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RegioBusiness - Juni 2019

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<strong>Juni</strong> <strong>2019</strong> I Jahrgang 18 I Nr. 203<br />

Blickpunkt 07<br />

Mehr Leben<br />

in der Innenstadt<br />

Erfolgreiche Investition: Das Kocherquartier in Schwäbisch Hall war die<br />

größte städtebauliche Maßnahme in der Salzsiederstadt. Rund 100 Millionen<br />

Euro wurden in das Areal investiert. In den rund zehn Jahren seit<br />

dem ersten Spatenstich hat sich das Viertel gut entwickelt und trägt zur<br />

Belebung der Stadt bei. VON MARIUS STEPHAN<br />

Im Herzen von Schwäbisch<br />

Hall entwickelte die Stadt<br />

über Jahrzehnte hinweg ein<br />

Konzept, welches das Areal um<br />

das alte Gefängnis der Stadt aufwerten<br />

sollte: das Kocherquartier.<br />

Bereits in den 80er Jahren hat die<br />

Stadt Schwäbisch Hall vom Land<br />

Baden-Württemberg das Gelände<br />

der Vollzugsstrafanstalt im Herzen<br />

der Stadt erworben. Die angestrebte<br />

Verlagerung der Strafanstalt<br />

an den Stadtrand konnte leider<br />

erst im Jahr 1998 erfolgen.<br />

Ziel der Stadt war es, das frei werdende<br />

Gelände für die Erweiterung<br />

der Innenstadt mit den Angeboten<br />

Handel, Dienstleistung und<br />

Wohnen zu nutzen.<br />

Nach der Verlagerung der Strafanstalt<br />

wurde von Seiten der Stadt<br />

ein entsprechender Planungswettbewerb<br />

ausgeschrieben. 131 Büros<br />

haben sich am Wettbewerb beteiligt.<br />

Als erster Preisträger<br />

wurde von der Jury das Büro<br />

Jacqueline Bohusch ausgewählt.<br />

»Noch kein einziger<br />

der größeren<br />

Läden aus der Anfangszeit<br />

im Kocherquartier<br />

hat<br />

aufgehört.«<br />

Laut Plan sollte die alte Bausubstanz<br />

abgebrochen werden, dagegen<br />

regte sich jedoch Widerstand.<br />

Nach mehreren Gesprächen mit<br />

Privatinvestoren entschied sich<br />

der Gemeinderat, mit der Projektentwicklung<br />

unter der Vorgabe<br />

bei einer reduzierten Handelsfläche,<br />

die städtische Tochter GWG<br />

zu beauftragen. Ziel der GWG war<br />

es, auf dem Gelände ein neues<br />

Stadtquartier mit Handel, Büro<br />

und Wohnen zu entwickeln, welches<br />

sich harmonisch in das Innenstadtbild<br />

einfügt und die Stadt<br />

attraktiver macht.<br />

Wolf Gieseke leitet mit Oscar Gruber<br />

und Klaus Wackenheim die<br />

städtische Grundstücks- und Wohnungsbaugesellschaft.<br />

Zu den Projekten<br />

der GWG gehört auch das<br />

Kocherquartier. „Als ich kam,<br />

wurde gerade die Baugrube für<br />

das Kocherquartier ausgehoben.<br />

Mir gefällt es, wie es ist. Man hat<br />

es harmonisch hinbekommen,<br />

dass die JVA vorne stehen gelassen<br />

Harmonisch: Die alte JVA (li.) und die runde VR-Bank-Zentrale bilden eine Seite des „Dreiecks“ im Kocherquartier.<br />

Dazwischen entstanden moderne Gebäude, die sich in die Altstadt einfügen. Foto: NPG-Archiv/Arslan<br />

wurde und das Neue leicht versteckt<br />

wird“, sagte Gieseke anlässlich<br />

des 100 jährigen Bestehens<br />

der GWG im April über das Kocherquartier.<br />

24 Händler und Dienstleister haben<br />

sich mittlerweile in dem Areal<br />

niedergelassen. „In Summe ist es<br />

ein super Erfolg und läuft. Meine<br />

erste Befürchtung war: Ein geschlossenes<br />

Shoppingcenter<br />

macht alle Läden ringsherum kaputt.<br />

Das kann man in anderen<br />

Städten sehen wie in Braunschweig<br />

oder Leonberg. Das ist in<br />

Hall anders. Die Innenstadt lebt.<br />

Zum Beispiel: Die Schwatzbühlgasse<br />

ist immer voll und die Neue<br />

Straße ist es auch. Noch kein einziger<br />

der größeren Läden aus der<br />

Anfangszeit im Kocherquartier hat<br />

aufgehört. Im Gegenteil: In dieser<br />

Zeit werden die Mietverträge verlängert.“<br />

„Touristenmagnete sind nicht nur für Touristen da“<br />

Eine Initiative in Rothenburg möchte die Altstadt auch für Einwohner wieder attraktiver machen und dem „Ausbluten“ entgegenwirken.<br />

VON CORINNA HEIDEN<br />

Feinschmecker: Bei Alexander Hildebrand gibt es Pralinen aus<br />

handgeschöpfter Schokolade mit individuellem Text versehen.<br />

Es ist ein Phänomen, das sich in<br />

vielen Städten mittlerweile immer<br />

öfter zeigt: Die großen Supermarktketten<br />

sind außerhalb angesiedelt,<br />

es gibt kaum eine Möglichkeit,<br />

sich in der Innenstadt für den<br />

Alltag mit Lebensmitteln und mit<br />

dem, was der Mensch eben sonst<br />

noch so braucht, zu versorgen. Die<br />

Ladengeschäfte im Kern der Stadt<br />

stehen zum Teil über längere Zeit<br />

leer. Und wenn, dann werden sie<br />

an Einzelhändler verpachtet, die<br />

auf den Touristischen Sektor spezialisiert<br />

sind. Was ja eigentlich im<br />

Grunde auch kein Problem darstellt<br />

– erst einmal.<br />

Aber: Touristen freuen sich über<br />

das Angebot. Es ist natürlich auch<br />

gut, Besucher in die Stadt zu locken<br />

und ihnen ein dementsprechendes<br />

Shoppingangebot zu unterbreiten.<br />

Im Gegenzug gibt es allerdings<br />

dadurch für Einheimische<br />

im Fall Rothenburg größtenteils<br />

keinen wirklichen Grund mehr, hereinzufahren<br />

beziehungsweise in<br />

die Altstadt zu spazieren. Es sei<br />

denn, man möchte ein Eis essen gehen<br />

oder durch den lieblichen<br />

Burggarten flanieren.<br />

INDIVIDUALISTISCH Dieser<br />

Überzeugung ist auch Anett Perner.<br />

Die Inhaberin von AnRa-<br />

Mode hat es sich auf die Fahne geschrieben<br />

in Rothenburg, einem<br />

der absoluten Touristenmagneten<br />

der Region, genau das wieder<br />

rückgängig zu machen und dem<br />

Feurig: Loretta Mandosi brennt Schriftzüge und Bilder vor den<br />

Augen der Besucher in verschiedene Holzstücke.<br />

Fotos: Handmade<br />

Ausbluten der Altstadt des Tauberstädtchens<br />

entgegenzuwirken. Mit<br />

ihrer vor drei Jahren ins Leben gerufenen<br />

Initiative „Handmade“<br />

versucht sie, das alte und doch<br />

wieder moderne Handwerk wieder<br />

in Rothenburgs Altstadt zu<br />

bringen und somit das Bild der Innenstadt<br />

zu bereichern – für Touristen<br />

und Einheimische.<br />

„Ich bin Individualistin und ich<br />

liebe die Einzigartigkeit“, sagt die<br />

Modeschöpferin. Sie hat 2011<br />

nicht nur den Gründerpreis der<br />

IHK Nürnberg erhalten, was ja<br />

eine große Auszeichnung für eine<br />

Firma ist, sondern war schon<br />

mehrmals für den „Mittelstandsoscar“<br />

nominiert und hat etliche<br />

Preise für ihre Arbeit erhalten.<br />

Und die Leidenschaft der Stoffkünstlerin<br />

steckt an: So hat sich<br />

um Anett Perner herum, die ausschließlich<br />

mit Naturmaterialien<br />

und Filz arbeitet, ein buntes Potpourri<br />

an Gewerken versammelt.<br />

Von der Schokoladenmanufaktur,<br />

über eine Papierkünstlerin, einen<br />

exklusiven Stoffmarkt und auch einen<br />

Holzbrandladen, in dem Interessierte<br />

ihre Geschenke für jeden<br />

Anlass individuell anfertigen<br />

lassen können.<br />

Fingerfertig: Im vierten Laden von AnRa-Mode direkt am Marktplatz<br />

gibt es auch historische Verarbeitungstechniken zu sehen.<br />

UNTERSTÜTZUNG Insgesamt<br />

haben sich mittlerweile acht handwerkliche<br />

Betriebe der Initiative<br />

angeschlossen. „Ich freue mich<br />

über jeden, der hier mitmachen<br />

möchte. Es gibt immer wieder Anfragen“,<br />

sagt Perner. Gerade Handwerker,<br />

die sich beim arbeiten<br />

über die Schulter sehen lassen,<br />

verschiedene Kurse anbieten wollen,<br />

sind hier willkommen. „Das<br />

zieht die Besucher an – sowohl<br />

Touristen, als auch Einheimische“,<br />

ist sie überzeugt. So entsteht<br />

eine Art „Erlebnisshopping“.<br />

Das hat nicht nur für die Manufakturen,<br />

sondern auch für die Stadt<br />

Vorteile. „Die Stadt unterstützt<br />

uns sehr aktiv und schätzt die Arbeit<br />

und das Herzblut, was wir hineinstecken.<br />

Die Flyer unserer Initiative<br />

werden auch durch die<br />

Stadt auf Messen ausgelegt“, freut<br />

sich die leidenschaftliche Designerin.<br />

„Vielleicht schaut sich so<br />

auch manch einer etwas von unserem<br />

Konzept ab – sei es eine Stadt<br />

oder ein engagierter Handwerker.<br />

Denn ich denke, dieses Konzept<br />

ist ein neues Zugpferd für die Städteentwicklung.“<br />

ZUKUNFT Was sich die Initiatorin<br />

noch wünschen würde, wäre<br />

zum Beispiel eine individuelle Förderung<br />

für junge Unternehmen<br />

mit Sinn für das alte Handwerk.<br />

„Es ist nicht einfach, ein Unternehmen<br />

in dieser Lage, also zum Beispiel<br />

der Altstadt in Rothenburg,<br />

aufzubauen. Gerade Start-ups haben<br />

es in diesem Umfeld nicht<br />

leicht“, erklärt sie.<br />

www.rothenburg-handmade.com

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