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8.2 Methodischer Ansatz am Beispiel „Winter 2002/03“ - Gemeinde ...

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„Eingrenzung potenzieller Lawinengefahr<br />

mit Hilfe von Aufzeichnungen und Beobachtungen<br />

von Experten bzw. der Bevölkerung<br />

vor Ort. Eine empirische Erhebung auf regionaler<br />

Ebene, dargestellt <strong>am</strong> Bereich der<br />

Wildschönau.“<br />

DIPLOMARBEIT<br />

zur Erlangung des Titels<br />

„Akademischer Krisen- und Katastrophenmanager“<br />

Eingereicht <strong>am</strong> 31. Jan. 2007 bei: Prof. Dr. Gerhard GROSSMANN<br />

Wissenschaftliche Betreuung: DI Dr. Peter HÖLLER<br />

Eingereicht von: Dipl.päd. Alexander HOLAUS,<br />

6313 Wildschönau-Auffach 324<br />

Universitätslehrgang „Sozioökonomisches und Psychosoziales<br />

Krisen- und Katastrophenmanagement“ an der UMIT in Hall/Tirol<br />

Studienbeginn: 2005


EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG<br />

„Ich erkläre hiermit an Eides statt, dass ich die vorliegende Diplomarbeit<br />

selbständig angefertigt habe. Die aus fremden Quellen direkt oder indirekt<br />

übernommenen Gedanken sind als solche kenntlich gemacht und angeführt.<br />

Die Arbeit wurde bisher weder in gleicher noch in ähnlicher Form einer ande-<br />

ren Prüfungsbehörde vorgelegt und auch noch nicht veröffentlicht.“<br />

Hall, <strong>am</strong> 31. Jan. 2007<br />

.....................................................<br />

Alexander Holaus


Lawinenexperten vor Ort<br />

Danksagung<br />

Danksagung<br />

Wer in den Bergen aufgewachsen ist, hat das große Privileg, die Jahreszeiten mit all ihren<br />

Schönheiten und Eigenheiten zu erleben. Die letzten Jahrzehnte haben uns jedoch gelehrt,<br />

dass unser Planet Erde ein sehr sensibles Gebilde ist und der technische Fortschritt mit<br />

seinen die Annehmlichkeiten begleitenden Problemen, wie etwa dem Klimawandel, seinen<br />

Preis hat. Dem Naturgefahrenmanagement kommt nach den massiv auftretenden Ereignis-<br />

sen der letzten Jahre künftig ein noch höherer Stellenwert zu. Mein Interesse an solchen<br />

Themen hat sich aufgrund der gravierenden Veränderungen in unseren heimatlichen Ber-<br />

gen (Gletscherrückgang, fortschreitende Erosion der Gebirge, Hochwasser, extreme, kurz-<br />

zeitige Temperaturschwankungen etc.) sehr stark ausgeprägt.<br />

Die Beschäftigung mit der Lawinenthematik hat durch die angeregte Diskussion mit fol-<br />

genden Personen und deren Unterstützung in meinen Fragestellungen und diversen Anlie-<br />

gen neue Perspektiven eröffnet:<br />

Ich bedanke mich bei Herrn DI Dr. Peter Höller vom Institut für Naturgefahrenforschung<br />

der Forstlichen Bundesversuchsanstalt in Innsbruck, für die wissenschaftliche Betreuung<br />

und seine kollegiale Art der Wissensvermittlung, den Herren Mag. Rudi Mayr und DI Pat-<br />

rick Nairz vom Tiroler Lawinenwarndienst sowie DI Hannes Niedertscheider, Abteilung<br />

Raumodnung, und DI Klaus Niedertscheider, Abteilung Hydrografie, vom Amt der Tiroler<br />

Landesregierung, für die erforderlichen Daten, Herrn DI Andreas Haas, vom Amt für<br />

Wildbach- und Lawinenverbauung (GBL Unterinntal-Wörgl), für seine beratende Tätigkeit<br />

und Einsicht in regionale Aufzeichnungen, Frau Dr. Barbara Ellenhuber (FH Kufstein) für<br />

ihre Tipps und Unterlagen in Sachen Fragebogenerhebung, dem Bürgermeister der Ge-<br />

meinde Wildschönau, Herrn Peter Riedmann, seinem <strong>Gemeinde</strong>rat und Herrn Amtsleiter<br />

Bernhard Silberberger, für ihr Wohlwollen und ihre Geduld, dem Landespolizeikommando<br />

Tirol und Herrn Postenkommandant Josef Silberberger für die Einsicht in lawinenrelevante<br />

Akten <strong>am</strong> Posten Oberau, den Kollegen der Lawinenkommission der <strong>Gemeinde</strong> Wildschö-<br />

nau, für ihre Gespräche und ihre Mithilfe, Herrn August Hofer für die Daten und Einsicht<br />

in seine Niederschlagsaufzeichnungen, meinen K<strong>am</strong>eradInnen der Bergrettungsortsstellen<br />

Auffach und Wörgl, der Betriebsleitung und den Mitarbeitern der Wildschönauer Berg-<br />

bahnen sowie der Wildschönauer Bevölkerung für das Ausfüllen der Erhebungsbögen und<br />

die angeregte Diskussion, Herrn Ing. Werner Hofer (hard-soft Informationstechnologie<br />

Holaus I


Lawinenexperten vor Ort<br />

Danksagung<br />

GmbH) und seinen MitarbeiterInnen für ihre Unterstützung in technischen Belangen, so-<br />

wie meinem Direktor und KollegInnen an der Musikhauptschule Wildschönau.<br />

Trotz vieler Entbehrungen in den abgelaufenen zwei Jahren hat mich meine F<strong>am</strong>ilie in<br />

meinen Bestrebungen stets unterstützt und mit Liebe und Zuspruch über so manche Hürde<br />

getragen.<br />

Herzlichen Dank dafür!<br />

Holaus II


Lawinenexperten vor Ort<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

DANKSAGUNG I<br />

INHALTSVERZEICHNIS III<br />

ABBILDUNGSVERZEICHNIS VI<br />

TABELLENVERZEICHNIS VIII<br />

1 EINLEITUNG 1<br />

1.1 MOTIVATION ZUR THEMATIK: 1<br />

1.2 METHODIK UND AUFBAU DER ARBEIT 3<br />

2 GRUNDLEGENDES ZUR LAWINENTHEMATIK 4<br />

2.1 HISTORISCHER RÜCKBLICK ZUR LAWINENFORSCHUNG 4<br />

2.2 BEGRIFFSDEFINITIONEN 8<br />

2.2.1 BEGRIFFSDEFINITION EINER „LAWINE“ 8<br />

2.2.2 BEGRIFFSDEFINITION VON „LAWINENGEFAHR“ 9<br />

2.2.3 BEGRIFFSDEFINITION „LAWINENEINTRITTSWAHRSCHEINLICHKEIT“ 9<br />

2.2.4 BEGRIFFSDEFINITION „OBJEKTPRÄSENZWAHRSCHEINLICHKEIT“ 9<br />

2.2.5 BEGRIFFSDEFINITION „SCHADENSAUSMAß“ 9<br />

2.2.6 BEGRIFFSDEFINITION VON „LAWINENRISIKO“ 10<br />

2.3 KLASSIFIKATION VON LAWINEN 11<br />

2.4 BEWEGUNG VON LAWINEN 13<br />

2.5 ZERSTÖRUNGSKRAFT VON LAWINEN 18<br />

3 FAKTOREN DER LAWINENBILDUNG 21<br />

3.1 TOPOGRAPHISCHE FAKTOREN 22<br />

3.1.1 HANGNEIGUNG 22<br />

3.1.2 EXPOSITION 24<br />

3.1.3 VEGETATION 26<br />

3.2 METEOROLOGISCHE UND NIVOLOGISCHE FAKTOREN 27<br />

3.2.1 NIEDERSCHLÄGE 27<br />

3.2.2 WIND 28<br />

3.2.3 TEMPERATUR 29<br />

3.2.4 SCHNEEDECKENAUFBAU 29<br />

Holaus III


Lawinenexperten vor Ort<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

4 BEURTEILUNG DER LAWINENGEFAHR 31<br />

4.1 LAWINENLAGEBERICHT/BULLETIN 31<br />

4.1.1 AUFBAU UND INHALT DES LAWINENLAGEBERICHTES 33<br />

4.1.2 ENTWICKLUNG DES LAWINENLAGEBERICHTS IN TIROL 39<br />

4.1.3 MÖGLICHKEITEN UND GRENZEN DES LAWINENLAGEBERICHTS 41<br />

4.1.4 METHODEN DER VORHERSAGEÜBERPRÜFUNG IN DEN ALPENREGIONEN 41<br />

4.2 INSTRUMENTE DER EXPERTEN 43<br />

4.2.1 STATISTISCHE METHODEN 44<br />

4.2.2 DETERMINISTISCHE METHODEN 45<br />

4.2.3 EXPERTENSYSTEME 46<br />

4.3 INSTRUMENTE FÜR DEN LAIEN 49<br />

4.3.1 STRATEGISCHE METHODEN ZUR EINSCHÄTZUNG DES LAWINENRISIKOS 49<br />

4.3.1.1 Reduktionsmethode nach Munter 49<br />

4.3.1.2 stop or go 51<br />

4.3.1.3 SnowCard 52<br />

4.3.1.4 NivoTest 53<br />

4.3.2 BEURTEILUNG DER STRATEGISCHEN METHODEN 54<br />

4.3.3 ERSTE DIGITALE HANGNEIGUNGSKARTEN 56<br />

4.3.4 TIROLER RAUMORDNUNGS-INFORMATIONSSYSTEM 2006 57<br />

5 WEITERE PRÄVENTIONSMAßNAHMEN 58<br />

6 BESCHREIBUNG DES UNTERSUCHUNGSGEBIETES 63<br />

6.1 GEOGRAFISCHE LAGE 63<br />

6.2 GEOLOGIE DER WILDSCHÖNAU 64<br />

6.3 KLIMATISCHE VERHÄLTNISSE UND HYDROGRAFIE 69<br />

6.4 BEVÖLKERUNG, WIRTSCHAFT UND INFRASTRUKTUR DES UNTERSUCHUNGSGEBIETES<br />

WILDSCHÖNAU 71<br />

7 METHODIK DER ERMITTLUNGEN 72<br />

8 VERIFIKATION DES LAGEBERICHTS 74<br />

8.1 ERGEBNISSE AUS DEM FRAGEBOGEN IN DER REGION WILDSCHÖNAU 74<br />

<strong>8.2</strong> METHODISCHER ANSATZ AM BEISPIEL „WINTER <strong>2002</strong>/<strong>03“</strong> 90<br />

9 DISKUSSION 92<br />

10 ZUSAMMENFASSUNG 103<br />

Holaus IV


Lawinenexperten vor Ort<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

LITERATURVERZEICHNIS/QUELLENANGABE 106<br />

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS 111<br />

ANHANG 112<br />

Holaus V


Lawinenexperten vor Ort<br />

Abbildungsverzeichnis<br />

Abbildungsverzeichnis<br />

Abbildung 1-1: aus Landeskunde Tirol (Dr. Riegler, PädAk des Landes Tirol, 2005) ......................................1<br />

Abbildung 2-1: Katastrophenlawine im Großen Walsertal 1954 (Landesbildstelle Vorarlberg) .....................4<br />

Abbildung 2-2: Gegenüberstellung Ges<strong>am</strong>tschadenslawinen-Unfalllawinen in Österreich (Luzian, <strong>2002</strong>).....6<br />

Abbildung 2-3: Siedlungsraum gefährdende Lawinen in Österreich in der Periode 1967/68 bis 1992/93.......6<br />

Abbildung 2-4: Siedlungsraum gefährdende Lawinen in Tirol; Periode 1967/68 bis1992/93..........................7<br />

Abbildung 2-5: Künstlich ausgelöste Lawine (Land Tirol, 2000, Foto: Ing. Federer) ....................................8<br />

Abbildung 2-6: Anrissmächtigkeit einer Schneebrettlawine (Foto: LWD Tirol)..............................................12<br />

Abbildung 2-7: „Fischmaul“-artiges Öffnen (Gleiten) der Schneedecke auf dem Boden (Foto: A. Holaus) .13<br />

Abbildung 2-8: Staublawine in Hochfügen (LWD Tirol, 1999).......................................................................14<br />

Abbildung 2-9: Entwicklung einer Lawine und Lawinenbewegung (Land Tirol, 2000)..................................15<br />

Abbildung 2-10: Aufbau einer gemischten Trockenschneelawine (BFW, 1998) ............................................16<br />

Abbildung 2-11: Verteilung von Dichte und Geschwindigkeit in einer gemischten Lawine ...........................16<br />

Abbildung 2-12: Galtür 1999 (Land Tirol, 2000, Foto: Raimund Mayr).........................................................18<br />

Abbildung 2-13: Paznaun 1999 (Land Tirol, 2000) .........................................................................................19<br />

Abbildung 2-14: Lawinensturzbahn „Farnkaserlawine“ und Stütze einer ehemaligen Maetrialseilbahn als<br />

„stumme Zeugen“ (roter Kreis = Standort der Stütze); Foto: A. Holaus ........................................................20<br />

Abbildung 3-1: Gewichtete Einflüsse der lawinenbildenden Faktoren auf die Lawinengefahr (Jaccard,<br />

1990) ................................................................................................................................................................21<br />

Abbildung 3-2: Zus<strong>am</strong>menhang zwischen Hangneigung und durchschnittlicher Häufigkeit von Lawinen<br />

(ÖROK, 1986) ..................................................................................................................................................23<br />

Abbildung 3-3: Prozentuelle Häufigkeit der Hangneigungen von Unfalllawinen pro Gefahrenstufe (steilste<br />

Hangpartie innerhalb der Anrissfläche, gemessen auf der Karte M 1: 25000). ..............................................24<br />

Abbildung 3-4: Unfalllawinen im Vergleich zu befahrenen Expositionen - – in Wahrscheinlichkeiten<br />

ausgedrückt (Grafik: Grimsdottir/McClung, 2006). ........................................................................................25<br />

Abbildung 3-5: Lawinen-Wahrscheinlichkeiten in den einzelnen Expositionen (Grafik:<br />

Grimsdottier/McClung, 2006). .........................................................................................................................25<br />

Abbildung 3-6: Oberflächenreif (Munter, 2003)..............................................................................................26<br />

Abbildung 3-7: Seehöhen der Anbruchgebiete (Luzian, 2003).........................................................................27<br />

Abbildung 4-1: Europäische Lawinengefahrenskala (LWD Tirol, 2003) .......................................................32<br />

Abbildung 4-2: Europäische Hilfsmatrix zur Erstellung des LLB für die Lawinenwarndienste (LWD Bayern,<br />

2003) ................................................................................................................................................................34<br />

Abbildung 4-3: Europäische Hilfsmatrix zur einheitlichen Größendefinition von Lawinen - in Anlehnung an<br />

das Kanadische Modell (LWD Tirol, 2003) .....................................................................................................36<br />

Abbildung 4-4: Definition von „geringer“ bzw. „großer Zusatzbelastung“ (LWD Tirol, 2003)..................37<br />

Abbildung 4-5: Erster Lawinenlagebericht LWD Tirol aus dem Jahre 1960 (LWD Tirol, 2006)...................39<br />

Abbildung 4-6: aktuelles Layout des Tiroler Lageberichts (LWD Tirol, 2007) ...............................................40<br />

Abbildung 4-7: Instrumente und Methoden im synergetischen Einsatz zur näherungsweisen Bestimmung der<br />

Holaus VI


Lawinenexperten vor Ort<br />

Abbildungsverzeichnis<br />

Lawinengefahr (modifiziert nach Föhn, 1984).................................................................................................43<br />

Abbildung 4-8: Bedienungsoberfläche von NXD (Quelle: SLF Davos) ..........................................................44<br />

Abbildung 4-9: Grafische Darstellung der von SNOWPACK verarbeiteten Werte in der Schneedecke (SLF<br />

Davos, 2005) ....................................................................................................................................................45<br />

Abbildung 4-10: Galtür im Februar 1999 (Quelle: Land Tirol) .....................................................................46<br />

Abbildung 4-11: Dichtere und schwächere Schichten lassen sich <strong>am</strong> Schneeprofil im Gegenlicht gut<br />

unterscheiden (Munter, 2003) ..........................................................................................................................47<br />

Abbildung 4-12: 3x3 Reduktionsmethode nach Werner Munter, 2000............................................................50<br />

Abbildung 4-13: Strategiekärtchen Stop or go von Michael Lacher 1999, ÖAV ............................................51<br />

Abbildung 4-14: SnowCard (Martin Engler, 2000) .........................................................................................52<br />

Abbildung 4-15: NivoTest-Kärtchen (Bolognesi, 2000)..................................................................................53<br />

Abbildung 4-16: Schüler beim Messen der Hangneigung mit selbst kreierter Karte (Foto: A. Holaus).........55<br />

Abbildung 4-17: Ausschnitt aus der Lawinengefährdungskarte M 1 : 30000 aus dem Bieltal (Kriz, 2001)..56<br />

Abbildung 4-18: Geländeinformationskarte vom Bieltal (Quelle: tiris 2007).................................................57<br />

Abbildung 5-1: Permanente Stützverbauung im Anrissbereich (WLV, 2003) .................................................58<br />

Abbildung 5-2: <strong>Beispiel</strong> eines Lawinenkatasters anhand de <strong>Gemeinde</strong> Neustift im Stubaital: rot…jährlich,<br />

blau…3 bis 20 jährlich, gelb…> 50 jährlich. (ÖROK, 1986) ..........................................................................59<br />

Abbildung 5-3: Die Lawinenverbauungen verhindern ein Anbrechen von Lawinen (Foto: Wildbach- und<br />

Lawinenverbauung Tirol).................................................................................................................................60<br />

Abbildung 5-4: GZP von Neustift/Stubaital (tiris, 2006).................................................................................61<br />

Abbildung 5-5: Der Lawinenkeil dient zur Ablenkung auftreffender Kräfte (Foto: Wildbach- und<br />

Lawinenverbauung)..........................................................................................................................................62<br />

Abbildung 5-6: Die Lawinengalerie bietet (richtig dimensioniert) 100%igen Schutz (Foto: Wildbach- und<br />

Lawinenverbauung Tirol).................................................................................................................................62<br />

Abbildung 6-1: Die Wildschönau mit Nachbargemeinden (Land Tirol, 2006) ...............................................63<br />

Abbildung 6-2: Grauwackenzone mit Wildschönau (Mostler, 1973) ...............................................................64<br />

Abbildung 6-3: Rest-Kalkstock im nördlichsten Teil der Wildschönau (Foto: A. Holaus) ..............................64<br />

Abbildung 6-4: Der „Wildschönauer See“ (Quelle: Wildschönauer Heimatbuch von H. Mayr,1993) ..........65<br />

Abbildung 6-5: Buntsandstein und Schiefer prägen das Landschaftsbild der Wildschönau (Fotos: A. Holaus)<br />

..........................................................................................................................................................................66<br />

Abbildung 6-6: Quarzphyllit (umgewandelter Tonschiefer mit hohem Quarzanteil) .......................................67<br />

Abbildung 6-7: Blick von der Breitegg-Alm auf Großen und Kleinen Beil (Foto: Wildschönauer Heimatbuch,<br />

H. Mayr 1993)..................................................................................................................................................67<br />

Abbildung 6-8: Alpine Eismassen bis in den Süddeutschen Raum (van Husen, 1997)....................................68<br />

Abbildung 6-9: Findlingsbrunnen und Moränenreste in Auffach-Zetten(Fotos: A. Holaus) ...........................69<br />

Abbildung 6-10: Wildbachverbauung oberhalb Niederau-Wildenbachsiedlung (Fotos: A. Holaus)...............69<br />

Abbildung 6-11: Jahresniederschlag in Mühltal der Jahre 1967 bis 2005 (A. Hofer, 2006)...........................70<br />

Holaus VII


Lawinenexperten vor Ort<br />

Tabellenverzeichnis<br />

Tabellenverzeichnis<br />

Tabelle 2-1: Internationale Lawinenklassifikation (Unesco, 1981) .................................................................11<br />

Tabelle 2-2: Geschwindigkeiten und Schneedichte verschiedener Lawinenarten (Unesco, 1991) ..................18<br />

Tabelle 2-3: Vorkommende Druckverhältnisse (Land Tirol., 2000).................................................................19<br />

Tabelle 2-4: Zerstörungskraft bestimmter Stoßdrücke (Land Tirol., 2000) .....................................................19<br />

Tabelle 2-5: Zus<strong>am</strong>menhang zw. Wahrscheinlichkeit von Lawinenabgängen und der Vegetation (Land Tirol,<br />

2000) ................................................................................................................................................................20<br />

Tabelle 5-1: Maßnahmen zur Reduktion des Risikos (SLF, 1998)..........................................................58<br />

Tabelle 5-2: Kriterien zur Erstellung des GZP (BLF, 1976)............................................................................61<br />

Tabelle 6-1: Schneehöhen in Mühltal (Quelle: A. Hofer, 2006) ......................................................................70<br />

Tabelle 8-1: Rücklauf der Erhebungsbögen.....................................................................................................75<br />

Tabelle 8-2: Altersverteilung............................................................................................................................76<br />

Tabelle 8-3: Interesse an der Thematik............................................................................................................76<br />

Tabelle 8-4: Tägliches Abrufen des LLB..........................................................................................................77<br />

Tabelle 8-5: Zusatzinformationen im LLB werden als „wichtig“ erachtet. .....................................................77<br />

Tabelle 8-6: Beschäftigung mit LLB - je nach Tätigkeit...................................................................................78<br />

Tabelle 8-7:Frage nach eigenen Wetteraufzeichnungen..................................................................................78<br />

Tabelle 8-8: Untersuchungen in stets selber Hangneigung/-Exposition ..........................................................79<br />

Tabelle 8-9: Frage nach eigenen Schneedeckenuntersuchungen.....................................................................79<br />

Tabelle 8-10: Frage nach eigenen Schneedeckenuntersuchungen...................................................................80<br />

Tabelle 8-11: Versuch, eigene Lawinenprognosen anzustellen........................................................................80<br />

Tabelle 8-12: Eigenständige Prognosen stimmen mit offiziellem LLB überein................................................81<br />

Tabelle 8-13: Angegebene Warnstufe (1-5) ist verständlich ............................................................................81<br />

Tabelle 8-14: Versuch, eigene Lawinenprognosen anzustellen........................................................................82<br />

Tabelle 8-15: Selbst prognostizierte Lawinenereignisse der vergangenen Jahre sind eingetroffen. ...............82<br />

Tabelle 8-16: Die Witterungslage kann Lawinenabgänge beeinflussen...........................................................83<br />

Tabelle 8-17: Unterschiedliche Bewirtschaftungsformen begünstigen mitunter Lawinenbildung...................83<br />

Tabelle 8-18: Mehr Lawinen durch aufgelassene Weideflächen......................................................................84<br />

Tabelle 8-19: Verminderung der Lawinengefahr durch regelmäßiges Abgrasen/Mähen................................84<br />

Tabelle 8-20: Lawine in der Praxis in der Region Wildschönau beobachtet...................................................85<br />

Tabelle 8-21: Lawinenereignis in der Wildschönau kann dokumentiert werden .............................................85<br />

Tabelle 8-22: Selbst einem Lawinenereignis nur knapp entgangen.................................................................86<br />

Tabelle 8-23: In Besitz persönlicher Aufzeichnungen zu Lawinen...................................................................86<br />

Tabelle 8-24: Kenntnis von Rutschungen/Lawinen der letzten Jahre. .............................................................87<br />

Tabelle 8-25: Zeitliche und inhaltliche Zuordnung einzelner Lawinenereignisse ...........................................87<br />

Tabelle 8-26: Mehr Lawinen durch aufgelassene Weideflächen......................................................................88<br />

Tabelle 8-27: Herrschende Witterungsverhältnisse bestimmten Lawinen zuordnen........................................88<br />

Holaus VIII


Lawinenexperten vor Ort<br />

Tabellenverzeichnis<br />

Tabelle 8-28: Frage nach Personen, die erwähnenswerte Lawinen relevante Beobachtungen im Raum<br />

Wildschönau gemacht haben............................................................................................................................89<br />

Holaus IX


Lawinenexperten vor Ort<br />

Einleitung<br />

1 Einleitung<br />

1.1 Motivation zur Thematik:<br />

Das Unterinntal mit seiner Geräumigkeit der Siedlungsfläche und seiner transit- und verkehrsgünstigen<br />

Lage bildet heute den wirtschaftlich stärksten Raum Tirols. Festzuhalten ist<br />

die große Bedeutung des Fremdenverkehrs in den Seitentälern des Inntales wie im Zillertal,<br />

Achental, Alpachtal, in der Wildschönau und im Brixental.<br />

Abbildung 1-1: aus Landeskunde Tirol (Dr. Riegler, PädAk des Landes Tirol, 2005)<br />

Nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich in vielen Orten der Zweisaisonen-Tourismus durch-<br />

gesetzt wobei in den letzen Jahren der einträglichere Wintertourismus den Sommertouris-<br />

mus überholt hat (vgl. Abb. 1-1). Auch die einheimische Bevölkerung profitiert massiv<br />

von den touristischen Einrichtungen, wie Skiliften, Loipen, Rodelbahnen, Winterwander-<br />

wegen etc. Der Absicherung dieser Bereiche kommt eine wesentliche Rolle im Sicher-<br />

heitsangebot der Region zu. Speziell schneereiche Winter fordern Gefahrenmanagement<br />

vor Ort und rechtfertigen die mitunter erhöhten Kosten für Aus- und Weiterbildung der<br />

Lawinenkommissionen wie auch den Ausbau oft kostspieliger Präventionsmaßnahmen,<br />

wie Schutzverbauungen diverser Bauart. Sichere Wege zur Arbeitsstelle, im Siedlungs-<br />

raum und touristischen Erholungsfeld stellen eine Lebensgrundlage im alpinen Raum dar.<br />

Alexander Holaus Seite 1


Lawinenexperten vor Ort<br />

Einleitung<br />

Aus den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte haben sowohl Wissenschaft als auch Politik<br />

gelernt und etliches Forschungsgeld frei gemacht.<br />

Aufgrund meiner Qualifikation als Berg- und Skiführer und meines persönlichen Interesses<br />

<strong>am</strong> Thema „Lawinenschutz“ wurde ich vor nunmehr sechs Jahren in die Lawinenkommis-<br />

sion der <strong>Gemeinde</strong> Wildschönau berufen. Jährliche Fortbildungen in diesem Metier (so-<br />

wohl in rechtlicher, psychologischer und vorwiegend fachlicher Hinsicht) haben mein Inte-<br />

resse und außerdem mein Wissen in Bezug auf Lawinen vervollständigt.<br />

Etliche Institute im In- und Ausland beschäftigen sich seit Jahrzehnten mit dem Phänomen<br />

Schnee und der d<strong>am</strong>it verbundenen Lawinenproblematik. Hunderte von wissenschaftlichen<br />

Arbeiten wurden verfasst, empirische und wissenschaftlich gestützte Erhebungen versu-<br />

chen sich in einer Verifikation bislang angenommener Tatsachen. Tausende Ereignisse<br />

führen die Theorie immer wieder an ihre physikalischen Wurzeln zurück und mahnen uns,<br />

die Natur nicht beherrschen zu können. Viele Probleme sind hausgemacht (z.B. die Besied-<br />

lung der Alpentäler bis in unwegs<strong>am</strong>e und objektiv gefährdete Bereiche) und tragen mit<br />

den nicht vorhersehbaren klimatischen Veränderungen ebenso dazu bei, dass wir trotz wis-<br />

senschaftlichen und explodierenden technischen Fortschritts unsere Grenzen wieder neu<br />

ziehen müssen. Das Wissen um die Gefährdung bestimmter Bereiche bei speziellen Wet-<br />

terlagen (massive Niederschläge in kürzester Zeit, Temperaturanstieg bis in hohe Lagen,<br />

starker Windeinfluss zur Zeit der Niederschläge, etc.) aber auch durch die geänderten Be-<br />

wirtschaftungsformen unserer Wiesen und Wälder ist in der Bevölkerung vor Ort überra-<br />

schend gut verankert.<br />

Wissenschaftlich gestützte Prognosen in Verbindung mit dem Feedback aus den jeweiligen<br />

Regionen sind unerlässliche Faktoren in der Optimierung einer seriösen Lageeinschätzung.<br />

Lawinen – als Gefahr und Chance - stellen teils große Anforderungen an die Politik, was<br />

Budgetierung und leistbare Prävention angeht. Wissenschaftlich gestützte Prognosemodel-<br />

le haben in letzter Zeit unglaublich große Dienste geleistet, lassen sich regional gesehen<br />

aber immer noch durch systematisches Beobachten, fundierte Aufzeichnungen und Wissen<br />

von Experten vor Ort optimieren.<br />

Somit soll anhand der ausgewählten Region Wildschönau vorhandenes regionales Wissen<br />

zum Thema Schnee und Lawinen zus<strong>am</strong>mengeführt werden.<br />

Alexander Holaus Seite 2


Lawinenexperten vor Ort<br />

Einleitung<br />

1.2 Methodik und Aufbau der Arbeit<br />

Diese Arbeit teilt sich zum Einen in den Bereich der Lawinenthematik im Allgemeinen.<br />

Grundlagenforschung von historischem Rückblick, Begriffsdefinitionen, Klassifizierung<br />

von Lawinen, den darin auftretenden, teils zerstörerischen Kräften bis hin zu Lawinen bil-<br />

denden Faktoren sollen Einblick in die Materie verschaffen. Ein weiterer wesentlicher Ab-<br />

schnitt ist die Beurteilung von Lawinen. Experten und auch Laien stehen dazu verschiede-<br />

ne in diesem Kapitel aufgezeigte Methoden zur Verfügung. Mit der Vorstellung des Unter-<br />

suchungsgebietes Wildschönau im Tiroler Unterland in geologischer, klimatischer, demo-<br />

grafischer und wirtschaftlicher Hinsicht wird auf die Kernthematik der Lawinengefahren-<br />

prävention mit Hilfe von Expertenwissen vor Ort übergeleitet. Möglichkeiten der Verifika-<br />

tion des Lawinenlageberichts werden anhand von konkreten <strong>Beispiel</strong>en dargestellt und ein<br />

Vergleich der Methoden angeführt. Insbesondere eine empirische Erhebung auf regionaler<br />

Ebene mit Hilfe eines Fragebogens und eingehender Gespräche mit ausgewählten Perso-<br />

nen, welche aufgrund ihrer Tätigkeiten in der Region Wildschönau (privat oder beruflich)<br />

in den „Expertenkreis“ erhoben wurden, liefert Basisdaten zur Thematik. Die Analyse der<br />

Ergebnisse und ein Lawinenkataster der Untersuchungsregion auf Basis der Aufzeichnun-<br />

gen und des Wissens dieser Personen führen schlussendlich zur Diskussion.<br />

Anhand des <strong>Beispiel</strong>s Wildschönau wird versucht darzustellen,<br />

• welche Aufzeichnungen bislang in der zu untersuchenden Region geführt wurden,<br />

• ob daraus Schlüsse für Folgeereignisse/-jahre gezogen werden können,<br />

• inwieweit Aufzeichnungen aus einer bestimmten Region zur Erstellung oder Unter-<br />

stützung eines lokalen Lageberichts dienlich sein können,<br />

• welches des Wissens bzw. Erfahrung bestimmter vor Ort tätiger Personen nötig ist,<br />

um potenzielle Lawinengefahr eingrenzen zu können und<br />

• ob es möglich ist, den ausgegebenen offiziellen Lawinenlagebericht auf Grund von<br />

Beobachtungen, Aufzeichnungen und Untersuchungen vor Ort zu verifizieren.<br />

Die Ergebnisse werden der <strong>Gemeinde</strong> Wildschönau zur weiteren Verwendung zur Verfü-<br />

gung gestellt und sollen insbesondere der präventiven Tätigkeit der örtlichen Lawinen-<br />

kommission wertvolle Grundlage bieten.<br />

Alexander Holaus Seite 3


Lawinenexperten vor Ort<br />

Grundlegendes zur Lawinenthematik<br />

2 Grundlegendes zur Lawinenthematik<br />

2.1 Historischer Rückblick zur Lawinenforschung<br />

Berichte über Lawinenereignisse in der Geschichte reichen weit zurück:<br />

Eintragungen in den ältesten Rechnungsbüchern der landesfürstlichen K<strong>am</strong>mer von Tirol<br />

(um 1300) bestätigen, dass einzelnen Personen die Zahlung der Steuer wegen Verwüstung<br />

ihrer Felder durch Lawinen erlassen wurde.<br />

Große Lawinen ereigneten sich in Österreich im 15. Jahrhundert (22 Tote alleine in der<br />

Ortschaft Lähn im Jahre 1456) und im 17. Jhdt. mit 120 Tote im Montafon und wieder 21<br />

Toten in Lähn im Jahre 1689 (Luzian, <strong>2002</strong>).<br />

Vinzenz Pollack leitete in den Jahren 1880 bis 1884 die Errichtung der ersten Lawinen-<br />

stützverbauungen zum Schutz der Westr<strong>am</strong>pe des Arlbergs der d<strong>am</strong>aligen k.u.k. Staats-<br />

bahnen. Somit kann er als Begründer der Lawinenforschung in Österreich bezeichnet wer-<br />

den.<br />

Abbildung 2-1: Katastrophenlawine im Großen Walsertal 1954 (Landesbildstelle Vorarlberg)<br />

Alexander Holaus Seite 4


Lawinenexperten vor Ort<br />

Grundlegendes zur Lawinenthematik<br />

Im Jahr 1912 gab das k.u.k. Ackerbauministerium das Ziel, Unterlagen über Lawinenab-<br />

gänge planmäßig zu s<strong>am</strong>meln, vor. D<strong>am</strong>it wurden die Voraussetzungen für eine ges<strong>am</strong>tös-<br />

terreichische lawinenkundliche Forschung geschaffen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wur-<br />

de die Schneeforschungsstelle der Sektion Innsbruck der Wildbach- und Lawinenverbau-<br />

ung zur vorbeugenden Lawinenforschung in der Wattener Lizum eingerichtet. Nach den<br />

Katastrophenereignissen der Jahre 1951 (135 Tote) und 1954 (119 Tote) mit insges<strong>am</strong>t 271<br />

Toten im Bundesgebiet, war eine der wichtigsten Erkenntnisse, dass annähernd zwei Drit-<br />

tel der Lawinen unterhalb der potenziellen Waldgrenze abgehen (s. Abb. 2-1). Somit<br />

wechselte man in das 2000m hoch gelegene Obergurgl, um dort Methoden der Hochlagen-<br />

aufforstung zu erproben, welche die teuren und technisch aufwendigen Verbauungsmaß-<br />

nahmen ersetzen sollten. Im Jahre 1963 wurde diese Forschungsstelle als Außenstelle für<br />

subalpine Waldforschung der Forstlichen Bundesversuchsanstalt in Wien (FBVA) einge-<br />

gliedert und 1966 dem Institut für Wildbach und Lawinenverbauung zugeteilt. Zunehmen-<br />

de Besiedlung in den inneralpinen Tälern und die Errichtung der dafür erforderlichen Inf-<br />

rastruktur erforderten bereits in den Siebzigerjahren außerordentliche Schutzmaßnahmen,<br />

was auch aufgrund fehlender Forschungsgelder zu enger Zus<strong>am</strong>menarbeit mit dem Eidge-<br />

nössischen Institut für Schnee- und Lawinenforschung in Davos/CH geführt hat. Jahrzehnte<br />

lange Untersuchungen zur Lawinenthematik an den Universitäten Innsbruck, Salzburg,<br />

Graz und der Universität für Bodenkultur in Wien und die außerordentlich hohen Schäden<br />

der Lawinenwinter 1974 und 1984 führten zur Gründung des Instituts für Lawinenkunde an<br />

der FBVA in Innsbruck im Jahre 1985, heute als Institut für Wildbach- und Lawinenschutz<br />

tätig (Land Tirol, 2000). Mag. Roland Luzian von der Forstlichen Bundsversuchsanstalt in<br />

Innsbruck ist es in zwei Arbeiten gelungen, eine Österreichische Schadenlawinendaten-<br />

bank (s. Abb. 2-2) mit annähernd lückenlosen Daten aus den Wintern 1967/68 bis 1992/93<br />

zu erstellen. Dabei wurden Lawinenereignisse erfasst, durch die Menschen verschüttet oder<br />

menschliche Güter beschädigt worden sind (Luzian, <strong>2002</strong>).<br />

Um Maßnahmen zum Schutz vor Lawinen (1999: Galtür mit 31 Toten) treffen zu können,<br />

wurden in den letzten Jahren einerseits Methoden entwickelt, welche historische Ereignisse<br />

in die aktuelle Entscheidung mit einfließen lassen oder physikalische Prozesse in der<br />

Schneedecke nachbilden und andererseits Modelle erdacht, die eine Lawinenbewegung<br />

möglichst wirklichkeitsnah simulieren und als Ergebnis Geschwindigkeiten, Auslauflängen<br />

und Druckverteilungen liefern (vgl. Kapitel 4). Diese Ergebnisse finden Berücksichtigung<br />

in der Gefahrenzonenplanung sowie bei der Dimensionierung von Abriss-, Ablenk- und<br />

Alexander Holaus Seite 5


Lawinenexperten vor Ort<br />

Grundlegendes zur Lawinenthematik<br />

Bremsverbauungen. Lawinen gehören neben Felsstürzen und Muren zu den bedeutenden<br />

alpinen Naturgefahren. Allein in Österreich sind nach Luzian (<strong>2002</strong>) 5.800 Lawinenstriche<br />

registriert, die den Siedlungsraum gefährden.<br />

Abbildung 2-2: Gegenüberstellung Ges<strong>am</strong>tschadenslawinen-Unfalllawinen in Österreich (Luzian, <strong>2002</strong>)<br />

Die Abbildung 2-3 zeigt sehr anschaulich die Konzentration österreichischer Schadensla-<br />

winen auf den Bereiche Karnischer K<strong>am</strong>m und die hochalpinen Täler im Tiroler Oberland.<br />

Abbildung 2-3: Siedlungsraum gefährdende Lawinen in Österreich in der Periode 1967/68 bis 1992/93<br />

(Luzian, <strong>2002</strong>)<br />

Alexander Holaus Seite 6


Lawinenexperten vor Ort<br />

Grundlegendes zur Lawinenthematik<br />

In der folgenden, vergrößerten Ansicht von Tirol zeichnen sich die <strong>Gemeinde</strong>n des Pitz-<br />

Ötz- und Stubaitaltales, sowie das Paznaun als besonders schadenslawinenanfällige Berei-<br />

che aus (s. Abb. 2-4).<br />

Abbildung 2-4: Siedlungsraum gefährdende Lawinen in Tirol; Periode 1967/68 bis1992/93<br />

(Luzian, <strong>2002</strong>)<br />

Derlei statistische Arbeit ermöglicht, aus der Entwicklung der Lawinenschäden in der Ver-<br />

gangenheit Prognosen für die Zukunft abzuleiten. So wird es möglich, raumplanerisch auf<br />

die künftige Risikoentwicklung einzuwirken, die sehr stark sowohl durch Verbauungsmaß-<br />

nahmen als auch durch Nutzungsänderungen (Ausweitung der Siedlungen, Intensivierung<br />

des Fremdenverkehrs) beeinflusst werden. Die Risikoanalysen sollten vom regionalen (Be-<br />

zirk) bis zum lokalen (ein Skigebiet) Bereich skaliert werden. Mit Hilfe weiterer mathema-<br />

tisch-statistischer Analyseverfahren können daraus Signifikanzen und Zufälligkeiten sicht-<br />

bar gemacht werden und d<strong>am</strong>it bessere Entscheidungsgrundlagen für integrale Schutzkon-<br />

zepte geschaffen werden (Luzian, <strong>2002</strong>).<br />

Voraussetzung sind lückenlose und vergleichbare, standardisierte Datens<strong>am</strong>mlungen, wel-<br />

che durch die zunehmende Technisierung (online-Datenbanken etc.) und europaweite Ver-<br />

netzung künftig immer leichter verfügbar sein sollten.<br />

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Grundlegendes zur Lawinenthematik<br />

2.2 Begriffsdefinitionen<br />

2.2.1 Begriffsdefinition einer „Lawine“<br />

Unter einer Lawine (lat. labi: gleiten; rätorom. labina: Erdfall) sind<br />

„...Schneemassen zu verstehen, die bei raschem Absturz auf steilen Hängen, in Gräben u.ä.<br />

infolge der Bewegungsenergie oder der von ihnen verursachten Luftdruckwelle oder durch<br />

ihre Ablagerungen Gefahr oder Schäden verursachen kann. Ein Gemisch von mehr oder<br />

weniger Luft mit vorwiegend körnigen Schneeteilchen rutscht, fließt, kollert und stiebt<br />

bzw. fällt frei zu Tal und erreicht durch das Zus<strong>am</strong>menspiel von Masse und Geschwindig-<br />

keit seine Zerstörungskraft. Als Lawine bezeichnet man den ges<strong>am</strong>ten Bewegungsvorgang,<br />

beginnend mit dem Anbruch des abgelagerten Schnees im Anbruchgebiet. Durch die vor-<br />

gegebene Geländeform bestimmt, bewegt sich der Schnee in der Sturzbahn zu Tal, in der<br />

im Allgemeinen kein Lawinenschnee liegen bleibt. Erst wenn die Sturzbahn auf längerer<br />

Strecke ausreichend flach (20° bis 10°) wird, spricht man von der Auslaufstrecke der La-<br />

wine. Hier verringert sich die Bewegung bis zum Stillstand, und der Lawinenschnee bleibt<br />

im Ablagerungsgebiet liegen.“ (Land Tirol, 2000)<br />

Das Ablagerungsgebiet kann nach Internat. Lawinenklassifikation (Unesco, 1981) je nach<br />

Lawinentyp und Hangneigung unterschiedlich groß sein und sogar den Gegenhang mit<br />

einschließen. Außerdem unterscheidet man den Ablagerungsbereich fließender Schnee-<br />

massen und den darüber hinausreichenden Streubereich mit den Ablagerungen von Staub-<br />

lawinen (vgl. Kapitel 2.3: Lawinenklassifikation).<br />

Abbildung 2-5: Künstlich ausgelöste Lawine<br />

(Land Tirol, 2000, Foto: Ing. Federer)<br />

Alexander Holaus Seite 8


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Grundlegendes zur Lawinenthematik<br />

2.2.2 Begriffsdefinition von „Lawinengefahr“<br />

Unter Lawinengefahr verstehen wir die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer Lawine in<br />

einem vorgegebenen Gebiet. Die vorgegebene Zone kann den ganzen Lawinenzug oder<br />

auch nur Teile davon wie Anrissgebiet, Teile der Sturzbahn oder des Lawinenauslaufes<br />

umfassen. Die Lawinengefahr ist somit wesentlich durch die Schneedeckenstabilität sowie<br />

durch die Lawinenauslaufstrecke bestimmt. Die Schneedeckenstabilität ist grundsätzlich<br />

durch das Verhältnis von mechanischen Spannungen zu den entsprechenden Festigkeiten<br />

bestimmt (SLF, 1996).<br />

2.2.3 Begriffsdefinition „Lawineneintrittswahrscheinlichkeit“<br />

Die Eintrittswahrscheinlichkeit ist gleichzusetzen mit der Verkleinerung der Wahrschein-<br />

lichkeit des Auftretens von Lawinen <strong>am</strong> Ort der zu schützenden Objekte und Personen.<br />

Die Eintrittswahrscheinlichkeit von Lawinen (T ... Wiederkehrdauer) errechnet sich:<br />

P(L) = 1/T<br />

Eine Wiederkehrdauer von 300 Jahren bedeutet, dass die Lawineneintrittswahrscheinlich-<br />

keit 0,003 ist.<br />

Die Wahrscheinlichkeit P(X > 0), dass z.B. ein Gebäude innerhalb von n Jahren einmal<br />

betroffen ist, berechnet sich:<br />

P(X > 0) = 1 - (1 - 1/T) n<br />

D.h., ein Gebäude in einer nur alle 300 Jahre betroffenen Zone wird in einem Zeitraum von<br />

50 Jahren 0,153 betroffen sein.<br />

2.2.4 Begriffsdefinition „Objektpräsenzwahrscheinlichkeit“<br />

Die Präsenzwahrscheinlichkeit gibt an, mit welcher Wahrscheinlichkeit Objekte, Installa-<br />

tionen, Bauten, Menschen, Wald etc. einer möglichen Gefährdung (Lawinenwirkung) aus-<br />

gesetzt sind.<br />

2.2.5 Begriffsdefinition „Schadensausmaß“<br />

Das Schadenausmaß quantifiziert die Größe des möglichen Schadens.<br />

Alexander Holaus Seite 9


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Grundlegendes zur Lawinenthematik<br />

2.2.6 Begriffsdefinition von „Lawinenrisiko“<br />

Berücksichtigt man zur Lawinengefahr auch noch den schädigenden Einfluss von Lawinen<br />

auf Menschen und Infrastruktur, so spricht man per definitionem vom Lawinenrisiko.<br />

R = P(L) . P(O) . P(A) . Vo<br />

P(L) Lawineneintrittswahrscheinlichkeit<br />

P(O) Objektpräsenzwahrscheinlichkeit<br />

P(A) Ausmaßwahrscheinlichkeit<br />

Vo Werte der Objekte<br />

Bei Objektrisiken stellt die Ausmaßwahrscheinlichkeit P(A) eine Funktion von Lawinen-<br />

ausmaß (AL) und Schadensempfindlichkeit der Objekte (So)dar.<br />

Das Lawinenrisiko für Objekte lässt sich daher anschreiben:<br />

R = P(L) . P(O) . f(AL , So) . Vo<br />

oder zurückgeführt in die allg. Gleichung (Eintrittswahrscheinlichkeit PS und Scha-<br />

densausmaß S):<br />

R = PS . S<br />

Alexander Holaus Seite 10


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Grundlegendes zur Lawinenthematik<br />

2.3 Klassifikation von Lawinen<br />

Lawinen werden nach verschiedenen Merkmalen klassifiziert. In der folgenden Tabelle<br />

(Tab. 2-1) sind diese gemäß Internationaler Lawinenklassifikation (Unesco, 1981) zus<strong>am</strong>-<br />

menfassend dargestellt:<br />

Zone Kriterium<br />

Anbruchgebiet<br />

Sturzbahn<br />

Ablagerungsgebiet<br />

Form des Anrisses<br />

Lage der Gleitfläche<br />

Flüssiges Wasser in<br />

Lawinenschnee<br />

Form der Sturzbahn<br />

Form der Bewegung<br />

Oberflächenrauhigkeit<br />

der Ablagerung<br />

Flüssiges Wasser in<br />

der Ablagerung<br />

Fremdmaterial in der<br />

Ablagerung<br />

Von einem Punkt ausgehend:<br />

Lockerschneelawine<br />

Innerhalb der Schneedecke:<br />

Oberlawine<br />

Neuschneebruch/Altschneebruch<br />

Trocken:<br />

Trockenschneelawine<br />

Flächig:<br />

Flächenlawine<br />

Stiebend, als Schneewolke<br />

durch die Luft:<br />

Staublawine<br />

Grob (über 0,3 m):<br />

grobe Ablagerung<br />

Trocken:<br />

trockene Ablagerung<br />

Fehlend:<br />

Reine Ablagerung<br />

Alternative Merkmale<br />

Bezeichnung<br />

Von einer Linie anreißend:<br />

Schneebrettlawine<br />

Auf der Bodenfläche:<br />

Bodenlawine<br />

Nass:<br />

Nassschneelawine<br />

Runsenförmig:<br />

Runsenlawine<br />

gemischte Bewegung<br />

(kanalisierte Lawine)<br />

Fließend,<br />

dem Boden folgend:<br />

Fließlawine<br />

Fein (unter 0,3 m):<br />

Feine Ablagerung<br />

Nass:<br />

Tabelle 2-1: Internationale Lawinenklassifikation (Unesco, 1981)<br />

Nasse Ablagerung<br />

Vorhanden (Steine, Erde,<br />

Äste, Bäume):<br />

Gemischte Ablagerung<br />

Im Anbruchgebiet unterscheidet man je nach Form des Anrisses Schneebrett- und Locker-<br />

schneelawinen. Schneebrettlawinen haben eine linienförmige Anrissstirn, die in Streich-<br />

richtung zum Hang verläuft. Seitlich wird das Anbruchgebiet durch in Falllinie verlaufende<br />

Alexander Holaus Seite 11


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Grundlegendes zur Lawinenthematik<br />

Flanken begrenzt. Die untere Begrenzung bildet der Stauchwall. Lockerschneelawinen<br />

hingegen sind durch einen punktförmigen Anriss an der Schneeoberfläche und eine birnen-<br />

förmige Verbreiterung ihrer Bahn gekennzeichnet. Wird die Gleitfläche innerhalb der<br />

Schneedecke durch eine Schwachschicht gebildet, handelt es sich um eine Oberlawine. Im<br />

Gegensatz dazu spricht man von Bodenlawinen, wenn der Gesteins- oder Vegetationsun-<br />

tergrund die Gleitschicht darstellt. Je nach Form der Sturzbahn können Lawinen in Flä-<br />

chen- oder Runsenlawinen unterteilt werden. Das wesentliche Klassifikationsmerkmal von<br />

Lawinen ist die Form der Bewegung. Fließlawinen sind an den Boden gebunden und kön-<br />

nen sich translatorisch gleitend, fließend, bröckelnd oder rollend bewegen. Staublawinen<br />

führen eine stiebende Bewegung aus, die sich ohne dichten Kern vom Boden ablösen und<br />

mit Turbiditätsströmen vergleichbar sind. Am häufigsten treten jedoch gemischte Bewe-<br />

gungsformen auf (Unesco, 1981).<br />

Abbildung 2-6: Anrissmächtigkeit einer Schneebrettlawine (Foto: LWD Tirol)<br />

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Grundlegendes zur Lawinenthematik<br />

2.4 Bewegung von Lawinen<br />

Entsprechend den zuvor in Tabelle 2-1 (Unesco, 1981) angeführten Lawinenkriterien und<br />

Merkmalen wird nicht zwischen einer translatorischen, gleitenden Bewegung<br />

(v > ca. 1 m/s) und einer fließenden, bröckelnden oder rollenden Bewegung unterschieden.<br />

In der Anrisszone folgt die Bewegung immer dem Boden (Fließlawine). Wie schon zuvor<br />

angesprochen treten Mischformen von Fließ- und Staublawinen sehr häufig auf. Je nach<br />

dominierendem Merkmal spricht man von „Fließlawine mit Staubanteil“ oder „Staublawi-<br />

ne mit Fließanteil“. Kriech- und Gleitschneebewegungen von geringer Geschwindigkeit (s.<br />

Abb. 2-4) mit v < ca. 1 m/s werden (Unesco, 1981) nicht als Lawinenbewegung klassiert.<br />

Gleitschneelawinen - ein Sonderfall von Schneebrettlawinen - entstehen infolge plötzlicher<br />

Beschleunigung der gleitenden Schneedecke. Sie entwickeln insbesondere auf glattem Un-<br />

tergrund und infolge des Vorhandenseins eines nassen Gleit(schnee)films eine besondere<br />

Dyn<strong>am</strong>ik und bewegen sich Muren ähnlich.<br />

Abbildung 2-7: „Fischmaul“-artiges Öffnen (Gleiten) der Schneedecke auf dem Boden (Foto: A. Holaus)<br />

Nach dem Anbrechen des Schneebrettes erfolgt zunächst eine gleitende Bewegung Abbil-<br />

dung 2-9a). Ab Geschwindigkeiten von etwa 10 m/s (Voellmy, 1955) zerbricht das<br />

Schneebrett zu einzelnen Schollen, die zu einer knolligen, pulvrigen, breiartigen Masse<br />

zermalen werden. So wird die Gleitbewegung zu einer schnelleren Fließbewegung. Wird<br />

die Sturzbahn steiler, kommt es zum Lufteinzug in die Fließlawine und die Bewegung wird<br />

Alexander Holaus Seite 13


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Grundlegendes zur Lawinenthematik<br />

turbulent (Abbildung 2-9b). Ist der Schnee trocken und feinkörnig genug, lösen sich ab<br />

Geschwindigkeiten von 20 m/s Schneeteilchen von der Oberfläche der Fließlawine. Durch<br />

die Relativbewegung zwischen Fließlawine und anfangs ruhender Umgebungsluft, wird<br />

durch diese eine Schubspannung auf die Schneeoberfläche ausgeübt. Dadurch werden<br />

Schneepartikel aus der fließenden Schneeschicht herausgerissen und in die darüber liegen-<br />

de Luftschicht suspendiert, über der Fließlawine entsteht eine Schneestaubwolke (Ab-<br />

bildung 2-9c). Dieses Schnee-Luft-Gemisch (Aerosol) verhält sich in der umgebenden Luft<br />

wie ein schweres Gas. Jedes aufgewirbelte Schneeteilchen ist von einer an ihm haftenden<br />

Lufthülle umgeben. Weil diese Aerosolteilchen (Luftteilchen mit Schneekern) jedoch<br />

schwerer sind, als gleich große Luftteilchen (ohne Schneekern) der Umgebungsluft, wirkt<br />

die Gravitationskraft beschleunigend auf die Schneestaubwolke und treibt sie zu Tal.<br />

Abbildung 2-8: Staublawine in Hochfügen (LWD Tirol, 1999)<br />

Ist die Dichte an Aerosolkügelchen so hoch, dass sich ihre Lufthüllen vereinigen, bewegt<br />

sich die Suspension ohne innere Reibung. Da auf eine Staublawine durch ihre Ablösung<br />

vom Boden auch keine Bodenreibung mehr wirkt, ist sie nur noch der Reibung an der um-<br />

gebenden Luft ausgesetzt. So können Staublawinen weitaus höhere Geschwindigkeiten als<br />

Alexander Holaus Seite 14


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Grundlegendes zur Lawinenthematik<br />

Fließlawinen erreichen. Die vom Boden völlig abgelöste Bewegung einer Staub- oder<br />

Fließlawine kann nach Unesco 1981 auch als Kaskade (s. Abb. 2-9d) bezeichnet werden.<br />

Abbildung 2-9: Entwicklung einer Lawine und Lawinenbewegung (Land Tirol, 2000)<br />

In Bewegung befindliche voll ausgebildete Trockenschneelawinen mit Fließ- und Stauban-<br />

teil bestehen aus drei verschiedenartigen Schichten (s. Abb.2-10). Die unterste Schicht<br />

wird durch die Fließphase gebildet, die durch granulares Fließen und engen Kontakt zwi-<br />

schen den Partikeln gekennzeichnet ist. Zwischen Fließphase und Staubphase befindet sich<br />

eine interaktive Übergangsschicht. Hier findet ein ständiger Wechsel zwischen Abscheren<br />

(Suspension) und Wiedersedimentieren (Resuspension) von Schneepartikeln statt. Der Par-<br />

tikeltransport in dieser Schicht erfolgt springend (Saltation) wie bei Triebschnee. Die dritte<br />

Schicht wird durch die Staubphase gebildet. Die Schnee-Luft-Suspension dieser Schicht<br />

(Aerosol) bewegt sich ähnlich einem Turbiditätsstrom. Die ges<strong>am</strong>te Lawine ist oben und<br />

an den Seiten von einer Rezirkulationsschicht umgeben, in der ein Rückfluss von Luft er-<br />

folgt (Harbitz, 1998). Es besteht naturgemäß keine scharfe Abgrenzung zwischen Fließ-<br />

und Staubanteil. Jedoch ist häufig zu beobachten, dass sich Fließ- und Staubanteil bei star-<br />

ken Richtungsänderungen der Sturzbahn voneinander trennen und verschiedene Bahnen<br />

Alexander Holaus Seite 15


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Grundlegendes zur Lawinenthematik<br />

einschlagen (Hagen/Heubader, 1998). Das heißt, Fließlawinen folgen den natürlichen<br />

Sturzbahnen, während Staublawinen über Hindernisse hinwegströmen können.<br />

Abbildung 2-10: Aufbau einer gemischten Trockenschneelawine (BFW, 1998)<br />

Die Staublawine erreicht ihre maximale Geschwindigkeit etwa in der Mitte der Ganghöhe,<br />

die Fließlawine erreicht sie an der Oberfläche (vgl. Abb. 2-11).<br />

Abbildung 2-11: Verteilung von Dichte und Geschwindigkeit in einer gemischten Lawine<br />

(De Quervain, 1975)<br />

Alexander Holaus Seite 16


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Grundlegendes zur Lawinenthematik<br />

Gabl/Lackinger et al. (2000) führen die Berechnung der maximalen Fließgeschwindigkeit<br />

(Voellmy, 1955) im Tiroler Lawinenhandbuch an:<br />

Bei annähernd gleichmäßiger Fließmächtigkeit D (normal zum Hang gemessen) und<br />

großer Breite der Lawine (Flächenlawine) sind neben der inneren (turbulenten ) Rei-<br />

bung ξ die Hangneigung ψ und die Bodenreibung μ (auf der Gleitbahn) für die<br />

Fließgeschwindigkeit (an einem bestimmten Verlaufspunkt) ganz wesentlich.<br />

Somit gilt<br />

vmax = D ⋅ξ<br />

⋅ ( sinψ − μ ⋅ cosψ<br />

)<br />

Die Lawinenmasse ist von der Dichte des Schnees abhängig. Aus Dichte und Geschwin-<br />

digkeit einer Lawine resultieren ihre dyn<strong>am</strong>ischen Stoßdrücke.<br />

Alexander Holaus Seite 17


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Grundlegendes zur Lawinenthematik<br />

2.5 Zerstörungskraft von Lawinen<br />

Die Zerstörungskraft von Lawinen resultiert aus dem Zus<strong>am</strong>menspiel von Dichte des La-<br />

winenschnees und Geschwindigkeit. Die Geschwindigkeiten von Staublawinen und ihren<br />

Luftdruckwellen sind wesentlich höher als Geschwindigkeiten und Drücke von Fließlawi-<br />

nen. Die nachfolgende Tabelle zeigt die auftretenden Werte für Geschwindigkeiten und<br />

Dichte bei verschiedenen Lawinenarten:<br />

Lawinenart Geschwindigkeiten Dichte<br />

nasse Fließlawinen 70 km/h 300 - 400 kg/m³<br />

trockene Fließlawinen bis 150 km/h 50 - 300 kg/m³<br />

Staublawinen bis 250 km/h 2 - 15 kg/m³<br />

gemischte Lawinen 70 bis 180 km/h 10 - 200 kg/m³<br />

Tabelle 2-2: Geschwindigkeiten und Schneedichte verschiedener Lawinenarten (Unesco, 1991)<br />

Abbildung 2-12: Galtür 1999 (Land Tirol, 2000, Foto: Raimund Mayr)<br />

In Anbetracht der beiden Fotos in Abb. 2-12 und Abb. 2-13 lassen sich die von Staublawi-<br />

nen verursachten Schäden mit gasdyn<strong>am</strong>ischen Schäden nach Explosionen vergleichen.<br />

Alexander Holaus Seite 18


Lawinenexperten vor Ort<br />

Grundlegendes zur Lawinenthematik<br />

Salm et al. (1990) geben folgende Formel zur Berechnung des Drucks an:<br />

Der Stoßdruck P auf ein stauendes Hindernis berechnet sich nach der Formel<br />

P = ρ ⋅ v²<br />

mit ρ Dichte des Lawinenschnees und v Geschwindigkeit.<br />

Die Tabellen 2-3 und 2-4 geben vorkommende Druckverhältnisse und ihre Zerstörungs-<br />

kraft an:<br />

Auftreten Stoßdruck P<br />

häufig 100 bis 200 kN/m²<br />

selten 500 bis 600 kN/m² maximal bis 1.000 kN/m²<br />

Tabelle 2-3: Vorkommende Druckverhältnisse (Land Tirol., 2000)<br />

Stoßdruck P Zerstörende Wirkung<br />

ab 1 kN/m² Fenster<br />

ab 5 kN/m² Türen<br />

ab 30 kN/m² Gebäude (Ziegelmauer)<br />

ab 100 kN/m² Bäume entwurzeln<br />

ab 1.000 kN/m² Betonkonstruktion beschädigen<br />

Tabelle 2-4: Zerstörungskraft bestimmter Stoßdrücke (Land Tirol., 2000)<br />

Abbildung 2-13: Paznaun 1999 (Land Tirol, 2000)<br />

Alexander Holaus Seite 19


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Grundlegendes zur Lawinenthematik<br />

Über die Wiederkehrintervalle und das Schadensausmaß von Lawinenabgängen gibt die<br />

Vegetation in der Lawinensturzbahn Aufschluss:<br />

Wiederkehr-<br />

Wahrscheinlichkeit<br />

von Lawinenabgängen<br />

Vegetation<br />

1 –2 Jahre kahle Flächen, Buschwerk<br />

2 – 10 Jahre Jungwuchs bis etwa 2 m Höhe, Laubgehölz<br />

10 – 25 Jahre Nadelholz-Jungwald, Laubbäume<br />

25 – 100 Jahre Nadelwald bis 100 Jahre alt<br />

> 100 Jahre Nadelwald über 100 Jahre alt<br />

Tabelle 2-5: Zus<strong>am</strong>menhang zw. Wahrscheinlichkeit von Lawinenabgängen und der Vegetation<br />

(Land Tirol, 2000)<br />

Sogenannte „stumme Zeugen“ geben Aufschluss über die Wiederkehrwahrscheinlichkeit<br />

und das Ausmaß zu erwartender Lawinen.<br />

Abbildung 2-14: Lawinensturzbahn „Farnkaserlawine“ und Stütze einer ehemaligen Maetrialseilbahn als<br />

„stumme Zeugen“ (roter Kreis = Standort der Stütze); Foto: A. Holaus<br />

Alexander Holaus Seite 20


Lawinenexperten vor Ort<br />

Faktoren der Lawinenbildung<br />

3 Faktoren der Lawinenbildung<br />

Die aktuelle Lawinengefahr in einer Region ergibt sich als Resultierende aus dem komple-<br />

xen Zus<strong>am</strong>menspiel von<br />

– �topographischen Faktoren:<br />

Seehöhe, Hangneigung, Exposition, Geländeform, Vegetation und Boden<br />

– meteorologischen Faktoren:<br />

Witterung, Strahlung, Temperatur, Wind und Niederschlag<br />

– nivologischen Faktoren:<br />

Schichtung, Zus<strong>am</strong>mensetzung und Stabilität der Schneedecke<br />

Die komplexen Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Faktoren der Lawinenbildung<br />

veranschaulicht Abb. 3-1. Die Faktoren gliedern sich neben ihrer Einflussgröße von 0 bis 1<br />

auch nach der Art des Einflusses. Während Faktoren wie z.B. die Hangneigung (Inclinati-<br />

on) oder Geländeform (Shape) in direktem Zus<strong>am</strong>menhang mit der Lawinengefahr stehen,<br />

beeinflusst der überwiegende Teil der Variablen, wie beispielsweise die Geländeausrich-<br />

tung (Exposition) oder die Schneedeckenstabilität (Stability), die Lawinengefahr indirekt<br />

durch die Wechselwirkung mit anderen Faktoren.<br />

Abbildung 3-1: Gewichtete Einflüsse der lawinenbildenden Faktoren auf die Lawinengefahr<br />

(Jaccard, 1990)<br />

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Lawinenexperten vor Ort<br />

Faktoren der Lawinenbildung<br />

Demnach hat die Hangrichtung (Exposition) keinen unmittelbaren Einfluss auf die Lawi-<br />

nengefahr, aber einen großen direkten Einfluss auf die Wärme (Heat), die ihrerseits einen<br />

großen direkten Einfluss auf den Schneedeckenaufbau (Constitution) geltend macht, und in<br />

folge die Schneedeckenstabilität (Stability) entscheidend beeinflusst. Diese Zus<strong>am</strong>men-<br />

hänge können mit geographischem und meteorologischem Basiswissen leicht nachvollzo-<br />

gen werden, jedoch erscheint eine Quantifizierung der Einflüsse nur sehr schwer möglich.<br />

3.1 Topographische Faktoren<br />

Topographische Faktoren unterliegen keiner zeitlichen Veränderung, sie können bei der<br />

Beurteilung der Lawinengefahr als Konstante einfließen. So können Geländeteile als Ge-<br />

fahrenzonen (z.B. dichte Waldgebiete) und als potentielle Anrissgebiete (z.B. Geländebe-<br />

reiche mit einer Hangneigung kleiner als 20-25°) mit einer hohen Wahrscheinlichkeit aus-<br />

geschlossen werden. Topographische Faktoren schaffen generell die Voraussetzungen für<br />

eine Lawine.<br />

3.1.1 Hangneigung<br />

Nach wie vor ist die Hangneigung ein bedeuts<strong>am</strong>er und der wohl <strong>am</strong> einfachsten zu beur-<br />

teilende Lawinen bildende Faktor (Salm, 1991). Die Hangneigung verhält sich direkt pro-<br />

portional zur Lawinengefahr, d.h. je steiler ein Hang, desto leichter kann eine Lawine aus-<br />

gelöst werden. An Hängen unter 20° treten aufgrund der geringen Neigung nur unter Aus-<br />

nahmebedingungen Lawinen auf bzw. rutscht bei einer Neigung über 50-60° Schnee be-<br />

reits während des Niederschlags zu einem beträchtlichen Teil wieder ab, so dass ein Lawi-<br />

nenanriss in diesem Bereich unwahrscheinlicher wird. Schneebrettlawinen nehmen zwi-<br />

schen 30° und 50° Hangneigung ihren Ausgang.<br />

Abbildung 3-2 zeigt den Zus<strong>am</strong>menhang zwischen Hangneigung und durchschnittlicher<br />

Häufigkeit von Lawinen. Die steilste Hangpartie der Unfalllawinen liegt im Mittel bei etwa<br />

38-39 Grad. Diese Grafik gibt aber keine Auskunft über die Auslösewahrscheinlichkeit.<br />

Alexander Holaus Seite 22


Lawinenexperten vor Ort<br />

Faktoren der Lawinenbildung<br />

Abbildung 3-2: Zus<strong>am</strong>menhang zwischen Hangneigung und durchschnittlicher Häufigkeit von Lawinen<br />

(ÖROK, 1986)<br />

Schweizer (2006) fasst drei wichtige Gründe für die höhere Auslösewahrscheinlichkeit bei<br />

zunehmender Steilheit zus<strong>am</strong>men:<br />

Erstens nimmt die Hangabtriebskraft mit zunehmender Hangneigung zu. Zweitens nimmt<br />

die Belastung durch den Schneesportler mit zunehmender Hangneigung zu, und zwar zwei-<br />

fach: Einerseits durch die Zunahme der Hangabtriebskraft der Zusatzbelastung, anderer-<br />

seits durch die Zunahme der Zusatzbelastung selbst als Folge der gezwungenermaßen dy-<br />

n<strong>am</strong>ischeren Fahrweise im extrem steilen Gelände; vorausgesetzt die Fahrt erfolgt eini-<br />

germaßen kontrolliert.<br />

Außerdem nimmt die Sonneneinstrahlung in Schattenhängen, wo bekanntlich die meisten<br />

Lawinen durch Wintersportler ausgelöst werden, mit zunehmender Hangneigung ab. D<strong>am</strong>it<br />

dürfte der Schneedeckenaufbau in extrem steilen Schattenhängen noch etwas schlechter<br />

sein und länger schlecht bleiben als in weniger steilen Hängen (Schweizer, 2006).<br />

Ebenso zeigt die Abb. 3-3 (Harvey, 2006), dass es in der Planung und als erster Anhalts-<br />

punkt im Gelände bzw. Gefahreneinschätzung von der „warmen Stube aus“ sehr wohl Sinn<br />

hat, einmal Gefahrenstufe und Hangneigung als ersten Filter zu kombinieren.<br />

Alexander Holaus Seite 23


Lawinenexperten vor Ort<br />

Faktoren der Lawinenbildung<br />

Abbildung 3-3: Prozentuelle Häufigkeit der Hangneigungen von Unfalllawinen pro Gefahrenstufe<br />

(steilste Hangpartie innerhalb der Anrissfläche, gemessen auf der Karte M 1: 25000).<br />

3.1.2 Exposition<br />

(Harvey, 2006)<br />

Die Exposition ist für die Lawinenbildung im Zus<strong>am</strong>menhang mit zwei weiteren Faktoren,<br />

nämlich der Windrichtung und der Sonneneinstrahlung, von eminenter Bedeutung. Die<br />

Windrichtung der vergangenen Tage bzw. während der letzten Niederschlagsperiode und<br />

die d<strong>am</strong>it verbundene Schneeverfrachtung erhöht die potentielle Lawinengefahr in den<br />

Lee-Bereichen (= Ablagerung des Wind transportierten Schnees) vorwiegend unterhalb<br />

von Kämmen und Graten zumeist drastisch. Die Strahlungsverhältnisse haben unmittelba-<br />

ren Einfluss auf die Entwicklung der Schneedecke.<br />

Alexander Holaus Seite 24


Lawinenexperten vor Ort<br />

Faktoren der Lawinenbildung<br />

Die Auswirkungen der Exposition auf die Lawinenbildung spiegeln sich in der<br />

Lawinenunfall-Statistik deutlich wieder:<br />

Abbildung 3-4: Unfalllawinen im Vergleich zu befahrenen Expositionen -<br />

– in Wahrscheinlichkeiten ausgedrückt (Grafik: Grimsdottir/McClung, 2006).<br />

Abb. 3-4 zeigt, dass die meisten Unfalllawinen in die Sektoren Nord und Nordost fallen.<br />

Dies sind auch die <strong>am</strong> häufigsten befahrenen Expositionen. Obwohl 25% der Unfalllawi-<br />

nen in den Sektor Nord fallen, wurde dieser Sektor nur zu 17% im Vergleich zu den übri-<br />

gen Sektoren befahren.<br />

Abbildung 3-5: Lawinen-Wahrscheinlichkeiten in den einzelnen Expositionen<br />

(Grafik: Grimsdottier/McClung, 2006).<br />

Alexander Holaus Seite 25


Lawinenexperten vor Ort<br />

Faktoren der Lawinenbildung<br />

Mit Abb. 3-5 zeigen Grimsdottir/McClung, dass das Risiko eine Lawinen auszulösen, nicht<br />

alleine von der Exposition abhängig ist, wie aus den Werten der Unfalllawinenanzahl zu<br />

vermuten wäre. Im direkten Vergleich ist das Risiko in Osthängen im Vergleich zum west-<br />

lich ausgerichteten Hängen höher, Nord- und Südsektor unterscheiden sich aber nur mini-<br />

mal.<br />

Südseitig exponierte Hänge setzten sich aufgrund der höheren Strahlung relativ gut, wäh-<br />

rend dies nord- und ostseitig gerichteten Expositionen infolge geringerer Strahlung, tieferer<br />

Temperaturen an der Oberfläche und d<strong>am</strong>it größerer Temperaturgradienten nicht so leicht<br />

zuteil wird. Oberflächenreif (Abb. 3-6) und Schwimmschneebildung sind die Folge.<br />

3.1.3 Vegetation<br />

Abbildung 3-6: Oberflächenreif (Munter, 2003)<br />

Die Vegetation in der Form eines dichten mehrstufigen Waldes stellt einen ausgezeichne-<br />

ten Schutz gegen das Anreißen von Lawinen dar. Er bewirkt ein teilweises Ablagern des<br />

Schnees in den Bäumen und durch die verminderte Schneeverfrachtung kann sich eine<br />

ausgeglichenere und durch die Bäume punktuell abgestützte Schneedecke ausbilden. Ein-<br />

schränkungen gelten in einem aufgelockerten Altbestand bzw. in winterkahlen Wäldern.<br />

Strauchgewächse haben nur bei geringen Schneehöhen eine verfestigende Wirkung auf die<br />

Schneedecke; bei Zunahme der Schneedecke durch neuerlichen Niederschlag oder<br />

Schneeverfrachtung kann es bedingt durch die zwischen und unter den Sträucher entste-<br />

Alexander Holaus Seite 26


Lawinenexperten vor Ort<br />

Faktoren der Lawinenbildung<br />

henden Hohlräume zu einer als kritisch zu beurteilenden ungleichmäßigen Setzung der<br />

Schneedecke und zu einer Begünstigung der Schwimmschneebildung kommen (vgl. Abb.<br />

3-6).<br />

Abbildung 3-7: Seehöhen der Anbruchgebiete (Luzian, 2003)<br />

3.2 Meteorologische und nivologische Faktoren<br />

Im Gegensatz zu den topographischen Faktoren verändern sich meteorologische und nivo-<br />

logische Faktoren kontinuierlich, sie sind eine sich ständig verändernde Komponente in der<br />

Beurteilung der Lawinengefahr. Nicht nur ihr momentaner Zustand, sondern auch der Ab-<br />

lauf ihrer Veränderung im Fortlauf des ges<strong>am</strong>ten Winters sind von entscheidender Bedeu-<br />

tung für eine Beurteilung der Lawinengefahr.<br />

3.2.1 Niederschläge<br />

Nicht die ges<strong>am</strong>te Schneehöhe oder die Niederschlagsmenge, sondern die Intensität der<br />

Niederschläge (= Neuschneemenge pro Zeiteinheit) ist ein wesentlicher Faktor für die Bil-<br />

dung von Lawinen. Eine größere Neuschneemenge bewirkt – oft ergänzt durch die Zusatz-<br />

last eines Winterbergsteigers - eine Erhöhung der Spannungen und ist häufig Ursache von<br />

Lawinen. Die Situation wird durch parallel auftretende Schneeverfrachtung drastisch ver-<br />

schärft. Nach Abklingen der Niederschläge verändert sich die Lawinengefahr in Abhän-<br />

Alexander Holaus Seite 27


Lawinenexperten vor Ort<br />

Faktoren der Lawinenbildung<br />

gigkeit von der Temperatur (= Sonneneinstrahlung) mit fortschreitender Setzung und Ver-<br />

festigung der Schneedecke. Bei kontinuierlich steigenden Temperaturen kommt es zur<br />

Verfestigung. Bleiben die Temperaturen tief, so ist mit nur geringer Setzung und somit<br />

unveränderter Situation zu rechnen<br />

Luzian (<strong>2002</strong>) zeigt in seinen Erhebungen, dass häufig auch Regen mit Schneefall ver-<br />

mischt oder Regen auf Schneefall folgend als lawinenbildender Faktor angeführt wurde.<br />

Leider war es für den Untersuchenden aus den angelieferten Aufzeichnungen nicht immer<br />

ersichtlich, ob es beispielsweise im Anbruchgebiet schneite und nur im Aufschüttungsbe-<br />

reich regnete, oder ob das ges<strong>am</strong>te Lawineneinzugsgebiet von Regen betroffen war.<br />

3.2.2 Wind<br />

Der Wind wird bedingt durch seine Fähigkeit der Windabtragung im Luv (= dem Wind<br />

zugewandte Geländeteile) und der d<strong>am</strong>it verbundenen Windablagerung im Lee (= dem<br />

Wind abgewandte Geländeteile) als „Baumeister der Lawinen“ im allgemeinen und der<br />

Schneebretter im besonderen bezeichnet. Bereits ab einer Windgeschwindigkeit von 4m/s<br />

(= 15 km/h, Wind im Gesicht fühlbar, aber nicht unangenehm ) setzt der Prozess der<br />

Schneeverfrachtung ein, dabei gilt es zu beachten, dass die mit der Zeiteinheit transportier-<br />

te Schneemenge mit der dritten Potenz der Windgeschwindigkeit wächst (Lawinenhand-<br />

buch, 2000).<br />

Abbildung 3-8: Schneeerosion findet an Stellen mit Geschwindigkeitszunahme (B) statt. An Stellen mit<br />

abnehmendem Wind (A) wird Schnee abgelagert (Land Tirol, 2000).<br />

Der Wind als Lawinen bildender Faktor kommt primär in Mulden, an abrupten Gefälleän-<br />

derungen, in Gipfelregionen und in der Nähe von Kämmen als Lawinen bildender Faktor<br />

zum Tragen. Von 2200 registrierten Lawinenabgängen in Österreich im Zeitraum von<br />

1967/68 bis 1992/93 war rund ein Drittel auf Windaktivität zurückzuführen (Luzian,<br />

1998).<br />

Alexander Holaus Seite 28


Lawinenexperten vor Ort<br />

Faktoren der Lawinenbildung<br />

3.2.3 Temperatur<br />

Der Faktor Temperatur (= Sonneneinstrahlung) auf die Lawinenbildung ist äußerst kom-<br />

plex. Neben den bereits oben angeführten Zus<strong>am</strong>menhängen zwischen Exposition und La-<br />

winengefahr spielt die Temperatur und ihr Verlauf während der ges<strong>am</strong>ten Wintersaison<br />

eine bedeutende Rolle für den Schneedeckenaufbau und die -stabilität. Niedrige Tempera-<br />

turen bewahren i.a. die bestehende Situation, d.h. die Lawinengefahr bleibt nach Schnee-<br />

zuwachs in anschließenden Kälteperioden länger erhalten. Erwärmung führt durch be-<br />

schleunigt abbauende Met<strong>am</strong>orphose eine rasche Stabilisierung herbei. Anfänglich wird<br />

dabei zwar die Festigkeit vermindert und die Gefahr erhöht, anschließend verfestigt sich<br />

aber der Schnee stärker. Speziell Schwimmschneebildung ist eine Folge ausgeprägter<br />

Temperaturgradienten in der Schneedecke, derartige Schichten bleiben bis ins Frühjahr<br />

hinaus bestehen (Land Tirol, 2000).<br />

Umgekehrt kann aus den Meldeblättern zur Schadenslawinendatenbank der Winter<br />

1963/64 bis 1993/94 (Luzian, 1998) 298 Mal die Meldung „Temperaturanstieg“ und 25<br />

Mal „Temperaturanstieg über Null“ entnommen werden. Nur drei Mal unter 2200 Eintra-<br />

gungen wurde „Sonneneinstrahlung“ als Lawinen bildender Faktor angegeben.<br />

3.2.4 Schneedeckenaufbau<br />

Der Schneedeckenaufbau wird vom ersten Schneefall an für eine ges<strong>am</strong>te Wintersaison<br />

durch den Witterungsverlauf (Temperatur, Niederschlag) geprägt, er beschreibt die vertika-<br />

le Abfolge von Schneeschichten unterschiedlicher Charakteristika (z.B. Körnung, Tempe-<br />

ratur, Härte, etc.). Durch tiefe Temperaturen kann Schwimmschnee entstehen. Oberflä-<br />

chenreif oder andere kritische Schichten (= potentielle Gleitflächen) werden über längere<br />

Zeit im Untergrund konserviert, der Sonne abgewandte Hänge können diesen Effekt ver-<br />

stärken. Ein ungünstiger Schneedeckenaufbau mit zumindest einer kritischen Schwach-<br />

schicht bewirkt demnach eine geringe Schneedeckenstabilität und d<strong>am</strong>it eventuell auch<br />

lang anhaltende Lawinengefahr, die bei Schwimmschnee besonders in Nordhängen bis ins<br />

Frühjahr bestehen kann (Land Tirol, 2000).<br />

Die Lawinenwarndienste der einzelnen Bundesländer bieten den Mitgliedern der örtlichen<br />

Lawinenkommissionen (gemäß gesetzlicher Verpflichtung aus dem Katastrophenhilfs-<br />

dienstgesetz 1991) ständige Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten.<br />

Alexander Holaus Seite 29


Lawinenexperten vor Ort<br />

Faktoren der Lawinenbildung<br />

Praktische Lawinenkunde lebt durch Erfahrung und ständige Weiterbildung. Fundiertes<br />

Wissen eröffnet Möglichkeiten, um Entscheidungen zu treffen, sie zu begründen und ge-<br />

gebenenfalls auch Dritten transparent zu machen.<br />

Kronthaler/Zenke (2006) beschreiben in ihrem Artikel „Schneedeckendiagnose zur Beur-<br />

teilung der Lawinengefahr“ ihre aktuellen Ausbildungsinhalte. Mittels „Prozessdenken“<br />

(gedankliche Auseinandersetzung mit Vorgängen und Prozessen in der Schneedecke) wird<br />

von lokalen Erkenntnissen unter Berücksichtigung von Stabilitätsverhältnissen, Exposition,<br />

Höhenlage und Reliefsituation auf vergleichbare Hänge geschlossen. Grundlage dafür bie-<br />

tet eine „systematische Schneedeckendiagnose“, welche sich in drei Teilbereiche gliedert:<br />

� Vereinfachtes Schneeprofil/Kleiner Blocktest (bis in ca. 1m Tiefe unter die Oberfläche)<br />

� Schwachschichtanalyse<br />

o Kornform<br />

o Bindungsverhältnisse<br />

� Bewertung der Schwachschicht<br />

o Art der Bruchfläche<br />

o Dicke der Bruchfläche<br />

o Wie tief liegt die Schwachschicht unter der Oberfläche<br />

o Wie ist die Schicht unmittelbar oberhalb der Schwachschicht beschaffen<br />

o Korngröße der Schwachschicht<br />

Anschließend erfolgt eine Beurteilung der herrschenden Lawinengefahr nach genau vorde-<br />

finierten Fragen, welche in Kronthaler (2006) nachzulesen ist.<br />

Alexander Holaus Seite 30


Lawinenexperten vor Ort<br />

Beurteilung der Lawinengefahr<br />

4 Beurteilung der Lawinengefahr<br />

Wie der Kapitel 3 zeigt, resultiert die Lawinengefahr aus der komplexen und im Detail<br />

nicht exakt nachvollziehbaren Wechselwirkung einer Vielzahl von Faktoren. Demnach ist<br />

eine hundertprozentige Einschätzung der Lawinensituation nicht möglich.<br />

Bei Beurteilung der „objektiven Gefahr“ wird man eher in der Lage sein, mit Hilfe der<br />

Faktoren Temperatur, Wind, Schneefall, Sonneneinstrahlung etc. in Betrachtung von Ex-<br />

position, Neigung und Untergrund des Geländes den Grad der Gefahr einzuschätzen. Eine<br />

anhand der variierenden Faktoren stets notwenige Beurteilung der Situation wird dabei<br />

eine relativ gute Aussage über die Wahrscheinlichkeit eines spontanen Lawinenabgangs<br />

ergeben. Dabei sollte nach der noch vorhandenen Sicherheit und nicht nach der Größe der<br />

Gefahr gesucht werden (Land Tirol, 2000).<br />

Die Beurteilung der latenten (verborgenen), ständig in der Schneedecke vorhandenen Ge-<br />

fahr hinsichtlich der subjektiven Lawinenauslösung bei Betreten oder Befahren eines Han-<br />

ges durch Menschen ist schwieriger: Der von außen nicht erkennbare Schneedeckenauf-<br />

bau, der Spannungs- und Festigkeitszustand (Stabilität) und deren nicht erkennbare Vertei-<br />

lungen im Hang spielen hier eine entscheidende Rolle (vgl. Kapitel 3.2.4: „Prozessdenken“<br />

von Kronthaler/Zenke).<br />

Es hat sich als hilfreich erwiesen, für das öffentliche Leben und die Sicherheit des Men-<br />

schen erwiesen, die Lawinengefahr über die Par<strong>am</strong>eter der Auslösewahrscheinlichkeit und<br />

der zu erwartenden Größe eines potentiellen Lawinenabganges näherungsweise zu<br />

bestimmen. Dies ermöglicht ergänzend zu den permanenten Lawinenschutzmassnahmen –<br />

Lawinenverbauungen, Schutzwald - zeitgerecht temporäre Lawinenschutzmassnahmen,<br />

abgestimmt auf die spezielle Situation und den Zeitpunkt, zu setzen, wie z.B. Warnungen,<br />

Evakuierungen oder künstliche Lawinenauslösungen.<br />

4.1 Lawinenlagebericht/Bulletin<br />

Die Entstehung eines Lageberichtes basiert weltweit auf dem selben Prinzip: Es gilt, mit-<br />

tels eines umfangreichen Datenmaterials ein möglichst exaktes Bild über die herrschende<br />

Schneedeckenstabilität und davon abgeleitet der Lawinengefährdung in einer Region zu<br />

erhalten. Lawinenwarndienste sind somit hinsichtlich der Erstellung des Lageberichtes als<br />

Alexander Holaus Seite 31


Lawinenexperten vor Ort<br />

Beurteilung der Lawinengefahr<br />

Informations-S<strong>am</strong>melstellen anzusehen. Erklärtes Ziel dabei ist, ein Maximum an fachspe-<br />

zifischen Informationen zur Verfügung zu haben, diese richtig zu werten und d<strong>am</strong>it eine<br />

regionale Gefahreneinstufung vorzunehmen.<br />

Abbildung 4-1: Europäische Lawinengefahrenskala<br />

(LWD Tirol, 2003)<br />

Seit April 1993 erfolgt die Angabe der Lawinengefahr in allen Alpenländern einheitlich<br />

nach der Europäischen Lawinengefahrenskala (s. Abb. 4-1). Diese umfasst fünf progressiv<br />

steigende Gefahrenstufen (gering – mäßig – erheblich – groß – sehr groß), die über die<br />

Par<strong>am</strong>eter der Schneedeckenstabilität und der Lawinen-Auslösewahrscheinlichkeit defi-<br />

niert sind.<br />

Der Lawinenlagebericht (= Lawinenbulletin) wird von den in Österreich in den Bundes-<br />

ländern eingerichteten Lawinenwarndiensten (in Zus<strong>am</strong>menarbeit mit benachbarten euro-<br />

päischen Diensten) entweder in Abhängigkeit der veränderten Lawinensituation aktuali-<br />

Alexander Holaus Seite 32


Lawinenexperten vor Ort<br />

Beurteilung der Lawinengefahr<br />

siert oder periodisch im 1-Tages- oder 2-Tages-Rhythmus herausgegeben. Der Tiroler La-<br />

winenwarndienst, welcher hier beispielhaft angeführt sei, kann auf eine gute Infrastruktur<br />

und besonders gutes Datenmaterial zurückgreifen (Nairz, <strong>2002</strong>)<br />

Veröffentlicht in Tageszeitungen, im Teletext und im Internet, über Gratistelefonnummer<br />

aus ganz Österreich (seit Winter 2006/07), gratis via Fax oder auf’s Mobiltelefon via SMS<br />

oder MMS, ausgehängt an öffentlichen Anschlagtafeln bei Seilbahngesellschaften, alpinen<br />

Vereinen oder Schutzhütten bietet er all jenen Personen, die sich entweder im durch<br />

Schneelawinen gefährdeten Gelände bewegen oder lokale Verantwortung in Bezug auf den<br />

temporären Lawinenschutz tragen (wie beispielsweise Mitglieder der örtlichen Lawinen-<br />

kommission oder Seilbahngesellschaften), eine wertvolle Grundlage zur Beurteilung der<br />

Lawinensituation.<br />

Wie in allen Bereichen mit hohem und schnell verfügbarem Informationsbedarf hat die<br />

EDV auch in den Räumlichkeiten des LWD und der Erstellung des LLB nicht Halt ge-<br />

macht. Die Abfrage der automatischen Wetterstationen, Progr<strong>am</strong>me zur Bearbeitung und<br />

Auswertung von Wetter-, Schnee- und Lawinendaten sowie zur Erstellung von Schicht-,<br />

R<strong>am</strong>m-, und Temperaturprofilen. Diese Ergebnisse dann auch noch zu dokumentieren und<br />

zu kommunizieren wäre ohne die EDV heute nicht mehr denkbar (Mair, 2000).<br />

4.1.1 Aufbau und Inhalt des Lawinenlageberichtes<br />

Die Beurteilung der Lawinensituation durch die Lawinenwarndienste basiert auf zwei<br />

Datengruppen:<br />

• Meteorologische Daten bilden die eine Gruppe, zus<strong>am</strong>mengesetzt aus Daten zur<br />

Abschätzung der weiteren Wetterentwicklung, mittel- und langfristigen Prognosen<br />

und Ergebnissen der computergestützten Auswertung von Messungen mittlerweile<br />

60 automatischer Schnee- und Wettermessstationen im Tiroler Hochgebirge (bis<br />

auf über 3000 m). Die Wetterdienststelle Innsbruck versorgt den LWD mit einem<br />

speziell auf die erforderlichen Bedürfnisse zugeschnittenen Wetterbericht, speziell<br />

abgestimmte Wettervorhersage und – während besonders kritischer Situation – ei-<br />

ner Extremwertstatistik, die über Jährlichkeiten über Schneefallereignissen Aus-<br />

kunft gibt.<br />

• Die andere Gruppe setzt sich aus den „für die tägliche Arbeit unverzichtbaren“<br />

(Nairz, <strong>2002</strong>) Beobachtungen und Beurteilungen lokaler Beobachter - zumeist<br />

Alexander Holaus Seite 33


Lawinenexperten vor Ort<br />

Beurteilung der Lawinengefahr<br />

Bergführer, Hüttenwirte, Mitglieder der örtlichen Lawinenkommission, etc. - zu-<br />

s<strong>am</strong>men. Eigenen Geländeerkundungen durch Mitarbeiter des LWD Tirol - im<br />

Durchschnitt mehr als 100 Tage im Winter – wird sehr große Bedeutung beigemes-<br />

sen. Aus der Kombination von Empirie – beobachteter Zus<strong>am</strong>menhang zwischen<br />

gemessenen meteorologischen Werten und festgestellten Lawinenereignissen - und<br />

dem aus langjähriger Erfahrung und einer ausgezeichneten Gebietskenntnis resul-<br />

tierenden „Gefühl“ für die örtliche Lawinensituation entsteht eine lokale Beurtei-<br />

lung der Lawinengefahr (Nairz, <strong>2002</strong>).<br />

Dem Berichtersteller obliegt es nun, die richtige Gewichtung der einzelnen Informationen<br />

durchzuführen und eine Abstraktion der lokal und regional erhobenen und beobachteten<br />

Par<strong>am</strong>eter auf eine bestimmte Region und Tageszeit bzw. überregionale Ebene (= das<br />

Bundesland) vorzunehmen. Demnach stellt der Lawinenlagebericht auf einer überregiona-<br />

len Ebene die aktuelle Lawinensituation und deren kurz- und mittelfristige Entwicklung in<br />

Abhängigkeit vom Wetter dar. Er zeigt potentiell gefährdete Hanglagen in Bezug auf<br />

Hangneigung, Exposition, Höhenlage und/oder Geländeform auf. Nur ein kleiner Anteil an<br />

Hängen in dem als kritisch angegebenen Bereich ist tatsächlich gefährdet, je höher die Ge-<br />

fahrenstufe, um so zahlreicher sind die in Realität gefährdeten Hänge.<br />

Abbildung 4-2: Europäische Hilfsmatrix zur Erstellung des LLB für die Lawinenwarndienste<br />

(LWD Bayern, 2003)<br />

Alexander Holaus Seite 34


Lawinenexperten vor Ort<br />

Beurteilung der Lawinengefahr<br />

Der strukturelle Aufbau des Lawinenlageberichtes gliedert sich i.a. nach der Angabe der<br />

Gefahrenstufe gemäß der Europäischen in folgende Abschnitte:<br />

• Wetterbedingte Einflüsse auf den Schneedeckenaufbau (Auswirkung von Neu-<br />

schnee, Wind, Temperatur, etc. auf die Stabilität der Schneedecke) und die witte-<br />

rungsbedingte Veränderung desselben.<br />

• �Die Gefahrenstufen für Tallagen und höher gelegene Verkehrswege durch Selbst-<br />

auslösung von Lawinen.<br />

• Angabe der (besonders) kritischen Bereiche, wie beispielsweise K<strong>am</strong>mlagen,<br />

schattseitige Steilhänge oder Seehöhenstufen, und die Abschätzung möglicher<br />

Auswirkungen einer Zusatzlast auf die Schneedeckenstabilität<br />

Ein wichtiger Abschnitt im Lawinenlagebericht stellt jener für die kartographische Visuali-<br />

sierung der aktuellen Gefährdungsbereiche dar. Hierbei ist es entscheidend, dass dem Nut-<br />

zer adäquate Möglichkeiten und umfassende Hilfestellungen geboten werden, um die im<br />

Lagebericht enthaltene Information möglichst authentisch in eine kartographische Darstel-<br />

lung überführen zu können. Das bedingt neben der Umsetzung der verbalen Information in<br />

Bezug auf die topographischen Geländemerkmale auch eine Ausrichtung des Visualisie-<br />

rungswerkzeugs für den Lawinenlagebericht <strong>am</strong> Informationsgehalt des Lawinenbulletins.<br />

Um einer Vereinheitlichung der Lageberichte Rechnung zu tragen, arbeiten die europäi-<br />

schen Lawinenwarndienste schon seit langem an einheitlich verständlichem Layout. Wäh-<br />

rend der vergangenen Jahre wird nun das Hauptaugenmerk neben weiteren Qualitätsver-<br />

besserungen auf eine optisch bestmögliche Aufbereitung der Information gelegt.<br />

In der Vergangenheit konnte es jedoch passieren, dass benachbarte Lawinenwarndienste<br />

für angrenzende Regionen während einer (drastischen) Änderung der (jeweils vergleichba-<br />

ren) Lawinensituation z.B. ab den Nachmittagsstunden unterschiedliche Gefahrenstufen<br />

ausgaben, obwohl im Textteil die Situation identisch beschrieben wurde. Dies k<strong>am</strong> da-<br />

durch zustande, weil man sich teilweise auf unterschiedliche Zeitbereiche bei der Erstel-<br />

lung der Gefahrenstufenkarte des Lawinenlageberichtes bezog – einmal wurde das Haupt-<br />

augenmerk auf die Situation während der Berichtsverfassung gelegt, ein anderes Mal auf<br />

jene der Gefahrenverschärfung. Deshalb einigte man sich darauf, dass sich die im Lawi-<br />

nenlagebericht ausgewiesene Lawinengefahrenstufe an der Vormittags-Lawinensituation<br />

orientiert. Auf weitergehende tageszeitliche Veränderungen wird im Text eingegangen.<br />

Gegebenenfalls erfolgt eine Aktualisierung des Lawinenlageberichts.<br />

Alexander Holaus Seite 35


Lawinenexperten vor Ort<br />

Beurteilung der Lawinengefahr<br />

Das zentrale Produkt der Arbeitsgemeinschaft der Lawinenwarndienste, welches auf Initia-<br />

tive des bayrischen Lawinenwarndienstes entstanden ist, stellt die nachfolgende - an das<br />

kanadische Modell angelehnte - Hilfsmatrix dar. D<strong>am</strong>it wurde ein nicht unwesentlicher<br />

Schritt zur Harmonisierung der aktuellen Lawinenwarnungen in Europa gesetzt. Eine La-<br />

wine wird dabei sowohl durch die beschreibenden Merkmale der Reichweite und des<br />

Schadenspotentials als auch durch quantitative Kriterien definiert. Für die Klassifikation<br />

einer Lawine ist es notwendig, dass beide beschreibenden Merkmale zutreffen. Die quanti-<br />

tative Klassifikation kommt hauptsächlich dann zur Anwendung, wenn Lawinen vermes-<br />

sen werden können. Dabei ist das Volumen im Prinzip das beste Maß für die Lawinengrö-<br />

ße, jedoch im Gelände auf Distanz kaum in genügender Genauigkeit schätzbar (Nairz,<br />

2003).<br />

Begriff<br />

Größe 1 „Rutsch“<br />

Größe 2<br />

Größe 3<br />

Größe 4<br />

„kleine<br />

Lawine“<br />

„mittlere<br />

Lawine“<br />

„große<br />

Lawine“<br />

Reichweiten-<br />

Klassifikation<br />

Schneeverlagerung ohne<br />

Verschüttungsgefahr (Ab-<br />

sturzgefahr).<br />

Kommt im Steilhangbereich<br />

zum Stillstand.<br />

Erreicht den Hangfuß von<br />

Steilhängen.<br />

Überwindet flachere Gelände-<br />

teile (deutlich unter 30°) über<br />

eine Distanz von mehr als 50<br />

m. Kann den Talboden errei-<br />

chen.<br />

Schadenspotenzial-<br />

Klassifikation<br />

Relativ harmlos für Perso-<br />

Quantitative<br />

Klassifikation<br />

Alexander Holaus Seite 36<br />

nen<br />

Kann Personen verschüt-<br />

ten, verletzen oder töten<br />

Kann PKWs verschütten<br />

und zerstören, schwere<br />

LKWs beschädigen. Kann<br />

kleine Gebäude zerstören<br />

und einzelne Bäume bre-<br />

chen.<br />

Kann schwere LKWs und<br />

Schienenfahrzeuge ver-<br />

schütten und zerstören.<br />

Kann größere Gebäude und<br />

Waldareale zerstören<br />

Lauflänge


Lawinenexperten vor Ort<br />

Beurteilung der Lawinengefahr<br />

Schweizer (2006) führte schon vor längerer Zeit umfangreiche Belastungstests auf die<br />

Schneedecke durch. Erfahrungen aus der Praxis, aber auch seine Erkenntnisse galt es bei<br />

den bisherigen Definitionen entsprechend zu berücksichtigen. Wichtige Ergänzungen<br />

betreffen die Differenzierung nach dem verwendeten Sportgerät, ob Entlastungsabstände<br />

eingehalten werden und in Einzelner Skifahrer/Snowboarder etc., sanft schwingend, nicht<br />

stürzend welchem Stil abgefahren wird. Spätestens ab jetzt sollte die immer noch umher-<br />

geisternde Irrmeinung, dass man zur Schonung der Schneedecke die Skier ausziehen und<br />

den Hang (quasi als Alpinist) senkrecht empor spuren solle, aus den Köpfen gelöscht wer-<br />

den. Ein einzelner Alpinist, der zu Fuß unterwegs, übt nämlich eine wesentlich größere<br />

Belastung auf die Schneedecke aus, als z. B. ein Schneeschuh- oder Skitourengeher.<br />

„kleine/geringe Zusatzbelastung“<br />

„große Zusatzbelastung“<br />

• einzelner Skifahrer oder Snowboader,<br />

sanft schwingend, nicht stürzend<br />

• Gruppe mit Entlastungsabständen (mind. 10 m)<br />

• Schneeschuhgeher<br />

• zwei oder mehrere Skifahrer/Snowboarder etc.<br />

ohne Entlastungsabstände<br />

• Pistenfahrzeug, Schneefeldsprengung<br />

• einzelner Fußgänger/Alpinist<br />

Abbildung 4-4: Definition von „geringer“ bzw. „großer Zusatzbelastung“ (LWD Tirol, 2003)<br />

Schwiersch et. al. (2005) haben im Auftrag des DAV-Sicherheitskreises die Verständlich-<br />

keit des Lawinenlageberichts bei SkitourengeherInnen in den Wintern 03/04 und 04/05<br />

untersucht. Hier die Ergebnisse in Kürze (Schwiersch, 2005):<br />

� Knapp 80 % der Befragten halten den Lawinenlagebericht (LLB) für unverzichtbar.<br />

� Knapp 90 % befinden den LLB für verständlich<br />

(vgl. Kapitel 8: Fragebogenergebnisse, Wildschönau 2007)<br />

Mit Hilfe von eigenen Aufzeichnungen der Mitarbeiter des LWD und Rückmeldungen von<br />

Tourengehern, Lawinenkommissionsmitgliedern und anderen „Experten vor Ort“ wird der<br />

Lagebericht verifiziert und dessen Präsentationsform ständig neu überdacht.<br />

Ab heuer wird noch mehr auf das Motto „Wichtiges voran“ Wert gelegt:<br />

• erst die Schlagzeile, dann eine<br />

• temporäre und regionale Gefahrenstufenkarte,<br />

Alexander Holaus Seite 37


Lawinenexperten vor Ort<br />

Beurteilung der Lawinengefahr<br />

• vor weiteren grafischen Darstellungen, denn<br />

“Karten, Bilder und Symbole sagen mehr als 1000 Worte“,<br />

• außerdem eine Höhenangabe bei der Expositionsangabe,<br />

• dann erst der ausführliche Textteil.<br />

Zusätzlich wurde im Internet auf www.lawine.at/tirol wieder Einiges optimiert:<br />

• Erweitertes Angebot an Wetterstationsdaten (stündlich aktualisierte 3-Tages, Wochen-<br />

und Monatsdarstellungen),<br />

• Windböen, sowie der<br />

• Taupunkt als Feuchtemaß werden dargestellt.<br />

Neu sind auch<br />

• Temperaturkarten<br />

• Schneehöhenkarten und<br />

• der Neuschneezuwachs in den letzten 24, 48 und 72 Stunden angeboten.<br />

Die Datengrundlage für die Erstellung meteorologischer Karten und somit deren Qualität<br />

hat sich durch die Einbindung zahlreicher externer Stationen verbessert (LWD Tirol,<br />

2006).<br />

Alexander Holaus Seite 38


Lawinenexperten vor Ort<br />

Beurteilung der Lawinengefahr<br />

4.1.2 Entwicklung des Lawinenlageberichts in Tirol<br />

Verfolgt man die Entwicklung der Inhalte und das Layout des ersten von der Tiroler Lan-<br />

desregierung im Jahre 1960 veröffentlichten Lageberichtes mit dem aktuellen Stand, so<br />

lässt sich auch die Bedeutung desselben herauslesen.<br />

Abbildung 4-5: Erster Lawinenlagebericht LWD Tirol aus dem Jahre 1960 (LWD Tirol, 2006)<br />

Was vor nunmehr bald 50 Jahren nur wenigen Personen zugänglich war, erreicht heute<br />

„zigtausende“ Interessierte.<br />

Alexander Holaus Seite 39


Lawinenexperten vor Ort<br />

Beurteilung der Lawinengefahr<br />

Abbildung 4-6: aktuelles Layout des Tiroler Lageberichts (LWD Tirol, 2007)<br />

Im Anhang sind weitere <strong>Beispiel</strong>e (im Zehnjahresrhythmus) des Tiroler Lawinenlagebe-<br />

richts zu finden.<br />

Alexander Holaus Seite 40


Lawinenexperten vor Ort<br />

Beurteilung der Lawinengefahr<br />

4.1.3 Möglichkeiten und Grenzen des Lawinenlageberichts<br />

Laut LWD Tirol wird der Lawinenlagebericht für Regionen erstellt und stellt somit keine<br />

Einzelhangbeurteilung dar. Die Formulierung ist deshalb allgemein gehalten. Weiters ist<br />

eine Gefahrenbeurteilung des Einzelhanges aufgrund des Lageberichts alleine nicht mög-<br />

lich und zum Dritten stoßen exakte Vorhersagen von Lawinenereignissen (Zeitpunkt, Ört-<br />

lichkeit, Lawinengröße, Lawinenbahn, Lawinendruck) auf physikalische Grenzen und sind<br />

daher nicht möglich.<br />

Somit liegen die Möglichkeiten des LLB in einer Informationsplattform für die Tourenpla-<br />

nung bzw. Gefahrenbeurteilung für lokale Sicherheitskräfte bzw. örtliche Lawinenkom-<br />

missionen. Der LLB bietet eine gute Differenzierungsmöglichkeit der Gefahrenstufen zwi-<br />

schen den Regionen (Nairz, <strong>2002</strong>). Hinweise auf besonders gefährdete Hangbereiche (Ex-<br />

position, Höhenlage) inklusive tageszeitlicher Entwicklung sind möglich. Grundlegende<br />

Charakteristika des Schneedeckenaufbaus können erfasst und entsprechend berücksichtigt<br />

werden (vgl. Kapitel 3.1: Topografische Faktoren!).<br />

4.1.4 Methoden der Vorhersageüberprüfung in den Alpenregionen<br />

Auf Koordinationen der Europäischen Lawinenwarndienste wurde versucht, die verschie-<br />

denen Methoden der Überprüfung der Lawinengefahren-Vorhersage in den einzelnen Län-<br />

dern zu vergleichen. Hier die jeweiligen Vorgangsweisen (Podesser/Sudy, 2001):<br />

Der LWD Tirol versucht, mit Hilfe von Schneeprofilen (z. B. durch Beobachter vor Ort;<br />

eigene Profile), Befliegungen, Formulare für Rückmeldungen (allgemeiner u. passwortge-<br />

stützter Bereich) ihre Prognosen zu verifizieren.<br />

Frankreich tut dies mit Hilfe eines Index für abgegangene Lawinen, dem Zus<strong>am</strong>menhang<br />

zwischen Unfallhäufigkeit und Häufigkeit der Gefahrenstufen (lange Reihe), einer Model-<br />

lierung der Schneedecke mittels der Modelle SAFRAN, CROCUS und MEPRA (vgl. Ka-<br />

pitel 4.2.2 und 4.2.3), subjektiver Verifikation, seismischen Messungen der Lawinentätig-<br />

keit, eigenen Untersuchungen im Gelände, Berichten von Tourengehern und eigenen Er-<br />

fahrungen mit dem Lawinenlagebericht.<br />

Unser Nachbarland Bayern kann (nach eigenen Angaben aufgrund zu geringer Ressourcen)<br />

auf noch recht wenig Verifikation zurückgreifen und befindet sich derzeit im Aufbau eines<br />

Netzes von „Nachmittagsbegehern“ mit Rückkoppelung zum Lagebericht.<br />

Alexander Holaus Seite 41


Lawinenexperten vor Ort<br />

Beurteilung der Lawinengefahr<br />

In Schottland ergibt sich die Verifikation der Vorhersage <strong>am</strong> nächsten Tag über die Auf-<br />

zeichnungen von Lawinenabgängen, Unfällen, Berichten von Tourengehern und Bergfüh-<br />

rern.<br />

Italien verifiziert ihre Lageberichte seit 1995 nach der "Italienischen Feldmethode" basie-<br />

rend auf dem NYD- Modell der Schweiz: In einem nivometeorologisch homogenen Gebiet<br />

(Veltlin) findet die Untersuchung einer einheitlichen Strecke durch mehrere Personen zwei<br />

bis 3 Mal pro Tag statt (R<strong>am</strong>mschichtprofil, Rutschblock, Lawinenaktivität). Die Profile<br />

werden mit Einbeziehung der Schneehöhe in 16 Klassen eingeteilt (Klassifizierung in<br />

schwache, mäßige, gute Verfestigung). Im Winterhalbjahr 00/01 wurden 40 Einheiten mit<br />

insges<strong>am</strong>t 42 km Wegstrecke durchgeführt, dabei stellte sich heraus, dass 90% der Lawi-<br />

nenlageberichte richtig waren.<br />

In der Schweiz wurde die Verifikation über RSP und Rutschblock zu personalaufwendig.<br />

Eine Rückkoppelung über graphisch aufbereitete Fragebögen (Exposition, Höhenlage), war<br />

mit vielen Rückmeldungen die Folge, wenngleich der Rücklauf regional unterschiedlich<br />

war. Diese k<strong>am</strong>en vornehmlich aus touristisch erschlossenen Gebieten (Variantenbereich),<br />

v.a. aus der Umgebung von Davos. Bei der Verifizierung lag die Trefferquote bei 64%.<br />

Fehler entstanden v.a. durch Überbewertungen (z.T. ein bzw. zwei Stufen zu hoch bewertet<br />

- v.a. im Randbereich November, Mai oder im Zuge der tagesperiodischen Gefahrenände-<br />

rung im Frühjahr).<br />

In der Slowakei,� Slowenien und� Katalonien bedient man sich bislang noch keiner Verifika-<br />

tion.<br />

Zus<strong>am</strong>menfassend gelangen (Podesser/Sudy (2001) zur Ansicht, dass das italienische Mo-<br />

dell zwar genau, aber sehr personalaufwendig ist, der Trend sollte eher in Richtung Befra-<br />

gung gehen. Rückkoppelungen sollten auch dann kommen, wenn der Lagebericht richtig<br />

war, da es sonst zu einer Verfälschung der Ergebnisse kommt. Bezüglich der Einschätzung<br />

gibt es selbst bei den Experten eine größere Fluktuation, die Frage des Abgangszeitpunktes<br />

bei schlechtem Wetter ist ebenfalls unbefriedigend (akustische oder seismische Messung?).<br />

Alexander Holaus Seite 42


Lawinenexperten vor Ort<br />

Beurteilung der Lawinengefahr<br />

Bezüglich der Nutzergruppe lassen sich die Methoden zur Beurteilung der Lawinengefahr<br />

in zwei Gruppen untergliedern.<br />

Abbildung 4-7: Instrumente und Methoden im synergetischen Einsatz zur näherungsweisen Bestimmung der<br />

Lawinengefahr (modifiziert nach Föhn, 1984).<br />

4.2 Instrumente der Experten<br />

Diese komplexen Methoden (in Abb. 4-7 orange hinterlegt) verlangen in der Regel in ihrer<br />

Anwendung ein großes Maß an Vorwissen und arbeiten direkt mit den regional gemesse-<br />

nen oder beobachteten Werten.<br />

Aus den Instrumenten der Experten resultieren neben dem in Österreich überregionalen<br />

Lawinenlagebericht gegebenenfalls auch weitere Maßnahmen des temporären Lawinen-<br />

schutzes.<br />

Alexander Holaus Seite 43


Lawinenexperten vor Ort<br />

Beurteilung der Lawinengefahr<br />

Zu den Methoden und Instrumenten der Experten zur Einschätzung der Lawinensituation<br />

zählen:<br />

4.2.1 Statistische Methoden<br />

Dabei wird ein statistischer Zus<strong>am</strong>menhang aus über einen längeren Zeitraum ges<strong>am</strong>mel-<br />

ten lawinenspezifischen Par<strong>am</strong>etern des Wetters, Schnees, der Schneedecke und der Lawi-<br />

nentätigkeit andererseits errechnet. Die Gültigkeit dieser Modelle ist - ebenso wie jene der<br />

Expertensysteme und synoptischen Methoden – immer auf die Region beschränkt, in der<br />

die Inputdaten erhoben wurden. Das Eidgenössische Institut für Lawinenforschung in Da-<br />

vos bietet mit NXD ein Produkt zur lokalen Lawinenprognose nach der Methode der Nea-<br />

rest Neighbours an. NXD enthält eine Wetter-, Schnee und Lawinendatenbank (s. Abb. 4-<br />

8). Daraus sucht es meteorologisch vergleichbare Tage. Die Lawinenereignisse dieser Tage<br />

erleichtern die Abschätzung der Lawinengefahr, während mit jedem Einsatz die Datenbank<br />

wächst.<br />

Abbildung 4-8: Bedienungsoberfläche von NXD (Quelle: SLF Davos)<br />

Alexander Holaus Seite 44


Lawinenexperten vor Ort<br />

Beurteilung der Lawinengefahr<br />

4.2.2 Deterministische Methoden<br />

Diese versuchen die physikalischen Prozesse in der Schneedecke zu errechnen. Dazu wer-<br />

den genaue meteorologische Daten benötigt, um Energiebilanzen zu errechnen. Daraus<br />

lassen sich zum <strong>Beispiel</strong> Temperaturverläufe in der Schneedecke modellieren. <strong>Beispiel</strong>e<br />

dafür sind die in Frankreich im Einsatz befindlichen numerischen Modelle SAFRAN (zur<br />

Analyse meteorologischer Daten) und CROCUS (zur Berechnung von Massen- und Ener-<br />

gieaustausch) und das auch beim LWD Tirol erprobte SNOW PACK (vgl. Abb. 4-9), bei<br />

dem durch die Modellierung der Schneemikrostruktur eine Beschreibung des detaillierten<br />

Schichtaufbaus erreicht wird. Es eignet sich daher für eine genaue Beschreibung des<br />

Schneedeckenaufbaus. Wichtige Schwach- und Zwischenschichten wie Oberflächenreif,<br />

Tiefenreif oder Eislinsen werden modelliert.<br />

Abbildung 4-9: Grafische Darstellung der von SNOWPACK verarbeiteten Werte in der Schneedecke<br />

(SLF Davos, 2005)<br />

Alexander Holaus Seite 45


Lawinenexperten vor Ort<br />

Beurteilung der Lawinengefahr<br />

4.2.3 Expertensysteme<br />

Es werden die Denkmuster von Experten zur Beurteilung der Lawinengefahr nachgebildet.<br />

Die in einem Lernprozess aus den statistischen Daten abgeleiteten Zus<strong>am</strong>menhänge<br />

(„Wenn-dann-Regeln“) werden später bei einem Einsatz als Prognoseinstrument ange-<br />

wandt. In diesem Zus<strong>am</strong>menhang sei das in Frankreich häufig verwendete MEPRA-Modell<br />

erwähnt.<br />

Gewissermaßen als Untergruppe der Expertensysteme sind die in Grafik 4-7 angeführten<br />

synoptischen (konventionellen) Methoden zu erwähnen. Diese basieren auf den langjähri-<br />

gen persönlichen Beobachtungen und Erfahrungen lokaler Experten (Bergführer, Seilbahn-<br />

angestellte, Hüttenwirte, etc.) in Bezug auf den Zus<strong>am</strong>menhang von Lawinentätigkeit und<br />

deren meteorologischen und nivologischen Begleiterscheinungen. In zunehmendem Maße<br />

unterstützt durch die oben beschriebenen Instrumente stellt die synoptische oder auch klas-<br />

sische Methode die wichtigste und die entscheidende Methode zur Beurteilung der Lawi-<br />

nengefahr durch Experten dar.<br />

Abbildung 4-10: Galtür im Februar 1999 (Quelle: Land Tirol)<br />

Alexander Holaus Seite 46


Lawinenexperten vor Ort<br />

Beurteilung der Lawinengefahr<br />

Folgender Denkansatz wird zur Zeit in der Ausbildung der Lawinenkommissionsmitglieder<br />

vom Bayrischen Lawinenwarndienst angewandt:<br />

Zenke/Kronthaler (2006) schreiben in ihrem Bericht über die „systematische Schneede-<br />

ckendiagnose“, dass der eingehenden Untersuchung möglicher Schwachschichten in der<br />

Schneedecke besonderes Augenmerk zu schenken ist. Eine Aussage über die Schneede-<br />

ckenstabilität kann aus einem vereinzelten Blocktest bekannter Weise nicht abgeleitet wer-<br />

den. Er dient jedoch dazu, Lage und Art der Schwachschicht genauer zu betrachten und<br />

einen Vergleich des Schneedecken-„Ist-Zustandes“ mit ungünstigen Eigenschaften von<br />

Schwachstellen anzustellen. Um ein Schneebrett auszulösen bedarf es ihrer Ansicht nach<br />

einer großflächigen, zus<strong>am</strong>menhängenden Schwachschicht. Die Frage nach dem Vorhan-<br />

densein einer solchen kann mit „Prozessdenken“, also mit dem Wissen, welcher Prozess<br />

für deren Bildung notwendig war, häufig beantwortet werden. Bezieht man die über der<br />

Schwachschicht liegende Schneedecke mit ein, so lässt sich relativ zuverlässig abschätzen,<br />

ob Lawinen möglich sind, welcher Art sie sein können und welche Zusatzbelastung nötig<br />

ist, um diese auszulösen. Voraussetzung ist entsprechendes lawinenkundliches Wissen. Die<br />

„systematische Schneedeckendiagnose“ eröffnet Möglichkeiten. Je größer das Wissen,<br />

umso größer sind die Möglichkeiten, eine Gefahrensituation zu erkennen und zu bewerten<br />

(Kronthaler/Zenke, 06).<br />

Abbildung 4-11: Dichtere und schwächere Schichten lassen sich <strong>am</strong> Schneeprofil<br />

im Gegenlicht gut unterscheiden (Munter, 2003)<br />

Alexander Holaus Seite 47


Lawinenexperten vor Ort<br />

Beurteilung der Lawinengefahr<br />

Mit derselben Thematik, nämlich dem Aufspüren von Schwachschichten in der Schneede-<br />

cke (vgl. Abb. 4-11) hat sich auch Jürg Schweizer (2006) beschäftigt. „Wer seine Nase in<br />

die Schneedecke steckt, der sollte auch nach Nieten suchen“, meint er. Durch den Ver-<br />

gleich von stabilen mit instabilen Schneedecken. Weniger Kornformen- und Korngrößen,<br />

welche vielleicht auch noch mit der Lupe untersucht werden, sondern es wird zielgerichtet<br />

nach Unterschieden respektive „Nieten“ (Schweizer, 2006) gesucht: Eine typische<br />

Schwachschicht ist nämlich weich (Niete 1) – eine Faust lässt sich leicht in die Schicht<br />

drücken – und besteht aus großen Körnern (Niete 2). Groß heißt, man sieht die einzelnen<br />

Körner gut mit bloßem Auge: sie sind mindestens etwa 1 mm groß. Von einem schwachen<br />

Schichtübergang spricht Schweizer dann, wenn markante Unterschiede in Härte (Niete3)<br />

und Korngröße (Niete 4) vorliegen. Befindet sich diese Schwachschicht auch noch inner-<br />

halb eines Meters unter der Schneeoberfläche(Niete 5) und sind die großen Körner in der<br />

weichen Schicht auch noch kantig anstatt rund, so sind wir bei sechs möglichen Nieten<br />

angelangt und haben wahrscheinlich die kritische Schwachstelle gefunden.<br />

In Kombination mit dem „Säulentest“ (auch „Kompressionstest“ genannt), bei dem eine<br />

30x30 cm große Schneesäule von seiner Umgebung mindestens einen Meter tief frei gelegt<br />

und erst aus dem Handgelenk, dann Ellenbogen- und (falls noch ganz) aus dem Schulterge-<br />

lenk „angeklopft“ wird, lässt sich zusätzlich mit der Bruchform der Säule eine Entschei-<br />

dung treffen: Weisen alle drei Kriterien in dieselbe Richtung also eher stabil oder instabil<br />

hin, lässt dies auf allgemein eher guten bzw. schlechten Schneedeckenaufbau schließen.<br />

Insbesondere der „Nietentest“ scheint gegenüber dem „Säulentest“ weniger anfällig auf<br />

kleinräumige Gegebenheiten zu sein. Erste Erfahrungen haben laut Schweizer gezeigt, dass<br />

sich diese Methode dank seinen gezielten Suche nach „Nieten“ besser bewährt als reines<br />

„Rätselraten“ nach zufällig ausgewählten Teststandorten (Schweizer, 2006).<br />

Alexander Holaus Seite 48


Lawinenexperten vor Ort<br />

Beurteilung der Lawinengefahr<br />

4.3 Instrumente für den Laien<br />

Sie lassen aufbauend auf den Erkenntnissen der Experten mit vergleichsweise geringem<br />

Vorwissen den Winterbergsteiger, Snowboarder, etc. auch mit ungenauen Werten zu einem<br />

sinnvollen Ergebnis gelangen. Diese müssen das Unvermögen der Laien, Par<strong>am</strong>eter der<br />

Schneedecke richtig zu interpretieren, berücksichtigen und demnach mit Größen arbeiten,<br />

die zum einen in engem Zus<strong>am</strong>menhang mit der Schneebrett-Auslösewahrscheinlichkeit<br />

stehen und zum anderen relativ exakt von den betroffenen Personen beurteilt werden kön-<br />

nen, wie z.B. die Geländeeigenschaften Hangneigung und -Ausrichtung (Larcher, 1997).<br />

Derzeit stehen dem Laien folgende Instrumente zur Gewinnung einer persönlichen Ein-<br />

schätzung der Lawinensituation zur Verfügung (in Abb. 4-7 grün hinterlegt):<br />

4.3.1 Strategische Methoden zur Einschätzung des Lawinenrisikos<br />

4.3.1.1 Reduktionsmethode nach Munter<br />

Mit dem Erscheinen der ersten Auflage von 3x3 Lawinen (Munter, 1997), in der die ele-<br />

mentare Reduktionsmethode einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt wurde, führte zu sehr<br />

kontroversiellen Diskussionen. Höller (2004) warnt in seinen Ausführungen vor einer<br />

Simplifizierung der komplexen Zus<strong>am</strong>menhänge: seiner Ansicht nach würden darin „nur<br />

die topografischen Faktoren und die Gefahrenstufen des Lageberichts berücksichtigt, je-<br />

doch Par<strong>am</strong>eter der Schneedecke (Schneedeckenaufbau) oder andere Einflussgrößen nicht<br />

miteinbezogen werden.“ Somit sei aus diem Grund „ ...diese Methode nicht geeignet, ein<br />

zus<strong>am</strong>menhängendes Bild der aktuellen Situation aufzuzeigen ...“.<br />

Klaus Hoi, ehemaliger Ausbildungsleiter im Österreichischen Bergführerverband, kom-<br />

mentierte, dass „... man ein ordentliches Basiswissen in Schnee- und Lawinenkunde benö-<br />

tigt, um die Methode anwenden zu können, und auch dann kann das zu erwartende Risiko<br />

nur schätzungsweise berechnet werden.“ (Hoi, 2000).<br />

Für die Befürworter der Methode schien es nun endlich ein Instrumentarium zu sein, mit<br />

dem aus einfachstem Weg das Lawinenrisiko berechnet werden kann. Larcher (1999)<br />

sprach sogar von einem „bahnbrechenden <strong>Ansatz</strong> Munters“.<br />

Alexander Holaus Seite 49


Lawinenexperten vor Ort<br />

Beurteilung der Lawinengefahr<br />

Abbildung 4-12: 3x3 Reduktionsmethode nach Werner Munter, 2000<br />

Hier sei die Reduktionsmethode von Munter (vgl. Abb. 4-12) noch einmal vorgestellt:<br />

Die elementare Reduktionsmethode (Munter, 1997) errechnet das Lawinenrisiko lediglich<br />

in Abhängigkeit von der herrschenden Gefahrenstufe sowie den topografischen Faktoren<br />

Hangneigung und Exposition. Das akzeptierte Risiko ergibt sich aus dem Quotienten des<br />

Gefahrenpotenzials (gemäß Gefahrenstufe) und der Kombination diverser Reduktionsfak-<br />

toren. Bei errechnetem Restrisiko von 1 oder < 1 befindet man sich gleichs<strong>am</strong> im sicheren<br />

Bereich, liegt der darüber, ist das festgesetzte Risiko überschritten.<br />

Da sich die meisten Gefahrenstellen im Schattsektor (mit schlechtem Schneedeckenfun-<br />

d<strong>am</strong>ent und Schwachschichten aus Tiefenreif) befinden und andererseits die Wahrschein-<br />

lichkeit für einen Lawinenanriss mit zunehmender Hangneigung steigt, kann ein Verzicht<br />

auf das befahren von steilen, schattseitigen Hängen zu einer Verringerung des Risikos füh-<br />

ren. „Zielsetzung ist, mit Hilfe einfacher Überlegungen und Kombinationen (Beurteilung<br />

durch bloßes Nachdenken statt Schaufeln – wie Munter es nennt) eine Beurteilung der La-<br />

winengefahr vorzunehmen“ (Munter, 2003).<br />

Alexander Holaus Seite 50


Lawinenexperten vor Ort<br />

Beurteilung der Lawinengefahr<br />

4.3.1.2 stop or go<br />

Larcher (2004) baut in seiner Methode „Stop or go“ im Bewusstsein, dass eben topografi-<br />

sche Faktoren nicht ausreichen, um die Lawinengefahr entsprechend einzuschätzen, auf die<br />

Munter’sche Reduktionsmethode auf (Check 1) und erweitert diese um eine zweite Stufe.<br />

In diesem Check 2 werden fünf Wahrnehmungsaufgaben, wie sie Dr. Höller in seinem<br />

Artikel (Larcher, 2004) beschreibt. Der Tourengeher soll dabei frischen Triebschnee, Neu-<br />

schnee, frische Lawinen, Durchfeuchtung und Setzungsgeräusche erkennen und sie für sich<br />

soweit beurteilen können, dass er daraus eine entsprechende Handlung ableiten kann –<br />

eben stop or go (s. Abb. 4-13) . Somit liegt die Idee dieser Methode im zweistufigen An-<br />

satz: zum ersten werden jene Hänge gemieden, die gemäß des zugrunde liegenden Lagebe-<br />

richts nicht begangen bzw. befahren werden sollte. Präzise Fragestellung im zweiten Teil<br />

soll den Blick des Tourengehers auf das Wesentliche schärfen. „Das Ziel der Methode stop<br />

or go ist, die ges<strong>am</strong>te Lawinenkunde auf die wirklich entscheidenden Fragen zu reduzie-<br />

ren“ (Larcher, 2004).<br />

Abbildung 4-13: Strategiekärtchen Stop or go von Michael Lacher 1999, ÖAV<br />

Alexander Holaus Seite 51


Lawinenexperten vor Ort<br />

Beurteilung der Lawinengefahr<br />

4.3.1.3 SnowCard<br />

Die im Verlag Martin Engler im Jahre 2000 erschienene „SnowCard“ (s. Abb. 4-14) er-<br />

rechnet ausgehend von der im Lawinenlagebericht angeführten Gefahrenstufe unter Einbe-<br />

ziehung von tourenspezifischen Merkmalen, wie z.B. maximale Hangneigung und/oder<br />

Exposition, und gruppenspezifischen Faktoren, wie z.B. Gruppengröße oder Einhaltung<br />

der Sicherheitsabstände, als Reduktionsfaktoren einen der Situation angepassten Risikofak-<br />

tor. Das bunte Kärtchen gibt das Risiko in verschiedenen Farben (rot = hohes Risiko, gelb<br />

= Vorsicht mit Entlastungsabständen und kleinen Gruppen, grün = geringes Risiko) an.<br />

Durch Kippen des Kärtchens ergeben sich entsprechende Werte sowohl für günstige als<br />

auch ungünstige Expositionen. Ein (zweiter) Faktorencheck ist laut Engler für Fortge-<br />

schrittene und Pofis gedacht. Dieser ist im Gegensatz zu Larcher’s „stop or go“ etwas dif-<br />

ferenzierter (mit den Faktoren letzte Schneefallperiode, Wind, aktuelle Temperatur,<br />

Schichtverbindung, Schneedeckenfund<strong>am</strong>ent) ausgeführt. „Das Ziel der Methode besteht<br />

darin, den Stellenwert der klassischen, Lawinen bildenden Faktoren und den Wert einer<br />

fundierten Ausbildung zu erhalten“ (Engler, 2000).<br />

Abbildung 4-14: SnowCard (Martin Engler, 2000)<br />

Alexander Holaus Seite 52


Lawinenexperten vor Ort<br />

Beurteilung der Lawinengefahr<br />

4.3.1.4 NivoTest<br />

Mittels 25 Fragen, die sich insbesondere auf meteorologische Einflussfaktoren sowie auf<br />

die vor Ort erkennbaren Merkmale konzentrieren, hat sich Bolognesi (2000) ein „pocket<br />

tool for avalanche risk assessing“ ausgedacht. Fragen bezüglich Topografie stehen im<br />

Hintergrund. Mittels eines Rädchens eingestellt erhält jede Frage entsprechend ihrer Ant-<br />

wort eine bestimmte Punktezahl, welche aufsummiert werden (Summe 23 = allgemein ungünstig). Kompliziertere Berechnungen sind nicht nö-<br />

tig, auf der Rückseite des Kärtchens (s. Abb. 4-15) werden den einzelnen Stufen Signatu-<br />

ren zugeordnet, die auf verständliche Weise das erforderliche Verhalten zum Ausdruck<br />

bringen. der wesentliche Unterschied zu den oben beschriebenen Methoden ist der Ver-<br />

zicht auf die Lawinengefahrenstufe. „Der NivoTest ist keine Blackbox sondern eine Richt-<br />

schnur zum beobachten und Verstehen der Verhältnisse im winterlichen Gebirge.“ (Bo-<br />

lognesi, 2000). Der NivoTest wird als Wahlmittel angesehen und soll Ergänzung zu Lage-<br />

bericht und zur weiteren Information sein.<br />

Abbildung 4-15: NivoTest-Kärtchen (Bolognesi, 2000)<br />

Alexander Holaus Seite 53


Lawinenexperten vor Ort<br />

Beurteilung der Lawinengefahr<br />

4.3.2 Beurteilung der strategischen Methoden<br />

Methoden, die auf Lawinenunfallstatistiken basieren, reichen nicht, um daraus eine Risi-<br />

koberechnung durchzuführen. Wie schon in Kapitel 3.1.2 Exposition angeführt (vgl.<br />

Kronthaler 2001 und Grimsdottir/McClung 2004), fehlen darin meist die Begehungszahlen<br />

in den einzelnen Expositionen. Alleine aus den Unfallzahlen Risiko errechnen zu wollen,<br />

ist nicht wissenschaftlich und schlichtweg unmöglich. Der Lawinenlagebericht als Ein-<br />

gangspar<strong>am</strong>eter und Grundlage für die meisten strategischen Lawinenbeurteilungsmetho-<br />

den stellt aber keine Detailbeurteilung des Einzelhanges dar, somit kann dieses Werkzeug<br />

nur sehr bedingt dafür benutzt werden. Lediglich eine Grobplanung ist möglich, da die<br />

Abschätzung der exakten Hangneigung aus der 1:25000-Karte nur mit großer Ungenauig-<br />

keit erfolgt (0,2 mm Unterschied auf der Karte zwischen 35° und 40°). Nachdem der Nivo<br />

Test auf die Einbeziehung der Gefahrenstufe verzichtet, wird der Tourengeher zumindest<br />

dazu gedrängt sich vor Ort intensiv mit den Gegebenheiten auseinander zu setzten (Höller,<br />

2004).<br />

Was die topografischen Einflussfaktoren betrifft, beschäftigen genannte Methoden ihre<br />

Anwender ausreichend d<strong>am</strong>it. Witterungseinflüsse werden – wie in den einzelnen Unter-<br />

kapiteln 4.3.1.1 bis 4.3.1.4 bereits ausgeführt - unterschiedlich berücksichtigt. Die Schnee-<br />

decke selbst findet sehr unterschiedliche Beachtung in den einzelnen Beurteilungsmetho-<br />

den. Nachdem Reduktionsmethode und Stop or go möglichst viele Personen (ohne bzw. mit<br />

geringen nivologischen Kenntnissen) ansprechen wollen, kommen der Faktorencheck (bei<br />

der SnowCard) und insbesondere der NivoTest hier eher der Problematik Schwachschnee-<br />

schichten auf den Grund.<br />

Abschließend sei festgehalten, dass durch diese strategischen Schemata die Stop or go<br />

(Check 2), SnowCard und NivoTest zumindest keine wesentlichen Faktoren vergessen<br />

werden können. Zumindest die Sichtweise der Tourengeher und Variantenfahrer wird da-<br />

durch geschärft, wenn auch spezifische Untersuchungen diesen Methoden bezüglich ihrer<br />

Anwendbarkeit im direkte Vergleich ergeben haben, dass zusätzliche erkennbare Hinwei-<br />

se (obvious clues, vgl. McC<strong>am</strong>mon/Hägeli, 2004) deutlich besser abschneiden (Höller,<br />

2004).<br />

In seinen Schlussfolgerungen hält Höller fest, „dass strategische Methoden von der fachli-<br />

chen Seite her keine neuen Erkenntnisse gebracht haben. Sie können aber durch ihre Dar-<br />

stellung (einfache Schemata) dazu führen, dass der Tourengeher veranlasst wird, sich mit<br />

Alexander Holaus Seite 54


Lawinenexperten vor Ort<br />

Beurteilung der Lawinengefahr<br />

den wichtigsten Lawinen bildenden Faktoren näher auseinander zu setzen; für Anfänger ist<br />

keine der beschriebenen Methoden wirklich geeignet“ . (Höller, 2004)<br />

Abbildung 4-16: Schüler beim Messen der Hangneigung mit selbst kreierter Karte (Foto: A. Holaus)<br />

Der Tenor der Lawinenexperten beim im November 2006 abgehaltenen Alpinforum des<br />

Kuratoriums für Alpine Sicherheit in Innsbruck geht auch in diese Richtung, nämlich La-<br />

winen bildende Faktoren in Kombination mit fundierter nivologischer Ausbildung wieder<br />

mehr in den Mittelpunkt der Entscheidungen zu stellen.<br />

Alexander Holaus Seite 55


Lawinenexperten vor Ort<br />

Beurteilung der Lawinengefahr<br />

4.3.3 Erste digitale Hangneigungskarten<br />

Die tatsächliche Hangneigung aus einer großmaßstäbigen topografischen Karte heraus zu<br />

messen bedarf einiger Übung und ist daher fehleranfällig (vgl. Kapitel 4.3.2). Mit Hilfe<br />

von qualitativen, digitalen Geländemodellen kann diese Informationswiedergabe nutzbar<br />

gemacht werden. Diverse kartografische Darstellungsvarianten, die flächenhaft abgeleitete<br />

Hangneigungs- und Expositionsklassen beinhalten können dem Benutzer bei der Planung<br />

einer Tour und im Gelände zur Beurteilung der potenziellen Lawinengefahr dienlich sein.<br />

Erste Ergebnisse wurden 1998 im Rahmen einer gemeins<strong>am</strong>en Hochgebirgskartografie-<br />

Tagung der Kartografischen Kommission der Österreichischen sowie Deutschen Gesell-<br />

schaft für Geografie in der Silvretta vorgestellt. (Kriz, 2001).<br />

Abbildung 4-17: Ausschnitt aus der Lawinengefährdungskarte M 1 : 30000 aus dem Bieltal<br />

(Kriz, 2001)<br />

Die Abb. 4-17 hebt jene Geländebereiche hervor, die unter bestimmten Verhältnissen eine<br />

größere Lawinengefahr aufweisen. Ausschlaggebend für die Erstellung solcher Karten ist<br />

allerdings eine qualitative, topografische und thematische Datengrundlage. Es ist also mög-<br />

lich, dass thematisch ergänzte, großmaßstäbige, topografische Karten für die Beurteilung<br />

der Lawinengefahr herangezogen werden können. Durch die Integration und Klassifizie-<br />

rung der Hangneigung ist eine grafische und vor allem zus<strong>am</strong>menhängende Betrachtung<br />

der Neigungsverhältnisse des Geländes möglich. Werden noch weitere thematische Aspek-<br />

te, wie zum <strong>Beispiel</strong> Expositionsklassen, diverse Geländeformen und dergleichen mit ein-<br />

bezogen, können komplexe Karten für den speziellen Gebrauch erzeugt werden.<br />

Alexander Holaus Seite 56


Lawinenexperten vor Ort<br />

Beurteilung der Lawinengefahr<br />

4.3.4 Tiroler Raumordnungs-Informationssystem 2006<br />

Zum Vergleich hier in Abb. 4-18 eine vom Land Tirol aktuell zur Verfügung gestellte und<br />

für jeden Wintersportler nutzbare aktuelle digitale Geländedarstellung derselben Region.<br />

Farblich in drei Klassen unterschieden (gelb >30°; orange >35°; rot >39°) werden die ver-<br />

schiedenen Hangneigungsbereiche dargestellt:<br />

Abbildung 4-18: Geländeinformationskarte vom Bieltal (Quelle: tiris 2007)<br />

Trotz aller Möglichkeiten der Darstellung digitaler Karten ist dennoch fest zu halten, dass<br />

es wie bei herkömmlicher Planung mit AV-Karten immer einem kritischen Auge im Ge-<br />

lände bedarf. Eine aus der Karte mit 35° herausgemessene Hangneigung gibt nur den<br />

Durchschnittswert zwischen den 20m-Höhenschichtlinien an. Dazwischen können sich für<br />

den Variantenskifahrer aber deutlich steilere und somit sehr gefährliche Geländeabschnitte<br />

befinden.<br />

Alexander Holaus Seite 57


Lawinenexperten vor Ort<br />

Weitere Präventionsmaßnahmen<br />

5 Weitere Präventionsmaßnahmen<br />

Ziel von weiteren Präventionsmaßnahmen muss es sein, eine künstliche Erhöhung der Sta-<br />

bilität der Schneedecke in möglichen Lawinenanrisszonen, eine Minimalisierung der<br />

künstlich erzeugten Zusatzspannungen und deren Wirkungsbereich in möglichen Anriss-<br />

zonen, sowie durch bauliche Maßnahmen eine Veränderung der Lawinenbahnen und Ver-<br />

kürzung der Lawinenauslaufstrecken (vgl. Abb. 5-2) zu erreichen. Hier wird grundsätzlich<br />

zwischen temporären und permanenten Maßnahmen (vgl. Tab.5-1) unterschieden:<br />

Temporäre Maßnahmen: Permanente Maßnahmen:<br />

• Lawinenlagebericht/Bulletin<br />

• regionale/lokale Lawinenwarnung<br />

• Sperrung<br />

• Evakuierung<br />

• Künstliche Lawinenauslösung<br />

• Routenwahl/Verhalten in<br />

lawinengefährdetem Gebiet<br />

• Schneedeckentests<br />

• Rettung<br />

• Gefahrenzonenpläne<br />

• Lawinenanrissverbauung<br />

• Lawinenablenk- und<br />

Auffangverbauung<br />

• Aufforstung<br />

• Dimensionierung von Objekten<br />

auf Lawinenkräfte<br />

Tabelle 5-1: Maßnahmen zur Reduktion des Risikos (SLF, 1998)<br />

Im Folgenden werden lediglich die Möglichkeiten zur Risikominimierung im Straßen- und<br />

Siedlungsgebiet näher behandelt. Das lawinengerechte Verhalten der Skitouristen im freien<br />

Skiraum abseits gesicherter Pisten und im Tourengelände würde den Rahmen dieser Arbeit<br />

sprengen.<br />

Abbildung 5-1: Permanente Stützverbauung im Anrissbereich (WLV, 2003)<br />

Alexander Holaus Seite 58


Lawinenexperten vor Ort<br />

Weitere Präventionsmaßnahmen<br />

Die permanenten Maßnahmen umfassen dauernd wirks<strong>am</strong>e Bauten wie die Stützverbauung<br />

in Anrissgebieten, möglicherweise kombiniert mit einer Verwehungsverbauung, sowie<br />

Ablenk- und Bremswerke in der Lawinenbahn. Im Gegensatz dazu sind die temporären<br />

Maßnahmen nicht dauernd wirks<strong>am</strong>, die Gefahr kann nur während bestimmter Zeiten er-<br />

niedrigt werden. In diesen Bereich gehören die Methoden der künstlichen Lawinenauslö-<br />

sung und die touristischen Verhaltensregeln in lawinengefährdetem Gebiet.<br />

Abbildung 5-2: <strong>Beispiel</strong> eines Lawinenkatasters anhand de <strong>Gemeinde</strong> Neustift im Stubaital:<br />

rot…jährlich, blau…3 bis 20 jährlich, gelb…> 50 jährlich. (ÖROK, 1986)<br />

Temporäre Maßnahmen verhindern die Lawinenbildung nicht. Mittels künstlicher Lawi-<br />

nenauslösung kann einzig der Zeitpunkt und unter gewissen Voraussetzungen die maxima-<br />

le Lawinengröße - allerdings mit beschränkter Sicherheit – bestimmt werden. Die künstli-<br />

che Auslösung von Lawinen ermöglicht die Entfernung bedrohlicher Schneemassen aus<br />

den Anrissgebieten zu bekannten Zeiten. D<strong>am</strong>it wird die Stabilität des in den Anrissgebie-<br />

ten verbleibenden Schnees stark erhöht. Um bei Anwendung temporärer Maßnahmen das<br />

Restrisiko für einen Unfall klein halten zu können, muss es demnach möglich sein, das<br />

Produkt der beiden anderen Faktoren Präsenzwahrscheinlichkeit und Schadenausmaß für<br />

bestimmte Zeitperioden sehr klein zu machen. Dies kann nur durch Evakuierung, minimale<br />

Aufenthaltsdauer und Objektschutz erreicht werden. Durch Stützverbauung (vgl. Abb.5-1<br />

Alexander Holaus Seite 59


Lawinenexperten vor Ort<br />

Weitere Präventionsmaßnahmen<br />

und Abb. 5-3) wird die Stabilität der ges<strong>am</strong>ten Schneedecke in möglichen Anrissgebieten<br />

künstlich erhöht, durch eine Verwehungsverbauung kann der Transport von zusätzlichem<br />

Schnee durch den Wind in Anrissgebiete reduziert werden. Bei Stützverbauungen wird ein<br />

verbleibendes Restrisiko zwischen 5 und 15% des ursprünglich vorhandenen Risikopoten-<br />

zials angenommen. Bei Sperren und künstlicher Lawinenauslösung verbleiben rechnerisch<br />

noch zwischen 5 und 20%.<br />

Abbildung 5-3: Die Lawinenverbauungen verhindern ein Anbrechen von Lawinen<br />

(Foto: Wildbach- und Lawinenverbauung Tirol)<br />

Durch Ablenk-, Brems- und Auffangwerke in Lawinenauslaufgebieten können extreme<br />

Auslaufstrecken verkürzt werden. D<strong>am</strong>it unterscheiden sich die möglichen Anwendungs-<br />

gebiete der beiden Maßnahmen zur Gefahrenreduktion ganz wesentlich. Für nicht oder<br />

schlecht evakuierbare und sperrbare Gebiete mit nur beschränkt möglichem Objektschutz<br />

wie Siedlungen oder Wälder kommen im Allgemeinen ausschließlich permanente Schutz-<br />

massnahmen zur Anwendung. Für kurzzeitig sperrbare Verkehrswege wird oft eine Kom-<br />

bination von Objektschutz und künstlicher Lawinenauslösung als optimal erachtet.<br />

Die Präsenzwahrscheinlichkeit kann mit Hilfe von Gefahrenzonenplänen und der Lawi-<br />

nenwarnung reduziert werden. Aufgrund von Gefahrenzonenplänen (unter Zugrundelegung<br />

eines Ereignisses mit einer Wiederkehrwahrscheinlichkeit von 150 Jahren) können Lawi-<br />

nenzonen ausgeschieden werden, in denen jegliche Bauten untersagt („Rote Zone“), oder<br />

bei geringerer möglicher Gefahr, nur mit baulichen Auflagen und Evakuationspflicht im<br />

Falle erhöhter aktueller Gefahr („Gelbe Zone“) gestattet werden (vgl. Abb. 5-4). In der<br />

Verordnung des BM für Land- und Forstwirtschaft vom 30.Juli 1976 ü (BGBL., Nr. 436<br />

idgF.) ist u.a. festgehalten, dass „ ... der GZP aus einem kartografischen und einem textli-<br />

chen Teil zu bestehen hat, ... der kartografische Teil wiederum aus einer Gefahrenkarte<br />

und Gefahrenzonenkarten, die die für das Bemessungsereignis ermittelten Wirkungen ...<br />

aufzeigen.“<br />

Alexander Holaus Seite 60


Lawinenexperten vor Ort<br />

Weitere Präventionsmaßnahmen<br />

Kriterien Zone Bemessungsereignis<br />

Druck (p)<br />

Mächtigkeit der<br />

Ablagerung<br />

Häufiges Ereignis<br />

(1-10jährlich)<br />

„Rote Zone” LR p>10 kN/m² p>10 kN/m²<br />

“Gelbe Zone” LG 1


Lawinenexperten vor Ort<br />

Weitere Präventionsmaßnahmen<br />

Gebäude, Masten und andere Installationen können grundsätzlich auf Lawinenkräfte di-<br />

mensioniert werden, so dass das Schadensausmaß sehr gering bleibt.<br />

Abbildung 5-5: Der Lawinenkeil dient zur Ablenkung auftreffender Kräfte<br />

(Foto: Wildbach- und Lawinenverbauung)<br />

Auch im freien Skiraum und auf Tour können die Überlebenschancen von Lawinenver-<br />

schütteten wesentlich beeinflusst werden. Voraussetzung dazu sind gut eingeübte K<strong>am</strong>era-<br />

denhilfe, ein gut organisierter Rettungs- und Pistendienst, Notruftelefone in der Nähe kriti-<br />

scher Pistenabschnitte und Information der Skifahrer und Benützer von potentiell gefährde-<br />

ten Verkehrswegen oder Wohngebieten. Das Mitführen von Funkgeräten oder Mobiltele-<br />

fonen auf Skitouren ermöglicht die rasche Alarmierung von Rettungsorganisationen. Für<br />

bestehende Gebäude und Anlagen kann die Präsenzwahrscheinlichkeit nicht geändert wer-<br />

den. Hingegen kann das Schadensausmaß für Bauten und Anlageteile innerhalb der Gefah-<br />

renzone durch bauliche Maßnahmen stark verringert werden.<br />

Abbildung 5-6: Die Lawinengalerie bietet (richtig dimensioniert) 100%igen Schutz<br />

(Foto: Wildbach- und Lawinenverbauung Tirol)<br />

Alexander Holaus Seite 62


Lawinenexperten vor Ort<br />

Beschreibung des Untersuchungsgebietes<br />

6 Beschreibung des Untersuchungsgebietes<br />

6.1 Geografische Lage<br />

Rattenberg<br />

Alpbach<br />

Kundl<br />

Wörgl<br />

Abbildung 6-1: Die Wildschönau mit Nachbargemeinden (Land Tirol, 2006)<br />

Hopfgarten<br />

Mit Alpbach gehört die Wildschönau zu den südlichsten <strong>Gemeinde</strong>n des politischen Be-<br />

zirks Kufstein (s. Abb. 6-1). Im Osten grenzt sie an die Marktgemeinde Hopfgarten im<br />

Brixental im Bezirk Kitzbühel. Von ca. 700 m Seehöhe reicht das <strong>Gemeinde</strong>gebiet bis auf<br />

den 2309 m hohen Großen Beil hinauf. Entwässert wird sie im Osten vom „Wörgler Bach“<br />

in Richtung Wörgl und der „Wildschönauer Ache“ durch die Kundler Kl<strong>am</strong>m. Von ihrem<br />

Alexander Holaus Seite 63


Lawinenexperten vor Ort<br />

Beschreibung des Untersuchungsgebietes<br />

nördlichsten zum südlichsten Punkt erstreckt sich die Wildschönau auf ca. 18 km, in Ost-<br />

West-Richtung misst sie beachtliche 12 km.<br />

6.2 Geologie der Wildschönau<br />

Die Wildschönau nimmt einen der ältesten Teile in der sich über ca. 350 km in West-Ost-<br />

Richtung erstreckenden Grauwackenzone (vgl. Abb.6-2) ein.<br />

Abbildung 6-2: Grauwackenzone mit Wildschönau (Mostler, 1973)<br />

Der nördlichste Teil des Wildschönauer <strong>Gemeinde</strong>gebiets ist seit jeher von Reststöcken der<br />

Nördlichen Kalkalpen (mit eingestreutem Buntsandstein) begrenzt (in Abb. 6-2 ziegel-<br />

steinartig gekennzeichnet und auf Abb. 6-3 als Foto zu sehen).<br />

Abbildung 6-3: Rest-Kalkstock im nördlichsten Teil der Wildschönau (Foto: A. Holaus)<br />

Alexander Holaus Seite 64


Lawinenexperten vor Ort<br />

Beschreibung des Untersuchungsgebietes<br />

Somit musste sich das Wasser ursprünglich seinen Weg aus dem hintersten „Innertal“ (wie<br />

Auffach auch genannt wird) über Oberau und Niederau hinaus zum Inn suchen. Somit ist<br />

wahrscheinlich, dass der westliche <strong>Gemeinde</strong>teil (gemäß der „Sage vom Wildschönauer<br />

Drachen“) einst ein See (vgl. Abb. 6-4) war, welcher sich erst allmählich seinen zweiten<br />

Abfluss durch die heutige Kundler Kl<strong>am</strong>m „fressen“ musste.<br />

Abbildung 6-4: Der „Wildschönauer See“<br />

(Quelle: Wildschönauer Heimatbuch von H. Mayr,1993)<br />

Besonders eindrucksvoll sind die durch den erst 1895 erfolgten Straßenbau freigelegten<br />

Aufschlüsse <strong>am</strong> Eingang zur Wildschönau (Nähe Gasthof Maut). Rote und blaue Sand-<br />

steinbänke falten sich in der Grenznaht zwischen Kalk- und Schieferalpen spektakulär auf.<br />

Alexander Holaus Seite 65


Lawinenexperten vor Ort<br />

Beschreibung des Untersuchungsgebietes<br />

Abbildung 6-5: Buntsandstein und Schiefer prägen das Landschaftsbild der Wildschönau (Fotos: A. Holaus)<br />

Der weiche „Wildschönauer Schiefer“ gibt den Grasbergen seine sanften Formen. Der<br />

Wasser undurchlässige Tonschiefer zeigt sich in graugrünblauer Farbe, verwittert rasch<br />

und ist vielfach interessant gefältelt und geblättert (vgl. Abb. 6-5).<br />

Übermurter Boden ist bald wieder fruchtbar, Rutschflächen begrünen sich gleich wieder.<br />

Der fichtenreiche Waldbestand (mit eingestreuten Lärchen) reicht bis auf eine Höhe von<br />

ca. 1750 m (Mayr, 1993).<br />

Alexander Holaus Seite 66


Lawinenexperten vor Ort<br />

Beschreibung des Untersuchungsgebietes<br />

Der südlichste Teil der Wildschönau wird von Quarzphyllit mit Augengneis überragt<br />

(vgl. Abb. 6-2 und Abb. 6-6).<br />

Abbildung 6-6: Quarzphyllit (umgewandelter Tonschiefer mit hohem Quarzanteil)<br />

Abbildung 6-7: Blick von der Breitegg-Alm auf Großen und Kleinen Beil<br />

(Foto: Wildschönauer Heimatbuch, H. Mayr 1993)<br />

Doch nur die höchsten Gipfel der Wildschönau, wie Lämpersberg, Großer und Kleiner<br />

Beil (s. Abb. 6-7), ragten während der letzten Glazialzeit aus einem mächtigen Eisdeckel,<br />

welcher sich bis in den Süddeutschen Raum ausgebreitet hatte.<br />

Alexander Holaus Seite 67


Lawinenexperten vor Ort<br />

Beschreibung des Untersuchungsgebietes<br />

Die folgende Grafik (Abb. 6-8) zeigt die Vergletscherung des Unterinntals (insbesondere<br />

der Wildschönau) während der Würm-Eiszeit vor ca. 20000 bis 18000 Jahren:<br />

innsbruck<br />

Rosenheim<br />

Rofanspitze (2259 m)<br />

Kufstein<br />

Wildschönau<br />

Abbildung 6-8: Alpine Eismassen bis in den Süddeutschen Raum (van Husen, 1997)<br />

Die Eisoberfläche reichte in der Wildschönau bis in eine Höhe von ca. 2100 m. Nach peri-<br />

odischem Abschmelzen der Eismassen bildeten sich - heute noch gut zu erkennen - mäch-<br />

tige Terrassen, von denen die höchst gelegenen die ältesten sind.<br />

Gneis- und Granitblöcke („Findlinge“) haben den weiten Weg auf dem Gletschereis in die<br />

Wildschönau gefunden und zeugen vielerorts in der Wildschönau von Gletschern vergan-<br />

gener Tage. Grund- und Seitenmoränen (auch vom mächtigen Inntalgletscher bis nach<br />

Thierbach und Niederau auf 1500 hm hereinreichend) zeigen sich sowohl in aufschlussrei-<br />

chen Funden als auch sich ständig fortsetzenden Hangrutschungen. Aufwändige Hang- und<br />

Bachverbauungen sind die Folge (vgl. Abbildungen 6-9 und 6-10).<br />

Großvenediger 3674 m<br />

Zell <strong>am</strong> See<br />

Alexander Holaus Seite 68


Lawinenexperten vor Ort<br />

Beschreibung des Untersuchungsgebietes<br />

Abbildung 6-9: Findlingsbrunnen und Moränenreste in Auffach-Bernau und Auffach-Zetten<br />

Abbildung 6-10: Wildbachverbauung oberhalb Niederau-Wildenbachsiedlung (Fotos: A. Holaus)<br />

6.3 Klimatische Verhältnisse und Hydrografie<br />

Die Wildschönau kommt aufgrund ihrer geografischen Lage in den Genuss von relativ viel<br />

Niederschlag. mit einem Temperaturjahresmittel von 8,3°C kommt sie auf ca. 1200 mm<br />

Niederschlag pro m². Abbildung 6-11 zeigt den Verlauf der letzten 40 Jahre an Nieder-<br />

schlagsmengen in der Wildschönau (gemessen im Ortsteil Mühltal, <strong>am</strong> Eingang zur Kund-<br />

ler Kl<strong>am</strong>m). Besonders niederschlagsarme Jahre wie 1971, 1984 und 2003 lassen sich gut<br />

aus dem Verlauf ablesen. Ebenso haben sich rhythmisch regenreiche Jahre dazwischen<br />

gemischt (1971 und 1974 fallen besonders auf).<br />

Alexander Holaus Seite 69


Lawinenexperten vor Ort<br />

Beschreibung des Untersuchungsgebietes<br />

mm<br />

1800,0<br />

1600,0<br />

1400,0<br />

1200,0<br />

1000,0<br />

800,0<br />

600,0<br />

400,0<br />

200,0<br />

0,0<br />

Jahresniederschlagsmengen in<br />

Mühltal/Wildschönau von 1967 bis 2005<br />

1242<br />

1177<br />

1120<br />

Jahr 1967<br />

Jahr 1969<br />

1564<br />

909<br />

1089<br />

1239<br />

1514<br />

1167<br />

1139<br />

1244<br />

1214<br />

1353<br />

1154<br />

1261<br />

1090<br />

1150<br />

949<br />

1150<br />

989<br />

1242<br />

1292<br />

1068<br />

1256<br />

1042<br />

1200<br />

1421<br />

1136<br />

1354<br />

1299<br />

1104<br />

1159<br />

1369<br />

1366<br />

1276<br />

1376<br />

992<br />

1115<br />

1167<br />

Jahr 1971<br />

Jahr 1973<br />

Jahr 1975<br />

Jahr 1977<br />

Jahr 1979<br />

Jahr 1981<br />

Jahr 1983<br />

Alexander Holaus Seite 70<br />

Jahr 1985<br />

Jahr 1987<br />

Jahre<br />

Abbildung 6-11: Jahresniederschlag in Mühltal der Jahre 1967 bis 2005 (A. Hofer, 2006)<br />

Die gemessenen Schneemengen der letzten 7 Jahre sind in Tabelle 6-1 herauszulesen.<br />

Jahr<br />

Ges<strong>am</strong>tsumme der<br />

2000 2001 <strong>2002</strong> 2003 2004 2005 2006<br />

Tagesneuschneemengen<br />

im cm<br />

247 361 110 269 318 428 255<br />

max. 24 Std.-<br />

Neuschneezuwachs<br />

32 34 47 27 19 39 31<br />

Tabelle 6-1: Schneehöhen in Mühltal (Quelle: A. Hofer, 2006)<br />

Dabei fallen die Jahre <strong>2002</strong> mit der höchsten in 24 Stunden gefallenen Schneehöhe und das<br />

Jahr 2005 als schneereichstes der letzten 7 Jahre auf. Am 28. Feb. 1968 wurden 160 cm an<br />

historischer Rekordschneehöhe gemessen (Land Tirol und Hofer, 2006).<br />

Die Katastrophenwinter 1951 und 1954 haben auch in der Wildschönau zu großen Schäden<br />

geführt (s. Anhang: Schadenslawinen in der Wildschönau).<br />

Jahr 1989<br />

Jahr 1991<br />

Jahr 1993<br />

Jahr 1995<br />

Jahr 1997<br />

Jahr 1999<br />

Jahr 2001<br />

Jahr 2003<br />

Jahr 2005


Lawinenexperten vor Ort<br />

Beschreibung des Untersuchungsgebietes<br />

6.4 Bevölkerung, Wirtschaft und Infrastruktur des Untersuchungsgebietes<br />

Wildschönau<br />

Vier Kirchdörfer mit einer Ges<strong>am</strong>tfläche von 97,4 km², nämlich Niederau, Oberau, Auf-<br />

fach und Thierbach, bilden zus<strong>am</strong>men die politische <strong>Gemeinde</strong> Wildschönau im Bezirk<br />

Kufstein. Drei Kindergärten, vier Volksschulen und eine Hauptschule mit musikalischem<br />

Schwerpunkt kümmern sich um die Ausbildung der Jugend. Schulstädte wie Wörgl und<br />

Kufstein sind auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut zu erreichen. 56 Kultur-, Sport-<br />

und Traditionsvereine und Körperschaften erfreuen sich regen Zulaufs.<br />

Viele der 4182 Einwohner (Stand vom 5. Okt. 2006) leben direkt oder indirekt vom Frem-<br />

denverkehr. Circa eine Million Nächtigungen pro Jahr bescheren der einheimischen Be-<br />

völkerung angemessenen Wohlstand. Die Nähe zum Unterinntaler Wirtschaftsraum ermög-<br />

licht lukrative Arbeits-, Aus - und Weiterbildungsmöglichkeiten in allen Sparten.<br />

Obwohl die Wildschönau bis noch vor wenigen Jahrzehnten eine ausschließlich land- und<br />

forstwirtschaftliche <strong>Gemeinde</strong> war, hatte die Wirtschaft schon d<strong>am</strong>als einen bedeutenden<br />

Stellenwert. Durch die Abgeschiedenheit des Tales sowie fehlender Straßen- und Trans-<br />

portmittel musste fast alles zum Leben Notwendige in der <strong>Gemeinde</strong> selbst hergestellt<br />

werden. Das in den Wildschönauer Wäldern anfallende Holz wurde in mehreren Sägewer-<br />

ken verarbeitet, Möbel in verschiedenen Tischlereiwerkstätten erzeugt. Es gab Huf- und<br />

Wagenschmieden, Wagnereien, Schuster- und Schneiderbetriebe und im 18. Jhdt. sogar<br />

eine Leinwandfabrik mit über 200 Mitarbeiterinnen. Nach dem Zweiten Weltkrieg änderte<br />

sich die über mehrere Jahrhunderte unverändert gebliebene Struktur sehr schnell. Durch<br />

die großzügige Erschließung des Tales und dem Beginn des Tourismuszeitalters wurden<br />

viele Möglichkeiten für die Ansiedlung neuer Betriebe geschaffen. Man findet fast alles in<br />

der Wildschönau, vom Handel über Baugewerbe bis hin zum Kunsthandwerk. Viele Ar-<br />

beitsplätze wurden geschaffen, bieten Ausbildungsstellen für die Jugend und sichern die<br />

Lebensgrundlage für viele F<strong>am</strong>ilien (<strong>Gemeinde</strong> Wildschönau, 2006).<br />

Alexander Holaus Seite 71


Lawinenexperten vor Ort<br />

Methodik der Ermittlungen<br />

7 Methodik der Ermittlungen<br />

Mit Hilfe einer Befragung wurden primäre Daten zur Lawinenthematik in der Untersu-<br />

chungsregion Wildschönau erhoben. Einerseits wurde in einem ersten Teil explorativ zur<br />

allgemeinen Orientierung und Erfassung von Zus<strong>am</strong>menhängen gearbeitet, andererseits hat<br />

ein zweiter deskriptiver Teil Zus<strong>am</strong>menhänge aufgezeigt und zu Schlüssen ermutigt. Auch<br />

kausalanalytische Ansätze waren im Sinne der Aufdeckung von Ursachen-Wirkungs-<br />

Zus<strong>am</strong>menhängen beabsichtigt. Die Befragung wurde zum Ersten in Form eines schriftli-<br />

chen Fragebogens durchgeführt. Dieser konnte großteils persönlich (mit Zusatzerklärun-<br />

gen) ausgehändigt werden. Die ausgewählte Stichprobe an Personen orientierte sich an<br />

fachlicher Kompetenz in Fragen der „Lawinenkunde“. Ein Probelauf an einer Testgruppe<br />

verlief erfolgreich. In einem geschichteten Auswahlprozess wurde bei den zu befragenden<br />

Personen aus drei Kategorien gewählt: a) private TourengeherInnen, b) beruflich mit der<br />

Lawinenthematik befasste und c) in Rettungsorganisationen tätige Personen. Somit wurden<br />

auch Personen erfasst, die zwar keine offensichtliche Fachausbildung in dieser Hinsicht<br />

erfahren haben, aber in ihrem privaten oder beruflichen Umfeld mit der Einschätzung von<br />

lokalem Lawinenpotenzial in Kontakt kommen.<br />

In Teil I des Erhebungsbogens wurden quantitative Fragen zu eigenständigen Schneede-<br />

ckenuntersuchungen, Beobachtungen in der Region etc. gestellt. Die Antworten konnten in<br />

einer monopolaren Ratingskala in den Stufen „sehr zutreffend“, „zutreffend“, „wenig zu-<br />

treffend“, „nicht zutreffend“ und „keine Angabe“ angekreuzt werden. Zum Teil war es<br />

möglich, beim Ausfüllen des Bogens dabei zu sein. Ca. 60% der Fragebögen wurden den<br />

zu befragenden Personen aber nur übergeben und vorerst kommentarlos wieder entgegen<br />

genommen.<br />

Teil II forderte die Befragten zu qualitativer Äußerung auf. Insbesondere regionale Ereig-<br />

nisse früherer Jahre und konkrete Beobachtungen oder Erlebnisse rund um die Lawinen-<br />

thematik in der Wildschönau waren von Interesse. In einer zweiten Phase wurden einzelne<br />

Personen, deren bisherige Antworten besonders viel versprechend erschienen, persönlich<br />

aufgesucht, um in qualitativem Einzelinterview weitere Details – insbesondere zur Ver-<br />

vollständigung des Lawinenkatasters – zu erfahren. Dabei gab es keine fix vorgefertigten<br />

Fragen, sondern das Gespräch orientierte sich <strong>am</strong> Redefluss des Interviewpartners.<br />

Alexander Holaus Seite 72


Lawinenexperten vor Ort<br />

Methodik der Ermittlungen<br />

Die Auswertungen der Fragen aus Teil I sind mittels Säulendiagr<strong>am</strong>men auf Basis der an-<br />

gekreuzten Antworten im folgenden Kapitel dargestellt und jeweiligen anschließend kurz<br />

kommentiert. Zum Teil konnten aufgrund der Einzelgespräche auch noch Zusatzinformati-<br />

onen zu den vorgegebenen Antworten erfahren werden, welche in die Kommentare einflie-<br />

ßen konnten.<br />

Die Ergebnisse von Teil II finden sich in Form eines Lawinenkatasters der Region s<strong>am</strong>t<br />

Zusatzinformationen, soweit sie bis zum Abschluss dieser Arbeit im Januar 2007 vorgele-<br />

gen sind (jedoch im Sinne einer Vervollständigung noch weiter ergänzt wird).<br />

Alexander Holaus Seite 73


Lawinenexperten vor Ort<br />

Verifikation des Lageberichts<br />

8 Verifikation des Lageberichts<br />

Als Verifizierung oder Verifikation (lat. veritas, Wahrheit) wird der Vorgang bezeichnet,<br />

einen vermuteten oder behaupteten Sachverhalt als wahr nachzuweisen. Der Begriff "Veri-<br />

fizierung" wird unterschiedlich gebraucht, je nachdem, ob man sich bei der Wahrheitsfin-<br />

dung nur auf einen geführten Beweis stützen mag, oder auch die bestätigende Überprüfung<br />

und Beglaubigung des Sachverhaltes durch eine unabhängige Instanz als Verifizierung<br />

betrachtet (vgl. Wikipedia, 2006)<br />

Die von der Wetterdienststelle für die Mittagszeit eines bestimmten Ortes ausgegebene<br />

Temperaturprognose lässt sich einfach überprüfen, indem man zu besagter Zeit das Ther-<br />

mometer abliest und einen entsprechenden Vergleich anstellt. Die für eine Region prognos-<br />

tizierte Lawinengefahrenstufe zu verifizieren fällt allein schon im Vergleich zu obiger<br />

Temperaturvorhersage schwer, da außer der Temperatur noch viele weitere Faktoren zur<br />

Lawinenbildung beitragen.<br />

Kapitel 8.1 stellt die Ergebnisse einer regionalen Befragung zur Lawinenthematik dar.<br />

8.1 Ergebnisse aus dem Fragebogen in der Region Wildschönau<br />

Die Wildschönau bietet, wie das Tiroler Unterland im Allgemeinen, durch das Zus<strong>am</strong>men-<br />

spiel des sanften Reliefs von Almböden und mäßig hohen Bergen von max. 2300 m (vgl.<br />

Kapitel 6) und der - trotz globaler Erwärmung - bislang noch recht guten Schneelage bis in<br />

Tallagen sehr gute Wintersportmöglichkeiten.<br />

Der Siedlungsraum und die Verkehrswege sind dank gesunder Schutzwälder und günstiger<br />

Lage vor Lawinengefahr relativ sicher. Vereinzelte Katastrophenwinter (wie 1954) haben<br />

auch dieses Hochtal mit einigen Schadenslawinen betroffen (s. Anhang). Der Touren- und<br />

Variantenbereich ist - speziell in schneearmen Wintern - auch hier vereinzelten Skitouris-<br />

ten zum Verhängnis geworden (s. Anhang).<br />

Im Zuge meiner Bergführertätigkeit und Mitglied der örtlichen Bergrettungsortsstelle, so-<br />

wie als Lawinenkommissionär konnten in den vergangenen Jahren viele Erfahrungen mit<br />

Schnee und seinen Tücken ges<strong>am</strong>melt werden. Auch der intensive Erfahrungsaustausch<br />

mit Experten vor Ort hat sehr zu einer ganzheitlichen Sichtweise in dieser Thematik ge-<br />

Alexander Holaus Seite 74


Lawinenexperten vor Ort<br />

Verifikation des Lageberichts<br />

führt. Eben diese „Experten vor Ort“, Personen aus der Region, die sich während der Win-<br />

termonate vielfach täglich in der Natur bewegen und Witterungsänderungen, d<strong>am</strong>it ver-<br />

bundene Veränderungen der Schneedecke, eventuelle Lawinenabgänge etc. beobachten<br />

können, wurden in größtenteils schriftlicher Form (s. Erhebungsbogen im Anhang) auf ihre<br />

Erfahrungen, Beobachtungen und Einschätzungen etc. hin befragt.<br />

Im Anschluss an die grafische Auswertung und die zu den einzelnen Fragen erstellten<br />

Kommentare wird in der Diskussion (Kapitel 8) versucht, der Themenstellung dieser Ar-<br />

beit nahe zu kommen, nämlich, ob es möglich ist,<br />

• mit Hilfe von Beobachtungen, Messungen, Erfahrungen und Eindrücken der (mehr<br />

oder weniger) sachkundigen Bevölkerung vor Ort potenzielle Lawinengefahr ein-<br />

zugrenzen bzw.<br />

• den offiziell für die Region, die Tageszeit und die Höhenlage ausgegebenen Lage-<br />

bericht zu verifizieren.<br />

nicht<br />

auswertbar<br />

29%<br />

Anteil der 60 ausgewerteten<br />

von 82 ausggebenen Erhebungsbögen<br />

ausgewertet<br />

71%<br />

Tabelle 8-1: Rücklauf der Erhebungsbögen<br />

Von ursprünglich 82 ausgegebenen Erhebungsbögen k<strong>am</strong>en 60 auswertbare Exemplare<br />

retour (einige davon leider erst nach Abschluss der statistischen Arbeit). Von einem Onli-<br />

ne-Fragebogen wurde bewusst Abstand genommen, da die Befragung vornehmlich ältere<br />

Personen betraf, welche dem Medium Internet mit großem Respekt gegenüber stehen. Zum<br />

Teil war das persönliche „Eintreiben“ der Bögen mit sehr interessanten Gesprächen ver-<br />

bunden, was insbesondere den Teil II betreffend („bekannte Lawinenereignisse aus frühe-<br />

rer Zeit“) viele, detaillierte Aufzeichnungen (vgl. Karten im Anhang) zur Folge hatte.<br />

Alexander Holaus Seite 75


Lawinenexperten vor Ort<br />

Verifikation des Lageberichts<br />

60%<br />

50%<br />

40%<br />

30%<br />

20%<br />

10%<br />

0%<br />

0%<br />

Alter<br />

0-17<br />

Altersgruppen der Befragten<br />

10%<br />

Alter<br />

18-29<br />

Alexander Holaus Seite 76<br />

52%<br />

Alter<br />

30-49<br />

Tabelle 8-2: Altersverteilung<br />

38%<br />

Alter<br />

50-100<br />

Der größter Teil der „Experten vor Ort“ waren - bewusst gewählt - erfahrene Tourengehe-<br />

rInnen, Lawinenkommissionsmitglieder, Skilehrer, Schneeräumpersonal, Pistenarbeiter,<br />

Landwirte, Jäger etc. in fortgeschrittenem Alter.<br />

Personen, welche sich vor Ort mit dem aktuellen Schneedeckenaufbau beschäftigen bzw.<br />

lawinenrelevante Beobachtungen machen und diese auch noch dokumentieren können,<br />

wurden zu „Experten vor Ort“ ernannt und daher in die Erhebungen eingeschlossen.<br />

Frage 1: Mich interessiert das Thema „Lawinen“.<br />

60%<br />

50%<br />

40%<br />

30%<br />

20%<br />

10%<br />

0%<br />

58%<br />

37%<br />

sehr zutreffend wenig<br />

zutreffend<br />

zutreffend<br />

2% 2% 2%<br />

nicht<br />

zutreffend<br />

Tabelle 8-3: Interesse an der Thematik<br />

keine<br />

Aussage<br />

Persönliches Interesse an der Thematik „Lawinengefahr“ wurde zu 95% angegeben, ca.<br />

50% der Befragten können zusätzlich auf spezielle Ausbildungsinhalte bei Bergrettungs-,<br />

Alpinpolizei- und Skilehrerkursen zurückgreifen. Der Rest hat sich jedoch zum größten<br />

Teil zumindest einmal einem Schulungsvortrag o.ä. unterzogen. Nur wenige der ausge-<br />

wählten Personen können als „Autodidakten“ bezeichnet werden.


Lawinenexperten vor Ort<br />

Verifikation des Lageberichts<br />

40%<br />

35%<br />

30%<br />

25%<br />

20%<br />

15%<br />

10%<br />

5%<br />

0%<br />

12%<br />

sehr<br />

zutreffend<br />

Täglicher Abruf des LLB (Frage 2)<br />

40%<br />

Alexander Holaus Seite 77<br />

30%<br />

zutreffend wenig<br />

zutreffend<br />

8%<br />

nicht<br />

zutreffend<br />

Tabelle 8-4: Tägliches Abrufen des LLB<br />

10%<br />

keine<br />

Aussage<br />

In Abhängigkeit vom Zugang zur Thematik „Lawinen“ bedienen sich die Befragten recht<br />

unterschiedlich des offiziell ausgegebenen Lageberichts. Beruflich d<strong>am</strong>it beschäftigte Per-<br />

sonen tun dies täglich, TourengeherInnen überwiegend regelmäßig „nach Bedarf“.<br />

45%<br />

40%<br />

35%<br />

30%<br />

25%<br />

20%<br />

15%<br />

10%<br />

5%<br />

0%<br />

Zusatzinformation im LLB-Text wichtig (Frage 3)<br />

33%<br />

sehr<br />

zutreffend<br />

45%<br />

12%<br />

zutreffend w enig<br />

zutreffend<br />

7%<br />

nicht<br />

zutreffend<br />

3%<br />

keine<br />

Aussage<br />

Tabelle 8-5: Zusatzinformationen im LLB werden als „wichtig“ erachtet.<br />

Außer der Schlagzeile, den regionalen, höhen- und tageszeitlichen Gefahrenstufen ist der<br />

befragten Gruppe der Zusatztext mit Schneedeckenaufbau, Wetter- und Temperaturprog-<br />

nose von großem Wert. Minimal ist die Anzahl der Aussagen, die täglichen Zusatzinforma-<br />

tionen nicht zu beachten.


Lawinenexperten vor Ort<br />

Verifikation des Lageberichts<br />

60%<br />

50%<br />

40%<br />

30%<br />

20%<br />

10%<br />

0%<br />

Beschäftgung mit LLB<br />

in privatem/beruflichem Bereich (Fragen 4 und 5)<br />

sehr zutreffend<br />

17%<br />

10%<br />

33%<br />

zutreffend<br />

17%<br />

30%<br />

wenig zutreffend<br />

15% 17%<br />

nicht zutreffend<br />

3% 3%<br />

Alexander Holaus Seite 78<br />

53%<br />

keine Aussage<br />

Tabelle 8-6: Beschäftigung mit LLB - je nach Tätigkeit<br />

privates Interesse<br />

beruflich bedingt<br />

Die private Auseinandersetzung mit dem LLB setzt sich hier deutlich gegenüber der beruf-<br />

lichen durch. Nur wenige sind aufgrund ihrer Tätigkeit in der Region Wildschönau täglich<br />

mit Entscheidungsfragen zum Thema „Lawinen“ beschäftigt - so ist der auffallend hohe<br />

Anteil an „nicht zutreffend“ zu erklären.<br />

80%<br />

70%<br />

60%<br />

50%<br />

40%<br />

30%<br />

20%<br />

10%<br />

0%<br />

Eigene Wetteraufzeichnungen (Frage 6)<br />

sehr<br />

zutreffend<br />

3% 3%<br />

17%<br />

zutreffend wenig<br />

zutreffend<br />

73%<br />

nicht<br />

zutreffend<br />

3%<br />

keine<br />

Aussage<br />

Tabelle 8-7:Frage nach eigenen Wetteraufzeichnungen<br />

Abgesehen von wenigen sporadischen Aufzeichnungen zu besonderen Witterungslagen,<br />

extremen Niederschlagsereignissen o.ä. werden in der Region mit Ausnahme einzelner,<br />

beruflich dazu verpflichteter Personen keine regelmäßigen Aufzeichnungen geführt.


Lawinenexperten vor Ort<br />

Verifikation des Lageberichts<br />

70%<br />

60%<br />

50%<br />

40%<br />

30%<br />

20%<br />

10%<br />

0%<br />

pers. Untersuchungen in selber Hangneigung bzw.<br />

Exposition (Fragen7 und 8)<br />

60%<br />

50%<br />

40%<br />

30%<br />

20%<br />

10%<br />

0%<br />

7%<br />

3%<br />

sehr<br />

zutreffend<br />

selbe Hangneigung<br />

selbe Exposition<br />

13% 13%<br />

13%<br />

52%<br />

48%<br />

22%<br />

20%<br />

Alexander Holaus Seite 79<br />

8%<br />

zutreffend w enig<br />

zutreffend<br />

nicht<br />

zutreffend<br />

keine<br />

Aussage<br />

Tabelle 8-8: Untersuchungen in stets selber Hangneigung/-Exposition<br />

Eigene Schneedeckenuntersuchungen (Frage 9)<br />

2%<br />

sehr<br />

zutreffend<br />

5%<br />

18%<br />

zutreffend wenig<br />

zutreffend<br />

68%<br />

nicht<br />

zutreffend<br />

7%<br />

keine<br />

Aussage<br />

Tabelle 8-9: Frage nach eigenen Schneedeckenuntersuchungen<br />

Tabellen 8-8 und 8-9 zeigen den schon bei den Fragen 4 bis 6 erkannten Trend, dass Auf-<br />

zeichnungen in der Wildschönau grundsätzlich „Mangelware“ sind. Wo jedoch solche ge-<br />

führt werden, kann zwischen privaten und beruflich bedingten Recherchen - die einzelnen<br />

Hänge und die Schneedecke betreffend - eine gewisse Parallele festgestellt werden. Es<br />

lässt sich ablesen, dass die Untersuchungshänge meist dieselben sind, was einem seriösen<br />

Vergleich und daraus besseren Prognose sicher sehr zuträglich ist.


Lawinenexperten vor Ort<br />

Verifikation des Lageberichts<br />

80%<br />

70%<br />

60%<br />

50%<br />

40%<br />

30%<br />

20%<br />

10%<br />

0%<br />

2%<br />

sehr zutreffend<br />

Vergleich der eigenen Eischätzung mir der<br />

der KollegInnen und dem offiziellen LLB<br />

(Fragen 10 und 12)<br />

22%<br />

5%<br />

zutreffend<br />

43%<br />

wenig zutreffend<br />

17%<br />

10%<br />

Alexander Holaus Seite 80<br />

73%<br />

nicht zutreffend<br />

18%<br />

10%<br />

keine Aussage<br />

Vergleich mit<br />

KollegInnen<br />

Vergleich mit offiziellem<br />

LLB<br />

0%<br />

Tabelle 8-10: Frage nach eigenen Schneedeckenuntersuchungen<br />

Im beruflichen Umfeld liegt die Annahme auf der Hand, dass die persönliche Einschätzung<br />

der aktuellen Lawinensituation gerne mit dem offiziellen LLB verglichen wird.<br />

Im privaten Skitourenbereich wird nicht gerne verglichen, nachdem oft keine eigene Ein-<br />

schätzung getroffen, d.h. dem offiziellen Lagebericht – auch auf die lokale Situation –<br />

blind vertraut wurde.<br />

35%<br />

30%<br />

25%<br />

20%<br />

15%<br />

10%<br />

5%<br />

0%<br />

Eigene Lawinenprognosen (Frage 11)<br />

10%<br />

sehr<br />

zutreffend<br />

23%<br />

27%<br />

zutreffend wenig<br />

zutreffend<br />

35%<br />

nicht<br />

zutreffend<br />

5%<br />

keine<br />

Aussage<br />

Tabelle 8-11: Versuch, eigene Lawinenprognosen anzustellen<br />

Ein Drittel der befragten Personen stellt eigene Lawinenprognosen auf, ein weiteres Drittel<br />

nur fallweise und das dritte Drittel verlässt sich ausnahmslos auf den offiziellen LLB.


Lawinenexperten vor Ort<br />

Verifikation des Lageberichts<br />

Eigene Einschätzung deckt sich im Regelfall mit<br />

offiziellem LLB (Frage 14)<br />

60%<br />

50%<br />

40%<br />

30%<br />

20%<br />

10%<br />

0%<br />

7%<br />

sehr<br />

zutreffend<br />

58%<br />

Alexander Holaus Seite 81<br />

18%<br />

zutreffend wenig<br />

zutreffend<br />

12%<br />

nicht<br />

zutreffend<br />

5%<br />

keine<br />

Aussage<br />

Tabelle 8-12: Eigenständige Prognosen stimmen mit offiziellem LLB überein<br />

Offensichtlich stimmen die eigenen Prognosen mit dem offiziellen Lagebericht gut über-<br />

ein. Wer sich schon die Arbeit eigener Gefahreneinschätzung antut scheint auch mit der<br />

Materie recht gut vertraut zu sein.<br />

60%<br />

50%<br />

40%<br />

30%<br />

20%<br />

10%<br />

0%<br />

Warnstufen sind verständlich und<br />

nachvollziehbar (Frage 15)<br />

57%<br />

sehr<br />

zutreffend<br />

38%<br />

zutreffend wenig<br />

zutreffend<br />

0% 2% 3%<br />

nicht<br />

zutreffend<br />

keine<br />

Aussage<br />

Tabelle 8-13: Angegebene Warnstufe (1-5) ist verständlich<br />

Die Definitionen der einzelnen europaweit gleich lautenden Warnstufen ist bei den Befrag-<br />

ten gut verankert. 57% können diese richtig interpretieren und auch nachvollziehen, für<br />

weitere 38% trifft dies auch noch größtenteils zu.


Lawinenexperten vor Ort<br />

Verifikation des Lageberichts<br />

60%<br />

50%<br />

40%<br />

30%<br />

20%<br />

10%<br />

0%<br />

Warnstufen geben klar Auskunft (Frage 16)<br />

35%<br />

sehr<br />

zutreffend<br />

53%<br />

Alexander Holaus Seite 82<br />

7%<br />

zutreffend wenig<br />

zutreffend<br />

2%<br />

nicht<br />

zutreffend<br />

3%<br />

keine<br />

Aussage<br />

Tabelle 8-14: Versuch, eigene Lawinenprognosen anzustellen<br />

Diese fünf Gefahrenstufen sind für knapp 90% größtenteils verständlich und geben für die<br />

meisten der befragten Personen klar Auskunft über das bestehende Gefahrenpotenzial.<br />

35%<br />

30%<br />

25%<br />

20%<br />

15%<br />

10%<br />

5%<br />

0%<br />

Eigene Prognosen der verg. Jahre<br />

sind zugetroffen (Frage 17)<br />

3%<br />

sehr<br />

zutreffend<br />

23%<br />

35%<br />

zutreffend wenig<br />

zutreffend<br />

23%<br />

nicht<br />

zutreffend<br />

15%<br />

keine<br />

Aussage<br />

Tabelle 8-15: Selbst prognostizierte Lawinenereignisse der vergangenen Jahre sind eingetroffen.<br />

Bei einem Viertel der Befragten sind aufgrund von eigenen Beobachtungen und Einschät-<br />

zungen der bestehenden Situation erwartete Lawinenereignisse eingetroffen. Ebenso bei<br />

einem Viertel nicht und gut einem Drittel nur zum Teil.


Lawinenexperten vor Ort<br />

Verifikation des Lageberichts<br />

Zus<strong>am</strong>menhang zwischen best. Witterungslage<br />

und Lawinenabgängen (Frage 18)<br />

50%<br />

40%<br />

30%<br />

20%<br />

10%<br />

0%<br />

23%<br />

50%<br />

Alexander Holaus Seite 83<br />

17%<br />

sehr zutreffend wenig<br />

zutreffend<br />

zutreffend<br />

8%<br />

nicht<br />

zutreffend<br />

2%<br />

keine<br />

Aussage<br />

Tabelle 8-16: Die Witterungslage kann Lawinenabgänge beeinflussen.<br />

Über 80% teilen die Meinung, dass die Witterung einen Einfluss auf Lawinenaktivität in<br />

der Beobachtungsregion hat. Insbesondere Temperaturanstiege wurden in Privatgesprächen<br />

mit den befragten Personen als Mitauslöser von Lawinen sehr häufig erwähnt. Ebenso hat<br />

der Wind gemäß ihren Aussagen seinen Anteil <strong>am</strong> der Verschärfung des Lawinenpotenzi-<br />

als.<br />

60%<br />

50%<br />

40%<br />

30%<br />

20%<br />

10%<br />

0%<br />

Unterschiedliche Bewirtschaftungsformen<br />

(u.A. Kahlhiebe) haben ihre Auswirkungen<br />

auf die Lawinenaktivität. (Frage 19)<br />

37%<br />

sehr<br />

zutreffend<br />

55%<br />

3%<br />

zutreffend wenig<br />

zutreffend<br />

0%<br />

nicht<br />

zutreffend<br />

5%<br />

keine<br />

Aussage<br />

Tabelle 8-17: Unterschiedliche Bewirtschaftungsformen begünstigen mitunter Lawinenbildung.<br />

Insbesondere neu angelegte freie Flächen (z.B. durch Kahlschlag) begünstigen laut Aussa-<br />

ge der befragten Bevölkerung die Lawinenbildung.


Lawinenexperten vor Ort<br />

Verifikation des Lageberichts<br />

45%<br />

40%<br />

35%<br />

30%<br />

25%<br />

20%<br />

15%<br />

10%<br />

5%<br />

0%<br />

Aufgelassene Weideflächen lassen mehr<br />

Lawinen/Schneerutsche erwarten. (Frage 20)<br />

42%<br />

sehr<br />

zutreffend<br />

40%<br />

Alexander Holaus Seite 84<br />

12%<br />

zutreffend wenig<br />

zutreffend<br />

0%<br />

nicht<br />

zutreffend<br />

7%<br />

keine<br />

Aussage<br />

Tabelle 8-18: Mehr Lawinen durch aufgelassene Weideflächen<br />

Auch das Auflassen von Weideflächen wurde in der Untersuchungsregion großteils als<br />

Ursache für neue Rutschungen angegeben. Gleichzeitig wurde in den Interviews erwähnt,<br />

dass ohne Weidevieh mit den Jahren wieder neuer Bewuchs in Form von Sträuchern und<br />

Jungwald aufkommt und dies wieder positiv der Lawinengefahr entgegenwirkt. Wo ledig-<br />

lich langes Sommergras Lawinen als Gleitfläche dient, wird dies allerdings von insges<strong>am</strong>t<br />

80% der Befragten als Lawinen fördernd gesehen.<br />

Regelmäßiges Abgrasen/Mähen mindert die<br />

Lawinengefahr. (Frage 21)<br />

40%<br />

30%<br />

20%<br />

10%<br />

0%<br />

37%<br />

sehr<br />

zutreffend<br />

38%<br />

13%<br />

wenig<br />

zutreffend<br />

3%<br />

8%<br />

keine<br />

Aussage<br />

Tabelle 8-19: Verminderung der Lawinengefahr durch regelmäßiges Abgrasen/Mähen.<br />

Insbesondere regelmäßig abgegraste Weideflächen und die d<strong>am</strong>it verbundenen von den<br />

Tieren ausgetretenen Weidetrassen sowie kurz geschnittenes Gras sind für 37% sehr, für<br />

weitere 38% ausreichend Lawinen unterbindend, da d<strong>am</strong>it die Bodenrauhigkeit erhöht<br />

wird. Für lediglich 13 % der Befragten kommt dieser Umstand nicht zum Tragen.


Lawinenexperten vor Ort<br />

Verifikation des Lageberichts<br />

40%<br />

30%<br />

20%<br />

10%<br />

0%<br />

Ich habe einen Lawinenabgang<br />

in der Praxis beobachtet. (Frage 22)<br />

37%<br />

sehr<br />

zutreffend<br />

32%<br />

Alexander Holaus Seite 85<br />

8%<br />

wenig<br />

zutreffend<br />

20%<br />

3%<br />

keine<br />

Aussage<br />

Tabelle 8-20: Lawine in der Praxis in der Region Wildschönau beobachtet.<br />

Auffallend war, dass doch relativ viele der befragten Personen in der Wildschönau schon<br />

eine Lawine beim Abgehen beobachten konnten. Zum Teil haben diese Personen beim<br />

Aufstieg zu ihrem Zielgipfel noch Passagen gequert, welche unmittelbar nach ihnen ver-<br />

schüttet wurden. Dies wurde hauptsächlich in Verbindung mit klassischen Frühjahrstouren<br />

berichtet. Ein Fünftel der Befragten hatte solche Erlebnisse „live“ noch nicht.<br />

Ich kann mich an ein Lawinenereignis erinnern<br />

und auf der Karte beschreiben (Frage 23)<br />

35%<br />

30%<br />

25%<br />

20%<br />

15%<br />

10%<br />

5%<br />

0%<br />

35% 35%<br />

sehr<br />

zutreffend<br />

8%<br />

zutreffend wenig<br />

zutreffend<br />

13%<br />

nicht<br />

zutreffend<br />

8%<br />

keine<br />

Aussage<br />

Tabelle 8-21: Lawinenereignis in der Wildschönau kann dokumentiert werden<br />

Für den Output dieser Erhebung sehr positiv ist der Umstand, dass Lawinenereignisse in<br />

der Wildschönau relativ gut dokumentiert werden können. 70% können ihre Erlebnisse mit<br />

Lawinen noch ziemlich genau auf der Karte zuordnen.


Lawinenexperten vor Ort<br />

Verifikation des Lageberichts<br />

60%<br />

50%<br />

40%<br />

30%<br />

20%<br />

10%<br />

0%<br />

Ich bin einem Lawinenunglück nur knapp<br />

entgangen (Frage 24)<br />

20%<br />

sehr<br />

zutreffend<br />

5%<br />

Alexander Holaus Seite 86<br />

13%<br />

zutreffend wenig<br />

zutreffend<br />

57%<br />

nicht<br />

zutreffend<br />

5%<br />

keine<br />

Aussage<br />

Tabelle 8-22: Selbst einem Lawinenereignis nur knapp entgangen.<br />

Umgerechnet 12 Personen (= 20%) aus dem Kreis der Befragten sind einem Lawinener-<br />

eignis nur knapp entgangen. Aus den persönlichen Schilderungen der Betroffenen war zu<br />

entnehmen, dass sie von der Situation d<strong>am</strong>als völlig überrascht wurden und die Gefahr<br />

deutlich unterschätzt haben. Dabei handelt es sich durchwegs um erfahrene Skitouristen<br />

oder Personen, die von Berufs wegen viel Erfahrung mitbringen.<br />

80%<br />

70%<br />

60%<br />

50%<br />

40%<br />

30%<br />

20%<br />

10%<br />

0%<br />

Ich besitze persönliche Aufzeichnungen zum<br />

Thema Lawinen (Frage 25)<br />

3%<br />

sehr<br />

zutreffend<br />

5%<br />

10%<br />

zutreffend wenig<br />

zutreffend<br />

75%<br />

nicht<br />

zutreffend<br />

7%<br />

keine<br />

Aussage<br />

Tabelle 8-23: In Besitz persönlicher Aufzeichnungen zu Lawinen<br />

Persönliche Aufzeichnungen zum Thema „Lawinen“ sind nur sehr sporadisch verfügbar.


Lawinenexperten vor Ort<br />

Verifikation des Lageberichts<br />

60%<br />

50%<br />

40%<br />

30%<br />

20%<br />

10%<br />

Mir sind Hangrutschungen/Lawinen der letzten<br />

Jahre bekannt. (Frage 26)<br />

0%<br />

30%<br />

sehr<br />

zutreffend<br />

57%<br />

Alexander Holaus Seite 87<br />

8%<br />

zutreffend wenig<br />

zutreffend<br />

0%<br />

nicht<br />

zutreffend<br />

5%<br />

keine<br />

Aussage<br />

Tabelle 8-24: Kenntnis von Rutschungen/Lawinen der letzten Jahre.<br />

Zum Großteil haben die befragten Personen Kenntnis von Lawinen oder Schneerutschun-<br />

gen größeren Ausmaßes in der Wildschönau. Somit konnte aus deren Wissensfundus eine<br />

nicht unbeträchtliche Anzahl kritischer Hangpartien aufgrund früherer Ereignisse kartogra-<br />

fisch dokumentiert und kommentiert werden.<br />

Ich kann diese Ereignisse zeitlich zuordnen und<br />

kommentieren. (Frage 27)<br />

50%<br />

40%<br />

30%<br />

20%<br />

10%<br />

0%<br />

8%<br />

22%<br />

43%<br />

sehr zutreffend wenig<br />

zutreffend<br />

zutreffend<br />

17%<br />

nicht<br />

zutreffend<br />

10%<br />

keine<br />

Aussage<br />

Tabelle 8-25: Zeitliche und inhaltliche Zuordnung einzelner Lawinenereignisse<br />

Lawinenereignisse vergangener Jahre zeitlich und inhaltlich richtig zuzuordnen fällt vielen<br />

Befragten eher schwer. Einzelnen Personen konnten mehr – zu teil sogar sehr exakte - In-<br />

formationen liefern, andere konnten sich nur an nur das Ereignis erinnern, nicht aber die<br />

Zus<strong>am</strong>menhänge beschreiben.


Lawinenexperten vor Ort<br />

Verifikation des Lageberichts<br />

60%<br />

50%<br />

40%<br />

30%<br />

20%<br />

10%<br />

0%<br />

Ich kann diese Ereignisse<br />

auf der Landkarte zuordnen. (Frage 28)<br />

25%<br />

52%<br />

Alexander Holaus Seite 88<br />

10%<br />

sehr zutreffend wenig nicht<br />

zutreffend<br />

zutreffend zutreffend<br />

7% 7%<br />

keine<br />

Aussage<br />

Tabelle 8-26: Mehr Lawinen durch aufgelassene Weideflächen<br />

Was in Frage 23 in anderem Zus<strong>am</strong>menhang noch sehr eindeutig positiv beantwortet wur-<br />

de, verteilt sich hier im Konkreten etwas: Exakte kartografische Zuordnung (Anrisspunkt,<br />

Anrissbreite, ...) fällt offensichtlich doch etwas schwerer, als die ungefähre Lage von La-<br />

winenstrichen zu beschreiben. Dennoch sind es ges<strong>am</strong>t drei Viertel der Befragten, die dazu<br />

in der Lage sind.<br />

Die d<strong>am</strong>als herrschenden Witterungsverhältnisse sind<br />

mir bekannt. (Frage 29)<br />

60%<br />

50%<br />

40%<br />

30%<br />

20%<br />

10%<br />

0%<br />

8%<br />

53%<br />

20%<br />

sehr zutreffend wenig nicht<br />

zutreffend<br />

zutreffend zutreffend<br />

10% 8%<br />

keine<br />

Aussage<br />

Tabelle 8-27: Herrschende Witterungsverhältnisse bestimmten Lawinen zuordnen<br />

Auch hier zeigt sich, dass ein Großteil der befragten Personen bestimmten Lawinenereig-<br />

nissen die d<strong>am</strong>als herrschenden Witterungsverhältnisse beschreiben kann. Genaue Anga-<br />

ben über 72-Stunden-Neuschneezuwachs oder die Temperaturverlaufskurve in der Schnee-<br />

decke aufgrund angestellter Schneedeckenuntersuchungen etc. dürfen aber nur in den we-<br />

nigsten Fällen erwartet werden.


Lawinenexperten vor Ort<br />

Verifikation des Lageberichts<br />

Personen in meinem Bekanntenkreis haben<br />

außergewöhnliche Beobachtungen zum Thema<br />

„Lawinen“ in der Region Wildschönau gemacht.<br />

(Frage 30)<br />

30%<br />

25%<br />

20%<br />

15%<br />

10%<br />

5%<br />

0%<br />

7%<br />

sehr<br />

zutreffend<br />

30%<br />

Alexander Holaus Seite 89<br />

22%<br />

zutreffend wenig<br />

zutreffend<br />

25%<br />

nicht<br />

zutreffend<br />

17%<br />

keine<br />

Aussage<br />

Tabelle 8-28: Frage nach Personen, die erwähnenswerte Lawinen relevante Beobachtungen<br />

im Raum Wildschönau gemacht haben<br />

Die letzte Frage im Teil I des Erhebungsbogens hat versucht, Personen ausfindig zu ma-<br />

chen, welche evtl. durch die Clusterauswahl übersehen wurden, zu erfahren. In Teil II ha-<br />

ben die Befragten dann größtenteils bereits befragte Personen genannt. Einige neue, mir als<br />

solche nicht bewusste „Experten vor Ort“ konnten dadurch jedoch noch während der Er-<br />

hebungsphase zur Thematik befragt werden. Zum Teil sehr interessante und erfassenswerte<br />

Inputs waren die Folge.


Lawinenexperten vor Ort<br />

Verifikation des Lageberichts<br />

<strong>8.2</strong> <strong>Methodischer</strong> <strong>Ansatz</strong> <strong>am</strong> <strong>Beispiel</strong> <strong>„Winter</strong> <strong>2002</strong>/<strong>03“</strong><br />

Ausgangspunkt der Verifikation sind primär sämtliche vom LWD Tirol ausgegebene La-<br />

winenlageberichte der jeweils abgelaufenen Wintersaison. Jeder LLB stellt dabei das Er-<br />

gebnis aus der Verarbeitung einer Fülle an unterschiedlichen Informationen dar und erhebt<br />

primär für sich den Anspruch, die realen Verhältnisse bestmöglich zu erfassen. Für die<br />

beispielsweise Auswertung des Winters <strong>2002</strong>/03 wurden sämtliche zur Verfügung stehen-<br />

den, insbesondere aber auch jeweils nach Erstellung des LLB einfließenden, sehr umfang-<br />

reichen Daten entsprechend gesichtet. Das Datenmaterial umfasste 830 externe Rückmel-<br />

dungen (von Wintersportlern, Lawinenkommissionen etc.), 150 LWD-eigene Geländeer-<br />

kundungen, 5500 Bilder, 160 Stabilitätsuntersuchungen und tägliche Meldungen von da-<br />

mals 12 eigens beschäftigten Beobachtern, wobei einige von diesen nicht nur in der Früh,<br />

sondern auch noch <strong>am</strong> Nachmittag Informationen übermittelten (Nairz, 2003).<br />

Bei genauer Durchsicht aller Rückmeldungen konnten einige interessante Details feststel-<br />

len: Sämtliche Rückmeldungen waren räumlich völlig zufällig über unser Bundesland ver-<br />

teilt. Zeitlich hingegen gingen bei kritischen Lawinensituationen tendenziell mehr Informa-<br />

tionen ein als bei sehr günstigen Verhältnissen (Nairz, 2003). Positive Rückmeldungen im<br />

Sinne von Bestätigungen der Lawinenlageberichte, übertrafen jene Rückmeldungen, die<br />

den LLB beanstandeten. Der Zeitpunkt der „negativen“ Rückmeldungen deckte sich mit<br />

erstaunlicher Regelmäßigkeit mit jenen Tagen, an denen auch der LWD selbst (unabhängig<br />

davon) aufgrund von eigenen Recherchen die Fehlerhaftigkeit der ausgegebenen LLB er-<br />

kannt hatte. Zur Quantifizierung des Endergebnisses für die Vorhersagegenauigkeit des<br />

LLB wurde primär jeder Tag unter Heranziehung objektiver Kriterien qualitativ bewertet.<br />

Es erfolget eine Einteilung in die Kategorien „voll zutreffend“, „zutreffend“, „teilweise<br />

zutreffend“ und „nicht zutreffend“. Bei der Auswahl der Kriterien wurde äußerst restriktiv<br />

vorgegangen. Resümierend konnten 8 Tage mit fehlerhaftem Lawinenlagebericht ausge-<br />

wiesen werden. Von 159 Lawinenlageberichten wurden 136 mit „voll zutreffend“ einge-<br />

stuft, 23 als „teilweise zutreffend“ (und somit falsch) und keiner als „nicht zutreffend“,<br />

was einer Trefferquote von 86% entspricht. Die bereits angesprochene unabhängig davon<br />

stattgefundene Untersuchung des DAV-Sicherheitskreises ergab für besagten Winter eine<br />

Trefferquote der Tiroler Lawinenwarndienstes von sogar 91%.<br />

Alexander Holaus Seite 90


Lawinenexperten vor Ort<br />

Verifikation des Lageberichts<br />

Regional betrachtet kann auf eine ähnliche Erfolgsquote für das Untersuchungsgebiet<br />

Wildschönau verwiesen werden. Seit nunmehr 5 Jahren werden Aufzeichnungen der La-<br />

winenkommission der <strong>Gemeinde</strong> Wildschönau im Zuge ihrer Tätigkeit zur Sicherung des<br />

Siedlungsraumes und touristischer Flächen (Loipen, Pistenbereiche) mit dem offiziell vom<br />

Land Tirol zur Verfügung gestellten Informationen verglichen. Insbesondere die in letzter<br />

Zeit im Lagebericht des LWD zusätzlich angebotene Unterscheidung verschiedener Hö-<br />

henlagen überrascht durch ihre Treffergenauigkeit. Besondere Erkenntnisse, allfällige<br />

Schneedeckenuntersuchungen, diverses Fotomaterial und persönliche Einschätzungen fin-<br />

den ihren Weg via Internet oder Mobiltelefon zum LWD Tirol nach Innsbruck. Der persön-<br />

liche Kontakt zwischen offiziellem Informationsdienst des LWD Tirol und „Experten vor<br />

Ort“ sowie interessierten TourengeherInnen und der dabei entgegengebrachte Respekt ha-<br />

ben sicher dazu beigetragen, dass sich individuelle Rückmeldungen in den letzten Jahren<br />

deutlich gehäuft haben und einer weiteren Verbesserung der Lageberichtsqualität zuträg-<br />

lich sind.<br />

Alexander Holaus Seite 91


Lawinenexperten vor Ort<br />

Diskussion<br />

9 Diskussion<br />

Täglich erkundigen sich Tausende von Lawinenkommissionären, Bergführern, Skitouristen<br />

u.a. nach den für die jeweilige Region erstellten Lawinenlagebericht. Vor allem für die<br />

Tourengeher ist er eine unentbehrliche Grundlage für die Tourenplanung. Die Qualität die-<br />

ser Prognose zu kontrollieren ist nicht einfach, denn anders, als bei der Wettervorhersage<br />

ist die prognostizierte Größe, die Lawinengefahrenstufe, nicht direkt messbar. Somit ist<br />

eine objektive Verifikation für viele Experten nicht messbar (Schweizer, 2003).<br />

Für den Schneesportler sind vor allem die Gefahrenstufen „gering“, „mäßig“ und „erheb-<br />

lich“ von Bedeutung. Hier gilt es, die Schneedeckenstabilität zu überprüfen. Je größer die<br />

Lawinengefahr ist, umso geringer ist die Schneedeckenstabilität. Gemäß Definition von<br />

Stufe 2 („mäßig“) ist „... die Schneedecke an einigen Steilhängen nur mäßig verfestigt,<br />

ansonsten allgemein gut verfestigt.“ Größere spontane Lawinen sind nicht zu erwarten,<br />

aber Schneesportler können durchaus vereinzelt noch Schneebrettlawinen auslösen. Dies<br />

objektiv zu messen scheint schier unmöglich zu sein. Die Stufen „große“ und „sehr große<br />

Lawinengefahr“ lassen sich <strong>am</strong> ehesten im Nachhinein über die abgegangenen Lawinen<br />

verifizieren.<br />

Da man „im Nachhinein (fast) immer klüger ist“ und dann meist über zusätzliche Daten<br />

und Beobachtungen verfügt, ist eine rückblickende Einschätzung möglich. Diese muss<br />

zwangsläufig aber auch nicht immer eindeutig und richtig sein (Schweizer, 2003).<br />

Idealerweise geschieht diese Art der Verifikation durch unabhängige Experten, also nicht<br />

durch die Prognostiker selbst. Eine Überprüfung bzw. Korrektur des Lageberichts durch<br />

Bergführer oder erfahrene Tourengeher vor Ort und tägliche Rückmeldungen an die Prog-<br />

nostiker sind Bausteine für aussagekräftige Resultate und künftig optimierte Prognosen.<br />

Insbesondere nach längeren Perioden ohne nennenswerten Schneefall ist die Verifikation<br />

ungleich schwieriger. Bestimmte Anzeichen wie „Wummgeräusche“ oder „Fernauslösun-<br />

gen“ deuten auf Gefahrenstufe 3 („erheblich“) hin. Bei Ausbleiben derselben „Alarmzei-<br />

chen“ kann aber keinesfalls automatisch auf eine geringere Gefahrenstufe geschlossen<br />

werden, wie auch vereinzelte Fernauslösungen noch nicht automatisch Stufe 3 bedeuten.<br />

Schweizer (2003) hält fest „ ...dass die Gefahrenstufen durch die Auslösewahrscheinlich-<br />

keit (natürliche Schneedeckenstabilität und menschliches Einwirken), die flächige Vertei-<br />

lung der Gefahrenstellen und die Größe und Art der Lawinen (Mächtigkeit der abgleiten-<br />

Alexander Holaus Seite 92


Lawinenexperten vor Ort<br />

Diskussion<br />

den Schneeschichten) definiert ist“. Dennoch wird - aus ureigenstem Interesse heraus -<br />

kein Lawinenwarndienst die Lawinengefahr sicherheitshalber um eine Stufe höher ange-<br />

ben, da er ansonsten in kürzester Zeit seine Glaubwürdigkeit verliert. Dies sollte auch für<br />

die Informationsweitergabe bei Liftbetreibern („Gelbe Warnleuchte“ ab Stufe 4 und eine<br />

allenfalls im Skigebiet angegebene Gefahrenstufe für den lokalen Variantenbereich) sowie<br />

andere Tourismusverantwortliche (für Loipen, Winterwanderwege etc.) gelten. Es sollte als<br />

Stärke im Informationsmanagement angesehen werden, wenn allfällig zu niedrig oder zu<br />

hoch angekündigte Gefahrenstufen aufgrund aktueller Ereignisse (Rückmeldungen) korri-<br />

giert werden. Es muss erlaubt sein, „laut nachzudenken“ (Wierer, 2006). Informationen,<br />

die meine zuvor gefällte Entscheidung (auch negativ) beeinflussen könnten, sollten stets<br />

Platz in aktuellen Entschlüssen finden.<br />

Zur Bestimmung der einzelnen Gefahrenstufen scheint die Schneedeckenanalyse ein prak-<br />

tikabler Weg zu sein: Mit einer Vielzahl von Untersuchungen und Stabilitätstests ließe sich<br />

die flächige Variabilität der Schneedecke aufspüren. Der vom Zenke/Kronhaler (2006) für<br />

die Tätigkeit der Lawinenkommissionen angedachte Weg des „Prozessdenkens“ scheint<br />

eine Möglichkeit zu sein, auch mit geringerer Anzahl von Profilen und Stabilitätstests zu<br />

einer annehmbaren Entscheidung respektive Verifikation des Lageberichts zu kommen.<br />

Wiesinger/Kronholm/Schweizer haben in ihren Verifikationsk<strong>am</strong>pagnen rund um Davos<br />

festgestellt, dass der Lagebericht regional gesehen mehrheitlich zutreffend war, die<br />

Schneedeckenstabilität lokal aber große Unterschiede aufwies. Regionen mit insges<strong>am</strong>t<br />

geringeren Neuschneemengen (z.B. der inneralpine Bereich) zeigten allgemein schlechtere<br />

Stabilitätswerte in der Schneedecke auf. Eine Abhängigkeit der Schneedeckenstabilität von<br />

der Höhenlage zeigte sich je nach Aufbau der Schneedecke von Anfang bis Ende des Win-<br />

ters und war über den Untersuchungszeitraum 2001/02 und <strong>2002</strong>/03 jeweils genau entge-<br />

gengesetzt zu beobachten. Insbesondere bei Stufe 3 („erheblich“) konnten bezüglich der<br />

Hangexpositionen große Unterschiede in der Schneedeckenstabilität in den Sektoren Nord<br />

(Stufe 4) und den Sektoren Ost und West (Stufe 3) festgestellt werden. Bei den Stufen 2<br />

und 4 wurde keine Expositionsabhängigkeit festgestellt. Grundsätzlich haben diese Unter-<br />

suchungen rund um Davos gezeigt, dass die regionale Schneedeckenstabilität bei den ver-<br />

schiedenen Gefahrenstufen typische Verteilungen aufweist. Außerdem zeigte sich deutlich,<br />

dass die Verifikation der Lawinengefahr, insbesondere für die Stufen „gering“, “mäßig“<br />

und unter Umständenauch noch „erheblich“ nicht einfach und ein in der Regel aufwendi-<br />

ges Unterfangen ist. Wiesinger (2007) antwortet als Projektleiter dieser Untersuchungen<br />

Alexander Holaus Seite 93


Lawinenexperten vor Ort<br />

Diskussion<br />

auf die Frage, „Welchen Stellenwert hat Ihrer Meinung nach der offizielle Lawinenlagebe-<br />

richt in der Einschätzung der lokalen Lawinengefahr?“, folgendermaßen:<br />

„Der LLB ist so gut wie sein Macher und die Informationen, die dieser hatte. Die Qualität<br />

der Aussagen aus dem LLB, die weit über die Gefahrenstufe hinausgehen sollte, ist von<br />

Tag zu Tag, von Situation zu Situation, von Land zu Land und von Lawinenwarner zu La-<br />

winenwarner unterschiedlich. Üblicherweise sinkt die Trefferquote mit zunehmender Dis-<br />

tanz von dem Ort, an dem sie erstellt wird (wobei die Trefferquote generell schwer über-<br />

prüfbar ist).<br />

Auf die zweite Frage, „ Ist es möglich, die im Lawinenlagebericht angegebene Gefahren-<br />

stufe zu verifizieren? Wenn JA, womit?“, antwortet Wiesinger:<br />

„Darauf habe ich bei Frage eins bereits teilweise geantwortet. Generell ja, aber die Veri-<br />

fikation ist aufwändig und funktioniert über eine große Anzahl von Schneedecken-<br />

untersuchungen, die einerseits die Schneedeckenstabilität, andererseits die Verteilung der<br />

Gefahrenstellen zeigt.“<br />

Laut Wiesinger ließe sich das „ ... mittels 50 - 80 Schneedeckenuntersuchungen pro Tag in<br />

der Wildschönau incl. Rutschblocktest machen.“ Weiters führt er aus: „ Das kann ich so<br />

beantworten, weil ich weiß, dass diese Methode funktioniert. Gleichzeitig ist aber auch<br />

klar, dass diese Methode wenig praxistauglich ist, weil der Aufwand enorm ist. Bei großen<br />

Gefahrenstufen (evtl. 3, meist 4, immer bei 5) ist eine Verifikation ex post durch die Beo-<br />

bachtung und Notierung von Lawinenabgängen möglich. Generell sind die tieferen Gefah-<br />

renstufen schwieriger zu verifizieren.<br />

Auf Frage drei, “Welchen Stellenwert haben ‚Experten vor Ort’ (Lawinenkommissionäre,<br />

Schneeräumpersonal, Jäger, Skilehrer, Bergführer, Alpinpolizisten, erfahrene Tourenge-<br />

herInnen.) in der Verifikation des Lageberichts?“, ist zu lesen:<br />

„Das ist abhängig wie sie in die Verifikation des LLBs organisatorisch eingebunden sind.<br />

In der Schweiz haben wir ein riesiges Netz von Beobachtern verschiedener Qualifikatio-<br />

nen, von denen wir einerseits Einschätzungen, andererseits Beobachtungen erhalten. Dar-<br />

aus lässt sich jedoch keine flächendeckende Verifikation machen, weil die subjektiven Fak-<br />

toren bei der Beobachtung zu groß sind. Zudem ist der Aufwand all diese Puzzlesteine für<br />

25.000 km2 zus<strong>am</strong>menzusetzen sehr, sehr groß und es bleiben immer große Lücken auf der<br />

Landkarte übrig. In der Schweiz hat man versucht eine Verifikation zu installieren (ich war<br />

Projektleiter) hat das Projekt aber wegen unüberwindbarer Hürden auf Eis gelegt. Lokal<br />

Alexander Holaus Seite 94


Lawinenexperten vor Ort<br />

Diskussion<br />

und temporär können gut ausgebildete Leute aber sehr wohl Informationen liefern, die<br />

Aussagen aus dem LLB bestätigen oder nicht.“<br />

Es stellt sich somit die Frage, ob es dem LWD Tirol, anderen Österreichischen Warndiens-<br />

ten aus eigener Kraft oder in Form eines EU-Projekts möglich ist, ähnlichen oder noch<br />

größeren Aufwand zu betreiben, um derlei Datenmaterial zu akquirieren. Der LWD Tirol<br />

(2006) kann auf seriöse und auch konstruktive Rückmeldungen bezüglich der Lawinener-<br />

eignisse und sonstiger Beobachtungen von Laien und Profis zurückgreifen.<br />

Nairz (2003) beschreibt den Versuch einer Verifikation des Tiroler Lageberichts <strong>am</strong> Bei-<br />

spiel des Winters <strong>2002</strong>/03 so:<br />

Ausgangspunkt der Verifikation sind primär sämtliche vom LWD Tirol ausgegebenen La-<br />

winenlageberichte der jeweils abgelaufenen Wintersaison. Jeder LLB stellt dabei das Er-<br />

gebnis aus der Verarbeitung einer Fülle an unterschiedlichen Informationen dar und erhebt<br />

primär für sich den Anspruch, die realen Verhältnisse bestmöglich zu erfassen. Für die<br />

beispielsweise Auswertung des Winters <strong>2002</strong>/03 wurden sämtliche zur Verfügung stehen-<br />

den, insbesondere aber auch jeweils nach Erstellung des LLB einfließenden, sehr umfang-<br />

reichen Daten entsprechend gesichtet. Das Datenmaterial umfasste 830 externe Rückmel-<br />

dungen (von Wintersportlern, Lawinenkommissionen etc.), 150 LWD-eigene Geländeer-<br />

kundungen, 5500 Bilder, 160 Stabilitätsuntersuchungen und tägliche Meldungen von da-<br />

mals 12 eigens beschäftigten Beobachtern, wobei einige von diesen nicht nur in der Früh,<br />

sondern auch noch <strong>am</strong> Nachmittag Informationen übermittelten (Nairz, 2003).<br />

Bei genauer Durchsicht aller Rückmeldungen konnten einige interessante Details festge-<br />

stellt werden: Sämtliche Rückmeldungen waren räumlich völlig zufällig über unser Bun-<br />

desland verteilt. Zeitlich hingegen gingen bei kritischen Lawinensituationen tendenziell<br />

mehr Informationen ein als bei sehr günstigen Verhältnissen (Nairz, 2003). Positive<br />

Rückmeldungen im Sinne von Bestätigungen der Lawinenlageberichte übertrafen jene<br />

Rückmeldungen, die den LLB beanstandeten. Der Zeitpunkt der „negativen“ Rückmeldun-<br />

gen deckte sich mit erstaunlicher Regelmäßigkeit mit jenen Tagen, an denen auch der<br />

LWD selbst (unabhängig davon) aufgrund von eigenen Recherchen die Fehlerhaftigkeit<br />

der ausgegebenen LLB erkannt hatte. Zur Quantifizierung des Endergebnisses für die Vor-<br />

hersagegenauigkeit des LLB wurde primär jeder Tag unter Heranziehung objektiver Krite-<br />

rien qualitativ bewertet. Es erfolgt eine Einteilung in die Kategorien „voll zutreffend“, „zu-<br />

treffend“, „teilweise zutreffend“ und „nicht zutreffend“. Bei der Auswahl der Kriterien<br />

wurde äußerst restriktiv vorgegangen. Resümierend konnten 8 Tage mit fehlerhaftem La-<br />

Alexander Holaus Seite 95


Lawinenexperten vor Ort<br />

Diskussion<br />

winenlagebericht ausgewiesen werden. Von 159 Lawinenlageberichten wurden 136 mit<br />

„voll zutreffend“ eingestuft, 23 als „teilweise zutreffend“ (und somit falsch) und keiner als<br />

„nicht zutreffend“, was einer Trefferquote von 86% entspricht. Die bereits angesprochene<br />

unabhängig davon stattgefundene Untersuchung des DAV-Sicherheitskreises ergab für<br />

besagten Winter eine Trefferquote der Tiroler Lawinenwarndienstes von sogar 91%.<br />

Auch an DI Nairz wurden jene drei Fragen, wie sie schon von Dr. Wiesinger zuvor beant-<br />

wortet wurden, gestellt. Von einer Beantwortung der beiden ersten Fragen, „Welchen Stel-<br />

lenwert hat Ihrer Meinung nach der offizielle Lawinenlagebericht in der Einschätzung der<br />

lokalen Lawinengefahr?“ und „Ist es möglich, die im Lawinenlagebericht angegebene<br />

Gefahrenstufe zu verifizieren? Wenn JA, wie bzw. womit?“ hat DI Nairz aufgrund von Be-<br />

fangenheit (aktive Tätigkeit beim LWD Tirol) Abstand genommen.<br />

Auf Frage drei, “Welchen Stellenwert haben ‚Experten vor Ort’ (Lawinenkommissionäre,<br />

Schneeräum-personal, Jäger, Skilehrer, Bergführer, Alpinpolizisten, erfahrene Tourenge-<br />

herInnen.) in der Verifikation des Lageberichts?“, antwortete er:<br />

“ Generell haben diese einen hohen Stellenwert. Dies hängt selbstverständlich nicht nur<br />

von der entsprechenden Zugehörigkeit zu obiger Gruppen ab (wo durchwegs sehr unter-<br />

schiedlicher Ausbildungsstand gegeben ist bzw. sein kann), sondern noch viel mehr von<br />

persönlichem Interesse und intensiver Auseinandersetzung mit der Materie. ‚Experte’<br />

nennt sich bald jemand ...“<br />

Mair (2007) hält fest:<br />

„Der LLB dient vor allem der groben Vorab-Information (Tourenplanung) ersetzt aber<br />

nicht eigene Beobachtung und Beurteilung vor Ort. Eine Verifikation der Gefahrenstufen<br />

ist vor allem durch spontane Lawinenaktivität möglich: je höher die Gefahrenstufe, desto<br />

mehr Lawinenaktivität sollte zu beobachten sein. Dies ist trotzdem schwierig in Fällen, in<br />

denen z.B. die Auslösewahrscheinlichkeit hoch, die Ges<strong>am</strong>tschneehöhen aber gering sind<br />

(dann können keine großen Lawinen abgehen) Am besten funktioniert Verifikation der Ge-<br />

fahrenstufe durch einen Erkundungsflug mit dem Hubschrauber (dieser wird vom LWD bei<br />

eher kritischen oder unklaren Situationen durchgeführt). Die Informationen von so ge-<br />

nannten „Experten vor Ort“ spielen nur bei persönlich bekannten 'Experten' bzw. dann<br />

eine rolle, wenn der 'Experte' (dieser ist anhand seiner Argumentationen im Gespräch als<br />

solcher erkennbar) Ahnung von den Definitionen der europäischen Lawinengefahrenskala<br />

hat.“<br />

Alexander Holaus Seite 96


Lawinenexperten vor Ort<br />

Diskussion<br />

Aus den Erfahrungen des Katastrophenwinters 1998/99 und politischen Folgerungen her-<br />

aus ist eine professionelle Plattform zur Informationsbeschaffung, Kommunikation und<br />

Dokumentation zum Thema „Lawinen“ entstanden: die „Lawinenwarndienste Kommuni-<br />

kations- und Informationsplattform auf Internetbasis 2003-2005“ (LWDKIP-Interreg. IIIA<br />

Projekt).<br />

In den Berichten des ständigen Ausschusses der Alpenkonvention ist zu lesen:<br />

„ ... Der Entwicklung von modernen Informationssystemen und Maßnahmen zur Verbesse-<br />

rung der Warnung muss vermehrt Beachtung geschenkt werden.“ (S. 20) und<br />

„... Der Verbesserung der Kommunikation sei es zur Information der Öffentlichkeit, der<br />

Betroffenen oder der Helfenden, ist im Falle von Naturkatastrophen vermehrt Beachtung<br />

zu schenken.“ (S. 28)<br />

So wurde zwischen Tirol und Bayern – nachdem das Wetter- und Lawinengeschehen an<br />

den Ländergrenzen nicht Halt macht - mit dem LWDKIP diese grenzübergreifende Kom-<br />

munikations- und Informationsplattform geschaffen. LWDKIP dient den Lawinenkommis-<br />

sionen als Erfahrungs- und Archivierungsmedium für tägliche Beobachtungen, Lawinen-<br />

sprengungen, Sperrorte, registrierte Lawinenabgänge etc. Mit dieser umfassenden Doku-<br />

mentation ist gleichzeitig eine Informationsbereitstellung für die benachbarten Kommissi-<br />

onen in der Region und für die Lawinenwarndienste in Innsbruck und München gegeben.<br />

Der Einsatz von LWDKIP bietet außerdem die Möglichkeit, einer lückenlosen Protokollie-<br />

rung der Kommissionsaktivitäten (Abfrage der Lawinenlageberichte und Wetterberichte,<br />

Beobachtungstätigkeit, Messdatenabruf automatischer Wetterstationen, etc.), was hinsicht-<br />

lich der Nachvollziehbarkeit von Entscheidungsfindungen als großer Vorteil gesehen wird.<br />

Positive Rückmeldungen der Kommissionen der vergangenen Jahre bestätigen die Not-<br />

wendigkeit dieser Einrichtung. Umfangreiche Schulungen folgen und sind bereits im Gan-<br />

ge. Zielsetzung stellt nach wie vor Länder übergreifender, umfassender, schneller und Sys-<br />

tem unabhängiger Informationsfluss zwischen Mess- und Beobachtungsstellen, Lawinen-<br />

kommissionen und Lawinenwarnzentralen auf Basis eines bidirektionalen Informations-<br />

flusses dar. Dies erlaubt auch ständige Verifikationsmöglichkeiten des aktuellen Lagebe-<br />

richtes, was einer sich stets „updatenden Software“ gleichgesetzt werden kann. Insbeson-<br />

dere wird die Integration einer Lawinenereignisdatenbank angestrebt, mit deren Hilfe eine<br />

Möglichkeit für die Lawinenwarndienste eingebaut wird, aktuelle und historische Ereignis-<br />

se in die Entscheidungsfindung einzubauen (LWD Tirol, 2006).<br />

Alexander Holaus Seite 97


Lawinenexperten vor Ort<br />

Diskussion<br />

Für die Untersuchungsregion Wildschönau lässt sich auf Basis der Ergebnisse aus den<br />

Erhebungsbögen feststellen, dass unter Tourengehern nur vereinzelt regelmäßige Stabili-<br />

tätstests und Schneedeckendiagnosen vorgenommen werden. Allerhand Beobachtungen<br />

werden im Kollegenkreis diskutiert. Zur Verifikation eines aktuellen Lageberichts reichen<br />

diese fragmenthaften Bausteine jedoch nur selten aus. Auch wenn vereinzelt in der<br />

Schneedecke nach versteckten Schwachschichten gesucht und aufgrund kleinerer oder<br />

größerer Rutschungen oder Lawinen Vermutungen zu solchen geäußert werden, kann man<br />

daraus noch nicht den für die Region ausgegebenen Lagebericht umwerfen. Vor Ort erge-<br />

ben sich kleinräumig oft sehr unterschiedliche Untersuchungsergebnisse, auf welche ein<br />

regionaler Lagebericht niemals detailliert eingehen könnte. Lokal hat der Tourengeher<br />

bzw. der Sicherheitsverantwortliche für Tourismusflächen bzw. die örtliche Lawinenkom-<br />

mission die aktuelle Situation zu beurteilen. Nachdem sich der LLB aus unzähligen Stabili-<br />

tätstests und Beobachtungen über das ganze Land verteilt, sowie mittlerweile sehr Erfolg<br />

versprechenden Prognosemodellen zus<strong>am</strong>mensetzt, kann die persönliche Einschätzung nur<br />

ein winziger – mitunter aber entscheidender – Puzzleteil im Ges<strong>am</strong>tzus<strong>am</strong>menhang sein.<br />

Wer jemals an ein und demselben Hang verteilt mehrere Stabilitätstests und Schneede-<br />

ckenuntersuchungen angestellt hat, weiß, dass ein und dieselbe kritische Schicht in ver-<br />

schiedener Tiefe auftaucht. Speziell im Randbereich kritischer Hänge kommt diese gerne<br />

sehr nahe an die Oberfläche und kann somit von einem einzelnen Skifahrer leicht gestört<br />

werden und d<strong>am</strong>it in der Fortsetzung ganze Seiten zum Abgehen bringen. Superschwach-<br />

zonen verteilen sich aber für den Beobachter unsichtbar über den ges<strong>am</strong>ten Hang. Diesen<br />

gezielt auszuweichen fällt somit sehr schwer. Jene Personen, die bereits einmal direkt mit<br />

Lawinen in Berührung gekommen sind und von dieser nur knapp verschont bzw. glückli-<br />

cherweise nur „temporär in Besitz“ genommen wurden, bestätigen, dass sie von der Situa-<br />

tion völlig überrascht wurden und die Gefährlichkeit gänzlich unterschätzt haben. Die phy-<br />

sikalischen Gesetzmäßigkeiten innerhalb der Schneedecke beschäftigen sehr viele Wissen-<br />

schafter. Die Materie ist jedoch so komplex, die Hänge von so unterschiedlicher Topogra-<br />

fie und der Schneedeckenaufbau vielfach so unterschiedlich, dass nur mit Wahrscheinlich-<br />

keiten gearbeitet werden kann. Das verbleibende Restrisiko so klein wie möglich zu halten<br />

wird unermüdlich versucht. Vielfach spielen auch wirtschaftliche Überlegungen und<br />

menschliche Faktoren (die menschliche Psyche) in die Entscheidungen des Einzelnen her-<br />

ein, welche - ex post betrachtet – eigentlich ausscheiden sollten: Gruppendruck, ballisti-<br />

Alexander Holaus Seite 98


Lawinenexperten vor Ort<br />

Diskussion<br />

sches Verhalten (einmal eine Entscheidung getroffen, dann werden weitere Inputs nicht<br />

zugelassen), etc.<br />

Seit nunmehr 5 Jahren werden regionale Aufzeichnungen der Lawinenkommission der<br />

<strong>Gemeinde</strong> Wildschönau im Zuge ihrer Tätigkeit zur Sicherung des Siedlungsraumes und<br />

touristischer Flächen (Loipen, Pistenbereiche) mit den offiziell vom Land Tirol zur Verfü-<br />

gung gestellten Informationen verglichen. Insbesondere die im Lagebericht des LWD zu-<br />

sätzlich angeführte Unterscheidung in Bezug auf Höhenlage, Tageszeit und Exposition<br />

überrascht durch ihre Treffergenauigkeit. Besondere Erkenntnisse, allfällige Schneede-<br />

ckenuntersuchungen, diverses Fotomaterial und persönliche Einschätzungen finden ihren<br />

Weg via Internet oder Mobiltelefon zum LWD Tirol nach Innsbruck. Der persönliche Kon-<br />

takt zwischen offiziellem Informationsdienst des LWD Tirol und „Experten vor Ort“ sowie<br />

interessierten TourengeherInnen und der dabei entgegengebrachte gegenseitige Respekt<br />

haben sicher dazu beigetragen, dass sich individuelle Rückmeldungen in den letzten Jahren<br />

deutlich gehäuft haben und einer weiteren Verbesserung der Lageberichtsqualität zuträg-<br />

lich sind. Nairz (2003) schreibt von ausgeglichener Rückmeldemoral (sowohl bei Überein-<br />

stimmung als auch unterschiedlicher Interpretation des Gefahrenpotenzials) und stellt so-<br />

gar leichten Überhang positiver Äußerungen (= Zustimmung zum offiziell ausgegebenen<br />

LLB) fest. Naturgemäß werden Ungereimtheiten immer stärker an die Öffentlichkeit drin-<br />

gen und intensiv diskutiert werden. Was kann dem, der auf den offiziellen Lagebericht<br />

vertraut Besseres passieren, als dass mehrfach überprüft wird, was publiziert wird?<br />

Verifikation durch „Experten vor Ort“ ist auch nach Auffassung von Kröll (2007) möglich.<br />

Bei ihm ist der Begriff „Experten vor Ort“ Anlass zu vorerst ironischer Äußerung:<br />

„In meiner bisherigen Schitouren-Karriere habe ich noch keinen Jäger getroffen, der<br />

kompetent Auskunft geben konnte. In der Steiermark werden Tourengeher von Jägern eher<br />

mit der gezückten Waffe bedroht. Ein Jäger hätte die Möglichkeit ‚Schneekenner’ zu wer-<br />

den/zu sein und hier ist es ebenso wichtig, die Fragen mit den Schlüsselbegriffen genau zu<br />

stellen - sonst ist die Auskunft wertlos.<br />

Skilehrer und Bergführer sind in Abhängigkeit ihres Ausbildungsstandes das interessantes-<br />

te Auskunftspersonal - sprechen die ‚gleiche Sprache’, verwenden Schlüsselbegriffe gleich.<br />

Alpinpolizisten sind in diesem Zus<strong>am</strong>menhang wie Skilehrer oder Bergführer zu sehen.“<br />

Auf die Frage, „welchen Stellenwert der LLB in der Einschätzung der lokalen Lawinenge-<br />

fahr hat“, antwortet Kröll folgendermaßen:<br />

„Der LLB hat zunehmende Bedeutung für die Einschätzung der Lawinengefahr.<br />

Alexander Holaus Seite 99


Lawinenexperten vor Ort<br />

Diskussion<br />

Die Qualität des LLB wird deutlich besser, vor allem in Tirol. Größte Bedeutung hat der<br />

LLB zur Tourenplanung (regional); eine geringere Bedeutung dann lokal; vor Ort - sozu-<br />

sagen zonal (<strong>am</strong> Einzelhang) - kann der LLB korrekt sein, kann aber auch deutlich an Prä-<br />

zision verlieren im Vergleich zur regionalen oder lokalen Verwendung .“<br />

Als <strong>Beispiel</strong> führt Kröll an: „ ...Beurteilung der schattseitigen Kar-Rinne bei der Abfahrt<br />

vom Beil in den Schönanger: hier ist die Beurteilung vor Ort entscheidend; der LLB kann<br />

hier nur geringe Hilfe bieten.“<br />

Auf die Frage, „Ist es möglich, die im Lawinenlagebericht angegebene Gefahrenstufe zu<br />

verifizieren? Wie bzw. womit?, antwortet Kröll:<br />

„Natürlich ist die Verifizierung für den Schneekenner durch Beobachtung und Wertung der<br />

offensichtlichen Gefahrenzeichen (neue Schneebrettauslösungen, Windzeichen auf der<br />

Schneedecke, plötzliche/ lokale Erwärmung, Packschnee, ...), Schneeprofil, Kompressions-<br />

test, Spursteg, ... möglich. Grundsätzlich ist es einfacher, eine Verschärfung vorzunehmen<br />

als eine Verifizierung in Richtung Verbesserung der Situation (v.a. bei Garantenstellung;<br />

hier ist eine präzise Protokollierung der Argumentation anzuraten.“<br />

Veider (2007) stellt fest:<br />

„Der offizielle Lawinenlagebericht ist in der Einschätzung der lokalen Lawinengefahr eine<br />

zusätzliche Informationsquelle … Durch eigene Erfahrung, viele Schneeprofile (3 pro Ex-<br />

position) etc. ist es möglich, die im Lawinenlagebericht angegebene Gefahrenstufe zu ve-<br />

rifizieren.“ „Eine weitere Bewertung/Berechnung“ nimmt er „nach Munter vor.“<br />

„Verifikation ist im örtlichen Bereich (alles, was ich sehen kann: Windfah-<br />

nen/Windtätigkeit, Schneestruktur, Temperatur,....) sehr gut möglich … Experten vor Ort<br />

sind mitunter der wichtigste Teil in der Erstellung des LLB.“<br />

Für Staudinger (2007) hat „ ... der LLB einen hohen Stellenwert in der Einschätzung der<br />

lokalen Lawinengefahr.“<br />

Auch die „Experten vor Ort“ sind seiner Meinung nach „von großer Bedeutung in der Ve-<br />

rifikation des LLB.“<br />

Gemäß diesen Äußerungen kommt dem Lagebericht eine große Bedeutung zu. Diesen vor<br />

Ort nach unten zu korrigieren, bedarf es aber deutlicher und gewichtiger Anzeichen, wie<br />

zum <strong>Beispiel</strong> eine eindeutig geringere Schneehöhe o.ä. Auch die Natur liefert uns eindeuti-<br />

ge Anzeichen, wie etwa spontane Lawinen. Strategische Prognosemodelle – so mangelhaft<br />

sie auch zum Teil scheinen – haben erst zu regionaler Lawinenwarnung geführt (Schwei-<br />

zer, 2003). Leider wird von den Nutzern des offiziellen Lageberichts meist nur die Schlag-<br />

Alexander Holaus Seite 100


Lawinenexperten vor Ort<br />

Diskussion<br />

zeile und die angegebene Gefahrenstufe gelesen, nicht aber die detaillierten Zusatzinfor-<br />

mationen. So ist es nicht verwunderlich, wenn in so mancher Gaststube nach erfolgter Ta-<br />

gestour manch unprofessionelle Äußerung in Bezug auf die früh morgens im Drüberlesen<br />

wahrgenommene Gefahrenstufe fällt. Eine Beurteilung aus dem Gefühl (respektive Bauch)<br />

heraus ist nicht wissenschaftlich und d<strong>am</strong>it nicht zielführend.<br />

Weder die Gefahrenstufe, noch Angaben zu ungünstigen Hangexpositionen und Höhenla-<br />

gen erlauben zu beurteilen, ob ein bestimmter Hang auslösbar ist oder nicht. Der Lawinen-<br />

lagebericht vermag lediglich qualitative und nicht wirklich quantifizierbare Angaben zur<br />

Auslösewahrscheinlichkeit zu geben. Bei der Beurteilung der Gefährdung von Siedlungs-<br />

räumen oder touristisch genützten Flächen aber auch der professionellen Führung von Per-<br />

sonengruppen in den freien Skiraum sind die Anforderungen noch höher. Nachweislich<br />

eingeholte Informationen und bestenfalls auch schriftlich dokumentierte Entscheidungen<br />

zeichnen eine sorgfältige Lawinenbeurteilung aus (Schweizer, 2003).<br />

Die Beurteilung der Lawinengefahr hat den Stellenwert einer Prognose. Jede Prognose, sei<br />

es eine Wirtschafts- oder Wetterprognose, ist das Resultat einer synoptischen Beurteilung<br />

verschiedenster Einflussfaktoren, die es zu gewichten gilt. Fehlprognosen sind an der Ta-<br />

gesordnung, und meist das Ergebnis falscher Gewichtung einzelner Faktoren, oder einer<br />

falschen Abschätzung komplexer Interaktionen zwischen verschiedenen Einflussfaktoren.<br />

Auch der LLB, verfasst von Experten, hat de Stellenwert einer Prognose, die wie Untersu-<br />

chungen gezeigt haben, in rund 70% der Fälle als korrekt bezeichnet werden kann<br />

(Schweizer, 2003).<br />

Dass derzeit in Umlauf befindliche strategische Methoden den Stellenwert von „Verkehrs-<br />

normen“ annehmen, ist nach aktuellem Stand der Wissenschaft nicht zu befürchten. Die<br />

Bedeutung des Lageberichts wird auch in Zukunft sicher nicht abnehmen, auch der Begriff<br />

der „Eigenverantwortlichkeit“ im Tourenbereich lässt sich nicht auf offizielle Stellen ab-<br />

schieben. Künftig, wie heute, wird der LLB dem, der bereit ist, solche anzunehmen, die<br />

nötigen Grundinformationen liefern. Entscheidungen vor Ort müssen in der Natur immer<br />

noch selbst getroffen werden. Hoi (<strong>2002</strong>) hält fest, dass „ ... die überregionale Lawinen-<br />

warnung für den Schitourengeher nur eine begleitende Empfehlung sein kann ... Der La-<br />

gebericht kann nämlich die wichtigen Kriterien der Schneebrettbildung, wie z.B. des Vor-<br />

handensein eines Gleithorizonts, nicht oder nur in seltenen Fällen angeben ...“<br />

Höller(2007) stellt fest:<br />

Alexander Holaus Seite 101


Lawinenexperten vor Ort<br />

Diskussion<br />

„Der Lawinenlagebericht ist sicher ein wichtiges Hilfsmittel für die aktuelle Darstellung<br />

der Lawinengefahr, der Stellenwert wird aber m.E. auch etwas überbewertet. Da der La-<br />

gebericht im Grunde ja auf den Wetterdaten aufbaut, ist der Wetterbericht ein mindestens<br />

ebenso wichtiges Werkzeug wie der Lagebericht, wenn nicht vielleicht sogar das bessere<br />

Hilfsmittel. Eine einigermaßen geschulte Person kann mit Hilfe der Wetterdaten und des<br />

Wetterberichtes sicher auch selbst eine sehr gute Einschätzung der aktuellen Lage vor-<br />

nehmen.<br />

Die Verifikation des Lageberichtes ist ausgeschlossen, weil es objektiv nicht möglich ist,<br />

die ausgegebenen Stufen später zu überprüfen. Anders beim Wetterbericht: eine für einen<br />

bestimmten Zeitpunkt prognostizierte Temperatur kann ganz leicht überprüft werden, in-<br />

dem man zum gegebenen Zeitpunkt den Wert an einem Thermometer abliest.<br />

Experten vor Ort können oft sehr aufschlussreiche Informationen liefern, weil sie ja mit<br />

den örtlichen Gegebenheiten bestens vertraut sind; allerdings gilt dies nur, wenn es sich<br />

um zuverlässige Personen handelt, die die Situation im betreffenden Gebiet wirklich konti-<br />

nuierlich beobachten.<br />

Aus den vielen Expertenmeinungen, von denen einige in dieser Arbeit angesprochen wur-<br />

den, und den Ergebnissen aus den Erhebungen in der Wildschönau lässt sich für mich fest-<br />

stellen, dass die Materie Schneedecke und somit das Lawinenpotenzial vieler Hangexposi-<br />

tionen und Höhenlagen zu verschiedenen Zeitpunkten dermaßen komplex sind, dass strate-<br />

gische Methoden einerseits zwar viele TourengeherInnen zu erhöhter Vorsicht erzogen<br />

haben, diese Methoden andererseits aber wichtige Faktoren der Lawinenbildung zu wenig<br />

detailliert untersuchen bzw. gar nicht berücksichtigen. Strategische Methoden machen den<br />

Laien somit noch lange nicht zum Experten. Wirkliche „Experten vor Ort“ müssten – zum<br />

Vergleich – lokal täglich mehrfach und an verschiedensten Stellen nach genau definierten<br />

Kenngrößen forschen. Dies ist aber nur wenigen hauptberuflich tätigen Profis möglich.<br />

Sonstige - in der Natur tätige - Personen, wie auch erfahrene TourengeherInnen sind mit<br />

ihren Beobachtungen und Einschätzungen als Rückmelder zur Qualitätsoptimierung des<br />

Lageberichts immer willkommen.<br />

Jeder Teil in diesem Puzzle ist von Bedeutung, auch wenn trotz des Fehlens einzelner Stü-<br />

cke das Ges<strong>am</strong>tbild schon längst zu erkennen ist.<br />

Alexander Holaus Seite 102


Lawinenexperten vor Ort<br />

Zus<strong>am</strong>menfassung<br />

10 Zus<strong>am</strong>menfassung<br />

Risiko definiert sich als ein Wahrnehmungsphänomen, das auch durch objektive Verfahren<br />

beschrieben werden kann. Um eine Art Schadensmatrix für spezifische Situationen zu er-<br />

halten, bedient man sich üblicherweise der jeweiligen Elemente des Risikos. D<strong>am</strong>it wird<br />

eine Grobrasterung des Risikos möglich, und d<strong>am</strong>it liegen natürlich auch jene Grundlagen<br />

vor, die eine gezielte Risikoprävention ermöglichen.<br />

Genuine Risikovorbeugung vorweg, nämlich die Berücksichtigung morphologischer Be-<br />

sonderheiten (Gefährdungspotenzial), technischer wie temporärer (Lawinenverbauung,<br />

etc.) Interventionsrahmen und Rettung von Menschenleben und Sachgütern (erhöhte Be-<br />

reitschaft für Hilfseinheiten, Bereitstellen von Gerätschaften, etc.) sowie Katastrophenin-<br />

tervention in der Akutphase, also Interventionsprogr<strong>am</strong>me zur Bewältigung von Katastro-<br />

phen (Evakuierung, medizinische Versorgung, Lebensmittel, etc.) dienen der Risikovor-<br />

beugung (Grossmann/Kulmhofer, 2004).<br />

Diesem Muster ist diese Arbeit gefolgt. Historisches zur Lawinenforschung und ein kurzer<br />

Exkurs in die Lawinenphysik haben den Themenkreis Schnee und Lawinen eingeleitet.<br />

Begriffsdefinitionen, Lawinen bildende Faktoren und Beurteilungsmethoden der Lawinen-<br />

gefahr sowie Präventionsmaßnahmen haben den fachspezifischen Teil vervollständigt. Im<br />

weiterer Folge wurden hydrografische und geologische Grunddaten der Untersuchungsre-<br />

gion, sowie deren wirtschaftliche Positionierung und Infrastruktur als Basisdaten erhoben.<br />

Zentraler Teil der Arbeit war eine empirische Erhebung auf regionaler Ebene, welche ei-<br />

nerseits der Ermittlung des Wissensstandes über lawinenbezogene Themen und Verhal-<br />

tensweisen einer repräsentativen Personengruppe aus der Wildschönau bzw. Kennern der<br />

Region diente. Andererseits erhoffte man sich aus qualitativen Einzelinterviews historische<br />

Ereignisse zum Thema Lawinen in der Wildschönau zu erfahren. Eine bislang nicht vor-<br />

handene Zus<strong>am</strong>menführung vieler Details und kartografische Fassung bekannter Lawinen-<br />

ereignisse vergangener Jahre konnte erstellt werden und sind ab sofort Teil des regionalen<br />

Krisenmanagements in der behördlichen Einsatzleitung respektive örtlichen Lawinen-<br />

kommission.<br />

„Expertenwissen vor Ort“ hat sich als weit gestreut erwiesen. Jeder versucht, bestmögliche<br />

und zuverlässige Informationen für seinen Zuständigkeitsbereich zu akquirieren. Eine Ver-<br />

netzung der zu bestimmten kritischen Zeitpunkten vorhandenen Erkenntnisse wäre wün-<br />

Alexander Holaus Seite 103


Lawinenexperten vor Ort<br />

Zus<strong>am</strong>menfassung<br />

schenswert. Leider kann im Ernstfall nur seltenst auf einen Pool an soliden Basisdaten zu-<br />

rückgegriffen werden. Die Erkenntnisse eines Landwirts in Bezug auf die Gefährdung<br />

durch Schneerutschungen enden meist mit den eigenen Grundgrenzen. Ebenso kann ein für<br />

die Sicherheit touristischer Flächen verantwortlicher Kommissionär das Gefährdungspo-<br />

tenzial seiner Skipisten, Loipen oder Winterwanderwege angeben. Schneeräumpersonal,<br />

das bereits bei mitternächtlichem Wintereinbruch jede Stunde die Neuschneezuwächse und<br />

evtl. Windeinflüsse bzw. größere Temperaturschwankungen mitverfolgen kann, wird sei-<br />

nen Bereich aufgrund kleinerer Anzeichen (Rutschungen) gut abschätzen können. Erhebli-<br />

che Lawinengefahr für den Tourengeher ist nicht automatisch mit der Gefährdung von<br />

Straßen und Siedlungen gleich zu setzen. Eine gemeins<strong>am</strong>e Informationsplattform kann<br />

hier sicher Hilfe bieten. Die Lawinenwarndienste der Alpenregionen erfüllen diese Rolle<br />

meiner Ansicht nach bestmöglich. Aufgrund exzellenter Wetterberichte, spezieller diesbe-<br />

züglicher Prognosen (erwartete Neuschneezuwächse, Winddaten, Strahlungswerte, etc.)<br />

und dem Vergleich eigener Erhebungsdaten mit unzähligen Beobachtermeldungen hat die<br />

Zuverlässigkeit der Lawinenprognosen in den letzten Jahren stark profitiert. Der Input re-<br />

gionaler „Experten vor Ort“ hängt nach Meinung derer, die diese auszuwerten haben, stark<br />

von persönlicher Kompetenz und Eigeninteresse an der Sache ab. Vorhandenem regiona-<br />

lem oder lokalem Lawinenpotenzial auszuweichen ist naturgemäß nicht immer möglich.<br />

Wo dies jedoch (durch temporäre, raumplanerische oder technische Maßnahmen) erreicht<br />

werden kann, bedarf es einerseits solider Grundkenntnisse im Aufbau und der Variabilität<br />

der Schneedecke und andererseits eines gemeins<strong>am</strong>en Vokabulars, über das man im Erst-<br />

fall ohne Missverständnisse kommunizieren kann.<br />

Abschließend darf ich feststellen, dass ich das Recherchieren im Zuge dieser Arbeit sehr<br />

anregend empfunden habe. Ich durfte unter dem Deckmantel meiner Arbeit zahlreiche<br />

Spezialisten und Persönlichkeiten kennen lernen. Dass die Erkenntnisse aus der regionalen<br />

Erhebung auch einem fortführenden Zweck dienlich sei können, war mir ebenfalls ein gro-<br />

ßes Bedürfnis.<br />

Naturgefahrenmanagement wird unseren Alltag in den kommenden Jahrzehnten immer<br />

mehr bestimmen. Alleine in meinen bisherigen kurzen Leben habe ich schon derart massi-<br />

ve Veränderungen in unserer Bergwelt miterlebt, dass ich jede Maßnahme zur Erhaltung<br />

und zum Schutz unseres Erholungsraumes unterstütze. Leider hängt dies aber nicht nur<br />

vom Willen und der Tatkraft „eingesessener Älpler“ ab – dazu muss weltweit umgedacht<br />

und gehandelt werden.<br />

Alexander Holaus Seite 104


Lawinenexperten vor Ort<br />

Zus<strong>am</strong>menfassung<br />

Alexander Holaus Seite 105


Lawinenexperten vor Ort<br />

Literaturverzeichnis/Quellenangabe<br />

Literaturverzeichnis/Quellenangabe<br />

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Alexander Holaus Seite 106


Lawinenexperten vor Ort<br />

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KRONHOLM, Kalle 2003: Berg&Steigen 4/03, S. 56-59<br />

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LACKINGER, Bernhard 2000: Land Tirol, Lawinenhandbuch, S. 85 ff<br />

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Alexander Holaus Seite 107


Lawinenexperten vor Ort<br />

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An Analysis of Risk Factors; Natural Hazards 39, 127 – 153.<br />

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MOSTLER, Herfried 1970: Der Westabschnitt der Nördlichen Grauwackenzone;<br />

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2. Ausgabe<br />

Alexander Holaus Seite 108


Lawinenexperten vor Ort<br />

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MUNTER, Werner 2003: 3x3 Lawinen, Entscheiden in kritischen Situationen<br />

(überarbeitete Auflage)<br />

NAIRZ, Patrick <strong>2002</strong>: Berg&Steigen 4/02, S. 35 ff<br />

NAIRZ, Patrick 2003: Schnee und Lawinen-Jahresbericht <strong>2002</strong>/03, S. 130 ff<br />

NAIRZ, Patrick 2003: Fachbeiträge der Europäischen Lawinenwarndienste,<br />

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PODESSER, Alexander 2001: Schnee und Lawinen-Jahresbericht, ZAMG Graz, S. 21 ff<br />

SALM, Bruno 1990: BFW-Praxisinformation Nr. 8; 2005/S. 28<br />

SCHWEIZER, Jürg 2003: Berg&Steigen 4/03, S. 56ff<br />

2006: Berg&Steigen 4/06, S. 66ff<br />

SCHWEIZER, Jürg 2003: Jahrbuch des Österr. Kuratoriums für Alpine Sicherheit,<br />

S. 176 ff<br />

SCHWIERSCH, Martin 2005: Berg&Steigen 4/05, S. 30 ff<br />

SLF Eidgenössisches Institut für Schnee- und Lawinenforschung<br />

Davos http://www.slf.ch<br />

SUDY, Albert 2001: Schnee und Lawinen-Jahresbericht, Z<strong>am</strong>g Graz, S. 21 ff<br />

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VAN HUSEN, Dirk 1997: Geologische BA Wien,<br />

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Alexander Holaus Seite 109


Lawinenexperten vor Ort<br />

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WIESINGER, Thomas 2003: Cold Regions Science and Technology 37(3), S. 277-288<br />

2003: Berg&Steigen 4/03, S. 56ff<br />

WLV Wildbach und Lawinenverbauung Tirol, GBL Östl. Unterinntal;<br />

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ZENKE, Rudolf 2006: Berg&Steigen 4/06, S. 56 ff<br />

Alexander Holaus Seite 110


Lawinenexperten vor Ort<br />

Abkürzungsverzeichnis<br />

Abkürzungsverzeichnis<br />

LWD Lawinenwarndienst<br />

LLB Lawinenlagebericht<br />

GZP Gefahrenzonenplan<br />

LWDKIP Lawinenwarndienste Kommunikations- und Informationsplattform<br />

Alexander Holaus Seite 111


Lawinenexperten vor Ort<br />

Anhang<br />

Anhang<br />

Erhebungsbogen Fragebogen, welcher an 83 ausgewählte WildschönauerInnen<br />

Lawinenkataster<br />

Wildschönau<br />

Naturgefahrenchronik<br />

Wildschönau<br />

Jahrhundertlawinen<br />

in der Wildschönau<br />

Lawinenlageberichte<br />

1960 bis heute<br />

und Wildschönau-Kenner ausgeteilt wurde<br />

Erhobene potenzielle Lawinenstriche/gefährdete Hänge<br />

(s<strong>am</strong>t zeitlicher Zuordnung – z.T. auch Jährlichkeit)<br />

Aus Fliri, 1998 und Polizeiposten Oberau<br />

Archivmaterial der Wildbach- und Lawinenverbauung (GBL Wörgl)<br />

und des Polizeipostens Oberau<br />

Chronologische Abfolge der diversen LLB aus den Jahren<br />

1960 (erster Tiroler LLB), 1971, 1981, 1991, 2001 und 2007<br />

Alexander Holaus Seite 112


Lawinenexperten vor Ort<br />

Anhang<br />

Alexander Holaus Seite 113


Lawinenexperten vor Ort<br />

Anhang<br />

Alexander Holaus Seite 114


Lawinenexperten vor Ort<br />

Anhang<br />

Alexander Holaus Seite 115


Lawinenexperten vor Ort<br />

Anhang<br />

Alexander Holaus Seite 116


Lawinenexperten vor Ort<br />

Anhang<br />

Alexander Holaus Seite 117


Lawinenexperten vor Ort<br />

Anhang<br />

Lawinenkataster Wildschönau Stand: Jan. 2007<br />

Aufzeichungen<br />

• aus dem Archiv der Wildbach- und Lawinenverbauung Tirol<br />

(DI Andreas Haas, GBL Wörgl)<br />

• dem Archiv des Polizeipostens Oberau mit PKdt. Josef Silberberger<br />

• dem Archiv/Beobachtungen der LK Wildschönau und<br />

• Berichten von „Experten vor Ort“<br />

Diese Aufstellung, wie auch die beigefügte Karte, erheben keinerlei Anspruch auf Voll-<br />

ständigkeit.<br />

Zahl N<strong>am</strong>e Beschreibungen<br />

1<br />

2<br />

3<br />

4<br />

5<br />

6<br />

Gr. Beil<br />

N-Kessel<br />

Kl. Beil<br />

SO-Kessel<br />

Steinermandl<br />

SO-Kessel<br />

Kl. Beil<br />

N-Kessel<br />

Trettlalm<br />

SO-Kessel<br />

Trettl<br />

O-Hänge<br />

Seiner Erinnerung nach 3x sehr groß als Schneebrettlawine abge-<br />

gangen (1969, 1999 und 2005);<br />

Schneebrett (tw. von Beil-N-Lawine überdeckt);<br />

tw. auch kleinflächig als Grundlawine<br />

(Sommmerboden: Almrosen, Stauden)<br />

1999 bis zum Bach runter;<br />

bei gr. Neuschneezuwachs als Großlawine zu erwarten;<br />

Streiferalm 1951 zerstört (genauere Info bei Schoner Toni oder<br />

Schoner Sebastian „Jaggler“ in Oberau);<br />

Abholzung zeugt von Lawinenereignissen verg. Jahre<br />

200-300 Jahre alte Zirben auf scheinbar sicherem Kopf weggefegt;<br />

Trettl-Almhütte bislang an sicherem Platz;<br />

Insbes. im Frühjahr (Grundlawine) aber auch bei gr. Neuschnee-<br />

zuwachs zu beachten;<br />

Ca. 15-20 cm dickes, anfangs 15 m im weiteren Verlauf ca. 100 m<br />

breites Neuschneebrett (von Josef Naschberger/Oberau u.a.) or.<br />

links ausgelöst; bis auf Forstweg zum Baumgartenalm abgegan-<br />

gen;<br />

Alexander Holaus Seite 118


Lawinenexperten vor Ort<br />

Anhang<br />

7<br />

8<br />

9<br />

10<br />

Baumgartenalm-Kessel<br />

NO- bis SO-Hänge<br />

Saupanzen<br />

O- bis S-Hänge<br />

Seekopf<br />

N-Hänge<br />

Joel<br />

O-Seite<br />

11 Gern<br />

N-Hänge<br />

12<br />

Wildkarspitze (Zirben-<br />

kopf)<br />

W-Seite<br />

13 Schweigberghorn<br />

W-Kessel<br />

14 Breitegg<br />

W-Seite<br />

15 G<strong>am</strong>skar-Kundl<br />

W-Flanke<br />

16 Schlag<br />

(Gressenstein-Straße)<br />

17 Holzalm<br />

SO-Flanke<br />

Jährlich abgehende Hänge rund um die Almhütte; tw. auch schon<br />

beschädigt; großräumiges Ausweichen (Waldschutz) angesagt;<br />

Früher wurde über Ostseite gerne ohne Höhenverlust reingequert;<br />

Heute eher tieferes Absteigen in die Ebene oder überhaupt west-<br />

seitig umgangen;<br />

Südseite regelm. im Frühjahr auf Armrosen abgehende Grundla-<br />

wine;<br />

Aufstieg über diese Seite eher steil, im flacheren Ausstieg große<br />

Zugbelastung auf Schneedecke;<br />

Schneebrettunfall mit Viktor Kruckenhauser/Mariastein<br />

Alle 15 bis 20 Jahre ges<strong>am</strong>te Seite;<br />

Schlag Richtung Aschbach st<strong>am</strong>mt von diesen Schneemassen;<br />

Jährlich Schneebrettabgänge (kleinräumig)<br />

1 tödl. Lawinenunfall (Contagan-Jugendlicher, Jan.1980)<br />

1 Blindeinsatz mit 36 Helfern/Rettern (Feb. 2006)<br />

Einzug (unterhalb des Sommersteiges) für große Lawine Richtung<br />

Schönanger im Winter 70/71 über jetzigen Parkplatz bis Kundler<br />

Ache. 1992 als Nassschneelawine bis unter die Almhöfe<br />

Tödl. Unfall Stadler Kornel (Schneebrett); Zeuge: Sandbichler<br />

Josef („Obinghäusl“ Oberau);<br />

Schneebrettunfall mit 1 Verschüttung (im Jan.06);<br />

eingeblasene Mulde an Geländekante ausgelöst;<br />

(Info/Foto: G.Silberberger, Hubert Holzer)<br />

Alle 5-10 Jahre in größerem Ausmaß; tw. bis zur Ache,<br />

sonst auch nur im oberen und unteren Bereich getrennt;<br />

Allwinterliche Rutschungen auf und über Forststraße;<br />

bei beträchtlichen Neuschneemengen auch im Hochwinter, sonst<br />

speziell im Frühjahr gefährlich;<br />

Tw. größere Schneebrettlawinen bekannt<br />

Haag in 50er-Jahren beschädigt<br />

(Info: Simon „Dummern“ Hörbiger)<br />

Alexander Holaus Seite 119


Lawinenexperten vor Ort<br />

Anhang<br />

18 Rosskopf<br />

NO-Flanke<br />

19 Rosskopf<br />

N-Hang<br />

20 Gipfellift<br />

N-Hang<br />

21 Steinrinne<br />

22 Pemberg-Schlag<br />

S-Hang<br />

Jährlich abgehend (z.T. als Schneebrett, im Frühjahr als Grundla-<br />

wine)<br />

1 Verschüttung (1963) bekannt<br />

Verschüttung einer Schülergruppe (10 Pers.) durch Schneebrett<br />

von über Wanderweg zur A.Graf-Hütte liegendem Hang (jetziger<br />

Pistenbereich)<br />

Rutschungen aus lichtem Wald auf darunter liegendes Gelän-<br />

de/Gehöft<br />

23 Sonnberg 1951<br />

24 Berschwend<br />

Beschädigung des Essbaum-Gehöfts (1954)<br />

Wh im Jahr 1976 (?) als „Windschnee-Lawine“ (= ca. 1 m Neu-<br />

schnee bei eisigen Temp.)<br />

1954; urspr. Anrissgebiet mittlerweile gut verwachsen;<br />

Feb. 2006 (Rutschung bedroht Zufahrt Sonnbergstüberl)<br />

25 Eindillental Jährliche Rutschung aus steilen Wiesen - auch über die Straße<br />

26 Leirerfeld<br />

Hangrutschung aufgrund starker Durchfeuchtung über die Straße<br />

(im Feb. 2006)<br />

27 Viechwände jährliches Verschütten der Straße auf „Neuhögen“ zu<br />

28 Neuhögen Nordseite problematische Seite; meist spontan über beide Straßenabschnitte<br />

Grafiken (Kartenmaterial) hier nicht angehängt!<br />

Alexander Holaus Seite 120


Lawinenexperten vor Ort<br />

Anhang<br />

Chronologisch gereihte Lawinenlageberichte vergangener Jahrzehnte<br />

(herausgesucht und dankenswerter Weise zur Verfügung gestellt von DI Patrick Nairz, LWD Tirol,)<br />

Erster Lawinenlagebericht des Amtes der Tiroler Landesregierung aus dem Jahr 1960<br />

Alexander Holaus Seite 121


Lawinenexperten vor Ort<br />

Anhang<br />

Zus<strong>am</strong>menfassung des LLB vom 5.März 1971 für Österreich<br />

Alexander Holaus Seite 122


Lawinenexperten vor Ort<br />

Anhang<br />

Tiroler Lawinenlagebericht vom 5. März 1971<br />

Alexander Holaus Seite 123


Lawinenexperten vor Ort<br />

Anhang<br />

LLB aus Vorarlberg, Kärnten und Salzburg vom 5. März 1971<br />

Alexander Holaus Seite 124


Lawinenexperten vor Ort<br />

Anhang<br />

Tiroler Lawinenlagebericht vom 9. Januar 1981<br />

Alexander Holaus Seite 125


Lawinenexperten vor Ort<br />

Anhang<br />

Detaillierter Lagebericht für Kühtai – Praxmar vom 9. Januar 1981<br />

Alexander Holaus Seite 126


Lawinenexperten vor Ort<br />

Anhang<br />

Zus<strong>am</strong>menfassung des LLB vom 9. Januar 1981 für Österreich<br />

Alexander Holaus Seite 127


Lawinenexperten vor Ort<br />

Anhang<br />

LLB aus Vorarlberg, Kärnten und Salzburg vom 9. Januar 1981<br />

Alexander Holaus Seite 128


Lawinenexperten vor Ort<br />

Anhang<br />

Amt der Tiroler Landesregierung<br />

Lawinenwarndienst<br />

Lagebericht<br />

vom Sonntag, den 22. Dezember 1991<br />

Allgemeines:<br />

Die äußerst kritische Lawinensituation hält auch heute in ganz Nordtirol und <strong>am</strong> Osttiroler<br />

Tauernk<strong>am</strong>m an. In den vergangenen 24 Stunden sind erneut 30 bis 50cm Schnee gefallen.<br />

Es sind weitere, teils ergiebige Niederschläge zu erwarten, wobei die Schneefallgrenze bis<br />

2000m ansteigt. Auf den Bergen wehen stürmische Winde aus Nordwest.<br />

Verkehrswege:<br />

In allen nicht entladenen Lawinenstrichen muß aufgrund der außergewöhnilichen Schnee-<br />

verhältnisse mit Lawinen gerechnet werden, wobei diese bis in Tallagen reichen können..<br />

Auf Exponierten Verkehrsverbindungen muß mit einer allgemein großen Lawinengefahr<br />

gerechnet werden.<br />

Tourenbereich:<br />

Wir raten derzeit dringend vor Skitouren und Fahrten abseits gesicherter Pisten ab. Nur im<br />

südlichen Osttirol sind Skitouren bei Beachtung einer örtlich mäßigen Schneebrett- gefahr<br />

möglich.<br />

Die aktuellen Wetterdaten:<br />

Wind:<br />

Zugspitze 7.00 Uhr: N 41 km/h Böen 122 km/h<br />

Patscherkofel 7.00 Uhr: NNW 41 km/h Böen 82 km/h<br />

Wendelstein 7.00 Uhr: NW 78 km/h Böen -- km/h<br />

Sonnblick 7.00 Uhr: N 22 km/h Böen 137 km/h<br />

Villacher Alm 7.00 Uhr: SW 20 km/h Böen -- km/h<br />

Temperatur in 2000m ansteigend auf 0 Grad, in 3000m ansteigend auf -4Grad.<br />

Neuschnee:<br />

Arlberg, Außerfern: 10 bis 20 cm Nördl.Ötzt.+Stub.A.: 25-48 cm<br />

Nordalpen: 50 cm Südl.Ötzt.+Stub.A.: bis 38 cm<br />

Kitzbühel: 30 cm Zillertal: bis 48 cm<br />

Silvretta: 55 cm Osttirol Tauern: 23-38 cm<br />

Osttirol Dolomiten: 25 cm<br />

Den nächsten Lagebericht hören Sie im Telefontonband ab Montag, ca. 8 Uhr.<br />

Mag. Raimund MAYR<br />

Alexander Holaus Seite 129


Lawinenexperten vor Ort<br />

Anhang<br />

Tiroler Lawinenlagebericht vom 21. Dezember 1999<br />

Alexander Holaus Seite 130


Lawinenexperten vor Ort<br />

Anhang<br />

Tiroler Lawinenlagebericht vom 18. Januar 2001<br />

Alexander Holaus Seite 131


Lawinenexperten vor Ort<br />

Anhang<br />

Aktueller Lagebericht aus dem Jahre 2006<br />

Alexander Holaus Seite 132


Lawinenexperten vor Ort<br />

Anhang<br />

Schadlawine 1954: Essbaum-Hof (F<strong>am</strong>ilie Mühlegger, Oberau)<br />

Aufzeichungen aus dem Jahr 1983 von OR Bergthaler (WLV Tirol, GBL Wörgl)<br />

Fotos: Hans Mühlegger, Oberau<br />

Alexander Holaus Seite 133


Lawinenexperten vor Ort<br />

Anhang<br />

Berichte von Hans und Frieda Mühlegger, Essbaum-Oberau 1983:<br />

Quelle: WLV Tirol, GBL Wörgl<br />

Alexander Holaus Seite 134


Lawinenexperten vor Ort<br />

Anhang<br />

Bericht von Johann Seisl, Bembergbauer inOberau 1983:<br />

Quelle: WLV Tirol, GBL Wörgl<br />

Alexander Holaus Seite 135


Lawinenexperten vor Ort<br />

Anhang<br />

Fotos: Berghofer, WLV 1983<br />

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Lawinenexperten vor Ort<br />

Anhang<br />

Fotos: Berghofer, WLV 1983<br />

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Lawinenexperten vor Ort<br />

Anhang<br />

Originalkopie des Erhebungsblattes von OR Berghofer, WLV, 1983<br />

zur Errechnung des GZP (gelbe/rote Zone):<br />

Quelle: WLV Tirol, GBL Wörgl<br />

Alexander Holaus Seite 138


Lawinenexperten vor Ort<br />

Anhang<br />

Schneedatenblatt des Hydrografischen Dienstes, Land Tirol, OL Berghofer, WLV, 1983<br />

Alexander Holaus Seite 139


Lawinenexperten vor Ort<br />

Anhang<br />

Quelle: WLV Tirol, GBL Wörgl<br />

Alexander Holaus Seite 140


Lawinenexperten vor Ort<br />

Anhang<br />

Quelle: WLV Tirol, GBL Wörgl<br />

Alexander Holaus Seite 141


Lawinenexperten vor Ort<br />

Anhang<br />

Quelle: WLV Tirol, GBL Wörgl<br />

Alexander Holaus Seite 142


Lawinenexperten vor Ort<br />

Anhang<br />

Quelle: WLV Tirol, GBL Wörgl<br />

Alexander Holaus Seite 143


Lawinenexperten vor Ort<br />

Anhang<br />

Quelle: WLV Tirol, GBL Wörgl<br />

Alexander Holaus Seite 144


Lawinenexperten vor Ort<br />

Anhang<br />

Quelle: WLV Tirol, GBL Wörgl<br />

Von OL Berghofer wurden zwei weitere Schadenslawinen des Jahres 1954 in derselben<br />

präzisen Art aufgenommen:<br />

• Berschwendlawine (Oberau-Sonnberg)<br />

Sonnhoflawine (Oberau)<br />

Alexander Holaus Seite 145


Lawinenexperten vor Ort<br />

Anhang<br />

Im Archiven der Wildbach- und Lawinenverbauung GBL Wörgl (östliches Unterinntal)<br />

und des Polizeipostens Oberau konnte diese Aufstellung von<br />

Schadenslawinen in der Wildschönau gefunden werden:<br />

Aufstellung der nachfolgend beschriebenen Lawinenereignisse.<br />

(Die laufenden Nummern entsprechen den St<strong>am</strong>mblättern des d<strong>am</strong>aligen<br />

Gendarmeriepostens Oberau.)<br />

Alexander Holaus Seite 146


Lawinenexperten vor Ort<br />

Anhang<br />

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Lawinenexperten vor Ort<br />

Anhang<br />

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Lawinenexperten vor Ort<br />

Anhang<br />

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Lawinenexperten vor Ort<br />

Anhang<br />

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Lawinenexperten vor Ort<br />

Anhang<br />

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Lawinenexperten vor Ort<br />

Anhang<br />

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Lawinenexperten vor Ort<br />

Anhang<br />

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Lawinenexperten vor Ort<br />

Anhang<br />

Alexander Holaus Seite 154


Lawinenexperten vor Ort<br />

Anhang<br />

Alexander Holaus Seite 155


Lawinenexperten vor Ort<br />

Anhang<br />

Alexander Holaus Seite 156


Lawinenexperten vor Ort<br />

Anhang<br />

Alexander Holaus Seite 157


Lawinenexperten vor Ort<br />

Anhang<br />

Alexander Holaus Seite 158


Lawinenexperten vor Ort<br />

Anhang<br />

Lawinenkataster der hinteren Wildschönau (1965)<br />

(eine Rarität aus dem Archiv der WLV Tiol, GBL Wörgl)<br />

Alexander Holaus Seite 159


Lawinenexperten vor Ort<br />

Anhang<br />

Alexander Holaus Seite 160

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