Fachzeitschrift ÖGS 05/06/2019
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Stahlgüten im Hallenbau Walzprofile<br />
in S235 oder S355?<br />
■■<br />
Leonhard Fromm, Stefanie Manger (Chefredakteurin<br />
metallbau)<br />
„Es wäre alles viel einfacher, wenn Walzprofile in S235 gänzlich<br />
vom Markt genommen und stattdessen in S355 und in<br />
S460M angeboten würden“, meint der Schweizer Bernhard<br />
von Mühlenen, Bereichsleiter Stahlbau bei der Senn AG. In<br />
Deutschland wird für den Hallenbau vielfach noch die Güte<br />
S235 verarbeitet, Unternehmer Egon Haist sagt: „S355 nutzen<br />
wir für Hallen häufig, wenn es um den Preis geht.“<br />
Der Beitrag ist im Dezember 2018 im Fachmagazin metallbau<br />
erstmals erschienen, die Redaktion des Bauverlags<br />
hat uns den Fachbeitrag mit freundlicher Genehmigung<br />
zur Verfügung gestellt.<br />
Stahlbau Haist in Baiersbronn-Mitteltal verfügt über ein eigenes<br />
Statik- und Konstruktionsbüro. Erstellt das Unternehmen<br />
eine Ausschreibung mit Statik, beispielsweise für eine<br />
schlüsselfertige Halle, dann greift es meist zu Walzprofilen in<br />
S355. Im Vergleich zu S235 reduziert sich der Materialverbrauch<br />
deutlich. „In der Werkstatt bereitet S355 zwar mehr<br />
Aufwand, weil wir die Profile beim Schweißen vorwärmen,<br />
die Kalkulation jedoch fällt günstiger aus“, erklärt Egon Haist.<br />
Für die Fassadenbauer als nachfolgendes Gewerk ist die<br />
höherfeste Güte etwas misslich: Bei S235 können sie selbstfurchende<br />
Schrauben einsetzen, bei S355 nicht. „Vorbohrungen<br />
gestalten die Befestigung zeitaufwändiger.“<br />
Gleichwohl, die Kalkulation mit S355 spricht für sich und<br />
Metallbaumeister Haist wundert sich, weshalb viele Architekten<br />
und Statiker den Bau von Hallen nicht in S355 ausschreiben.<br />
„Gibt die Ausschreibung S235 vor, führen wir die Halle<br />
in dieser Sorte aus.“ Würde Haist auf eigene Initiative S355<br />
verwenden, müsste sein Statikbüro einen neuen Nachweis<br />
erstellen. „Wegen der zusätzlichen Kosten machen wir das<br />
nicht.“ Das Unternehmen erwirtschaftet ca. 60 Prozent des<br />
Jahresumsatzes im Hallen- und allgemeinen Stahlbau.<br />
Statik & Stahlgüte<br />
„Für die Wahl der Stahlgüte sind die statischen Gegebenheiten<br />
des Bauwerks ausschlaggebend“, stellt der Österreicher<br />
Rudolf Rauch fest. Er war Jahrzehnte lang als Fachbereichsleiter<br />
Schweißtechnik-Warmband im Bereich der Forschung<br />
& Entwicklung für voestalpine tätig. „Passt die Statik, ist der<br />
Einsatz von S355 sinnvoll und vielfach eine wirtschaftliche<br />
Lösung, da sich die Wanddicken sowie das Gewicht der<br />
Konstruktion reduzieren und die oftmals wenig beachteten<br />
Fertigungskosten für die Schweißarbeiten durch geringere<br />
Nahtquerschnitte deutlich sinken.“ Im Nachsatz präzisiert er:<br />
„Als Substitutionswerkstoff für den S235Jx würde ich allerdings<br />
nicht den allgemeinen Baustahl S355Jx nach EN 10025-<br />
2 empfehlen, sondern die thermomechanisch gewalzten<br />
Stahlgüten S355M/ML oder S460M/ML nach EN 10025-4.“<br />
Vorwärmen nicht in jedem Fall<br />
Erfahrungsgemäß weisen real angebotene M-Stähle bis<br />
zur Stahlsorte S460M/ML C-Gehalte von C ≤ 0,1% auf. Bei<br />
Rudolf Rauch war Jahrzehnte lang<br />
als Fachbereichsleiter Schweißtechnik-Warmband<br />
im Bereich<br />
der Forschung & Entwicklung für<br />
voestalpine tätig. (Foto: Rauch)<br />
Prinzipiell erweist sich im Hallenbau der Einsatz von S355 Walzprofilen<br />
wirtschaftlicher als die Stahlsorte S235.<br />
Stahlbau Süßen hat das Logistikzentrum Log-Plaza Brandenburg<br />
in Großbeeren für den britischen Online-Versandhändler ASOS mit<br />
S355J2 + M gebaut. (Fotos: Stahlbau Süßen)<br />
88 SCHWEISS- und PRÜFTECHNIK <strong>05</strong>-<strong>06</strong>/<strong>2019</strong>