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EDUCATION 3.19

Dossierthema: Glück

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Thema | Dossier<br />

damit zu tun haben, wie wir unser<br />

Leben einrichten: Träume ich nur davon,<br />

was ich tun und sein möchte,<br />

oder setze ich meine Träume auch<br />

um? Traue ich mich zu tun, was mir<br />

wichtig ist? Lebe ich in einer guten<br />

Gemeinschaft? Und ist mir diese Gemeinschaft<br />

wichtig? Ob in Australien,<br />

in Mexiko oder in Island: In allen<br />

Ländern waren diese Glücksfaktoren<br />

ähnlich.<br />

Braucht es für ein glückliches<br />

Leben auch Achtsamkeit und die<br />

Fähigkeit, im Moment zu leben?<br />

Das sind bedeutende Fähigkeiten,<br />

die die Menschen in allen «glücklichen<br />

Ländern» viel besser beherrschen<br />

als beispielsweise die Deutschen.<br />

Ständig unter Strom zu stehen<br />

und von einem Ereignis zum nächsten<br />

zu hetzen, verhindert, dass man<br />

zwischendurch innehalten und reflektieren<br />

kann. Es verhindert vor allem,<br />

dass man mit den Menschen zusammen<br />

sein kann, die einem wichtig<br />

sind, und eine Gemeinschaft aufbauen<br />

und leben kann. Im Moment<br />

zu leben, beherrschen beispielsweise<br />

die Menschen in Kanada viel besser.<br />

Du fährst durch Kanada, hältst an<br />

und fragst die Leute: «Hey, kann ich<br />

mit dir über Glück reden?» Was antworten<br />

sie? «Klar, liebend gerne!»<br />

Und ich glaube, dass ist die Botschaft<br />

an die Deutschen: «Seid nicht<br />

so diszipliniert, lasst euch ein bisschen<br />

mehr treiben, habt ein bisschen<br />

mehr Flow.»<br />

Wie wichtig ist die Schule für<br />

ein glückliches Leben?<br />

Die Schule war auf meinen Reisen<br />

in unzähligen Gesprächen ein zentrales<br />

Thema. In den skandinavischen<br />

Ländern, die auf der Liste der glücklichsten<br />

Länder alle vorne rangieren,<br />

habe ich gar den Eindruck gewonnen,<br />

dass ihr Schulsystem die eigentliche<br />

Basis für ihr Glück ist. Ein<br />

Schulsystem, das sich dadurch auszeichnet,<br />

dass der enorme Druck,<br />

den ich aus Deutschland kenne, einfach<br />

nicht da ist.<br />

Seit letztem Sommer lebe ich mit<br />

meiner 13-jährigen Tochter Elisa in<br />

Schweden. Sie besucht eine normale<br />

schwedische Schule. Als ich sie kürzlich<br />

fragte, wie denn der Mathetest<br />

verlaufen sei, sagte sie: «Weiss nicht,<br />

Mami, wir sind nicht alle fertig geworden.<br />

Wir schreiben morgen weiter»<br />

(Maike van den Boom lacht). In<br />

skandinavischen Ländern steht die<br />

individuelle Förderung der Schülerinnen<br />

und Schüler klar im Vordergrund.<br />

Die Kinder müssen nicht alle zum<br />

gleichen Zeitpunkt dieselben Kompetenzen<br />

erreichen. Sie sollen lernen,<br />

den Mund aufzumachen und mitzudenken<br />

– dies sind Eigenschaften,<br />

die wir in der Zukunft brauchen. Und:<br />

Sie sollen lernen, sozial zu denken<br />

und zu handeln.<br />

Ein Heidelberger Lehrer erfand<br />

das Fach Glück, das heute etwa<br />

in 40 deutschen und 140 österreichischen<br />

Schulen unterrichtet wird.<br />

Was halten Sie davon?<br />

Wenn die Schülerinnen und Schüler<br />

lernen, was die Menschen glücklich<br />

macht, und ihre Persönlichkeit<br />

gestärkt wird, finde ich das gut.<br />

Glück als Schulfach zu unterrichten,<br />

bringt aber nicht viel, wenn es eine<br />

Einzelmassnahme bleibt und an den<br />

übrigen Strukturen nichts verändert<br />

wird, beispielsweise der Druck auf<br />

die Kinder nicht verringert wird. Das<br />

ist etwa so, wie wenn ein deutsches<br />

Unternehmen anordnen würde, dass<br />

man sich jetzt nach skandinavischem<br />

Vorbild duzen solle, aber ansonsten<br />

an den Hierarchien nichts verändert.<br />

Das macht die Mitarbeitenden nicht<br />

glücklicher, sondern frustriert nur<br />

umso mehr.<br />

Wie sieht für Sie eine Schule<br />

aus, die möglichst viele Beteiligte<br />

glücklich macht?<br />

Diese Schule nimmt die Kinder<br />

ernst und reduziert sie nicht darauf,<br />

gute Noten zu produzieren. Die Lehrpersonen<br />

in dieser Schule trauen<br />

sich, die Kontrolle ein bisschen loszulassen,<br />

weil sie den Kindern und<br />

Jugendlichen vertrauen und ihnen<br />

zutrauen, dass sie sich entwickeln<br />

wollen. In der idealen Schule gibt es<br />

erst spät Noten – oder gar nicht –<br />

ebenso wie Selektion. Und es werden<br />

auch Kompetenzen und Fähigkeiten<br />

wertgeschätzt, die nicht benotet werden<br />

können: beispielsweise, dass ein<br />

Kind sehr hilfsbereit ist, begeisterungsfähig<br />

oder einfach total verrückte<br />

Ideen hat – Fähigkeiten, die<br />

für unsere Gesellschaft wertvoll sind<br />

und in der Zukunft immer mehr gebraucht<br />

werden.<br />

Was lernen Kinder und Jugendliche<br />

in dieser idealen Schule?<br />

Spass zu haben! Ganz im Ernst:<br />

Wenn Kinder unter Druck und Stress<br />

leiden, verengt sich ihr kognitiver<br />

Rahmen. Wenn sie Spass haben,<br />

wenn ihr Gehirn von Dopamin überflutet<br />

wird, öffnet er sich. Sie denken<br />

schneller, sehen und hören mehr,<br />

werden kreativer. Wer denkt, dass<br />

Kinder keinen Drive haben, wenn sie<br />

Spass haben und glücklich sind,<br />

täuscht sich: Das Gegenteil ist der<br />

Fall! Umgekehrt sollten Kinder und<br />

Jugendliche unbedingt auch lernen,<br />

mit Niederlagen umzugehen: weil sie<br />

zum Leben gehören. Krisen sind meistens<br />

kein Unglücksfall, sondern ein<br />

Glücksfall. Das merken wir oft erst,<br />

wenn wir sie überstanden haben.<br />

Wie glücklich sind Sie<br />

momentan, Maike van den Boom?<br />

Der Umzug nach Stockholm war<br />

schon anstrengend. Und ich habe<br />

noch ein paar lose Enden, die es zusammenzuknüpfen<br />

gilt …<br />

Wie schaffen Sie es, Ihr Wohlbefinden<br />

zu steigern, wenn es Ihnen<br />

mal nicht so gut geht?<br />

Ich höre zum Beispiel Musik.<br />

Zudem tun mir dann das Zusammensein<br />

und der Austausch mit nahen<br />

Menschen besonders gut. Oder ich<br />

versuche, an alles zu denken, was<br />

gut gelungen ist in meinem Leben.<br />

Dazu gibt es eine wunderbare Erfindung:<br />

rote Ampeln! In Deutschland<br />

habe ich immer beim Warten auf<br />

Grün überlegt, was alles gut läuft in<br />

meinem Leben, welche tollen Menschen<br />

ich um mich habe, anstatt<br />

mich über das Rotlicht zu ärgern. In<br />

Schweden klappt das weniger gut,<br />

weil hier Fussgänger meistens bei<br />

Rot über die Strasse gehen.<br />

Möchten Sie den Berner Lehrerinnen<br />

und Lehrern punkto Glück<br />

noch etwas mit auf den Weg geben?<br />

Lehrerinnen und Lehrer sind wahnsinnig<br />

wichtig für die Gesellschaft!<br />

Gleichzeitig sind sie total «unter ­<br />

wertgeschätzt» und unterbezahlt! Ich<br />

wünsche allen Lehrpersonen, dass<br />

sie es schaffen, jeden Tag aufs Neue<br />

stolz zu sein auf die riesige Aufgabe,<br />

die sie für die Gesellschaft erfüllen.<br />

www.maikevandenboom.de<br />

> Höchst Persönlich<br />

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