STARKS!STROM Nr8 Web-versuch-2
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Strom-aufwärts/abwärts<br />
40<br />
LORDS OF CHAOS<br />
der Film:<br />
Ja oder nein und warum?<br />
Im letzten Heft stellten wir hier<br />
GRETA VAN FLEET zur Diskussion –<br />
und viele Leser folgten.<br />
Nun werfen wir Jonas Åkerlunds<br />
Leinwand-Adaption der Geschichte<br />
um Mayhem und Co.<br />
in den Meinungs-Strom:<br />
Gelangweilte und wütende Mittelklasse-Kids<br />
verlieren die Kontrolle<br />
und erschaffen einen Mythos. Ende.<br />
Åkerlunds Version der Geschichte<br />
um die norwegische Frühneunziger-Bluatwiesn<br />
entmystifiziert<br />
die Black Metal Folklore, legt den<br />
Kern der Geschehnisse offen und<br />
entlarvt die tragischen Hauptfiguren als Versager,<br />
Verlierer, Kirchenbeschmierer (c: Analigor).<br />
Dabei gerät die Musik zwangsläufig in den Hintergrund,<br />
dient aber immer der Story als Mittel zum<br />
Zweck. Die Bilder sind schonungslos, zeichnen jedoch<br />
ein stimmiges Bild der damaligen Zeit. Klar, Varg-<br />
Fanboys werden mit der Gesamtdarstellung keine<br />
Freude haben und die TRVE-Fraktion wird dem Film<br />
maximal in schwarz/weiß als fünfte VHS-Kopie eine<br />
Chance geben.<br />
Das ändert aber nichts daran, dass „Lords of Chaos“<br />
eine ordentliche (subjektive!) Dokumentation<br />
einer äußerst intensiven Phase eines extremen<br />
Musikgenres ist. Hoffentlich kommt jetzt nur keiner<br />
auf die Idee und verfilmt den Werdegang von<br />
z.B. Mötley Crüe…<br />
Manuel Dauböck, Stark!Strom<br />
© Privat<br />
Mir hat „Lords Of Chaos“ sehr gut gefallen,<br />
bis auf wenige Ausnahmen<br />
fand ich alles sehr passend, stimmig<br />
und akribisch recherchiert.<br />
Ich hatte nicht das Gefühl, dass der<br />
Film großartig <strong>versuch</strong>t, Stellung zu<br />
beziehen, sondern eher die Fakten<br />
abspult und dabei einigermaßen<br />
objektiv bleibt. Die Gewalttaten verfehlten ihre<br />
Wirkung auf Grund der drastischen Darstellung<br />
auch nicht, bei mir hat der Film einige Male ein<br />
ziemlich beklemmendes Gefühl ausgelöst.<br />
Dead Richy Gein,<br />
Bloodsucking Zombies From Outer Space<br />
© Pascal Riesinger<br />
Die Geschichte von Mayhem und<br />
den Ursprüngen des True Norwegian<br />
Black Metal ist eine mit vielen<br />
Wahrheiten. Eine davon hat Jonas<br />
Åkerlund nun (zum Missfallen von<br />
Varg Vikernes) verfilmt.<br />
Schonungslos und explizit gibt<br />
er uns einen Blick darauf, wie es<br />
gewesen sein könnte: „Based on truth, lies and what<br />
really happened“.<br />
Die Charaktere, über die man schon so viel gelesen<br />
und gehört hat, werden zu Menschen. Die Geschichte<br />
wird nicht schwarz-weiß dargestellt, sondern es gibt<br />
viele Graustufen. Die charakterliche Veränderung<br />
über die Jahre hinweg, das Erwachsenwerden der<br />
Kinder, die in einer Band namens Mayhem spielen,<br />
Kristian Vikernes, der zu Varg Vikernes und Count<br />
Grishnackh wird, welcher von einem Bewunderer<br />
und Fan zu einem Freund und später Todfeind und<br />
Mörder von Euronymous wird, all dies schafft der<br />
Film einzufangen.<br />
Schade ist, dass Vargs Vorgeschichte in Old Funeral<br />
mit keinem Wort erwähnt wird und er aus dem<br />
Nichts auftaucht. Und wie ernst die Abneigung von<br />
Darkthrone und Mayhem dem Film gegenüber zu<br />
nehmen ist, bleibt fragwürdig. Alleine die Tatsache,<br />
dass Attila Csihar von seinem eigenen Sohn gespielt<br />
wird, sagt viel aus.<br />
Einem schwachen Magen ist dieser Film (zumindest<br />
die „unrated version“) nicht zu empfehlen, da<br />
sowohl Deads Suizid als auch die Ermordung von<br />
Euronymous sehr explizit dargestellt werden. Alle<br />
anderen seien eingeladen, sich den Streifen anzusehen<br />
und sich über die hie und da eingestreuten<br />
„Zuckerln“ zu freuen, wie etwa ein Darkthrone-Shirt<br />
vom „Soulside Journey“-Album!<br />
Anna Otto, Stark!Strom & Delaymagazine.at<br />
© Privat<br />
2 Fotos / DVD Cover: © Studio Hamburg Enterprises<br />
Bereits im Vorfeld wurde viel spekuliert<br />
und diskutiert. Im Endeffekt<br />
ist „Lords Of Chaos“ allerdings „einfach<br />
nur“ ein Spielfilm, der von den<br />
Ereignissen zu Beginn der „Second<br />
Wave Of Black Metal“ in Norwegen<br />
inspiriert wurde. Die Schauspieler<br />
sind mehr oder weniger unbekannt,<br />
Rory Culkins Verwandtschaft zu seinem<br />
„Kevin“-Bruder Macaulay lässt sich allerdings nicht<br />
bestreiten und irritiert anfangs etwas.<br />
Ich persönlich habe mich bei dem Film sehr gut<br />
unterhalten gefühlt, muss aber auch zugeben, dass<br />
ich – abgesehen von meiner mittlerweile fast 30-jährigen<br />
Black-Metal-Abhängigkeit und Skandinavien-<br />
Obsession – weder im Norwegen der frühen 1990er<br />
Jahre aufgewachsen bin noch Teil des „Inner Circle“<br />
war. Somit kann ich im Gegensatz zu den unzähligen<br />
Experten da draußen nur aus der Amateurperspektive<br />
berichten. Mein einziger Ratschlag: Seht euch<br />
den Film an... oder auch nicht! Nur ihr habt die Wahl!<br />
Thomas Sulzbacher,<br />
Chefredakteur SLAM Alternative Music Magazine<br />
© Privat<br />
Der Film illustriert drastisch das<br />
Ergebnis, wenn verhätschelte Jugendliche<br />
und junge Erwachsene<br />
mit Persönlichkeitsdefiziten ohne<br />
sozialen Anpassungsdruck einer<br />
bizarren Gruppendynamik ausgesetzt<br />
sind: Eine widerliche, erbärmliche<br />
Mischung aus Tierquälerei,<br />
Brandstiftung und Meuchelmord. Ansonsten ist es<br />
nur ein mittelmäßiger Film mit durchwachsenem<br />
Cast, der fiktive Handlungsstränge inklusive der<br />
wohl unvermeidlichen Lovestory mit bekannten,<br />
teilweise detailgetreu inszenierten Fakten vermischt.<br />
Der Soundtrack? Klare Themenverfehlung. Besser<br />
wäre eine wirklich gute, ausführliche Doku (-serie?)<br />
gewesen, die den damaligen Zeitgeist des Underground<br />
vor Internet und Social Media wissenschaftlich<br />
aufarbeitet.<br />
Mein Fazit: verzichtbar! Mein Wunsch: Kann man bitte<br />
in Zukunft Black Metal als innovative Kunst- und<br />
Musikform abseits dieser vergangenen Widerlichkeiten<br />
diskutieren?<br />
PS: Gewalt gegen Tiere in Filmen find ich zum Kotzen!<br />
Bruder Cle, Metal-Veteran aus Tirol<br />
© Privat<br />
Was erwartet man sich von einem<br />
Film, bei dem man die Handlung<br />
und das Ende bereits kennt? Eigentlich<br />
nicht viele Überraschungen,<br />
dennoch wusste „Lords Of Chaos“<br />
unterm Strich zu gefallen. Pubertierende<br />
Teenager, die in einem Norwegen<br />
der frühen 90er aufgrund<br />
der hohen Arbeitslosigkeit kaum Zukunftsperspektiven<br />
haben. Die Rotzbuben von nebenan leben in<br />
den Tag hinein, der von Alkohol und lauter Musik<br />
geprägt ist, was letztendlich auch zur Gründung der<br />
Band Mayhem führt. Mit dem Abkapseln von der<br />
Realität wurde ein Weg eingeschlagen, den zuvor<br />
noch niemand betreten hatte, der Rest ist (Black<br />
Metal) Geschichte.<br />
© Christoph Kaltenböck<br />
Heutzutage würde alles ganz anders verlaufen und<br />
Øystein und Co. wären vielleicht Youtuber oder<br />
Online-Gamer. Wie dem auch sei, „Lords Of Chaos“<br />
darf als gelungene Bestandsaufnahme bezeichnet<br />
werden und es ist interessant, das Ganze mal in<br />
Bildern zu sehen und sich ein wenig in die Anfänge<br />
des True Norwegian Black Metal hineinzufühlen.<br />
Sollte man ebenso gesehen haben wie die Doku<br />
„Until The Light Takes Us“.<br />
Bernd Grünwald,<br />
Kaltenbach Open Air, Escape Metalcorner u.a.<br />
„Lords Of Chaos“: Eine Geschichte<br />
von brennenden Kirchen, Messerstechereien<br />
und morbidem Pathos.<br />
Von Ereignissen, die so berüchtigt<br />
und bezeichnend für ein Genre<br />
geworden sind, gibt es natürlich<br />
Versionen noch und nöcher, eine<br />
davon stellt das Werk Åkerlunds dar.<br />
Kaum verwunderlich, dass bei einer solchen Pluralität<br />
an Narrativen die populärste Interpretation auch<br />
den meisten Beschuss auf sich zieht. Von Vikernes<br />
bis Attila wurde vorab gewettert, der Film sei pure,<br />
äh, Blasphemie und untragbar (obwohl Attilas Sohn<br />
sogar im Film zu sehen ist).<br />
Die Szene scheint uneins: Hardliner schreien natürlich<br />
wie aus einer Kehle Sellout und Kommerzialisierung.<br />
Als ob man ein wenig Angst davor hätte, zu sehr<br />
exponiert zu werden. Angst davor, Uneingeweihte<br />
und Neulinge an der geliebten Materie teilhaben zu<br />
lassen. Schließlich gilt es die Szene TRVE zu halten!<br />
Was vermutlich auch schon den Hauptangriffspunkt<br />
des Films anspricht: Was da gezeigt wird,<br />
ist alles andere als TRVE. Zu sehen sind Teenager,<br />
die miteinander herumalbern und Spaß haben,<br />
deren Boshaftigkeit und Nihilismus mehr Schein<br />
als Sein ist, die nicht rund um die Uhr unnahbare<br />
Dämonen in Corpsepaint mit Streichhölzern und<br />
Messern im Gepäck sind.<br />
Dass dabei eine gewisse Entmystifizierung stattfindet,<br />
ist natürlich klar. Aber genau das ist die Stärke<br />
von Åkerlunds Zugang: Er gibt den Protagonisten<br />
Charakter, macht sie nahbar und menschlich. Was<br />
hier gezeigt wird, ist nicht nur die Geschichte einer<br />
wegweisenden Black Metal Band, sondern auch eine<br />
exzellent umgesetzte Coming Of Age-Story.<br />
Also, folgt dem Frostmond in die lokalen Kinosäle<br />
und begutachtet die Anfänge Mayhems - ungeschminkt.<br />
Gabriel Niederberger,<br />
Stark!Strom & Delaymagazine.at<br />
© G. Niederberger<br />
LORDS OF Gratis:<br />
Wir freuen uns über Eure Meinung<br />
zum Thema und ver losen –<br />
unabhängig davon –<br />
drei „Lords Of Chaos“ DVDs!<br />
Mail mit Betreff „Chaos“ an<br />
strom@starkstrom.live,<br />
Postanschrift nicht vergessen,<br />
viel Glück!<br />
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