen wurde „Sonneneinstrahlung“ als Lawinen bildender Faktor angegeben.<br />
3.2.4 Schneedeckenaufbau<br />
Der Schneedeckenaufbau wird vom ersten Schneefall an für eine ges<strong>am</strong>te Wintersaison<br />
durch den Witterungsverlauf (Temperatur, Niederschlag) geprägt, er beschreibt die vertika-<br />
le Abfolge von Schneeschichten unterschiedlicher Charakteristika (z.B. Körnung, Tempe-<br />
ratur, Härte, etc.). Durch tiefe Temperaturen kann Schwimmschnee entstehen. Oberflä-<br />
chenreif oder andere kritische Schichten (= potentielle Gleitflächen) werden über längere<br />
Zeit im Untergrund konserviert, der Sonne abgewandte Hänge können diesen Effekt ver-<br />
stärken. Ein ungünstiger Schneedeckenaufbau mit zumindest einer kritischen Schwach-<br />
schicht bewirkt demnach eine geringe Schneedeckenstabilität und d<strong>am</strong>it eventuell auch<br />
lang anhaltende Lawinengefahr, die bei Schwimmschnee besonders in Nordhängen bis ins<br />
Frühjahr bestehen kann (Land Tirol, 2000).<br />
Die Lawinenwarndienste der einzelnen Bundesländer bieten den Mitgliedern der örtlichen<br />
Lawinenkommissionen (gemäß gesetzlicher Verpflichtung aus dem Katastrophenhilfs-<br />
dienstgesetz 1991) ständige Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten.<br />
Alexander Holaus Seite 29
Lawinenexperten vor Ort<br />
Faktoren der Lawinenbildung<br />
Praktische Lawinenkunde lebt durch Erfahrung und ständige Weiterbildung. Fundiertes<br />
Wissen eröffnet Möglichkeiten, um Entscheidungen zu treffen, sie zu begründen und ge-<br />
gebenenfalls auch Dritten transparent zu machen.<br />
Kronthaler/Zenke (2006) beschreiben in ihrem Artikel „Schneedeckendiagnose zur Beur-<br />
teilung der Lawinengefahr“ ihre aktuellen Ausbildungsinhalte. Mittels „Prozessdenken“<br />
(gedankliche Auseinandersetzung mit Vorgängen und Prozessen in der Schneedecke) wird<br />
von lokalen Erkenntnissen unter Berücksichtigung von Stabilitätsverhältnissen, Exposition,<br />
Höhenlage und Reliefsituation auf vergleichbare Hänge geschlossen. Grundlage dafür bie-<br />
tet eine „systematische Schneedeckendiagnose“, welche sich in drei Teilbereiche gliedert:<br />
� Vereinfachtes Schneeprofil/Kleiner Blocktest (bis in ca. 1m Tiefe unter die Oberfläche)<br />
� Schwachschichtanalyse<br />
o Kornform<br />
o Bindungsverhältnisse<br />
� Bewertung der Schwachschicht<br />
o Art der Bruchfläche<br />
o Dicke der Bruchfläche<br />
o Wie tief liegt die Schwachschicht unter der Oberfläche<br />
o Wie ist die Schicht unmittelbar oberhalb der Schwachschicht beschaffen<br />
o Korngröße der Schwachschicht<br />
Anschließend erfolgt eine Beurteilung der herrschenden Lawinengefahr nach genau vorde-<br />
finierten Fragen, welche in Kronthaler (2006) nachzulesen ist.<br />
Alexander Holaus Seite 30
Lawinenexperten vor Ort<br />
Beurteilung der Lawinengefahr<br />
4 Beurteilung der Lawinengefahr<br />
Wie der Kapitel 3 zeigt, resultiert die Lawinengefahr aus der komplexen und im Detail<br />
nicht exakt nachvollziehbaren Wechselwirkung einer Vielzahl von Faktoren. Demnach ist<br />
eine hundertprozentige Einschätzung der Lawinensituation nicht möglich.<br />
Bei Beurteilung der „objektiven Gefahr“ wird man eher in der Lage sein, mit Hilfe der<br />
Faktoren Temperatur, Wind, Schneefall, Sonneneinstrahlung etc. in Betrachtung von Ex-<br />
position, Neigung und Untergrund des Geländes den Grad der Gefahr einzuschätzen. Eine<br />
anhand der variierenden Faktoren stets notwenige Beurteilung der Situation wird dabei<br />
eine relativ gute Aussage über die Wahrscheinlichkeit eines spontanen Lawinenabgangs<br />
ergeben. Dabei sollte nach der noch vorhandenen Sicherheit und nicht nach der Größe der<br />
Gefahr gesucht werden (Land Tirol, 2000).<br />
Die Beurteilung der latenten (verborgenen), ständig in der Schneedecke vorhandenen Ge-<br />
fahr hinsichtlich der subjektiven Lawinenauslösung bei Betreten oder Befahren eines Han-<br />
ges durch Menschen ist schwieriger: Der von außen nicht erkennbare Schneedeckenauf-<br />
bau, der Spannungs- und Festigkeitszustand (Stabilität) und deren nicht erkennbare Vertei-<br />
lungen im Hang spielen hier eine entscheidende Rolle (vgl. Kapitel 3.2.4: „Prozessdenken“<br />
von Kronthaler/Zenke).<br />
Es hat sich als hilfreich erwiesen, für das öffentliche Leben und die Sicherheit des Men-<br />
schen erwiesen, die Lawinengefahr über die Par<strong>am</strong>eter der Auslösewahrscheinlichkeit und<br />
der zu erwartenden Größe eines potentiellen Lawinenabganges näherungsweise zu<br />
bestimmen. Dies ermöglicht ergänzend zu den permanenten Lawinenschutzmassnahmen –<br />
Lawinenverbauungen, Schutzwald - zeitgerecht temporäre Lawinenschutzmassnahmen,<br />
abgestimmt auf die spezielle Situation und den Zeitpunkt, zu setzen, wie z.B. Warnungen,<br />
Evakuierungen oder künstliche Lawinenauslösungen.<br />
4.1 Lawinenlagebericht/Bulletin<br />
Die Entstehung eines Lageberichtes basiert weltweit auf dem selben Prinzip: Es gilt, mit-<br />
tels eines umfangreichen Datenmaterials ein möglichst exaktes Bild über die herrschende<br />
Schneedeckenstabilität und davon abgeleitet der Lawinengefährdung in einer Region zu<br />
erhalten. Lawinenwarndienste sind somit hinsichtlich der Erstellung des Lageberichtes als<br />
Alexander Holaus Seite 31
Lawinenexperten vor Ort<br />
Beurteilung der Lawinengefahr<br />
Informations-S<strong>am</strong>melstellen anzusehen. Erklärtes Ziel dabei ist, ein Maximum an fachspe-<br />
zifischen Informationen zur Verfügung zu haben, diese richtig zu werten und d<strong>am</strong>it eine<br />
regionale Gefahreneinstufung vorzunehmen.<br />
Abbildung 4-1: Europäische Lawinengefahrenskala<br />
(LWD Tirol, 2003)<br />
Seit April 1993 erfolgt die Angabe der Lawinengefahr in allen Alpenländern einheitlich<br />
nach der Europäischen Lawinengefahrenskala (s. Abb. 4-1). Diese umfasst fünf progressiv<br />
steigende Gefahrenstufen (gering – mäßig – erheblich – groß – sehr groß), die über die<br />
Par<strong>am</strong>eter der Schneedeckenstabilität und der Lawinen-Auslösewahrscheinlichkeit defi-<br />
niert sind.<br />
Der Lawinenlagebericht (= Lawinenbulletin) wird von den in Österreich in den Bundes-<br />
ländern eingerichteten Lawinenwarndiensten (in Zus<strong>am</strong>menarbeit mit benachbarten euro-<br />
päischen Diensten) entweder in Abhängigkeit der veränderten Lawinensituation aktuali-<br />
Alexander Holaus Seite 32
Lawinenexperten vor Ort<br />
Beurteilung der Lawinengefahr<br />
siert oder periodisch im 1-Tages- oder 2-Tages-Rhythmus herausgegeben. Der Tiroler La-<br />
winenwarndienst, welcher hier beispielhaft angeführt sei, kann auf eine gute Infrastruktur<br />
und besonders gutes Datenmaterial zurückgreifen (Nairz, <strong>2002</strong>)<br />
Veröffentlicht in Tageszeitungen, im Teletext und im Internet, über Gratistelefonnummer<br />
aus ganz Österreich (seit Winter 2006/07), gratis via Fax oder auf’s Mobiltelefon via SMS<br />
oder MMS, ausgehängt an öffentlichen Anschlagtafeln bei Seilbahngesellschaften, alpinen<br />
Vereinen oder Schutzhütten bietet er all jenen Personen, die sich entweder im durch<br />
Schneelawinen gefährdeten Gelände bewegen oder lokale Verantwortung in Bezug auf den<br />
temporären Lawinenschutz tragen (wie beispielsweise Mitglieder der örtlichen Lawinen-<br />
kommission oder Seilbahngesellschaften), eine wertvolle Grundlage zur Beurteilung der<br />
Lawinensituation.<br />
Wie in allen Bereichen mit hohem und schnell verfügbarem Informationsbedarf hat die<br />
EDV auch in den Räumlichkeiten des LWD und der Erstellung des LLB nicht Halt ge-<br />
macht. Die Abfrage der automatischen Wetterstationen, Progr<strong>am</strong>me zur Bearbeitung und<br />
Auswertung von Wetter-, Schnee- und Lawinendaten sowie zur Erstellung von Schicht-,<br />
R<strong>am</strong>m-, und Temperaturprofilen. Diese Ergebnisse dann auch noch zu dokumentieren und<br />
zu kommunizieren wäre ohne die EDV heute nicht mehr denkbar (Mair, 2000).<br />
4.1.1 Aufbau und Inhalt des Lawinenlageberichtes<br />
Die Beurteilung der Lawinensituation durch die Lawinenwarndienste basiert auf zwei<br />
Datengruppen:<br />
• Meteorologische Daten bilden die eine Gruppe, zus<strong>am</strong>mengesetzt aus Daten zur<br />
Abschätzung der weiteren Wetterentwicklung, mittel- und langfristigen Prognosen<br />
und Ergebnissen der computergestützten Auswertung von Messungen mittlerweile<br />
60 automatischer Schnee- und Wettermessstationen im Tiroler Hochgebirge (bis<br />
auf über 3000 m). Die Wetterdienststelle Innsbruck versorgt den LWD mit einem<br />
speziell auf die erforderlichen Bedürfnisse zugeschnittenen Wetterbericht, speziell<br />
abgestimmte Wettervorhersage und – während besonders kritischer Situation – ei-<br />
ner Extremwertstatistik, die über Jährlichkeiten über Schneefallereignissen Aus-<br />
kunft gibt.<br />
• Die andere Gruppe setzt sich aus den „für die tägliche Arbeit unverzichtbaren“<br />
(Nairz, <strong>2002</strong>) Beobachtungen und Beurteilungen lokaler Beobachter - zumeist<br />
Alexander Holaus Seite 33
Lawinenexperten vor Ort<br />
Beurteilung der Lawinengefahr<br />
Bergführer, Hüttenwirte, Mitglieder der örtlichen Lawinenkommission, etc. - zu-<br />
s<strong>am</strong>men. Eigenen Geländeerkundungen durch Mitarbeiter des LWD Tirol - im<br />
Durchschnitt mehr als 100 Tage im Winter – wird sehr große Bedeutung beigemes-<br />
sen. Aus der Kombination von Empirie – beobachteter Zus<strong>am</strong>menhang zwischen<br />
gemessenen meteorologischen Werten und festgestellten Lawinenereignissen - und<br />
dem aus langjähriger Erfahrung und einer ausgezeichneten Gebietskenntnis resul-<br />
tierenden „Gefühl“ für die örtliche Lawinensituation entsteht eine lokale Beurtei-<br />
lung der Lawinengefahr (Nairz, <strong>2002</strong>).<br />
Dem Berichtersteller obliegt es nun, die richtige Gewichtung der einzelnen Informationen<br />
durchzuführen und eine Abstraktion der lokal und regional erhobenen und beobachteten<br />
Par<strong>am</strong>eter auf eine bestimmte Region und Tageszeit bzw. überregionale Ebene (= das<br />
Bundesland) vorzunehmen. Demnach stellt der Lawinenlagebericht auf einer überregiona-<br />
len Ebene die aktuelle Lawinensituation und deren kurz- und mittelfristige Entwicklung in<br />
Abhängigkeit vom Wetter dar. Er zeigt potentiell gefährdete Hanglagen in Bezug auf<br />
Hangneigung, Exposition, Höhenlage und/oder Geländeform auf. Nur ein kleiner Anteil an<br />
Hängen in dem als kritisch angegebenen Bereich ist tatsächlich gefährdet, je höher die Ge-<br />
fahrenstufe, um so zahlreicher sind die in Realität gefährdeten Hänge.<br />
Abbildung 4-2: Europäische Hilfsmatrix zur Erstellung des LLB für die Lawinenwarndienste<br />
(LWD Bayern, 2003)<br />
Alexander Holaus Seite 34
Lawinenexperten vor Ort<br />
Beurteilung der Lawinengefahr<br />
Der strukturelle Aufbau des Lawinenlageberichtes gliedert sich i.a. nach der Angabe der<br />
Gefahrenstufe gemäß der Europäischen in folgende Abschnitte:<br />
• Wetterbedingte Einflüsse auf den Schneedeckenaufbau (Auswirkung von Neu-<br />
schnee, Wind, Temperatur, etc. auf die Stabilität der Schneedecke) und die witte-<br />
rungsbedingte Veränderung desselben.<br />
• �Die Gefahrenstufen für Tallagen und höher gelegene Verkehrswege durch Selbst-<br />
auslösung von Lawinen.<br />
• Angabe der (besonders) kritischen Bereiche, wie beispielsweise K<strong>am</strong>mlagen,<br />
schattseitige Steilhänge oder Seehöhenstufen, und die Abschätzung möglicher<br />
Auswirkungen einer Zusatzlast auf die Schneedeckenstabilität<br />
Ein wichtiger Abschnitt im Lawinenlagebericht stellt jener für die kartographische Visuali-<br />
sierung der aktuellen Gefährdungsbereiche dar. Hierbei ist es entscheidend, dass dem Nut-<br />
zer adäquate Möglichkeiten und umfassende Hilfestellungen geboten werden, um die im<br />
Lagebericht enthaltene Information möglichst authentisch in eine kartographische Darstel-<br />
lung überführen zu können. Das bedingt neben der Umsetzung der verbalen Information in<br />
Bezug auf die topographischen Geländemerkmale auch eine Ausrichtung des Visualisie-<br />
rungswerkzeugs für den Lawinenlagebericht <strong>am</strong> Informationsgehalt des Lawinenbulletins.<br />
Um einer Vereinheitlichung der Lageberichte Rechnung zu tragen, arbeiten die europäi-<br />
schen Lawinenwarndienste schon seit langem an einheitlich verständlichem Layout. Wäh-<br />
rend der vergangenen Jahre wird nun das Hauptaugenmerk neben weiteren Qualitätsver-<br />
besserungen auf eine optisch bestmögliche Aufbereitung der Information gelegt.<br />
In der Vergangenheit konnte es jedoch passieren, dass benachbarte Lawinenwarndienste<br />
für angrenzende Regionen während einer (drastischen) Änderung der (jeweils vergleichba-<br />
ren) Lawinensituation z.B. ab den Nachmittagsstunden unterschiedliche Gefahrenstufen<br />
ausgaben, obwohl im Textteil die Situation identisch beschrieben wurde. Dies k<strong>am</strong> da-<br />
durch zustande, weil man sich teilweise auf unterschiedliche Zeitbereiche bei der Erstel-<br />
lung der Gefahrenstufenkarte des Lawinenlageberichtes bezog – einmal wurde das Haupt-<br />
augenmerk auf die Situation während der Berichtsverfassung gelegt, ein anderes Mal auf<br />
jene der Gefahrenverschärfung. Deshalb einigte man sich darauf, dass sich die im Lawi-<br />
nenlagebericht ausgewiesene Lawinengefahrenstufe an der Vormittags-Lawinensituation<br />
orientiert. Auf weitergehende tageszeitliche Veränderungen wird im Text eingegangen.<br />
Gegebenenfalls erfolgt eine Aktualisierung des Lawinenlageberichts.<br />
Alexander Holaus Seite 35
Lawinenexperten vor Ort<br />
Beurteilung der Lawinengefahr<br />
Das zentrale Produkt der Arbeitsgemeinschaft der Lawinenwarndienste, welches auf Initia-<br />
tive des bayrischen Lawinenwarndienstes entstanden ist, stellt die nachfolgende - an das<br />
kanadische Modell angelehnte - Hilfsmatrix dar. D<strong>am</strong>it wurde ein nicht unwesentlicher<br />
Schritt zur Harmonisierung der aktuellen Lawinenwarnungen in Europa gesetzt. Eine La-<br />
wine wird dabei sowohl durch die beschreibenden Merkmale der Reichweite und des<br />
Schadenspotentials als auch durch quantitative Kriterien definiert. Für die Klassifikation<br />
einer Lawine ist es notwendig, dass beide beschreibenden Merkmale zutreffen. Die quanti-<br />
tative Klassifikation kommt hauptsächlich dann zur Anwendung, wenn Lawinen vermes-<br />
sen werden können. Dabei ist das Volumen im Prinzip das beste Maß für die Lawinengrö-<br />
ße, jedoch im Gelände auf Distanz kaum in genügender Genauigkeit schätzbar (Nairz,<br />
2003).<br />
Begriff<br />
Größe 1 „Rutsch“<br />
Größe 2<br />
Größe 3<br />
Größe 4<br />
„kleine<br />
Lawine“<br />
„mittlere<br />
Lawine“<br />
„große<br />
Lawine“<br />
Reichweiten-<br />
Klassifikation<br />
Schneeverlagerung ohne<br />
Verschüttungsgefahr (Ab-<br />
sturzgefahr).<br />
Kommt im Steilhangbereich<br />
zum Stillstand.<br />
Erreicht den Hangfuß von<br />
Steilhängen.<br />
Überwindet flachere Gelände-<br />
teile (deutlich unter 30°) über<br />
eine Distanz von mehr als 50<br />
m. Kann den Talboden errei-<br />
chen.<br />
Schadenspotenzial-<br />
Klassifikation<br />
Relativ harmlos für Perso-<br />
Quantitative<br />
Klassifikation<br />
Alexander Holaus Seite 36<br />
nen<br />
Kann Personen verschüt-<br />
ten, verletzen oder töten<br />
Kann PKWs verschütten<br />
und zerstören, schwere<br />
LKWs beschädigen. Kann<br />
kleine Gebäude zerstören<br />
und einzelne Bäume bre-<br />
chen.<br />
Kann schwere LKWs und<br />
Schienenfahrzeuge ver-<br />
schütten und zerstören.<br />
Kann größere Gebäude und<br />
Waldareale zerstören<br />
Lauflänge
Lawinenexperten vor Ort<br />
Beurteilung der Lawinengefahr<br />
Schweizer (2006) führte schon vor längerer Zeit umfangreiche Belastungstests auf die<br />
Schneedecke durch. Erfahrungen aus der Praxis, aber auch seine Erkenntnisse galt es bei<br />
den bisherigen Definitionen entsprechend zu berücksichtigen. Wichtige Ergänzungen<br />
betreffen die Differenzierung nach dem verwendeten Sportgerät, ob Entlastungsabstände<br />
eingehalten werden und in Einzelner Skifahrer/Snowboarder etc., sanft schwingend, nicht<br />
stürzend welchem Stil abgefahren wird. Spätestens ab jetzt sollte die immer noch umher-<br />
geisternde Irrmeinung, dass man zur Schonung der Schneedecke die Skier ausziehen und<br />
den Hang (quasi als Alpinist) senkrecht empor spuren solle, aus den Köpfen gelöscht wer-<br />
den. Ein einzelner Alpinist, der zu Fuß unterwegs, übt nämlich eine wesentlich größere<br />
Belastung auf die Schneedecke aus, als z. B. ein Schneeschuh- oder Skitourengeher.<br />
„kleine/geringe Zusatzbelastung“<br />
„große Zusatzbelastung“<br />
• einzelner Skifahrer oder Snowboader,<br />
sanft schwingend, nicht stürzend<br />
• Gruppe mit Entlastungsabständen (mind. 10 m)<br />
• Schneeschuhgeher<br />
• zwei oder mehrere Skifahrer/Snowboarder etc.<br />
ohne Entlastungsabstände<br />
• Pistenfahrzeug, Schneefeldsprengung<br />
• einzelner Fußgänger/Alpinist<br />
Abbildung 4-4: Definition von „geringer“ bzw. „großer Zusatzbelastung“ (LWD Tirol, 2003)<br />
Schwiersch et. al. (2005) haben im Auftrag des DAV-Sicherheitskreises die Verständlich-<br />
keit des Lawinenlageberichts bei SkitourengeherInnen in den Wintern 03/04 und 04/05<br />
untersucht. Hier die Ergebnisse in Kürze (Schwiersch, 2005):<br />
� Knapp 80 % der Befragten halten den Lawinenlagebericht (LLB) für unverzichtbar.<br />
� Knapp 90 % befinden den LLB für verständlich<br />
(vgl. Kapitel 8: Fragebogenergebnisse, Wildschönau 2007)<br />
Mit Hilfe von eigenen Aufzeichnungen der Mitarbeiter des LWD und Rückmeldungen von<br />
Tourengehern, Lawinenkommissionsmitgliedern und anderen „Experten vor Ort“ wird der<br />
Lagebericht verifiziert und dessen Präsentationsform ständig neu überdacht.<br />
Ab heuer wird noch mehr auf das Motto „Wichtiges voran“ Wert gelegt:<br />
• erst die Schlagzeile, dann eine<br />
• temporäre und regionale Gefahrenstufenkarte,<br />
Alexander Holaus Seite 37
Lawinenexperten vor Ort<br />
Beurteilung der Lawinengefahr<br />
• vor weiteren grafischen Darstellungen, denn<br />
“Karten, Bilder und Symbole sagen mehr als 1000 Worte“,<br />
• außerdem eine Höhenangabe bei der Expositionsangabe,<br />
• dann erst der ausführliche Textteil.<br />
Zusätzlich wurde im Internet auf www.lawine.at/tirol wieder Einiges optimiert:<br />
• Erweitertes Angebot an Wetterstationsdaten (stündlich aktualisierte 3-Tages, Wochen-<br />
und Monatsdarstellungen),<br />
• Windböen, sowie der<br />
• Taupunkt als Feuchtemaß werden dargestellt.<br />
Neu sind auch<br />
• Temperaturkarten<br />
• Schneehöhenkarten und<br />
• der Neuschneezuwachs in den letzten 24, 48 und 72 Stunden angeboten.<br />
Die Datengrundlage für die Erstellung meteorologischer Karten und somit deren Qualität<br />
hat sich durch die Einbindung zahlreicher externer Stationen verbessert (LWD Tirol,<br />
2006).<br />
Alexander Holaus Seite 38
Lawinenexperten vor Ort<br />
Beurteilung der Lawinengefahr<br />
4.1.2 Entwicklung des Lawinenlageberichts in Tirol<br />
Verfolgt man die Entwicklung der Inhalte und das Layout des ersten von der Tiroler Lan-<br />
desregierung im Jahre 1960 veröffentlichten Lageberichtes mit dem aktuellen Stand, so<br />
lässt sich auch die Bedeutung desselben herauslesen.<br />
Abbildung 4-5: Erster Lawinenlagebericht LWD Tirol aus dem Jahre 1960 (LWD Tirol, 2006)<br />
Was vor nunmehr bald 50 Jahren nur wenigen Personen zugänglich war, erreicht heute<br />
„zigtausende“ Interessierte.<br />
Alexander Holaus Seite 39
Lawinenexperten vor Ort<br />
Beurteilung der Lawinengefahr<br />
Abbildung 4-6: aktuelles Layout des Tiroler Lageberichts (LWD Tirol, 2007)<br />
Im Anhang sind weitere <strong>Beispiel</strong>e (im Zehnjahresrhythmus) des Tiroler Lawinenlagebe-<br />
richts zu finden.<br />
Alexander Holaus Seite 40
Lawinenexperten vor Ort<br />
Beurteilung der Lawinengefahr<br />
4.1.3 Möglichkeiten und Grenzen des Lawinenlageberichts<br />
Laut LWD Tirol wird der Lawinenlagebericht für Regionen erstellt und stellt somit keine<br />
Einzelhangbeurteilung dar. Die Formulierung ist deshalb allgemein gehalten. Weiters ist<br />
eine Gefahrenbeurteilung des Einzelhanges aufgrund des Lageberichts alleine nicht mög-<br />
lich und zum Dritten stoßen exakte Vorhersagen von Lawinenereignissen (Zeitpunkt, Ört-<br />
lichkeit, Lawinengröße, Lawinenbahn, Lawinendruck) auf physikalische Grenzen und sind<br />
daher nicht möglich.<br />
Somit liegen die Möglichkeiten des LLB in einer Informationsplattform für die Tourenpla-<br />
nung bzw. Gefahrenbeurteilung für lokale Sicherheitskräfte bzw. örtliche Lawinenkom-<br />
missionen. Der LLB bietet eine gute Differenzierungsmöglichkeit der Gefahrenstufen zwi-<br />
schen den Regionen (Nairz, <strong>2002</strong>). Hinweise auf besonders gefährdete Hangbereiche (Ex-<br />
position, Höhenlage) inklusive tageszeitlicher Entwicklung sind möglich. Grundlegende<br />
Charakteristika des Schneedeckenaufbaus können erfasst und entsprechend berücksichtigt<br />
werden (vgl. Kapitel 3.1: Topografische Faktoren!).<br />
4.1.4 Methoden der Vorhersageüberprüfung in den Alpenregionen<br />
Auf Koordinationen der Europäischen Lawinenwarndienste wurde versucht, die verschie-<br />
denen Methoden der Überprüfung der Lawinengefahren-Vorhersage in den einzelnen Län-<br />
dern zu vergleichen. Hier die jeweiligen Vorgangsweisen (Podesser/Sudy, 2001):<br />
Der LWD Tirol versucht, mit Hilfe von Schneeprofilen (z. B. durch Beobachter vor Ort;<br />
eigene Profile), Befliegungen, Formulare für Rückmeldungen (allgemeiner u. passwortge-<br />
stützter Bereich) ihre Prognosen zu verifizieren.<br />
Frankreich tut dies mit Hilfe eines Index für abgegangene Lawinen, dem Zus<strong>am</strong>menhang<br />
zwischen Unfallhäufigkeit und Häufigkeit der Gefahrenstufen (lange Reihe), einer Model-<br />
lierung der Schneedecke mittels der Modelle SAFRAN, CROCUS und MEPRA (vgl. Ka-<br />
pitel 4.2.2 und 4.2.3), subjektiver Verifikation, seismischen Messungen der Lawinentätig-<br />
keit, eigenen Untersuchungen im Gelände, Berichten von Tourengehern und eigenen Er-<br />
fahrungen mit dem Lawinenlagebericht.<br />
Unser Nachbarland Bayern kann (nach eigenen Angaben aufgrund zu geringer Ressourcen)<br />
auf noch recht wenig Verifikation zurückgreifen und befindet sich derzeit im Aufbau eines<br />
Netzes von „Nachmittagsbegehern“ mit Rückkoppelung zum Lagebericht.<br />
Alexander Holaus Seite 41
Lawinenexperten vor Ort<br />
Beurteilung der Lawinengefahr<br />
In Schottland ergibt sich die Verifikation der Vorhersage <strong>am</strong> nächsten Tag über die Auf-<br />
zeichnungen von Lawinenabgängen, Unfällen, Berichten von Tourengehern und Bergfüh-<br />
rern.<br />
Italien verifiziert ihre Lageberichte seit 1995 nach der "Italienischen Feldmethode" basie-<br />
rend auf dem NYD- Modell der Schweiz: In einem nivometeorologisch homogenen Gebiet<br />
(Veltlin) findet die Untersuchung einer einheitlichen Strecke durch mehrere Personen zwei<br />
bis 3 Mal pro Tag statt (R<strong>am</strong>mschichtprofil, Rutschblock, Lawinenaktivität). Die Profile<br />
werden mit Einbeziehung der Schneehöhe in 16 Klassen eingeteilt (Klassifizierung in<br />
schwache, mäßige, gute Verfestigung). Im Winterhalbjahr 00/01 wurden 40 Einheiten mit<br />
insges<strong>am</strong>t 42 km Wegstrecke durchgeführt, dabei stellte sich heraus, dass 90% der Lawi-<br />
nenlageberichte richtig waren.<br />
In der Schweiz wurde die Verifikation über RSP und Rutschblock zu personalaufwendig.<br />
Eine Rückkoppelung über graphisch aufbereitete Fragebögen (Exposition, Höhenlage), war<br />
mit vielen Rückmeldungen die Folge, wenngleich der Rücklauf regional unterschiedlich<br />
war. Diese k<strong>am</strong>en vornehmlich aus touristisch erschlossenen Gebieten (Variantenbereich),<br />
v.a. aus der Umgebung von Davos. Bei der Verifizierung lag die Trefferquote bei 64%.<br />
Fehler entstanden v.a. durch Überbewertungen (z.T. ein bzw. zwei Stufen zu hoch bewertet<br />
- v.a. im Randbereich November, Mai oder im Zuge der tagesperiodischen Gefahrenände-<br />
rung im Frühjahr).<br />
In der Slowakei,� Slowenien und� Katalonien bedient man sich bislang noch keiner Verifika-<br />
tion.<br />
Zus<strong>am</strong>menfassend gelangen (Podesser/Sudy (2001) zur Ansicht, dass das italienische Mo-<br />
dell zwar genau, aber sehr personalaufwendig ist, der Trend sollte eher in Richtung Befra-<br />
gung gehen. Rückkoppelungen sollten auch dann kommen, wenn der Lagebericht richtig<br />
war, da es sonst zu einer Verfälschung der Ergebnisse kommt. Bezüglich der Einschätzung<br />
gibt es selbst bei den Experten eine größere Fluktuation, die Frage des Abgangszeitpunktes<br />
bei schlechtem Wetter ist ebenfalls unbefriedigend (akustische oder seismische Messung?).<br />
Alexander Holaus Seite 42
Lawinenexperten vor Ort<br />
Beurteilung der Lawinengefahr<br />
Bezüglich der Nutzergruppe lassen sich die Methoden zur Beurteilung der Lawinengefahr<br />
in zwei Gruppen untergliedern.<br />
Abbildung 4-7: Instrumente und Methoden im synergetischen Einsatz zur näherungsweisen Bestimmung der<br />
Lawinengefahr (modifiziert nach Föhn, 1984).<br />
4.2 Instrumente der Experten<br />
Diese komplexen Methoden (in Abb. 4-7 orange hinterlegt) verlangen in der Regel in ihrer<br />
Anwendung ein großes Maß an Vorwissen und arbeiten direkt mit den regional gemesse-<br />
nen oder beobachteten Werten.<br />
Aus den Instrumenten der Experten resultieren neben dem in Österreich überregionalen<br />
Lawinenlagebericht gegebenenfalls auch weitere Maßnahmen des temporären Lawinen-<br />
schutzes.<br />
Alexander Holaus Seite 43
Lawinenexperten vor Ort<br />
Beurteilung der Lawinengefahr<br />
Zu den Methoden und Instrumenten der Experten zur Einschätzung der Lawinensituation<br />
zählen:<br />
4.2.1 Statistische Methoden<br />
Dabei wird ein statistischer Zus<strong>am</strong>menhang aus über einen längeren Zeitraum ges<strong>am</strong>mel-<br />
ten lawinenspezifischen Par<strong>am</strong>etern des Wetters, Schnees, der Schneedecke und der Lawi-<br />
nentätigkeit andererseits errechnet. Die Gültigkeit dieser Modelle ist - ebenso wie jene der<br />
Expertensysteme und synoptischen Methoden – immer auf die Region beschränkt, in der<br />
die Inputdaten erhoben wurden. Das Eidgenössische Institut für Lawinenforschung in Da-<br />
vos bietet mit NXD ein Produkt zur lokalen Lawinenprognose nach der Methode der Nea-<br />
rest Neighbours an. NXD enthält eine Wetter-, Schnee und Lawinendatenbank (s. Abb. 4-<br />
8). Daraus sucht es meteorologisch vergleichbare Tage. Die Lawinenereignisse dieser Tage<br />
erleichtern die Abschätzung der Lawinengefahr, während mit jedem Einsatz die Datenbank<br />
wächst.<br />
Abbildung 4-8: Bedienungsoberfläche von NXD (Quelle: SLF Davos)<br />
Alexander Holaus Seite 44
Lawinenexperten vor Ort<br />
Beurteilung der Lawinengefahr<br />
4.2.2 Deterministische Methoden<br />
Diese versuchen die physikalischen Prozesse in der Schneedecke zu errechnen. Dazu wer-<br />
den genaue meteorologische Daten benötigt, um Energiebilanzen zu errechnen. Daraus<br />
lassen sich zum <strong>Beispiel</strong> Temperaturverläufe in der Schneedecke modellieren. <strong>Beispiel</strong>e<br />
dafür sind die in Frankreich im Einsatz befindlichen numerischen Modelle SAFRAN (zur<br />
Analyse meteorologischer Daten) und CROCUS (zur Berechnung von Massen- und Ener-<br />
gieaustausch) und das auch beim LWD Tirol erprobte SNOW PACK (vgl. Abb. 4-9), bei<br />
dem durch die Modellierung der Schneemikrostruktur eine Beschreibung des detaillierten<br />
Schichtaufbaus erreicht wird. Es eignet sich daher für eine genaue Beschreibung des<br />
Schneedeckenaufbaus. Wichtige Schwach- und Zwischenschichten wie Oberflächenreif,<br />
Tiefenreif oder Eislinsen werden modelliert.<br />
Abbildung 4-9: Grafische Darstellung der von SNOWPACK verarbeiteten Werte in der Schneedecke<br />
(SLF Davos, 2005)<br />
Alexander Holaus Seite 45
Lawinenexperten vor Ort<br />
Beurteilung der Lawinengefahr<br />
4.2.3 Expertensysteme<br />
Es werden die Denkmuster von Experten zur Beurteilung der Lawinengefahr nachgebildet.<br />
Die in einem Lernprozess aus den statistischen Daten abgeleiteten Zus<strong>am</strong>menhänge<br />
(„Wenn-dann-Regeln“) werden später bei einem Einsatz als Prognoseinstrument ange-<br />
wandt. In diesem Zus<strong>am</strong>menhang sei das in Frankreich häufig verwendete MEPRA-Modell<br />
erwähnt.<br />
Gewissermaßen als Untergruppe der Expertensysteme sind die in Grafik 4-7 angeführten<br />
synoptischen (konventionellen) Methoden zu erwähnen. Diese basieren auf den langjähri-<br />
gen persönlichen Beobachtungen und Erfahrungen lokaler Experten (Bergführer, Seilbahn-<br />
angestellte, Hüttenwirte, etc.) in Bezug auf den Zus<strong>am</strong>menhang von Lawinentätigkeit und<br />
deren meteorologischen und nivologischen Begleiterscheinungen. In zunehmendem Maße<br />
unterstützt durch die oben beschriebenen Instrumente stellt die synoptische oder auch klas-<br />
sische Methode die wichtigste und die entscheidende Methode zur Beurteilung der Lawi-<br />
nengefahr durch Experten dar.<br />
Abbildung 4-10: Galtür im Februar 1999 (Quelle: Land Tirol)<br />
Alexander Holaus Seite 46
Lawinenexperten vor Ort<br />
Beurteilung der Lawinengefahr<br />
Folgender Denkansatz wird zur Zeit in der Ausbildung der Lawinenkommissionsmitglieder<br />
vom Bayrischen Lawinenwarndienst angewandt:<br />
Zenke/Kronthaler (2006) schreiben in ihrem Bericht über die „systematische Schneede-<br />
ckendiagnose“, dass der eingehenden Untersuchung möglicher Schwachschichten in der<br />
Schneedecke besonderes Augenmerk zu schenken ist. Eine Aussage über die Schneede-<br />
ckenstabilität kann aus einem vereinzelten Blocktest bekannter Weise nicht abgeleitet wer-<br />
den. Er dient jedoch dazu, Lage und Art der Schwachschicht genauer zu betrachten und<br />
einen Vergleich des Schneedecken-„Ist-Zustandes“ mit ungünstigen Eigenschaften von<br />
Schwachstellen anzustellen. Um ein Schneebrett auszulösen bedarf es ihrer Ansicht nach<br />
einer großflächigen, zus<strong>am</strong>menhängenden Schwachschicht. Die Frage nach dem Vorhan-<br />
densein einer solchen kann mit „Prozessdenken“, also mit dem Wissen, welcher Prozess<br />
für deren Bildung notwendig war, häufig beantwortet werden. Bezieht man die über der<br />
Schwachschicht liegende Schneedecke mit ein, so lässt sich relativ zuverlässig abschätzen,<br />
ob Lawinen möglich sind, welcher Art sie sein können und welche Zusatzbelastung nötig<br />
ist, um diese auszulösen. Voraussetzung ist entsprechendes lawinenkundliches Wissen. Die<br />
„systematische Schneedeckendiagnose“ eröffnet Möglichkeiten. Je größer das Wissen,<br />
umso größer sind die Möglichkeiten, eine Gefahrensituation zu erkennen und zu bewerten<br />
(Kronthaler/Zenke, 06).<br />
Abbildung 4-11: Dichtere und schwächere Schichten lassen sich <strong>am</strong> Schneeprofil<br />
im Gegenlicht gut unterscheiden (Munter, 2003)<br />
Alexander Holaus Seite 47
Lawinenexperten vor Ort<br />
Beurteilung der Lawinengefahr<br />
Mit derselben Thematik, nämlich dem Aufspüren von Schwachschichten in der Schneede-<br />
cke (vgl. Abb. 4-11) hat sich auch Jürg Schweizer (2006) beschäftigt. „Wer seine Nase in<br />
die Schneedecke steckt, der sollte auch nach Nieten suchen“, meint er. Durch den Ver-<br />
gleich von stabilen mit instabilen Schneedecken. Weniger Kornformen- und Korngrößen,<br />
welche vielleicht auch noch mit der Lupe untersucht werden, sondern es wird zielgerichtet<br />
nach Unterschieden respektive „Nieten“ (Schweizer, 2006) gesucht: Eine typische<br />
Schwachschicht ist nämlich weich (Niete 1) – eine Faust lässt sich leicht in die Schicht<br />
drücken – und besteht aus großen Körnern (Niete 2). Groß heißt, man sieht die einzelnen<br />
Körner gut mit bloßem Auge: sie sind mindestens etwa 1 mm groß. Von einem schwachen<br />
Schichtübergang spricht Schweizer dann, wenn markante Unterschiede in Härte (Niete3)<br />
und Korngröße (Niete 4) vorliegen. Befindet sich diese Schwachschicht auch noch inner-<br />
halb eines Meters unter der Schneeoberfläche(Niete 5) und sind die großen Körner in der<br />
weichen Schicht auch noch kantig anstatt rund, so sind wir bei sechs möglichen Nieten<br />
angelangt und haben wahrscheinlich die kritische Schwachstelle gefunden.<br />
In Kombination mit dem „Säulentest“ (auch „Kompressionstest“ genannt), bei dem eine<br />
30x30 cm große Schneesäule von seiner Umgebung mindestens einen Meter tief frei gelegt<br />
und erst aus dem Handgelenk, dann Ellenbogen- und (falls noch ganz) aus dem Schulterge-<br />
lenk „angeklopft“ wird, lässt sich zusätzlich mit der Bruchform der Säule eine Entschei-<br />
dung treffen: Weisen alle drei Kriterien in dieselbe Richtung also eher stabil oder instabil<br />
hin, lässt dies auf allgemein eher guten bzw. schlechten Schneedeckenaufbau schließen.<br />
Insbesondere der „Nietentest“ scheint gegenüber dem „Säulentest“ weniger anfällig auf<br />
kleinräumige Gegebenheiten zu sein. Erste Erfahrungen haben laut Schweizer gezeigt, dass<br />
sich diese Methode dank seinen gezielten Suche nach „Nieten“ besser bewährt als reines<br />
„Rätselraten“ nach zufällig ausgewählten Teststandorten (Schweizer, 2006).<br />
Alexander Holaus Seite 48
Lawinenexperten vor Ort<br />
Beurteilung der Lawinengefahr<br />
4.3 Instrumente für den Laien<br />
Sie lassen aufbauend auf den Erkenntnissen der Experten mit vergleichsweise geringem<br />
Vorwissen den Winterbergsteiger, Snowboarder, etc. auch mit ungenauen Werten zu einem<br />
sinnvollen Ergebnis gelangen. Diese müssen das Unvermögen der Laien, Par<strong>am</strong>eter der<br />
Schneedecke richtig zu interpretieren, berücksichtigen und demnach mit Größen arbeiten,<br />
die zum einen in engem Zus<strong>am</strong>menhang mit der Schneebrett-Auslösewahrscheinlichkeit<br />
stehen und zum anderen relativ exakt von den betroffenen Personen beurteilt werden kön-<br />
nen, wie z.B. die Geländeeigenschaften Hangneigung und -Ausrichtung (Larcher, 1997).<br />
Derzeit stehen dem Laien folgende Instrumente zur Gewinnung einer persönlichen Ein-<br />
schätzung der Lawinensituation zur Verfügung (in Abb. 4-7 grün hinterlegt):<br />
4.3.1 Strategische Methoden zur Einschätzung des Lawinenrisikos<br />
4.3.1.1 Reduktionsmethode nach Munter<br />
Mit dem Erscheinen der ersten Auflage von 3x3 Lawinen (Munter, 1997), in der die ele-<br />
mentare Reduktionsmethode einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt wurde, führte zu sehr<br />
kontroversiellen Diskussionen. Höller (2004) warnt in seinen Ausführungen vor einer<br />
Simplifizierung der komplexen Zus<strong>am</strong>menhänge: seiner Ansicht nach würden darin „nur<br />
die topografischen Faktoren und die Gefahrenstufen des Lageberichts berücksichtigt, je-<br />
doch Par<strong>am</strong>eter der Schneedecke (Schneedeckenaufbau) oder andere Einflussgrößen nicht<br />
miteinbezogen werden.“ Somit sei aus diem Grund „ ...diese Methode nicht geeignet, ein<br />
zus<strong>am</strong>menhängendes Bild der aktuellen Situation aufzuzeigen ...“.<br />
Klaus Hoi, ehemaliger Ausbildungsleiter im Österreichischen Bergführerverband, kom-<br />
mentierte, dass „... man ein ordentliches Basiswissen in Schnee- und Lawinenkunde benö-<br />
tigt, um die Methode anwenden zu können, und auch dann kann das zu erwartende Risiko<br />
nur schätzungsweise berechnet werden.“ (Hoi, 2000).<br />
Für die Befürworter der Methode schien es nun endlich ein Instrumentarium zu sein, mit<br />
dem aus einfachstem Weg das Lawinenrisiko berechnet werden kann. Larcher (1999)<br />
sprach sogar von einem „bahnbrechenden <strong>Ansatz</strong> Munters“.<br />
Alexander Holaus Seite 49
Lawinenexperten vor Ort<br />
Beurteilung der Lawinengefahr<br />
Abbildung 4-12: 3x3 Reduktionsmethode nach Werner Munter, 2000<br />
Hier sei die Reduktionsmethode von Munter (vgl. Abb. 4-12) noch einmal vorgestellt:<br />
Die elementare Reduktionsmethode (Munter, 1997) errechnet das Lawinenrisiko lediglich<br />
in Abhängigkeit von der herrschenden Gefahrenstufe sowie den topografischen Faktoren<br />
Hangneigung und Exposition. Das akzeptierte Risiko ergibt sich aus dem Quotienten des<br />
Gefahrenpotenzials (gemäß Gefahrenstufe) und der Kombination diverser Reduktionsfak-<br />
toren. Bei errechnetem Restrisiko von 1 oder < 1 befindet man sich gleichs<strong>am</strong> im sicheren<br />
Bereich, liegt der darüber, ist das festgesetzte Risiko überschritten.<br />
Da sich die meisten Gefahrenstellen im Schattsektor (mit schlechtem Schneedeckenfun-<br />
d<strong>am</strong>ent und Schwachschichten aus Tiefenreif) befinden und andererseits die Wahrschein-<br />
lichkeit für einen Lawinenanriss mit zunehmender Hangneigung steigt, kann ein Verzicht<br />
auf das befahren von steilen, schattseitigen Hängen zu einer Verringerung des Risikos füh-<br />
ren. „Zielsetzung ist, mit Hilfe einfacher Überlegungen und Kombinationen (Beurteilung<br />
durch bloßes Nachdenken statt Schaufeln – wie Munter es nennt) eine Beurteilung der La-<br />
winengefahr vorzunehmen“ (Munter, 2003).<br />
Alexander Holaus Seite 50
Lawinenexperten vor Ort<br />
Beurteilung der Lawinengefahr<br />
4.3.1.2 stop or go<br />
Larcher (2004) baut in seiner Methode „Stop or go“ im Bewusstsein, dass eben topografi-<br />
sche Faktoren nicht ausreichen, um die Lawinengefahr entsprechend einzuschätzen, auf die<br />
Munter’sche Reduktionsmethode auf (Check 1) und erweitert diese um eine zweite Stufe.<br />
In diesem Check 2 werden fünf Wahrnehmungsaufgaben, wie sie Dr. Höller in seinem<br />
Artikel (Larcher, 2004) beschreibt. Der Tourengeher soll dabei frischen Triebschnee, Neu-<br />
schnee, frische Lawinen, Durchfeuchtung und Setzungsgeräusche erkennen und sie für sich<br />
soweit beurteilen können, dass er daraus eine entsprechende Handlung ableiten kann –<br />
eben stop or go (s. Abb. 4-13) . Somit liegt die Idee dieser Methode im zweistufigen An-<br />
satz: zum ersten werden jene Hänge gemieden, die gemäß des zugrunde liegenden Lagebe-<br />
richts nicht begangen bzw. befahren werden sollte. Präzise Fragestellung im zweiten Teil<br />
soll den Blick des Tourengehers auf das Wesentliche schärfen. „Das Ziel der Methode stop<br />
or go ist, die ges<strong>am</strong>te Lawinenkunde auf die wirklich entscheidenden Fragen zu reduzie-<br />
ren“ (Larcher, 2004).<br />
Abbildung 4-13: Strategiekärtchen Stop or go von Michael Lacher 1999, ÖAV<br />
Alexander Holaus Seite 51
Lawinenexperten vor Ort<br />
Beurteilung der Lawinengefahr<br />
4.3.1.3 SnowCard<br />
Die im Verlag Martin Engler im Jahre 2000 erschienene „SnowCard“ (s. Abb. 4-14) er-<br />
rechnet ausgehend von der im Lawinenlagebericht angeführten Gefahrenstufe unter Einbe-<br />
ziehung von tourenspezifischen Merkmalen, wie z.B. maximale Hangneigung und/oder<br />
Exposition, und gruppenspezifischen Faktoren, wie z.B. Gruppengröße oder Einhaltung<br />
der Sicherheitsabstände, als Reduktionsfaktoren einen der Situation angepassten Risikofak-<br />
tor. Das bunte Kärtchen gibt das Risiko in verschiedenen Farben (rot = hohes Risiko, gelb<br />
= Vorsicht mit Entlastungsabständen und kleinen Gruppen, grün = geringes Risiko) an.<br />
Durch Kippen des Kärtchens ergeben sich entsprechende Werte sowohl für günstige als<br />
auch ungünstige Expositionen. Ein (zweiter) Faktorencheck ist laut Engler für Fortge-<br />
schrittene und Pofis gedacht. Dieser ist im Gegensatz zu Larcher’s „stop or go“ etwas dif-<br />
ferenzierter (mit den Faktoren letzte Schneefallperiode, Wind, aktuelle Temperatur,<br />
Schichtverbindung, Schneedeckenfund<strong>am</strong>ent) ausgeführt. „Das Ziel der Methode besteht<br />
darin, den Stellenwert der klassischen, Lawinen bildenden Faktoren und den Wert einer<br />
fundierten Ausbildung zu erhalten“ (Engler, 2000).<br />
Abbildung 4-14: SnowCard (Martin Engler, 2000)<br />
Alexander Holaus Seite 52
Lawinenexperten vor Ort<br />
Beurteilung der Lawinengefahr<br />
4.3.1.4 NivoTest<br />
Mittels 25 Fragen, die sich insbesondere auf meteorologische Einflussfaktoren sowie auf<br />
die vor Ort erkennbaren Merkmale konzentrieren, hat sich Bolognesi (2000) ein „pocket<br />
tool for avalanche risk assessing“ ausgedacht. Fragen bezüglich Topografie stehen im<br />
Hintergrund. Mittels eines Rädchens eingestellt erhält jede Frage entsprechend ihrer Ant-<br />
wort eine bestimmte Punktezahl, welche aufsummiert werden (Summe 23 = allgemein ungünstig). Kompliziertere Berechnungen sind nicht nö-<br />
tig, auf der Rückseite des Kärtchens (s. Abb. 4-15) werden den einzelnen Stufen Signatu-<br />
ren zugeordnet, die auf verständliche Weise das erforderliche Verhalten zum Ausdruck<br />
bringen. der wesentliche Unterschied zu den oben beschriebenen Methoden ist der Ver-<br />
zicht auf die Lawinengefahrenstufe. „Der NivoTest ist keine Blackbox sondern eine Richt-<br />
schnur zum beobachten und Verstehen der Verhältnisse im winterlichen Gebirge.“ (Bo-<br />
lognesi, 2000). Der NivoTest wird als Wahlmittel angesehen und soll Ergänzung zu Lage-<br />
bericht und zur weiteren Information sein.<br />
Abbildung 4-15: NivoTest-Kärtchen (Bolognesi, 2000)<br />
Alexander Holaus Seite 53
Lawinenexperten vor Ort<br />
Beurteilung der Lawinengefahr<br />
4.3.2 Beurteilung der strategischen Methoden<br />
Methoden, die auf Lawinenunfallstatistiken basieren, reichen nicht, um daraus eine Risi-<br />
koberechnung durchzuführen. Wie schon in Kapitel 3.1.2 Exposition angeführt (vgl.<br />
Kronthaler 2001 und Grimsdottir/McClung 2004), fehlen darin meist die Begehungszahlen<br />
in den einzelnen Expositionen. Alleine aus den Unfallzahlen Risiko errechnen zu wollen,<br />
ist nicht wissenschaftlich und schlichtweg unmöglich. Der Lawinenlagebericht als Ein-<br />
gangspar<strong>am</strong>eter und Grundlage für die meisten strategischen Lawinenbeurteilungsmetho-<br />
den stellt aber keine Detailbeurteilung des Einzelhanges dar, somit kann dieses Werkzeug<br />
nur sehr bedingt dafür benutzt werden. Lediglich eine Grobplanung ist möglich, da die<br />
Abschätzung der exakten Hangneigung aus der 1:25000-Karte nur mit großer Ungenauig-<br />
keit erfolgt (0,2 mm Unterschied auf der Karte zwischen 35° und 40°). Nachdem der Nivo<br />
Test auf die Einbeziehung der Gefahrenstufe verzichtet, wird der Tourengeher zumindest<br />
dazu gedrängt sich vor Ort intensiv mit den Gegebenheiten auseinander zu setzten (Höller,<br />
2004).<br />
Was die topografischen Einflussfaktoren betrifft, beschäftigen genannte Methoden ihre<br />
Anwender ausreichend d<strong>am</strong>it. Witterungseinflüsse werden – wie in den einzelnen Unter-<br />
kapiteln 4.3.1.1 bis 4.3.1.4 bereits ausgeführt - unterschiedlich berücksichtigt. Die Schnee-<br />
decke selbst findet sehr unterschiedliche Beachtung in den einzelnen Beurteilungsmetho-<br />
den. Nachdem Reduktionsmethode und Stop or go möglichst viele Personen (ohne bzw. mit<br />
geringen nivologischen Kenntnissen) ansprechen wollen, kommen der Faktorencheck (bei<br />
der SnowCard) und insbesondere der NivoTest hier eher der Problematik Schwachschnee-<br />
schichten auf den Grund.<br />
Abschließend sei festgehalten, dass durch diese strategischen Schemata die Stop or go<br />
(Check 2), SnowCard und NivoTest zumindest keine wesentlichen Faktoren vergessen<br />
werden können. Zumindest die Sichtweise der Tourengeher und Variantenfahrer wird da-<br />
durch geschärft, wenn auch spezifische Untersuchungen diesen Methoden bezüglich ihrer<br />
Anwendbarkeit im direkte Vergleich ergeben haben, dass zusätzliche erkennbare Hinwei-<br />
se (obvious clues, vgl. McC<strong>am</strong>mon/Hägeli, 2004) deutlich besser abschneiden (Höller,<br />
2004).<br />
In seinen Schlussfolgerungen hält Höller fest, „dass strategische Methoden von der fachli-<br />
chen Seite her keine neuen Erkenntnisse gebracht haben. Sie können aber durch ihre Dar-<br />
stellung (einfache Schemata) dazu führen, dass der Tourengeher veranlasst wird, sich mit<br />
Alexander Holaus Seite 54
Lawinenexperten vor Ort<br />
Beurteilung der Lawinengefahr<br />
den wichtigsten Lawinen bildenden Faktoren näher auseinander zu setzen; für Anfänger ist<br />
keine der beschriebenen Methoden wirklich geeignet“ . (Höller, 2004)<br />
Abbildung 4-16: Schüler beim Messen der Hangneigung mit selbst kreierter Karte (Foto: A. Holaus)<br />
Der Tenor der Lawinenexperten beim im November 2006 abgehaltenen Alpinforum des<br />
Kuratoriums für Alpine Sicherheit in Innsbruck geht auch in diese Richtung, nämlich La-<br />
winen bildende Faktoren in Kombination mit fundierter nivologischer Ausbildung wieder<br />
mehr in den Mittelpunkt der Entscheidungen zu stellen.<br />
Alexander Holaus Seite 55
Lawinenexperten vor Ort<br />
Beurteilung der Lawinengefahr<br />
4.3.3 Erste digitale Hangneigungskarten<br />
Die tatsächliche Hangneigung aus einer großmaßstäbigen topografischen Karte heraus zu<br />
messen bedarf einiger Übung und ist daher fehleranfällig (vgl. Kapitel 4.3.2). Mit Hilfe<br />
von qualitativen, digitalen Geländemodellen kann diese Informationswiedergabe nutzbar<br />
gemacht werden. Diverse kartografische Darstellungsvarianten, die flächenhaft abgeleitete<br />
Hangneigungs- und Expositionsklassen beinhalten können dem Benutzer bei der Planung<br />
einer Tour und im Gelände zur Beurteilung der potenziellen Lawinengefahr dienlich sein.<br />
Erste Ergebnisse wurden 1998 im Rahmen einer gemeins<strong>am</strong>en Hochgebirgskartografie-<br />
Tagung der Kartografischen Kommission der Österreichischen sowie Deutschen Gesell-<br />
schaft für Geografie in der Silvretta vorgestellt. (Kriz, 2001).<br />
Abbildung 4-17: Ausschnitt aus der Lawinengefährdungskarte M 1 : 30000 aus dem Bieltal<br />
(Kriz, 2001)<br />
Die Abb. 4-17 hebt jene Geländebereiche hervor, die unter bestimmten Verhältnissen eine<br />
größere Lawinengefahr aufweisen. Ausschlaggebend für die Erstellung solcher Karten ist<br />
allerdings eine qualitative, topografische und thematische Datengrundlage. Es ist also mög-<br />
lich, dass thematisch ergänzte, großmaßstäbige, topografische Karten für die Beurteilung<br />
der Lawinengefahr herangezogen werden können. Durch die Integration und Klassifizie-<br />
rung der Hangneigung ist eine grafische und vor allem zus<strong>am</strong>menhängende Betrachtung<br />
der Neigungsverhältnisse des Geländes möglich. Werden noch weitere thematische Aspek-<br />
te, wie zum <strong>Beispiel</strong> Expositionsklassen, diverse Geländeformen und dergleichen mit ein-<br />
bezogen, können komplexe Karten für den speziellen Gebrauch erzeugt werden.<br />
Alexander Holaus Seite 56
Lawinenexperten vor Ort<br />
Beurteilung der Lawinengefahr<br />
4.3.4 Tiroler Raumordnungs-Informationssystem 2006<br />
Zum Vergleich hier in Abb. 4-18 eine vom Land Tirol aktuell zur Verfügung gestellte und<br />
für jeden Wintersportler nutzbare aktuelle digitale Geländedarstellung derselben Region.<br />
Farblich in drei Klassen unterschieden (gelb >30°; orange >35°; rot >39°) werden die ver-<br />
schiedenen Hangneigungsbereiche dargestellt:<br />
Abbildung 4-18: Geländeinformationskarte vom Bieltal (Quelle: tiris 2007)<br />
Trotz aller Möglichkeiten der Darstellung digitaler Karten ist dennoch fest zu halten, dass<br />
es wie bei herkömmlicher Planung mit AV-Karten immer einem kritischen Auge im Ge-<br />
lände bedarf. Eine aus der Karte mit 35° herausgemessene Hangneigung gibt nur den<br />
Durchschnittswert zwischen den 20m-Höhenschichtlinien an. Dazwischen können sich für<br />
den Variantenskifahrer aber deutlich steilere und somit sehr gefährliche Geländeabschnitte<br />
befinden.<br />
Alexander Holaus Seite 57
Lawinenexperten vor Ort<br />
Weitere Präventionsmaßnahmen<br />
5 Weitere Präventionsmaßnahmen<br />
Ziel von weiteren Präventionsmaßnahmen muss es sein, eine künstliche Erhöhung der Sta-<br />
bilität der Schneedecke in möglichen Lawinenanrisszonen, eine Minimalisierung der<br />
künstlich erzeugten Zusatzspannungen und deren Wirkungsbereich in möglichen Anriss-<br />
zonen, sowie durch bauliche Maßnahmen eine Veränderung der Lawinenbahnen und Ver-<br />
kürzung der Lawinenauslaufstrecken (vgl. Abb. 5-2) zu erreichen. Hier wird grundsätzlich<br />
zwischen temporären und permanenten Maßnahmen (vgl. Tab.5-1) unterschieden:<br />
Temporäre Maßnahmen: Permanente Maßnahmen:<br />
• Lawinenlagebericht/Bulletin<br />
• regionale/lokale Lawinenwarnung<br />
• Sperrung<br />
• Evakuierung<br />
• Künstliche Lawinenauslösung<br />
• Routenwahl/Verhalten in<br />
lawinengefährdetem Gebiet<br />
• Schneedeckentests<br />
• Rettung<br />
• Gefahrenzonenpläne<br />
• Lawinenanrissverbauung<br />
• Lawinenablenk- und<br />
Auffangverbauung<br />
• Aufforstung<br />
• Dimensionierung von Objekten<br />
auf Lawinenkräfte<br />
Tabelle 5-1: Maßnahmen zur Reduktion des Risikos (SLF, 1998)<br />
Im Folgenden werden lediglich die Möglichkeiten zur Risikominimierung im Straßen- und<br />
Siedlungsgebiet näher behandelt. Das lawinengerechte Verhalten der Skitouristen im freien<br />
Skiraum abseits gesicherter Pisten und im Tourengelände würde den Rahmen dieser Arbeit<br />
sprengen.<br />
Abbildung 5-1: Permanente Stützverbauung im Anrissbereich (WLV, 2003)<br />
Alexander Holaus Seite 58
Lawinenexperten vor Ort<br />
Weitere Präventionsmaßnahmen<br />
Die permanenten Maßnahmen umfassen dauernd wirks<strong>am</strong>e Bauten wie die Stützverbauung<br />
in Anrissgebieten, möglicherweise kombiniert mit einer Verwehungsverbauung, sowie<br />
Ablenk- und Bremswerke in der Lawinenbahn. Im Gegensatz dazu sind die temporären<br />
Maßnahmen nicht dauernd wirks<strong>am</strong>, die Gefahr kann nur während bestimmter Zeiten er-<br />
niedrigt werden. In diesen Bereich gehören die Methoden der künstlichen Lawinenauslö-<br />
sung und die touristischen Verhaltensregeln in lawinengefährdetem Gebiet.<br />
Abbildung 5-2: <strong>Beispiel</strong> eines Lawinenkatasters anhand de <strong>Gemeinde</strong> Neustift im Stubaital:<br />
rot…jährlich, blau…3 bis 20 jährlich, gelb…> 50 jährlich. (ÖROK, 1986)<br />
Temporäre Maßnahmen verhindern die Lawinenbildung nicht. Mittels künstlicher Lawi-<br />
nenauslösung kann einzig der Zeitpunkt und unter gewissen Voraussetzungen die maxima-<br />
le Lawinengröße - allerdings mit beschränkter Sicherheit – bestimmt werden. Die künstli-<br />
che Auslösung von Lawinen ermöglicht die Entfernung bedrohlicher Schneemassen aus<br />
den Anrissgebieten zu bekannten Zeiten. D<strong>am</strong>it wird die Stabilität des in den Anrissgebie-<br />
ten verbleibenden Schnees stark erhöht. Um bei Anwendung temporärer Maßnahmen das<br />
Restrisiko für einen Unfall klein halten zu können, muss es demnach möglich sein, das<br />
Produkt der beiden anderen Faktoren Präsenzwahrscheinlichkeit und Schadenausmaß für<br />
bestimmte Zeitperioden sehr klein zu machen. Dies kann nur durch Evakuierung, minimale<br />
Aufenthaltsdauer und Objektschutz erreicht werden. Durch Stützverbauung (vgl. Abb.5-1<br />
Alexander Holaus Seite 59
Lawinenexperten vor Ort<br />
Weitere Präventionsmaßnahmen<br />
und Abb. 5-3) wird die Stabilität der ges<strong>am</strong>ten Schneedecke in möglichen Anrissgebieten<br />
künstlich erhöht, durch eine Verwehungsverbauung kann der Transport von zusätzlichem<br />
Schnee durch den Wind in Anrissgebiete reduziert werden. Bei Stützverbauungen wird ein<br />
verbleibendes Restrisiko zwischen 5 und 15% des ursprünglich vorhandenen Risikopoten-<br />
zials angenommen. Bei Sperren und künstlicher Lawinenauslösung verbleiben rechnerisch<br />
noch zwischen 5 und 20%.<br />
Abbildung 5-3: Die Lawinenverbauungen verhindern ein Anbrechen von Lawinen<br />
(Foto: Wildbach- und Lawinenverbauung Tirol)<br />
Durch Ablenk-, Brems- und Auffangwerke in Lawinenauslaufgebieten können extreme<br />
Auslaufstrecken verkürzt werden. D<strong>am</strong>it unterscheiden sich die möglichen Anwendungs-<br />
gebiete der beiden Maßnahmen zur Gefahrenreduktion ganz wesentlich. Für nicht oder<br />
schlecht evakuierbare und sperrbare Gebiete mit nur beschränkt möglichem Objektschutz<br />
wie Siedlungen oder Wälder kommen im Allgemeinen ausschließlich permanente Schutz-<br />
massnahmen zur Anwendung. Für kurzzeitig sperrbare Verkehrswege wird oft eine Kom-<br />
bination von Objektschutz und künstlicher Lawinenauslösung als optimal erachtet.<br />
Die Präsenzwahrscheinlichkeit kann mit Hilfe von Gefahrenzonenplänen und der Lawi-<br />
nenwarnung reduziert werden. Aufgrund von Gefahrenzonenplänen (unter Zugrundelegung<br />
eines Ereignisses mit einer Wiederkehrwahrscheinlichkeit von 150 Jahren) können Lawi-<br />
nenzonen ausgeschieden werden, in denen jegliche Bauten untersagt („Rote Zone“), oder<br />
bei geringerer möglicher Gefahr, nur mit baulichen Auflagen und Evakuationspflicht im<br />
Falle erhöhter aktueller Gefahr („Gelbe Zone“) gestattet werden (vgl. Abb. 5-4). In der<br />
Verordnung des BM für Land- und Forstwirtschaft vom 30.Juli 1976 ü (BGBL., Nr. 436<br />
idgF.) ist u.a. festgehalten, dass „ ... der GZP aus einem kartografischen und einem textli-<br />
chen Teil zu bestehen hat, ... der kartografische Teil wiederum aus einer Gefahrenkarte<br />
und Gefahrenzonenkarten, die die für das Bemessungsereignis ermittelten Wirkungen ...<br />
aufzeigen.“<br />
Alexander Holaus Seite 60
Lawinenexperten vor Ort<br />
Weitere Präventionsmaßnahmen<br />
Kriterien Zone Bemessungsereignis<br />
Druck (p)<br />
Mächtigkeit der<br />
Ablagerung<br />
Häufiges Ereignis<br />
(1-10jährlich)<br />
„Rote Zone” LR p>10 kN/m² p>10 kN/m²<br />
“Gelbe Zone” LG 1
Lawinenexperten vor Ort<br />
Weitere Präventionsmaßnahmen<br />
Gebäude, Masten und andere Installationen können grundsätzlich auf Lawinenkräfte di-<br />
mensioniert werden, so dass das Schadensausmaß sehr gering bleibt.<br />
Abbildung 5-5: Der Lawinenkeil dient zur Ablenkung auftreffender Kräfte<br />
(Foto: Wildbach- und Lawinenverbauung)<br />
Auch im freien Skiraum und auf Tour können die Überlebenschancen von Lawinenver-<br />
schütteten wesentlich beeinflusst werden. Voraussetzung dazu sind gut eingeübte K<strong>am</strong>era-<br />
denhilfe, ein gut organisierter Rettungs- und Pistendienst, Notruftelefone in der Nähe kriti-<br />
scher Pistenabschnitte und Information der Skifahrer und Benützer von potentiell gefährde-<br />
ten Verkehrswegen oder Wohngebieten. Das Mitführen von Funkgeräten oder Mobiltele-<br />
fonen auf Skitouren ermöglicht die rasche Alarmierung von Rettungsorganisationen. Für<br />
bestehende Gebäude und Anlagen kann die Präsenzwahrscheinlichkeit nicht geändert wer-<br />
den. Hingegen kann das Schadensausmaß für Bauten und Anlageteile innerhalb der Gefah-<br />
renzone durch bauliche Maßnahmen stark verringert werden.<br />
Abbildung 5-6: Die Lawinengalerie bietet (richtig dimensioniert) 100%igen Schutz<br />
(Foto: Wildbach- und Lawinenverbauung Tirol)<br />
Alexander Holaus Seite 62
Lawinenexperten vor Ort<br />
Beschreibung des Untersuchungsgebietes<br />
6 Beschreibung des Untersuchungsgebietes<br />
6.1 Geografische Lage<br />
Rattenberg<br />
Alpbach<br />
Kundl<br />
Wörgl<br />
Abbildung 6-1: Die Wildschönau mit Nachbargemeinden (Land Tirol, 2006)<br />
Hopfgarten<br />
Mit Alpbach gehört die Wildschönau zu den südlichsten <strong>Gemeinde</strong>n des politischen Be-<br />
zirks Kufstein (s. Abb. 6-1). Im Osten grenzt sie an die Marktgemeinde Hopfgarten im<br />
Brixental im Bezirk Kitzbühel. Von ca. 700 m Seehöhe reicht das <strong>Gemeinde</strong>gebiet bis auf<br />
den 2309 m hohen Großen Beil hinauf. Entwässert wird sie im Osten vom „Wörgler Bach“<br />
in Richtung Wörgl und der „Wildschönauer Ache“ durch die Kundler Kl<strong>am</strong>m. Von ihrem<br />
Alexander Holaus Seite 63
Lawinenexperten vor Ort<br />
Beschreibung des Untersuchungsgebietes<br />
nördlichsten zum südlichsten Punkt erstreckt sich die Wildschönau auf ca. 18 km, in Ost-<br />
West-Richtung misst sie beachtliche 12 km.<br />
6.2 Geologie der Wildschönau<br />
Die Wildschönau nimmt einen der ältesten Teile in der sich über ca. 350 km in West-Ost-<br />
Richtung erstreckenden Grauwackenzone (vgl. Abb.6-2) ein.<br />
Abbildung 6-2: Grauwackenzone mit Wildschönau (Mostler, 1973)<br />
Der nördlichste Teil des Wildschönauer <strong>Gemeinde</strong>gebiets ist seit jeher von Reststöcken der<br />
Nördlichen Kalkalpen (mit eingestreutem Buntsandstein) begrenzt (in Abb. 6-2 ziegel-<br />
steinartig gekennzeichnet und auf Abb. 6-3 als Foto zu sehen).<br />
Abbildung 6-3: Rest-Kalkstock im nördlichsten Teil der Wildschönau (Foto: A. Holaus)<br />
Alexander Holaus Seite 64
Lawinenexperten vor Ort<br />
Beschreibung des Untersuchungsgebietes<br />
Somit musste sich das Wasser ursprünglich seinen Weg aus dem hintersten „Innertal“ (wie<br />
Auffach auch genannt wird) über Oberau und Niederau hinaus zum Inn suchen. Somit ist<br />
wahrscheinlich, dass der westliche <strong>Gemeinde</strong>teil (gemäß der „Sage vom Wildschönauer<br />
Drachen“) einst ein See (vgl. Abb. 6-4) war, welcher sich erst allmählich seinen zweiten<br />
Abfluss durch die heutige Kundler Kl<strong>am</strong>m „fressen“ musste.<br />
Abbildung 6-4: Der „Wildschönauer See“<br />
(Quelle: Wildschönauer Heimatbuch von H. Mayr,1993)<br />
Besonders eindrucksvoll sind die durch den erst 1895 erfolgten Straßenbau freigelegten<br />
Aufschlüsse <strong>am</strong> Eingang zur Wildschönau (Nähe Gasthof Maut). Rote und blaue Sand-<br />
steinbänke falten sich in der Grenznaht zwischen Kalk- und Schieferalpen spektakulär auf.<br />
Alexander Holaus Seite 65
Lawinenexperten vor Ort<br />
Beschreibung des Untersuchungsgebietes<br />
Abbildung 6-5: Buntsandstein und Schiefer prägen das Landschaftsbild der Wildschönau (Fotos: A. Holaus)<br />
Der weiche „Wildschönauer Schiefer“ gibt den Grasbergen seine sanften Formen. Der<br />
Wasser undurchlässige Tonschiefer zeigt sich in graugrünblauer Farbe, verwittert rasch<br />
und ist vielfach interessant gefältelt und geblättert (vgl. Abb. 6-5).<br />
Übermurter Boden ist bald wieder fruchtbar, Rutschflächen begrünen sich gleich wieder.<br />
Der fichtenreiche Waldbestand (mit eingestreuten Lärchen) reicht bis auf eine Höhe von<br />
ca. 1750 m (Mayr, 1993).<br />
Alexander Holaus Seite 66
Lawinenexperten vor Ort<br />
Beschreibung des Untersuchungsgebietes<br />
Der südlichste Teil der Wildschönau wird von Quarzphyllit mit Augengneis überragt<br />
(vgl. Abb. 6-2 und Abb. 6-6).<br />
Abbildung 6-6: Quarzphyllit (umgewandelter Tonschiefer mit hohem Quarzanteil)<br />
Abbildung 6-7: Blick von der Breitegg-Alm auf Großen und Kleinen Beil<br />
(Foto: Wildschönauer Heimatbuch, H. Mayr 1993)<br />
Doch nur die höchsten Gipfel der Wildschönau, wie Lämpersberg, Großer und Kleiner<br />
Beil (s. Abb. 6-7), ragten während der letzten Glazialzeit aus einem mächtigen Eisdeckel,<br />
welcher sich bis in den Süddeutschen Raum ausgebreitet hatte.<br />
Alexander Holaus Seite 67
Lawinenexperten vor Ort<br />
Beschreibung des Untersuchungsgebietes<br />
Die folgende Grafik (Abb. 6-8) zeigt die Vergletscherung des Unterinntals (insbesondere<br />
der Wildschönau) während der Würm-Eiszeit vor ca. 20000 bis 18000 Jahren:<br />
innsbruck<br />
Rosenheim<br />
Rofanspitze (2259 m)<br />
Kufstein<br />
Wildschönau<br />
Abbildung 6-8: Alpine Eismassen bis in den Süddeutschen Raum (van Husen, 1997)<br />
Die Eisoberfläche reichte in der Wildschönau bis in eine Höhe von ca. 2100 m. Nach peri-<br />
odischem Abschmelzen der Eismassen bildeten sich - heute noch gut zu erkennen - mäch-<br />
tige Terrassen, von denen die höchst gelegenen die ältesten sind.<br />
Gneis- und Granitblöcke („Findlinge“) haben den weiten Weg auf dem Gletschereis in die<br />
Wildschönau gefunden und zeugen vielerorts in der Wildschönau von Gletschern vergan-<br />
gener Tage. Grund- und Seitenmoränen (auch vom mächtigen Inntalgletscher bis nach<br />
Thierbach und Niederau auf 1500 hm hereinreichend) zeigen sich sowohl in aufschlussrei-<br />
chen Funden als auch sich ständig fortsetzenden Hangrutschungen. Aufwändige Hang- und<br />
Bachverbauungen sind die Folge (vgl. Abbildungen 6-9 und 6-10).<br />
Großvenediger 3674 m<br />
Zell <strong>am</strong> See<br />
Alexander Holaus Seite 68
Lawinenexperten vor Ort<br />
Beschreibung des Untersuchungsgebietes<br />
Abbildung 6-9: Findlingsbrunnen und Moränenreste in Auffach-Bernau und Auffach-Zetten<br />
Abbildung 6-10: Wildbachverbauung oberhalb Niederau-Wildenbachsiedlung (Fotos: A. Holaus)<br />
6.3 Klimatische Verhältnisse und Hydrografie<br />
Die Wildschönau kommt aufgrund ihrer geografischen Lage in den Genuss von relativ viel<br />
Niederschlag. mit einem Temperaturjahresmittel von 8,3°C kommt sie auf ca. 1200 mm<br />
Niederschlag pro m². Abbildung 6-11 zeigt den Verlauf der letzten 40 Jahre an Nieder-<br />
schlagsmengen in der Wildschönau (gemessen im Ortsteil Mühltal, <strong>am</strong> Eingang zur Kund-<br />
ler Kl<strong>am</strong>m). Besonders niederschlagsarme Jahre wie 1971, 1984 und 2003 lassen sich gut<br />
aus dem Verlauf ablesen. Ebenso haben sich rhythmisch regenreiche Jahre dazwischen<br />
gemischt (1971 und 1974 fallen besonders auf).<br />
Alexander Holaus Seite 69
Lawinenexperten vor Ort<br />
Beschreibung des Untersuchungsgebietes<br />
mm<br />
1800,0<br />
1600,0<br />
1400,0<br />
1200,0<br />
1000,0<br />
800,0<br />
600,0<br />
400,0<br />
200,0<br />
0,0<br />
Jahresniederschlagsmengen in<br />
Mühltal/Wildschönau von 1967 bis 2005<br />
1242<br />
1177<br />
1120<br />
Jahr 1967<br />
Jahr 1969<br />
1564<br />
909<br />
1089<br />
1239<br />
1514<br />
1167<br />
1139<br />
1244<br />
1214<br />
1353<br />
1154<br />
1261<br />
1090<br />
1150<br />
949<br />
1150<br />
989<br />
1242<br />
1292<br />
1068<br />
1256<br />
1042<br />
1200<br />
1421<br />
1136<br />
1354<br />
1299<br />
1104<br />
1159<br />
1369<br />
1366<br />
1276<br />
1376<br />
992<br />
1115<br />
1167<br />
Jahr 1971<br />
Jahr 1973<br />
Jahr 1975<br />
Jahr 1977<br />
Jahr 1979<br />
Jahr 1981<br />
Jahr 1983<br />
Alexander Holaus Seite 70<br />
Jahr 1985<br />
Jahr 1987<br />
Jahre<br />
Abbildung 6-11: Jahresniederschlag in Mühltal der Jahre 1967 bis 2005 (A. Hofer, 2006)<br />
Die gemessenen Schneemengen der letzten 7 Jahre sind in Tabelle 6-1 herauszulesen.<br />
Jahr<br />
Ges<strong>am</strong>tsumme der<br />
2000 2001 <strong>2002</strong> 2003 2004 2005 2006<br />
Tagesneuschneemengen<br />
im cm<br />
247 361 110 269 318 428 255<br />
max. 24 Std.-<br />
Neuschneezuwachs<br />
32 34 47 27 19 39 31<br />
Tabelle 6-1: Schneehöhen in Mühltal (Quelle: A. Hofer, 2006)<br />
Dabei fallen die Jahre <strong>2002</strong> mit der höchsten in 24 Stunden gefallenen Schneehöhe und das<br />
Jahr 2005 als schneereichstes der letzten 7 Jahre auf. Am 28. Feb. 1968 wurden 160 cm an<br />
historischer Rekordschneehöhe gemessen (Land Tirol und Hofer, 2006).<br />
Die Katastrophenwinter 1951 und 1954 haben auch in der Wildschönau zu großen Schäden<br />
geführt (s. Anhang: Schadenslawinen in der Wildschönau).<br />
Jahr 1989<br />
Jahr 1991<br />
Jahr 1993<br />
Jahr 1995<br />
Jahr 1997<br />
Jahr 1999<br />
Jahr 2001<br />
Jahr 2003<br />
Jahr 2005
Lawinenexperten vor Ort<br />
Beschreibung des Untersuchungsgebietes<br />
6.4 Bevölkerung, Wirtschaft und Infrastruktur des Untersuchungsgebietes<br />
Wildschönau<br />
Vier Kirchdörfer mit einer Ges<strong>am</strong>tfläche von 97,4 km², nämlich Niederau, Oberau, Auf-<br />
fach und Thierbach, bilden zus<strong>am</strong>men die politische <strong>Gemeinde</strong> Wildschönau im Bezirk<br />
Kufstein. Drei Kindergärten, vier Volksschulen und eine Hauptschule mit musikalischem<br />
Schwerpunkt kümmern sich um die Ausbildung der Jugend. Schulstädte wie Wörgl und<br />
Kufstein sind auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut zu erreichen. 56 Kultur-, Sport-<br />
und Traditionsvereine und Körperschaften erfreuen sich regen Zulaufs.<br />
Viele der 4182 Einwohner (Stand vom 5. Okt. 2006) leben direkt oder indirekt vom Frem-<br />
denverkehr. Circa eine Million Nächtigungen pro Jahr bescheren der einheimischen Be-<br />
völkerung angemessenen Wohlstand. Die Nähe zum Unterinntaler Wirtschaftsraum ermög-<br />
licht lukrative Arbeits-, Aus - und Weiterbildungsmöglichkeiten in allen Sparten.<br />
Obwohl die Wildschönau bis noch vor wenigen Jahrzehnten eine ausschließlich land- und<br />
forstwirtschaftliche <strong>Gemeinde</strong> war, hatte die Wirtschaft schon d<strong>am</strong>als einen bedeutenden<br />
Stellenwert. Durch die Abgeschiedenheit des Tales sowie fehlender Straßen- und Trans-<br />
portmittel musste fast alles zum Leben Notwendige in der <strong>Gemeinde</strong> selbst hergestellt<br />
werden. Das in den Wildschönauer Wäldern anfallende Holz wurde in mehreren Sägewer-<br />
ken verarbeitet, Möbel in verschiedenen Tischlereiwerkstätten erzeugt. Es gab Huf- und<br />
Wagenschmieden, Wagnereien, Schuster- und Schneiderbetriebe und im 18. Jhdt. sogar<br />
eine Leinwandfabrik mit über 200 Mitarbeiterinnen. Nach dem Zweiten Weltkrieg änderte<br />
sich die über mehrere Jahrhunderte unverändert gebliebene Struktur sehr schnell. Durch<br />
die großzügige Erschließung des Tales und dem Beginn des Tourismuszeitalters wurden<br />
viele Möglichkeiten für die Ansiedlung neuer Betriebe geschaffen. Man findet fast alles in<br />
der Wildschönau, vom Handel über Baugewerbe bis hin zum Kunsthandwerk. Viele Ar-<br />
beitsplätze wurden geschaffen, bieten Ausbildungsstellen für die Jugend und sichern die<br />
Lebensgrundlage für viele F<strong>am</strong>ilien (<strong>Gemeinde</strong> Wildschönau, 2006).<br />
Alexander Holaus Seite 71
Lawinenexperten vor Ort<br />
Methodik der Ermittlungen<br />
7 Methodik der Ermittlungen<br />
Mit Hilfe einer Befragung wurden primäre Daten zur Lawinenthematik in der Untersu-<br />
chungsregion Wildschönau erhoben. Einerseits wurde in einem ersten Teil explorativ zur<br />
allgemeinen Orientierung und Erfassung von Zus<strong>am</strong>menhängen gearbeitet, andererseits hat<br />
ein zweiter deskriptiver Teil Zus<strong>am</strong>menhänge aufgezeigt und zu Schlüssen ermutigt. Auch<br />
kausalanalytische Ansätze waren im Sinne der Aufdeckung von Ursachen-Wirkungs-<br />
Zus<strong>am</strong>menhängen beabsichtigt. Die Befragung wurde zum Ersten in Form eines schriftli-<br />
chen Fragebogens durchgeführt. Dieser konnte großteils persönlich (mit Zusatzerklärun-<br />
gen) ausgehändigt werden. Die ausgewählte Stichprobe an Personen orientierte sich an<br />
fachlicher Kompetenz in Fragen der „Lawinenkunde“. Ein Probelauf an einer Testgruppe<br />
verlief erfolgreich. In einem geschichteten Auswahlprozess wurde bei den zu befragenden<br />
Personen aus drei Kategorien gewählt: a) private TourengeherInnen, b) beruflich mit der<br />
Lawinenthematik befasste und c) in Rettungsorganisationen tätige Personen. Somit wurden<br />
auch Personen erfasst, die zwar keine offensichtliche Fachausbildung in dieser Hinsicht<br />
erfahren haben, aber in ihrem privaten oder beruflichen Umfeld mit der Einschätzung von<br />
lokalem Lawinenpotenzial in Kontakt kommen.<br />
In Teil I des Erhebungsbogens wurden quantitative Fragen zu eigenständigen Schneede-<br />
ckenuntersuchungen, Beobachtungen in der Region etc. gestellt. Die Antworten konnten in<br />
einer monopolaren Ratingskala in den Stufen „sehr zutreffend“, „zutreffend“, „wenig zu-<br />
treffend“, „nicht zutreffend“ und „keine Angabe“ angekreuzt werden. Zum Teil war es<br />
möglich, beim Ausfüllen des Bogens dabei zu sein. Ca. 60% der Fragebögen wurden den<br />
zu befragenden Personen aber nur übergeben und vorerst kommentarlos wieder entgegen<br />
genommen.<br />
Teil II forderte die Befragten zu qualitativer Äußerung auf. Insbesondere regionale Ereig-<br />
nisse früherer Jahre und konkrete Beobachtungen oder Erlebnisse rund um die Lawinen-<br />
thematik in der Wildschönau waren von Interesse. In einer zweiten Phase wurden einzelne<br />
Personen, deren bisherige Antworten besonders viel versprechend erschienen, persönlich<br />
aufgesucht, um in qualitativem Einzelinterview weitere Details – insbesondere zur Ver-<br />
vollständigung des Lawinenkatasters – zu erfahren. Dabei gab es keine fix vorgefertigten<br />
Fragen, sondern das Gespräch orientierte sich <strong>am</strong> Redefluss des Interviewpartners.<br />
Alexander Holaus Seite 72
Lawinenexperten vor Ort<br />
Methodik der Ermittlungen<br />
Die Auswertungen der Fragen aus Teil I sind mittels Säulendiagr<strong>am</strong>men auf Basis der an-<br />
gekreuzten Antworten im folgenden Kapitel dargestellt und jeweiligen anschließend kurz<br />
kommentiert. Zum Teil konnten aufgrund der Einzelgespräche auch noch Zusatzinformati-<br />
onen zu den vorgegebenen Antworten erfahren werden, welche in die Kommentare einflie-<br />
ßen konnten.<br />
Die Ergebnisse von Teil II finden sich in Form eines Lawinenkatasters der Region s<strong>am</strong>t<br />
Zusatzinformationen, soweit sie bis zum Abschluss dieser Arbeit im Januar 2007 vorgele-<br />
gen sind (jedoch im Sinne einer Vervollständigung noch weiter ergänzt wird).<br />
Alexander Holaus Seite 73
Lawinenexperten vor Ort<br />
Verifikation des Lageberichts<br />
8 Verifikation des Lageberichts<br />
Als Verifizierung oder Verifikation (lat. veritas, Wahrheit) wird der Vorgang bezeichnet,<br />
einen vermuteten oder behaupteten Sachverhalt als wahr nachzuweisen. Der Begriff "Veri-<br />
fizierung" wird unterschiedlich gebraucht, je nachdem, ob man sich bei der Wahrheitsfin-<br />
dung nur auf einen geführten Beweis stützen mag, oder auch die bestätigende Überprüfung<br />
und Beglaubigung des Sachverhaltes durch eine unabhängige Instanz als Verifizierung<br />
betrachtet (vgl. Wikipedia, 2006)<br />
Die von der Wetterdienststelle für die Mittagszeit eines bestimmten Ortes ausgegebene<br />
Temperaturprognose lässt sich einfach überprüfen, indem man zu besagter Zeit das Ther-<br />
mometer abliest und einen entsprechenden Vergleich anstellt. Die für eine Region prognos-<br />
tizierte Lawinengefahrenstufe zu verifizieren fällt allein schon im Vergleich zu obiger<br />
Temperaturvorhersage schwer, da außer der Temperatur noch viele weitere Faktoren zur<br />
Lawinenbildung beitragen.<br />
Kapitel 8.1 stellt die Ergebnisse einer regionalen Befragung zur Lawinenthematik dar.<br />
8.1 Ergebnisse aus dem Fragebogen in der Region Wildschönau<br />
Die Wildschönau bietet, wie das Tiroler Unterland im Allgemeinen, durch das Zus<strong>am</strong>men-<br />
spiel des sanften Reliefs von Almböden und mäßig hohen Bergen von max. 2300 m (vgl.<br />
Kapitel 6) und der - trotz globaler Erwärmung - bislang noch recht guten Schneelage bis in<br />
Tallagen sehr gute Wintersportmöglichkeiten.<br />
Der Siedlungsraum und die Verkehrswege sind dank gesunder Schutzwälder und günstiger<br />
Lage vor Lawinengefahr relativ sicher. Vereinzelte Katastrophenwinter (wie 1954) haben<br />
auch dieses Hochtal mit einigen Schadenslawinen betroffen (s. Anhang). Der Touren- und<br />
Variantenbereich ist - speziell in schneearmen Wintern - auch hier vereinzelten Skitouris-<br />
ten zum Verhängnis geworden (s. Anhang).<br />
Im Zuge meiner Bergführertätigkeit und Mitglied der örtlichen Bergrettungsortsstelle, so-<br />
wie als Lawinenkommissionär konnten in den vergangenen Jahren viele Erfahrungen mit<br />
Schnee und seinen Tücken ges<strong>am</strong>melt werden. Auch der intensive Erfahrungsaustausch<br />
mit Experten vor Ort hat sehr zu einer ganzheitlichen Sichtweise in dieser Thematik ge-<br />
Alexander Holaus Seite 74
Lawinenexperten vor Ort<br />
Verifikation des Lageberichts<br />
führt. Eben diese „Experten vor Ort“, Personen aus der Region, die sich während der Win-<br />
termonate vielfach täglich in der Natur bewegen und Witterungsänderungen, d<strong>am</strong>it ver-<br />
bundene Veränderungen der Schneedecke, eventuelle Lawinenabgänge etc. beobachten<br />
können, wurden in größtenteils schriftlicher Form (s. Erhebungsbogen im Anhang) auf ihre<br />
Erfahrungen, Beobachtungen und Einschätzungen etc. hin befragt.<br />
Im Anschluss an die grafische Auswertung und die zu den einzelnen Fragen erstellten<br />
Kommentare wird in der Diskussion (Kapitel 8) versucht, der Themenstellung dieser Ar-<br />
beit nahe zu kommen, nämlich, ob es möglich ist,<br />
• mit Hilfe von Beobachtungen, Messungen, Erfahrungen und Eindrücken der (mehr<br />
oder weniger) sachkundigen Bevölkerung vor Ort potenzielle Lawinengefahr ein-<br />
zugrenzen bzw.<br />
• den offiziell für die Region, die Tageszeit und die Höhenlage ausgegebenen Lage-<br />
bericht zu verifizieren.<br />
nicht<br />
auswertbar<br />
29%<br />
Anteil der 60 ausgewerteten<br />
von 82 ausggebenen Erhebungsbögen<br />
ausgewertet<br />
71%<br />
Tabelle 8-1: Rücklauf der Erhebungsbögen<br />
Von ursprünglich 82 ausgegebenen Erhebungsbögen k<strong>am</strong>en 60 auswertbare Exemplare<br />
retour (einige davon leider erst nach Abschluss der statistischen Arbeit). Von einem Onli-<br />
ne-Fragebogen wurde bewusst Abstand genommen, da die Befragung vornehmlich ältere<br />
Personen betraf, welche dem Medium Internet mit großem Respekt gegenüber stehen. Zum<br />
Teil war das persönliche „Eintreiben“ der Bögen mit sehr interessanten Gesprächen ver-<br />
bunden, was insbesondere den Teil II betreffend („bekannte Lawinenereignisse aus frühe-<br />
rer Zeit“) viele, detaillierte Aufzeichnungen (vgl. Karten im Anhang) zur Folge hatte.<br />
Alexander Holaus Seite 75
Lawinenexperten vor Ort<br />
Verifikation des Lageberichts<br />
60%<br />
50%<br />
40%<br />
30%<br />
20%<br />
10%<br />
0%<br />
0%<br />
Alter<br />
0-17<br />
Altersgruppen der Befragten<br />
10%<br />
Alter<br />
18-29<br />
Alexander Holaus Seite 76<br />
52%<br />
Alter<br />
30-49<br />
Tabelle 8-2: Altersverteilung<br />
38%<br />
Alter<br />
50-100<br />
Der größter Teil der „Experten vor Ort“ waren - bewusst gewählt - erfahrene Tourengehe-<br />
rInnen, Lawinenkommissionsmitglieder, Skilehrer, Schneeräumpersonal, Pistenarbeiter,<br />
Landwirte, Jäger etc. in fortgeschrittenem Alter.<br />
Personen, welche sich vor Ort mit dem aktuellen Schneedeckenaufbau beschäftigen bzw.<br />
lawinenrelevante Beobachtungen machen und diese auch noch dokumentieren können,<br />
wurden zu „Experten vor Ort“ ernannt und daher in die Erhebungen eingeschlossen.<br />
Frage 1: Mich interessiert das Thema „Lawinen“.<br />
60%<br />
50%<br />
40%<br />
30%<br />
20%<br />
10%<br />
0%<br />
58%<br />
37%<br />
sehr zutreffend wenig<br />
zutreffend<br />
zutreffend<br />
2% 2% 2%<br />
nicht<br />
zutreffend<br />
Tabelle 8-3: Interesse an der Thematik<br />
keine<br />
Aussage<br />
Persönliches Interesse an der Thematik „Lawinengefahr“ wurde zu 95% angegeben, ca.<br />
50% der Befragten können zusätzlich auf spezielle Ausbildungsinhalte bei Bergrettungs-,<br />
Alpinpolizei- und Skilehrerkursen zurückgreifen. Der Rest hat sich jedoch zum größten<br />
Teil zumindest einmal einem Schulungsvortrag o.ä. unterzogen. Nur wenige der ausge-<br />
wählten Personen können als „Autodidakten“ bezeichnet werden.
Lawinenexperten vor Ort<br />
Verifikation des Lageberichts<br />
40%<br />
35%<br />
30%<br />
25%<br />
20%<br />
15%<br />
10%<br />
5%<br />
0%<br />
12%<br />
sehr<br />
zutreffend<br />
Täglicher Abruf des LLB (Frage 2)<br />
40%<br />
Alexander Holaus Seite 77<br />
30%<br />
zutreffend wenig<br />
zutreffend<br />
8%<br />
nicht<br />
zutreffend<br />
Tabelle 8-4: Tägliches Abrufen des LLB<br />
10%<br />
keine<br />
Aussage<br />
In Abhängigkeit vom Zugang zur Thematik „Lawinen“ bedienen sich die Befragten recht<br />
unterschiedlich des offiziell ausgegebenen Lageberichts. Beruflich d<strong>am</strong>it beschäftigte Per-<br />
sonen tun dies täglich, TourengeherInnen überwiegend regelmäßig „nach Bedarf“.<br />
45%<br />
40%<br />
35%<br />
30%<br />
25%<br />
20%<br />
15%<br />
10%<br />
5%<br />
0%<br />
Zusatzinformation im LLB-Text wichtig (Frage 3)<br />
33%<br />
sehr<br />
zutreffend<br />
45%<br />
12%<br />
zutreffend w enig<br />
zutreffend<br />
7%<br />
nicht<br />
zutreffend<br />
3%<br />
keine<br />
Aussage<br />
Tabelle 8-5: Zusatzinformationen im LLB werden als „wichtig“ erachtet.<br />
Außer der Schlagzeile, den regionalen, höhen- und tageszeitlichen Gefahrenstufen ist der<br />
befragten Gruppe der Zusatztext mit Schneedeckenaufbau, Wetter- und Temperaturprog-<br />
nose von großem Wert. Minimal ist die Anzahl der Aussagen, die täglichen Zusatzinforma-<br />
tionen nicht zu beachten.
Lawinenexperten vor Ort<br />
Verifikation des Lageberichts<br />
60%<br />
50%<br />
40%<br />
30%<br />
20%<br />
10%<br />
0%<br />
Beschäftgung mit LLB<br />
in privatem/beruflichem Bereich (Fragen 4 und 5)<br />
sehr zutreffend<br />
17%<br />
10%<br />
33%<br />
zutreffend<br />
17%<br />
30%<br />
wenig zutreffend<br />
15% 17%<br />
nicht zutreffend<br />
3% 3%<br />
Alexander Holaus Seite 78<br />
53%<br />
keine Aussage<br />
Tabelle 8-6: Beschäftigung mit LLB - je nach Tätigkeit<br />
privates Interesse<br />
beruflich bedingt<br />
Die private Auseinandersetzung mit dem LLB setzt sich hier deutlich gegenüber der beruf-<br />
lichen durch. Nur wenige sind aufgrund ihrer Tätigkeit in der Region Wildschönau täglich<br />
mit Entscheidungsfragen zum Thema „Lawinen“ beschäftigt - so ist der auffallend hohe<br />
Anteil an „nicht zutreffend“ zu erklären.<br />
80%<br />
70%<br />
60%<br />
50%<br />
40%<br />
30%<br />
20%<br />
10%<br />
0%<br />
Eigene Wetteraufzeichnungen (Frage 6)<br />
sehr<br />
zutreffend<br />
3% 3%<br />
17%<br />
zutreffend wenig<br />
zutreffend<br />
73%<br />
nicht<br />
zutreffend<br />
3%<br />
keine<br />
Aussage<br />
Tabelle 8-7:Frage nach eigenen Wetteraufzeichnungen<br />
Abgesehen von wenigen sporadischen Aufzeichnungen zu besonderen Witterungslagen,<br />
extremen Niederschlagsereignissen o.ä. werden in der Region mit Ausnahme einzelner,<br />
beruflich dazu verpflichteter Personen keine regelmäßigen Aufzeichnungen geführt.
Lawinenexperten vor Ort<br />
Verifikation des Lageberichts<br />
70%<br />
60%<br />
50%<br />
40%<br />
30%<br />
20%<br />
10%<br />
0%<br />
pers. Untersuchungen in selber Hangneigung bzw.<br />
Exposition (Fragen7 und 8)<br />
60%<br />
50%<br />
40%<br />
30%<br />
20%<br />
10%<br />
0%<br />
7%<br />
3%<br />
sehr<br />
zutreffend<br />
selbe Hangneigung<br />
selbe Exposition<br />
13% 13%<br />
13%<br />
52%<br />
48%<br />
22%<br />
20%<br />
Alexander Holaus Seite 79<br />
8%<br />
zutreffend w enig<br />
zutreffend<br />
nicht<br />
zutreffend<br />
keine<br />
Aussage<br />
Tabelle 8-8: Untersuchungen in stets selber Hangneigung/-Exposition<br />
Eigene Schneedeckenuntersuchungen (Frage 9)<br />
2%<br />
sehr<br />
zutreffend<br />
5%<br />
18%<br />
zutreffend wenig<br />
zutreffend<br />
68%<br />
nicht<br />
zutreffend<br />
7%<br />
keine<br />
Aussage<br />
Tabelle 8-9: Frage nach eigenen Schneedeckenuntersuchungen<br />
Tabellen 8-8 und 8-9 zeigen den schon bei den Fragen 4 bis 6 erkannten Trend, dass Auf-<br />
zeichnungen in der Wildschönau grundsätzlich „Mangelware“ sind. Wo jedoch solche ge-<br />
führt werden, kann zwischen privaten und beruflich bedingten Recherchen - die einzelnen<br />
Hänge und die Schneedecke betreffend - eine gewisse Parallele festgestellt werden. Es<br />
lässt sich ablesen, dass die Untersuchungshänge meist dieselben sind, was einem seriösen<br />
Vergleich und daraus besseren Prognose sicher sehr zuträglich ist.
Lawinenexperten vor Ort<br />
Verifikation des Lageberichts<br />
80%<br />
70%<br />
60%<br />
50%<br />
40%<br />
30%<br />
20%<br />
10%<br />
0%<br />
2%<br />
sehr zutreffend<br />
Vergleich der eigenen Eischätzung mir der<br />
der KollegInnen und dem offiziellen LLB<br />
(Fragen 10 und 12)<br />
22%<br />
5%<br />
zutreffend<br />
43%<br />
wenig zutreffend<br />
17%<br />
10%<br />
Alexander Holaus Seite 80<br />
73%<br />
nicht zutreffend<br />
18%<br />
10%<br />
keine Aussage<br />
Vergleich mit<br />
KollegInnen<br />
Vergleich mit offiziellem<br />
LLB<br />
0%<br />
Tabelle 8-10: Frage nach eigenen Schneedeckenuntersuchungen<br />
Im beruflichen Umfeld liegt die Annahme auf der Hand, dass die persönliche Einschätzung<br />
der aktuellen Lawinensituation gerne mit dem offiziellen LLB verglichen wird.<br />
Im privaten Skitourenbereich wird nicht gerne verglichen, nachdem oft keine eigene Ein-<br />
schätzung getroffen, d.h. dem offiziellen Lagebericht – auch auf die lokale Situation –<br />
blind vertraut wurde.<br />
35%<br />
30%<br />
25%<br />
20%<br />
15%<br />
10%<br />
5%<br />
0%<br />
Eigene Lawinenprognosen (Frage 11)<br />
10%<br />
sehr<br />
zutreffend<br />
23%<br />
27%<br />
zutreffend wenig<br />
zutreffend<br />
35%<br />
nicht<br />
zutreffend<br />
5%<br />
keine<br />
Aussage<br />
Tabelle 8-11: Versuch, eigene Lawinenprognosen anzustellen<br />
Ein Drittel der befragten Personen stellt eigene Lawinenprognosen auf, ein weiteres Drittel<br />
nur fallweise und das dritte Drittel verlässt sich ausnahmslos auf den offiziellen LLB.
Lawinenexperten vor Ort<br />
Verifikation des Lageberichts<br />
Eigene Einschätzung deckt sich im Regelfall mit<br />
offiziellem LLB (Frage 14)<br />
60%<br />
50%<br />
40%<br />
30%<br />
20%<br />
10%<br />
0%<br />
7%<br />
sehr<br />
zutreffend<br />
58%<br />
Alexander Holaus Seite 81<br />
18%<br />
zutreffend wenig<br />
zutreffend<br />
12%<br />
nicht<br />
zutreffend<br />
5%<br />
keine<br />
Aussage<br />
Tabelle 8-12: Eigenständige Prognosen stimmen mit offiziellem LLB überein<br />
Offensichtlich stimmen die eigenen Prognosen mit dem offiziellen Lagebericht gut über-<br />
ein. Wer sich schon die Arbeit eigener Gefahreneinschätzung antut scheint auch mit der<br />
Materie recht gut vertraut zu sein.<br />
60%<br />
50%<br />
40%<br />
30%<br />
20%<br />
10%<br />
0%<br />
Warnstufen sind verständlich und<br />
nachvollziehbar (Frage 15)<br />
57%<br />
sehr<br />
zutreffend<br />
38%<br />
zutreffend wenig<br />
zutreffend<br />
0% 2% 3%<br />
nicht<br />
zutreffend<br />
keine<br />
Aussage<br />
Tabelle 8-13: Angegebene Warnstufe (1-5) ist verständlich<br />
Die Definitionen der einzelnen europaweit gleich lautenden Warnstufen ist bei den Befrag-<br />
ten gut verankert. 57% können diese richtig interpretieren und auch nachvollziehen, für<br />
weitere 38% trifft dies auch noch größtenteils zu.
Lawinenexperten vor Ort<br />
Verifikation des Lageberichts<br />
60%<br />
50%<br />
40%<br />
30%<br />
20%<br />
10%<br />
0%<br />
Warnstufen geben klar Auskunft (Frage 16)<br />
35%<br />
sehr<br />
zutreffend<br />
53%<br />
Alexander Holaus Seite 82<br />
7%<br />
zutreffend wenig<br />
zutreffend<br />
2%<br />
nicht<br />
zutreffend<br />
3%<br />
keine<br />
Aussage<br />
Tabelle 8-14: Versuch, eigene Lawinenprognosen anzustellen<br />
Diese fünf Gefahrenstufen sind für knapp 90% größtenteils verständlich und geben für die<br />
meisten der befragten Personen klar Auskunft über das bestehende Gefahrenpotenzial.<br />
35%<br />
30%<br />
25%<br />
20%<br />
15%<br />
10%<br />
5%<br />
0%<br />
Eigene Prognosen der verg. Jahre<br />
sind zugetroffen (Frage 17)<br />
3%<br />
sehr<br />
zutreffend<br />
23%<br />
35%<br />
zutreffend wenig<br />
zutreffend<br />
23%<br />
nicht<br />
zutreffend<br />
15%<br />
keine<br />
Aussage<br />
Tabelle 8-15: Selbst prognostizierte Lawinenereignisse der vergangenen Jahre sind eingetroffen.<br />
Bei einem Viertel der Befragten sind aufgrund von eigenen Beobachtungen und Einschät-<br />
zungen der bestehenden Situation erwartete Lawinenereignisse eingetroffen. Ebenso bei<br />
einem Viertel nicht und gut einem Drittel nur zum Teil.
Lawinenexperten vor Ort<br />
Verifikation des Lageberichts<br />
Zus<strong>am</strong>menhang zwischen best. Witterungslage<br />
und Lawinenabgängen (Frage 18)<br />
50%<br />
40%<br />
30%<br />
20%<br />
10%<br />
0%<br />
23%<br />
50%<br />
Alexander Holaus Seite 83<br />
17%<br />
sehr zutreffend wenig<br />
zutreffend<br />
zutreffend<br />
8%<br />
nicht<br />
zutreffend<br />
2%<br />
keine<br />
Aussage<br />
Tabelle 8-16: Die Witterungslage kann Lawinenabgänge beeinflussen.<br />
Über 80% teilen die Meinung, dass die Witterung einen Einfluss auf Lawinenaktivität in<br />
der Beobachtungsregion hat. Insbesondere Temperaturanstiege wurden in Privatgesprächen<br />
mit den befragten Personen als Mitauslöser von Lawinen sehr häufig erwähnt. Ebenso hat<br />
der Wind gemäß ihren Aussagen seinen Anteil <strong>am</strong> der Verschärfung des Lawinenpotenzi-<br />
als.<br />
60%<br />
50%<br />
40%<br />
30%<br />
20%<br />
10%<br />
0%<br />
Unterschiedliche Bewirtschaftungsformen<br />
(u.A. Kahlhiebe) haben ihre Auswirkungen<br />
auf die Lawinenaktivität. (Frage 19)<br />
37%<br />
sehr<br />
zutreffend<br />
55%<br />
3%<br />
zutreffend wenig<br />
zutreffend<br />
0%<br />
nicht<br />
zutreffend<br />
5%<br />
keine<br />
Aussage<br />
Tabelle 8-17: Unterschiedliche Bewirtschaftungsformen begünstigen mitunter Lawinenbildung.<br />
Insbesondere neu angelegte freie Flächen (z.B. durch Kahlschlag) begünstigen laut Aussa-<br />
ge der befragten Bevölkerung die Lawinenbildung.
Lawinenexperten vor Ort<br />
Verifikation des Lageberichts<br />
45%<br />
40%<br />
35%<br />
30%<br />
25%<br />
20%<br />
15%<br />
10%<br />
5%<br />
0%<br />
Aufgelassene Weideflächen lassen mehr<br />
Lawinen/Schneerutsche erwarten. (Frage 20)<br />
42%<br />
sehr<br />
zutreffend<br />
40%<br />
Alexander Holaus Seite 84<br />
12%<br />
zutreffend wenig<br />
zutreffend<br />
0%<br />
nicht<br />
zutreffend<br />
7%<br />
keine<br />
Aussage<br />
Tabelle 8-18: Mehr Lawinen durch aufgelassene Weideflächen<br />
Auch das Auflassen von Weideflächen wurde in der Untersuchungsregion großteils als<br />
Ursache für neue Rutschungen angegeben. Gleichzeitig wurde in den Interviews erwähnt,<br />
dass ohne Weidevieh mit den Jahren wieder neuer Bewuchs in Form von Sträuchern und<br />
Jungwald aufkommt und dies wieder positiv der Lawinengefahr entgegenwirkt. Wo ledig-<br />
lich langes Sommergras Lawinen als Gleitfläche dient, wird dies allerdings von insges<strong>am</strong>t<br />
80% der Befragten als Lawinen fördernd gesehen.<br />
Regelmäßiges Abgrasen/Mähen mindert die<br />
Lawinengefahr. (Frage 21)<br />
40%<br />
30%<br />
20%<br />
10%<br />
0%<br />
37%<br />
sehr<br />
zutreffend<br />
38%<br />
13%<br />
wenig<br />
zutreffend<br />
3%<br />
8%<br />
keine<br />
Aussage<br />
Tabelle 8-19: Verminderung der Lawinengefahr durch regelmäßiges Abgrasen/Mähen.<br />
Insbesondere regelmäßig abgegraste Weideflächen und die d<strong>am</strong>it verbundenen von den<br />
Tieren ausgetretenen Weidetrassen sowie kurz geschnittenes Gras sind für 37% sehr, für<br />
weitere 38% ausreichend Lawinen unterbindend, da d<strong>am</strong>it die Bodenrauhigkeit erhöht<br />
wird. Für lediglich 13 % der Befragten kommt dieser Umstand nicht zum Tragen.
Lawinenexperten vor Ort<br />
Verifikation des Lageberichts<br />
40%<br />
30%<br />
20%<br />
10%<br />
0%<br />
Ich habe einen Lawinenabgang<br />
in der Praxis beobachtet. (Frage 22)<br />
37%<br />
sehr<br />
zutreffend<br />
32%<br />
Alexander Holaus Seite 85<br />
8%<br />
wenig<br />
zutreffend<br />
20%<br />
3%<br />
keine<br />
Aussage<br />
Tabelle 8-20: Lawine in der Praxis in der Region Wildschönau beobachtet.<br />
Auffallend war, dass doch relativ viele der befragten Personen in der Wildschönau schon<br />
eine Lawine beim Abgehen beobachten konnten. Zum Teil haben diese Personen beim<br />
Aufstieg zu ihrem Zielgipfel noch Passagen gequert, welche unmittelbar nach ihnen ver-<br />
schüttet wurden. Dies wurde hauptsächlich in Verbindung mit klassischen Frühjahrstouren<br />
berichtet. Ein Fünftel der Befragten hatte solche Erlebnisse „live“ noch nicht.<br />
Ich kann mich an ein Lawinenereignis erinnern<br />
und auf der Karte beschreiben (Frage 23)<br />
35%<br />
30%<br />
25%<br />
20%<br />
15%<br />
10%<br />
5%<br />
0%<br />
35% 35%<br />
sehr<br />
zutreffend<br />
8%<br />
zutreffend wenig<br />
zutreffend<br />
13%<br />
nicht<br />
zutreffend<br />
8%<br />
keine<br />
Aussage<br />
Tabelle 8-21: Lawinenereignis in der Wildschönau kann dokumentiert werden<br />
Für den Output dieser Erhebung sehr positiv ist der Umstand, dass Lawinenereignisse in<br />
der Wildschönau relativ gut dokumentiert werden können. 70% können ihre Erlebnisse mit<br />
Lawinen noch ziemlich genau auf der Karte zuordnen.
Lawinenexperten vor Ort<br />
Verifikation des Lageberichts<br />
60%<br />
50%<br />
40%<br />
30%<br />
20%<br />
10%<br />
0%<br />
Ich bin einem Lawinenunglück nur knapp<br />
entgangen (Frage 24)<br />
20%<br />
sehr<br />
zutreffend<br />
5%<br />
Alexander Holaus Seite 86<br />
13%<br />
zutreffend wenig<br />
zutreffend<br />
57%<br />
nicht<br />
zutreffend<br />
5%<br />
keine<br />
Aussage<br />
Tabelle 8-22: Selbst einem Lawinenereignis nur knapp entgangen.<br />
Umgerechnet 12 Personen (= 20%) aus dem Kreis der Befragten sind einem Lawinener-<br />
eignis nur knapp entgangen. Aus den persönlichen Schilderungen der Betroffenen war zu<br />
entnehmen, dass sie von der Situation d<strong>am</strong>als völlig überrascht wurden und die Gefahr<br />
deutlich unterschätzt haben. Dabei handelt es sich durchwegs um erfahrene Skitouristen<br />
oder Personen, die von Berufs wegen viel Erfahrung mitbringen.<br />
80%<br />
70%<br />
60%<br />
50%<br />
40%<br />
30%<br />
20%<br />
10%<br />
0%<br />
Ich besitze persönliche Aufzeichnungen zum<br />
Thema Lawinen (Frage 25)<br />
3%<br />
sehr<br />
zutreffend<br />
5%<br />
10%<br />
zutreffend wenig<br />
zutreffend<br />
75%<br />
nicht<br />
zutreffend<br />
7%<br />
keine<br />
Aussage<br />
Tabelle 8-23: In Besitz persönlicher Aufzeichnungen zu Lawinen<br />
Persönliche Aufzeichnungen zum Thema „Lawinen“ sind nur sehr sporadisch verfügbar.
Lawinenexperten vor Ort<br />
Verifikation des Lageberichts<br />
60%<br />
50%<br />
40%<br />
30%<br />
20%<br />
10%<br />
Mir sind Hangrutschungen/Lawinen der letzten<br />
Jahre bekannt. (Frage 26)<br />
0%<br />
30%<br />
sehr<br />
zutreffend<br />
57%<br />
Alexander Holaus Seite 87<br />
8%<br />
zutreffend wenig<br />
zutreffend<br />
0%<br />
nicht<br />
zutreffend<br />
5%<br />
keine<br />
Aussage<br />
Tabelle 8-24: Kenntnis von Rutschungen/Lawinen der letzten Jahre.<br />
Zum Großteil haben die befragten Personen Kenntnis von Lawinen oder Schneerutschun-<br />
gen größeren Ausmaßes in der Wildschönau. Somit konnte aus deren Wissensfundus eine<br />
nicht unbeträchtliche Anzahl kritischer Hangpartien aufgrund früherer Ereignisse kartogra-<br />
fisch dokumentiert und kommentiert werden.<br />
Ich kann diese Ereignisse zeitlich zuordnen und<br />
kommentieren. (Frage 27)<br />
50%<br />
40%<br />
30%<br />
20%<br />
10%<br />
0%<br />
8%<br />
22%<br />
43%<br />
sehr zutreffend wenig<br />
zutreffend<br />
zutreffend<br />
17%<br />
nicht<br />
zutreffend<br />
10%<br />
keine<br />
Aussage<br />
Tabelle 8-25: Zeitliche und inhaltliche Zuordnung einzelner Lawinenereignisse<br />
Lawinenereignisse vergangener Jahre zeitlich und inhaltlich richtig zuzuordnen fällt vielen<br />
Befragten eher schwer. Einzelnen Personen konnten mehr – zu teil sogar sehr exakte - In-<br />
formationen liefern, andere konnten sich nur an nur das Ereignis erinnern, nicht aber die<br />
Zus<strong>am</strong>menhänge beschreiben.
Lawinenexperten vor Ort<br />
Verifikation des Lageberichts<br />
60%<br />
50%<br />
40%<br />
30%<br />
20%<br />
10%<br />
0%<br />
Ich kann diese Ereignisse<br />
auf der Landkarte zuordnen. (Frage 28)<br />
25%<br />
52%<br />
Alexander Holaus Seite 88<br />
10%<br />
sehr zutreffend wenig nicht<br />
zutreffend<br />
zutreffend zutreffend<br />
7% 7%<br />
keine<br />
Aussage<br />
Tabelle 8-26: Mehr Lawinen durch aufgelassene Weideflächen<br />
Was in Frage 23 in anderem Zus<strong>am</strong>menhang noch sehr eindeutig positiv beantwortet wur-<br />
de, verteilt sich hier im Konkreten etwas: Exakte kartografische Zuordnung (Anrisspunkt,<br />
Anrissbreite, ...) fällt offensichtlich doch etwas schwerer, als die ungefähre Lage von La-<br />
winenstrichen zu beschreiben. Dennoch sind es ges<strong>am</strong>t drei Viertel der Befragten, die dazu<br />
in der Lage sind.<br />
Die d<strong>am</strong>als herrschenden Witterungsverhältnisse sind<br />
mir bekannt. (Frage 29)<br />
60%<br />
50%<br />
40%<br />
30%<br />
20%<br />
10%<br />
0%<br />
8%<br />
53%<br />
20%<br />
sehr zutreffend wenig nicht<br />
zutreffend<br />
zutreffend zutreffend<br />
10% 8%<br />
keine<br />
Aussage<br />
Tabelle 8-27: Herrschende Witterungsverhältnisse bestimmten Lawinen zuordnen<br />
Auch hier zeigt sich, dass ein Großteil der befragten Personen bestimmten Lawinenereig-<br />
nissen die d<strong>am</strong>als herrschenden Witterungsverhältnisse beschreiben kann. Genaue Anga-<br />
ben über 72-Stunden-Neuschneezuwachs oder die Temperaturverlaufskurve in der Schnee-<br />
decke aufgrund angestellter Schneedeckenuntersuchungen etc. dürfen aber nur in den we-<br />
nigsten Fällen erwartet werden.
Lawinenexperten vor Ort<br />
Verifikation des Lageberichts<br />
Personen in meinem Bekanntenkreis haben<br />
außergewöhnliche Beobachtungen zum Thema<br />
„Lawinen“ in der Region Wildschönau gemacht.<br />
(Frage 30)<br />
30%<br />
25%<br />
20%<br />
15%<br />
10%<br />
5%<br />
0%<br />
7%<br />
sehr<br />
zutreffend<br />
30%<br />
Alexander Holaus Seite 89<br />
22%<br />
zutreffend wenig<br />
zutreffend<br />
25%<br />
nicht<br />
zutreffend<br />
17%<br />
keine<br />
Aussage<br />
Tabelle 8-28: Frage nach Personen, die erwähnenswerte Lawinen relevante Beobachtungen<br />
im Raum Wildschönau gemacht haben<br />
Die letzte Frage im Teil I des Erhebungsbogens hat versucht, Personen ausfindig zu ma-<br />
chen, welche evtl. durch die Clusterauswahl übersehen wurden, zu erfahren. In Teil II ha-<br />
ben die Befragten dann größtenteils bereits befragte Personen genannt. Einige neue, mir als<br />
solche nicht bewusste „Experten vor Ort“ konnten dadurch jedoch noch während der Er-<br />
hebungsphase zur Thematik befragt werden. Zum Teil sehr interessante und erfassenswerte<br />
Inputs waren die Folge.
Lawinenexperten vor Ort<br />
Verifikation des Lageberichts<br />
<strong>8.2</strong> <strong>Methodischer</strong> <strong>Ansatz</strong> <strong>am</strong> <strong>Beispiel</strong> <strong>„Winter</strong> <strong>2002</strong>/<strong>03“</strong><br />
Ausgangspunkt der Verifikation sind primär sämtliche vom LWD Tirol ausgegebene La-<br />
winenlageberichte der jeweils abgelaufenen Wintersaison. Jeder LLB stellt dabei das Er-<br />
gebnis aus der Verarbeitung einer Fülle an unterschiedlichen Informationen dar und erhebt<br />
primär für sich den Anspruch, die realen Verhältnisse bestmöglich zu erfassen. Für die<br />
beispielsweise Auswertung des Winters <strong>2002</strong>/03 wurden sämtliche zur Verfügung stehen-<br />
den, insbesondere aber auch jeweils nach Erstellung des LLB einfließenden, sehr umfang-<br />
reichen Daten entsprechend gesichtet. Das Datenmaterial umfasste 830 externe Rückmel-<br />
dungen (von Wintersportlern, Lawinenkommissionen etc.), 150 LWD-eigene Geländeer-<br />
kundungen, 5500 Bilder, 160 Stabilitätsuntersuchungen und tägliche Meldungen von da-<br />
mals 12 eigens beschäftigten Beobachtern, wobei einige von diesen nicht nur in der Früh,<br />
sondern auch noch <strong>am</strong> Nachmittag Informationen übermittelten (Nairz, 2003).<br />
Bei genauer Durchsicht aller Rückmeldungen konnten einige interessante Details feststel-<br />
len: Sämtliche Rückmeldungen waren räumlich völlig zufällig über unser Bundesland ver-<br />
teilt. Zeitlich hingegen gingen bei kritischen Lawinensituationen tendenziell mehr Informa-<br />
tionen ein als bei sehr günstigen Verhältnissen (Nairz, 2003). Positive Rückmeldungen im<br />
Sinne von Bestätigungen der Lawinenlageberichte, übertrafen jene Rückmeldungen, die<br />
den LLB beanstandeten. Der Zeitpunkt der „negativen“ Rückmeldungen deckte sich mit<br />
erstaunlicher Regelmäßigkeit mit jenen Tagen, an denen auch der LWD selbst (unabhängig<br />
davon) aufgrund von eigenen Recherchen die Fehlerhaftigkeit der ausgegebenen LLB er-<br />
kannt hatte. Zur Quantifizierung des Endergebnisses für die Vorhersagegenauigkeit des<br />
LLB wurde primär jeder Tag unter Heranziehung objektiver Kriterien qualitativ bewertet.<br />
Es erfolget eine Einteilung in die Kategorien „voll zutreffend“, „zutreffend“, „teilweise<br />
zutreffend“ und „nicht zutreffend“. Bei der Auswahl der Kriterien wurde äußerst restriktiv<br />
vorgegangen. Resümierend konnten 8 Tage mit fehlerhaftem Lawinenlagebericht ausge-<br />
wiesen werden. Von 159 Lawinenlageberichten wurden 136 mit „voll zutreffend“ einge-<br />
stuft, 23 als „teilweise zutreffend“ (und somit falsch) und keiner als „nicht zutreffend“,<br />
was einer Trefferquote von 86% entspricht. Die bereits angesprochene unabhängig davon<br />
stattgefundene Untersuchung des DAV-Sicherheitskreises ergab für besagten Winter eine<br />
Trefferquote der Tiroler Lawinenwarndienstes von sogar 91%.<br />
Alexander Holaus Seite 90
Lawinenexperten vor Ort<br />
Verifikation des Lageberichts<br />
Regional betrachtet kann auf eine ähnliche Erfolgsquote für das Untersuchungsgebiet<br />
Wildschönau verwiesen werden. Seit nunmehr 5 Jahren werden Aufzeichnungen der La-<br />
winenkommission der <strong>Gemeinde</strong> Wildschönau im Zuge ihrer Tätigkeit zur Sicherung des<br />
Siedlungsraumes und touristischer Flächen (Loipen, Pistenbereiche) mit dem offiziell vom<br />
Land Tirol zur Verfügung gestellten Informationen verglichen. Insbesondere die in letzter<br />
Zeit im Lagebericht des LWD zusätzlich angebotene Unterscheidung verschiedener Hö-<br />
henlagen überrascht durch ihre Treffergenauigkeit. Besondere Erkenntnisse, allfällige<br />
Schneedeckenuntersuchungen, diverses Fotomaterial und persönliche Einschätzungen fin-<br />
den ihren Weg via Internet oder Mobiltelefon zum LWD Tirol nach Innsbruck. Der persön-<br />
liche Kontakt zwischen offiziellem Informationsdienst des LWD Tirol und „Experten vor<br />
Ort“ sowie interessierten TourengeherInnen und der dabei entgegengebrachte Respekt ha-<br />
ben sicher dazu beigetragen, dass sich individuelle Rückmeldungen in den letzten Jahren<br />
deutlich gehäuft haben und einer weiteren Verbesserung der Lageberichtsqualität zuträg-<br />
lich sind.<br />
Alexander Holaus Seite 91
Lawinenexperten vor Ort<br />
Diskussion<br />
9 Diskussion<br />
Täglich erkundigen sich Tausende von Lawinenkommissionären, Bergführern, Skitouristen<br />
u.a. nach den für die jeweilige Region erstellten Lawinenlagebericht. Vor allem für die<br />
Tourengeher ist er eine unentbehrliche Grundlage für die Tourenplanung. Die Qualität die-<br />
ser Prognose zu kontrollieren ist nicht einfach, denn anders, als bei der Wettervorhersage<br />
ist die prognostizierte Größe, die Lawinengefahrenstufe, nicht direkt messbar. Somit ist<br />
eine objektive Verifikation für viele Experten nicht messbar (Schweizer, 2003).<br />
Für den Schneesportler sind vor allem die Gefahrenstufen „gering“, „mäßig“ und „erheb-<br />
lich“ von Bedeutung. Hier gilt es, die Schneedeckenstabilität zu überprüfen. Je größer die<br />
Lawinengefahr ist, umso geringer ist die Schneedeckenstabilität. Gemäß Definition von<br />
Stufe 2 („mäßig“) ist „... die Schneedecke an einigen Steilhängen nur mäßig verfestigt,<br />
ansonsten allgemein gut verfestigt.“ Größere spontane Lawinen sind nicht zu erwarten,<br />
aber Schneesportler können durchaus vereinzelt noch Schneebrettlawinen auslösen. Dies<br />
objektiv zu messen scheint schier unmöglich zu sein. Die Stufen „große“ und „sehr große<br />
Lawinengefahr“ lassen sich <strong>am</strong> ehesten im Nachhinein über die abgegangenen Lawinen<br />
verifizieren.<br />
Da man „im Nachhinein (fast) immer klüger ist“ und dann meist über zusätzliche Daten<br />
und Beobachtungen verfügt, ist eine rückblickende Einschätzung möglich. Diese muss<br />
zwangsläufig aber auch nicht immer eindeutig und richtig sein (Schweizer, 2003).<br />
Idealerweise geschieht diese Art der Verifikation durch unabhängige Experten, also nicht<br />
durch die Prognostiker selbst. Eine Überprüfung bzw. Korrektur des Lageberichts durch<br />
Bergführer oder erfahrene Tourengeher vor Ort und tägliche Rückmeldungen an die Prog-<br />
nostiker sind Bausteine für aussagekräftige Resultate und künftig optimierte Prognosen.<br />
Insbesondere nach längeren Perioden ohne nennenswerten Schneefall ist die Verifikation<br />
ungleich schwieriger. Bestimmte Anzeichen wie „Wummgeräusche“ oder „Fernauslösun-<br />
gen“ deuten auf Gefahrenstufe 3 („erheblich“) hin. Bei Ausbleiben derselben „Alarmzei-<br />
chen“ kann aber keinesfalls automatisch auf eine geringere Gefahrenstufe geschlossen<br />
werden, wie auch vereinzelte Fernauslösungen noch nicht automatisch Stufe 3 bedeuten.<br />
Schweizer (2003) hält fest „ ...dass die Gefahrenstufen durch die Auslösewahrscheinlich-<br />
keit (natürliche Schneedeckenstabilität und menschliches Einwirken), die flächige Vertei-<br />
lung der Gefahrenstellen und die Größe und Art der Lawinen (Mächtigkeit der abgleiten-<br />
Alexander Holaus Seite 92
Lawinenexperten vor Ort<br />
Diskussion<br />
den Schneeschichten) definiert ist“. Dennoch wird - aus ureigenstem Interesse heraus -<br />
kein Lawinenwarndienst die Lawinengefahr sicherheitshalber um eine Stufe höher ange-<br />
ben, da er ansonsten in kürzester Zeit seine Glaubwürdigkeit verliert. Dies sollte auch für<br />
die Informationsweitergabe bei Liftbetreibern („Gelbe Warnleuchte“ ab Stufe 4 und eine<br />
allenfalls im Skigebiet angegebene Gefahrenstufe für den lokalen Variantenbereich) sowie<br />
andere Tourismusverantwortliche (für Loipen, Winterwanderwege etc.) gelten. Es sollte als<br />
Stärke im Informationsmanagement angesehen werden, wenn allfällig zu niedrig oder zu<br />
hoch angekündigte Gefahrenstufen aufgrund aktueller Ereignisse (Rückmeldungen) korri-<br />
giert werden. Es muss erlaubt sein, „laut nachzudenken“ (Wierer, 2006). Informationen,<br />
die meine zuvor gefällte Entscheidung (auch negativ) beeinflussen könnten, sollten stets<br />
Platz in aktuellen Entschlüssen finden.<br />
Zur Bestimmung der einzelnen Gefahrenstufen scheint die Schneedeckenanalyse ein prak-<br />
tikabler Weg zu sein: Mit einer Vielzahl von Untersuchungen und Stabilitätstests ließe sich<br />
die flächige Variabilität der Schneedecke aufspüren. Der vom Zenke/Kronhaler (2006) für<br />
die Tätigkeit der Lawinenkommissionen angedachte Weg des „Prozessdenkens“ scheint<br />
eine Möglichkeit zu sein, auch mit geringerer Anzahl von Profilen und Stabilitätstests zu<br />
einer annehmbaren Entscheidung respektive Verifikation des Lageberichts zu kommen.<br />
Wiesinger/Kronholm/Schweizer haben in ihren Verifikationsk<strong>am</strong>pagnen rund um Davos<br />
festgestellt, dass der Lagebericht regional gesehen mehrheitlich zutreffend war, die<br />
Schneedeckenstabilität lokal aber große Unterschiede aufwies. Regionen mit insges<strong>am</strong>t<br />
geringeren Neuschneemengen (z.B. der inneralpine Bereich) zeigten allgemein schlechtere<br />
Stabilitätswerte in der Schneedecke auf. Eine Abhängigkeit der Schneedeckenstabilität von<br />
der Höhenlage zeigte sich je nach Aufbau der Schneedecke von Anfang bis Ende des Win-<br />
ters und war über den Untersuchungszeitraum 2001/02 und <strong>2002</strong>/03 jeweils genau entge-<br />
gengesetzt zu beobachten. Insbesondere bei Stufe 3 („erheblich“) konnten bezüglich der<br />
Hangexpositionen große Unterschiede in der Schneedeckenstabilität in den Sektoren Nord<br />
(Stufe 4) und den Sektoren Ost und West (Stufe 3) festgestellt werden. Bei den Stufen 2<br />
und 4 wurde keine Expositionsabhängigkeit festgestellt. Grundsätzlich haben diese Unter-<br />
suchungen rund um Davos gezeigt, dass die regionale Schneedeckenstabilität bei den ver-<br />
schiedenen Gefahrenstufen typische Verteilungen aufweist. Außerdem zeigte sich deutlich,<br />
dass die Verifikation der Lawinengefahr, insbesondere für die Stufen „gering“, “mäßig“<br />
und unter Umständenauch noch „erheblich“ nicht einfach und ein in der Regel aufwendi-<br />
ges Unterfangen ist. Wiesinger (2007) antwortet als Projektleiter dieser Untersuchungen<br />
Alexander Holaus Seite 93
Lawinenexperten vor Ort<br />
Diskussion<br />
auf die Frage, „Welchen Stellenwert hat Ihrer Meinung nach der offizielle Lawinenlagebe-<br />
richt in der Einschätzung der lokalen Lawinengefahr?“, folgendermaßen:<br />
„Der LLB ist so gut wie sein Macher und die Informationen, die dieser hatte. Die Qualität<br />
der Aussagen aus dem LLB, die weit über die Gefahrenstufe hinausgehen sollte, ist von<br />
Tag zu Tag, von Situation zu Situation, von Land zu Land und von Lawinenwarner zu La-<br />
winenwarner unterschiedlich. Üblicherweise sinkt die Trefferquote mit zunehmender Dis-<br />
tanz von dem Ort, an dem sie erstellt wird (wobei die Trefferquote generell schwer über-<br />
prüfbar ist).<br />
Auf die zweite Frage, „ Ist es möglich, die im Lawinenlagebericht angegebene Gefahren-<br />
stufe zu verifizieren? Wenn JA, womit?“, antwortet Wiesinger:<br />
„Darauf habe ich bei Frage eins bereits teilweise geantwortet. Generell ja, aber die Veri-<br />
fikation ist aufwändig und funktioniert über eine große Anzahl von Schneedecken-<br />
untersuchungen, die einerseits die Schneedeckenstabilität, andererseits die Verteilung der<br />
Gefahrenstellen zeigt.“<br />
Laut Wiesinger ließe sich das „ ... mittels 50 - 80 Schneedeckenuntersuchungen pro Tag in<br />
der Wildschönau incl. Rutschblocktest machen.“ Weiters führt er aus: „ Das kann ich so<br />
beantworten, weil ich weiß, dass diese Methode funktioniert. Gleichzeitig ist aber auch<br />
klar, dass diese Methode wenig praxistauglich ist, weil der Aufwand enorm ist. Bei großen<br />
Gefahrenstufen (evtl. 3, meist 4, immer bei 5) ist eine Verifikation ex post durch die Beo-<br />
bachtung und Notierung von Lawinenabgängen möglich. Generell sind die tieferen Gefah-<br />
renstufen schwieriger zu verifizieren.<br />
Auf Frage drei, “Welchen Stellenwert haben ‚Experten vor Ort’ (Lawinenkommissionäre,<br />
Schneeräumpersonal, Jäger, Skilehrer, Bergführer, Alpinpolizisten, erfahrene Tourenge-<br />
herInnen.) in der Verifikation des Lageberichts?“, ist zu lesen:<br />
„Das ist abhängig wie sie in die Verifikation des LLBs organisatorisch eingebunden sind.<br />
In der Schweiz haben wir ein riesiges Netz von Beobachtern verschiedener Qualifikatio-<br />
nen, von denen wir einerseits Einschätzungen, andererseits Beobachtungen erhalten. Dar-<br />
aus lässt sich jedoch keine flächendeckende Verifikation machen, weil die subjektiven Fak-<br />
toren bei der Beobachtung zu groß sind. Zudem ist der Aufwand all diese Puzzlesteine für<br />
25.000 km2 zus<strong>am</strong>menzusetzen sehr, sehr groß und es bleiben immer große Lücken auf der<br />
Landkarte übrig. In der Schweiz hat man versucht eine Verifikation zu installieren (ich war<br />
Projektleiter) hat das Projekt aber wegen unüberwindbarer Hürden auf Eis gelegt. Lokal<br />
Alexander Holaus Seite 94
Lawinenexperten vor Ort<br />
Diskussion<br />
und temporär können gut ausgebildete Leute aber sehr wohl Informationen liefern, die<br />
Aussagen aus dem LLB bestätigen oder nicht.“<br />
Es stellt sich somit die Frage, ob es dem LWD Tirol, anderen Österreichischen Warndiens-<br />
ten aus eigener Kraft oder in Form eines EU-Projekts möglich ist, ähnlichen oder noch<br />
größeren Aufwand zu betreiben, um derlei Datenmaterial zu akquirieren. Der LWD Tirol<br />
(2006) kann auf seriöse und auch konstruktive Rückmeldungen bezüglich der Lawinener-<br />
eignisse und sonstiger Beobachtungen von Laien und Profis zurückgreifen.<br />
Nairz (2003) beschreibt den Versuch einer Verifikation des Tiroler Lageberichts <strong>am</strong> Bei-<br />
spiel des Winters <strong>2002</strong>/03 so:<br />
Ausgangspunkt der Verifikation sind primär sämtliche vom LWD Tirol ausgegebenen La-<br />
winenlageberichte der jeweils abgelaufenen Wintersaison. Jeder LLB stellt dabei das Er-<br />
gebnis aus der Verarbeitung einer Fülle an unterschiedlichen Informationen dar und erhebt<br />
primär für sich den Anspruch, die realen Verhältnisse bestmöglich zu erfassen. Für die<br />
beispielsweise Auswertung des Winters <strong>2002</strong>/03 wurden sämtliche zur Verfügung stehen-<br />
den, insbesondere aber auch jeweils nach Erstellung des LLB einfließenden, sehr umfang-<br />
reichen Daten entsprechend gesichtet. Das Datenmaterial umfasste 830 externe Rückmel-<br />
dungen (von Wintersportlern, Lawinenkommissionen etc.), 150 LWD-eigene Geländeer-<br />
kundungen, 5500 Bilder, 160 Stabilitätsuntersuchungen und tägliche Meldungen von da-<br />
mals 12 eigens beschäftigten Beobachtern, wobei einige von diesen nicht nur in der Früh,<br />
sondern auch noch <strong>am</strong> Nachmittag Informationen übermittelten (Nairz, 2003).<br />
Bei genauer Durchsicht aller Rückmeldungen konnten einige interessante Details festge-<br />
stellt werden: Sämtliche Rückmeldungen waren räumlich völlig zufällig über unser Bun-<br />
desland verteilt. Zeitlich hingegen gingen bei kritischen Lawinensituationen tendenziell<br />
mehr Informationen ein als bei sehr günstigen Verhältnissen (Nairz, 2003). Positive<br />
Rückmeldungen im Sinne von Bestätigungen der Lawinenlageberichte übertrafen jene<br />
Rückmeldungen, die den LLB beanstandeten. Der Zeitpunkt der „negativen“ Rückmeldun-<br />
gen deckte sich mit erstaunlicher Regelmäßigkeit mit jenen Tagen, an denen auch der<br />
LWD selbst (unabhängig davon) aufgrund von eigenen Recherchen die Fehlerhaftigkeit<br />
der ausgegebenen LLB erkannt hatte. Zur Quantifizierung des Endergebnisses für die Vor-<br />
hersagegenauigkeit des LLB wurde primär jeder Tag unter Heranziehung objektiver Krite-<br />
rien qualitativ bewertet. Es erfolgt eine Einteilung in die Kategorien „voll zutreffend“, „zu-<br />
treffend“, „teilweise zutreffend“ und „nicht zutreffend“. Bei der Auswahl der Kriterien<br />
wurde äußerst restriktiv vorgegangen. Resümierend konnten 8 Tage mit fehlerhaftem La-<br />
Alexander Holaus Seite 95
Lawinenexperten vor Ort<br />
Diskussion<br />
winenlagebericht ausgewiesen werden. Von 159 Lawinenlageberichten wurden 136 mit<br />
„voll zutreffend“ eingestuft, 23 als „teilweise zutreffend“ (und somit falsch) und keiner als<br />
„nicht zutreffend“, was einer Trefferquote von 86% entspricht. Die bereits angesprochene<br />
unabhängig davon stattgefundene Untersuchung des DAV-Sicherheitskreises ergab für<br />
besagten Winter eine Trefferquote der Tiroler Lawinenwarndienstes von sogar 91%.<br />
Auch an DI Nairz wurden jene drei Fragen, wie sie schon von Dr. Wiesinger zuvor beant-<br />
wortet wurden, gestellt. Von einer Beantwortung der beiden ersten Fragen, „Welchen Stel-<br />
lenwert hat Ihrer Meinung nach der offizielle Lawinenlagebericht in der Einschätzung der<br />
lokalen Lawinengefahr?“ und „Ist es möglich, die im Lawinenlagebericht angegebene<br />
Gefahrenstufe zu verifizieren? Wenn JA, wie bzw. womit?“ hat DI Nairz aufgrund von Be-<br />
fangenheit (aktive Tätigkeit beim LWD Tirol) Abstand genommen.<br />
Auf Frage drei, “Welchen Stellenwert haben ‚Experten vor Ort’ (Lawinenkommissionäre,<br />
Schneeräum-personal, Jäger, Skilehrer, Bergführer, Alpinpolizisten, erfahrene Tourenge-<br />
herInnen.) in der Verifikation des Lageberichts?“, antwortete er:<br />
“ Generell haben diese einen hohen Stellenwert. Dies hängt selbstverständlich nicht nur<br />
von der entsprechenden Zugehörigkeit zu obiger Gruppen ab (wo durchwegs sehr unter-<br />
schiedlicher Ausbildungsstand gegeben ist bzw. sein kann), sondern noch viel mehr von<br />
persönlichem Interesse und intensiver Auseinandersetzung mit der Materie. ‚Experte’<br />
nennt sich bald jemand ...“<br />
Mair (2007) hält fest:<br />
„Der LLB dient vor allem der groben Vorab-Information (Tourenplanung) ersetzt aber<br />
nicht eigene Beobachtung und Beurteilung vor Ort. Eine Verifikation der Gefahrenstufen<br />
ist vor allem durch spontane Lawinenaktivität möglich: je höher die Gefahrenstufe, desto<br />
mehr Lawinenaktivität sollte zu beobachten sein. Dies ist trotzdem schwierig in Fällen, in<br />
denen z.B. die Auslösewahrscheinlichkeit hoch, die Ges<strong>am</strong>tschneehöhen aber gering sind<br />
(dann können keine großen Lawinen abgehen) Am besten funktioniert Verifikation der Ge-<br />
fahrenstufe durch einen Erkundungsflug mit dem Hubschrauber (dieser wird vom LWD bei<br />
eher kritischen oder unklaren Situationen durchgeführt). Die Informationen von so ge-<br />
nannten „Experten vor Ort“ spielen nur bei persönlich bekannten 'Experten' bzw. dann<br />
eine rolle, wenn der 'Experte' (dieser ist anhand seiner Argumentationen im Gespräch als<br />
solcher erkennbar) Ahnung von den Definitionen der europäischen Lawinengefahrenskala<br />
hat.“<br />
Alexander Holaus Seite 96
Lawinenexperten vor Ort<br />
Diskussion<br />
Aus den Erfahrungen des Katastrophenwinters 1998/99 und politischen Folgerungen her-<br />
aus ist eine professionelle Plattform zur Informationsbeschaffung, Kommunikation und<br />
Dokumentation zum Thema „Lawinen“ entstanden: die „Lawinenwarndienste Kommuni-<br />
kations- und Informationsplattform auf Internetbasis 2003-2005“ (LWDKIP-Interreg. IIIA<br />
Projekt).<br />
In den Berichten des ständigen Ausschusses der Alpenkonvention ist zu lesen:<br />
„ ... Der Entwicklung von modernen Informationssystemen und Maßnahmen zur Verbesse-<br />
rung der Warnung muss vermehrt Beachtung geschenkt werden.“ (S. 20) und<br />
„... Der Verbesserung der Kommunikation sei es zur Information der Öffentlichkeit, der<br />
Betroffenen oder der Helfenden, ist im Falle von Naturkatastrophen vermehrt Beachtung<br />
zu schenken.“ (S. 28)<br />
So wurde zwischen Tirol und Bayern – nachdem das Wetter- und Lawinengeschehen an<br />
den Ländergrenzen nicht Halt macht - mit dem LWDKIP diese grenzübergreifende Kom-<br />
munikations- und Informationsplattform geschaffen. LWDKIP dient den Lawinenkommis-<br />
sionen als Erfahrungs- und Archivierungsmedium für tägliche Beobachtungen, Lawinen-<br />
sprengungen, Sperrorte, registrierte Lawinenabgänge etc. Mit dieser umfassenden Doku-<br />
mentation ist gleichzeitig eine Informationsbereitstellung für die benachbarten Kommissi-<br />
onen in der Region und für die Lawinenwarndienste in Innsbruck und München gegeben.<br />
Der Einsatz von LWDKIP bietet außerdem die Möglichkeit, einer lückenlosen Protokollie-<br />
rung der Kommissionsaktivitäten (Abfrage der Lawinenlageberichte und Wetterberichte,<br />
Beobachtungstätigkeit, Messdatenabruf automatischer Wetterstationen, etc.), was hinsicht-<br />
lich der Nachvollziehbarkeit von Entscheidungsfindungen als großer Vorteil gesehen wird.<br />
Positive Rückmeldungen der Kommissionen der vergangenen Jahre bestätigen die Not-<br />
wendigkeit dieser Einrichtung. Umfangreiche Schulungen folgen und sind bereits im Gan-<br />
ge. Zielsetzung stellt nach wie vor Länder übergreifender, umfassender, schneller und Sys-<br />
tem unabhängiger Informationsfluss zwischen Mess- und Beobachtungsstellen, Lawinen-<br />
kommissionen und Lawinenwarnzentralen auf Basis eines bidirektionalen Informations-<br />
flusses dar. Dies erlaubt auch ständige Verifikationsmöglichkeiten des aktuellen Lagebe-<br />
richtes, was einer sich stets „updatenden Software“ gleichgesetzt werden kann. Insbeson-<br />
dere wird die Integration einer Lawinenereignisdatenbank angestrebt, mit deren Hilfe eine<br />
Möglichkeit für die Lawinenwarndienste eingebaut wird, aktuelle und historische Ereignis-<br />
se in die Entscheidungsfindung einzubauen (LWD Tirol, 2006).<br />
Alexander Holaus Seite 97
Lawinenexperten vor Ort<br />
Diskussion<br />
Für die Untersuchungsregion Wildschönau lässt sich auf Basis der Ergebnisse aus den<br />
Erhebungsbögen feststellen, dass unter Tourengehern nur vereinzelt regelmäßige Stabili-<br />
tätstests und Schneedeckendiagnosen vorgenommen werden. Allerhand Beobachtungen<br />
werden im Kollegenkreis diskutiert. Zur Verifikation eines aktuellen Lageberichts reichen<br />
diese fragmenthaften Bausteine jedoch nur selten aus. Auch wenn vereinzelt in der<br />
Schneedecke nach versteckten Schwachschichten gesucht und aufgrund kleinerer oder<br />
größerer Rutschungen oder Lawinen Vermutungen zu solchen geäußert werden, kann man<br />
daraus noch nicht den für die Region ausgegebenen Lagebericht umwerfen. Vor Ort erge-<br />
ben sich kleinräumig oft sehr unterschiedliche Untersuchungsergebnisse, auf welche ein<br />
regionaler Lagebericht niemals detailliert eingehen könnte. Lokal hat der Tourengeher<br />
bzw. der Sicherheitsverantwortliche für Tourismusflächen bzw. die örtliche Lawinenkom-<br />
mission die aktuelle Situation zu beurteilen. Nachdem sich der LLB aus unzähligen Stabili-<br />
tätstests und Beobachtungen über das ganze Land verteilt, sowie mittlerweile sehr Erfolg<br />
versprechenden Prognosemodellen zus<strong>am</strong>mensetzt, kann die persönliche Einschätzung nur<br />
ein winziger – mitunter aber entscheidender – Puzzleteil im Ges<strong>am</strong>tzus<strong>am</strong>menhang sein.<br />
Wer jemals an ein und demselben Hang verteilt mehrere Stabilitätstests und Schneede-<br />
ckenuntersuchungen angestellt hat, weiß, dass ein und dieselbe kritische Schicht in ver-<br />
schiedener Tiefe auftaucht. Speziell im Randbereich kritischer Hänge kommt diese gerne<br />
sehr nahe an die Oberfläche und kann somit von einem einzelnen Skifahrer leicht gestört<br />
werden und d<strong>am</strong>it in der Fortsetzung ganze Seiten zum Abgehen bringen. Superschwach-<br />
zonen verteilen sich aber für den Beobachter unsichtbar über den ges<strong>am</strong>ten Hang. Diesen<br />
gezielt auszuweichen fällt somit sehr schwer. Jene Personen, die bereits einmal direkt mit<br />
Lawinen in Berührung gekommen sind und von dieser nur knapp verschont bzw. glückli-<br />
cherweise nur „temporär in Besitz“ genommen wurden, bestätigen, dass sie von der Situa-<br />
tion völlig überrascht wurden und die Gefährlichkeit gänzlich unterschätzt haben. Die phy-<br />
sikalischen Gesetzmäßigkeiten innerhalb der Schneedecke beschäftigen sehr viele Wissen-<br />
schafter. Die Materie ist jedoch so komplex, die Hänge von so unterschiedlicher Topogra-<br />
fie und der Schneedeckenaufbau vielfach so unterschiedlich, dass nur mit Wahrscheinlich-<br />
keiten gearbeitet werden kann. Das verbleibende Restrisiko so klein wie möglich zu halten<br />
wird unermüdlich versucht. Vielfach spielen auch wirtschaftliche Überlegungen und<br />
menschliche Faktoren (die menschliche Psyche) in die Entscheidungen des Einzelnen her-<br />
ein, welche - ex post betrachtet – eigentlich ausscheiden sollten: Gruppendruck, ballisti-<br />
Alexander Holaus Seite 98
Lawinenexperten vor Ort<br />
Diskussion<br />
sches Verhalten (einmal eine Entscheidung getroffen, dann werden weitere Inputs nicht<br />
zugelassen), etc.<br />
Seit nunmehr 5 Jahren werden regionale Aufzeichnungen der Lawinenkommission der<br />
<strong>Gemeinde</strong> Wildschönau im Zuge ihrer Tätigkeit zur Sicherung des Siedlungsraumes und<br />
touristischer Flächen (Loipen, Pistenbereiche) mit den offiziell vom Land Tirol zur Verfü-<br />
gung gestellten Informationen verglichen. Insbesondere die im Lagebericht des LWD zu-<br />
sätzlich angeführte Unterscheidung in Bezug auf Höhenlage, Tageszeit und Exposition<br />
überrascht durch ihre Treffergenauigkeit. Besondere Erkenntnisse, allfällige Schneede-<br />
ckenuntersuchungen, diverses Fotomaterial und persönliche Einschätzungen finden ihren<br />
Weg via Internet oder Mobiltelefon zum LWD Tirol nach Innsbruck. Der persönliche Kon-<br />
takt zwischen offiziellem Informationsdienst des LWD Tirol und „Experten vor Ort“ sowie<br />
interessierten TourengeherInnen und der dabei entgegengebrachte gegenseitige Respekt<br />
haben sicher dazu beigetragen, dass sich individuelle Rückmeldungen in den letzten Jahren<br />
deutlich gehäuft haben und einer weiteren Verbesserung der Lageberichtsqualität zuträg-<br />
lich sind. Nairz (2003) schreibt von ausgeglichener Rückmeldemoral (sowohl bei Überein-<br />
stimmung als auch unterschiedlicher Interpretation des Gefahrenpotenzials) und stellt so-<br />
gar leichten Überhang positiver Äußerungen (= Zustimmung zum offiziell ausgegebenen<br />
LLB) fest. Naturgemäß werden Ungereimtheiten immer stärker an die Öffentlichkeit drin-<br />
gen und intensiv diskutiert werden. Was kann dem, der auf den offiziellen Lagebericht<br />
vertraut Besseres passieren, als dass mehrfach überprüft wird, was publiziert wird?<br />
Verifikation durch „Experten vor Ort“ ist auch nach Auffassung von Kröll (2007) möglich.<br />
Bei ihm ist der Begriff „Experten vor Ort“ Anlass zu vorerst ironischer Äußerung:<br />
„In meiner bisherigen Schitouren-Karriere habe ich noch keinen Jäger getroffen, der<br />
kompetent Auskunft geben konnte. In der Steiermark werden Tourengeher von Jägern eher<br />
mit der gezückten Waffe bedroht. Ein Jäger hätte die Möglichkeit ‚Schneekenner’ zu wer-<br />
den/zu sein und hier ist es ebenso wichtig, die Fragen mit den Schlüsselbegriffen genau zu<br />
stellen - sonst ist die Auskunft wertlos.<br />
Skilehrer und Bergführer sind in Abhängigkeit ihres Ausbildungsstandes das interessantes-<br />
te Auskunftspersonal - sprechen die ‚gleiche Sprache’, verwenden Schlüsselbegriffe gleich.<br />
Alpinpolizisten sind in diesem Zus<strong>am</strong>menhang wie Skilehrer oder Bergführer zu sehen.“<br />
Auf die Frage, „welchen Stellenwert der LLB in der Einschätzung der lokalen Lawinenge-<br />
fahr hat“, antwortet Kröll folgendermaßen:<br />
„Der LLB hat zunehmende Bedeutung für die Einschätzung der Lawinengefahr.<br />
Alexander Holaus Seite 99
Lawinenexperten vor Ort<br />
Diskussion<br />
Die Qualität des LLB wird deutlich besser, vor allem in Tirol. Größte Bedeutung hat der<br />
LLB zur Tourenplanung (regional); eine geringere Bedeutung dann lokal; vor Ort - sozu-<br />
sagen zonal (<strong>am</strong> Einzelhang) - kann der LLB korrekt sein, kann aber auch deutlich an Prä-<br />
zision verlieren im Vergleich zur regionalen oder lokalen Verwendung .“<br />
Als <strong>Beispiel</strong> führt Kröll an: „ ...Beurteilung der schattseitigen Kar-Rinne bei der Abfahrt<br />
vom Beil in den Schönanger: hier ist die Beurteilung vor Ort entscheidend; der LLB kann<br />
hier nur geringe Hilfe bieten.“<br />
Auf die Frage, „Ist es möglich, die im Lawinenlagebericht angegebene Gefahrenstufe zu<br />
verifizieren? Wie bzw. womit?, antwortet Kröll:<br />
„Natürlich ist die Verifizierung für den Schneekenner durch Beobachtung und Wertung der<br />
offensichtlichen Gefahrenzeichen (neue Schneebrettauslösungen, Windzeichen auf der<br />
Schneedecke, plötzliche/ lokale Erwärmung, Packschnee, ...), Schneeprofil, Kompressions-<br />
test, Spursteg, ... möglich. Grundsätzlich ist es einfacher, eine Verschärfung vorzunehmen<br />
als eine Verifizierung in Richtung Verbesserung der Situation (v.a. bei Garantenstellung;<br />
hier ist eine präzise Protokollierung der Argumentation anzuraten.“<br />
Veider (2007) stellt fest:<br />
„Der offizielle Lawinenlagebericht ist in der Einschätzung der lokalen Lawinengefahr eine<br />
zusätzliche Informationsquelle … Durch eigene Erfahrung, viele Schneeprofile (3 pro Ex-<br />
position) etc. ist es möglich, die im Lawinenlagebericht angegebene Gefahrenstufe zu ve-<br />
rifizieren.“ „Eine weitere Bewertung/Berechnung“ nimmt er „nach Munter vor.“<br />
„Verifikation ist im örtlichen Bereich (alles, was ich sehen kann: Windfah-<br />
nen/Windtätigkeit, Schneestruktur, Temperatur,....) sehr gut möglich … Experten vor Ort<br />
sind mitunter der wichtigste Teil in der Erstellung des LLB.“<br />
Für Staudinger (2007) hat „ ... der LLB einen hohen Stellenwert in der Einschätzung der<br />
lokalen Lawinengefahr.“<br />
Auch die „Experten vor Ort“ sind seiner Meinung nach „von großer Bedeutung in der Ve-<br />
rifikation des LLB.“<br />
Gemäß diesen Äußerungen kommt dem Lagebericht eine große Bedeutung zu. Diesen vor<br />
Ort nach unten zu korrigieren, bedarf es aber deutlicher und gewichtiger Anzeichen, wie<br />
zum <strong>Beispiel</strong> eine eindeutig geringere Schneehöhe o.ä. Auch die Natur liefert uns eindeuti-<br />
ge Anzeichen, wie etwa spontane Lawinen. Strategische Prognosemodelle – so mangelhaft<br />
sie auch zum Teil scheinen – haben erst zu regionaler Lawinenwarnung geführt (Schwei-<br />
zer, 2003). Leider wird von den Nutzern des offiziellen Lageberichts meist nur die Schlag-<br />
Alexander Holaus Seite 100
Lawinenexperten vor Ort<br />
Diskussion<br />
zeile und die angegebene Gefahrenstufe gelesen, nicht aber die detaillierten Zusatzinfor-<br />
mationen. So ist es nicht verwunderlich, wenn in so mancher Gaststube nach erfolgter Ta-<br />
gestour manch unprofessionelle Äußerung in Bezug auf die früh morgens im Drüberlesen<br />
wahrgenommene Gefahrenstufe fällt. Eine Beurteilung aus dem Gefühl (respektive Bauch)<br />
heraus ist nicht wissenschaftlich und d<strong>am</strong>it nicht zielführend.<br />
Weder die Gefahrenstufe, noch Angaben zu ungünstigen Hangexpositionen und Höhenla-<br />
gen erlauben zu beurteilen, ob ein bestimmter Hang auslösbar ist oder nicht. Der Lawinen-<br />
lagebericht vermag lediglich qualitative und nicht wirklich quantifizierbare Angaben zur<br />
Auslösewahrscheinlichkeit zu geben. Bei der Beurteilung der Gefährdung von Siedlungs-<br />
räumen oder touristisch genützten Flächen aber auch der professionellen Führung von Per-<br />
sonengruppen in den freien Skiraum sind die Anforderungen noch höher. Nachweislich<br />
eingeholte Informationen und bestenfalls auch schriftlich dokumentierte Entscheidungen<br />
zeichnen eine sorgfältige Lawinenbeurteilung aus (Schweizer, 2003).<br />
Die Beurteilung der Lawinengefahr hat den Stellenwert einer Prognose. Jede Prognose, sei<br />
es eine Wirtschafts- oder Wetterprognose, ist das Resultat einer synoptischen Beurteilung<br />
verschiedenster Einflussfaktoren, die es zu gewichten gilt. Fehlprognosen sind an der Ta-<br />
gesordnung, und meist das Ergebnis falscher Gewichtung einzelner Faktoren, oder einer<br />
falschen Abschätzung komplexer Interaktionen zwischen verschiedenen Einflussfaktoren.<br />
Auch der LLB, verfasst von Experten, hat de Stellenwert einer Prognose, die wie Untersu-<br />
chungen gezeigt haben, in rund 70% der Fälle als korrekt bezeichnet werden kann<br />
(Schweizer, 2003).<br />
Dass derzeit in Umlauf befindliche strategische Methoden den Stellenwert von „Verkehrs-<br />
normen“ annehmen, ist nach aktuellem Stand der Wissenschaft nicht zu befürchten. Die<br />
Bedeutung des Lageberichts wird auch in Zukunft sicher nicht abnehmen, auch der Begriff<br />
der „Eigenverantwortlichkeit“ im Tourenbereich lässt sich nicht auf offizielle Stellen ab-<br />
schieben. Künftig, wie heute, wird der LLB dem, der bereit ist, solche anzunehmen, die<br />
nötigen Grundinformationen liefern. Entscheidungen vor Ort müssen in der Natur immer<br />
noch selbst getroffen werden. Hoi (<strong>2002</strong>) hält fest, dass „ ... die überregionale Lawinen-<br />
warnung für den Schitourengeher nur eine begleitende Empfehlung sein kann ... Der La-<br />
gebericht kann nämlich die wichtigen Kriterien der Schneebrettbildung, wie z.B. des Vor-<br />
handensein eines Gleithorizonts, nicht oder nur in seltenen Fällen angeben ...“<br />
Höller(2007) stellt fest:<br />
Alexander Holaus Seite 101
Lawinenexperten vor Ort<br />
Diskussion<br />
„Der Lawinenlagebericht ist sicher ein wichtiges Hilfsmittel für die aktuelle Darstellung<br />
der Lawinengefahr, der Stellenwert wird aber m.E. auch etwas überbewertet. Da der La-<br />
gebericht im Grunde ja auf den Wetterdaten aufbaut, ist der Wetterbericht ein mindestens<br />
ebenso wichtiges Werkzeug wie der Lagebericht, wenn nicht vielleicht sogar das bessere<br />
Hilfsmittel. Eine einigermaßen geschulte Person kann mit Hilfe der Wetterdaten und des<br />
Wetterberichtes sicher auch selbst eine sehr gute Einschätzung der aktuellen Lage vor-<br />
nehmen.<br />
Die Verifikation des Lageberichtes ist ausgeschlossen, weil es objektiv nicht möglich ist,<br />
die ausgegebenen Stufen später zu überprüfen. Anders beim Wetterbericht: eine für einen<br />
bestimmten Zeitpunkt prognostizierte Temperatur kann ganz leicht überprüft werden, in-<br />
dem man zum gegebenen Zeitpunkt den Wert an einem Thermometer abliest.<br />
Experten vor Ort können oft sehr aufschlussreiche Informationen liefern, weil sie ja mit<br />
den örtlichen Gegebenheiten bestens vertraut sind; allerdings gilt dies nur, wenn es sich<br />
um zuverlässige Personen handelt, die die Situation im betreffenden Gebiet wirklich konti-<br />
nuierlich beobachten.<br />
Aus den vielen Expertenmeinungen, von denen einige in dieser Arbeit angesprochen wur-<br />
den, und den Ergebnissen aus den Erhebungen in der Wildschönau lässt sich für mich fest-<br />
stellen, dass die Materie Schneedecke und somit das Lawinenpotenzial vieler Hangexposi-<br />
tionen und Höhenlagen zu verschiedenen Zeitpunkten dermaßen komplex sind, dass strate-<br />
gische Methoden einerseits zwar viele TourengeherInnen zu erhöhter Vorsicht erzogen<br />
haben, diese Methoden andererseits aber wichtige Faktoren der Lawinenbildung zu wenig<br />
detailliert untersuchen bzw. gar nicht berücksichtigen. Strategische Methoden machen den<br />
Laien somit noch lange nicht zum Experten. Wirkliche „Experten vor Ort“ müssten – zum<br />
Vergleich – lokal täglich mehrfach und an verschiedensten Stellen nach genau definierten<br />
Kenngrößen forschen. Dies ist aber nur wenigen hauptberuflich tätigen Profis möglich.<br />
Sonstige - in der Natur tätige - Personen, wie auch erfahrene TourengeherInnen sind mit<br />
ihren Beobachtungen und Einschätzungen als Rückmelder zur Qualitätsoptimierung des<br />
Lageberichts immer willkommen.<br />
Jeder Teil in diesem Puzzle ist von Bedeutung, auch wenn trotz des Fehlens einzelner Stü-<br />
cke das Ges<strong>am</strong>tbild schon längst zu erkennen ist.<br />
Alexander Holaus Seite 102
Lawinenexperten vor Ort<br />
Zus<strong>am</strong>menfassung<br />
10 Zus<strong>am</strong>menfassung<br />
Risiko definiert sich als ein Wahrnehmungsphänomen, das auch durch objektive Verfahren<br />
beschrieben werden kann. Um eine Art Schadensmatrix für spezifische Situationen zu er-<br />
halten, bedient man sich üblicherweise der jeweiligen Elemente des Risikos. D<strong>am</strong>it wird<br />
eine Grobrasterung des Risikos möglich, und d<strong>am</strong>it liegen natürlich auch jene Grundlagen<br />
vor, die eine gezielte Risikoprävention ermöglichen.<br />
Genuine Risikovorbeugung vorweg, nämlich die Berücksichtigung morphologischer Be-<br />
sonderheiten (Gefährdungspotenzial), technischer wie temporärer (Lawinenverbauung,<br />
etc.) Interventionsrahmen und Rettung von Menschenleben und Sachgütern (erhöhte Be-<br />
reitschaft für Hilfseinheiten, Bereitstellen von Gerätschaften, etc.) sowie Katastrophenin-<br />
tervention in der Akutphase, also Interventionsprogr<strong>am</strong>me zur Bewältigung von Katastro-<br />
phen (Evakuierung, medizinische Versorgung, Lebensmittel, etc.) dienen der Risikovor-<br />
beugung (Grossmann/Kulmhofer, 2004).<br />
Diesem Muster ist diese Arbeit gefolgt. Historisches zur Lawinenforschung und ein kurzer<br />
Exkurs in die Lawinenphysik haben den Themenkreis Schnee und Lawinen eingeleitet.<br />
Begriffsdefinitionen, Lawinen bildende Faktoren und Beurteilungsmethoden der Lawinen-<br />
gefahr sowie Präventionsmaßnahmen haben den fachspezifischen Teil vervollständigt. Im<br />
weiterer Folge wurden hydrografische und geologische Grunddaten der Untersuchungsre-<br />
gion, sowie deren wirtschaftliche Positionierung und Infrastruktur als Basisdaten erhoben.<br />
Zentraler Teil der Arbeit war eine empirische Erhebung auf regionaler Ebene, welche ei-<br />
nerseits der Ermittlung des Wissensstandes über lawinenbezogene Themen und Verhal-<br />
tensweisen einer repräsentativen Personengruppe aus der Wildschönau bzw. Kennern der<br />
Region diente. Andererseits erhoffte man sich aus qualitativen Einzelinterviews historische<br />
Ereignisse zum Thema Lawinen in der Wildschönau zu erfahren. Eine bislang nicht vor-<br />
handene Zus<strong>am</strong>menführung vieler Details und kartografische Fassung bekannter Lawinen-<br />
ereignisse vergangener Jahre konnte erstellt werden und sind ab sofort Teil des regionalen<br />
Krisenmanagements in der behördlichen Einsatzleitung respektive örtlichen Lawinen-<br />
kommission.<br />
„Expertenwissen vor Ort“ hat sich als weit gestreut erwiesen. Jeder versucht, bestmögliche<br />
und zuverlässige Informationen für seinen Zuständigkeitsbereich zu akquirieren. Eine Ver-<br />
netzung der zu bestimmten kritischen Zeitpunkten vorhandenen Erkenntnisse wäre wün-<br />
Alexander Holaus Seite 103
Lawinenexperten vor Ort<br />
Zus<strong>am</strong>menfassung<br />
schenswert. Leider kann im Ernstfall nur seltenst auf einen Pool an soliden Basisdaten zu-<br />
rückgegriffen werden. Die Erkenntnisse eines Landwirts in Bezug auf die Gefährdung<br />
durch Schneerutschungen enden meist mit den eigenen Grundgrenzen. Ebenso kann ein für<br />
die Sicherheit touristischer Flächen verantwortlicher Kommissionär das Gefährdungspo-<br />
tenzial seiner Skipisten, Loipen oder Winterwanderwege angeben. Schneeräumpersonal,<br />
das bereits bei mitternächtlichem Wintereinbruch jede Stunde die Neuschneezuwächse und<br />
evtl. Windeinflüsse bzw. größere Temperaturschwankungen mitverfolgen kann, wird sei-<br />
nen Bereich aufgrund kleinerer Anzeichen (Rutschungen) gut abschätzen können. Erhebli-<br />
che Lawinengefahr für den Tourengeher ist nicht automatisch mit der Gefährdung von<br />
Straßen und Siedlungen gleich zu setzen. Eine gemeins<strong>am</strong>e Informationsplattform kann<br />
hier sicher Hilfe bieten. Die Lawinenwarndienste der Alpenregionen erfüllen diese Rolle<br />
meiner Ansicht nach bestmöglich. Aufgrund exzellenter Wetterberichte, spezieller diesbe-<br />
züglicher Prognosen (erwartete Neuschneezuwächse, Winddaten, Strahlungswerte, etc.)<br />
und dem Vergleich eigener Erhebungsdaten mit unzähligen Beobachtermeldungen hat die<br />
Zuverlässigkeit der Lawinenprognosen in den letzten Jahren stark profitiert. Der Input re-<br />
gionaler „Experten vor Ort“ hängt nach Meinung derer, die diese auszuwerten haben, stark<br />
von persönlicher Kompetenz und Eigeninteresse an der Sache ab. Vorhandenem regiona-<br />
lem oder lokalem Lawinenpotenzial auszuweichen ist naturgemäß nicht immer möglich.<br />
Wo dies jedoch (durch temporäre, raumplanerische oder technische Maßnahmen) erreicht<br />
werden kann, bedarf es einerseits solider Grundkenntnisse im Aufbau und der Variabilität<br />
der Schneedecke und andererseits eines gemeins<strong>am</strong>en Vokabulars, über das man im Erst-<br />
fall ohne Missverständnisse kommunizieren kann.<br />
Abschließend darf ich feststellen, dass ich das Recherchieren im Zuge dieser Arbeit sehr<br />
anregend empfunden habe. Ich durfte unter dem Deckmantel meiner Arbeit zahlreiche<br />
Spezialisten und Persönlichkeiten kennen lernen. Dass die Erkenntnisse aus der regionalen<br />
Erhebung auch einem fortführenden Zweck dienlich sei können, war mir ebenfalls ein gro-<br />
ßes Bedürfnis.<br />
Naturgefahrenmanagement wird unseren Alltag in den kommenden Jahrzehnten immer<br />
mehr bestimmen. Alleine in meinen bisherigen kurzen Leben habe ich schon derart massi-<br />
ve Veränderungen in unserer Bergwelt miterlebt, dass ich jede Maßnahme zur Erhaltung<br />
und zum Schutz unseres Erholungsraumes unterstütze. Leider hängt dies aber nicht nur<br />
vom Willen und der Tatkraft „eingesessener Älpler“ ab – dazu muss weltweit umgedacht<br />
und gehandelt werden.<br />
Alexander Holaus Seite 104
Lawinenexperten vor Ort<br />
Zus<strong>am</strong>menfassung<br />
Alexander Holaus Seite 105
Lawinenexperten vor Ort<br />
Literaturverzeichnis/Quellenangabe<br />
Literaturverzeichnis/Quellenangabe<br />
BFW Bundesforschungs- und Ausbildungszentrum für Wald,<br />
Naturgefahren und Landschaft; http://www.bfw.ac.at<br />
BOLOGNESI, Robert 2004: Jahrbuch des Österr. Kuratoriums für Alpine Sicherheit,<br />
S. 218<br />
DE QUERVAIN, Martin 1972: Schnee und Lawinen-Jahresbericht der Schweizeralpen 70/71<br />
ELLENHUBER, Barbara 2005: Marktforschung und Konsumentenverhalten (Skriptum),<br />
FH Kufstein, WS 05/06<br />
ENGLER, Martin 2004: Jahrbuch des Österr. Kuratoriums für Alpine Sicherheit,<br />
S. 218<br />
FÖHN, Paul 1984: Datenerfassung und Auswerteverfahren f. d. Lawinenwar-<br />
nung; Bau Intern, Zeitschrift der Bayerischen Staatsbauverwaltung,<br />
Heft 1-2<br />
GABL, Karl 2000: Land Tirol, Lawinenhandbuch, S. 85 ff<br />
GRIMSDOTTIR, Harpa 2006:Avalanche Risk During Backcountry Skiing<br />
An Analysis of Risk Factors; Natural Hazards 39, S. 127 – 153<br />
GROSSMANN, Gerhard 2004: Medizinsoziologische Aspekte der Krisen- und<br />
Katastrophenforschung, S. 13 ff<br />
HÄGELI, Pascal 2005: Cold Regions Science and Technology, Nr. 47/1-2,<br />
S. 193-206<br />
HAGEN, G. 1998:<br />
http://www.wlv-austria.at/zeitschr/zus<strong>am</strong>menfassungen/heft135<br />
HARBITZ, C. 1998: EU Progr<strong>am</strong>me SAME: A Survey of Computational<br />
Models of Snow Avalanche Motion. Technical report, NGI, Oslo<br />
Alexander Holaus Seite 106
Lawinenexperten vor Ort<br />
Literaturverzeichnis/Quellenangabe<br />
HARVEY, Stefan <strong>2002</strong>: Berg&Steigen 4/06, S. 66 ff<br />
HEUBADER, J. 1998: http://www.wlv-<br />
austria.at/zeitschr/zus<strong>am</strong>menfassungen/heft135<br />
HOI, Klaus 2000: Jahrbuch des Österr. Kuratoriums für Alpine Sicherheit,<br />
S. 66<br />
HOI, Klaus 2003: Leserbrief in Berg&Steigen, 1/03<br />
HÖLLER, Peter 2004: Jahrbuch des Österr. Kuratoriums für Alpine Sicherheit,<br />
S. 215 ff<br />
HOFER, August 2006: Beeideter Mitarbeiter des Landes Tirol, Hydrografie,<br />
Niederschlagsmessungen 1967 bis 2006<br />
JACCARD, Claude 1990: Fuzzy Factorial Analysis of Snow Avalanches;<br />
Natural Hazards 3; S. 329-340<br />
KRIZ, Karel 1998: Hochgebirgskartographie. Silvretta ’98.<br />
Inst. f. Geografie der Uni Wien.; Wiener Schriften zur<br />
Geographie und Kartographie, Band 11, S. 115-129<br />
KRONHOLM, Kalle 2003: Berg&Steigen 4/03, S. 56-59<br />
KRONTHALER, Georg 2006: Berg&Steigen 4/06, S. 56 ff<br />
KULMHOFER, Alexandra 2004: Medizinsoziologische Aspekte der Krisen- und<br />
Katastrophenforschung, S. 13 ff<br />
LACKINGER, Bernhard 2000: Land Tirol, Lawinenhandbuch, S. 85 ff<br />
LAND TIROL 2000: Tiroler Lawinenhandbuch<br />
Alexander Holaus Seite 107
Lawinenexperten vor Ort<br />
Literaturverzeichnis/Quellenangabe<br />
LARCHER, Michael 1997: Die Risikoformel. Das „missing link“ der praktischen<br />
Lawinenkunde? Alpenverein, Heft 2-97. S. 27-31<br />
LARCHER, Michael 1999: Berg&Steigen 4/99, S. 18 ff<br />
LARCHER, Michael 2004: Jahrbuch des Österr. Kuratoriums für Alpine Sicherheit,<br />
S. 217<br />
LUZIAN, Roland 2000: Österreichische Schadenslawinendatenbank, BFW, Nr. 118<br />
LUZIAN, Roland <strong>2002</strong>: Österreichische Schadenslawinendatenbank, BFW, Nr. 175<br />
LWD Tirol Lawinenwarndienst Tirol; http://www.lawine.at/tirol<br />
MAIR, Rudolf 2006: Berg&Steigen 04/06, S. 16<br />
MAIR, Rudolf 2000: Land Tirol, Lawinenhandbuch, S. 207<br />
MAYR, Hans 1997: Wildschönauer Heimatbuch<br />
McCAMMON, Ian 2005: Cold Regions Science and Technology, Nr. 47/1-2,<br />
S. 193-206<br />
McCLUNG, David 2006: Avalanche Risk During Backcountry Skiing –<br />
An Analysis of Risk Factors; Natural Hazards 39, 127 – 153.<br />
MEFFERT, Heribert 2000: Marketingforschung, S. 156 ff<br />
MOSTLER, Herfried 1970: Der Westabschnitt der Nördlichen Grauwackenzone;<br />
Nachrichten der deutschen Geologischen Gesellschaft,<br />
2. Ausgabe<br />
Alexander Holaus Seite 108
Lawinenexperten vor Ort<br />
Literaturverzeichnis/Quellenangabe<br />
MUNTER, Werner 1997: 3x3 Lawinen, Entscheiden in kritischen Situationen<br />
MUNTER, Werner 2003: 3x3 Lawinen, Entscheiden in kritischen Situationen<br />
(überarbeitete Auflage)<br />
NAIRZ, Patrick <strong>2002</strong>: Berg&Steigen 4/02, S. 35 ff<br />
NAIRZ, Patrick 2003: Schnee und Lawinen-Jahresbericht <strong>2002</strong>/03, S. 130 ff<br />
NAIRZ, Patrick 2003: Fachbeiträge der Europäischen Lawinenwarndienste,<br />
München<br />
PODESSER, Alexander 2001: Schnee und Lawinen-Jahresbericht, ZAMG Graz, S. 21 ff<br />
SALM, Bruno 1990: BFW-Praxisinformation Nr. 8; 2005/S. 28<br />
SCHWEIZER, Jürg 2003: Berg&Steigen 4/03, S. 56ff<br />
2006: Berg&Steigen 4/06, S. 66ff<br />
SCHWEIZER, Jürg 2003: Jahrbuch des Österr. Kuratoriums für Alpine Sicherheit,<br />
S. 176 ff<br />
SCHWIERSCH, Martin 2005: Berg&Steigen 4/05, S. 30 ff<br />
SLF Eidgenössisches Institut für Schnee- und Lawinenforschung<br />
Davos http://www.slf.ch<br />
SUDY, Albert 2001: Schnee und Lawinen-Jahresbericht, Z<strong>am</strong>g Graz, S. 21 ff<br />
UNESCO (ed) 1981: Avalanche Atlas<br />
VAN HUSEN, Dirk 1997: Geologische BA Wien,<br />
Illustrated International Avalanche Classification, Paris, 267 pp.<br />
Alexander Holaus Seite 109
Lawinenexperten vor Ort<br />
Literaturverzeichnis/Quellenangabe<br />
VOELLMY, A. 1955: Über die Zerstörungskraft von Lawinen, CH,<br />
Bauzeitung, 73, S 159 ff<br />
WIERER, Stefan 2006: Alpinforum des Österr. Kuratoriums für Alpine Sicherheit,<br />
im Nov. 06<br />
WIESINGER, Thomas 2003: Cold Regions Science and Technology 37(3), S. 277-288<br />
2003: Berg&Steigen 4/03, S. 56ff<br />
WLV Wildbach und Lawinenverbauung Tirol, GBL Östl. Unterinntal;<br />
http://wlv.bmlf.gv.at/gbl.ouinntal<br />
ZENKE, Rudolf 2006: Berg&Steigen 4/06, S. 56 ff<br />
Alexander Holaus Seite 110
Lawinenexperten vor Ort<br />
Abkürzungsverzeichnis<br />
Abkürzungsverzeichnis<br />
LWD Lawinenwarndienst<br />
LLB Lawinenlagebericht<br />
GZP Gefahrenzonenplan<br />
LWDKIP Lawinenwarndienste Kommunikations- und Informationsplattform<br />
Alexander Holaus Seite 111
Lawinenexperten vor Ort<br />
Anhang<br />
Anhang<br />
Erhebungsbogen Fragebogen, welcher an 83 ausgewählte WildschönauerInnen<br />
Lawinenkataster<br />
Wildschönau<br />
Naturgefahrenchronik<br />
Wildschönau<br />
Jahrhundertlawinen<br />
in der Wildschönau<br />
Lawinenlageberichte<br />
1960 bis heute<br />
und Wildschönau-Kenner ausgeteilt wurde<br />
Erhobene potenzielle Lawinenstriche/gefährdete Hänge<br />
(s<strong>am</strong>t zeitlicher Zuordnung – z.T. auch Jährlichkeit)<br />
Aus Fliri, 1998 und Polizeiposten Oberau<br />
Archivmaterial der Wildbach- und Lawinenverbauung (GBL Wörgl)<br />
und des Polizeipostens Oberau<br />
Chronologische Abfolge der diversen LLB aus den Jahren<br />
1960 (erster Tiroler LLB), 1971, 1981, 1991, 2001 und 2007<br />
Alexander Holaus Seite 112
Lawinenexperten vor Ort<br />
Anhang<br />
Alexander Holaus Seite 113
Lawinenexperten vor Ort<br />
Anhang<br />
Alexander Holaus Seite 114
Lawinenexperten vor Ort<br />
Anhang<br />
Alexander Holaus Seite 115
Lawinenexperten vor Ort<br />
Anhang<br />
Alexander Holaus Seite 116
Lawinenexperten vor Ort<br />
Anhang<br />
Alexander Holaus Seite 117
Lawinenexperten vor Ort<br />
Anhang<br />
Lawinenkataster Wildschönau Stand: Jan. 2007<br />
Aufzeichungen<br />
• aus dem Archiv der Wildbach- und Lawinenverbauung Tirol<br />
(DI Andreas Haas, GBL Wörgl)<br />
• dem Archiv des Polizeipostens Oberau mit PKdt. Josef Silberberger<br />
• dem Archiv/Beobachtungen der LK Wildschönau und<br />
• Berichten von „Experten vor Ort“<br />
Diese Aufstellung, wie auch die beigefügte Karte, erheben keinerlei Anspruch auf Voll-<br />
ständigkeit.<br />
Zahl N<strong>am</strong>e Beschreibungen<br />
1<br />
2<br />
3<br />
4<br />
5<br />
6<br />
Gr. Beil<br />
N-Kessel<br />
Kl. Beil<br />
SO-Kessel<br />
Steinermandl<br />
SO-Kessel<br />
Kl. Beil<br />
N-Kessel<br />
Trettlalm<br />
SO-Kessel<br />
Trettl<br />
O-Hänge<br />
Seiner Erinnerung nach 3x sehr groß als Schneebrettlawine abge-<br />
gangen (1969, 1999 und 2005);<br />
Schneebrett (tw. von Beil-N-Lawine überdeckt);<br />
tw. auch kleinflächig als Grundlawine<br />
(Sommmerboden: Almrosen, Stauden)<br />
1999 bis zum Bach runter;<br />
bei gr. Neuschneezuwachs als Großlawine zu erwarten;<br />
Streiferalm 1951 zerstört (genauere Info bei Schoner Toni oder<br />
Schoner Sebastian „Jaggler“ in Oberau);<br />
Abholzung zeugt von Lawinenereignissen verg. Jahre<br />
200-300 Jahre alte Zirben auf scheinbar sicherem Kopf weggefegt;<br />
Trettl-Almhütte bislang an sicherem Platz;<br />
Insbes. im Frühjahr (Grundlawine) aber auch bei gr. Neuschnee-<br />
zuwachs zu beachten;<br />
Ca. 15-20 cm dickes, anfangs 15 m im weiteren Verlauf ca. 100 m<br />
breites Neuschneebrett (von Josef Naschberger/Oberau u.a.) or.<br />
links ausgelöst; bis auf Forstweg zum Baumgartenalm abgegan-<br />
gen;<br />
Alexander Holaus Seite 118
Lawinenexperten vor Ort<br />
Anhang<br />
7<br />
8<br />
9<br />
10<br />
Baumgartenalm-Kessel<br />
NO- bis SO-Hänge<br />
Saupanzen<br />
O- bis S-Hänge<br />
Seekopf<br />
N-Hänge<br />
Joel<br />
O-Seite<br />
11 Gern<br />
N-Hänge<br />
12<br />
Wildkarspitze (Zirben-<br />
kopf)<br />
W-Seite<br />
13 Schweigberghorn<br />
W-Kessel<br />
14 Breitegg<br />
W-Seite<br />
15 G<strong>am</strong>skar-Kundl<br />
W-Flanke<br />
16 Schlag<br />
(Gressenstein-Straße)<br />
17 Holzalm<br />
SO-Flanke<br />
Jährlich abgehende Hänge rund um die Almhütte; tw. auch schon<br />
beschädigt; großräumiges Ausweichen (Waldschutz) angesagt;<br />
Früher wurde über Ostseite gerne ohne Höhenverlust reingequert;<br />
Heute eher tieferes Absteigen in die Ebene oder überhaupt west-<br />
seitig umgangen;<br />
Südseite regelm. im Frühjahr auf Armrosen abgehende Grundla-<br />
wine;<br />
Aufstieg über diese Seite eher steil, im flacheren Ausstieg große<br />
Zugbelastung auf Schneedecke;<br />
Schneebrettunfall mit Viktor Kruckenhauser/Mariastein<br />
Alle 15 bis 20 Jahre ges<strong>am</strong>te Seite;<br />
Schlag Richtung Aschbach st<strong>am</strong>mt von diesen Schneemassen;<br />
Jährlich Schneebrettabgänge (kleinräumig)<br />
1 tödl. Lawinenunfall (Contagan-Jugendlicher, Jan.1980)<br />
1 Blindeinsatz mit 36 Helfern/Rettern (Feb. 2006)<br />
Einzug (unterhalb des Sommersteiges) für große Lawine Richtung<br />
Schönanger im Winter 70/71 über jetzigen Parkplatz bis Kundler<br />
Ache. 1992 als Nassschneelawine bis unter die Almhöfe<br />
Tödl. Unfall Stadler Kornel (Schneebrett); Zeuge: Sandbichler<br />
Josef („Obinghäusl“ Oberau);<br />
Schneebrettunfall mit 1 Verschüttung (im Jan.06);<br />
eingeblasene Mulde an Geländekante ausgelöst;<br />
(Info/Foto: G.Silberberger, Hubert Holzer)<br />
Alle 5-10 Jahre in größerem Ausmaß; tw. bis zur Ache,<br />
sonst auch nur im oberen und unteren Bereich getrennt;<br />
Allwinterliche Rutschungen auf und über Forststraße;<br />
bei beträchtlichen Neuschneemengen auch im Hochwinter, sonst<br />
speziell im Frühjahr gefährlich;<br />
Tw. größere Schneebrettlawinen bekannt<br />
Haag in 50er-Jahren beschädigt<br />
(Info: Simon „Dummern“ Hörbiger)<br />
Alexander Holaus Seite 119
Lawinenexperten vor Ort<br />
Anhang<br />
18 Rosskopf<br />
NO-Flanke<br />
19 Rosskopf<br />
N-Hang<br />
20 Gipfellift<br />
N-Hang<br />
21 Steinrinne<br />
22 Pemberg-Schlag<br />
S-Hang<br />
Jährlich abgehend (z.T. als Schneebrett, im Frühjahr als Grundla-<br />
wine)<br />
1 Verschüttung (1963) bekannt<br />
Verschüttung einer Schülergruppe (10 Pers.) durch Schneebrett<br />
von über Wanderweg zur A.Graf-Hütte liegendem Hang (jetziger<br />
Pistenbereich)<br />
Rutschungen aus lichtem Wald auf darunter liegendes Gelän-<br />
de/Gehöft<br />
23 Sonnberg 1951<br />
24 Berschwend<br />
Beschädigung des Essbaum-Gehöfts (1954)<br />
Wh im Jahr 1976 (?) als „Windschnee-Lawine“ (= ca. 1 m Neu-<br />
schnee bei eisigen Temp.)<br />
1954; urspr. Anrissgebiet mittlerweile gut verwachsen;<br />
Feb. 2006 (Rutschung bedroht Zufahrt Sonnbergstüberl)<br />
25 Eindillental Jährliche Rutschung aus steilen Wiesen - auch über die Straße<br />
26 Leirerfeld<br />
Hangrutschung aufgrund starker Durchfeuchtung über die Straße<br />
(im Feb. 2006)<br />
27 Viechwände jährliches Verschütten der Straße auf „Neuhögen“ zu<br />
28 Neuhögen Nordseite problematische Seite; meist spontan über beide Straßenabschnitte<br />
Grafiken (Kartenmaterial) hier nicht angehängt!<br />
Alexander Holaus Seite 120
Lawinenexperten vor Ort<br />
Anhang<br />
Chronologisch gereihte Lawinenlageberichte vergangener Jahrzehnte<br />
(herausgesucht und dankenswerter Weise zur Verfügung gestellt von DI Patrick Nairz, LWD Tirol,)<br />
Erster Lawinenlagebericht des Amtes der Tiroler Landesregierung aus dem Jahr 1960<br />
Alexander Holaus Seite 121
Lawinenexperten vor Ort<br />
Anhang<br />
Zus<strong>am</strong>menfassung des LLB vom 5.März 1971 für Österreich<br />
Alexander Holaus Seite 122
Lawinenexperten vor Ort<br />
Anhang<br />
Tiroler Lawinenlagebericht vom 5. März 1971<br />
Alexander Holaus Seite 123
Lawinenexperten vor Ort<br />
Anhang<br />
LLB aus Vorarlberg, Kärnten und Salzburg vom 5. März 1971<br />
Alexander Holaus Seite 124
Lawinenexperten vor Ort<br />
Anhang<br />
Tiroler Lawinenlagebericht vom 9. Januar 1981<br />
Alexander Holaus Seite 125
Lawinenexperten vor Ort<br />
Anhang<br />
Detaillierter Lagebericht für Kühtai – Praxmar vom 9. Januar 1981<br />
Alexander Holaus Seite 126
Lawinenexperten vor Ort<br />
Anhang<br />
Zus<strong>am</strong>menfassung des LLB vom 9. Januar 1981 für Österreich<br />
Alexander Holaus Seite 127
Lawinenexperten vor Ort<br />
Anhang<br />
LLB aus Vorarlberg, Kärnten und Salzburg vom 9. Januar 1981<br />
Alexander Holaus Seite 128
Lawinenexperten vor Ort<br />
Anhang<br />
Amt der Tiroler Landesregierung<br />
Lawinenwarndienst<br />
Lagebericht<br />
vom Sonntag, den 22. Dezember 1991<br />
Allgemeines:<br />
Die äußerst kritische Lawinensituation hält auch heute in ganz Nordtirol und <strong>am</strong> Osttiroler<br />
Tauernk<strong>am</strong>m an. In den vergangenen 24 Stunden sind erneut 30 bis 50cm Schnee gefallen.<br />
Es sind weitere, teils ergiebige Niederschläge zu erwarten, wobei die Schneefallgrenze bis<br />
2000m ansteigt. Auf den Bergen wehen stürmische Winde aus Nordwest.<br />
Verkehrswege:<br />
In allen nicht entladenen Lawinenstrichen muß aufgrund der außergewöhnilichen Schnee-<br />
verhältnisse mit Lawinen gerechnet werden, wobei diese bis in Tallagen reichen können..<br />
Auf Exponierten Verkehrsverbindungen muß mit einer allgemein großen Lawinengefahr<br />
gerechnet werden.<br />
Tourenbereich:<br />
Wir raten derzeit dringend vor Skitouren und Fahrten abseits gesicherter Pisten ab. Nur im<br />
südlichen Osttirol sind Skitouren bei Beachtung einer örtlich mäßigen Schneebrett- gefahr<br />
möglich.<br />
Die aktuellen Wetterdaten:<br />
Wind:<br />
Zugspitze 7.00 Uhr: N 41 km/h Böen 122 km/h<br />
Patscherkofel 7.00 Uhr: NNW 41 km/h Böen 82 km/h<br />
Wendelstein 7.00 Uhr: NW 78 km/h Böen -- km/h<br />
Sonnblick 7.00 Uhr: N 22 km/h Böen 137 km/h<br />
Villacher Alm 7.00 Uhr: SW 20 km/h Böen -- km/h<br />
Temperatur in 2000m ansteigend auf 0 Grad, in 3000m ansteigend auf -4Grad.<br />
Neuschnee:<br />
Arlberg, Außerfern: 10 bis 20 cm Nördl.Ötzt.+Stub.A.: 25-48 cm<br />
Nordalpen: 50 cm Südl.Ötzt.+Stub.A.: bis 38 cm<br />
Kitzbühel: 30 cm Zillertal: bis 48 cm<br />
Silvretta: 55 cm Osttirol Tauern: 23-38 cm<br />
Osttirol Dolomiten: 25 cm<br />
Den nächsten Lagebericht hören Sie im Telefontonband ab Montag, ca. 8 Uhr.<br />
Mag. Raimund MAYR<br />
Alexander Holaus Seite 129
Lawinenexperten vor Ort<br />
Anhang<br />
Tiroler Lawinenlagebericht vom 21. Dezember 1999<br />
Alexander Holaus Seite 130
Lawinenexperten vor Ort<br />
Anhang<br />
Tiroler Lawinenlagebericht vom 18. Januar 2001<br />
Alexander Holaus Seite 131
Lawinenexperten vor Ort<br />
Anhang<br />
Aktueller Lagebericht aus dem Jahre 2006<br />
Alexander Holaus Seite 132
Lawinenexperten vor Ort<br />
Anhang<br />
Schadlawine 1954: Essbaum-Hof (F<strong>am</strong>ilie Mühlegger, Oberau)<br />
Aufzeichungen aus dem Jahr 1983 von OR Bergthaler (WLV Tirol, GBL Wörgl)<br />
Fotos: Hans Mühlegger, Oberau<br />
Alexander Holaus Seite 133
Lawinenexperten vor Ort<br />
Anhang<br />
Berichte von Hans und Frieda Mühlegger, Essbaum-Oberau 1983:<br />
Quelle: WLV Tirol, GBL Wörgl<br />
Alexander Holaus Seite 134
Lawinenexperten vor Ort<br />
Anhang<br />
Bericht von Johann Seisl, Bembergbauer inOberau 1983:<br />
Quelle: WLV Tirol, GBL Wörgl<br />
Alexander Holaus Seite 135
Lawinenexperten vor Ort<br />
Anhang<br />
Fotos: Berghofer, WLV 1983<br />
Alexander Holaus Seite 136
Lawinenexperten vor Ort<br />
Anhang<br />
Fotos: Berghofer, WLV 1983<br />
Alexander Holaus Seite 137
Lawinenexperten vor Ort<br />
Anhang<br />
Originalkopie des Erhebungsblattes von OR Berghofer, WLV, 1983<br />
zur Errechnung des GZP (gelbe/rote Zone):<br />
Quelle: WLV Tirol, GBL Wörgl<br />
Alexander Holaus Seite 138
Lawinenexperten vor Ort<br />
Anhang<br />
Schneedatenblatt des Hydrografischen Dienstes, Land Tirol, OL Berghofer, WLV, 1983<br />
Alexander Holaus Seite 139
Lawinenexperten vor Ort<br />
Anhang<br />
Quelle: WLV Tirol, GBL Wörgl<br />
Alexander Holaus Seite 140
Lawinenexperten vor Ort<br />
Anhang<br />
Quelle: WLV Tirol, GBL Wörgl<br />
Alexander Holaus Seite 141
Lawinenexperten vor Ort<br />
Anhang<br />
Quelle: WLV Tirol, GBL Wörgl<br />
Alexander Holaus Seite 142
Lawinenexperten vor Ort<br />
Anhang<br />
Quelle: WLV Tirol, GBL Wörgl<br />
Alexander Holaus Seite 143
Lawinenexperten vor Ort<br />
Anhang<br />
Quelle: WLV Tirol, GBL Wörgl<br />
Alexander Holaus Seite 144
Lawinenexperten vor Ort<br />
Anhang<br />
Quelle: WLV Tirol, GBL Wörgl<br />
Von OL Berghofer wurden zwei weitere Schadenslawinen des Jahres 1954 in derselben<br />
präzisen Art aufgenommen:<br />
• Berschwendlawine (Oberau-Sonnberg)<br />
Sonnhoflawine (Oberau)<br />
Alexander Holaus Seite 145
Lawinenexperten vor Ort<br />
Anhang<br />
Im Archiven der Wildbach- und Lawinenverbauung GBL Wörgl (östliches Unterinntal)<br />
und des Polizeipostens Oberau konnte diese Aufstellung von<br />
Schadenslawinen in der Wildschönau gefunden werden:<br />
Aufstellung der nachfolgend beschriebenen Lawinenereignisse.<br />
(Die laufenden Nummern entsprechen den St<strong>am</strong>mblättern des d<strong>am</strong>aligen<br />
Gendarmeriepostens Oberau.)<br />
Alexander Holaus Seite 146
Lawinenexperten vor Ort<br />
Anhang<br />
Alexander Holaus Seite 147
Lawinenexperten vor Ort<br />
Anhang<br />
Alexander Holaus Seite 148
Lawinenexperten vor Ort<br />
Anhang<br />
Alexander Holaus Seite 149
Lawinenexperten vor Ort<br />
Anhang<br />
Alexander Holaus Seite 150
Lawinenexperten vor Ort<br />
Anhang<br />
Alexander Holaus Seite 151
Lawinenexperten vor Ort<br />
Anhang<br />
Alexander Holaus Seite 152
Lawinenexperten vor Ort<br />
Anhang<br />
Alexander Holaus Seite 153
Lawinenexperten vor Ort<br />
Anhang<br />
Alexander Holaus Seite 154
Lawinenexperten vor Ort<br />
Anhang<br />
Alexander Holaus Seite 155
Lawinenexperten vor Ort<br />
Anhang<br />
Alexander Holaus Seite 156
Lawinenexperten vor Ort<br />
Anhang<br />
Alexander Holaus Seite 157
Lawinenexperten vor Ort<br />
Anhang<br />
Alexander Holaus Seite 158
Lawinenexperten vor Ort<br />
Anhang<br />
Lawinenkataster der hinteren Wildschönau (1965)<br />
(eine Rarität aus dem Archiv der WLV Tiol, GBL Wörgl)<br />
Alexander Holaus Seite 159
Lawinenexperten vor Ort<br />
Anhang<br />
Alexander Holaus Seite 160