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EDUCATION 3.19

Dossierthema: Glück

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Thema | Dossier<br />

mit einem Lebensziel, zum Beispiel mit Erfolg, Reichtum,<br />

Macht, Gesundheit oder Liebe.<br />

Dies steht allerdings im Widerspruch zur Flüchtigkeit<br />

des Glücks. Wir können Glück noch so stark herbeisehnen,<br />

aber wir schaffen es nicht, es herbeizuzwingen.<br />

Und wenn wir es besitzen, entschwindet es wieder. Vielleicht<br />

suchen wir das Einzigartige, eine Intensität des Erlebens<br />

oder eine Harmonie mit der Natur – euphorische<br />

Augenblicke, die wir bewahren möchten, aber die sich<br />

sogleich wieder verflüchtigen. Wie jenes unwiederholbare<br />

Gipfelerlebnis auf einer Bergspitze, die kreisenden Dohlen<br />

über uns, an das wir uns immer wieder zurückerinnern.<br />

Weil das Glück so wenig fassbar ist, versuchen wir,<br />

es in materiellen Gütern zu bewahren. Glück wird dadurch<br />

in einer ökonomischen Grösse sichtbar, in Wohlstand und<br />

Geldwert, aber oft geht damit sinnliche Qualität verloren.<br />

Die Jacht an der Côte d’Azur und das Ferienhaus in den<br />

Bergen erhöhen zwar unseren Erlebnisspielraum, aber sie<br />

erhalten auf die Dauer nicht unser Glückserleben. Wir<br />

kompensieren damit eine Eigenschaft, die das Glück nicht<br />

hat. «Glück ist seiner Natur nach unermesslich» 4 , schreibt<br />

die Basler Philosophin Pieper.<br />

Innere Einheit mit der Natur und der Welt<br />

Die Unfassbarkeit des Glücks hat auch Dichter und Schriftstellerinnen<br />

gefangen genommen. Friedrich Nietzsche hat<br />

trotz vielen skeptischen Weltsichten das Sinnliche verherrlicht<br />

und in Gedichten und Liedern besungen. Bestes<br />

Zeugnis davon sind seine Venedig-Gedichte. 5 Es ist ein<br />

ästhetisches Glück, das er in der gebrochenen Schönheit<br />

der Lagunenstadt einzufangen versucht:<br />

Mein Glück<br />

Die Tauben von San Marco seh ich wieder:<br />

Still ist der Platz, Vormittag ruht darauf.<br />

In sanfter Kühle schick’ ich müssig Lieder<br />

Gleich Taubenschwärmen in das Blau hinauf –<br />

Und locke sie zurück,<br />

Noch einen Reim zu hängen ins Gefieder<br />

– mein Glück! Mein Glück!<br />

Wie Venedig für Nietzsche fand Albert Camus das Glück<br />

in der Begegnung mit der römischen Ruinenstadt Tipasa<br />

in der Nähe von Algier: «Im Frühling wohnen in Tipasa<br />

die Götter», schrieb er in sein Tagebuch. 6 Licht, Farben, ▶<br />

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