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Glaube und Zweifel - SIFAT Heft 1/2019 - Leseprobe

Thema: Glaube und Zweifel - Der Zweifel kam mit den Menschen auf die Erde. Sie konnten sich mit blindem Glauben nicht abfinden, wurden mit der Vertreibung aus dem Paradies bestraft, damit kam die Geschichte der Menschheit in Gang. Zweifel war immer wieder der Motor, einengende Vorstellungen zu überwinden und neue Entwicklungen einzuleiten. Nicht nur Giordano Bruno bezahlte dafür mit dem Verlust des Lebens. In allen Hochreligionen und auch dem Buddhismus kam es im Namen Gottes zu Intoleranz, Missbrauch und Vernichtung von ihnen anvertrauten Menschen oder Andersgläubigen. Aus gutem Grund nehmen Menschen religiöse Vorstellungen nicht mehr ernst und wenden sich von ihnen ab. Zweifel ist Bestandteil wohl jeder individuellen spirituellen Entwicklung. In allen Religionen gibt es Menschen, die sich diesem gestellt, ihn veröffentlicht und nicht geleugnet haben und auch ihren Weg zu ihrem tieferen Glauben zurückgefundenen haben.

Thema: Glaube und Zweifel -
Der Zweifel kam mit den Menschen auf die Erde. Sie konnten sich mit blindem Glauben nicht abfinden, wurden mit der Vertreibung aus dem Paradies bestraft, damit kam die Geschichte der Menschheit in Gang. Zweifel war immer wieder der Motor, einengende Vorstellungen zu überwinden und neue Entwicklungen einzuleiten. Nicht nur Giordano Bruno bezahlte dafür mit dem Verlust des Lebens. In allen Hochreligionen und auch dem Buddhismus kam es im Namen Gottes zu Intoleranz, Missbrauch und Vernichtung von ihnen anvertrauten Menschen oder Andersgläubigen. Aus gutem Grund nehmen Menschen religiöse Vorstellungen nicht mehr ernst und wenden sich von ihnen ab. Zweifel ist Bestandteil wohl jeder individuellen spirituellen Entwicklung. In allen Religionen gibt es Menschen, die sich diesem gestellt, ihn veröffentlicht und nicht geleugnet haben und auch ihren Weg zu ihrem tieferen Glauben zurückgefundenen haben.

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Pema Chödrön: Wenn alles über uns zusammenbricht <strong>SIFAT</strong> 1 / <strong>2019</strong><br />

Pema Chödrön<br />

Wenn alles über uns zusammenbricht<br />

Wenn alles über uns zusammenbricht <strong>und</strong> wir am Abgr<strong>und</strong> stehen, dann<br />

ist es der Prüfstein für jeden von uns, auf dieser Kippe stehen zu bleiben<br />

<strong>und</strong> nichts zu verfestigen. Der spirituelle Weg führt nicht in den Himmel. Es<br />

geht nicht darum, an einen Ort zu kommen, an dem endlich alles vollkommen<br />

ist. Tatsächlich ist es genau dieses Denken, das uns im Elend gefangen hält. Der<br />

<strong>Glaube</strong>, dass sich dauerhafter Genuss finden ließe <strong>und</strong> dass Schmerz vermeidbar<br />

wäre, wird im Buddhismus Samsara genannt, ein endloser Teufelskreis, der uns<br />

großes Leiden beschert. Die erste Edle Wahrheit des Buddha besagt, dass Leiden<br />

für uns Menschen so lange unvermeidlich ist, wie wir glauben, die Dinge<br />

seien dauerhaft, sie würden sich nicht auflösen <strong>und</strong> wir könnten uns in unserem<br />

Hunger nach Sicherheit auf sie verlassen. Von diesem Standpunkt aus gibt es<br />

nur eine einzige Möglichkeit für uns zu erkennen, was tatsächlich los ist: wenn<br />

uns der Teppich unter den Füßen weggezogen wird <strong>und</strong> wir keinen Haltegriff<br />

finden. Diese Situationen können wir entweder nutzen, um wach zu werden<br />

oder um uns einzuschläfern. Genau in diesen Augenblicken der Bodenlosigkeit<br />

findet sich der Same der Fürsorge für diejenigen, die unsere Fürsorge brauchen<br />

<strong>und</strong> der Same der Entdeckung unserer Vollkommenheit.<br />

Das Leben ist ein guter Lehrer <strong>und</strong> ein guter Fre<strong>und</strong>. Wenn wir nur realisieren<br />

würden, dass die Dinge sich in einem ständigen Übergang befinden.<br />

Nichts ergibt sich <strong>und</strong> bleibt so, wie wir es gern hätten. Der Zwischenzustand<br />

ist eine ideale Situation, eine Situation, in der wir nicht feststecken <strong>und</strong> die es<br />

uns erlaubt, unser Herz <strong>und</strong> unseren Geist grenzenlos zu öffnen. Die Ungewissheit<br />

ist ein sehr zarter, gewaltfreier <strong>und</strong> offener Zustand.<br />

In diesem wackeligen Zwischenzustand zu bleiben – mit einem gebrochenen<br />

Herzen zu leben, mit Schmetterlingen im Bauch, mit dem Gefühl von<br />

Hoffnungslosigkeit oder dem Wunsch nach Revanche – ist der Pfad wahren<br />

Erwachens. Bei der Unsicherheit zu bleiben, den Bogen rauszukriegen, wie man<br />

sich inmitten des Chaos entspannt, zu lernen, nicht in Panik zu verfallen –<br />

das macht den spirituellen Pfad aus. Zu lernen, uns selbst zu erwischen, uns<br />

zärtlich <strong>und</strong> mitfühlend selbst zu erwischen, das ist der Pfad des spirituellen<br />

Kriegers. Wir erwischen uns millionenfach dabei, dass wir uns wieder einmal<br />

in Bedauern, Bitterkeit, selbstgerechter Entrüstung verhärten – ob wir wollen<br />

oder nicht. Wir fieren immer wieder fest, selbst in Gefühlen der Erleichterung<br />

oder Inspiration.<br />

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