2018-02-vdoe-position
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FOKUS
Evidenz für den Zusammenhang von freien
Zuckern mit dem Auftreten von Zahn -
karies sowie eine schwache bis moderate
Evidenz für den Zusammenhang mit dem
Körpergewicht. So zitiert die WHO auch
eine Meta-Analyse, die belegt, dass sich
bei einem isoenergetischen Austauch von
freien Zuckern mit anderen Kohlenhydra -
ten das Körpergewicht nicht ändert. Die
Leitlinie Kohlenhydrate der DGE kommt
zu dem generellen Schluss: „Für die
Mono- und Disaccharidzufuhr ist die
Evidenz für einen Zusammenhang mit den
untersuchten Krankheiten entweder un -
zu reichend oder es gibt Evidenz für keinen
Zusammenhang.“ Generell scheint daher
die Effektivität einer strikten Zucker be -
grenzung zumindest fraglich zu sein. Für
zuckergesüßte Getränke ergibt die Daten -
lage der DGE jedoch: „Ein hoher Konsum
zuckergesüßter Getränke erhöht bei Er -
wachsenen das Risiko fur Adipositas mit
wahrscheinlicher, bei Kindern mit möglicher
Evidenz.”
EFFEKT VON STEUERN SEHR
FRAGLICH
Der Konsum von zuckergesüßten Geträn -
ken ist aber nicht isoliert zu betrachten. Im
deutschen Ernährungsbericht zeigt sich,
dass mit zunehmendem Anteil an verarbeiteten
Lebensmitteln der Konsum an
Soft Drinks steigt und dass ein Essmuster
mit dem höchsten Anteil an verarbeiteten
Lebensmitteln am häufigsten unter den
19- bis 25-Jährigen gelebt wird. Im Durch -
schnitt nehmen Frauen mit diesem Ess -
muster 4,8 Energieprozent und Männer
4,3 Energieprozent mit Soft Drinks (206 g
beziehungsweise 282 g) pro Tag auf. Ein
Blick in den öster reichischen Ernährungs -
be richt verrät, dass im Durchschnitt
Frauen etwa 121 g und
Männer 248 g Li mo na -
den täglich trinken.
Das entspricht 50 bis
100 kcal. Keine allzu
relevante Größe. Be -
achtenswert sind je -
doch die Heavy User,
vor allem die Männer.
Die 95. Perzentile liegt
bei etwa 1.000 g, bei
den 19- bis 25-Jähri gen
gar bei 2.000 g pro
Tag. Kann eine Steuer
auf zuckergesüßte Ge tränke demnach ein
effektiver Hebel sein, um Übergewicht
und Adi positas in der gesamten Bevölke -
rung Herr zu werden? Oder ist ein hoher
Soft-Drink-Konsum eher ein Marker für
ein generell weniger ausgewogenes Ess -
muster oder integraler Bestandteil des jungen
(männlichen) Er wachsenenlebens? In
Mexiko wurde An fang 2014 eine Steuer
von 1 Peso/l zuckergesüßtes Getränk eingeführt.
Im ersten Jahr wurden im Durch -
schnitt um 6 % weniger Limona den ge -
kauft, also rund sieben 600-ml-Fla schen.
Die Menge entspricht etwa 1.740 kcal in
einem Jahr. Als große Limi tierung geben
die Studien autoren an, dass keine Ur -
sache-Wirkungs-Beziehung zwischen der
Steuer und dem geringeren Kauf volumen
dargestellt werden konnte, da gleichzeitig
wirtschaftliche Verände run gen stattfanden
und Gesund heitskam pag nen zu
zucker gesüßten Ge trän ken so wie Anti-
Obesity-Programme liefen.
KEINE EVIDENZ FÜR VERBOTE
UND CO.
Noch ein paar Worte zu Fett. Auch die
etablierte Empfehlung, Fett generell sowie
Die Autorin: Marlies Gruber
Mag. Dr. Marlies Gruber studierte Ernährungswissen -
schaften an der Universität Wien und arbeitet seit 2005
beim „forum. ernährung heute” in Wien. 2007 übernahm
sie die wissenschaftliche Leitung, 2017 die Geschäfts -
führung des Vereins. Zudem ist sie Lektorin an österreichischen
Fachhochschulen, Wissenschaftsjournalistin und
Autorin von Sach-, Fach- und Kochbüchern.
Kontakt: mg@forum-ernaehrung.at
(Literatur bei der Verfasserin)
Foto: © privat
Foto: © alexionas / fotolia
Macht die strikte Beschränkung der Zufuhr von Zucker & Co.
Sinn? Die wissenschaftliche Datenlage liefert nach dem Urteil
der Autorin dafür keine Beweise.
vor allem gesättigte Fette zu reduzieren
und durch Pflanzenöle und komplexe
Kohlenhydrate zu ersetzen, ist zu hinterfragen.
Sie basiert auf einer selektiven
Wahrnehmung der Studienlage, die ge -
gen teilige Resultate ausblendet. Erst 2017
wurden mit den Ergebnissen der PURE-
Study wieder Daten publiziert, die darauf
hinweisen, dass weder Gesamtfett noch
gesättigte oder ungesättigte Fett säuren
mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Herz -
infarkt oder KHK-Mortalität assoziiert
sind.
Ob generell die Ernährung einen so mächtigen
Einflussfaktor auf die Morta li tät bildet,
wie etwa im US-amerikanischen
Gesundheitsbericht mit 26 % publiziert,
wagt Ioannides aufgrund der vorliegenden
Datenstrukturen grundsätzlich zu
bezweifeln. Dass körperliche Fitness mitunter
ein wesentlicherer Einflussfaktor auf
die kardiovaskuläre und Gesamtmortalität
sein kann als der BMI, verdeutlichen zu -
dem bereits Ergebnisse aus den 1990er-
Jahren.
Angesichts der derzeitigen Datengrund -
lagen scheint die Effektivität von Empfeh -
lungen und abgeleiteten Maßnahmen be -
grenzt zu sein, um Zivilisationskrankheiten
entgegenzuwirken. Auch unzählige weitere
Beobachtungsstudien und randomisierte
Studien werden jedoch für eine tatsächlich
evidence-based-policy nicht ausreichen.
Um Auswirkungen der Aufnahme
singulärer Nährstoffe oder auch einzelner
Lebensmittel auf Bevölkerungsebene ab -
zusichern, wären umfassende „Mega“-
Interventionsstudien mit hohem Finan -
zierungs bedarf notwendig.
Dr. Marlies Gruber
VDOE POSITION 2/18 11