Oktober 2019 - coolibri Oberhausen, Duisburg, Mülheim
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KUNST<br />
O B E R H A U S E N<br />
DerStruwwelpeter in<br />
bekannterGestalt<br />
Foto: ©Heinrich Hoffmann<br />
Gegen die<br />
biedere<br />
Langeweile<br />
Spätestens in den 1970er-Jahren ist„Der Struwwelpeter“inVerrufgeraten<br />
und als Musterbeispiel für SchwarzePädagogik aus<br />
denKinderzimmern verbannt worden. Seinernachhaltigen Berühmtheithat<br />
das keinen Abbruch getan, vorallem seineIllustrationen<br />
habensich tief inskollektive Gedächtnis eingeschrieben.<br />
DieLudwiggalerie <strong>Oberhausen</strong> widmet ihm jetzt eine ganze<br />
Ausstellung.<br />
„Der Struwwelpeter. Zappel-Philipp,Paulinchen<br />
undHanns Guck-in-die-Luft.Zwischen Faszination<br />
undKinderschreck vonHoffmannbis Böhmermann“<br />
heißtdie SchauimvollenNamen,die<br />
mehr als 200Zeichnungen,Illustrationen,Gemälde,Bücherund<br />
Objekteversammeltund mit<br />
ihnen anschaulichGeschichteund Entwicklung<br />
desThemasdarstellt. Dazu gehören auch Möbel,<br />
diedie Besucher dieAtmosphäredes Biedermeier-Zeitaltersschnuppern<br />
lassen.Nur aus<br />
demKontext seiner Zeit heraus istder Struwwelpeter<br />
nämlich richtigzuverstehen.<br />
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„Inder Forschungüberden ‚Struwwelpeter‘<br />
spieltder Begriff derSchwarzenPädagogik<br />
nichtmehrdie größte Rolle“,erklärtKuratorin<br />
LindaSchmitz.„DieIntention desAutorsHeinrich<br />
Hoffmann war nicht, Kinderzuverängstigen.<br />
Er hatseinBilderbuch Mittedes 19.Jahrhundertsaus<br />
demUmfeld desBiedermeier heraus<br />
entwickelt. Bilderbücher aus dieser Zeit zeigenmeist<br />
stinklangweilige Moralvorstellungen:<br />
Das Kindhat artigamTisch zu sitzen undsich<br />
dieHaare zu waschen. Hoffmann haterstmals<br />
unartige Kindergezeigt. Das istder großeErfolgsgrund.“<br />
DerFrankfurterHoffmann war eigentlich<br />
Arzt undPsychiater, wollte seinem dreijährigenSohneineFreudezuWeihnachten<br />
machen<br />
undzog los, einBilderbuch zu kaufen:<br />
„Aberwas fand ich? LangeErzählungenoderalberneBildersammlungen,<br />
moralischeGeschichten,<br />
diemit ermahnendenVorschriftenbegannenund<br />
schlossen wie: ‚Das braveKindmuss<br />
wahrhaft sein.‘“Alsoschrieb undzeichnete er<br />
kurzerhand selbst underdachtedie Geschichtenvom<br />
Struwwelpeter, dersichnicht kämmen<br />
unddie Fingernägel schneiden lässt,vom „bitterbösen<br />
Friederich“, derTiere quältund vom<br />
Hund gebissen wird,von Paulinchen,die verbrennt,weilsie<br />
mitStreichhölzernspielt, von<br />
Kindern,die einen„Mohren“verspottenund in<br />
einriesigesTintenfassgestopftwerden.<br />
Freche,unangepasste,dreckigeKinder<br />
Das alles war fürdie damalige Zeit quasirevolutionär<br />
undschlägt Wellen bisheute.2013thematisiert<br />
etwa Illustratorin LuiseBofingerden<br />
dargestelltenRassismus in derGeschichteum<br />
den„Mohren“eindringlich undmit unmissverständlicherBotschaft.Manga-ZeichnerDavid<br />
Füleki hingegenverhilftdem Struwwelpeterund<br />
„der ganzen Bande“gleichzumehrerenAuftritteninzweiunterschiedlichen<br />
Comics. MitpointiertemHumor<br />
setztAnkeKuhl in ihremBuch<br />
DieGeschichte mitdem Feuerzeug<br />
(Paulinchen)2004<br />
„Lolarast“ Kinder in Szene, dieanalltäglichen<br />
Gefahren scheiternund verzweifeln, aber auch<br />
daranwachsen –und überträgt denStruwwelpeterund<br />
seineKumpanensoins Heute.<br />
„Ich selbst mochte dasBuch damals nichtund<br />
meineElternhättenesmir nievorgelesen“, sagt<br />
Kuratorin LindaSchmitz.Umsomehrhat siedie<br />
Vielfaltdes Struwwelpeter-Erbes überrascht:<br />
„Das istder Wahnsinn,wie vieleBücheresgibt,<br />
dieals Nachfahrengeltenkönnen.Bücherüber<br />
freche,unangepasste, dreckigeKinder. Es hat<br />
viel mitder Entwicklung derKinderliteraturgemacht.Eshat<br />
einenneuenWeg geebnet und<br />
stellt bisheute dieFrage: Wiestark sollte man<br />
Kindern Grenzensetzen? So kann mansogar<br />
Pipi Langstrumpfals Nachfahrin desStruwwelpeters<br />
betrachten.“ MaxFlorian Kühlem<br />
„Der Struwwelpeter“:bis 12.1.20, Ludwiggalerie<br />
<strong>Oberhausen</strong>;ludwiggalerie.de<br />
Foto: ©Angela Bugdahl