Taxi Times Berlin - November / Dezember 2019
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
INKLUSION<br />
INKLUSIONS-<br />
FÖRDERUNG<br />
JETZT<br />
ABGREIFEN!<br />
Ford Tourneo Custom: Der inklusionsfähige Neunsitzer ist neuerdings<br />
auch als Plug-in-Hybrid erhältlich.<br />
Der Senat hat vorgelegt: volle Förderung für die Fahrzeugumrüstung<br />
und fünf Euro Zuschlag vom Rollifahrer im Großraumwagen. Jetzt ist<br />
das Gewerbe am Zug. Hier sind Informationen und ein Leitfaden.<br />
Dienstleistungsmentalität kann<br />
man nicht verordnen. Wem der<br />
Aufwand zu groß ist, Menschen<br />
im Rollstuhl im <strong>Taxi</strong> mitzunehmen, ist in<br />
unserer Branche falsch, denn sie ist ein<br />
Dienstleistungsgewerbe, und <strong>Taxi</strong>fahrer<br />
sind dem bestmöglichen Service verpflichtet.<br />
In Dienstleistungsberufen ist Empathie<br />
eine Voraussetzung. Vielen ist aber nicht<br />
bewusst, welche Hürden einer spontanen<br />
Mobilität gehbehinderter Menschen im<br />
Wege stehen.<br />
Fahrgäste mit körperlicher Behinderung<br />
können ein Lied davon singen, wie schwer<br />
es mit den vielen Barrieren ist, die der Alltag<br />
einem in den Weg stellt. Als Isa M. im<br />
vergangenen Sommer mit ihrem Rollstuhl<br />
auf einer Feier zu Gast war, hatte sie zur<br />
Abholung den Sonderfahrdienst zu 21 Uhr<br />
vorbestellt. Da dieser nicht kam, bedurfte<br />
es etlicher Telefonate, bis sie schließlich<br />
über zwei Stunden später abgeholt wurde<br />
und endlich nach Hause kam.<br />
Menschen wie Isa M. sind es gewohnt,<br />
Ausflüge – aber auch alltägliche Fahrten<br />
von A nach B – unerhört akribisch zu planen<br />
und dafür Recherchen anzustellen, die<br />
sich andere kaum vorstellen können. Ihre<br />
behindertengerechte Wohnung liegt nahe<br />
einer barrierefreien Buslinie zum Bahnhof<br />
Zoo. Als sie kürzlich Weimar besuchen<br />
wollte, stellte sie bei ihrer Planung fest,<br />
dass am Zoo der Aufzug zum Regionalbahnsteig<br />
außer Betrieb war und nur der<br />
zur S-Bahn funktionierte. So musste sie<br />
vom Zoo aus mit der S-Bahn nach Wannsee<br />
fahren, um dort in die Regionalbahn<br />
zu steigen, was im Voraus mit dem Bahnpersonal<br />
zu vereinbaren ist. Nun war in<br />
Wannsee der Aufzug von der S-Bahn nach<br />
unten gestört, so dass sie zum Erreichen<br />
des Nachbarbahnsteigs mit der nächsten<br />
S-Bahn zum Bahnhof Griebnitzsee fahren<br />
musste, wo alle Aufzüge funktionierten,<br />
und von dort mit einem Regionalzug<br />
zurück nach Wannsee.<br />
Solche Erlebnisse sind der normale<br />
Wahnsinn, dem behinderte Menschen ausgesetzt<br />
sind und der ihnen ihre Zeit und<br />
damit viel Lebensqualität raubt. „Solange<br />
ich es dabei mit freundlichen und hilfsbereiten<br />
Menschen zu tun habe, geht es alles<br />
noch“, so Isa M. Deshalb freue sie sich über<br />
<strong>Taxi</strong>fahrer, die bereit sind, selbst ein paar<br />
Minuten zu opfern, um ihr eine Dreiviertelstunde<br />
Zeitaufwand zu ersparen.<br />
Nachdem der Umbau oder die Anschaffung<br />
eines Inklusionstaxis bereits voll<br />
gefördert wird, ist der Senat jetzt dem<br />
Gewerbe beim neuen Tarif noch einen<br />
Schritt entgegengekommen: 1. Für die<br />
Mitnahme von Gegenständen, die ein<br />
Großraumtaxi erfordern, werden 5,– Euro<br />
Zuschlag genommen. 2. Rollstühle sind<br />
kostenlos zu befördern, soweit es die Bauart<br />
des Fahrzeugs zulässt. Durch eine<br />
Ergänzung, dass der erste Satz vom zweiten<br />
„unberührt bleibt“, wird der Widerspruch<br />
aber aufgelöst. Unter dem Strich ist<br />
das die Einführung eines Rolli-Zuschlags,<br />
aufgrund der gesetzlich verankerten Tarifpflicht<br />
für alle verbindlich. Das Gewerbe<br />
war von der Forderung eines solchen<br />
Zuschlages – trotz der Überzeugung, er<br />
sei notwendig – letztlich abgerückt, um<br />
sich nicht dem Vorwurf der Diskriminierung<br />
auszusetzen. Jetzt hat der Senat den<br />
Zuschlag verordnet.<br />
Dazu Isa M.: „Wenn wir als Behinderte<br />
einen Zuschlag bezahlen müssen, ist es<br />
mit der Inklusion doch gleich dahin. Wir<br />
können doch nichts dafür, dass wir es<br />
schwerer haben. Warum sollen wir denn<br />
mehr bezahlen als jeder andere?“ Da sie<br />
aber auch den Mehraufwand für das <strong>Taxi</strong>personal<br />
nachvollziehen kann, schlägt sie<br />
zwei Lösungen vor: Entweder, der Senat<br />
trägt den Mehraufwand im Rahmen der<br />
Daseinsvorsorge, indem er den Zuschlag<br />
bezahlt, oder er betreibt den Fuhrpark für<br />
Behindertenfahrten in Eigenregie. Dann<br />
würde das Geschäft dem <strong>Taxi</strong>gewerbe entgehen,<br />
aber: „Wer nicht will, der hat schon.“<br />
Die Verordnung ist nicht der Weisheit<br />
letzter Schluss, sollte den skeptischen <strong>Taxi</strong>unternehmern<br />
aber jetzt letzte Zweifel nehmen<br />
und sie ermutigen, den Förderantrag<br />
zu stellen und sich ein geeignetes Fahrzeug<br />
zu kaufen oder ihres umzurüsten.<br />
UMBAU ODER<br />
KOMPLETTANGEBOT?<br />
Noch bis Ende 2021 können 250 Fahrzeuge<br />
mit jeweils bis zu 15.000 Euro netto<br />
für den barrierefreien Umbau gefördert<br />
werden. Sollten Sie die Förderung nur<br />
deshalb noch nicht beantragt haben, weil<br />
Sie nicht genau wissen, welches Fahrzeug<br />
und welcher Umbau sich eignet, zeigen wir<br />
Ihnen hier Möglichkeiten und erleichtern<br />
Ihnen damit Ihre Entscheidung.<br />
Bereits 2018 stellte <strong>Taxi</strong> <strong>Times</strong> Ihnen die<br />
Förderrichtlinie für das Inklusionstaxi in<br />
<strong>Berlin</strong> vor und gab grundsätzliche Tipps zu<br />
FOTO: ford.de<br />
28 NOVEMBER/DEZEMBER <strong>2019</strong> TAXI