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Drachenpost 113

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Düsseldorfer Drachenpost – Ausgabe 113 (1/2020) 39. Jahrgang

Ich denke, es war eine aus älteren Zeiten der

Kolonialisierung und imperialen Machtausübung

rund um den Erdball überkommene Arroganz, die

uns in Europa, in den USA – im Westen – in der

Gewissheit wog, niemand in dieser Welt wäre in

der Lage, uns, die wir mit der Industrialisierung die

Zukunft der Menschheit neu erfunden hatten, neue

Wege zeigen zu können. Im Übrigen wurde der sich

auf Industrialisierung gründende Wohlstand hierzulande

inzwischen als Selbstverständlichkeit wahrgenommen,

als gesellschaftliche Errungenschaft

ignoriert mit der Folge, dass technischer Fortschritt

zunehmend mit Zweifeln belegt wurde.

Die Straßen in Chinas Megastädten sind breit

und führen geradeaus bis zum Horizont. Links

und rechts gepflegtes Grün, dahinter Hochhaussiedlungen,

und ganz weit hinten, wo eigentlich

der Horizont sein sollte, erscheinen im Dunst wiederum

Hochhaussiedlungen. Unwillkürlich fallen

mir Bilder aus dem Science-Fiction-Film „Metropolis“

von Fritz Lang (1927) ein. Darin ziehen Autos,

Eisenbahnen und Flugzeuge zwischen spektakulären

Hochhäusern ihre Kreise. Solche Bilder

waren es, die uns Nachkriegskinder in den 1950er

und 1960er Jahren inspirierten. Wissenschaft und

Technik galten uns als Garanten dafür, all das zu

verwirklichen was wir uns wünschten. Und wenn

wir nur wollten, könnten wir zum Mond fliegen,

was wir auch taten. Ich wollte Ingenieur werden

und selbstverständlich das modernste studieren,

was es gab, nämlich Kerntechnik. Bis zum Jahr

2000 so hieß es, hätten wir das Schlaraffenland immerwährend

verfügbarer Fusionsenergie erreicht.

Diesen Optimismus meiner frühen Lebensjahre

entdeckte ich erneut im China der 1980er Jahre,

fand ihn bei meinen Gesprächspartnern 1993,

und er beflügelte mich auch bei meiner aktuellen

Tour durchs Land. Klar, mit einem Hammer kann

man Nägel ins Holz treiben oder aber auch einen

Menschen erschlagen. Technik ist ambivalent.

Kernenergie, 5G-Funkübertragung, Industrie 4.0,

Künstliche Intelligenz – es kommt darauf an, was

wir daraus machen. China hat die Zeit genutzt und

technologisch aufgeholt. Und schon setzt das Land

bei einigen Themen wie der Künstlichen Intelligenz

zum Überholmanöver an. Überwachungskameras

allüberall – das ist anders im China von heute. Automatische

Gesichtserkennung beim Check-in am

Flughafen – wie das geht, und wie es das Reisen

erleichtert, wenn nervige Kontrollen entfallen können,

wurde uns in Chongqing demonstriert.

Die Menschen in China sind pragmatisch.

Man hat sich in den 40 Jahren seit der Öffnung

in der Welt umgeschaut und all jene Technologien

für die eigene Entwicklung genutzt, die zu

diesem Zweck brauchbar erschienen. Oder man

hat die Dinge so lange transformiert, bis sie der

eigenen Kultur angemessen waren. Dabei konnte

man nach Gusto auswählen: Dies nehmen wir,

jenes nicht. Die Schnellzüge in China nutzen

ein eigenes Schienennetz von inzwischen mehr

als 30.000 Kilometern, sind 300 km/h schnell,

schweben völlig ruckelfrei durch die Landschaft

und sind auf die Minute pünktlich. Dabei sehen

die Züge aus wie ein ICE in Deutschland.

In China folgt man Utopien. Für meine Reportage

aus den Sonderwirtschaftszonen habe ich

1993 Plakatwände an den Straßenrändern fotografiert,

die meist futuristische Hochhauswelten

abbildeten. Ein riesiges Plakat in Shenzen zeigte

Deng Xiao Ping als guten Geist einer kommenden

besseren Welt. Bei uns im Westen, in Deutschland

zumal, trägt der Gedanke an Zukunft heute geradezu

dystopische Züge. „How dare you?!“ Auf

Deutsch: „Wie könnt ihr es wagen?!“ schallt es uns

entgegen. In welch grauenhafte technische Welt

habt ihr uns unschuldige Kinder hineingeboren?

Da ist sie wieder, die Ambivalenz der technischen

Entwicklung. Jetzt ist China in einer Reihe

von Fragen in der gleichen Situation wie das

ehemalige westliche Vorbild: Wenn man an der

Spitze ist, muss man selbst den Weg suchen. Es

spricht vieles, nein alles, dafür, diese Wege gemeinsam

zu finden.

Dieter Beste ist seit 1978

Mitglied der GDCF-Düsseldorf.

Er berät wissenschaftliche

Einrichtungen, Ministerien

und Unternehmen in Fragen

der Technik- und Wissenschaftskommunikation

und

begleitet mit seinem Büro

MEDIAKONZEPT die Herausgabe von Publikationen

im Themenspektrum von Technik und

Wissenschaft.

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