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sortimenterbrief Juli/August 2019

Das österreichische Branchenmagazin für Buchmarkt, Buchverkauf und Buchwerbung. Ausgabe Juli-August 2019

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uchrezension<br />

www.mottingers-meinung.at<br />

Mottingers Meinung<br />

Das Navi warnt vor Neonazis<br />

Dieser Spessart gefällt Jan Brock gar nicht.<br />

Er hatte mehr an Wirtshaus, Spukschloss,<br />

Hänsel und Gretel gedacht, nicht an diese<br />

Eintönigkeit in Reih und Glied stehender<br />

Bäume, durch die er nun mit seinem<br />

klapprigen Peugeot fährt. Dass ihm das<br />

Navi angesichts eines Astes, den ein Sturm<br />

auf die Straße geschleudert hat, „Drehen<br />

Sie, wenn möglich, um“ empfiehlt, ist ein<br />

schöner Gag, allerdings keine Option.<br />

Denn der Journalist, der fürs Feuilleton<br />

der Frankfurter Nachrichten schreibt, ist<br />

unterwegs nach „Zornfried“. So der Titel<br />

des hochaktuellen, so amüsanten wie<br />

aufdeckerischen Romans von Jörg-Uwe<br />

Albig.<br />

Der Name muss einem erst einmal<br />

einfallen – Zornfried, ehemals eine<br />

Ordensburg der Nationalsozialisten, nun<br />

Hort der Neuen Rechten, wo sich deren<br />

Vordenker versammeln. Unter ihnen<br />

Brocks obskures Subjekt der Begierde,<br />

der dunkle Ritter der neuen Intelligenz,<br />

von der Außenwelt durch den Burgherrn<br />

Hartmut Freiherr von Schierling<br />

schützend abgeschirmt, der Dichter Storm<br />

Linné, über den Ich-Erzähler Brock eine<br />

mit Interviews unterfütterte Reportage<br />

zu schreiben gedenkt. Aufmerksam<br />

geworden ist der Pressemann auf das<br />

Phänomen, als eine Handvoll von<br />

dessen Jüngern eine linksintellektuelle<br />

Diskussionsveranstaltung störten.<br />

Ausgerechnet eine, die sich Aufgeschlossenheit<br />

gegenüber Andersdenkenden<br />

auf die Fahnen geheftet hat, in der<br />

über „die Grenzen des Sagbaren“ und<br />

das Vermeiden von „Denkverboten“<br />

philosophiert wird, wogegen der Storm-<br />

Trupp ein Linné-Zitat an die Wand<br />

sprüht. Beim Sparta-Verlag ist der<br />

dazugehörige Lyrikband schnell bestellt,<br />

ein Brock’scher Verriss folgt, gefolgt<br />

von Hasspostings, signiert mit Namen<br />

wie waldgaenger510 oder freyschaerler,<br />

gefolgt von einer Einladung Schierlings<br />

zum „zwanglosen Gedankenaustausch“.<br />

70<br />

„Zornfried“ ist mehr als nur eine<br />

gelungene satirische Stimmimitation<br />

neonazistischer Bewegungen der Gegenwart,<br />

Staatsverweigerern und Identitärer<br />

und Wehrsportgruppen, der Roman ist<br />

auch eine messerscharfe Analyse des<br />

(social) medialen Umgangs mit diesen<br />

gesellschaftlichen Hervorbringungen.<br />

Ab wann macht man sich mit den<br />

Gemeinen gemein? Albig hinterfragt mit<br />

seiner elegant-pointierten, den Finger<br />

in die Wunden legenden Prosa sowohl<br />

den sensationsfreudigen Eifer in der<br />

Berichterstattung als auch den Sinn<br />

von den Dialog fordernder Toleranz im<br />

Windschatten liberaler Werte. „Man<br />

dürfe diesen versprengten Spinnern<br />

keine Bühne bieten“, meint etwa Brocks<br />

Feuilletonchef. „Wir können diese Leute<br />

nicht mehr ungeschehen machen“, so<br />

die durch keinerlei Distanz zu rechts<br />

irritierte Kollegin vom Konkurrenzblatt,<br />

die sich ebenfalls auf Zornfried aufhält.<br />

„Unterstellungen, sagte sie dann, treiben<br />

sie nur noch tiefer in ihre Burg. Und alle<br />

Unentschlossenen gleich mit.“<br />

Brock selbst gerät schließlich in Gefahr<br />

vom teilnehmenden Beobachter zum<br />

beobachtenden Teilnehmer zu werden.<br />

Sein Maß der Dinge ist, wie er sagt,<br />

brisante Entwicklungen im Keimstadium<br />

zu erkennen, um als Erster etwas über sie<br />

zu Papier zu bringen. Mit dem Preis, samt<br />

ihnen mitunter vom Wege abzudriften.<br />

„Dass ich allmählich anfing, mich in<br />

Schierlings Redestrom treiben zu lassen,<br />

war, wie ich mir einredete, vielleicht schon<br />

das Eintauchen, das ich mir vorgenommen<br />

hatte“, denkt er so befangen wie gefangen:<br />

„Ich hörte mir Schierlings Reden an und<br />

spürte weniger Abscheu als Stolz.“ Brock,<br />

stellt der Leser fest, registriert mehr als<br />

er reflektiert, der Reporter erweist sich<br />

als Durchschnittstyp, als mittelmäßiger<br />

Held, nicht als kämpferischer Publizist.<br />

Es ist die große Kunst Albigs, Anspielungen<br />

an die Wirklichkeit immer nur anzutippen<br />

und nie auszuformulieren. Albig betreibt<br />

dies Handwerk mit komödiantischer<br />

Ernsthaftigkeit. Wunderbar, wie er den<br />

so gar nicht – wie erhofft – dämonischen,<br />

rechtskonservative Kalendersprüche<br />

klopfenden Schierling in dessen Opferhaltung<br />

porträtiert, wenn er im Gespräch<br />

gequält zur Balkendecke starrt, weil<br />

über ihm schon wieder „die Nazikeule“<br />

geschwungen wird. Großartig, wie er<br />

mit allen nur erdenklichen Klischees<br />

und Milieus spielt, etwa Brocks<br />

Beschreibung vom Provinzgasthof, in<br />

dem er sich einmietet: „Schon auf der<br />

Treppe schlug mir der übliche deutsche<br />

Mief entgegen: Kohlrabi, WC-Ente,<br />

Meldezettel. Der Teppichboden roch<br />

wahrhaftig nach Schäferhund“, wie er<br />

zwischen kleinkariert und kleingeistig<br />

das Deutschtum aufs Korn nimmt.<br />

Und weil nichts deutscher ist als der<br />

Wald, preist Schierling seinen starken,<br />

germanischen Buchenforst: „Ich will hier<br />

keinen kommunistischen Fichtenstaat,<br />

sagte er und hob die Stimme an. Ich will<br />

eine Gemeinschaft aus herrschenden und<br />

dienenden Bäumen“, während Brock an<br />

parasitären Pilzen krankende Geschöpfe<br />

sieht, „erstickt von Zwangsjacken aus<br />

phosphoreszierendem Moos“. Solche<br />

Sinnbilder sind typisch Jörg-Uwe Albig,<br />

seine Waldmetaphern durchziehen den<br />

Text. Dem Burgherrn beigesellt der Autor<br />

ein Panoptikum an Figuren. So wie dieser<br />

mit zwei, drei Strichen beschrieben ist,<br />

„Seine Brauen waren dünn; sie umkrallten<br />

die Augäpfel, als trüge er Monokel“, so<br />

knapp zeichnet Albig dessen Frau, die<br />

„aus nichts als Sehnen und Bändern zu<br />

bestehen“ scheint, „wie diese Plastinate<br />

aus Ausstellungen wie ,Körperträume‘“,<br />

und die Kinderschar, alles Mädchen,<br />

mit „Folienhaut und Wattehaar“ gleich<br />

unheimlichen Puppen ...<br />

159 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag<br />

ISBN 978-3-608-96425-7<br />

€ 20,60 (A) | Klett-Cotta<br />

<strong>sortimenterbrief</strong> 7-8/19

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