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MEDIAkompakt Ausgabe 26

Die Zeitung des Studiengangs Mediapublishing an der Hochschule der Medien Stuttgart

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DIE ZEITUNG DES STUDIENGANGS MEDIAPUBLISHING<br />

DER HOCHSCHULE DER MEDIEN STUTTGART AUSGABE 02/2019 04.07.2019<br />

media<br />

kompakt<br />

EIN EINZIGES HOCH<br />

BODY, S. 6<br />

RAUS INS UNGEWISSE<br />

HUMAN, S. 16<br />

HOMOS HALAL<br />

MIND, S. 27<br />

C L O S E


2<br />

EDITORIAL, INHALT, IMPRESSUM<br />

mediakompakt<br />

IMPRESSUM<br />

MEDIAKOMPAKT<br />

Zeitung des Studiengangs Mediapublishing,<br />

Hochschule der Medien Stuttgart<br />

HERAUSGEBER<br />

Prof. Christof Seeger<br />

Studiengang Mediapublishing<br />

Postanschrift: Nobelstraße 10<br />

70569 Stuttgart<br />

REDAKTION<br />

Reimund Abel (V.I.S.d.P.)<br />

E-Mail: abel@hdm-stuttgart.de<br />

ANZEIGENVERKAUF<br />

Monika Czechowski, Annika Fix, Hanna Gabler,<br />

Marco Hintermeier, Chiara Müller, Jennifer Strübel<br />

PRODUKTION<br />

Valentina Beltrame, Cecilie Etse, Lisa Fritz, Michele Galjamov,<br />

Helen Gleixner, Stefanie Häcker, Frauke Lippert,<br />

Benedikt Mugrauer, Antonia Plankenhorn, Laura Samardzija<br />

BILDREDAKTION<br />

Florian Wurm, Kathrin Briem<br />

MEDIANIGHT-TEAM<br />

Jessika Hädecke, Rebecca Kaluza, Stefanie Klein<br />

Jennifer Sultanow<br />

TITELBILD<br />

Freepik<br />

DRUCK<br />

Z-Druck Zentrale Zeitungsgesellschaft GmbH & Co. KG,<br />

Böblinger Straße 70, 71065 Sindelfingen<br />

ERSCHEINUNGSWEISE<br />

Einmal im Semester zur Medianight<br />

Liebe Leserinnen, liebe<br />

Leser,<br />

Ganz nah dran, very close: Mit dieser Umschreibung<br />

lassen sich alle Beiträge betiteln, die Sie in<br />

der aktuellen <strong>Ausgabe</strong> der <strong>MEDIAkompakt</strong> finden,<br />

der Nunmer <strong>26</strong>. Rein fachlich ist es ein studentisches<br />

Projekt am Ende des Mediapublishing-Studiums<br />

an der Hochschule der Medien.<br />

Das Ziel, alles Erlernte konkret anzuwenden.<br />

<strong>MEDIAkompakt</strong> ist ein Team-Projekt, nur als<br />

Mannschaft gelingt der Erfolg. Von der Konzeption<br />

des Hefts über die Akquise von Anzeigenkunden<br />

bis zum Layout und dem Vertrieb liegt<br />

alle Verantwortung bei den Studierenden. Apropos<br />

Anzeigen: Ohne ausreichende Werbeerlöse<br />

wäre auch die Nummer <strong>26</strong> niemals erschienen.<br />

Den Werbekunden sei daher besonders gedankt.<br />

Am besten, Sie gehen selbst auf Entdeckungstour.<br />

Reimund Abel, Chefredakteur<br />

INHALT<br />

Body<br />

3 Das ist doch nicht normal!<br />

4 Down, Set, Hut!<br />

6 Ein einziges Hoch<br />

8 Ein Athlet aus Leidenschaft<br />

10 Das Leben ist zu kurz, um den Bauch einzuziehen<br />

Human<br />

12 Pflegeroboter statt Pflegekollaps?<br />

13 Im Institut der künstlichen Augen<br />

14 Zwischen Dirndl und OP-Kittel<br />

16 Raus ins Ungewisse<br />

Future<br />

18 Sugar, oh honey honey<br />

19 Wo sind die Studenten?<br />

Mind<br />

20 Gefangen im Gedankenkarussell<br />

21 Wie wird ein Mensch zum Mörder?<br />

22 Leichen im Keller<br />

24 Mach‘ mal lieber langsam<br />

25 Start your day right!<br />

<strong>26</strong> Homos halal<br />

28 Wenn Flucht zu Freundschaft führt<br />

29 Hinter jeder starken Frau stehen starke Frauen<br />

30 Und wo kommst du WIRKLICH her?<br />

31 Gugg a mol na!<br />

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Die Thieme Gruppe ist marktführender Anbieter von Informationen und Services, die dazu<br />

beitragen, Gesundheit und Gesundheitsversorgung zu verbessern. Anspruch der Thieme Gruppe<br />

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2/2019 BODY<br />

3<br />

Das ist doch nicht normal!<br />

Mit voller Überzeugung betiteln wir Dinge, Situationen oder Personen als normal – oder eben<br />

nicht. Wer einmal darüber nachdenkt, wie oft dieses Wort im alltäglichen Gebrauch genutzt<br />

wird, dem fällt auf, dass es einem doch ziemlich schnell aus dem Mund rutscht.<br />

„Normal“ zu gebrauchen ist so normal wie. Ja, was eigentlich?<br />

VON FRAUKE LIPPERT<br />

Grafik: Frauke Lippert<br />

Man geht der Diskussion gerne aus<br />

dem Weg. Bewundert Menschen,<br />

die außerordentliche Talente haben<br />

und nimmt sich ein wenig<br />

zurück, wenn man etwas gut<br />

kann. Um nicht zu prahlen oder weil das eigene<br />

Talent gegenüber dem eines anderen wieder ziemlich<br />

klein aussieht. Die Maßstäbe sind hoch.<br />

Wenn man sich umschaut neigt man sehr dazu,<br />

sich selbst als normal zu betiteln. Und dazu, andere<br />

normal zu nennen. Oder sie eben als nicht normal<br />

zu bezeichnen. Immer mit einem unangenehmen<br />

Beigeschmack. Wer wäre man denn,<br />

Maßstäbe zu setzen über das, was normal und<br />

nicht normal ist?<br />

Auf der Suche nach einem Referenzwert verliert<br />

man sich im Dschungel der Literatur und im<br />

World Wide Web. Obwohl die Einbindung des Begriffes<br />

in unserer Gesellschaft selbstverständlich<br />

ist, scheint es keine fundierte, theoretische<br />

Grundlage des Normalen zu geben. Ist Normalität<br />

so abstrakt, dass sie sich nicht erklären lässt? Vielleicht<br />

gibt es keine Definition, weil eben nichts<br />

normal ist. Das wäre die einfachste Erklärung.<br />

nor·mal<br />

/normaìl/<br />

Adjektiv<br />

1a. der Norm entsprechend; vorschriftsmäßig<br />

1b. so [beschaffen, geartet], wie es sich die all<br />

gemeine Meinung als das Übliche, Richtige<br />

vorstellt<br />

Das sagt Google. Google zu fragen, ist normal,<br />

oder? Immerhin kann man hier gut erkennen,<br />

dass generell zwischen Normen, also den normalen<br />

Zuständen und Situationen in der Wissenschaft<br />

und dem Normal der Gesellschaft unterschieden<br />

werden muss. Wissenschaftliche<br />

Normale sind durch Gesetze festgelegt. Hier ist eine<br />

Abweichung gut identifizier- und bewertbar. In<br />

der Gesellschaft sieht es dahingegen etwas anders<br />

aus. Das Handeln der Menschen ist bis zu einem<br />

gewissen Grad bewertbar und durch juristische<br />

Normen geregelt. Wenn es jedoch um die einzelne<br />

Person geht– was ist dann normal? Darf man sich<br />

überhaupt herausnehmen, zu bewerten, was an<br />

dem Einzelnen normal ist und was nicht?<br />

Das Normalitätsspektrum dehnt sich mit dem<br />

Fortschreiten der Zeit aus. Sich immer schneller<br />

entwickelnde technische Innovationen, politische<br />

Entscheidungen und Diskussionen oder gesellschaftliche<br />

Bewegungen reihen sich an eine<br />

Anzahl von Faktoren, die dazu beitragen, dass<br />

Umstände, die vor ein paar Jahren noch „anders“<br />

erschienen, „normaler“ werden. Die Offenheit für<br />

Neues wird somit schon fast erzwungen, die Masse<br />

scheint von außen gesteuert. Die Neuheiten, die<br />

der Welt geboten werden sind nicht wirklich kontrollierbar.<br />

Dem Einzelnen bleibt nur übrig, mitzuziehen<br />

oder sich dagegen zu stellen. Vieles ist ja<br />

auch total sinnvoll! Einige Diskussionen, die heute<br />

geführt werden, wären schon vor Jahren angebracht<br />

gewesen, es war nur lange genug „normal“<br />

so zu leben, wie gelebt wurde. Ein kleines Gedankenwirrwarr,<br />

dass sich schlecht journalistisch formulieren<br />

lässt:<br />

Wenn es immer ein neues „normal“ gibt und das alte<br />

„normal“ quasi überschrieben wird, ist dann das alte<br />

„normal“ nicht mehr „normal“ oder vielleicht „unternor-<br />

mal“? Und ist dann alles, was vom neuen „normal“ abweicht<br />

nicht mehr „normal“ aber in ein paar Jahren<br />

dann „normal“ und ist dann das, was jetzt „normal“<br />

ist nicht mehr „normal“?<br />

Hä?<br />

Normalität scheint nicht greifbar zu sein, wenn<br />

neue Zustände immer wieder das neue „normal“<br />

werden. So verwirrend und schwierig es ist, sich<br />

mit der Normalität auseinanderzusetzen, so bleibt<br />

an dieser Stelle doch ein Gedanke hängen: Es<br />

scheint ein gesellschaftliches Normal zu geben,<br />

dass Zustände und Entwicklungen innerhalb einer<br />

Gesellschaft beurteilt. Und es scheint ein Normal<br />

zu geben, dass Menschen sich aus dem Bauch<br />

heraus gegenseitig geben. Wenn man nun darüber<br />

nachdenkt, die Betitelung eines Menschen als<br />

normal oder nicht-normal auch auf einen Zustand<br />

und die Fähigkeit, nicht aber auf die Person<br />

an sich zu beziehen, erklärt sich, warum wir so mit<br />

diesem Wort um uns schmeißen. Der Maßstab ist<br />

in einer solchen Situation niemand anders als<br />

man selber. Jemand, der von dem eigenen Können,<br />

den eigenen Fähigkeiten abweicht, erscheint<br />

uns als nicht-normal.<br />

Etwas richtig gut zu können ist schön. Die<br />

meisten Menschen sind eben keine Filmstars, Balletttänzer<br />

oder Hochleistungssportler. Aus der<br />

Sicht eines Anderen „nicht normal“ zu sein, kann<br />

einem dann irgendwie das Gefühl von Wertschätzung<br />

und Bewunderung geben. Aber wie tickt eigentlich<br />

die Mehrheit? Was mögen die Menschen<br />

an sich, wo sehen sie Talente und wen bewundern<br />

sie? Die Antworten der Umfrage sind oben bildlich<br />

festgehalten und geben einen Einblick in das<br />

Selbstbild von Menschen wie dich und mich.


4 BODY<br />

mediakompakt<br />

Down, Set, Hut!<br />

Es wird getackelt, geblockt, gerannt und die blauen Flecken und der Muskelkater<br />

gehören dazu, ebenso wie teilweise blöde Sprüche. Ein Artikel über die Liebe und<br />

Leidenschaft zum Sport und die Schattenseiten (als Frau) im American Football.<br />

VON LAURA SAMARDZIJA<br />

Jedes Jahr im Februar scharen sich Millionen<br />

Menschen vor dem Fernseher, nehmen<br />

teilweise sogar Urlaub am kommenden<br />

Tag und bleiben hier in Deutschland<br />

auch mal bis um 7 Uhr morgens wach um<br />

sich das größte Sportevent der Welt anzusehen,<br />

den Super Bowl. Spätestens dann werden auf You-<br />

Tube millionenfach kurze Erklär-Videos zu American<br />

Football geklickt oder es werden Spieler der<br />

beiden Final-Mannschaften gegoogelt, damit man<br />

einigermaßen mitreden kann und sich zumindest<br />

für einen Abend fühlt wie ein Kenner. Und dann<br />

kommt der Gänsehaut-Moment, wenn die Mannschaften<br />

mit Schall und Rauch im Hintergrund<br />

auf das Spielfeld des vollen Stadions rennen,<br />

schreiend, mit Muskeln oder Körperfett bepackt<br />

und vor Allem eins: Testosterongeladen. American<br />

Football boomt.<br />

In den USA ist der Sport schon seit Jahren DER<br />

Lieblingssport der Amerikaner, doch auch hier in<br />

Deutschland findet die vermeintlich komplizierte<br />

Sportart immer mehr Anhänger. Es etablieren sich<br />

Bild: Pixabay<br />

immer mehr Mannschaften und die Spieler- und<br />

Spielerinnenzahl steigt stetig. Spielerinnen? Ja, Sie<br />

haben richtig gelesen, es gibt auch Frauen, die<br />

Football spielen. „Aber das spielen doch nur Männer“<br />

oder „Da gibt es doch bestimmt viele Mannsweiber“<br />

sind nur zwei der vielen Kommentare die<br />

man als Frau hört, wenn man erzählt, dass man<br />

American Football als Hobby betreibt. Jedoch sind<br />

nicht nur diese Art von Kommentaren normal,<br />

auch Fragen wie „Habt ihr es schwerer als Männer<br />

in so einer Art Sport?“ werden häufig gestellt. Im<br />

Team fällt die Antwort auf diese Frage sehr eindeutig<br />

aus: Ja, Frauen haben es schwerer in der von<br />

Männern dominierten Sportart. Nicht selten<br />

kommt es vor, dass es zu wenig Coaches für die<br />

einzelnen Positionen gibt. Auch auf Vergütung<br />

müssen die Frauen verzichten ebenso wie auf Import-Spieler<br />

aus dem Ausland. Nichts desto trotz<br />

finden sich bei Männern ebenso wie bei Frauen<br />

auch Gemeinsamkeiten: Die Leidenschaft und die<br />

Liebe zum Spiel. Doch was macht American Football<br />

aus? Warum wird der Sport so geliebt? Die<br />

Antwort hierzu fällt ebenso eindeutig aus: „Die<br />

Mischung!“<br />

Also die Mischung aus Strategie, dem Auswählen<br />

der richtigen Spielzüge, die physische Spielweise<br />

und die unterschiedlichen Charaktere.<br />

Doch gerade die Kompliziertheit<br />

ist es, die den Sport so interessant<br />

macht, gleichzeitig aber<br />

auch viele potenzielle Neueinsteiger<br />

schnell in die Knie zwingt. Entscheidender<br />

Vorteil ist gegenüber anderen<br />

Sportarten, dass jeder Typ Frau<br />

(oder Mann) gebraucht wird. „Egal ob<br />

klein oder groß, ob dick oder dünn, für<br />

jede der 12 Positionen auf dem Feld muss<br />

eine andere physische Anforderung erfüllt<br />

werden“ hört man des Öfteren bei der Frage,<br />

warum Football nun besser und interessanter<br />

ist als andere Sportarten.<br />

Eins steht fest, wir stehen und werden<br />

immer im Schatten des Männer-<br />

Teams stehen. Gibt es denn noch<br />

weitere Nachteile? „Die Ausrüstung!“<br />

Damit sich die Verletzungen<br />

gerade bei harten Tackles in Grenzen<br />

halten, muss man sich doch<br />

ganz schön dick einpacken. Neben<br />

den Stollen schuhen müssen<br />

die Spielerinnen auch eine so genannte<br />

Girdle-Pant tragen.<br />

Das ist eine eng anliegende<br />

Hose, die unter der ‚normalen‘ Hose getragen<br />

wird und die Knie, Oberschenkel, Hüfte und<br />

das Steißbein schützt. Auch zur Ausrüstung gehören<br />

natürlich die bekannten Schulterpolster, auch<br />

Shoulder Pads genannt, die den Brustbereich und<br />

die Schultern absichern, der Helm mit Mundschutz<br />

um das wichtigste Organ, den Kopf, auf<br />

dem Spielfeld zu schützen. Nicht nur dass es einiger<br />

Anstrengung erfordert, sich im Training vollständig<br />

anzukleiden und danach wieder auszuziehen,<br />

alles in allem muss man für eine komplette<br />

Ausrüstung auch richtig viel Geld blechen. Angefangen<br />

bei 500/600 Euro sind nach oben hin keine<br />

Grenzen gesetzt. Aber das ist für die Spielerinnen<br />

kein Grund, den Sport aufzugeben.<br />

Zurzeit gibt es in Deutschland ungefähr 55 Damenmannschaften<br />

und noch einige weitere, die<br />

sich zurzeit im Aufbau befinden. Das mag für einen<br />

so exotischen Sport vielleicht viel klingen, jedoch<br />

gibt es vergleichsweise aktuell fast 6000 Damen-Fußballmannschaften<br />

in Deutschland. Stellt<br />

man diese beiden Zahlen gegenüber, merkt man<br />

schnell, dass Frauen und Football nach wie vor<br />

zwei Begriffe sind, die meistens nicht in eine<br />

Schublade gesteckt werden. Dennoch gibt es auch<br />

für diese kleine Anzahl an Mannschaften schon einen<br />

eigenen Ligabetrieb, der sich stetig erweitert<br />

und wächst. Die höchste Liga, in der auch die Damen<br />

der Stuttgart Scorpions spielen, nennt sich<br />

GFL (German Football League). Um lange Reisen<br />

aufgrund fehlender Gelder zu vermeiden, teilt<br />

man die GFL in Nord und Süd auf, wobei zum Süden<br />

laut GFL auch noch Köln gehört. Unter der<br />

GFL kommt dann wie im Fußball auch die zweite<br />

Bundesliga, also die GFL 2, aufgeteilt in Nord, Süd-<br />

Ost, Süd-West und West. Danach kommen die Regionalligen<br />

der einzelnen Bundesländern. Schaut<br />

man sich die Jahreszahlen an, merkt man schnell,<br />

wie neu die Sportart in Deutschland überhaupt ist:<br />

>1987 wurde das erste Footballspieler zwischen<br />

Damen in Deutschland ausgetragen<br />

>1990 erste Frauenliga mit 6 Teams<br />

>Seit 1992 wird das Ladies Bowl Endspiel der<br />

GFL ausgetragen<br />

>Seit 2010 gibt es alle 4 Jahre Weltmeisterschaften<br />

(USA ist der amtierende Weltmeister)<br />

>2015 wurde die bisher erste und einzige Europameisterschaft<br />

in Spanien ausgetragen, in der<br />

Deutschland dritter wurde<br />

Frauenfootball steckt noch in Kinderschuhen,<br />

das merkt man schnell. Oftmals zu wenig<br />

Coaches, keine Spielerinnen aus dem Ausland,<br />

keine Vergütung. Doch hält es die Frauen davon<br />

ab, Football zu spielen? Nein, absolut nicht. Die<br />

Leidenschaft bleibt und wächst mit jedem Training,<br />

jedem gewonnen Spiel und mit jeder weiteren<br />

verletzungsfreien Saison. Touchdown!


2/2019 BODY<br />

5<br />

Grafik: Laura Samardzija<br />

How to: American Football<br />

DEFENSE<br />

Free Safety<br />

Der Free Safety muss zu Beginn die Aufstellung<br />

der gegnerischen Mannschaft lesen und die Spielzüge<br />

erahnen, um ‚tiefe Pässe‘ des Quarterbacks<br />

abzufangen. Er unterstützt somit die Cornerbacks.<br />

Strong Safety<br />

Der Strong Safety steht auf der starken Seite<br />

(„Strong Side“) der gegnerischen Mannschaft, da<br />

sich hier der Tight End befindet und somit auf<br />

dieser Seite mehr Spieler stehen. Er soll das Laufspiel<br />

der Offensive stören.<br />

Linebacker<br />

Linebacker werden unterschieden in Middle Linebacker<br />

und Outside Linebacker. Sie verteidigen<br />

hinter der Defensive Line und attackieren ebenso<br />

den Quarterback oder Ballträger.<br />

Cornerback<br />

Die Cornerbacks befinden sich auf beiden Außenseiten<br />

des Feldes und verteidigen die gegnerischen<br />

Wide Receiver und andere Ballempfänger<br />

entweder durch Manndeckung oder Zonendeckung.<br />

Defensive End und Defensive Tackle<br />

Defensive Tackles und Ends bilden die so genannte<br />

Defensive Line und haben zum Ziel den Quarterback<br />

zu Boden zu bringen („Quarterback Sack“)<br />

oder den Ballträger zu attackieren.<br />

OFFENSE<br />

Wide Receiver<br />

Die Hauptaufgabe des Wide Receivers ist das Passempfangen<br />

des Quarterbacks oder eines anderen<br />

Passgebers. Bei Laufspielzügen blockt er den Cornerback,<br />

um die Route frei zu halten.<br />

Right/Left Tackle und Right/Left Guard<br />

Center<br />

Tackles,Guards und Center sind Spieler der so genannten<br />

Offensive Line, die den Verteidiger aufhalten<br />

müssen, um so dem Quarterback mehr Zeit<br />

zu verschaffen oder sie blocken Lücken, damit der<br />

Ballträger durchkommt. Der Center muss zu Beginn<br />

jedes Spielzugs dem Quarterback durch einen<br />

‚Snap‘ den Ball übergeben.<br />

Tight End<br />

Kann sowohl als Ballempfänger (wie Wide Receiver)<br />

als auch ein zusätzlicher Vorblocker in der<br />

Offensive Line dienen.<br />

Quarterback<br />

Der Quarterback ist der ‚Spielmacher‘ und Kopf<br />

der Offense. Mögliche Spielzüge sind den Ball an<br />

einen Runningback zu übergeben, an einen Wide<br />

Receiver oder Tight End zu passen oder auch selber<br />

zu rennen.<br />

Fullback und Halfback<br />

Der Fullback blockt für den Halfback den Weg<br />

frei, damit dieser mit dem Ball so viel Raumgewinn<br />

wie möglich erlaufen kann.<br />

Grundgedanke: Raumgewinn<br />

Teams: 2<br />

Länge: 4 x 15 Minuten (Oder 10 in unserem Fall)<br />

Gewinner: Das Team mit den meisten Punkten<br />

Spieler: Die Offense besteht aus 11 Spielern, ebenso<br />

wie auch die Defense<br />

Punkte: Touchdown, Ball in der Endzone (6 Punkte)<br />

Field Goal (3 Punkte)<br />

Point after Touchdown PAT (Kick 1 Punkt, ausspielen<br />

eines weiteren Spielzuges 2 Punkte)<br />

Möglichkeiten: Die Offense kann durch Werfen<br />

oder Laufen Raumgewinn erreichen, der im Optimalfall<br />

zu Punkten führt.<br />

Versuche: Die Offense hat 4 Versuche, einen<br />

Raumgewinn von 10 Yards oder mehr zu erlangen.<br />

Schafft sie dies, erhält sie 4 neue Versuche.<br />

Schafft sie es nicht, geht das Angriffsrecht an den<br />

Gegner.<br />

Defense: Die Defense versucht, die Offense am<br />

Punkten zu hindern und gegebenenfalls selber in<br />

Ballbesitz zu kommen, um Punkte zu erzielen.


6<br />

BODY<br />

mediakompakt<br />

Ein einziges Hoch<br />

Bild: Carlos Quezada<br />

Noch vor wenigen Wochen glänzte Fabio Adorisio mit seiner Eleganz und Energie auf der<br />

Bühne des Stuttgarter Balletts. Doch nun zwingt ihn sein verletztes Sprunggelenk eine<br />

Pause einzulegen. Wieso er trotzdem glänzt wie noch nie, verrät er im Interview.<br />

VON HANNA GABLER<br />

Dem Rhythmus und Glücksrausch völlig<br />

ergeben, tanzt der 24-Jährige ein<br />

Solo im Stück „One of a Kind“ des<br />

weltbekannten Choreografen Jirí Kylián.<br />

Plötzlich muss er jedoch die<br />

Bühne verlassen. Er ist verletzt und muss später<br />

operiert werden.<br />

Die Krücken noch in der Hand, das Bein auf einen<br />

Stuhl hochgelegt, sagt Fabio dazu unerwartet<br />

entspannt: „Ich habe schon Wochen davor gespürt,<br />

dass etwas mit meinem Fuß nicht stimmt.<br />

Diese Pause tut mir jetzt also ganz gut.“ Wer hier<br />

nach schlechter Laune oder Selbstmitleid sucht,<br />

sucht vergeblich.<br />

Der in Italien geborene Tänzer macht sich keine<br />

Sorgen über sein Aussetzen im aktuellen Spielplan.<br />

Als Ballett-Tänzer könne er seinen Körper<br />

sehr gut einschätzen und spürt, dass es ihm jeden<br />

Tag bessergeht. Schon als Kind war er selbstsicher<br />

und hatte ein großes Vertrauen in sein Tun, erinnert<br />

er sich. Er arbeitet hart für seinen Lebenstraum.<br />

Begonnen hat alles mit der stärksten Frau<br />

in seinem Leben, seiner Mutter, die selbst Tänzerin<br />

ist. Als sie ihn mit zu<br />

Proben nahm, tanzte er<br />

„Mit sechs Jahren<br />

wusste ich ganz<br />

genau, dass ich<br />

Ballett-Tänzer<br />

werden möchte.“<br />

selbstverloren, aber geschickt<br />

auf der Bühne. Darauf<br />

meldete sie ihn bei einer<br />

Tanzschule an. „Schon<br />

in der ersten Stunde habe<br />

ich gemerkt, dass sich Ballett<br />

einfach wie meine<br />

Welt anfühlt.“ Seine Welt?<br />

Wie sah die denn aus?<br />

Der kleine Fabio Adorisio<br />

hatte als Kind viel Ehrgeiz,<br />

Ausdauer und immer Lust auf Neues. Das<br />

Tanzen war eine ganz neue Herausforderung für<br />

ihn. Und vollkommen anders, als alles, was er zuvor<br />

ausprobiert hatte. „Als Kind war das schwierigste<br />

für mich, Disziplin zu halten. Man muss immer<br />

fokussiert bleiben und sich stetig verbessern.<br />

Körper und Geist müssen gleichermaßen trainiert<br />

werden“, sagt er streng.<br />

Langer Hals. Blick nach<br />

vorn. Schultern herunter.<br />

Po herein. Hüften und Füße<br />

nach außen. Weiche<br />

Arme und keine hängenden<br />

Ellenbogen! Jeder Millimeter<br />

des Körpers soll<br />

kontrolliert werden können.<br />

Daher gilt: Je früher<br />

mit Ballett begonnen<br />

wird, desto besser. Denn<br />

nur mit den Grundlagen<br />

kann der Körper später zur Höchstform trainiert<br />

werden.<br />

„Doch die Technik ist nicht alles“, wirft Fabio<br />

ein, „es geht darum, seine eigene Persönlichkeit


2/2019 BODY<br />

7<br />

beim Tanzen auszudrücken. Eine Choreografie<br />

soll vom Tänzer nicht nur dekoriert, sondern definiert<br />

werden.“ Dabei spielen bereits die Haltung<br />

und der Blick eine wichtige Rolle. Die Zuschauer<br />

sehen, ob der Tänzer „nur“ steht oder ob er mit einer<br />

Intention steht und etwas vermitteln möchte.<br />

Der Direktor der John Cranko Schule, Tadeusz<br />

Matacz, sah in jedem Fall etwas in Fabio Adorisio,<br />

als er vor zehn Jahren in Stuttgart vortanzte. „Als<br />

ich mich bewarb, wusste ich über das hohe Ansehen<br />

und Niveau der Schule Bescheid“, sagt er. Der<br />

damals 15-Jährige erhielt direkt nach dem Probetraining<br />

eine Zusage für die Ballettausbildung an<br />

der John-Cranko-Schule, einer der berühmtesten<br />

Ballettschulen der Welt.<br />

Noch am selben Tag organisierte sich der<br />

Teenager ein Zimmer und den Umzug nach Stuttgart.<br />

„Ich war frei und konnte tun was ich wollte“,<br />

erzählt er lächelnd. Doch dieser neue Abschnitt in<br />

seinem Leben war ein großer Schritt. Er entschied<br />

sich endgültig für eine professionelle Tanzkarriere,<br />

wohnte, kochte und organisierte seinen Alltag<br />

selbst. Am Vormittag besuchte er den normalen<br />

Schulunterricht, von 14 bis 20 Uhr trainierte er.<br />

„Es war eine harte Zeit,<br />

„Und plötzlich hat<br />

sich an einem Tag<br />

mein ganzes Leben<br />

verändert.“<br />

aber ich habe genau das<br />

getan, was ich liebe und<br />

das hat mir enorme Kraft<br />

gegeben.“<br />

Nach zwei Jahren<br />

schloss Fabio seine Ausbildung<br />

ab und wurde in der<br />

Spielzeit 2013/2014 in die<br />

Compagnie übernommen.<br />

Sein Aufstieg war steil und so scheint es auch<br />

weiterzugehen. Im vergangenen Jahr beförderte<br />

ihn Reid Anderson zum Halbsolisten. „Ich denke,<br />

ich fiel durch meine harte Arbeit auf“, sagt der<br />

Tänzer, der bereits als Schüler eigene Werke choreografierte.<br />

Mit seinen eigenen Arbeiten hat sich Fabio in<br />

der Szene bereits einen Namen gemacht. Der Ballettintendant<br />

bot ihm letztes Jahr an, eine eigene<br />

Choreografie für den wichtigen Ballettabend „Die<br />

Fantastischen Fünf“ zu entwickeln. Ein Jahr zuvor<br />

präsentierte er in New York „Blind Thought“. Die<br />

Idee zu diesem eindringlichen Werk hatte Fabio,<br />

nachdem er die Skulptur „Flow“ der Künstlerin<br />

Satako gesehen hatte. „Ich mag die Konfrontation<br />

zwischen zwei Menschen, deswegen greife ich<br />

gern die Beziehung zwischen ihnen auf.“<br />

Wenn er selbst tanzt, bevorzugt er lustige Rollen,<br />

die das Publikum zum Lachen bringen, „auch<br />

wenn das die schwierigste Disziplin ist“, gibt Fabio<br />

zu. Ihm wurden schon einige Solorollen, z. B.<br />

in „Don Quijote“ und „La fille mal gardée“ anvertraut.<br />

„Wenn sich der Vorhang öffnet, lasse ich<br />

mich von meinen Gefühlen leiten. In diesem Moment<br />

weiß ich ganz genau, was ich dem Publikum<br />

zeigen möchte“, schwärmt er.<br />

Hinter dieser Hingabe steckt für Nicht-Balletttänzer<br />

ein Mysterium. Warum tut man sich das alles<br />

an? Das Hochgefühl beim Tanzen lässt sich<br />

schwer beschreiben, doch er versucht es: „Für<br />

mich ist Ballett wie eine Reise.“ „Man öffnet sich<br />

und teilt einen einzigartigen Moment mit dem<br />

Publikum. Ich bin verletzlich,<br />

angreifbar und kann<br />

andere mitfühlen lassen,<br />

was ich durchlebe.“<br />

Ist es nicht das, um<br />

was es im Leben geht? Ist<br />

es für uns alle nicht essenziell,<br />

dass unsere Gefühle<br />

von anderen wahrgenommen<br />

und verstanden werden,<br />

auch wenn man sie nicht so recht in Worte<br />

fassen kann? Das Zusammenspiel von Tanz, Musik,<br />

Bühnenbild und Beleuchtung entführt in eine<br />

Welt, die ästhetischer und poetischer nicht sein<br />

könnte. Vielleicht ist es dieser unsichtbare rote Faden,<br />

der alles stimmig aussehen lässt und die Faszination<br />

der Ballettwelt ausmacht. Fabio lebt diese<br />

Faszination. Mit jeder Faser seines Körpers.<br />

BIOGRAPHIE<br />

Fabios Start ins Ballett<br />

Ivrea, Italien 2001: Ballettunterricht an der<br />

privaten Ballettschule Accademia di Danza e<br />

Spettacolo<br />

Florenz, Italien 2009: Wechsel zur Ballettschule<br />

Balletto di Toscana<br />

Ivrea 2010: Erster Platz bei Prix De Danse Accademia<br />

Stuttgart 2011-2013: Abschluss an der John<br />

Cranko Schule<br />

Fabios Aufstieg nach der Ausbildung im<br />

Stuttgarter Ballett<br />

13/14 Eleve: Erste Erfahrungen in der Compagnie<br />

14/15: Corps de ballet: Gruppentänze<br />

18/19: Halbsolist: Wichtige Solorollen<br />

Neues von Fabio Adorisio<br />

Ballettabend „Creations I – III“:<br />

Uraufführung seiner neuen Choreografie am<br />

30.11.2019<br />

Bild: Stuttgarter Ballett<br />

Bild: Stuttgarter Ballett


8<br />

BODY<br />

mediakompakt<br />

Ein Athlet aus Leidenschaft<br />

Bild: bodyXtreme.de<br />

Der Wettkampf-Athlet Tim<br />

Huber erzählt, mit welchen<br />

Klischees er umgehen muss<br />

und was wichtig ist, um seine<br />

Ziele zu erreichen.<br />

VON MICHELE GALJAMOV<br />

Sobald er einen Raum betritt, zieht er die<br />

Blicke auf sich. Tim Huber, <strong>26</strong>, ist alles<br />

andere als unauffällig. Groß, breit und<br />

muskelbepackt hebt er sich von der<br />

Masse ab.<br />

Seit sieben Jahren macht er Bodybuilding.<br />

Letztes Jahr war seine erste Wettkampf-Saison.<br />

Sein Leben ist geprägt von Trainingseinheiten und<br />

mehreren Mahlzeiten am Tag. Vier Mal die Woche<br />

geht er in seiner Off-Season trainieren. Was viele<br />

Menschen nicht immer nachvollziehen können,<br />

ist für ihn Alltag. Seit er mit 19 Jahren beschlossen<br />

hat, mit Bodybuilding anzufangen, hat sich für<br />

ihn sehr viel verändert. „Mein Aussehen, mein<br />

Körpergefühl, mein Selbstbewusstsein, alles hat<br />

sich gewandelt“, sagt er.<br />

Heute wiegt er um die 40 Kilogramm mehr als<br />

früher. Auf viele Dinge habe er verzichten müssen,<br />

um dahin zu kommen, wo er jetzt ist. Im Herbst<br />

2018 hatte er sein Bühnen-Debüt auf der int.<br />

Deutschen Newcomer-Meisterschaft und wurde<br />

Erster in seiner Klasse „Classic Bodybuilding“.<br />

„Bodybuilding auf Wettkampf-Niveau zu betreiben,<br />

erfordert viel Disziplin und bringt die ein<br />

oder andere Einschränkung mit sich. Ich habe<br />

wirklich überlegen müssen, ob ich nächstes Jahr<br />

wieder starten will.“ Nach seinem letzten Wettkampf<br />

der Herbst-Saison konzentrierte er sich bis<br />

auf Weiteres auf seine Freunde und seine Familie.<br />

Vieles wird jetzt erst mal wieder nachgeholt.<br />

Für die Wettkampfvorbereitung hat er seinen<br />

Coach. Der ehemalige Bodybuilder Spiros Memos<br />

hat schon viele erfolgreiche Athleten vorbereitet.<br />

Er erstellt nicht nur die vielen Ernährungs- und<br />

Trainingspläne, sondern ist auch Tims Motivator.<br />

„Gegen Ende der Diät verliert man zunehmende<br />

die Fähigkeit sich selbst einzuschätzen. Die eigenen<br />

Fortschritte werden nicht mehr wahrgenommen,<br />

Zweifel treten auf. Mein Coach war immer<br />

für mich da und hat mir gezeigt, was ich nicht<br />

mehr gesehen habe“, sagt er.<br />

Aber auch wenn er seinen<br />

Coach hat, wird er nicht einfach<br />

blind alles machen, was dieser<br />

sagt. Entgegen der kursierenden<br />

Klischees, dass die meisten Bodybuilder<br />

nichts Anderes täten, als<br />

nur dumm zu „pumpen“, ist die<br />

Auseinandersetzung und das Verständnis für Themen<br />

wie Ernährung, Übungsausführung oder Regeneration<br />

für Tim Huber besonders wichtig. Es<br />

stecke sehr viel hinter diesem Sport. Er habe viel<br />

gelesen und nach Erkenntnissen anderer Athleten<br />

gefragt. Mit den Jahren machte er durch Verletzungen<br />

seine eigenen Erfahrungen.<br />

Wie lange er Bodybuilding auf Bühnen-Niveau<br />

betreiben möchte, wisse er noch nicht. Denn dass<br />

das schwere Training und die Entwässerung für<br />

seinen Körper Folgeschäden mit sich bringe, sei<br />

ihm klar. Mit seinem besten Freund, einem Arzt in<br />

Tübingen, tausche er sich deshalb regelmäßig aus.<br />

„Kraftsport machen kann jeder. Um wirklich erfolgreich<br />

zu sein, muss man über seine Grenzen<br />

gehen.“ Gewisse körperliche Einschränkungen<br />

nehme er deshalb dafür in Kauf.<br />

Außerdem besteht die Möglichkeit psychische<br />

Störungen zu bekommen – in der Bodybuilding-<br />

Szene ist das leider keine Seltenheit. So können<br />

„Mein Coach<br />

war immer für<br />

mich da.“<br />

zum Beispiel nach einer abgebrochenen Wettkampfvorbereitung<br />

Depressionen und eine verzerrte<br />

Selbstwahrnehmung eintreten. Einige der<br />

Athleten entwickeln eine Essstörung und lassen<br />

sich irgendwann in einer psychiatrischen Klinik<br />

einweisen, weil sie sich nicht mehr zu helfen wissen.<br />

Deshalb sei es wichtig, offen über Probleme<br />

zu sprechen und notfalls professioneller Hilfe anzunehmen.<br />

Bodybuilding ist vor allem ein Extremsport.<br />

Während der Diät kommt der Körper in einen sehr<br />

extremen Zustand. Entscheidend ist jetzt die Vorbereitung<br />

durchzuhalten. Der<br />

Sport verlangt einem viel ab und<br />

ist nicht immer gesund. Enorm<br />

wichtig sei es jetzt Unterstützung<br />

und Verständnis von Freunden<br />

und Angehörigen zu erhalten.<br />

„Jeder kennt das. Ist man hungrig,<br />

kriegt man schlechte Laune.<br />

Im Laufe der Diät wird es noch schlimmer. Das<br />

muss jemand aushalten wollen!“<br />

Die beste Erfahrung, die er in der vergangenen<br />

Wettkampfsaison gemacht habe, war, seine Kür<br />

vor Publikum vorzuführen. Tim Huber erinnert<br />

sich. „Die Musik geht aus. Deine Kür ist zu Ende.<br />

Der Applaus, den du in diesem Moment hörst, gilt<br />

allein dir, deiner harten Arbeit, deiner Leistung.”<br />

Das war der Moment, in dem er die Belohnung für<br />

all seine aufgebrachte Disziplin erhalten habe.<br />

Wahnsinnig gefreut habe er sich, als dann seine<br />

ganze Familie beim Internationalen Rhein-Neckar-Pokal<br />

dabei war. Vor allem sein sechs Jahre<br />

alter Sohn habe von allen im Publikum am lautesten<br />

gejubelt und geklatscht. „Ich habe ihn von der<br />

Bühne aus kaum gesehen. Aber als er Papa gerufen<br />

und laut gejubelt hat, habe ich ihn gehört.“ Er habe<br />

die anderen Leute im Publikum angesteckt seinen<br />

Papa auf der Bühne anzufeuern. Ein Moment,<br />

den Tim Huber nie vergessen wird.


2/2019 BODY<br />

9<br />

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10 BODY<br />

mediakompakt<br />

Quelle: Kim Hoss & Jeanette bak photography<br />

Das Leben ist zu kurz,<br />

um den Bauch einzuziehen!<br />

Von „Ich hasse mich“ zu „Ich liebe meinen Körper“. Mit den Bauchfrauen aus Stuttgart<br />

in ein selbstbewussteres Leben mit Tipps für ein gutes Bauchgefühl.<br />

VON JESSIKA HÄDECKE<br />

Hast du dich jemals im Spiegel angeschaut<br />

und gesagt: Du bist schön!<br />

Nein? Dann wird es nun Zeit dafür!<br />

Die Gesellschaft zeigt uns jeden Tag<br />

wie wichtig es ist, perfekt zu sein.<br />

Perfekter Körper, makellose Haut, langes seidiges<br />

Haar. Doch wer definiert, was perfekt ist? Der<br />

Druck ist groß, aber was wirklich zählt, vergessen<br />

wir. Uns selbst.<br />

Sandra Wurster wollte gegen diesen Druck und<br />

die Selbstzweifel etwas unternehmen. Doch wie<br />

kommt man dagegen an? Sandra Wurster ist gelernte<br />

Tanzpädagogin und arbeitet bereits seit<br />

zehn Jahren in diesem Beruf. In dieser Zeit durfte<br />

sie die unterschiedlichsten Frauen kennenlernen.<br />

Doch irgendwann war ihr das nicht mehr<br />

genug. Sie gründete das Modelabel Bauchfrauen.<br />

In Tanzworkshops, Vorträgen zum Thema Selbstliebe<br />

und Selbstbewusstsein, sowie mit ihrem Modelabel,<br />

will sie die „Love your Belly“-Botschaft in<br />

die Welt hinaustragen. Damit ist tatsächlich auch<br />

jeder Bauch gemeint. Ob dick, dünn, Falten, Narben,<br />

männlich oder weiblich. Bei den Bauchfrauen<br />

ist jeder willkommen, der einen Bauch hat.<br />

Und diesen hat ja bekanntlich jeder.<br />

Seit vergangenem Jahr wird Sandra von der<br />

Bauchfrau und Kommunikationsdesignerin Kim<br />

Hoss unterstützt. Nicht nur in der Gestaltung und<br />

Grafik, sondern auch als fester Bestandteil im<br />

Bauchfrauen-Team ist Kim bei den Workshops dabei<br />

und gemeinsam mit Sandra füllt sie die Social-<br />

Media-Kanäle mit Inhalt. Die beiden waren bereits<br />

im Vorjahr mit ihren Workshops<br />

in Stuttgart sehr erfolgreich und<br />

möchten deshalb in diesem Jahr<br />

mit einer Tour durch ganz an<br />

diesen Erfolg Deutschland anknüpfen.<br />

Nicht nur das Tanzen<br />

und Vorträge halten sind Teil der<br />

Arbeit bei den Bauchfrauen.<br />

Seit 2019 ist Sandra Autorin.<br />

Ihr erstes Buch „Das Leben ist zu kurz, um den<br />

Bauch einzuziehen“, ist im Stuttgarter Trias-Verlag<br />

erschienen. Wir haben ihre Buchparty im<br />

„Schmachtfetzen“, eine 50er-Jahre-Boutique im<br />

Westen Stuttgarts besucht.<br />

Es ist volles Haus. Unterschiedlichste Frauen<br />

und Männer kommen zusammen, um Sandra zu<br />

lauschen. Sie liest aus ihrem Buch vor, gibt Bauchtipps<br />

und plädiert für ganz viel Selbstliebe. Beson-<br />

Unsere größten<br />

Problemzonen<br />

sind unsere<br />

Gedanken!<br />

ders toll: Sandras Handy erinnert sie jeden Tag mit<br />

einer Mitteilung um 12 Uhr: Du bist wertvoll!<br />

Doch woher kommt der Druck zum perfekten<br />

Körper. Warum sollte man zu den Bauchfrauen gehören?<br />

In den sozialen Medien, im Fernsehen und<br />

auf Werbeplakaten wird ein Idealbild der Frau vermittelt.<br />

Das jedoch nicht jede so aussehen kann,<br />

ist logisch. Für die Frauen ist es<br />

Folter. Sie vergleichen sich mit<br />

anderen und glauben, sie wären<br />

nicht gut, so wie sie sind.<br />

Bereits jungen Mädchen<br />

wird vorgemacht, wie Frauen<br />

auszusehen haben. So entsteht<br />

dann leider ein sehr negatives,<br />

verzerrtes und ungesundes Körperbild<br />

von einem selbst. Dieser Eindruck kann<br />

schon im jugendlichen Alter viel Schaden anrichten.<br />

Und der Schmerz bleibt.<br />

Im Erwachsenenalter kostet es viel Energie ein<br />

kaputtes Selbstbild wieder zu reparieren und sich<br />

selbst anzunehmen. Die Energie sollte eher dafür<br />

genutzt werden, sich selbst wieder zu wertschätzen.<br />

Denn jede Frau ist einzigartig, wertvoll und<br />

etwas ganz Besonderes.


2/2019 BODY<br />

11<br />

TIPPS<br />

1. Sich selbst Komplimente geben<br />

Nicht nur fürs Äußere. Sondern auch für<br />

den eigenen Mut, die Intelligenz, Empathie<br />

und das eigene Selbstbewusstsein.<br />

2. Kleidung soll Spaß machen<br />

Miederhosen müssen draußen bleiben!<br />

Eigenen Stil finden und Anziehen was<br />

gefällt, das macht auf Dauer glücklicher.<br />

3. Keine Komplimente zur Gewichtsabnahme<br />

Mache keine negativen oder positiven<br />

Bemerkungen, wenn jemand zu- oder<br />

abgenommen hat. Jeder ist genau richtig<br />

wie er ist und da sind ein paar Kilo<br />

völlig irrelevant.<br />

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Quelle: Kim Hoss & Jeanette bak photography<br />

Die Bauchfrauen wollen durch ihr Engagement<br />

helfen äußere, aber auch innere Barrieren<br />

abzubauen und Frauen Werkzeuge mitzugeben,<br />

damit diese lernen sich wieder besser zu fühlen.<br />

Sie sollen Methoden entwickeln, sich so wertzuschätzen,<br />

wie sie sind.<br />

Die gesellschaftliche Norm des Perfektionismus<br />

soll nicht in ihr Leben eindringen. Sandra<br />

und Kim wünschen sich einen Wandel der gängigen<br />

Schönheitsideale. Sich selbst zu lieben und als<br />

genug zu empfinden, ist ein Prozess, der nicht sofort<br />

gelingen kann. Jedoch sind genau solche<br />

Streiterinnen wie die Bauchfrauen wichtig, um<br />

Gleichgesinnten einen anderen, besseren Weg zu<br />

vermitteln. Frauen sollten Frauen unterstützen.<br />

Die Bauchfrauen leben nach dem Motto: „Statt<br />

darauf zu warten, dass sich etwas verändert, verändere<br />

Du was!“<br />

4. Höre auf deinen Bauch einzuziehen!<br />

Denn das macht nur eins: Bauchschmerzen.<br />

Das ist weder angenehm, noch gesund.<br />

5. Lass dir nichts verbieten!<br />

Iss was du willst und auf was du Lust<br />

hast. Esse keinen Salat oder trinke<br />

Smoothies nur, weil jemand sagt, das<br />

macht dünner oder ist gesünder. Das ist<br />

weder angenehm, noch gesund.<br />

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12<br />

HUMAN<br />

mediakompakt<br />

Pflegeroboter statt Pflegekollaps<br />

Hirngespinst oder schon Alltag? Roboter sollen eine Lösung<br />

für den Pflegenotstand sein. Doch wie sollten Maschinen<br />

älteren Menschen gegenübertreten, damit sie als<br />

Helfer akzeptiert werden?<br />

VON STEFANIE KLEIN<br />

Im Jahr 2017 veröffentlichte die Weltgesundheitsorganisation<br />

WHO Zahlen, die voraussagen,<br />

dass sich der Anteil der über 60-Jährigen<br />

bis zum Jahr 2050 verdoppeln wird.<br />

Durch den demografischen Wandel steigt<br />

nicht nur die Zahl älterer und pflegebedürftiger<br />

Menschen, sondern auch die Nachfrage an Pflegeund<br />

Betreuungsberufen. Heute fehlen bereits<br />

mehr als 50.000 zusätzliche Arbeitskräfte in deutschen<br />

Pflegeberufen. Da überrascht es nicht, dass<br />

Künstliche Intelligenz (KI), Deep-Learning-Systeme<br />

und Mensch-Maschine-Interaktionen ihren<br />

Platz im Gesundheitswesen gefunden haben. Sie<br />

wirken dem zunehmenden Fachkräftemangel entgegen<br />

und liefern bereits Lösungen. Der Einsatz<br />

von Robotern in der Altenpflege ist keine ferne Zukunftstheorie,<br />

sondern Realität.<br />

Wir entsperren Smartphones per Gesichtserkennung,<br />

fragen Siri, wie das Wetter wird und lassen<br />

uns Witze von einer leicht blechern klingenden<br />

Stimme namens Alexa erzählen. Wie<br />

selbstverständlich integrieren wir KI und digitale<br />

Assistenten in unseren Alltag. Privatsphäre, Überwachung<br />

oder ethische Bedenken – keine Spur.<br />

Doch wie sieht dieses Verhalten bei älteren Menschen<br />

aus? Wie gehen sie mit KI um? Wollen sie<br />

sich im Alter von einem Pflegeroboter betreuen<br />

oder maschinell untersuchen lassen? Vertrauen<br />

wir zukünftig dem datenbasierten Urteil eines Roboters<br />

mehr als dem eines erfahrenen Arztes, der<br />

uns schon als Kind behandelt hat?<br />

Eine Umfrage verdeutlicht, wie unterschiedlich<br />

der Begriff Roboter wahrgenommen wird.<br />

Allein 70 Prozent denken an bizarre Zukunfts -<br />

szenarien wie den Terminator. Ein befremdlicher<br />

Gedanke, von einem Terminator gepflegt zu werden?<br />

Könnten Charaktere aus Science-Fiction Filmen<br />

wie iRobot, Ex Machina oder Terminator, in<br />

denen Maschinen die Kontrolle über Menschen<br />

erlangen, Auslöser für eine skeptische Haltung gegenüber<br />

Robotern sein?<br />

Matthias Peissner vom Fraunhofer-Institut für<br />

Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) in Stuttgart<br />

ist überzeugt, dass im medizinischen Bereich<br />

keine KI einen Menschen ersetzen kann. „Es wird<br />

immer eine menschliche Instanz geben, die KI<br />

wird allerdings die Produktivität steigern und die<br />

Lebensqualität in vielerlei Hinsicht bereichern.“<br />

Wie sollten Pflegeroboter interagieren und<br />

aussehen, damit sie als sozialer Partner akzeptiert<br />

und zuhause geduldet werden? Die Master-Thesis<br />

„Gestaltungsmöglichkeiten in der sozialen<br />

Mensch-Roboter-Interaktion (MRI)“ von Carolin<br />

K. beschäftigt sich damit. „Wichtig bei der MRI ist<br />

es, Interaktionen zu gestalten, die auf die Bedürfnisse<br />

älterer Nutzer eingehen. Das Vertrauen in<br />

die MRI muss erhöht werden.“<br />

Um diesen Anforderungen gerecht zu werden,<br />

orientiert sich die Arbeit stark an den von Walt<br />

Disney beschriebenen Grundprinzipien für eine<br />

authentische Figurenanimation. Denn sind wir<br />

mal ehrlich: Wer würde einen Gesundheitsbegleiter<br />

ablehnen, der agiert und aussieht wie der dickbäuchige<br />

Baymax? „Nutzer neigen dazu, Produkte<br />

zu individualisieren, sie kleben Wackelaugen auf<br />

ihren Staubsaugerroboter oder geben ihnen Spitznamen“,<br />

sagt die Expertin. Pflegeroboter sollten<br />

also gemeinsam mit ihrem Patienten wachsen,<br />

um einen emotionalen Zugang und eine persönliche<br />

Verbindung zu schaffen.<br />

Die kuschelige Pflegerobbe Paro, die einen beruhigenden<br />

Einfluss auf ältere Menschen hat oder<br />

der 1,20 Meter große humanoide Roboter Pepper<br />

mit schwarzen Kulleraugen, sind Beispiele für persönliche<br />

Roboter, die im Bereich der Pflege oder zu<br />

therapeutischen Zwecken eingesetzt werden. Sie<br />

dienen der Unterhaltung, regen die Kommunikation<br />

an, lesen vor oder spielen Bilderrätsel.<br />

Noch gibt es Skepsis, ob sich pflegebedürftige<br />

Menschen tatsächlich mit Robotern anfreunden<br />

werden. Doch denken wir an Generationen wie<br />

den Digital Native: den Blick nach unten geneigt,<br />

vernetzt in der digitalen Welt und sprechend mit<br />

virtuellen Assistenten wie Siri. Im Alter werden sie<br />

Pflegerobotern eine ganz andere Aufmerksamkeit<br />

zukommen lassen. Egal ob Digital Native oder Digital<br />

Immigrant – ein Durchbruch hängt nicht<br />

allein vom Nutzer ab, sondern auch von der<br />

Forschung, die verantwortlich dafür ist, einen akzeptierbaren<br />

Roboter zu erschaffen.<br />

Bilder: Carolin Klein


2/2019 HUMAN<br />

13<br />

Bild: Kathrin Briem<br />

Bild: Kathrin Briem<br />

I m Institut der künstlichen Augen<br />

Einem Ocularisten über den Weg zu laufen, ist sehr unwahrscheinlich: Weniger als 80 Personen<br />

üben diesen Beruf in Deutschland aus. Eine davon ist Rahel Feil aus Stuttgart, die mitten in der<br />

achtjährigen Ausbildung zur Herstellerin von Augenprothesen steckt. Ein Besuch.<br />

VON KATHRIN BRIEM<br />

Die lange Tradition der Augenprothesenherstellung<br />

aus Glas geht zurück<br />

in das kleine Dörfchen Lauscha im<br />

Thüringer Wald. Dort wurden die<br />

ersten Augenprothesen aus Glas im<br />

19. Jahrhundert hergestellt. Die meisten Ocularisten<br />

aus Deutschland haben Urahnen hier: So<br />

stammt auch Rahel Feils Ururgroßvater aus Lauscha.<br />

Bis heute sind die Beziehungen zu dem Glasbläserdorf<br />

eng: Immer noch beziehen sämtliche<br />

Hersteller von dort ihr Kryolithglas, dem Rohstoff<br />

für die Augenprothesen.<br />

Aus dem Glas werden zunächst halbfertige Augenprothesen<br />

geblasen, auf die mit bunten Farbstängel<br />

die Iris gezeichnet wird. Rote Glasfäden<br />

sorgen für die Äderchen. Im Stuttgarter Institut für<br />

künstliche Augen sind rund 8000 dieser halbfertigen<br />

Augenprothesen vorrätig. Jede davon ist ein<br />

Einzelstück. Kommt ein neuer Patient in das Institut,<br />

wird abgeglichen, ob eines der vorrätigen<br />

Exemplare in Frage kommt. Falls nicht, wird eine<br />

neue, individuell angepasste halbfertige Augenprothese<br />

erstellt. Aus der noch zunächst kugeligen<br />

halbfertigen Form wird dann die eigentliche Prothese<br />

herausgelöst. Danach hat sie keine runde,<br />

Bilder: Carolin Klein<br />

sondern eher eine schalenartige Form, die in die<br />

Augenhöhle eingesetzt werden kann. „Die Glasprothese<br />

begleitet den Patienten ungefähr ein<br />

Jahr, bevor sie wegen Abnutzungserscheinungen<br />

durch eine neue ersetzt werden muss“, erklärt Rahel<br />

Feil.<br />

Die individuelle Anpassung an Patienten erfordert<br />

nicht nur perfekte Beherrschung der Technik<br />

sowie künstlerisches Talent, sondern auch viel<br />

Geduld und Einfühlungsvermögen. Der Verlust<br />

eines Auges geht Patienten sehr nahe und ist oft<br />

verknüpft mit tragischen Schicksalsschlägen.<br />

Mit dem Beginn des zweiten Weltkrieges versiegte<br />

die Lieferung von Lauschaer Kryolithglas<br />

nach Amerika. Aus der Not heraus wurde begonnen<br />

Augenprothesen aus Kunststoff zu fertigen.<br />

Diese Übergangslösung ist inzwischen weltweit<br />

Standard – bis auf den deutschsprachigen Raum.<br />

Hier arbeiten traditionsbewusste Ocularisten bis<br />

heute vorwiegend mit Glas.<br />

Dabei bietet Kunststoff Vorteile: So ist das Arbeiten<br />

mit diesem Material flexibler als das mit<br />

Glas. Mithilfe eines Abdruckes kann eine individuell<br />

auf die Augenhöhle abgestimmte Prothese<br />

hergestellt werden. Drückt oder zwickt es, kann<br />

nachgeschliffen oder zusätzliches Material angebracht<br />

werden. „Bei Glas muss jedes Mal eine<br />

komplett neue Prothese angefertigt werden“, erläutert<br />

Rahel Feil. Eine Kunststoffaugenprothese<br />

überzeugt auch durch ihre Tragedauer: Sie ist äußerst<br />

pflegeleicht und hält mehrere Jahre, sie muss<br />

lediglich einmal im Jahr poliert werden.<br />

Da es nur wenige dieser Spezialisten gibt, gehen<br />

Ocularisten regelmäßig auf Reisen. So auch<br />

das Institut für künstliche Augen aus Stuttgart, das<br />

in der Sonnenbergstraße ansässig ist. Für die Reisesprechstunden<br />

wird alles notwendige Werkzeug<br />

und Rohmaterial in einen Transporter gepackt<br />

und abwechselnd rund ein Dutzend Städte in der<br />

Schweiz und Süddeutschland angefahren. Dies ist<br />

wichtig für Patienten, die selbst nicht mehr mobil<br />

genug für die Reise ins Institut der künstlichen Augen<br />

sind. Insbesondere auch der dadurch entstehende<br />

enge Kontakt mit den Patienten und das<br />

Gewinnen deren Vertrauen, liegt dem Stuttgarter<br />

Ocularisten- Team am Herzen.<br />

Gründe ein Auge zu verlieren gibt es viele: Von<br />

Krankheiten, Kriegen, Unfällen bis hin zu angeborenen<br />

Defekten. Eines ist sicher: Eine Augenprothese<br />

hilft jedem Betroffenen, Lebensqualität zurückzugewinnen.<br />

www.augen-prothesen.de


14 HUMAN<br />

mediakompakt<br />

Zwischen<br />

Dirndl und<br />

OP-Kittel<br />

Prokrastination ist für<br />

Johanna Seiler ein Fremdwort.<br />

Als Bayerische Bierkönigin<br />

musste sie zeitintensives<br />

Ehrenamt, Vollzeitstudium<br />

und Nebenjob unter einen<br />

Hut bekommen. Wir haben<br />

sie in ihrem durchgetakteten<br />

Alltag begleitet.<br />

VON FLORIAN WURM<br />

6.30 Uhr<br />

In einer kleinen Wohnung am Münchner Olympiapark<br />

wird Johanna Seiler aus ihrem Schönheitsschlaf<br />

gerissen. Für Snoozen ist keine Zeit, sie muss<br />

los zur Arbeit, auch wenn sie gerne später anfangen<br />

würde. Das bedeutet kurz duschen, ein<br />

schnelles Frühstück und schon geht es für sie in<br />

Richtung U-Bahn.<br />

7.15 Uhr<br />

Die Pendler stehen dicht aneinander gedrängt in<br />

der überfüllten U-Bahn, trinken ihren Kaffee oder<br />

hören Musik. Nicht so Johanna, sie nutzt die<br />

30-minütige Fahrt, um ihre E-Mails zu bearbeiten<br />

und die Postings für ihre Social-Media-Kanäle vorzubereiten.<br />

Organisation ist alles für sie, denn sie<br />

übt ein besonderes Ehrenamt aus. Sie ist die amtierende<br />

Bayerische Bierkönigin. Ihre Aufgabe ist es,<br />

das Genußmittel und den verantwortungsvollen<br />

Umgang damit in Bayern, Deutschland und auf<br />

der ganzen Welt zu repräsentieren.<br />

8.00 Uhr<br />

Arbeitsbeginn für die sportliche Werkstudentin<br />

im Klinikum rechts der Isar der bayrischen Hauptstadt.<br />

Nach ihrer Ausbildung zur zahnmedizinischen<br />

Fachangestellten hat Johanna ein Studium<br />

im Fach Physician Assistance begonnen, ein Studium<br />

zum Medizinassistenten. Seit dem ersten Semester<br />

sammelt Johanna in der Chirurgie praktische<br />

Erfahrung und kann sich hier noch einen<br />

Nebenverdienst ergattern.<br />

14.00 Uhr<br />

Nach sechs Stunden ist Feierabend für heute. Zehn<br />

Minuten vom Klinikum entfernt, beginnt an der<br />

Carl Remigius Medical School die Vorlesung für<br />

19.00 Uhr<br />

Make-up und Frisur sitzen, die Krone thront oben<br />

auf. Heute geht es zur Klosterbrauerei Scheyern in<br />

Oberbayern. Unterwegs ist Johanna mit ihrem<br />

„Biermobil“. Organisiert wird das Amt der Bierkönigin<br />

durch den Bayerischen Brauerbund, für die<br />

einjährige Amtszeit bekommt sie einen BMW der<br />

1er Reihe inklusive Spritgeld zur Verfügung gestellt.<br />

Zur ihrer Ausstattung gehört auch ein Firdie<br />

medizinischen Studierenden. Johanna ist im<br />

achten und letzten Semester. Heute steht Arbeitsund<br />

Sozialmedizin und Prävention und Rehabilitation<br />

auf dem Vorlesungsplan. Mit kleiner Verspätung<br />

erscheint sie im Hörsaal und konzentriert<br />

sich auf die Vorträge der Professoren.<br />

17.00 Uhr<br />

Johanna tritt den Nachhauseweg an. In der<br />

Rushhour ist sie quer durch München fast eine<br />

ganze Stunde unterwegs. Abschalten kann die königliche<br />

Hoheit nicht, wieder warten neue Anfragen<br />

von Brauereien über eine Visite auf sie. In der<br />

U-Bahn erledigt sie Telefonate, um Details über<br />

die Besuche der kommenden Tage abzuklären und<br />

um ihre Reden vorzubereiten.<br />

18.00 Uhr<br />

Zuhause angekommen, muss es für die Bierkönigin<br />

wieder schnell gehen. Neben Ehrenamt, Studium<br />

und Nebenjob fällt auch für eine Hoheit etwas<br />

Haushalt an. Nach der Realschule hat Johanna eine<br />

Hauswirtschaftsschule besucht, dort hat sie<br />

Bild: Bayerischer Brauerbund<br />

sich nützliche Fähigkeiten angeeignet. „Nur Backen<br />

ist noch so mein Ding“, meint die Studentin.<br />

Es wird eine Kleinigkeit für die Mittagspause am<br />

nächsten Tag gekocht, nochmals schnell abgeduscht<br />

und ihre Schürze für den Abend gebügelt.<br />

Ihre Outfits hat sie alle gestellt bekommen und<br />

darf sie nach ihrer Amtszeit behalten. Darunter<br />

fallen mehrere maßgeschneiderte Dirndl, Strickjacken,<br />

Schuhe und Janker, ein Trachtenjacket. Auf<br />

die zum Dirndl gehörenden Schuhe muss Johanna<br />

derzeit aufgrund einer Verletzung am rechten Fersenbein<br />

verzichten, weshalb sie sich für Stiefeletten<br />

entscheidet.


2/2019 HUMAN<br />

15<br />

der Zeit jedoch zur Männerdomäne entwickelt.<br />

Als schlankes, blondes Mädchen wird Johanna in<br />

der Bierszene oft belächelt und als „Gewinnerin<br />

einer Misswahl“ ohne Brauereierfahrung abgestempelt.<br />

Dass hinter ihrem Amt mehr als lächeln<br />

und winken steckt, stellt sie täglich unter Beweis.<br />

Während der Bierverkostung kann sie mit ihrem<br />

umfangreichen Wissen über die Braukunst trumpfen<br />

und sich in Gesprächen mit Fachkräften der<br />

Branche ihren Respekt verdienen.<br />

22.00 Uhr<br />

Zum Schluss steht ein Fotoshooting für die Presse<br />

an. Denn neben ihrer Repräsentantenaufgabe<br />

steht sie auch als Werbefigur für die Brauereien in<br />

der Öffentlichkeit. Ein Gehalt bekommt Johanna<br />

während ihrer Amtszeit nicht, für ihre Auftritte<br />

kann sich jedoch eine geringe Aufwandsentschädigung<br />

berechnen. Offiziell ist Johanna als Bayerische<br />

Bierkönigin selbstständige Unternehmerin.<br />

23.00 Uhr<br />

Nach einem gemütlichen Abend und vielen Gesprächen<br />

über das bayerische Kulturgut geht es für<br />

Johanna wieder zurück nach München. Der verantwortungsvolle<br />

Umgang mit Alkohol ist Johanna<br />

sehr wichtig, immerhin wirbt sie als Bierkönigin<br />

für ein Suchtmittel. Diesen Umgang lebt die<br />

höchste Repräsentantin des Bieres im Freistaat als<br />

Vorbild, seit dem Anstoßen zu Beginn der Feier<br />

hat sie nur noch alkoholfreie Getränke konsumiert.<br />

Am liebsten alkoholfreies Weißbier.<br />

Bild: Johanna Seiler<br />

23.30 Uhr<br />

Zuhause angekommen wirft Johanna sich endlich<br />

in ihre Jogginghose. Bereits im Bett liegend steht<br />

noch etwas Vorbereitung für ihr Studium und die<br />

morgigen Vorlesungen an. „Stehen mal wieder<br />

viele Hausarbeiten an, kann es schon einmal eine<br />

Nachtschicht geben“ meint die Studentin. Früher<br />

war Johanna sehr chaotisch in ihrer Alltagsplanung.<br />

Jetzt ist alles top organisiert, damit sie den<br />

Tag perfekt nutzen kann.<br />

menhandy, auf welchem sie unter der offiziellen<br />

Biernummer für die Brauereien erreichbar ist.<br />

19.30 Uhr<br />

Angekommen darf die gebürtige Rieserin heute<br />

das Bierfass anzapfen und somit das Brauerfest eröffnen.<br />

Dass sie den Bieranstich perfekt beherrscht<br />

ist kein Zufall, zu Beginn ihrer Amtszeit<br />

hat die Königin ein Training zum Anzapfen absolviert<br />

und stellt heute mit ihren wenigen Schlägen<br />

hochrangige Politiker in den Schatten. Ihr Hintergrundwissen<br />

konnte sie sich auf einem Bierseminar<br />

in Kulmbach am Anfang ihres Ehrenamtes aneignen.<br />

Mit dem frischgezapften Klosterbier wird<br />

auf der Bühne angestoßen. Da Johanna selbst mit<br />

dem Auto gefahren ist, steigt sie danach auf alkoholfreies<br />

Bier um.<br />

20.00 Uhr<br />

Nach der Eröffnung gibt es Grußworte von der<br />

Botschafterin des Bayerischen Biers. Eine persönliche<br />

Rede ist Johanna sehr wichtig, weshalb sie vor<br />

ihren Auftritten über die Brauereien und ihre Ge-<br />

schichte sorgfältig recherchiert. Gesprochen wird<br />

im Rieser Dialekt, denn die gebürtige Nördlingerin<br />

ist stolz auf ihre Heimat. Zum Kloster Scheyern hat<br />

die Medizinerin eine ganz besondere Bindung.<br />

Hier hat sie vor ihrem Studium innerhalb der Klostermauern<br />

ihr Abitur erlangen und währenddessen<br />

im angeschlossenen Wohnheim gelebt.<br />

20.30 Uhr<br />

Es ist Zeit für das Abendessen. Zu Johannas Freude<br />

wird Schweinshaxe serviert. „Ich liebe die bayerische<br />

Küche, aber Schweinebraten kann ich nicht<br />

mehr sehen“, lacht die Bierkönigin. Begleitet wird<br />

Johanna heute von ihrem Partner. „Es ist schwierig<br />

alles unter einen Hut zu bekommen“, sagt die<br />

28-Jährige. Gemeinsame Kinoabende sind eher<br />

selten, dafür gibt es gutes Essen und leckeres Bier.<br />

21.00 Uhr<br />

Der nächste Programmpunkt des Abends ist eine<br />

Bierverkostung. Hier kann die königliche Hoheit<br />

zeigen was sie kann. Zwar war Bierbrauen zu Beginn<br />

eine Tätigkeit der Frauen, hat sich im Laufe<br />

DIE BIERKÖNIGIN<br />

Für dieses Ehrenamt muss man in Bayern<br />

geboren, aufgewachsen und mindesten<br />

21 Jahre alt sein. Zudem sollte<br />

man Begeisterung für Bier zeigen und<br />

kommunikationsfreudig sein. Als Bayerische<br />

Bierkönigin repräsentiert man<br />

das Getränk weltweit. Die Wahl besteht<br />

zu einem Teil aus dem Voting der<br />

Jury, zu einem Teil aus einer Online<br />

Umfrage und der Abstimmung der Gäste.<br />

Die neue Bierkönigin Veronika Ettstaller<br />

wurde am 16. Mai in der Kongresshalle<br />

in München gewählt und<br />

hat Johanna Seiler nach ihrer einjährigen<br />

Amtsperiode abgelöst. Seit diesem<br />

Jahr hat auch das Land Baden-Württemberg<br />

eine Bierkönigin. Laetitia Nees<br />

ist die erste ihres Amtes, unterstützt<br />

wird sie durch zwei Prinzessinen.


16<br />

HUMAN<br />

mediakompakt<br />

Raus ins Ungewisse<br />

Das Auslandssemester: Damit wird jeder Student früher oder später konfrontiert.<br />

Austauschstudenten aus aller Welt erzählen von ihren Erfahrungen, geben Einblick in<br />

unterschiedlichste Kulturen und räumen mit allerhand Klischees auf.<br />

VON CHIARA MÜLLER UND MONIKA CZECHOWSKI<br />

• Nordamerika, USA<br />

Wer kennt sie nicht, die typischen College-Filme<br />

aus den USA, in denen man sich ein „Dorm“ mit<br />

anderen teilt, die Studentenverbindungen häufiger<br />

als die Vorlesungen besucht werden, und<br />

das Highlight der Woche das Football-Spiel im<br />

Uni-Stadion ist. Während eines Auslandssemesters<br />

rutscht man als deutscher Studi selbst in diese<br />

abenteuerliche Welt hinein.<br />

In den USA ist alles extra large: Auch der Wochenend-Einkauf<br />

für den Singlehaushalt erinnert<br />

mehr an die Vorbereitung für ein gigantisches<br />

Familienfest. Gesunde Ernährung ist möglich,<br />

rückt aber aufgrund der großen Auswahl an Fast<br />

Food in den Hintergrund. Besonders beliebt:<br />

Hamburger mit bis zu 20 Toppings. So trainiert<br />

man als Student nicht nur sein Englisch, sondern<br />

auch seine Kieferweite.<br />

Auch wenn mancher Amerikaner mit der direkten<br />

deutschen Art überfordert scheint, sind sie<br />

doch herzlich und offen – man fühlt sich nach<br />

kurzer Zeit daheim. Die Universitäten bieten viele<br />

Möglichkeiten, um Anschluss zu finden. Ob beim<br />

Kickbox-Training oder einer WG-Party am Freitagabend<br />

– auf dem Campus ist immer was los. Aber<br />

nicht vergessen: In den USA gibt es Alkohol erst ab<br />

21 Jahren. Und ja: Das gilt auch für Bier.<br />

• Südamerika, Brasilien<br />

Surfen am Strand, Sandboarding und abenteuerliche<br />

Touren durch den Dschungel Südamerikas! All<br />

das hat ein Auslandssemester in Brasilien zu bieten.<br />

Als deutscher Student hat man die Chance, das<br />

Land abseits eines Touristenstatus kennenzulernen.<br />

Die Unterkunft für Austauschstudenten<br />

kann ein Hostel direkt am Strand sein: Ein<br />

Sonnenaufgang wird hier zu einem Highlight, der<br />

mit einer Açaí-Bowl genossen werden kann. Ein<br />

süßes Frühstück, bestehend aus Beeren aus dem<br />

Amazonas, Haferflocken und Açaí-Püree.<br />

Brasilien ist vor allem durch ein Adjektiv zu beschreiben:<br />

lebendig. Durch europäische Augen<br />

betrachtet, haben die Einheimischen nicht viel<br />

Wohlstand, dafür ist ihre Lebensfreude umso<br />

größer. Auf der Straße wird Gitarre gespielt und<br />

gesungen, überall vibriert die Luft vor Leben.<br />

Abends wird getanzt und Musik gehört. Im Club<br />

gibt es keinen Dresscode, der Spaß steht eindeutig<br />

im Vordergrund.<br />

Mit dem Bus sind die Nachbarländer Brasiliens<br />

leicht zu erreichen, ein Ausflug nach Peru oder Argentinien<br />

lohnt sich! Aber aufgepasst: Man kommt<br />

nicht darum herum die Sprache zu lernen, Spanischoder<br />

Portugiesisch-Kenntnisse sind von Vorteil.


2/2019 HUMAN<br />

17<br />

• Europa, England<br />

Die Nachrichten aus England in den vergangenen<br />

Jahren sind geprägt vom Brexit. Da vergisst man<br />

gern, wie facettenreich dieses Land abseits der<br />

politischen Bühne sein kann.<br />

Die Engländer brillieren vor allem durch ihre nie<br />

endende Feierlaune und ihr sehr aktives soziales<br />

Leben, das sich an den Universitäten widerspiegelt.<br />

Von der Art Society bis zum Rugby Club<br />

findet jeder Student seine Leidenschaft.<br />

Abends wird entweder gemütlich im Pub ein<br />

Bier getrunken oder ein Ballett und das Theater<br />

besucht. Das Land und seine Leute sind multikulturell<br />

und äußerst schnelllebig: Wenn man auf<br />

der Straße in London nur kurz stehen bleibt, wird<br />

man sofort als „Nicht-Einheimischer“ identifiziert.<br />

Kulinarisch ist England durchaus gewöhnungsbedürftig,<br />

neben Fish and Chips wird sogar Blumenkohl<br />

paniert oder frittiert. Kulturell orientiert<br />

man sich am Festland: Das Winter Wonderland in<br />

London steht dem Oktoberfest durch Heidi-Titelmelodie<br />

und einem „Bavarian Village“ in nichts<br />

nach.<br />

Und es gilt, ein Klischee zu entkräften: Immer<br />

Regen in England? Nichts da! England hat Sonnentage,<br />

an denen man die Nationalparks oder<br />

Städte auskundschaften und erleben kann.<br />

• Ozeanien, Australien<br />

Wer träumt nicht davon, einmal ans andere Ende<br />

der Welt zu fliegen – ein Auslandsaufenthalt in<br />

Australien eignet sich dafür hervorragend. Ein<br />

sogenanntes Trimester bietet eine super Gelegenheit,<br />

in den restlichen freien Monaten die Vielfalt<br />

des Landes näher kennen zu lernen – am besten<br />

mit einem gemieteten Van. Neben der bekannten<br />

Great Ocean Road an der Südküste entlang, können<br />

zahlreiche Nationalparks, Tasmanien und die<br />

Ostküste gut bereist werden.<br />

Keine Angst, in Australien wird nicht nur Kängurufleisch<br />

serviert. Die großen Städte bringen europäisches<br />

Flair mit sich, in denen auch Vegetarier<br />

auf ihre Kosten kommen. Die Australier sind nicht<br />

nur zuvorkommend und offen, sondern auch<br />

äußerst trinkfreudig. Strandpartys gehören zum<br />

Leben eines Studenten einfach dazu.<br />

Apropos Strand: In Australien ist es immer heiß?<br />

Von wegen! Im Winter kann es schnell mal bis<br />

zu drei Grad kalt werden, während in Europa die<br />

Sommersaison erst anfängt. Da werden drei bis<br />

vier Decken für die Nacht in Down Under zum<br />

Must-have.<br />

Wusstet ihr schon, dass ...<br />

… Melbourne auch „australisches Berlin“ genannt wird?<br />

… in den USA Alkohol auf offener Straße nur in Papiertüten getrunken<br />

werden darf?<br />

… Mac’n‘Cheese auf dem Weihnachtsmarkt in Großbritannien als<br />

echte deutsche Käsespätzle angepriesen werden?<br />

… pinke Delfine im Amazonas in Brasilien gesichtet werden können?<br />

… in Südkorea lebendige Oktopusse verspeist werden?<br />

• Asien, Südkorea<br />

Ein asiatisches Land kommt vielen Studenten<br />

nicht als erstes in den Sinn, wenn es um ein Auslandssemester<br />

geht. Wenn man eine kontrastreiche<br />

Abwechslung zu dem Alltag in Deutschland<br />

sucht, bietet sich Südkorea an. Dort erleben<br />

Austauschstudenten den perfekten Mix zwischen<br />

westlicher Moderne und uralter Tradition.<br />

Vor allem in der Hauptstadt Seoul ist das Stadtbild<br />

von diesem Mix geprägt, Wolkenkratzer stehen<br />

direkt neben buddhistischen Heiligtümern.<br />

Die Universität hat einen eigenen Tempel – eine<br />

Begegnung mit einem Mönch ist keine Seltenheit.<br />

Ein Gänsehautfaktor bietet die demilitarisierte<br />

Zone zu Nordkorea, in der man mit eigenen<br />

Augen sehen kann, was sonst nur über den<br />

deutschen Fernsehbildschirm flimmert.<br />

Die Südkoreaner sind zurückhaltend und bescheiden,<br />

lassen beim Feiern aber die Sau raus. Besonders<br />

beliebt: Das Mieten eines eigenen Raums, in<br />

dem die trinkwütige Partymeute durch die Nacht<br />

hinweg Karaoke singt und dabei jede Menge Soju<br />

(alkoholhaltiges Getränk auf Reis-Basis) trinkt.<br />

Kulinarisch ist das Korean BBQ zu empfehlen,<br />

aufpassen sollte man dagegen beim Bestellen<br />

einer Suppe: So etwas wird auch kalt und mit Eiswürfeln<br />

serviert.<br />

bloß nicht hin<br />

eher meiden<br />

kann gut werden<br />

wird super<br />

lohnt sich auf jeden Fall<br />

Bild: pixabay.com


18 FUTURE<br />

mediakompakt<br />

Sugar, oh honey honey<br />

Egal ob Summen in der Stadt oder im Ländle – seit einigen<br />

Jahren gibt es einen unglaublichen Boom der Imkerei zu<br />

beobachten. Früher noch ein Opa-Hobby, lässt das Imkern<br />

heute gerade junge Leute den stressigen Alltag vergessen<br />

und abschalten.<br />

VON VALENTINA BELTRAME<br />

Stuttgart West – direkt in diesem urbanen,<br />

quirligen und kreativen Viertel,<br />

hinter roten Backsteinfassaden, verbirgt<br />

sich der grüne Hinterhof eines<br />

Mehrfamilienhauses. Dort findet man<br />

die Kleinimkerei Stuttgarter Gold von Moritz Zepter.<br />

Mit Anfang 20 stellte sich Moritz die Frage, wie<br />

er zwei seiner Grundbedürfnisse, Süßigkeiten und<br />

Alkohol, stillen und sich selbst versorgen kann.<br />

Seine Antwort: „Beides geht mit Honig“. Also her<br />

mit den Bienen!<br />

Wiesen- und Feldwege, sowie ein Waldgebiet<br />

direkt vor der Tür, Grün soweit das Auge reicht<br />

und Nachbarn auf vier Beinen. Auf der Pferdepension<br />

in Köngen (Landkreis Esslingen) fühlen sich<br />

die Bienen von Hobby-Imkerin Michelle Zehle,<br />

29, zuhause. Bei ihr war es pure Neugier, „was genau<br />

ein Imker so tut“. Das liegt schon 18 Jahre zurück.<br />

Durch das ominöse Bienensterben wurde sie<br />

erneut auf das Imkern aufmerksam.<br />

let it bee<br />

Die Bienen riechen es, wenn man gestresst ist.<br />

„Viele Menschen machen zum Beispiel Yoga, ich<br />

gehe zu meinen Bienen und bin danach der ruhigste<br />

und entspannteste Mensch der Welt!“ Der<br />

Hobby-Imker Moritz Zepter öffnet sachte, ohne<br />

Schutzkleidung, den Deckel des Bienenkastens<br />

und siehe da: ganz friedliche Tierchen.<br />

Das Arbeiten mit den Insekten ist für<br />

Michelle eine großartige Möglichkeit, sich selbst<br />

zur Ruhe zu zwingen, insbesondere als Allergikerin.<br />

„Gehe ich aufgeregt und hektisch an das Volk<br />

heran, kann ich sicher sein, dass ich gestochen<br />

werde.“ Die Arbeit mit den Bienen hilft ihr, sich zu<br />

fokussieren, zu erden und zur Ruhe zu kommen.<br />

no bees no honey no work no money<br />

Viele Wildbienenarten sind bedroht und wie<br />

die Honigbienen auf Schutz angewiesen. Neben<br />

vielen Krankheitserregern ist der größte Feind der<br />

Biene die Varroa-Milbe. Sie war mitverantwortlich,<br />

dass Moritz anfangs eines seiner Völker verloren<br />

hatte. Auf die Imker kommen obendrein eine<br />

Reihe an Herausforderungen zu: Imkern ist eine<br />

wahre Geldverbrennungsmaschine. Es bleibt die<br />

ständige Sorge, dass das Volk gestohlen werden<br />

könnte, ganz zu schweigen von üblen Rückenschmerzen<br />

vom Schleppen, klebrige Kleidung, bis<br />

hin zur Verpflichtung, während der Schwarmzeit<br />

nicht zu verreisen.<br />

bee more like them<br />

Was ist so faszinierend an den pelzigen Summern?<br />

„So vieles“, schwärmt Michelle Zehle.<br />

Wenn sie eine Wabe anschaut, sieht sie „die Sanftmut<br />

der Kleinen, die so unheimlich fleißig und<br />

unermüdlich arbeiten.“ Sie sind Teil eines großen<br />

Ganzen, tragen ihren Teil dazu bei, dass dieses Gefüge<br />

funktioniert. Von ihnen können wir uns so<br />

einiges abgucken. Sie sind der Vorreiter der Demokratie<br />

und absolute Rebellen, wenn ihnen etwas<br />

nicht passt. Eine Woche schlechtes Wetter und alle<br />

sind unzufrieden. Wer ist schuld? Die Königin,<br />

die Regierung. Was machen sie? Revolution! Sie<br />

schwärmen. In der Schwarmzeit suchen sich die<br />

Bienen eine neue Behausung. Wessen Platz macht<br />

am meisten Eindruck? Die Information an die anderen<br />

erfolgt durch den Schwänzeltanz. Die Bienen<br />

liefern sich sozusagen einen Tanzbattle, und<br />

bei einer Zwei-Drittel-Mehrheit, fällt die Entscheidung,<br />

wo sie hinfliegen. „Die machen sich keinen<br />

Kopf, leben fürs Ganze und sind total selbstlos“,<br />

sagt Moritz Zepter.<br />

buzz in the city<br />

Wer hätte gedacht, dass sich die kleinen Flieger<br />

in der Oase aus Beton und Straßenlärm wohler<br />

fühlen, als auf dem Land? Der Grund: Biodiversität<br />

und keine Monokulturen. In der Stadt gibt es<br />

mehr Pflanzenarten als auf dem Land und es blüht<br />

überall. Heikel könnte es höchstens mit den<br />

Nachbarn werden. Aber wenn man ihnen die<br />

Angst nimmt, finden sie das alle ziemlich cool.<br />

„Und wenn nicht, dann ist ein Glas Honig ein sehr<br />

gutes Schmiermittel“, lacht der 30-Jährige.<br />

Langfristig möchte er verschiedene Stadtgebiete<br />

erschließen und wissen, wie die Stadtviertel<br />

schmecken.<br />

bee love<br />

Was bleibt ist der Honiggeruch im ganzen<br />

Haus. „Wenn man den Kasten aufmacht und direkt<br />

aus den Waben Honig probiert, das liebe ich“,<br />

sagt der Hobby-Imker mit leuchtenden Augen.<br />

Wenn Michelle Zehle über das Imkern berichtet,<br />

sind die Leute sofort offen und neugierig.<br />

„Das sind die Momente, in denen ich mich sehr<br />

über das Hobby freue. Es ist schön, eine Beschäftigung<br />

zu haben, über die ein 80-Jähriger mit einem<br />

siebenjährigen Mädchen auf Augenhöhe diskutieren<br />

kann. Das ist etwas, das im Allgemeinen in unserer<br />

Gesellschaft viel zu kurz kommt.“<br />

Bild: Valentina Beltrame


2/2019 FUTURE<br />

19<br />

Bild: Mika Baumeister<br />

Wo sind die Studenten?<br />

Fridays for Future ist längst<br />

kein Schülerstreik mehr,<br />

sondern eine internationale<br />

Protest-Bewegung. Aber wo<br />

stecken die Studenten<br />

bei den Demos?<br />

VON ANNIKA FIX<br />

Was haben deutscher Vormärz, die<br />

weltweite 68er Revolution und<br />

der arabische Frühling gemeinsam?<br />

Sie alle sind bedeutende Revolutionen<br />

der Weltgeschichte<br />

und wurden ausgelöst von Studenten. Sie sahen<br />

Missstände in Gesellschaft oder Politik ihres Landes<br />

und gingen auf die Straße, um die Welt zu verändern.<br />

Im Jahr 2019 schwappen erneut die Wellen<br />

einer Protestbewegung über viele Länder,<br />

darunter auch Deutschland. Fridays for Future<br />

(FFF) heißt diese Bewegung, die weltweit über<br />

Missstände in der Klimapolitik und die verheerenden<br />

Auswirkungen des Klimawandels wachrütteln<br />

will und zum Handeln auffordert.<br />

Doch sind es dieses Mal nicht Studenten, die<br />

hinter dem Protest stecken, sondern Schüler. Jeden<br />

Freitag schwänzen sie die Schule, um für das<br />

Klima zu demonstrieren. Hat der Streik mit der<br />

16-jährigen Schwedin Greta Thunberg begonnen,<br />

tun es ihr mittlerweile tausende Schüler weltweit<br />

gleich. Die Klimaschutz-Bewegung ist zu einem<br />

globalen Netzwerk geworden. Studenten sieht<br />

man weniger, sie machen nur ca. 20% der Demonstranten<br />

aus. Erwachsene und Politiker wollen<br />

die Schüler lieber in der Schule sehen. Doch<br />

genau das ist der Punkt, auf den Schüler aufmerksam<br />

zu machen versuchen: Warum sollten wir für<br />

unsere Zukunft lernen, wenn die mit der aktuellen<br />

Klimapolitik zerstört wird? Man würde diesen Gedanken<br />

auch bei Studenten erwarten, deren Zukunft<br />

genauso von den Folgen des Klimawandels<br />

betroffen sein wird, wie die der Schüler. Warum<br />

fällt die Einstellung dieser beiden Gruppen junger<br />

Menschen so unterschiedlich aus?<br />

„Ich dachte das ist nur was für Schüler.“, antwortet<br />

Mathe-Student Tim achselzuckend auf die<br />

Frage, warum er noch bei keiner FFF-Demonstration<br />

dabei war. Anne, 21, schließt sich da an. Außerdem<br />

gehe auch keiner von ihren Freunden mit.<br />

Alleine zu protestieren sei „nicht so cool“. Ob das<br />

Thema nicht so wichtig sei, wollen wir wissen.<br />

„Doch, schon. Aber ich versuche halt irgendwie so<br />

meinen Beitrag zu leisten. Ich esse kein Fleisch,<br />

versuche Plastik zu vermeiden“. Das Thema Klimaschutz<br />

ist auf Nachfrage auf jeden Fall präsent<br />

unter den Studenten. Den meisten ist es „schon irgendwie<br />

wichtig“. Aber es gibt eben auch viele andere<br />

Dinge, die bei ihnen weiter oben stehen.<br />

Nie endende Abgaben für die Uni zum Beispiel.<br />

Mal ganz abgesehen vom Druck in Regelzeit<br />

sein Studium vorzeigbar zu beenden, um einen<br />

guten Job zu finden. Bei soviel (Zeit-)Druck,<br />

„bleibt einfach keine Zeit zum Demonstrieren gehen“,<br />

rechtfertigt sich Fabian, 24. Das wäre vermutlich<br />

der Punkt, an dem Greta Thunberg ihm<br />

sagen würde: Warum setzt du dich so unter Druck<br />

für die Zukunft, wenn unsere Zukunft doch gar<br />

nicht so rosig aussieht. Protestforscher Simon Teune<br />

sieht in Zeitdruck und der Verschulung des<br />

Universitätsalltags auf jeden Fall einen Grund für<br />

die politische Passivität der heutigen Studentengeneration.<br />

Studenten hätten heute keine Zeit<br />

und Möglichkeit mehr sich politisch auszutauschen.<br />

Das wirke sich auf ihr Engagement aus.<br />

Aber nicht nur Zeitdruck und Unistress halten<br />

Studenten davon ab zusammen mit Schülern für<br />

eine nachhaltige Zukunft zu demonstrieren. Politikverdrossenheit<br />

und Resignation spielen ebenfalls<br />

eine Rolle. Zum Beispiel bei BWL-Studentin<br />

Leonie, die auf die Frage nach ihrer Teilnahme an<br />

den Demonstrationen sagt „Ich glaube nicht, dass<br />

das was bringt. Also klar, die Schüler haben jetzt<br />

die Aufmerksamkeit. Aber letztendlich wird die<br />

Politik sowieso nichts unternehmen, es wird sich<br />

nichts verändern.“<br />

Ob nun Interesselosigkeit, Zeitdruck oder Resignation,<br />

der Protest-Geist früherer Studenten<br />

scheint an dieser Generation vorbeigegangen zu<br />

sein. Es bleibt zu hoffen, dass die Ausdauer der<br />

Schüler irgendwann auch die Studenten wachrütteln<br />

wird.<br />

MEHR INFOS<br />

August 2018: Erster Streik von Greta<br />

Thunberg vor dem schwedischen<br />

Regierungsgebäude.<br />

Ende 2018: erste Streiks in Deutschland<br />

In Deutschland streiken mehr als 300.000<br />

Schüler organisiert in 400 Ortsgruppen.<br />

Am 15.März nahmen weltweit fast zwei<br />

Millionen Menschen in 120 Ländern<br />

an den Demonstrationen teil.


20<br />

MIND<br />

mediakompakt<br />

Gefangen im Gedankenkarussell<br />

Gedanken wie „Habe ich<br />

das Bügeleisen ausgesteckt?“<br />

oder „Ist die Tür wirklich<br />

abgeschlossen?“, kennt<br />

jeder von uns. Doch was<br />

ist, wenn einen so etwas<br />

nicht mehr loslässt und das<br />

eigene Leben durch zwanghaftes<br />

Handeln aus den<br />

Fugen zu geraten droht?<br />

VON REBECCA KALUZA<br />

Über Kleinigkeiten grübeln oder kontrollieren,<br />

ob der Herd wirklich aus<br />

ist, sind völlig normale Dinge des<br />

alltäglichen Lebens. Werden die Gedanken<br />

aber immer aufdringlicher,<br />

muss man stundenlang duschen oder kann man<br />

das Zimmer erst verlassen, wenn alles penibel genau<br />

an seinem Platz steht, dann gehört man möglicherweise<br />

zu den rund zwei Millionen Deutschen,<br />

die eine Zwangserkrankung haben. Damit<br />

ist sie die vierthäufigste psychische Störung.<br />

Auch wenn man als Betroffener weiß, dass die<br />

zwanghaften Rituale unsinnig sind, können sie<br />

nicht einfach abgestellt werden. Die irrationale<br />

Angst, dass einem selbst oder einer nahestehenden<br />

Person etwas Schlimmes passiert, sitzt einem<br />

immer im Nacken.<br />

Oft entsteht die Störung ganz harmlos: Man<br />

hat eine stressige Zeit und fühlt sich einsam. Damit<br />

die innere Anspannung besser auszuhalten<br />

ist, entwickeln sich Rituale. Man fängt an, sich<br />

häufiger die Hände zu waschen oder Dinge abzuzählen.<br />

Zunächst hilft dies die Anspannung abzubauen,<br />

aber ohne Behandlung wird der Zwang immer<br />

aufdringlicher. Immer schlimmere Ängste<br />

werden damit verwoben, sodass eine Gegenwehr<br />

kaum noch möglich ist.<br />

Zwänge lassen sich in zwei Kategorien unterscheiden:<br />

Zwangshandlungen und -gedanken. Bei<br />

ersterem gibt es Wasch- und Reinigungs-, Kontroll-,<br />

Ordnungs- oder Sammelzwänge. Auch rein<br />

geistige Handlungen wie Zähl- oder Wiederholungzwänge<br />

zählen hierzu. Bei Zwangsgedanken<br />

geht es um aufdringliche Gedanken, die einen wie<br />

ein Ohrwurm nicht mehr loslassen. „Es ist wie ein<br />

Gedankenkarussell, aus dem man nicht aufstehen<br />

kann“, verrät Karo. Sie kämpft seit zirka acht Jahren<br />

dagegen an. Oft geht es um aggressive, sexuelle<br />

oder religiöse Inhalte. Die größte Angst der Betroffenen<br />

besteht darin, dass ihre Gedanken<br />

Realität werden könnten. So müssen manche<br />

Erkrankte eine bestimmte Anzahl an positiven Gedanken<br />

„dagegen“ entwickeln, damit das Böse<br />

wieder aufgehoben ist.<br />

Die Zwangsrituale nehmen nach und nach<br />

einen immer größeren Teil der Zeit von Betroffenen<br />

und damit ihres Lebens ein. Häufig geht damit<br />

die Isolation von Mitmenschen einher. Karo<br />

berichtet: „Es fiel mir immer schwerer, das Haus<br />

zu verlassen, weil ich mich ständig umziehen und<br />

meine Sachen sauber machen wollte.“ Spontan<br />

sein, Freunde treffen, das ist schier unmöglich.<br />

Wollen Betroffene zurück in ein normales Leben,<br />

hilft Verhaltenstherapie. Dabei wird zusammen<br />

mit Therapeuten herausgefunden, welche<br />

Funktion der Zwang hat. Nachdem Ängste und<br />

Auslöser identifiziert sind, wird mithilfe der sogenannten<br />

Exposition therapiert. Eine Übung, bei<br />

der sich der Erkrankte immer wieder mit seinen<br />

Zwängen und den sie auslösenden Situationen<br />

auseinandersetzt, ohne dass der Zwang ausgeführt<br />

wird. Konkret kann das so aussehen, dass der<br />

Betroffene fünf Türklinken anfassen muss und<br />

sich nur einmal die Hände waschen darf, obwohl<br />

er es normalerweise öfters tun würde. Der Therapeut<br />

erfragt dabei ständig, wie man sich fühlt.<br />

Mithilfe der Übungen werden Anspannungen<br />

und Ängste abgebaut und durch positive Erfahrungen<br />

ersetzt, da wider Erwarten nichts Schlimmes<br />

geschieht.<br />

„Es ist wichtig, dass man sich nicht verurteilt<br />

fühlt oder dass andere denken man spinnt.“, erklärt<br />

Karo. Egal wie unsinnig das Verhalten von<br />

Zwangserkrankten nach außen wirkt, am wichtigsten<br />

für die Betroffenen ist es nicht stigmatisiert<br />

zu werden.<br />

DGZ<br />

Die Deutsche Gesellschaft für Zwangserkrankungen<br />

e.V.ist ein gemeinnütziger<br />

Verein, dessen Hauptaufgabe es ist,<br />

Zwangserkrankten und ihren Angehörigen<br />

Hilfe zur Selbsthilfe und Hilfe zum<br />

Leben mit der Erkrankung zu geben.<br />

Durch Öffentlichkeitsarbeit klärt der<br />

Verein zudem über Zwangsstörungen<br />

und die daraus entstehenden Probleme<br />

auf, um so vorhandene Vorurteile abzubauen<br />

und mehr Akzeptanz für die Betroffenen<br />

zu erreichen.<br />

Bild: Lena Joraschek<br />

Weitere Infos gibt es unter<br />

www.zwaenge.de.


2/2019<br />

MIND<br />

21<br />

Wie wird<br />

ein Mensch<br />

zum Mörder?<br />

Bild: Unsplash<br />

Es gibt viele Gründe, warum Menschen töten. Dramatische Erfahrungen oder Fehlentwicklungen<br />

des Gehirns können eine Rolle spielen. Oder liegt das Böse doch einfach in unserer Natur?<br />

VON JENNIFER STRÜBEL<br />

Geschichten über grauenhafte Morde<br />

erschrecken, aber faszinieren uns<br />

auch. Nachrichten über Unfälle und<br />

Gewalttaten erreichen online viel<br />

Aufmerksamkeit, Kriminalromane<br />

stehen ganz oben auf den Bestsellerlisten. Und<br />

sonntags zieht der „Tatort“ Millionen Zuschauer<br />

in seinen Bann. Offenbar interessieren sich<br />

Menschen für Gewalttaten. Es stellt sich jedoch<br />

die Frage, warum ein Mensch einem anderen so<br />

etwas Grausames antun kann.<br />

Auf die Frage, weshalb Menschen töten, gibt es<br />

keine einfache Antwort. Die Bereitschaft dazu<br />

liegt aber in unserer Natur. Eine Studie der<br />

Estación Experimental de Zonas Áridas und der<br />

Universität in Granada untersuchte die Gewaltbereitschaft<br />

verschiedener Säugetierarten gegenüber<br />

der eigenen Spezies — unter anderem der menschlichen<br />

Vorfahren. Laut dem Forscher Jóse María<br />

Gómez zeigte die Studie, dass tödliche Gewalt<br />

einen evolutionären Ursprung hat, aber von<br />

ökologischen und kulturellen Faktoren reguliert<br />

werden kann.<br />

Auch wenn Nachrichten über Gewalttaten in<br />

den Medien ein anderes Bild vermitteln: Im Laufe<br />

der Jahrtausende sind Morde immer seltener<br />

geworden. „Noch in der Steinzeit wurde die Hälfte<br />

aller Männer getötet,“ erläutert der Neuropsychologe<br />

Thomas Ebert in einem Interview mit der<br />

„Zeit“. Er ist überzeugt, es liegt in der DNA der<br />

Menschen, Gewalt auszuüben. Wie kam es dazu,<br />

dass die Anzahl der Morde zurückgegangen ist?<br />

Ganz einfach: Die Gesellschaft verändert und<br />

entwickelt sich weiter. Was in der Steinzeit noch<br />

alltäglich war, wurde zur Zeit des Alten Testaments<br />

als Schlechtes angesehen. Denn eines der<br />

Zehn Gebote lautet: „Du sollst nicht töten.“<br />

Mord ist in unserer Zeit ein gesellschaftliches<br />

Tabu und wird mit lebenslanger<br />

„Jeder kann in<br />

eine Situation<br />

geraten, die<br />

tödlich endet.“<br />

Freiheitsstrafe bestraft. Tatsächlich<br />

ist laut der Kriminalstatistik<br />

des Bundeskriminalamts (BKA)<br />

die Zahl der Tötungen in<br />

Deutschland seit 1993 permanent<br />

gesunken. Laut Ebert könne<br />

jeder Mensch zum Mörder werden<br />

— doch die meisten besitzen<br />

eine Hemmschwelle, die einen<br />

davon abhält. Der Einfluss von Alkohol oder Drogen<br />

führe jedoch zu einer höheren Gewaltbereitschaft.<br />

Ebenso Extremsituationen, Vernachlässigung<br />

oder Misshandlung in der Kindheit, sagt der<br />

Fachmann.<br />

„Wer hat nicht schon selbst mal gedacht, den<br />

könnte ich umbringen! Aber allein deswegen ist<br />

man nicht schon ein potenzieller Mörder.“ äußert<br />

Kriminalhauptkommissar Frank Schröder im<br />

Interview. Er hatte in seinen mehr als zwanzig<br />

Jahren als Ermittler mit einigen Mördern zu tun.<br />

„Es kann theoretisch jeder in eine Situation geraten,<br />

die tödlich endet.“ Morde gibt es seiner Erfahrung<br />

nach in allen sozialen Schichten und<br />

Altersgruppen. Er berichtet vom biederen Angestellten,<br />

der seine Frau bewusstlos machte und sie<br />

auf ein Bahngleis legte, um sie vom Zug überfahren<br />

zu lassen. Oder vom Familienvater und Fußballtrainer,<br />

der seiner Frau die Kehle durchschnitt,<br />

weil er eine andere liebte.<br />

Oder vom Obdachlosen, der<br />

seine Partnerin nackt gefesselt<br />

und erdrosselt hat. „Mordmotive<br />

und Lebensbiografien sind<br />

ebenso unterschiedlich wie<br />

zahlreich.“ Einige Psychologen,<br />

darunter Thomas Ebert,<br />

sehen ein zusätzliches Merkmal,<br />

das manche Mörder von<br />

anderen Menschen unterscheidet.<br />

Sie empfinden keine Empathie und somit<br />

kein Mitgefühl für ihre Opfer. Gründe dafür<br />

sind häufig Fehlentwicklungen oder -bildungen<br />

im Gehirn, die durch Misshandlungen in der<br />

Kindheit entstehen können.<br />

Dieses fehlende Empathievermögen scheint<br />

häufiger bei Psychopaten vorzukommen. Jedoch<br />

sind nicht alle Mörder psychisch krank. Letztendlich<br />

gibt es nicht den einen Grund, warum man<br />

zum Mörder wird. Trotz aller Untersuchungen<br />

bleibt das Phänomen Mord geheimnisvoll,<br />

erschreckend und unvorhersehbar.


22<br />

MIND<br />

mediakompakt<br />

Bild: Unsplash


2/2019 MIND<br />

23<br />

Leichen im Keller<br />

Es ist der Klassiker jedes TV-Krimis: Ein Rechtsmediziner steht vor dem Stahltisch und erläutert<br />

Kommissaren nüchtern die Fakten. Doch wie erleben diese Menschen ihren Beruf tatsächlich<br />

und welche Klischees treffen zu? Wir sind den Mythen auf den Grund gegangen – im Interview<br />

mit dem renommierten Rechtsmediziner Prof. Dr. Frank Wehner der Universität Tübingen.<br />

VON STEFANIE HÄCKER<br />

mediakompakt: Aus welchen Gründen und wann<br />

haben Sie sich für diesen Beruf entschieden?<br />

Frank Wehner: Erstmals hatte ich Kontakt mit der<br />

Rechtsmedizin während meines Studiums und<br />

war von Beginn an begeistert. Nicht nur, dass<br />

sämtliche Naturwissenschaften wie Biologie etwa<br />

bei der DNA-Analytik, Chemie in der forensischen<br />

Toxikologie oder Physik beispielsweise bei Schussoder<br />

Verkehrsunfallrekonstruktionen eine Rolle<br />

spielen. Auch sämtliche anderen medizinischen<br />

Fachgebiete werden von dem Rechtsmediziner gestreift,<br />

zum Beispiel bei der Beurteilung eines ärztlichen<br />

Fehlverhaltens. Neben dieser Vielfalt des<br />

Faches haben wir einen sehr abwechslungsreichen<br />

Alltag, bestehend aus Forschung, Vorlesungen,<br />

Obduktionen, Gerichtsterminen, Untersuchungen<br />

von lebenden Personen, also Opfern von<br />

Gewalttaten oder Tatortbegehungen.<br />

mediakompakt: Welche Aufgaben erledigen Sie am<br />

liebsten, welche gar nicht gerne?<br />

F.W.: Da ich alle meine Aufgaben gerne erledige,<br />

erübrigt sich der zweite Part Ihrer Frage eigentlich.<br />

Die Vielfalt der Aufgaben, heute Vorlesung,<br />

Morgen Gerichtstermin, Übermorgen Obduktion<br />

ist es, was diesen Beruf so erstrebenswert macht.<br />

mediakompakt: Welche Eigenschaften brauchen<br />

Bewerber?<br />

F.W.: Ausdauer, kriminalistischen Instinkt und<br />

Genauigkeit. Daneben natürlich wissenschaftliches<br />

Interesse und für die Vorlesungen didaktische<br />

Fähigkeiten.<br />

„Bei Mitleid wäre man<br />

nicht mehr<br />

unvoreingenommen“<br />

mediakompakt: Haben Sie manchmal Mitleid mit<br />

dem Schicksal Ihrer Klienten?<br />

F.W.: Mitleid darf man nicht haben, denn dann<br />

wäre man nicht mehr unvoreingenommen.<br />

Sicherlich überlegt man sich in manchen Fällen,<br />

was dazu geführt hat, wie die Umstände sich entwickelt<br />

haben, dass nun ein Mensch tot ist.<br />

Mitleid könnte aber leicht den Blick trüben,<br />

vielleicht dazu führen, bestimmte Aspekte falsch<br />

zu interpretieren, was eine Fehleinschätzung in<br />

der Gesamtbeurteilung auslösen kann. Wir sind<br />

unparteiische Sachverständige und haben ohne<br />

persönliches Befinden unsere Gutachten zu erstatten,<br />

mit negativen, aber auch positiven Konsequenzen<br />

für die Betroffenen.<br />

mediakompakt: Hatten Sie schon einmal einen<br />

Bekannten oder Verwandten vor Ihnen?<br />

F.W.: Nein. Ich würde ein Gerichtsverfahren gegen<br />

Verwandte oder Bekannte ablehnen, da ich möglicherweise<br />

als befangen angesehen werden könnte.<br />

Obduktionen an Bekannten oder Verwandten<br />

würde ich aus rein persönlichen Gründen ablehnen.<br />

mediakompakt: Gehen Ihnen Ermittler manchmal<br />

auf die Nerven?<br />

F.W.: Eigentlich nicht. Manchmal ärgert mich<br />

allerdings, dass manche Ermittler vollkommen<br />

unvorbereitet zur Obduktion kommen. Gerade<br />

dort brauchen wir vorab etwas Hintergrundinformation.<br />

Worum geht es eigentlich? Ist es ein<br />

Verkehrsunfall, ein Drogentoter oder ein ärztliches<br />

Fehlverhalten? Das ist natürlich schon wichtig,<br />

da wir je nach Fall bestimmte Dinge genauer<br />

untersuchen, zum Beispiel nach Einstichstellen<br />

bei dem Verdacht auf Drogenkonsum, oder eine<br />

andere Obduktionstechnik wählen. Etwa die<br />

Eröffnung der rückwärtigen Körperpartien bei<br />

Rekonstruktionen, bestimmte Techniken bei<br />

Verdacht auf eine Luftembolie. Wenn die Ermittler<br />

auf jede Frage mit einem „Weiß ich nicht“<br />

antworten, ist es schon etwas nervend.<br />

mediakompakt: Was untersuchen Sie standardmäßig<br />

bei einer nicht natürlichen Todesursache?<br />

F.W.: Generell wird eine gerichtliche Leichenöffnung<br />

durchgeführt, die Verletzungen genauestens<br />

vermessen und dokumentiert. Gegebenenfalls<br />

werden die Stich- oder Schusskanäle rekonstruiert<br />

und toxikologische Untersuchungen zur Frage der<br />

Handlungsfähigkeit durchgeführt. Manchmal,<br />

allerdings nicht standardmäßig, fahren wir zum<br />

Tatort oder untersuchen die Tatverdächtigen.<br />

mediakompakt: Welches Körperteil finden Sie am<br />

ekligsten?<br />

F.W.: Keines. Der menschliche Körper ist faszinierend<br />

und in keiner Weise eklig.<br />

mediakompakt: Welche Vorurteile über Ihren Beruf<br />

würden Sie gerne widerlegen?<br />

F.W.: Dass wir Pathologen sind. Es gibt die Facharztausbildung<br />

Rechtsmedizin, die ganz andere<br />

Inhalte in der Weiterbildungsordnung beinhaltet,<br />

als die Facharztausbildung zum Pathologen. Und<br />

dass der Rechtsmediziner immer alleine obduziert.<br />

Nach der Strafprozessordnung muss eine<br />

gerichtliche Leichenöffnung immer von zwei<br />

Ärzten, einer davon mit Fachkenntnis auf dem<br />

Gebiet Rechtsmedizin, durchgeführt werden.<br />

„Fälle, in denen<br />

Kinder die Opfer sind,<br />

halten sich lange im<br />

Gedächtnis.“<br />

mediakompakt: Gibt es Fälle, die Sie nicht losgelassen<br />

haben?<br />

F.W.: Gerade Fälle, in welchen Kindern die Opfer<br />

sind, halten sich lange im Gedächtnis. Wenn man<br />

an den Tatort gerufen wird und im Kinderzimmer<br />

liegen zwei tote Kinder, mit einer Axt erschlagen,<br />

das Kinderzimmer sieht aus wie zuhause bei den<br />

etwa gleichaltrigen Kindern, also das gleiche Ikea-<br />

Bett, Baby Born und Bobbycar, dann bleiben<br />

diese Bilder haften.<br />

DER EXPERTE<br />

Professor Dr. Frank Wehner, seit 2002 Facharzt<br />

der Rechtsmedizin und Oberarzt am<br />

Gerichtlichen Institut der Universität Tübingen,<br />

studierte Humanmedizin in Freiburg und<br />

Tübingen. Zur Zeit der Interviewanfrage befand<br />

er sich in Addis Abeba, um als Mitglied<br />

des deutschen DVI („Disaster-Victim-Identification“,<br />

auf deutsch Katastrophen-Opfer-<br />

Identifizierung) die Absturzopfer der Flugzeugkatastrophe<br />

der Boeing 737-Maschine der<br />

Ethiopian Airlines zu identifizieren. Dabei bestand<br />

seine Aufgabe vor allem in der Erhebung<br />

der Post-mortem-Daten. So werden die Opfer<br />

anhand der drei primären Identifizierungsmerkmale<br />

DNA, Fingerabdruck und Zahnstatus<br />

sowie sonstiger Merkmale wie Tätowierungen,<br />

bestimmter Schmuck oder Narben mit<br />

den sogenannten Ante-Mortem-Daten (etwa<br />

Haare aus einer Bürste, vorhandenen Krankenakten<br />

etc.) abgeglichen und somit zweifelsfrei<br />

identifiziert.


24<br />

MIND<br />

mediakompakt<br />

Mach’ mal lieber langsam<br />

Die Beschleunigung kennzeichnet unsere moderne Gesellschaft. Menschen fühlen sich<br />

zunehmend überfordert. Entschleunigung ist der entsprechende Gegenpol und eine<br />

Chance, aus dem Beschleunigungswahn auszubrechen.<br />

VON BENEDIKT MUGRAUER<br />

Unsere Welt dreht sich immer schneller.<br />

Zumindest haben viele Menschen<br />

dieses Gefühl. Neue Technologien<br />

gehen einher mit hohen<br />

Anforderungen, an die wir uns immer<br />

wieder und immer rascher anpassen müssen.<br />

Beschleunigung ist zugleich Fluch und Segen. Einerseits<br />

bietet die westliche Welt einen hohen<br />

Wohlstand und unzählige Möglichkeiten. Andererseits<br />

kann die zunehmende Beschleunigung zu<br />

Hektik, Überforderung und Krankheit führen.<br />

Je schwerer die negativen Phänomene wiegen,<br />

desto lauter wird der Ruf nach Stille, nach Entschleunigung.<br />

Wir können der steten Beschleunigung<br />

des Lebens bewusst entgegenwirken, um<br />

handlungsfähig und gesund zu bleiben. Wir haben<br />

dazu einen Leitfaden erstellt.<br />

Tag 1: Ruhe und Schlaf<br />

Eine elementare Bedingung für die Gesundheit<br />

eines Menschen ist es, dem Körper genügend<br />

Ruhe und Schlaf zu gönnen. Die Energiereserven<br />

müssen aufgeladen und die Geschehnisse des Tages<br />

verarbeitet werden. Das Schlaf- und Ruhebedürfnis<br />

ist jedoch von Mensch zu Mensch verschieden.<br />

Tag 2: Achtsamkeit<br />

Achtsamkeit bedeutet, dass wir uns mit den<br />

Gedanken möglichst häufig in die Gegenwart begeben.<br />

Das Hier und Jetzt wird mit allen Sinnen<br />

wahrgenommen, die jeweilige Tätigkeit bewusst<br />

und achtsam durchgeführt. Dabei wird Rücksicht<br />

sowohl auf die eigenen, als auch auf die Bedürfnisse<br />

der Umwelt genommen.<br />

Tag 3: Selbstreflexion<br />

Als Menschen besitzen wir die Fähigkeit, über<br />

uns selbst nachdenken zu können. Selbstreflexion<br />

hilft, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden.<br />

Was mache ich gerne? Was tut mir gut?<br />

Was könnte besser sein? Was sind meine Ziele<br />

und Wünsche? Und wie klein sind wir und unsere<br />

sogenannten Probleme, wenn wir die Situation<br />

aus der Ferne des Universums betrachten?<br />

Tag 4: Entrümpeln<br />

Ein Europäer besitzt durchschnittlich zirka<br />

10.000 Gegenstände, es kann auch ein Vielfaches<br />

davon sein. Jeder davon ist mit einer Verpflichtung<br />

verbunden, zumindest muss dem Gegenstand<br />

ein Platz zur Verfügung gestellt werden.<br />

Entrümpeln kann neue Kräfte freisetzen. Dies bezieht<br />

sich nicht nur auf Gegenstände, sondern<br />

kann auch auf unsere Erwartungen, Gewohnheiten<br />

und Beziehungen übertragen werden. „Wenn<br />

du etwas loslässt, bist du etwas glücklicher. Wenn<br />

du viel loslässt, bist du viel glücklicher. Wenn du<br />

ganz loslässt, bist du frei“, sagt der buddhistische<br />

Mönch Ajahn Chah.<br />

Tag 5: Ausgleich<br />

Aus der Selbstreflexion ergeben sich Aktivitäten,<br />

die individuell als positiv eingeschätzt werden.<br />

Die größte Herausforderung beim Entschleunigen<br />

ist es, die Theorie in die Praxis umzusetzen.<br />

In diesem Schritt geht es daher darum, angenehme<br />

Aktivitäten in den Alltag zu integrieren. Dabei<br />

darauf achten, sich nicht zu viel vorzunehmen.<br />

Tag 6: Zufriedenheit<br />

Wenn wir auf das eigene Leben blicken, sollten<br />

wir uns bewusst werden, wie privilegiert wir sind<br />

und wie zufrieden wir uns schätzen können. Um<br />

eine zufriedene Sicht auf das eigene Leben zu entwickeln,<br />

kann es helfen, eine Liste anzufertigen<br />

und Punkte aufzuzählen, mit denen man zufrieden<br />

ist. Aristoteles: „Das Glück gehört den Genügsamen.“<br />

Tag 7: Einfach mal nichts tun<br />

Und also ruhte der Entschleunigte am siebenten<br />

Tage und bewunderte sein Werk.<br />

Bild: Nick Abrams<br />

In unserer schnelllebigen Welt können wir<br />

davon profitieren, uns Phasen der Entschleunigung<br />

zu gönnen. Wir gewinnen Abstand zu den<br />

Dingen und Meinungen und bereiten ein Beet,<br />

in dem die innere Ruhe gedeihen kann. Mahatma<br />

Gandhi: „Es gibt Wichtigeres im Leben, als beständig<br />

dessen Geschwindigkeit zu erhöhen.“


2/2019 MIND<br />

25<br />

Bilder: Pixabay<br />

Start your day right!<br />

Der Morgen bestimmt den Tag. Nur eine Floskel, aber was steckt dahinter? Wie kann<br />

ich den Morgen effizient nutzen und daraus Energie ziehen, die mich den ganzen<br />

Tag begleitet? Drei Menschen berichten von ihren ganz persönlichen<br />

Morgenritualen und wie diese ihr Leben positiv beeinflusst haben.<br />

VON JENNIFER SULTANOW<br />

Morning Run<br />

David ist 38 Jahre alt und Vater von zwei Kindern<br />

im Grundschulalter. Sein Beruf: Senior Projekt<br />

Controller in einem Schweizer Zement -<br />

konzern. Sein Alltag: eher stressig. Durch die<br />

anspruchsvollen Aufgaben in seiner Abteilung<br />

kommen seine Gedanken auch nach Ankunft in<br />

den eigenen vier Wänden nicht zur Ruhe, er denkt<br />

weiter nach. Hinzu kommen meistens abendliche<br />

Hausaufgaben, Besprechungen mit den Kindern,<br />

bevor er todmüde ins Bett fällt.<br />

Somit stand für ihn schon früh fest, er braucht<br />

ein Morgenritual, das ihn für den Tag wappnet<br />

und ihm hilft seine Gedanken zu strukturieren. Er<br />

entdeckte seine Leidenschaft für das morgendliche<br />

Laufen. Zugegeben, das durchzuziehen, ist alles<br />

andere als einfach: Doch David sagt, gerade darin<br />

liege der große Vorteil. „Wenn ich mich am<br />

Morgen dazu aufraffen kann, acht Kilometer zu<br />

laufen, habe ich bereits die größte Herausforderung<br />

gemeistert. Meinen inneren Schweinehund<br />

überwunden.“ Hinzu komme, dass er während des<br />

Laufens Zeit hat, sich in aller Ruhe seine Aufgaben<br />

zurechtzulegen und erste wichtige Entscheidungen<br />

zu treffen. Ohne den Sport befürchtet er außerdem<br />

einen Abfall seiner Leistungsfähigkeit.<br />

Ihm würde der tägliche Energieschub fehlen.<br />

Für all jene, die einen „Morning Run“ ebenfalls<br />

in ihre Routine integrieren möchten, hat David<br />

folgende Empfehlungen: sich zu Beginn kleine<br />

Ziele setzen und einen Mitstreiter suchen, um die<br />

Motivation aufrecht zu erhalten.<br />

Meditation<br />

Marius (19) und Markus (25) sind beide in verschiedenen<br />

Phasen ihres Lebens. Marius ist noch<br />

Student und steckt momentan in der ersten Hälfte<br />

seines Studiums. Markus hat dagegen seit längerer<br />

Zeit in der Industrie eine Festanstellung. Doch eines<br />

haben sie gemeinsam: den aufkommenden<br />

Alltagsstress. Bei Marius entsteht dieser durch die<br />

zu erbringenden Leistungen während des Semesters<br />

und der Schwierigkeit, dass er Studium und<br />

Privatleben unter einen Hut bekommen muss.<br />

Markus muss zwar keine Prüfungen mehr schreiben,<br />

aber auch er ist im Job unterschwelligem<br />

Stress ausgesetzt.<br />

Eine Möglichkeit, ohne großen Aufwand für<br />

einen Augenblick alle Gedanken auf lautlos zu<br />

stellen, wäre für beide die perfekte Lösung. So haben<br />

sie sich für das morgendliche Meditieren entschlossen.<br />

Nach dem Aufstehen sucht sich Markus<br />

einen ruhigen Platz in seinem Zimmer und meditiert<br />

zirka zehn bis 15 Minuten.<br />

Wie ist er zum Meditieren gekommen? Mehrere<br />

seiner Kollegen würden dies ebenfalls praktizieren,<br />

antwortet er. Die App „Headspace“ habe den<br />

Einstieg erleichtert. Sie bietet kurze Lektionen an,<br />

die sich leicht in den Morgen integrieren lassen<br />

und eignet sich auch für Anfänger sehr gut.<br />

Was beide besonders an ihrem morgendlichen<br />

Ritual schätzen, ist die angenehme Leere, die<br />

durch das Meditieren in ihrem Kopf entsteht und<br />

damit einen konzentrierten Start in den Tag ermöglicht.<br />

QUICK ENERGY BOOST<br />

Wer sich motiviert fühlt, am liebsten<br />

auch eine neue Morgenroutine einführen<br />

würde, aber nicht so wirklich was<br />

mit Laufen oder Meditieren anfangen<br />

kann, für den hier ein schnelles Smoothie-Rezept.<br />

Der Morning Boost Smoothie<br />

bietet euch den nötigen Treibstoff<br />

für den Tag, ohne dass ihr dafür eure<br />

Tagesplanung verändern müsst.<br />

Zutaten<br />

1/2 gefrorene Banane<br />

3/4 Tasse Kuh-, Hafer- oder Mandelmilch<br />

1/2 Tasse Grünkohl<br />

1/4 Tasse fettarmen griechischen<br />

Joghurt<br />

1 TL Mandelbutter<br />

1 EL Proteinpulver deiner Wahl (z. B.<br />

Vanille)<br />

1 TL gemahlene Leinsamen<br />

Alle Zutaten in einem Mixer pürieren,<br />

bis eine cremige Konsistenz entsteht. Bei<br />

Bedarf Eiswürfel hinzugeben, falls der<br />

Shake dickflüssig sein soll.<br />

Viel Spaß beim Ausprobieren!


<strong>26</strong><br />

MIND<br />

mediakompakt<br />

Homos halal<br />

Händchenhaltend durch<br />

die Stadt laufen, einen<br />

schnellen Kuss an der<br />

Ampel? Oder ist die Angst<br />

gesehen und entdeckt zu<br />

werden einfach zu groß?<br />

HELEN GLEIXNER<br />

Bild: freepik<br />

Diversität wird aktuell gepredigt wie<br />

nie zuvor. Homosexualität, Transsexualität,<br />

Intersexualität. Vor allem<br />

unsere Generation ist für diese Themen<br />

sensibilisiert wie keine andere<br />

zuvor. So zeigt es eine Umfrage der Antidiskriminierungsstelle,<br />

nach welcher 83 Prozent der Deutschen<br />

eine Ehe zwischen gleichgeschlechtlichen<br />

Partnern befürworten. Jedoch ist diese Toleranz<br />

begrenzt.<br />

Sie verringert sich, je mehr es die Menschen<br />

persönlich betrifft. Etwa 40 Prozent geben in der<br />

Umfrage an, dass es für sie unangenehm wäre,<br />

wenn der Sohn schwul wäre. Das entspricht beinahe<br />

der Hälfte. Bin ich in der Hinsicht also vielleicht<br />

zu naiv? Lebe ich in meiner eigenen rosaroten<br />

Filterblase, in der ich mich in allgemeiner<br />

Toleranz wäge? Und vergesse dabei die Menschen,<br />

die auf Grund ihrer sexuellen Orientierung tagtäglich<br />

Einschränkungen und Diskriminierung<br />

durch die Gesellschaft erfahren.<br />

Es ist früher Abend und ich sitze in meinem<br />

Wohnzimmer im Stuttgarter Osten. Gegenüber<br />

von mir sitzt Osman. Osman ist schwul. Seine Familie<br />

muslimisch. Offen kann er seine Sexualität<br />

nicht leben. Muss diese vor der Familie geheim<br />

halten. Bei einem Bier sprechen wir über sein Leben<br />

zwischen Mekka und Kings Club.<br />

mediakompakt: Bist Du gläubig?<br />

Osman: Jein, also ich bin schon gläubig, aber nicht<br />

religiös. Religion ist nicht mein Ding. Ich schließe<br />

nicht aus, dass es irgendwas Größeres geben könnte.<br />

Grüne Aliens mit Glubschaugen zum Beispiel,<br />

man kann ja nie wissen.<br />

mediakompakt: Und Deine Familie?<br />

Osman: Meine Eltern kommen ursprünglich aus<br />

dem Kosovo und sind gläubige Moslems. Kultur<br />

und Tradition spielen eine wichtige Rolle. Mein<br />

Vater ist in der islamischen Gemeinde in Stuttgart<br />

aktiv. Meine Geschwister dagegen sind eher Alibi-<br />

Moslems.<br />

mediakompakt: Wann hast Du gemerkt, dass Du<br />

schwul bist?<br />

Osman: Oh, eine große Frage. Ich frage dann immer<br />

gerne zurück: Wann hast du denn gemerkt, dass<br />

du heterosexuell bist? Als ich in der sechsten Klasse<br />

war, hat es Klick gemacht. Ich habe bemerkt,<br />

dass ich nicht die Lisa aus der Parallelklasse megahübsch<br />

finde, sondern den Stefan. Ich konnte das<br />

zunächst nicht zuordnen. Das hat sich schon richtig<br />

angefühlt, aber im selben Moment hat man das<br />

Gefühl, das es falsch ist. In dem Alter traut man<br />

sich noch nicht, über solche Dinge zu reden und<br />

weiß nicht, ob es bei anderen ebenfalls so ist. Ob<br />

das normal ist. Ich habe das verdrängt und versucht<br />

dem aus dem Weg zu gehen. Ich hatte auch<br />

Angst vor den Reaktionen meiner Eltern und meiner<br />

Freunde. Als ich 17 war, habe ich mich in einen<br />

Jungen aus meiner Klasse verliebt. Da war der<br />

Drops gelutscht.<br />

mediakompakt: Weiß Deine Familie, dass Du auf<br />

Männer stehst?<br />

Osman: Meine Geschwister wissen das. Das war keine<br />

große Sache, als ich ihnen das erzählt habe.<br />

Mein Bruder hatte zu dem Zeitpunkt einen Streit<br />

mit Mama und meinte nur, „das ist jetzt echt egal,<br />

ich reg mich über Mama auf, danach können wir<br />

über dich reden“. Das war eine echte Erleichterung.Vor<br />

meinen Eltern habe ich mich bis nicht<br />

geoutet. Seit einem Jahr gibt es immer wieder Momente,<br />

da sind alle gut drauf und gerade, wenn ich<br />

mich überwinde, bekomme ich keinen Ton raus,<br />

da fühlt man sich wieder wie ein Teenie. Die Angst<br />

überwiegt, ich könnte meine Eltern verlieren.<br />

mediakompakt: Wie kommentieren deine Eltern das<br />

Thema Homosexualität?<br />

Osman: „Das ist nicht richtig“ und „Gott hat das<br />

nicht so gewollt“, sind zwei Sätze, die ich oft von<br />

meinen Eltern zu hören bekomme, wenn wir<br />

abends zusammen vor dem Fernseher sitzen und


2/2019 MIND 27<br />

mit dem Thema konfrontiert werden. Meine Eltern<br />

haben ein schwieriges Verhältnis zur Homosexualität,<br />

was sicher zum Großteil der Religion<br />

geschuldet ist. Homosexualität ist im Koran eine<br />

Sünde. Doch in den letzten Jahren habe ich versucht,<br />

meine Eltern zu sensibilisieren, so will ich<br />

sie langsam, aber sicher auf mein Coming-out vorbereiten.<br />

mediakompakt: Wie würde Dein Vater reagieren,<br />

wenn er erfahren würde, dass Du schwul bist?<br />

Osman: In meinem Kopf bin ich das immer und immer<br />

wieder durchgegangen. Das ist schwierig,<br />

denn es kommt immer anders als man denkt. Was<br />

ich für mich komplett ausgeschlossen habe ist eine<br />

totale Akzeptanz, nach dem Motto “Hey alles gut,<br />

wir lieben dich trotzdem”. Was ich mir vorstellen<br />

könnte, wäre, dass sie erst mal keinen Kontakt mit<br />

mir haben wollen. Kein schöner Gedanke. Sollten<br />

meine Eltern für eine gewisse Zeit Abstand brauchen,<br />

werde ich ihnen dies berücksichtigen.<br />

mediakompakt: Wie ist die Lage für Schwule in Deiner<br />

Heimat, im Kosovo?<br />

Osman: Im Kosovo ist Homosexualität legal, wird<br />

aber in der Gesellschaft überwiegend tabuisiert.<br />

Der Einfluss der Religionen ist groß. Wenn du in<br />

einem Dorf lebst, gibt es so etwas einfach nicht,<br />

das wird totgeschwiegen. Selbst in der Hauptstadt<br />

gibt es nur wenige Schwulenbars. Homophobe<br />

und konservative Denkweisen sind im Kosovo<br />

weit verbreitet.<br />

Bild: David Ruiz<br />

mediakompakt: Viele Menschen haben auch heutzutage<br />

mit Anfeindungen und Problemen zu<br />

kämpfen, um das zu ändern, braucht es Vorbilder.<br />

Das gilt vor allem für Menschen, die in der Öffentlichkeit<br />

stehen, zum Beispiel Politiker, Sportler<br />

oder auch Schauspieler. Was ist Deine Meinung zu<br />

dieser Debatte?<br />

Osman: Ja, Promis haben ganz sicher eine Vorbildfunktion,<br />

gerade für homosexuelle Jugendliche,<br />

die sich noch nicht geoutet haben, oft aus Angst<br />

vor Ausgrenzung und Anfeindungen. Klar wäre es<br />

toll, wenn es diese Coming-out-Funktion nicht geben<br />

müsste. Aber heutzutage muss das zum Thema<br />

gemacht werden, damit es irgendwann zur Normalität<br />

wird.<br />

mediakompakt: Was denkst Du, muss sich in den<br />

nächsten Jahren verändern?<br />

Osman: Das ist ein Prozess, den unsere Gesellschaft<br />

durchmachen muss. Wie zum Beispiel bei Thomas<br />

Hitzlsperger, der sich nach dem Ende seiner Karriere<br />

als erster deutscher Fußballer geoutet hat, dass<br />

er homosexuell ist. Ich frage mich, warum es so<br />

lange Zeit und so viel Mut braucht, um etwas zu<br />

gestehen, dass doch eigentlich längst so selbstverständlich<br />

und normal sein sollte wie der Gang auf<br />

die Toilette.<br />

mediakompakt: Was würdest Du Dir für Deine Zukunft<br />

wünschen?<br />

Osman: Dass Menschen anfangen über den Tellerrand<br />

hinauszuschauen.<br />

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28<br />

MIND<br />

mediakompakt<br />

Wenn Flucht zu Freundschaft führt<br />

In Zeiten der Flüchtlingskrise engagieren sich viele Menschen, einige<br />

leisten aktiv ehrenamtliche Hilfe. Dass sozialer Einsatz nicht nur<br />

Freude und ein gutes Gewissen bereitet, wird häufig unterschätzt.<br />

VON LISA FRITZ<br />

September 2015, Libanon: eine Szene,<br />

wie man sie aus den Medien kennt. Mahasen<br />

A., die zwei Jahre zuvor aus syrischem<br />

Kriegsgebiet geflüchtet ist, hat<br />

einen Platz auf einem Schlepperboot.<br />

Was ihr die riskante Flucht erschwert, ist ihr behinderter<br />

Sohn Saif, sechs Jahre alt, und die Tatsache,<br />

dass sie schwanger ist. Mahasen war<br />

gezwungen, ihr Heimatland zu verlassen, nicht<br />

wegen der dortigen Zustände, sondern weil sie<br />

weiß, dass ihr Sohn ohne die nötigen ärztlichen<br />

Maßnahmen sterben wird – und sie diese weder in<br />

Syrien noch im Libanon erhält.<br />

So muss sie ihre fünf weiteren Kinder zurücklassen,<br />

was eine unvorstellbare Belastung bedeutet.<br />

Nachdem sie es durch die Türkei und Griechenland<br />

bis Deutschland geschafft hat, erschöpft<br />

und ausgebrannt, steht sie wie fast alle Flüchtlinge<br />

vor den nächsten Herausforderungen. Einen Platz<br />

im Heim finden, Formalitäten, sozialrechtliche<br />

Ansprüche. Alles ohne Deutsch-Kenntnisse.<br />

Der Weg führt nach Waiblingen, wo Tochter<br />

Toka zur Welt kommt. Mahasen lernt Rita S. und<br />

ihre Tochter Tamara kennen, die anfangs bei<br />

einigen Formalitäten helfen und gelegentlich die<br />

Kinder beschäftigen sollen, um Mahasen den Alltag<br />

zu erleichtern. Doch schnell kommt es zu<br />

einer emotionalen Bindung, sowohl zur jungen<br />

Mutter als auch ihren Kindern. Es entsteht eine<br />

tiefe Freundschaft. Die Aufgaben sind längst nicht<br />

mehr die eines Ehrenamtlichen, der hier und da<br />

zu Behörden begleitet oder beim Deutschlernen<br />

unterstützt. Die beiden Familien wachsen Tag für<br />

Tag zusammen: Immer häufiger bleiben die Kinder<br />

über Nacht, Feste werden gefeiert, Ausflüge<br />

unternommen und lange Gespräche geführt.<br />

Doch was einerseits gut tut, weil man gebraucht<br />

wird, hat auch Schattenseiten. „Anders als Sozialarbeiter<br />

kann ich abends nicht einfach das Handy<br />

ausschalten, das möchte ich auch gar nicht. Wenn<br />

Freunde Probleme haben, lässt man sie nicht im<br />

Stich, für die ist man doch Tag und Nacht da”<br />

meint Rita.<br />

Die Caritas weist darauf hin, dass Helfer immer<br />

wieder ihre körperlichen, psychischen und zeitlichen<br />

Ressourcen<br />

überschätzen.<br />

Der<br />

unentwegte Einsatz<br />

und die emotionale<br />

Nähe zu Flüchtlingen<br />

und ihren<br />

Schicksalen kann Ehrenamtliche an die Grenzen<br />

der Belastbarkeit bringen. Auch Unverständnis<br />

hinsichtlich politischer Entscheidungen und Behördenregelungen<br />

führen häufig zu Frustration.<br />

Das zeigt sich besonders, als im Dezember<br />

2018 zwei der fünf Kinder aus dem Libanon nachgeholt<br />

werden sollen. Was nach einem langersehnten<br />

Wiedersehen klingt, wird zu einer nervlichen<br />

Zerreißprobe. Am 24. Dezember, nachdem<br />

sich die Familien monatelang um Formalitäten,<br />

Ausweise und Flugtickets gekümmert haben, machen<br />

sich die zwei Mädchen, vier und zwölf Jahre<br />

alt, auf den Weg nach Deutschland. Hier ist die<br />

Vorfreude groß, längst wird Heiligabend trotz kultureller<br />

Differenzen gemeinsam gefeiert. So hofft<br />

man dieses Jahr auf ein besonderes Weihnachtswunder.<br />

Dazu kommt es nicht. Die Kinder sitzen<br />

bereits im Flugzeug, als sie von libanesischen Behörden<br />

abgeführt werden. Als Grund nennt man<br />

das Fehlen einiger Papiere, obwohl diese stets vorlagen.<br />

Für Mahasen bricht eine Welt zusammen.<br />

Als ein paar Wochen später – trotz mehrmaligem<br />

Überprüfen aller Unterlagen – auch der zweite<br />

Versuch missglückt, erleidet die Mutter mehrere<br />

Nervenzusammenbrüche. Für Rita und Tamara<br />

steigt ebenfalls die<br />

„Für Freunde ist man<br />

doch Tag und Nacht da.“<br />

psychische<br />

Belastung<br />

und die Hilflosigkeit,<br />

da die Ausreise<br />

scheinbar aus<br />

reiner Willkür verweigert<br />

wird. Gemeinsam kontaktieren sie internationale<br />

Organisationen, besuchen das Konsulat<br />

in Berlin, holen notarielle Bescheinigungen und<br />

weitere Papiere ein. Und endlich ist es soweit: Am<br />

20. Februar kann Mahasen ihre Töchter nach vielen<br />

Jahren wieder in die Arme schließen, mit dem<br />

Wissen, dass sie endlich in Sicherheit sind. Auch<br />

für Rita und Tamara sind solche Momente pure<br />

Glücksgefühle. „Natürlich ist es anstrengend,<br />

gar keine Frage. Doch das ist es wert, allein, weil<br />

unsere Familie nun doppelt so groß ist“.<br />

Bild: Abel


2/2019 MIND<br />

29<br />

Illustration: Berenike Mack<br />

Hinter jeder starken Frau<br />

stehen starke Frauen<br />

Female Fellows ist ein Verein, der geflüchteten und verfolgten<br />

Frauen und Mädchen hilft, Hürden zu überwinden, die sie alleine<br />

schwer schaffen. Die Gründerin Jana Derbas setzt sich für sie ein.<br />

VON CECILIE ETSE<br />

Wie aus einer Studie der Organisation<br />

für wirtschaftliche Zusammenarbeit<br />

und Entwicklung<br />

(OECD) hervorgeht, werden<br />

weibliche Geflüchtete schlechter<br />

in die Deutsche Gesellschaft integriert. Grund ist<br />

die geringe Teilnahme an Integrationsangeboten<br />

und wenig Kontakt zu Einheimischen. Nur zwölf<br />

Prozent der Frauen haben täglich Kontakt zu<br />

Deutschen. Das war ein ausschlaggebender<br />

Punkt, warum Jana Derbas „Female Fellows“ im<br />

März 2018 den Verein gründete.<br />

Der Verein unterstützt mit Hunderten ehrenamtlichen<br />

Helferinnen geflüchtete Frauen und<br />

Mädchen beim Spracherwerb, bei Behördengängen<br />

und im Alltag. Dabei fördern die Treffen und<br />

das dabei entstehende Vertrauensverhältnis die<br />

Eingliederung in die Gesellschaft. Es entstehen<br />

Freundschaften, ein spannender Austausch mit<br />

anderen Kulturen und jede Menge Spaß, sagt<br />

Jana Derbas und man lerne verschiedene kulinarische<br />

Gerichte kennen.<br />

Das Tandem-Projekt bezeichnet den Austausch<br />

zweier Frauen, einer einheimischen Frau<br />

und einer, die aus ihrem Heimatland geflüchtet<br />

ist oder verfolgt wurde. Wenn sich ein Paar gefunden<br />

hat, unternimmt es wöchentlich eine gemeinsame<br />

Aktivität. So schafft es die geflüchtete<br />

Frau, sich rascher zu integrieren. Für jede ehrenamtliche<br />

Helferin im Tandem-Projekt sind verschiedene<br />

Schritte wichtig. Zum einen die Begegnung<br />

mit den Frauen, die in anderen Ländern viel<br />

Leid erlebt haben und jetzt in der Fremde leben.<br />

Nicht nur die Kultur ist anders, auch der Alltag und<br />

die fremden Strukturen. Häufig löst das große Unsicherheit<br />

aus.<br />

Alle im Tandem-Projekt gehen offen und in einer<br />

respektvollen und aufgeschlossenen Art miteinander<br />

um. Zum anderen kommen so Mädchen<br />

und Frauen aus verschiedenen Kulturkreisen mit<br />

Bild: Verein<br />

individuellen Ausprägungen zueinander. Denn<br />

jede Kultur hat ihre Besonderheiten, daraus folgen<br />

unterschiedliche Wertvorstellungen. Vieles<br />

kann daher für Tandem-Partner neu sein, etwa die<br />

familiären Strukturen, die gesellschaftliche Rolle<br />

von Mann und Frau, Erziehung, Bildung, Religion,<br />

Tradition und Sprache. Daher sei es wichtig,<br />

sich mit der Kultur der Austauschpartnerin intensiv<br />

auseinanderzusetzen, sagt Jana Derbas, die<br />

selbst mit einem Jordanier verheiratet ist.<br />

Die meisten geflüchteten Frauen bei Female<br />

Fellows stammen aus Afghanistan und Syrien,<br />

aber auch aus Ländern wie Ghana, Nigeria und<br />

Eritrea. Jedes Tandem-Treffen wird daher mit der<br />

Austauschpartnerin abgesprochen, um eine Aktivität<br />

zu finden, bei der sich jeder wohlfühlen<br />

kann. Female Fellows ist in Stuttgart und im Umkreis<br />

aktiv. Jedoch will der Verein auf nationaler<br />

Ebene agieren und in mehreren Städten Deutschlands<br />

zusätzliche Standorte aufbauen.<br />

Der Leitsatz von Jana Derbas: „Von nichts<br />

kommt nichts. Erst muss man sich beweisen und<br />

zeigen, was man leistet und welches Potenzial in<br />

dem Projekt steckt.“ Erst vor kurzem konnte Female<br />

Fellows in Bietigheim so eine 25-Prozent-<br />

Stelle schaffen.


30<br />

MIND<br />

mediakompakt<br />

Und wo kommst<br />

Du WIRKLICH her?<br />

Illustration: Connor Steinert<br />

Machen wir neue Bekanntschaften,<br />

ist eine der ersten<br />

Fragen oft, wo wir herkommen.<br />

Was damit gemeint ist,<br />

ist nicht die Adresse, die im<br />

Ausweis steht, sondern das<br />

Land, aus dem unsere<br />

Vorfahren kommen.<br />

VON ANTONIA PLANKENHORN<br />

Egal wo ich war, ich habe immer ein<br />

bisschen den Anschluss verloren“, sagt<br />

Selma, während sie ihren Kaffee trinkt.<br />

Wir sitzen draußen, sie trägt eine Sonnenbrille,<br />

ich sehe aber dennoch, dass<br />

ihr Blick beim Erzählen in die Ferne wandert.<br />

Selmas Eltern kommen aus Bosnien, sie ist in<br />

Belgien aufgewachsen und zog 2002 nach Biberach<br />

in Oberschwaben. Heute lebt sie in Stuttgart.<br />

Geschichten wie Selmas sind für mich normal.<br />

Im Jahr 2016 hatten in Stuttgart, wo ich aufgewachsen<br />

bin, 44 Prozent der Einwohner einen Migrationshintergrund.<br />

Damit liegt Stuttgart weit<br />

über dem Durchschnitt, bundesweit hatte 2017<br />

immerhin fast jeder Vierte ausländische Wurzeln.<br />

Meine Schulfreundinnen sind hier geboren<br />

und für mich genauso „deutsch“ wie ich. Mit dem<br />

kleinen Unterschied, dass zuhause nicht Deutsch<br />

gesprochen wurde, sondern Kroatisch, Bosnisch<br />

oder Türkisch. Die Sommerferien, Weihnachten<br />

und Ostern verbrachten sie in ihrer „Heimat“.<br />

Und ich blieb neidisch in Stuttgart zurück. Wir<br />

machten nie mehr als zwei Wochen Urlaub. Heute<br />

denke ich mehr darüber nach, ob es nicht traurig<br />

sein muss, sich nach sechs Wochen Sommerferien<br />

von den Freunden zu verabschieden, die man erst<br />

Monate später wiedersieht. Vermutlich ähnlich<br />

traurig, wie mit den Freunden aus Deutschland<br />

nie ins Freibad zu gehen oder auf Festivals zu fahren.<br />

Wo fühlen sich Menschen wie meine Schulfreundinnen<br />

zuhause? Wo ist ihre Heimat? Und<br />

kommen sie dort je richtig an?<br />

Laura und Nicole, deren Wurzeln in Kroatien<br />

und Polen liegen, fahren beide regelmäßig in das<br />

Heimatland ihrer Eltern, fühlen sich jedoch in<br />

Deutschland daheim. Laura schwärmt von den<br />

Ferien in Kroatien, die sich für sie anfühlen, als<br />

ginge sie ins Hotel. „Für mich ist das Urlaub. Mein<br />

Nest ist aber hier in Stuttgart.“<br />

Selma antwortet darauf ganz anders. „Heimat<br />

ist für mich dort, wo ich keinen Anlass habe, mich<br />

aufgrund meiner Mentalität oder Religion unwohl<br />

zu fühlen. Dort, wo ich mich nicht verstellen<br />

muss.“ Selma ist Muslimin und hat häufig nervige<br />

Fragen zu ihrer Religion zu beantworten. „Wenn<br />

ich während des Ramadan faste, kann das hier keiner<br />

nachvollziehen. Das fühlt sich an wie früher<br />

in der Schule, wenn man nicht die coolen Nikes<br />

hatte.“ Selma zündet sich eine Zigarette an, bevor<br />

sie weitererzählt. „Ich fühle mich nicht wie eine<br />

Ausländerin, aber auch nicht so richtig Deutsch.<br />

Es kommt mir vor, als hätte ich fünf Orte der Heimat,<br />

so richtig aufgenommen fühle ich mich aber<br />

nirgends.“ Hinter ihrer Sonnenbrille schaut sie<br />

immer noch an mir vorbei und wirkt nun traurig.<br />

Im Alltag ist dieses Thema für Selma nicht so<br />

präsent. Nur dann, wenn Leute auf einer Party mit<br />

der Antwort „Biberach“ nicht zufrieden sind und<br />

unbedingt wissen müssen, wo sie tatsächlich herkommt,<br />

ist sie genervt. „Wenn dann rauskommt,<br />

dass ich Muslimin bin, wird erstaunt gesagt, ich<br />

sei doch aber ganz normal.“ Und sie ergänzt, dass<br />

es sich in solchen Momenten anfühle, als wäre ihr<br />

Glaube etwas Schlechtes.<br />

Eine Sache haben Laura, Nicole und Selma gemeinsam,<br />

auch wenn sie nicht die gleichen Erfahrungen<br />

gemacht haben. Auf die Frage, was für sie<br />

Heimat ist, antwortet keine der drei mit einem bestimmten<br />

Ort. Ihre Antworten beschreiben Gefühle<br />

und Werte. Ähnlich war es bei all den anderen<br />

Leuten, die für diesen Beitrag gebeten wurden,<br />

in einem Wort zusammenzufassen, was für sie<br />

Heimat ausmacht.<br />

Da fielen Begriffe wie Familie, Geborgenheit,<br />

Zufriedenheit und Wärme. Nur eine Person antwortete<br />

mit „Stuttgart“. Warum also, ist es so<br />

wichtig, zu wissen wo unsere Mitmenschen herkommen?<br />

Wäre die Zeit nicht besser genutzt, würden<br />

wir weniger über Orte nachdenken und stattdessen<br />

fragen, woran unser Gegenüber glaubt und<br />

was ihm wichtig ist?<br />

Selma trinkt ihren letzten Schluck Kaffee und<br />

sieht mir in die Augen: „Linien klar zu ziehen<br />

macht heutzutage keinen Sinn mehr. Es wäre so<br />

viel schöner, wären alle Menschen einfach nur<br />

Menschen.“<br />

Bild: Lena Joraschek


2/2019 MIND<br />

31<br />

Gugg a mol nah!<br />

Reisen in die Ferne sind voll im Trend. Warum man nicht um die halbe Welt reisen muss, um<br />

etwas zu erleben, verrät dieser Artikel. Gugget oifach a mol genauer no!<br />

VON MARCO HINTERMEIER<br />

New York, Rio, Tokio – drei Städte,<br />

drei Ziele, drei Träume. Immer wieder<br />

sucht es uns heim, das Fernweh.<br />

Auf der Welt gibt es vieles zu sehen –<br />

schillernde Metropolen, atemberaubende<br />

Landschaften und kulinarische Abenteuer.<br />

Kein Wunder, dass Urlaubsreisen in ferne<br />

Länder bei Studenten hoch im Kurs stehen. Doch<br />

schaut man genauer hin, muss man gar nicht weit<br />

reisen, um etwas Besonderes zu erleben – denn<br />

auch im Ländle gibt es allerhand zu sehen. Baden-<br />

Württemberg bietet einfach alles, was das Urlauberherz<br />

begehrt – von pulsierenden Städten über<br />

endlose Naturparadiese bis zu regionalen Gaumenfreuden.<br />

Und das Beste daran: man ist schon<br />

mittendrin. Wir haben beim Tourismusverband<br />

Baden-Württemberg nachgefragt – und jede Menge<br />

Tipps bekommen.<br />

Wie wäre es mit ein paar Tagen „in the wild“?<br />

Die wilde Seite des Südwestens lernt man am<br />

besten in der Natur kennen. Im Schwarzwald<br />

kommen Naturliebhaber und Outdoor-Enthusiasten<br />

gleichermaßen auf ihre Kosten. Er bietet eine<br />

Vielzahl an Sport- und Freizeitangeboten, allen<br />

voran das Wandern. Auch für Individualisten ist<br />

im Schwarzwald bestens gesorgt.<br />

Hier findet man sein eigenes Micro-Adventure.<br />

So kann man spannende Naturwanderwege bestreiten<br />

oder im Nordschwarzwald auf kleinen<br />

Camps fast allein und legal im Wald campen (Onlinebuchung<br />

erforderlich). Auch die Schwäbische<br />

Alb lädt zu einem Besuch ein. Dort gibt es menschenleere<br />

Landstriche, das imposante Donautal<br />

und jahrtausendalte Höhlen. Eine tolle Grundlage,<br />

um die Wildnis des Landes zu erleben.<br />

Action in der Natur, Leben und Kultur in der Stadt – auch<br />

in Baden-Württemberg!<br />

Auch Freunde der Stadt stehen vor der Qual<br />

der Wahl. So wartet das Land nicht nur mit lebhaften<br />

Studentenstädten wie Tübingen, Heidelberg<br />

und Freiburg auf, sondern besticht durch bunte<br />

und kulturell vielfältige Metropolen wie Stuttgart<br />

und Mannheim. Über das ganze Land hinweg<br />

stößt man immer wieder auf hübsche Kleinstädte,<br />

die definitiv einen Besuch wert sind. Schon einmal<br />

in Schwäbisch Hall, Ellwangen oder Isny gewesen?<br />

Nein? Dann mal los!<br />

Bild: Marco Hintermeier<br />

Wie wäre es mit einer Genießertour à la Ländle?<br />

Der Südwesten ist auch genusstechnisch ganz<br />

vorn. Von schmackhaften, lokalen badischen und<br />

württembergischen Weinen (die man übrigens bei<br />

einer Weinwanderung verkosten kann) bis zu regionalen<br />

Spezialitäten und Hochgenüssen gibt es<br />

für jeden Gourmet die passende Leckerei. Seien es<br />

die weit bekannten Mautaschen, Schwarzwälder<br />

Schinken, Obst vom Bodensee, Boeuf de Hohenlohe<br />

oder schwäbischer Gin – für jeden Geschmack<br />

ist etwas dabei. Essen kann man im Ländle nicht<br />

nur gut bürgerlich, sondern übrigens auch sehr<br />

edel in einem der vielen Sternerestaurants. Genießer-Geheimtipp:<br />

Mannheim – im kulinarischen<br />

Schmelztiegel des Landes isst man traditionell,<br />

Haute Cuisine und Streetfood.<br />

Kultur hautnah erleben!<br />

Baden-Württemberg bietet viele Highlights.<br />

Bei einer Auswahl von circa 1300 Museen, Burgen<br />

und Schlösser kommt jeder auf seine Kosten. Wer<br />

Kultur gerne hautnah erlebt, wird sich über das Jubiläum<br />

„100 Jahre Bauhaus“, das im ganzen Land<br />

gefeiert wird, oder den Jahrestag des Spaghetti-Eises<br />

in Mannheim erfreuen. Action erlebt man im<br />

Ländle nicht nur beim Klettern, Rafting oder Tauchen<br />

im Bodensee, aber auch auf Achterbahnen,<br />

zum Beispiel im Europapark.<br />

Auch bei schlechtem Wetter kommt keine<br />

Langeweile auf – die Experimenta Heilbronn,<br />

Deutschlands größtes Wissenschaftszentrum, lädt<br />

zum Entdecken ein. Übrigens: In keinem anderen<br />

Bundesland Deutschlands lacht sie so viele Stunden<br />

die Sonne wie bei uns. Daher: Gugget a mol<br />

genauer nah – vielleicht ist der nächste Urlaub gar<br />

nicht so weit entfernt.<br />

Weitere Infos: www.tourismus-bw.de


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