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RB_2019-09

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September <strong>2019</strong> I Jahrgang 18 I Nr. 206<br />

Blickpunkt 07<br />

Die Angst der Banken vor zu viel Geld<br />

Große institutionelle Anleger und Kommunen zahlen Negativzinsen. Bei privaten Anlegern ist es – noch – nicht soweit.<br />

VON KERSTIN DORN<br />

Ein Gespenst geht um und<br />

verbreitet Angst unter den<br />

privaten Sparern: Es nennt<br />

sich Negativzins und hat sich bereits<br />

bei Unternehmen und Kommunen<br />

gehörig Respekt verschafft.<br />

Dass es eine wirkliche Gefahr darstellt,<br />

wollen nicht einmal die Banken<br />

bestreiten: „Sollte die Europäische<br />

Zentralbank (EZB) ihre<br />

Geldpolitik in der aktuellen Form<br />

verschärfen, werden wir nicht umhinkommen,<br />

Negativzinsen zu verlangen.<br />

Und sobald eine Bank damit<br />

anfängt, werden die anderen<br />

nachziehen, um zu verhindern,<br />

dass große Vermögen zu ihnen abwandern“,<br />

sagt Eberhard Spies<br />

Vorstandsvorsitzender der VR-<br />

Bank Schwäbisch-Hall-Crailsheim.<br />

Doch Spies sieht die<br />

Schwelle für eine Belastung bei<br />

Privatvermögen auf Tages- und<br />

Festgeldkonten weit oberhalb der<br />

100 000-Euro-Grenze. Auch die<br />

Raiffeisenbank Bretzfeld-Neuenstein<br />

und die Raiffeisenbank Kocher-Jagst,<br />

die zur Raiba Hohenloher<br />

Land fusionieren, belastet die<br />

Ertragssituation zunehmend. Das<br />

Gleiche bei der LBBW und der<br />

BW-Bank. Auch sie erheben aktuell<br />

noch keine negativen Einlagenzinsen<br />

bei privaten Sparern. „Wir<br />

schließen aber nicht aus, dass<br />

auch wir uns so wie viele unserer<br />

Wettbewerber mit dem Thema Negativzinsen<br />

werden befassen müssen.<br />

Das würde sich dann aber<br />

nur auf sehr hohe Barvermögen<br />

beziehen“, schreibt das Unternehmen<br />

auf Anfrage unseres Magazins.<br />

Anders sehe es dagegen bei<br />

institutionellen Kunden und Großunternehmen<br />

aus. Bei denen erhebt<br />

die LBBW „im Einzelfall ein<br />

individuelles Entgelt für hohe<br />

kurzfristige Einlagen, die nicht<br />

der Disposition des täglichen Zahlungsverkehrs<br />

dienen“. Auch Michael<br />

Beck, Vorstandsmitglied der<br />

Sparkasse Schwäbisch Hall-Crailsheim,<br />

äußert sich vorsichtig: „Bislang<br />

geben wir Negativzinsen<br />

nicht an Privatkunden weiter. Für<br />

sehr hohe Guthaben im siebenstelligen<br />

Bereich bei gewerblichen<br />

Kunden und Kommunen erheben<br />

wir ein Verwahrentgelt. Dabei<br />

handle es sich um individuelle Einzelvereinbarungen,<br />

die die jeweilige<br />

Situation des Unternehmens<br />

beziehungsweise der Kommune<br />

berücksichtigen. Private Sparer<br />

damit zu belasten, wolle man „so<br />

lange wie möglich vermeiden“.<br />

Sollten jedoch die Zinsen über einen<br />

längeren Zeitraum weiter<br />

nach unten gehen, müsse die Situation<br />

neu bewertet werden.<br />

Das Erheben von Negativzinsen<br />

für Großanleger bestätigt auch Tilmann<br />

Fabig von der Volksbank<br />

Main-Tauber. Private Sparer betreffe<br />

es mit täglich verfügbaren<br />

Einlagen oberhalb von 500 000<br />

Euro. Das Gleiche bei der Sparkasse<br />

Tauberfranken: Verwahrungsentgelte<br />

für Unternehmenskunden<br />

– ja, Negativzinsen für Spargelder<br />

– nein. Sie widersprächen<br />

der Grundüberzeugung einer Sparkasse.<br />

Jedoch gilt auch hier: „Wenn<br />

es langfristig Geld kostet, Einlagen<br />

anzunehmen, wird das irgendjemand<br />

bezahlen müssen“, schreibt<br />

die Sparkasse Tauberfranken.<br />

Risikolose Zinsen<br />

gibt es nicht mehr<br />

Auch die Kollegen aus dem Hohenlohekreis<br />

berechnen für Firmenkunden<br />

und Kommunen unter Berücksichtigung<br />

angemessener<br />

Freibeträge ein Verwahrentgelt für<br />

kurzfristige Guthaben. Privatkunden<br />

sind davon nicht betroffen. Jedoch<br />

werde es schwierig, diesen<br />

Kurs auf Dauer aufrechtzuerhalten,<br />

sollte die EZB bei ihrer Strategie<br />

bleiben, sagt Raphael Posch,<br />

Bereichsleiter Vorstands- und<br />

Marktsekretariat bei der Sparkasse<br />

Hohenlohekreis.<br />

Generell tun sich die Häuser auch<br />

mit alternativen Anlageempfehlungen<br />

schwer: Bei der Sparkasse<br />

Tauberfranken bringt man es auf<br />

den Punkt: „Im Rahmen einer individuellen<br />

Anlageberatung weisen<br />

wir jeden Kunden darauf hin,<br />

dass aufgrund der derzeitigen<br />

Zinssituation keine gewinnbringende<br />

Geldanlage in Form von Tagesgeldern<br />

oder Sparbüchern<br />

möglich ist.“ Wenn das Geld aber<br />

nicht gewinnbringend angelegt<br />

wird, verliert es alleine schon wegen<br />

der Inflation an Wert. In Betrachtung<br />

der individuellen Verhältnisse<br />

sollte ein Portfolio entwickelt<br />

werden, das die Anlagen<br />

breit über angemessene Liquidität,<br />

Renten/Spareinlagen, Aktien<br />

und offenen Immobilienfonds<br />

streut. Die Sparkasse Schwäbisch<br />

Hall-Crailsheim sieht auch Wertpapiere,<br />

selbst bei kleineren Vermögen,<br />

als sinnvoll an und empfiehlt<br />

ihren Anlegern Fondssparpläne.<br />

Alle befragten Institute<br />

verweisen darauf,<br />

konkrete Anlageempfehlungen<br />

an der individuellen<br />

Situation des Kunden,<br />

die das Alter, den Familienstand,<br />

finanzielle Verpflichtungen<br />

wie Unterhalt, Einkommens-<br />

und Vermögenssituation<br />

und seinen Zukunftsplänen<br />

(Eigentumserwerb,<br />

Altersvorsorge)<br />

abhängig zu machen.<br />

Auf einem Fest- oder Tagesgeldkonto<br />

sollten nicht<br />

mehr als zwei bis drei Monatsgehälter<br />

liegen, empfiehlt<br />

Eberhard Spies, Volksbank<br />

Schwäbisch Hall-Crailsheim.<br />

Auch zu Immobilien<br />

rät er<br />

nicht in jedem<br />

Falle: „Das was<br />

Sie an Zinsen<br />

sparen, legen sie beim Kaufpreis<br />

drauf.“ Die Postbank-Berater<br />

empfehlen Kunden, die früher ihr<br />

Geld mittelfristig auf Tagesgeldkonten<br />

oder Sparbüchern angelegt<br />

haben, Renten- und Immobilienfonds<br />

mit klarem Fokus auf<br />

„Sicherheit“. Sparer, die monatlich<br />

einen gewissen Betrag für größere<br />

Anschaffungen wie ein Auto<br />

oder die Renovierung der Wohnung<br />

anlegen möchten, sind mit<br />

ETF (Exchange Traded<br />

Funds)-Sparplänen oder Bausparverträgen<br />

gut beraten.<br />

Kunden, die bereit sind, ein höheres<br />

Risiko einzugehen, sollten in<br />

Aktien- und Renten-Fonds investieren.<br />

Andreas Siebert, Vorstand<br />

der Raiba Hohenloher Land, setzt<br />

ebenfalls auf Aktienfonds der<br />

Union-Investmentgruppe und Zertifikate<br />

der DZ-Bank, auf Versicherungslösungen<br />

mit Garantieverzinsung<br />

und Bausparkonten sowie<br />

auf eine Vermögensverwaltung<br />

durch Experten.<br />

Einig sind sich alle Banken in einem:<br />

Einen risikolosen<br />

Zins gibt es<br />

nicht mehr.<br />

„Wer eine<br />

Rendite erreichen<br />

will, muss<br />

daher bereit<br />

sein, bei seiner<br />

Geldanlage ein<br />

gewisses Risiko<br />

zu akzeptieren“,<br />

so die<br />

LBBW.<br />

Handwerker zählen zu den Gewinnern<br />

Die Bauwirtschaft Baden-Württemberg kann im ersten Halbjahr ein Plus von 18,3 Prozent bei den Auftragseingängen verbuchen.<br />

Einer der Gründe hierfür sind die Niedrigzinsen und die Hoffnung, dass Immobilien sich als wertbeständig erweisen. VON EILEEN SCHEINER<br />

Die aktuelle Niedrigzinspolitik<br />

hat vor allem ein Ziel: Sie soll<br />

die Wirtschaft ankurbeln. Bei einer<br />

Branche funktioniert das derzeit<br />

besonders gut: der Bauwirtschaft.<br />

„Der Bau boomt“ – das bestätigt<br />

auch Eleni Auer, Pressesprecherin<br />

der Bauwirtschaft Baden-Württemberg.<br />

„Die Auftragsbücher<br />

sind gut gefüllt und die Beschäftigten<br />

haben alle Hände voll zu tun.<br />

Viele Bauherren müssen zwischenzeitlich<br />

sogar mit einigen Monaten<br />

Wartezeit rechnen, weil die<br />

Bauunternehmen nicht jeden Auftrag<br />

sofort ausführen können“, ergänzt<br />

sie. Dass es derzeit so gut<br />

laufe, hänge in erster Linie mit<br />

der guten Wirtschaftslage zusammen.<br />

So konnten die Baubetriebe<br />

in der Region Heilbronn-Franken<br />

vergangenes Jahr rund 2,2 Milliarden<br />

Euro umsetzen. „Für Investoren<br />

und Kapitalanleger sind Immobilien<br />

angesichts des jahrelangen<br />

Erfolgreich: Die Bauarbeiter haben alle Hände voll zu tun.<br />

Niedrigzinses und der geringen<br />

Renditen bei anderen Geldanlagen<br />

derzeit äußerst attraktiv. Sie<br />

stecken ihr Geld lieber in sogenanntes<br />

Betongold, weil Wohnungen<br />

wertbeständig sind und sich<br />

auch nach Jahren ,rechnen’, erläutert<br />

Eleni Auer die derzeitige Situation.<br />

Während es für die Handwerker<br />

sehr gut läuft, bekommen Bauherren<br />

die schlechten Seiten der Niedrigzinsen<br />

zu spüren: steigende<br />

Foto: Bauwirtschaft Baden-Württemberg<br />

Preise für Handwerkerleistungen.<br />

Laut aktuellen Zahlen des Statistischen<br />

Landesamtes sind die<br />

Preise für Rohbauarbeiten im<br />

zweiten Quartal dieses Jahres um<br />

4,5 Prozent im Vergleich zum ersten<br />

Quartal gestiegen. Bei Verbauarbeiten,<br />

also Baumaßnahmen,<br />

die Schacht- und Tunnelwände absichern,<br />

liegt die Steigerung sogar<br />

bei fünf Prozent. „Allerdings liegt<br />

das nicht daran, dass sich die Bauunternehmer<br />

wegen der großen<br />

Nachfrage eine ,goldene’ Nase verdienen,<br />

sondern weil die Fremdkosten,<br />

auf die die Betriebe kaum<br />

Einfluss haben, stark gestiegen<br />

sind“, erläutert die Pressesprecherin.<br />

So haben sich die Materialund<br />

Beschaffungskosten in den<br />

letzten Jahren deutlich verteuert,<br />

teilweise um 50 Prozent, betont<br />

Auer. Auch Lohnerhöhungen auf<br />

dem Bau sowie die Ausweitung<br />

der Lkw-Maut auf Bundesstraßen<br />

seien Gründe für die Preisanhebungen.<br />

»Investoren und<br />

Kapitalanleger<br />

stecken ihr Geld<br />

lieber in sogenanntes<br />

Betongold.»<br />

AUSBLICK Die Bauwirtschaft Baden-Württemberg<br />

geht davon aus,<br />

dass die Betriebe auch im kommenden<br />

Jahr sehr gut ausgelastet<br />

sein werden. „Da wir aber eine<br />

nachlaufende Branche sind, werden<br />

wir mögliche Verwerfungen<br />

in der freien Wirtschaft und damit<br />

eine Zurückhaltung bei Bauinvestitionen<br />

mit etwa einem Jahr Verzögerung<br />

zu spüren bekommen“,<br />

sagt Auer.<br />

KREDIT Die Auswirkungen der<br />

Niedrigzinsen auf Industrie- und<br />

Handelsunternehmen sind indes<br />

etwas schwieriger. Die IHK Heilbronn-Franken<br />

spricht in ihrem<br />

letzten Konjunkturbericht von einer<br />

„Durststrecke“. Unternehmen<br />

seien bei ihren Investitionsplanungen<br />

derzeit zurückhaltend. „Angesichts<br />

der schwachen Weltkonjunktur,<br />

schwelender Handelskonflikte,<br />

dem noch immer ungelösten<br />

Brexit und wachsenden geopolitischen<br />

Risiken sind die vorsichtigen<br />

Erwartungen aber verständlich“,<br />

teilt die IHK mit.<br />

Wer in diesen Zeiten dennoch investieren<br />

will und einen Kredit aufnehmen<br />

muss, hat gute Chancen.<br />

Laut einer aktuellen Unternehmensbefragung,<br />

die die Förderbank<br />

KfW jährlich gemeinsam mit<br />

Spitzenverbänden sowie Fachund<br />

Regionalverbänden der deutschen<br />

Wirtschaft durchführt, beträgt<br />

der Anteil derjenigen Unternehmen,<br />

die von Schwierigkeiten<br />

beim Kreditzugang berichten, 8,9<br />

Prozent. Seit 2012 ist dieser Wert<br />

um rund ein Drittel gesunken.<br />

Demgegenüber geben 60,6 Prozent<br />

der Unternehmen an, dass<br />

der Kreditzugang „leicht“ sei.

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