Christian Jenewein, Wir Kinder vom 64er O-Dorf Leseprobe
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
„braven Buben“ nicht! Ich habe es nie<br />
verstanden und verstehe es auch heute<br />
nicht.<br />
Weiter auf der Schützenstraße Richtung<br />
Osten ordinierte im Haus Nr. 17<br />
der Allgemeinmediziner Dr. Josef Seeber<br />
– im zweiten Stock. Damals gab es<br />
weit und breit noch keine Vorschrift,<br />
dass eine Ordination behindertengerecht<br />
zugänglich sein müsste. Ich glaube,<br />
dass er im ganzen O-<strong>Dorf</strong> damals<br />
der einzige Hausarzt war. Jeder mochte<br />
ihn und seine Frau, die elegante,<br />
schlanke, sehr ruhige und noble Dame,<br />
die ihren Mann als Sprechstundenhilfe<br />
unterstützte. Wenn sich der Doktor<br />
oder die Sprechstundenhilfe oder gar<br />
beide im Wartezimmer sehen ließen,<br />
Pension Prantner<br />
wirkte das auf uns, als wären wir beim<br />
Bundespräsidenten zu Gast.<br />
Damals war ein Akademiker von Haus aus schon „etwas Besseres“.<br />
Geschweige denn, ein Arzt.<br />
Quietschen oder quengeln im Warteraum gab es nicht. Maximal leises<br />
Flüstern war erlaubt – und absolute Ruhe, wenn Frau Seeber oder<br />
der Herr Doktor den Raum betrat. Die beiden hatten zwei Söhne, die<br />
in etwa in unserem Alter oder in dem meines älteren Bruders (geboren<br />
1957) waren.<br />
Einer hieß praktischerweise wie sein Vater. <strong>Wir</strong> nannten ihn kurz<br />
„Seppi“; er studierte später auch Medizin und übernahm irgendwann<br />
die Ordination von seinem Vater, die er auch heute noch betreibt. Gern<br />
erinnere ich mich an die Zeit, als ich während meines „militärischen<br />
Ausflugs“ in der Hochgebirgsausbildung Seppi als Militärarzt-Grundwehrdiener<br />
– Mann, was für ein Wortungetüm! – wiedertraf und mit<br />
ihm einige Tage im Hochlager Wattener Lizum zubrachte.<br />
– 20 –