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Zwischen den Bergen im engen Tal des Adige den weiten Horizont bewahren:<br />
Marchese Carlo Guerrieri Gonzaga genießt die Lebendigkeit seines Reblandes<br />
wie die intime Stille im Innenhof seiner Tenuta <strong>San</strong> <strong>Leonardo</strong>.<br />
Er müsste das alles nicht tun, der Marchese<br />
Carlo Guerrieri Gonzaga, Herr der Tenuta <strong>San</strong><br />
<strong>Leonardo</strong>, eines Weinguts von, sagen wir es sofort,<br />
Weltrang; in Norditalien, genauer, in der Provinz Trient,<br />
haarscharf an der Grenze zur Region Venetien im Süden<br />
gelegen. Zum Beispiel, um fünf Uhr in der Frühe aufstehen.<br />
Gewiss, der Jahrgang 1938 schläft nicht mehr so<br />
gut; aber es drängt den Markgrafen einfach hinaus, nachzusehen,<br />
was auf seinem Besitz in der Nacht geschehen,<br />
was nun am Tag zu tun ist. Oder, am Vormittag gegen neun<br />
Uhr, den Rasen mähen, als Padrone, vor der vor nehmen<br />
Landvilla – sicher, nicht mehr nach Altväterweise mit<br />
der Sense; die gebe es in einem eigenen Museum hier zu<br />
sehen, in einer »Raccolta«, wie er sagt und herzeigt, einer<br />
Sammlung alter Gerätschaften des Agrarischen in einem<br />
ehemaligen Speicher. Auch das müsste nicht sein. Genau<br />
so wenig wie der große Schmuck- und Nutz garten mit<br />
herrlichen bunten Blumen und frischen Kräutern, mit<br />
Salaten und diversen Gemüsen, weil es doch eigentlich<br />
um die effiziente Produktion eines Topweins geht, wo<br />
alles Überflüssige nur stören könnte.<br />
sich. Die Tenuta umfasst dreihundert Hektar, von denen dreißig<br />
für den Wein anbau genutzt werden. Genug Platz also für Hirsche,<br />
Rehe, Gemsen und anderes Waldgetier, das freilich von den Reben<br />
ferngehalten wird.<br />
Macht der Marchese seinen Roten etwa nur nebenbei? Da<br />
lächelt Luigino Tinelli, Direttore der Tenuta und die rechte<br />
Hand des Marchese seit Jahrzehnten, Chef von (nur) zwanzig<br />
Angestell ten – und unentbehrlich vor allem dann, wenn der<br />
Nobile in Rom im Familien-Palazzo Taverna, nahe der Engelsburg,<br />
residiert. Er lächelt so freundlich, wie er schon als Junge (auf<br />
einem Foto in dem kleinen Museum) Ende der sechziger Jahre<br />
in mitten der Arbeiter auf dem Gehöft geschaut hat. Er ist also<br />
schon immer bei der harten Arbeit auf der Tenuta dabei gewesen.<br />
Er blickt zurückhaltend, mit den verschmitzten Augen des<br />
Trien tiner Tirolers, des Mannes aus den Bergen, des in ganz Italien<br />
gerühmten »Montanaro«, der weiß, dass nur mit zähem, beständigem<br />
Fleiß Erfolg zu erringen ist.<br />
In diese Bergwelt kamen die Guerrieri Gonzaga von Süden her.<br />
Durch Heirat – einem übrigens sehr probaten Mittel der Besitz-<br />
Verschiebung und -Gewinnung. Drei Guerrieri, ursprünglich<br />
aus den mittelitalienischen Marken, dem Grenzland des Römischen<br />
Reiches Deutscher Nation, hatten den Gonzaga aus Mantua<br />
Anfang des 16. Jahrhunderts gute Dienste geleistet und durften<br />
deshalb ihrem kriegerischen Namen den der Gonzaga und den<br />
Adels titel eines Marchese hinzufügen. Fast vier Jahr hunderte später,<br />
1894, ehelichte Carlos Groß vater Tullo die Marchesa Gemma<br />
de Gresti, zu deren Mitgift aus dem Adelsbesitz seit fast zwei<br />
Jahrhunderten die Trientiner Tenuta gehörte. Freilich nur mit<br />
mäßigem Wein; immerhin werden Riesling und Ruländer in der<br />
Chronik erwähnt.<br />
Man darf diese Familiengeschichte nicht zu verklärt sehen.<br />
Denn politisch war es im Königreich Italien Ende des 19. Jahrhunderts<br />
mit dem Besitz im Norden, direkt an der Grenze, doch<br />
innerhalb des Habsburger Imperiums, ziemlich delikat. Ganz in<br />
der Nähe hatte schon Goethe bei seiner Italienischen Reise ein<br />
Jahrhundert zuvor (1786) in Malcesine am nahen Garda see die<br />
Feindseligkeit zwischen dem österreichischen Welschtirol und<br />
der italienischen Republik Venedig erfahren und war als Spion<br />
verdächtigt worden. Italien hatte zwar 1882 – wegen seiner gegen<br />
Frankreich gerichteten Kolonial politik in Afrika – einen Dreibund<br />
mit Österreich- Ungarn und dem Deutschen Reich geschlossen,<br />
fand dann jedoch immer mehr Gefallen an der Irredenta-Politik,<br />
der »Erlösung« von Fremdherrschaft jener Gebiete im Norden der<br />
Apennin-Halbinsel mit Italienern, eben auch des Trentino. So verlief,<br />
weil Italien 1915 gegen Wien (und Berlin) in den Ersten Weltkrieg<br />
eingetreten war, genau hier eine ziemlich blutige Grenze zwischen<br />
dem kaiser lichen Österreich-Ungarn und dem königlichen<br />
Italien, mit italienischen Soldaten auf beiden Seiten.<br />
Damit ergab sich in Borghetto eine paradoxe Situation: Großvater<br />
Tullo hatte noch als Arzt in der Königlichen Marine Italiens<br />
gedient, war jedoch schon in jungen Jahren gestorben; Groß mutter<br />
Gemma kümmerte sich im Krieg verdienstvoll um jene lokalen<br />
italienischen »Untertanen«, die in österreichischer Uniform im<br />
fernen Russland gefangen genommen worden waren. Für Vater<br />
Anselmo, Freiwilliger unter italienischer Fahne, stellte sich die<br />
Aufgabe, die Tenuta <strong>San</strong> <strong>Leonardo</strong> nach 1918 zu »erlösen«; doppelt,<br />
politisch und wirtschaftlich. Zuviel Geschichte? Aber als italienischer<br />
Weinpatriot finde ich, dass der zeitliche Vorsprung der<br />
großen französischen Rotweine mit ihren, pardon, etwas hochstaplerischen<br />
Chateaus und berühmten Lagen durch die reichere<br />
Aber da sind wir mit der Tür wohl zu schnell in die Tenuta<br />
ge fallen, in das aufgeräumte Gehöft, den eng bestellten<br />
Garten, die umliegenden Weinfelder, Wiesen und Wälder – und<br />
immer über uns die Berge! –, haben uns sogleich der bewährten<br />
Höflichkeit, dem Charme, dem selbstbewussten Stolz des Hausherrn<br />
ausgesetzt: Ein eleganter Nobile von gut bestandenen einundachtzig<br />
Jahren, mit gewinnendem Lächeln und freundlichen<br />
Augen. Gemach, gemach! Den Steckbrief seines Rotweins, des<br />
»<strong>San</strong> <strong>Leonardo</strong>«, die wohl klingenden Lobpreisungen kannten<br />
wir: Einer der besten Rossi Italiens, ja der Welt, der den (beabsichtigten)<br />
Vergleich mit den großen Bordeaux-Weinen aus halten<br />
könne, doch, was den Preis angehe »eher ein Schnäppchen« sei,<br />
wie im Internet ver breitet wird, kurz, »ein wirklich gewaltiges<br />
Spitzengewächs«.<br />
Umso kritischer waren wir vor dem Ortstermin und gern<br />
bereit, Makeln in diesen Hymnen nachzuspüren. Zudem irritierte<br />
uns die geographische Lage des Weinguts: im Tal der Etsch an der<br />
Brenner- Magistrale auf ungefähr einhundert fünfzig Metern Höhe,<br />
in der Vallagarina, dem Teil des Adige-Tals zwischen Trient und<br />
der Grenze zur Provinz Verona bei Borghetto, nahe der Städtchen<br />
Rovereto, Ala und Avio. Das bedeutet, dass die Staatsstraße<br />
zwischen Trient und Verona unmittelbar am Gehöft vorbeiführt.<br />
Weiter drängen sich in dem etwa vier Kilometer breiten Talgrund<br />
die breite Etsch und die Gleise der Brenner-Eisenbahnlinie, die<br />
klotzige Autobahn A22 sowie Provinz straßen; darüber steil aufragend<br />
im Osten die Monti Lessini der Alpen und im Westen das<br />
Monte-Baldo-Massiv mit dem Monte Maggiore. Ziemlich eng also.<br />
Doch im Innern der Tenuta sieht und hört man von all dem wenig.<br />
»Ein einzigartiges Mikroklima«, fasst Marchese Carlo das für<br />
ihn Entscheidende dieser Geographie zusammen. Tal, Fluss, gute<br />
Böden, schützende Berge, die mittlere Höhenlage am Ausgang<br />
(oder Beginn) der Alpen, den damit verbundenen Temperaturwechsel<br />
zwischen Tag und Nacht, die Unterschiede der Jahreszeiten;<br />
alles passt offenbar. Zum Beweis dieses besonderen Habitats<br />
fährt er mit uns los, in einem kleinen Renault Kangoo, hinein in<br />
seine Ländereien, auf und ab, an Wiesen vorbei, durch Mischwald<br />
hindurch, an Kastanien vorüber – »leider etwas krank« –, notiert,<br />
was an diesem Weg ausgebessert werden müsste – »ein mächtiges<br />
Gewitter vor ein paar Tagen, mit viel Regen, zum Glück ohne<br />
Hagel« –, prüft den Wasserstand der Tränke für das Wild, mustert<br />
die Bienenstöcke – »ja, ja, auch Honig« – und freut sich, dass<br />
am Ende der Rebenreihen noch Rosen stöcke blühen. Alles weitet<br />
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F I N E 3 / 2012 F I N E T r e n t i n o