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MEDIAkompakt Ausgabe 26

Die Zeitung des Studiengangs Mediapublishing an der Hochschule der Medien Stuttgart

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28<br />

MIND<br />

mediakompakt<br />

Wenn Flucht zu Freundschaft führt<br />

In Zeiten der Flüchtlingskrise engagieren sich viele Menschen, einige<br />

leisten aktiv ehrenamtliche Hilfe. Dass sozialer Einsatz nicht nur<br />

Freude und ein gutes Gewissen bereitet, wird häufig unterschätzt.<br />

VON LISA FRITZ<br />

September 2015, Libanon: eine Szene,<br />

wie man sie aus den Medien kennt. Mahasen<br />

A., die zwei Jahre zuvor aus syrischem<br />

Kriegsgebiet geflüchtet ist, hat<br />

einen Platz auf einem Schlepperboot.<br />

Was ihr die riskante Flucht erschwert, ist ihr behinderter<br />

Sohn Saif, sechs Jahre alt, und die Tatsache,<br />

dass sie schwanger ist. Mahasen war<br />

gezwungen, ihr Heimatland zu verlassen, nicht<br />

wegen der dortigen Zustände, sondern weil sie<br />

weiß, dass ihr Sohn ohne die nötigen ärztlichen<br />

Maßnahmen sterben wird – und sie diese weder in<br />

Syrien noch im Libanon erhält.<br />

So muss sie ihre fünf weiteren Kinder zurücklassen,<br />

was eine unvorstellbare Belastung bedeutet.<br />

Nachdem sie es durch die Türkei und Griechenland<br />

bis Deutschland geschafft hat, erschöpft<br />

und ausgebrannt, steht sie wie fast alle Flüchtlinge<br />

vor den nächsten Herausforderungen. Einen Platz<br />

im Heim finden, Formalitäten, sozialrechtliche<br />

Ansprüche. Alles ohne Deutsch-Kenntnisse.<br />

Der Weg führt nach Waiblingen, wo Tochter<br />

Toka zur Welt kommt. Mahasen lernt Rita S. und<br />

ihre Tochter Tamara kennen, die anfangs bei<br />

einigen Formalitäten helfen und gelegentlich die<br />

Kinder beschäftigen sollen, um Mahasen den Alltag<br />

zu erleichtern. Doch schnell kommt es zu<br />

einer emotionalen Bindung, sowohl zur jungen<br />

Mutter als auch ihren Kindern. Es entsteht eine<br />

tiefe Freundschaft. Die Aufgaben sind längst nicht<br />

mehr die eines Ehrenamtlichen, der hier und da<br />

zu Behörden begleitet oder beim Deutschlernen<br />

unterstützt. Die beiden Familien wachsen Tag für<br />

Tag zusammen: Immer häufiger bleiben die Kinder<br />

über Nacht, Feste werden gefeiert, Ausflüge<br />

unternommen und lange Gespräche geführt.<br />

Doch was einerseits gut tut, weil man gebraucht<br />

wird, hat auch Schattenseiten. „Anders als Sozialarbeiter<br />

kann ich abends nicht einfach das Handy<br />

ausschalten, das möchte ich auch gar nicht. Wenn<br />

Freunde Probleme haben, lässt man sie nicht im<br />

Stich, für die ist man doch Tag und Nacht da”<br />

meint Rita.<br />

Die Caritas weist darauf hin, dass Helfer immer<br />

wieder ihre körperlichen, psychischen und zeitlichen<br />

Ressourcen<br />

überschätzen.<br />

Der<br />

unentwegte Einsatz<br />

und die emotionale<br />

Nähe zu Flüchtlingen<br />

und ihren<br />

Schicksalen kann Ehrenamtliche an die Grenzen<br />

der Belastbarkeit bringen. Auch Unverständnis<br />

hinsichtlich politischer Entscheidungen und Behördenregelungen<br />

führen häufig zu Frustration.<br />

Das zeigt sich besonders, als im Dezember<br />

2018 zwei der fünf Kinder aus dem Libanon nachgeholt<br />

werden sollen. Was nach einem langersehnten<br />

Wiedersehen klingt, wird zu einer nervlichen<br />

Zerreißprobe. Am 24. Dezember, nachdem<br />

sich die Familien monatelang um Formalitäten,<br />

Ausweise und Flugtickets gekümmert haben, machen<br />

sich die zwei Mädchen, vier und zwölf Jahre<br />

alt, auf den Weg nach Deutschland. Hier ist die<br />

Vorfreude groß, längst wird Heiligabend trotz kultureller<br />

Differenzen gemeinsam gefeiert. So hofft<br />

man dieses Jahr auf ein besonderes Weihnachtswunder.<br />

Dazu kommt es nicht. Die Kinder sitzen<br />

bereits im Flugzeug, als sie von libanesischen Behörden<br />

abgeführt werden. Als Grund nennt man<br />

das Fehlen einiger Papiere, obwohl diese stets vorlagen.<br />

Für Mahasen bricht eine Welt zusammen.<br />

Als ein paar Wochen später – trotz mehrmaligem<br />

Überprüfen aller Unterlagen – auch der zweite<br />

Versuch missglückt, erleidet die Mutter mehrere<br />

Nervenzusammenbrüche. Für Rita und Tamara<br />

steigt ebenfalls die<br />

„Für Freunde ist man<br />

doch Tag und Nacht da.“<br />

psychische<br />

Belastung<br />

und die Hilflosigkeit,<br />

da die Ausreise<br />

scheinbar aus<br />

reiner Willkür verweigert<br />

wird. Gemeinsam kontaktieren sie internationale<br />

Organisationen, besuchen das Konsulat<br />

in Berlin, holen notarielle Bescheinigungen und<br />

weitere Papiere ein. Und endlich ist es soweit: Am<br />

20. Februar kann Mahasen ihre Töchter nach vielen<br />

Jahren wieder in die Arme schließen, mit dem<br />

Wissen, dass sie endlich in Sicherheit sind. Auch<br />

für Rita und Tamara sind solche Momente pure<br />

Glücksgefühle. „Natürlich ist es anstrengend,<br />

gar keine Frage. Doch das ist es wert, allein, weil<br />

unsere Familie nun doppelt so groß ist“.<br />

Bild: Abel

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