Neue Szene Augsburg 2020-02
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
74
AUGSBÜRGER
Musiker
Farhad Jooyenda Sidiqi
Farhad Sidiqi ist 30, als er aus Angst vor Repressionen
Kabul hinter sich lässt, um über viele Umwege Asyl in Europa
zu suchen. Zu groß ist das Risiko für Musiker, deren Texte sich
- wie seine - an gesellschaftskritischen Themen reiben. Während
ihm Auftragskompositionen, Auftritte und eigene Musik(videos)
zu Popularität und solidem Auskommen verhelfen, wachsen mit
dem Bekanntheitsgrad auch die Probleme. „Die Leute in Afghanistan
hören gerne Musik, aber sie mögen keine freigeistigen
Künstler. Mit Texten, die sich gegen Rassismus und Diskriminierung
wenden und mehr Frauenrechte und persönliche Freiheit
einfordern, bringt man sich und seine Familie in große Gefahr.“
Farhad fängt 2012 in Augsburg bei Null an: in einer Flüchtlingsunterkunft,
ohne Familie und Arbeitserlaubnis, mit der ständigen
Unsicherheit über seinen Aufenthaltsstatus: „Viele sind damals
in ihrer eigenen Welt geblieben. Das war Gift für ihre Zukunft.
Mir ging es schnell darum, meine Kultur mit der neuen in Balance
zu bringen und mir ein Netzwerk als Musiker aufzubauen.“ Die
Aufgeschlossenheit zahlt sich aus. Farhad Sidiqi sucht und findet
im Grandhotel Cosmopolis Lebens-, Arbeits- und bisweilen auch
Schlafraum. Als er im Mai 2012 abgeschoben werden soll, erfährt
er aus dem Kreis seiner neuen Ersatzfamilie gelebte Solidarität.
Eine Online-Petition trägt maßgeblich dazu bei, dass sein Fall
zum Politikum wird und er nach zähem Ringen eine unbefristete
Aufenthaltserlaubnis und eine Arbeitserlaubnis erhält. Inzwischen
verdient der verheiratete Vater einer 14-monatigen Tochter seinen
Lebensunterhalt als selbständiger Sänger/Pianist – solo, im Duo, als
Teil des Quintetts Darifar – und unterrichtet Gesang, Harmonium,
Cajon sowie diverse Percussion-Instrumente. Als Musikpädagoge
bietet er zudem „Drum-Circles“ an und legt dabei ein besonderes
Augenmerk auf jene, die besonderer Förderung bedürfen. Das
Grandhotel Cosmopolis bleibt bis heute sein wichtigster Anker
in der Stadt. Farhad ist Mitgestalter des sozialen Experiments und
bereichert es durch seinen kulturellen Einfluss. Die Grandhotel-
Familie feiert fortan afghanisches Neujahrsfest und erlebt gemeinsam
die persische Yalda-Nacht, die „längste Nacht des Jahres“. Er
bringt sich in die Organisation des interkulturellen Drachenfests
ein, leitet Stadtführungen von Geflüchteten für Geflüchtete und
jobbt im Kulturcafé Neruda. Man könnte meinen, „Jooyenda“
(„der Suchende“), wie Farhad Sidiqi mit Künstlernamen heißt, ist
in Augsburg fündig geworden.
(Text & Foto: Fabian Schreyer)