Der Augustdorfer: Petite Provence
50. Ausgabe, 03/2020 Juni - Juli
50. Ausgabe, 03/2020 Juni - Juli
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einen runden Ofen, an dessen Innenseite die Teigfladen<br />
aus Mais und anderen Getreidesorten geklatscht wurden.<br />
Die Familie ihres Mannes lebte, wie ursprünglich ihre eigenen<br />
Eltern, auf dem Land eines Feudalherren. Hier wohnten<br />
acht Familien in großer Eintracht beieinander, trotz<br />
unterschiedlicher Religionen. Die Ernte wurde auf einem<br />
von zwei Eseln gezogenen Karren zum nahen Markt gebracht.<br />
Die eine Hälfte der Erzeugnisse ging an den Aga,<br />
die andere blieb für den eigenen Unterhalt. Auch hier<br />
war das Verhalten des Grundherrn sehr sozial, sogar fürsorglich.<br />
Alle Abrechnungen erfolgten völlig offen, ohne<br />
Heimlichkeiten.<br />
Aber auch hier endete das Landleben aus denselben Gründen<br />
wie damals das ihrer Eltern. Das Land des Grundherrn<br />
wurde für die Erweiterung der Stadt benötigt, die Bauernfamilien<br />
mussten weichen.<br />
Edibes Mann Mehmet fand Arbeit in einem Bauunternehmen.<br />
Das Geld, das er verdiente, reichte für den Unterhalt<br />
seiner Familie, und Edibe war in dieser Zeit Hausfrau und<br />
Mutter.<br />
Die Schwiegermutter hatte Geld gespart und konnte mit<br />
der Beteiligung ihrer Kinder ein Stück Land in einem für<br />
seine Schönheit bekannten Teil der Stadt kaufen. Dort<br />
bauten sie Wohnungen für insgesamt vier Familien. Für<br />
jede Familie standen zwei Zimmer zur Verfügung.<br />
Leider verschlechterten sich die Verdienstmöglichkeiten<br />
und Edibe musste dazuverdienen. Von 1955 bis 1960<br />
arbeitete sie in einer Textilfabrik, mit Unterbrechungen<br />
wegen der Geburten ihrer Kinder. Hier wurde Baumwolle<br />
versponnen.<br />
Viel Zeit verbrachte sie danach auf den Baumwollfeldern<br />
von Antakya, mit vielen Menschen zugleich auf den großen<br />
Flächen, unter heißer Sonne. Hier wurden die Baumwollpflanzen<br />
in die Erde gebracht und gepflegt. Später<br />
gab es viel Arbeit bei der Ernte des Rohmaterials, das sie<br />
zu anderer Zeit in der Fabrik maschinell zu Garnen versponnen<br />
hatte.<br />
Den eindrucksvollsten Einsatz als Baumwollpflückerin hatte<br />
Edibe Tumani1967 bei Adana in der Nähe des heutigen<br />
NATO-Stützpunkts Incirlik. 200km von zu Hause entfernt<br />
lebte sie 40 Tage mit fünf Kindern und im siebten Monat<br />
schwanger in einem Zelt am Rande der Baumwollfelder.<br />
Die Baumwolle wurde von den Frauen und Kindern nicht<br />
nur gepflückt. Sie mussten auch die gefüllten Säcke, 70kg<br />
schwer, zu den Wagen schleppen. Ihre Kinder halfen Edibe,<br />
die Säcke anzuheben und auf den Rücken zu laden.<br />
<strong>Der</strong> allgemeine Rückgang der Landwirtschaft machte sich<br />
aber mehr und mehr bemerkbar, zumindest in der Nähe der<br />
großen Städte. Dazu kam, dass Edibes Mann für längere<br />
Zeit als Hauptverdiener ausfiel. Er hatte als Spezialist für<br />
das Auffinden von Wasserquellen für das Brunnenbohren<br />
einen guten Job gehabt. Bei der Arbeit hatte er einen<br />
Unfall, verletzte sich am Fuß und war nun arbeitsunfähig.<br />
Vorübergehend brachte das enge Zusammenleben der Familien<br />
viel Unterstützung beim Überleben, war aber auf<br />
Dauer keine Rettung.<br />
Hoffnung weckten positive Signale ehemaliger Nachbarn,<br />
die aus Berlin schrieben: „Kommt nach Deutschland! Hier<br />
werden Arbeitskräfte gebraucht!“ Zu diesem Zeitpunkt<br />
hatte Edibe sieben Kinder. Die jüngste Tochter, Selva, war<br />
gerade 9 Monate alt.<br />
Man kann sich sehr gut die Diskussionen vorstellen. Wer<br />
von uns soll in die Fremde gehen? Von „unmöglich“ bis<br />
„unbedingt“ wurde alles durchdiskutiert. Schließlich<br />
brachten die positiven Beispiele der ihnen bekannten<br />
„Gastarbeiter“ die Entscheidung. Die Großfamilie unterstützte<br />
den emanzipierten Entschluss von Edibe: „Ich<br />
werde mich bewerben!“ Ihre sieben Kinder sollten in der<br />
Obhut ihrer Familie bleiben. <strong>Der</strong> Fuß ihres Mannes musste<br />
erst ausheilen, außerdem war er älter als 40 Jahre und<br />
kam dafür nicht in Frage. Edibe hatte diese Altersgrenze<br />
noch nicht überschritten.<br />
Und so meldete sie sich bei einem Anwerbungsbüro in<br />
Antakya, wo die Angaben zu ihrer Person in ein Formular<br />
aufgenommen wurden. In drei Tagen sollte sie wiederkommen.<br />
Sie kam in die engere Wahl und wurde mit dem Bus<br />
nach Istanbul geschickt. Von dort sollte es mit dem Zug<br />
weiter nach Deutschland gehen, falls die Gesundheitsuntersuchung<br />
ergab, dass sie sich für die Arbeit in Deutschland<br />
eignete.<br />
Edibe erinnert sich noch genau an die Reaktionen von<br />
Mutter und Schwiegermutter. Während die Schwiegermutter<br />
vollstes Vertrauen in die Frau ihres Sohnes und die<br />
Mutter von dessen Kindern hatte, musste ihr die eigene<br />
Mutter doch einige strikte Regeln mit auf den Weg geben:<br />
„Kein Alkohol, keine Männer, keine Disko!“ Ihre Mutter<br />
wollte die Tochter nur sehr ungern in die Ferne lassen. Ihr<br />
blieb so nur noch die Jüngste in erreichbarer Nähe.<br />
Auf die Frage nach den Arbeitsstunden pro Tag lacht Edibe<br />
Tumani: „Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang.“ Aber<br />
sie empfand keine psychische oder körperliche Belastung.<br />
Die Gewissheit, die Familie mit dieser Arbeit sicher zu<br />
versorgen, erzeugte große Zufriedenheit. Und: „Wir waren<br />
jung. Es wurde viel gelacht. Es wurde viel gesungen. Obwohl<br />
wir viel gearbeitet haben.“<br />
<strong>Der</strong> <strong>Augustdorfer</strong>/ Juni - Juli '20 33