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EGTA-Journal 04-2019

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Carlo Domeniconi<br />

aus Koyunbaba machen, was sie wollen.<br />

Ursprünglich war ich der Meinung,<br />

dass es ganz besonders bei Koyunbaba<br />

keinen Sinn hat, dieses Stück zu veröffentlichen,<br />

denn dieses Stück hatte ich<br />

nur für mich geschrieben. Überhaupt<br />

hat die Notation in unserer Musik ihren<br />

absoluten Stellenwert verloren, da<br />

eine Partitur, die aus Noten, Rhythmus<br />

und Dynamik besteht – Koyunbaba hat<br />

noch nicht einmal das – niemals den Inhalt<br />

der Musik preisgibt.<br />

Ich habe das Stück erlebt und ich glaubte,<br />

es würde nie, niemals jemanden interessieren.<br />

Bis zu dem Tage, an dem ich es<br />

David Russell in meiner Wohnung vorspielte.<br />

Er war der erste begeisterte Anhänger<br />

dieses Stückes und seine Interpretation<br />

war durch unserer Begegnung<br />

gefärbt.<br />

Die späteren Interpreten waren ohne<br />

diese Erfahrung und hatten nur eine<br />

Notenausgabe.<br />

Aber, was soll aus einer so<br />

schlechten Ausgabe, wie<br />

sie ist und wo nichts<br />

drinsteht, erwachsen?<br />

Die Leute<br />

können mit<br />

so einem<br />

Stück<br />

nichts anfangen. Kennst Du das Spiel<br />

Stille Post? Am Schluss kommt irgendwas<br />

raus. So kommt es mir manchmal vor.<br />

Eine bessere, musikalischere Partitur von<br />

Koyunbaba habe ich bereits geschrieben,<br />

doch die Gesetze erlauben mir<br />

nicht, sie in Umlauf zu setzen, weil das<br />

Stück bereits verlegt ist.<br />

Koyunbaba ist eines der meist gespielten<br />

Stücke für Gitarre überhaupt<br />

und ich glaube, dass gerade<br />

der Punkt, dass es nur von dir für dich<br />

geschrieben wurde auch seine Qualität<br />

oder Authentizität ausmachen könnte,<br />

die die Menschen spüren, was aber<br />

nicht unbedingt funktioniert außerhalb<br />

deines Kosmos’.<br />

Mittlerweile sehe ich, dass dieses Stück<br />

nicht totzukriegen ist. Der eine spielt es<br />

so, der andere spielt es so, manchmal<br />

wissen sie nicht, wieviel sie voneinander<br />

klauen. Da spielt z. B. John Williams den<br />

Schluss auf eine bestimmte Art und garantiert<br />

werden mindestens 20 Leute ihn<br />

nachahmen. Dass ich das Stück anders<br />

spiele und das nicht so mache, interessiert<br />

niemanden, weil John Williams natürlich<br />

John Williams ist.<br />

Aber ich sehe, dass sich in den Menschen<br />

immer mehr irgendeine Vision<br />

von diesem Stück formt und langsam<br />

kann ich, denke ich, damit leben.<br />

Verstehe.<br />

Ich meine, es ist nicht so, dass die<br />

Leute nur Dummheiten in m e i n<br />

e n Stücken machen, sondern es ist eine<br />

allgemein verbreitete schlechte Angewohnheiten,<br />

wie bereits besprochen.<br />

Nicht nur in deinen Stücken,<br />

sondern überhaupt?<br />

Ja, nicht nur in meinen Stücken.<br />

Deswegen nehme ich das nicht so<br />

persönlich.<br />

Du sagtest, dass ein Interpret,<br />

wenn er deine Personalsprache<br />

kennt, sich dem Stück so<br />

nähern kann, wie du es dir vorstellst.<br />

Aber das ist die Frage, weil jeder Mensch,<br />

der sich dem Stück nähert, ja immer ein<br />

anderer ist. Ich glaube, dass auch du jemand<br />

bist, der sagen würde, wenn du auf<br />

einen guten Interpreten triffst: „Der hat<br />

einen Zugang gefunden, den ich so noch<br />

gar nicht gesehen habe, den ich aber auch<br />

interessant und gültig finde.“ Ich glaube,<br />

das Ideal, das du hast und das Ideal, das<br />

sich der Interpret bildet, können durchaus<br />

verschieden sein. Ist es denn so, dass<br />

du denkst, wenn du komponierst und<br />

der Interpret das für dich „richtig“ liest,<br />

es „richtig“ 1 zu 1 übersetzt, man sich<br />

einem höheren, quasi metaphysischen<br />

Bereich des Musikalischen nähert? Der<br />

zu erreichen ist, wenn man eine gewisse<br />

Form der Erkenntnis erreicht hat, eine<br />

höhere musikalische Stufe?<br />

Es ist ein bisschen hoch ausgedrückt,<br />

aber es eine Interpretation kann sich tatsächlich<br />

niemals wiederholen.<br />

Ja, genau!<br />

Kennst du das Prinzip einer Reuse?<br />

Eine Reuse zum Fischfang ist<br />

ein Trichter, der sich verjüngt. Der Fisch<br />

schwimmt rein und sucht im Raum, wie<br />

er wieder rauskommt. Er kommt nicht<br />

auf die Idee, dass die Öffnung in der Mitte<br />

ist. In seiner Aufregung schwimmt er<br />

durch einen weiteren Trichter, und wenn<br />

er dann drei passiert hat, ist er in anderen<br />

Räumen, aus denen er nicht mehr<br />

42 <strong>EGTA</strong>-<strong>Journal</strong>

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