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STEPHAN SCHULMEISTER<br />
IM GESPRÄCH<br />
Stephan Schulmeister<br />
...wurde 1947 geboren und hat an der Universität Wien das Studium der Rechtswissenschaften<br />
(Dr. jur.) und Wirtschaftswissenschaften (Mag. rer.soc.oec.) absolviert. Er ist<br />
einer der bedeutendsten Wirtschaftsforscher Österreichs.<br />
Von 1972 bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2012 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter<br />
beim österreichischen Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO). Er hatte Gastprofessuren an<br />
mehreren Unis inne, etwa an der Uni Wien, in Berlin, Bologna, New York und New Hampshire.<br />
Im Fokus seiner Forschungen stehen die Finanzstabilität und ihre realwirtschaftlichen<br />
Konsequenzen, das Zinsniveau und Wirtschaftswachstum sowie die längerfristige<br />
Entwicklung der Weltwirtschaft.<br />
Stephan Schulmeister gilt als der Rebell unter den österreichischen Wirtschaftsforschern.<br />
Bekannt ist er überdies durch seine Zeitungskommentare (u.a. im Falter) und durch seine<br />
Vorträge. Er ist Autor zahlreicher, auch populärwissenschaftlicher Fachbücher.<br />
Schulmeister übt dezidierte Kritik am Neoliberalismus, den er als „Marktreligiosität“<br />
bezeichnet und fordert Alternativvorschläge wie einen gesamteuropäischen New Deal. In<br />
seinem zuletzt (2018) erschienenen Buch „Der Weg zur Prosperität“ rechnet er mit dem<br />
Neoliberalismus ab und skizziert außerdem eine Navigationskarte für den Weg aus der<br />
Finanzkrise. So sieht er den sogenannten „New Deal für Europa“ als Erneuerung der Wirtschaft<br />
in Richtung einer Kreislaufwirtschaft – unter anderem auch als Maßnahme gegen<br />
den Klimawandel.<br />
schaftseinbruch<br />
triekapitalismus“<br />
führen als das Coronavirus. Wenn Erdöl<br />
längerfristig billig bleibt, dann fehlt es<br />
an Anreizen, das Verbrennen von Erdöl,<br />
aber auch von Kohle und Erdgas schrittweise<br />
zu reduzieren. Das würde bedeuten,<br />
dass alle Ziele der Klimapolitik verfehlt<br />
würden. Das Grundproblem ist ganz<br />
einfach: Die Europäische Union versucht<br />
derzeit den Klimawandel mit zwei Hauptinstrumenten<br />
zu bekämpfen. Zum einen<br />
mit einer CO2-Steuer, also die Besteuerung<br />
des Verbrennens fossiler Energie.<br />
Und andererseits mit dem sogenannten<br />
Emissionshandel, wo sich Industriebetriebe<br />
für jede Tonne CO2, die sie emittieren,<br />
Rechte kaufen müssen. Die Preise<br />
solcher Zertifikate gehen in den Keller<br />
gemeinsam mit dem Ölpreis. Das heißt, es<br />
macht dann für die Akteure keinen Sinn,<br />
konsequent fossile Energie einzusparen,<br />
weil diese ohnehin nichts kostet. Daher<br />
müsste man hier einen ganz anderen Weg<br />
beschreiten.<br />
Welchen sehen Sie da als sinnvoll?<br />
Stephan Schulmeister: Meiner Ansicht<br />
nach sagt einem das der Hausverstand.<br />
Wenn jemand im Burgenland ein Einfamilienhaus<br />
hat, das noch nicht thermisch<br />
saniert ist, dann wird er das dann tun,<br />
wenn er weiß, dass sich das auszahlt. Es<br />
zahlt sich aber nur aus, wenn er gleichzeitig<br />
weiß, dass Heizöl immer teurer wird.<br />
Gefragt ist also eine europäische Lösung...<br />
Stephan Schulmeister: Wenn alle Leute<br />
wissen, dass der Preis für Erdöl, Erdgas<br />
und Kohle innerhalb der europäischen<br />
Union von Jahr zu Jahr immer teurer<br />
wird – sagen wir um fünf Prozent pro Jahr<br />
– wissen die Leute, dass es sich über 20<br />
Jahre dann doch lohnt, das Haus thermisch<br />
zu sanieren. Oder dass es sich doch<br />
heute schon lohnt, auf ein Elektro-Auto<br />
umzusteigen. Oder dass es sich beispielsweise<br />
auch für die VOEST heute schon<br />
lohnt, ganz massiv in andere Technologien<br />
in der Stahlproduktion – hier geht<br />
es um die Wasserstofftechnologien – zu<br />
investieren. Das heißt, meine Idee lautet:<br />
Die Europäische Union gibt einen Preispfad<br />
für Erdöl, Erdgas und Kohle für die<br />
nächsten Jahrzehnte vor, der stetig steigt.<br />
Die Differenz zwischen unserem Zielpreis<br />
und dem Weltmarktpreis wird durch eine<br />
flexible CO2-Steuer abgeschöpft. Das<br />
heißt, wenn der Weltmarktpreis etwa bei<br />
20 Dollar liegt bzw. bei 18 Euro und der<br />
Richtpreis wäre 70 Euro, dann würde eine<br />
Steuer in Höhe von 52 Euro eingehoben.<br />
Wenn das Bewusstsein da ist, dass es sich<br />
lohnt, in eine thermische Sanierung zu<br />
investieren, weil der Preis für alle fossilen<br />
Energieträger stetig steigen wird, dann<br />
werden dies mehr Menschen auch tun.<br />
Nun soll nach dem Lockdown die Wirtschaft<br />
langsam wieder hochgefahren<br />
werden. Die Finanzlage in den Haushalten<br />
hat sich aber durch Corona massiv<br />
verschlechtert. Die <strong>Ausgabe</strong>n müssen<br />
zum Teil stark reduziert werden. Was<br />
glauben Sie, wie lange wird es dauern,<br />
bis sich die Situation wieder verbessert?<br />
Stephan Schulmeister: Das ist im Moment<br />
nicht einzuschätzen, weil viele Unsicherheitsfaktoren<br />
bestehen. Was ziemlich<br />
klar scheint, ist, dass schon in den nächsten<br />
Wochen bestimmte Beschränkungen<br />
reduziert werden. Man wird die Erfahrung<br />
anderer Länder ausarbeiten. Das faszinierendste<br />
Beispiel ist nach wie vor Schweden.<br />
Weil in Schweden bis heute keine<br />
Ausgangsbeschränkungen, keine Verbote<br />
von Einkäufen oder von Restaurantbesuchen<br />
bestehen und die Infektionszahlen<br />
in Schweden nicht höher sind als in<br />
Österreich. Die Sterbefälle sind allerdings<br />
häufiger. Nur hat das offensichtlich nichts<br />
mit den Ausgangsbeschränkungen zu tun,<br />
denn wenn das der Fall wäre, dann müssen<br />
ja auch die Infektionen steigen. Viel mehr<br />
ist es so, dass in den Altenheimen leider<br />
zu wenig Isolationsmaßnahmen rechtzeitig<br />
ergriffen wurden. Also das alles ist jetzt<br />
noch in Bewegung.<br />
Was für Auswirkungen sind wirtschaftlich<br />
zu befürchten?<br />
bitte umblättern >><br />
MAI <strong>2020</strong><br />
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