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MEDIAkompakt Ausgabe 26

Die Zeitung des Studiengangs Mediapublishing an der Hochschule der Medien Stuttgart

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2/2019 MIND<br />

23<br />

Leichen im Keller<br />

Es ist der Klassiker jedes TV-Krimis: Ein Rechtsmediziner steht vor dem Stahltisch und erläutert<br />

Kommissaren nüchtern die Fakten. Doch wie erleben diese Menschen ihren Beruf tatsächlich<br />

und welche Klischees treffen zu? Wir sind den Mythen auf den Grund gegangen – im Interview<br />

mit dem renommierten Rechtsmediziner Prof. Dr. Frank Wehner der Universität Tübingen.<br />

VON STEFANIE HÄCKER<br />

mediakompakt: Aus welchen Gründen und wann<br />

haben Sie sich für diesen Beruf entschieden?<br />

Frank Wehner: Erstmals hatte ich Kontakt mit der<br />

Rechtsmedizin während meines Studiums und<br />

war von Beginn an begeistert. Nicht nur, dass<br />

sämtliche Naturwissenschaften wie Biologie etwa<br />

bei der DNA-Analytik, Chemie in der forensischen<br />

Toxikologie oder Physik beispielsweise bei Schussoder<br />

Verkehrsunfallrekonstruktionen eine Rolle<br />

spielen. Auch sämtliche anderen medizinischen<br />

Fachgebiete werden von dem Rechtsmediziner gestreift,<br />

zum Beispiel bei der Beurteilung eines ärztlichen<br />

Fehlverhaltens. Neben dieser Vielfalt des<br />

Faches haben wir einen sehr abwechslungsreichen<br />

Alltag, bestehend aus Forschung, Vorlesungen,<br />

Obduktionen, Gerichtsterminen, Untersuchungen<br />

von lebenden Personen, also Opfern von<br />

Gewalttaten oder Tatortbegehungen.<br />

mediakompakt: Welche Aufgaben erledigen Sie am<br />

liebsten, welche gar nicht gerne?<br />

F.W.: Da ich alle meine Aufgaben gerne erledige,<br />

erübrigt sich der zweite Part Ihrer Frage eigentlich.<br />

Die Vielfalt der Aufgaben, heute Vorlesung,<br />

Morgen Gerichtstermin, Übermorgen Obduktion<br />

ist es, was diesen Beruf so erstrebenswert macht.<br />

mediakompakt: Welche Eigenschaften brauchen<br />

Bewerber?<br />

F.W.: Ausdauer, kriminalistischen Instinkt und<br />

Genauigkeit. Daneben natürlich wissenschaftliches<br />

Interesse und für die Vorlesungen didaktische<br />

Fähigkeiten.<br />

„Bei Mitleid wäre man<br />

nicht mehr<br />

unvoreingenommen“<br />

mediakompakt: Haben Sie manchmal Mitleid mit<br />

dem Schicksal Ihrer Klienten?<br />

F.W.: Mitleid darf man nicht haben, denn dann<br />

wäre man nicht mehr unvoreingenommen.<br />

Sicherlich überlegt man sich in manchen Fällen,<br />

was dazu geführt hat, wie die Umstände sich entwickelt<br />

haben, dass nun ein Mensch tot ist.<br />

Mitleid könnte aber leicht den Blick trüben,<br />

vielleicht dazu führen, bestimmte Aspekte falsch<br />

zu interpretieren, was eine Fehleinschätzung in<br />

der Gesamtbeurteilung auslösen kann. Wir sind<br />

unparteiische Sachverständige und haben ohne<br />

persönliches Befinden unsere Gutachten zu erstatten,<br />

mit negativen, aber auch positiven Konsequenzen<br />

für die Betroffenen.<br />

mediakompakt: Hatten Sie schon einmal einen<br />

Bekannten oder Verwandten vor Ihnen?<br />

F.W.: Nein. Ich würde ein Gerichtsverfahren gegen<br />

Verwandte oder Bekannte ablehnen, da ich möglicherweise<br />

als befangen angesehen werden könnte.<br />

Obduktionen an Bekannten oder Verwandten<br />

würde ich aus rein persönlichen Gründen ablehnen.<br />

mediakompakt: Gehen Ihnen Ermittler manchmal<br />

auf die Nerven?<br />

F.W.: Eigentlich nicht. Manchmal ärgert mich<br />

allerdings, dass manche Ermittler vollkommen<br />

unvorbereitet zur Obduktion kommen. Gerade<br />

dort brauchen wir vorab etwas Hintergrundinformation.<br />

Worum geht es eigentlich? Ist es ein<br />

Verkehrsunfall, ein Drogentoter oder ein ärztliches<br />

Fehlverhalten? Das ist natürlich schon wichtig,<br />

da wir je nach Fall bestimmte Dinge genauer<br />

untersuchen, zum Beispiel nach Einstichstellen<br />

bei dem Verdacht auf Drogenkonsum, oder eine<br />

andere Obduktionstechnik wählen. Etwa die<br />

Eröffnung der rückwärtigen Körperpartien bei<br />

Rekonstruktionen, bestimmte Techniken bei<br />

Verdacht auf eine Luftembolie. Wenn die Ermittler<br />

auf jede Frage mit einem „Weiß ich nicht“<br />

antworten, ist es schon etwas nervend.<br />

mediakompakt: Was untersuchen Sie standardmäßig<br />

bei einer nicht natürlichen Todesursache?<br />

F.W.: Generell wird eine gerichtliche Leichenöffnung<br />

durchgeführt, die Verletzungen genauestens<br />

vermessen und dokumentiert. Gegebenenfalls<br />

werden die Stich- oder Schusskanäle rekonstruiert<br />

und toxikologische Untersuchungen zur Frage der<br />

Handlungsfähigkeit durchgeführt. Manchmal,<br />

allerdings nicht standardmäßig, fahren wir zum<br />

Tatort oder untersuchen die Tatverdächtigen.<br />

mediakompakt: Welches Körperteil finden Sie am<br />

ekligsten?<br />

F.W.: Keines. Der menschliche Körper ist faszinierend<br />

und in keiner Weise eklig.<br />

mediakompakt: Welche Vorurteile über Ihren Beruf<br />

würden Sie gerne widerlegen?<br />

F.W.: Dass wir Pathologen sind. Es gibt die Facharztausbildung<br />

Rechtsmedizin, die ganz andere<br />

Inhalte in der Weiterbildungsordnung beinhaltet,<br />

als die Facharztausbildung zum Pathologen. Und<br />

dass der Rechtsmediziner immer alleine obduziert.<br />

Nach der Strafprozessordnung muss eine<br />

gerichtliche Leichenöffnung immer von zwei<br />

Ärzten, einer davon mit Fachkenntnis auf dem<br />

Gebiet Rechtsmedizin, durchgeführt werden.<br />

„Fälle, in denen<br />

Kinder die Opfer sind,<br />

halten sich lange im<br />

Gedächtnis.“<br />

mediakompakt: Gibt es Fälle, die Sie nicht losgelassen<br />

haben?<br />

F.W.: Gerade Fälle, in welchen Kindern die Opfer<br />

sind, halten sich lange im Gedächtnis. Wenn man<br />

an den Tatort gerufen wird und im Kinderzimmer<br />

liegen zwei tote Kinder, mit einer Axt erschlagen,<br />

das Kinderzimmer sieht aus wie zuhause bei den<br />

etwa gleichaltrigen Kindern, also das gleiche Ikea-<br />

Bett, Baby Born und Bobbycar, dann bleiben<br />

diese Bilder haften.<br />

DER EXPERTE<br />

Professor Dr. Frank Wehner, seit 2002 Facharzt<br />

der Rechtsmedizin und Oberarzt am<br />

Gerichtlichen Institut der Universität Tübingen,<br />

studierte Humanmedizin in Freiburg und<br />

Tübingen. Zur Zeit der Interviewanfrage befand<br />

er sich in Addis Abeba, um als Mitglied<br />

des deutschen DVI („Disaster-Victim-Identification“,<br />

auf deutsch Katastrophen-Opfer-<br />

Identifizierung) die Absturzopfer der Flugzeugkatastrophe<br />

der Boeing 737-Maschine der<br />

Ethiopian Airlines zu identifizieren. Dabei bestand<br />

seine Aufgabe vor allem in der Erhebung<br />

der Post-mortem-Daten. So werden die Opfer<br />

anhand der drei primären Identifizierungsmerkmale<br />

DNA, Fingerabdruck und Zahnstatus<br />

sowie sonstiger Merkmale wie Tätowierungen,<br />

bestimmter Schmuck oder Narben mit<br />

den sogenannten Ante-Mortem-Daten (etwa<br />

Haare aus einer Bürste, vorhandenen Krankenakten<br />

etc.) abgeglichen und somit zweifelsfrei<br />

identifiziert.

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