SPIEL AUF DEM SEE und Winddruck, Anforderungen an Materialien und die Tragfähigkeit des Untergrunds. Dazu das Wasser, dessen Pegel über das Jahr hinweg um mehrere Meter schwankt, manchmal binnen Wochen. Neben den physikalischen Gesetzen gelten in Bregenz spezielle Theatergesetze, etwa für die Arbeit mit Licht. Abgesehen von der Musik gibt es nichts, was direkter auf Emotionen wirkt und Atmosphäre kreiert als Bühnenlicht – Fachleute sprechen von »Lichtstimmungen« –, doch im Freien wird Licht nur sichtbar, wo es auf Oberflächen trifft. Dann allerdings modelliert es die Bühnenskulpturen, lässt Partien erscheinen und verschwinden – ein Zaubermittel der Imagination. Der Theaterraum selbst kann nicht beleuchtet werden, besser gesagt: Er ist es schon. Denn die Leuchten am Himmel, die Gott am vierten Schöpfungstage schuf, spielen natürlich mit: Sonnenuntergang, Dämmerung, Sternenhimmel sind starke Stimmungen, wenn auch wetterbedingt nicht so zuverlässig wie das Lichtund Multimedia-Team. Das taucht die Bühnenbilder in unterschiedliche Farben, bedient gewaltige Scheinwerfer und Projektoren, Pyrotechniker zünden dazu spektakuläre Feuerwerke, und Regisseure wie Bühnenbildner greifen gern in die üppig gefüllte Trickkiste der Theaterillusion (die heute oft auch mithilfe komplexer 3D-Animationen entsteht). Um auf der Seebühne eine Geschichte zu erzählen, »braucht es die leuchtende Farbe, den dicken Pinsel«, weiß Philipp Stölzl, der kinoerfahrene Regisseur und Bühnenbildner, der in diesem Jahr Rigoletto auf der Seebühne in Szene setzt. Interessanterweise schweigt die Genesis über den Ursprung der Musik, die Erschaffung der Töne, die für die Opernbühne essenziell und im Freien besonders anspruchsvoll, ja heikel hervorzubringen sind. Denn der Zusammenklang ist das Fundament der Musik, doch Klang verbreitet sich physikalisch anders als Licht, kann abgelenkt, zur Unzeit reflektiert, vom Wind verblasen werden. Seit es die Bregenzer Festspiele gibt, wird an der Tonübertragung gefeilt: an der Koordination von Chor, Orchester und Dirigent, die ja im Festspielhaus musizieren, mit den Solisten auf der Bühne ebenso wie an der Wiedergabe. Das preisgekrönte Soundsystem BOA (Bregenz Open Acoustics) arbeitet mit rund 800 Lautsprechern, die, teilweise im Bühnenbild verbaut, eine akustische Raumsimulation erzeugen: einen »Klangdom« mit dem Ergebnis, dass die Festspielbesucher von der ersten bis zur 44., letzten Sitzreihe in die Musik eintauchen, statt über Akustik nachzudenken. Ob unser Universum nun göttliche Schöpfung ist oder das Produkt eines Demiurgen, eines Handwerkers – darüber waren verschiedene Religionen im Lauf der Menschheitsgeschichte uneinig. Die Bregenzer Kunstwelten verdanken ihre Existenz zweifellos dem Miteinander vieler männlicher und weiblicher Beteiligter – Schöpfern wie Regisseuren und Bühnenbildnern, Mitdenkenden in Intendanz und Technischer Leitung sowie einer Vielzahl von Technikern und Handwerkern: Technische Zeichner, Statiker, Ziviltechniker, Schlosser, Stahlbauer, Steuerungstechniker, Schlosser, Tischler, Geotechniker, Bühnentechniker, Maschinenbauer, Ton- und Lichttechniker, Industrietaucher – jeder auf seinem Gebiet ein Künstler. Mitarbeiter von Spezialfirmen verstärken die eigene Mannschaft; es gibt unter den Industrietauchern Zimmermeister, Schlosser, Mechaniker, die ihren Berufen unter Wasser nachgehen. Bühnenmeister bedienen den Kran zur Montage von Bühnenteilen aus der Luft und den festspieleigenen mobilen Schwimmkran. »Wenn du schaust, was in Bregenz schon alles gemacht worden ist, fragst du dich: Wie fällt dir da noch was Neues ein?«, erzählt Philipp Stölzl. »Wir haben beschlossen, etwas zu entwickeln, was nicht statisch ist, ein bewegliches Ding, das viele Herausforderungen mit sich bringt.« Mittlerweile ist das bewegliche Ding – der Harlekin oder Clown – in Teilen gefertigt, zusammengebaut, kaschiert, bemalt und gelangte, in Bauteile zerlegt, per Kieskahn über den See zur Tribüne. Dort werden dann Kopf und Hände miteinander verbunden ... In der Bibel sah Gott schon recht schnell, dass es gut war; sonst dauert es länger, meinte Bühnenbildner Johan Engels (Die Zauberflöte, 2013|14): »Man kann planen, wie man will, auf dem Computer zeichnen oder Modelle bauen – ob es wirklich funktioniert, spürt man nur, wenn man wirklich in dem Raum steht, auf dem Wasser ... « 6
GENESIS AUF DER SEEBÜHNE Noch haben die Bregenzer Schöpfer ihr Werk nicht vollendet. Am 17. Juli wird Rigoletto im neuen Bühnenbild Premiere feiern. 7