STARKS!STROM Nr8 Web-versuch-2
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zeitStrom<br />
Ewig junge Meisterwerke<br />
LUDWIG HIRSCH Live -<br />
GOTTlieb<br />
(Polygram, 1992)<br />
Auf dieser am 26.01.1992 im Wiener Konzerthaus<br />
aufgenommenen Live-Doppel-CD nimmt uns der<br />
unvergessene Ludwig Hirsch mit auf die wunderbare<br />
Reise vom „Gottlieb“, der „irgendwo in<br />
einem kleinen Dorf, ganz hinten im südlichsten<br />
Burgenland“ zur Welt kommt. Dort, „wo das erste<br />
Stamperl glücklich macht, das zweite blind, und<br />
das dritte wieder glücklich – nämlich glücklich,<br />
dass man blind ist“.<br />
Die allesamt großartigen Lieder, den passenden<br />
Einstieg markiert das bitterböse „Landluft“, bilden<br />
den Rahmen der Handlung, dazwischen<br />
erzählt der Künstler auf seine unnachahmliche<br />
Weise von Gottlieb und seinem Stern („Sternderl<br />
schaun“), der ihm „diese Sehnsucht nach der<br />
großen weiten Welt, nach geheimnisvollen, herzklopfigen<br />
Abenteuern“ schenkt („Mondkinder“).<br />
Auf der Suche danach entdeckt er zunächst den<br />
„Fremden Soldaten“, der, hach, „Am Rucken“ liegt.<br />
Dessen Begräbnis stellt das zweite in Gottliebs<br />
jungem Leben dar. Das erste war, natürlich, am<br />
Stammersdorfer Friedhof („Die Omama“).<br />
Und so erkundet der Heranwachsende die Welt<br />
und das Leben da draußen, auch wenn er seine<br />
- „Gel´ du magst mi?“ - geliebte „Nelli“ zurücklassen<br />
muss und ihm zu Beginn seiner Reise etwas<br />
mulmig zumute ist, weil ihn der Dorfpfarrer zum<br />
Abschied an die Geschichte vom „Jonas“ erinnert.<br />
In welcher Sänger und Musiker plötzlich eine<br />
kleine Pause einlegen: „Sagen Sie, hätten Sie<br />
jetzt auch so gern a Zigarette wie ich?“ (das allein<br />
rechtfertigt den Rubriken-Titel „Zeitstrom“).<br />
Rechtzeitig zu CD 2 sind Hirsch, Band und Jonas<br />
zurück, zuerst am Schiff, dann im Wal-Bauch<br />
(einfach nur mehr schön: „In deiner Sprache“)<br />
und dann wieder an Land. In der „Großstadt“<br />
(„Nachtgespenster“!) angekommen ist indes der<br />
staunende Gottlieb, „hier wird es Abenteuer regnen“,<br />
stattdessen „regnet es aber nur Ohrfeigen“.<br />
Im letzten Winkerl vom Südbahnhof (jaja, Zeitstrom…)<br />
trifft er den „Zwerg“ (immer wieder, ähm,<br />
groß!) und „diesen geheimnisvollen Mann aus<br />
Fischamend an der Donau“, der ihm die furchterregende<br />
Mär der „Hand“ (Mahlzeit!) erzählt.<br />
In seiner Panik flüchtet unser Protagonist durch<br />
die kalte, anonyme, „grausame Stadt“. Verängstigt,<br />
allein, mittel- und hoffnungslos. Doch da weist<br />
ihm, ein Schilling ins Kitsch-Schweinderl, sein<br />
Stern den rechten Weg. Nach Hause. Zu seiner<br />
zwischenzeitlich zur „Miss Burgenland“ (ein<br />
Traum) gekürten Nelli. Home is where the heart<br />
is. And the Hochstand.<br />
Im Zugaben-Block („do geht ma eine, ausse, eine,<br />
ausse, draussn is dunkel, man stolpert über<br />
schlafende Feuerwehrmänner“) stellt der Barde<br />
seine grandiosen musikalischen Mitstreiter<br />
Johann M. Bertl, Karl-Heinz Leschanz, Manfred<br />
Schweng und Andi Steirer vor, bevor sich alle<br />
gemeinsam in die „Kellergassen“ (herrlich) begeben.<br />
„Spuck den Schnuller aus“ und „Boo-Gie<br />
Woogie“ treiben die Stimmung noch weiter rauf<br />
und dann, ganz am Schluss, kommt er, der „Grosse<br />
Schwarze Vogel“, und gleitet mit seinen „weiten,<br />
sanften Flügeln“ in dieser Version, am Ende jener<br />
konzertanten Reise und wissend um das tragische Ableben (2011)<br />
des Künstlers, noch einmal eine Spur tiefer in uns rein, ins Ohr,<br />
ins Herz, in die Seele.<br />
Ludwig Hirsch, das bestätigt diese Doppel-CD nachhaltig, war<br />
mehr als „nur“ der „dunkelgraue Lieder“-Macher, auf den er<br />
mancherorts gern reduziert wird. Er war ein aufmerksamer<br />
Beobachter und begnadeter Erzähler, ein kritischer Poet, in und<br />
zwischen seinen Textzeilen, in denen der 1946 in der Steiermark<br />
geborene und in Wien-Leopoldstadt aufgewachsene Gottlieb, äh,<br />
Ludwig nie den Zeigefinger erhebt, nie zur großen Geste ausholt.<br />
Stattdessen verteilt er seine Watschen sanft, mit einem, manchmal<br />
traurigen, Lächeln – und trifft damit umso stärker. Das kann<br />
wehtun, wovon nicht nur der „Dorftrottel“ ein auf diesem Werk<br />
mit einer besonders intensiven Interpretation vertretenes Lied<br />
zu singen weiß.<br />
Abseits all dieser Deutungen funktioniert „Gottlieb“ aber auch<br />
einfach als zweistündiges, kurzweiliges Hörvergnügen von großer<br />
Qualität mit Geschichten und Liedern, die sich, wenn man dazu<br />
bereit ist, tief drinnen einbrennen.<br />
Dafür, und für vieles mehr, kann man Ludwig Hirsch gar nicht<br />
dankbar genug sein.<br />
„Sonne und Regen, Nelli, kommen und gehen. So is des Leben“.<br />
www.ludwighirsch.at<br />
Andi<br />
Ihr wollt eine alte Lieblingsplatte, einen Klassiker,<br />
eine vergessene Perle im „Zeitstrom“ wieder vor den Vorhang zaubern?<br />
Einfach Mail an strom@starkstrom.live , danke.<br />
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