Anatomie der Staatssicherheit Geschichte, Struktur und ... - BStU
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deutschen KPD/ML mit ihrer Sektion DDR zeigte, mit großem Aufwand kompromißlos<br />
bekämpft. Linke o<strong>der</strong> palästinensische Terrorgruppen jedoch, die in ihrer "antiimpe-<br />
rialistischen" Stoßrichtung ausschließlich gegen den Westen agierten, duldete die<br />
<strong>Staatssicherheit</strong> großzügig <strong>und</strong> offerierte bisweilen sogar Hilfestellung. 13 Insbeson<strong>der</strong>e<br />
palästinensische Terroristen fanden regelmäßig Unterschlupf in Ost-Berlin, durften dabei<br />
ihre Waffen mitführen <strong>und</strong> konnten ihre Anschläge auf den Westen auch vom DDR-Territorium<br />
aus vorbereiten. Diese "fortschrittlichen Kräfte", das heißt die Befreiungsbewegungen<br />
<strong>der</strong> Dritten Welt sowie etliche "junge Nationalstaaten", betrachtete <strong>der</strong> SED-Staat<br />
vorrangig als Verbündete, was <strong>der</strong> gr<strong>und</strong>sätzlichen Linie <strong>der</strong> Ostblockstaaten entsprach.<br />
Beschränkungen wurden den Terroristen nur auferlegt, wenn die DDR befürchten mußte, in<br />
den Augen <strong>der</strong> Weltöffentlichkeit <strong>der</strong> Unterstützung des Terrorismus überführt zu werden.<br />
Bei <strong>der</strong> Duldung solcher Aktivitäten spielte auch eine Besänftigungsstrategie gegenüber<br />
diesen international agierenden Terrorgruppen eine gewisse Rolle, die darauf zielte, die<br />
DDR unter allen Umständen von terroristischen Anschlägen frei zu halten. Im Ergebnis maß<br />
das Ministerium für <strong>Staatssicherheit</strong> seine "Bearbeitungsobjekte" mit ganz unterschiedlicher<br />
Elle: leiseste Anzeichen für Gewaltanwendung durch DDR-Bürger verfolgte es akribisch,<br />
ließ aber hochkarätige arabische Terroristen weitgehend unbehelligt agieren.<br />
Anlaß für die Gründung <strong>der</strong> Abteilung XXII bildete <strong>der</strong> blutige Überfall palästinensischer<br />
Terroristen auf israelische Sportler während <strong>der</strong> Olympischen Spiele in München 1972. Das<br />
MfS befürchtete, daß auch die sozialistischen Staaten terroristische Gewalt auf sich ziehen<br />
könnten <strong>und</strong> schuf deshalb im Hinblick auf die Weltjugendfestspiele in Ost-Berlin im<br />
Folgejahr diese Diensteinheit zur "Terrorabwehr". Zwar erwies sich die Sorge um diese<br />
Großveranstaltung als völlig unbegründet, doch kam es auch innerhalb <strong>der</strong> DDR bisweilen<br />
zu "politisch motivierter Gewalt". So versuchten einzelne DDR-Bürger, durch die<br />
Geiselnahme von untergeordneten Parteifunktionären, ihre Ausreise in den Westen zu<br />
erzwingen; 14 ebenfalls durch Fluchtabsichten motiviert waren vierzehn Flugzeugentführungen<br />
(zwischen 1962 <strong>und</strong> 1973). 15 Die Grenzanlagen <strong>der</strong> DDR waren von westlicher Seite<br />
13 Dies zeigt sich auch in <strong>der</strong> Absicht <strong>der</strong> Abteilung XXII, die Terrorismusbekämpfung <strong>der</strong> demokratischen<br />
Staaten nicht etwa zu unterstützen, son<strong>der</strong>n sie bei ihrer Aufklärung des Terrorismus zu behin<strong>der</strong>n <strong>und</strong> zu<br />
verunsichern. Vgl. Vorschlag von Horst Franz vom 12.2.1985 zur Durchführung einer Offensivmaßnahme<br />
gegen das B<strong>und</strong>esamt für den Verfassungsschutz (OV "Reiter"); <strong>BStU</strong>, ZA, HA XXII 5619, Bl. 3 f.<br />
14 Vgl. Referat von Gerhard Neiber vom 25.1.1983 auf <strong>der</strong> Zentralen Dienstkonferenz des Arbeitsbereich<br />
Neiber (künftig: Referat Neiber 1983); <strong>BStU</strong>, ZA, HA XXII 5842, Bl. 458-680, hier 624 <strong>und</strong> 627.<br />
15 Von diesen vierzehn Versuchen waren vier erfolgreich. So bemächtigten sich Einzelpersonen zweier<br />
gewerblicher Maschinen ohne Passagiere in den Jahren 1964 <strong>und</strong> 1965 sowie einer Militärmaschine im<br />
Jahre 1969. Im gleichen Jahr entführten zwei DDR-Bürger gemeinsam ein polnisches Passagierflugzeug<br />
nach Berlin-Tegel. Alle an<strong>der</strong>en Täter wurden überwältigt bzw. von den Piloten über den Ort <strong>der</strong> Landung<br />
(innerhalb <strong>der</strong> DDR <strong>und</strong> nicht, wie gefor<strong>der</strong>t, im Westen) getäuscht. Ein Marinesoldat beging nach einer<br />
solchermaßen vereitelten Flucht zusammen mit seiner Ehefrau Selbstmord (1970). Keiner <strong>der</strong> Entführer<br />
verknüpfte mit seiner "Republikflucht" weitergehende politische Ambitionen. Vgl. Einschätzung <strong>der</strong><br />
Hauptabteilung VI über geplante, versuchte <strong>und</strong> gelungene Anschläge auf den zivilen Luftverkehr vom